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+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Römische Geschichte Book 4
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3063]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+
+
+
+Römische Geschichte
+
+Viertes Buch
+Die Revolution
+
+von Theodor Mommsen
+
+The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+
+Contents
+
+ Viertes Buch—Die Revolution
+ KAPITEL I. Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit
+ KAPITEL II. Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus
+ KAPITEL III. Die Revolution und Gaius Gracchus
+ KAPITEL IV. Die Restaurationsherrschaft
+ KAPITEL V. Die Völker des Nordens
+ KAPITEL VI. Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus
+ KAPITEL VII. Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution
+ KAPITEL VIII. Der Osten und König Mithradates
+ KAPITEL IX. Cinna und Sulla
+ KAPITEL X. Die Sullanische Verfassung
+ KAPITEL XI. Das Gemeinwesen und seine Ökonomie
+ KAPITEL XII. Nationalität, Religion, Erziehung
+ KAPITEL XIII. Literatur und Kunst
+
+
+
+
+Viertes Buch
+Die Revolution
+
+
+“Aber sie treiben’s toll;
+Ich fürcht’, es breche”.
+Nicht jeden Wochenschluß
+Macht Gott die Zeche.
+
+Goethe
+
+
+
+
+KAPITEL I.
+Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit
+
+
+Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit
+Roms eine Tatsache, die von den Säulen des Hercules bis zu den
+Mündungen des Nil und des Orontes nicht bloß feststand, sondern
+gleichsam als das letzte Wort des Verhängnisses auf den Völkern lastete
+mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu
+lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben oder in
+hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem
+ernsten Leser es als ihr Recht fordern dürfte, sie durch gute und böse
+Tage, durch Frühlings- und Winterlandschaft zu begleiten, so möchte der
+Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu
+entziehen, diesem Kampf der Übermacht mit der Ohnmacht sowohl in den
+schon zum Römischen Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den
+noch nach Klientelrecht beherrschten afrikanischen, hellenischen,
+asiatischen Gebieten in seinen mannigfaltigen und doch eintönigen
+Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend und untergeordnet auch die
+einzelnen Kämpfe erscheinen mögen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung
+kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die
+italischen Verhältnisse dieser Zeit werden erst verständlich durch die
+Einsicht in den Rückschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat
+traf.
+
+Außer in den naturgemäß als Nebenländer Italiens anzusehenden Gebieten,
+wo übrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollständig
+unterworfen waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und
+Korsen fortwährend Gelegenheit zu “Dorftriumphen” lieferten, bestand
+eine förmliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den
+beiden spanischen Provinzen, die den größeren östlichen und südlichen
+Teil der Pyrenäischen Halbinsel umfaßten. Es ist schon früher versucht
+worden, die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten,
+Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt durcheinander;
+gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die
+verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische
+Kultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse
+phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden
+Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken
+zahlreich beschäftigten Italiker und durch die starke stehende
+Besatzung gefördert ward. In dieser Hinsicht erwähnenswert sind die
+römische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie
+Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste überseeische
+Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica
+wurde von dem älteren Scipio, noch ehe er Spanien verließ (548 206),
+für seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen
+gegründet, wahrscheinlich indes nicht als Bürgergemeinde, sondern nur
+als Marktort ^1; Carteias Gründung fällt in das Jahr 583 (171) und ward
+veranlaßt durch die Menge der von römischen Soldaten mit spanischen
+Sklavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven,
+tatsächlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen
+freigesprochen und in Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia
+als latinische Kolonie konstituiert wurden. Beinahe dreißig Jahre nach
+der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575,
+576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestört
+die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszügen gegen
+die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse
+traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Führung eines Häuptlings Punicus
+fielen die Lusitaner ein in das römische Gebiet, schlugen die beiden
+gegen sie vereinigten römischen Statthalter und töteten ihnen eine
+große Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen
+Duero) wurden hierdurch bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche
+Sache zu machen; so verstärkt vermochten diese ihre Streifzüge bis an
+das Mittelländische Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der
+Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena)
+zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug, um die
+Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschließen, was seit 559 (195)
+nicht geschehen war, und ließ sogar zur Beschleunigung der
+Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der
+gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es war dies die Ursache, weshalb
+der Amtsantritt der Konsuln vom 15. März sich auf den 1. Januar
+verschob und damit derjenige Jahresanfang sich feststellte, dessen wir
+noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul Quintus Fulvius
+Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem Statthalter des
+Jenseitigen Spaniens, dem Prätor Lucius Mummius, und den jetzt nach
+Punicus’ Fall von seinem Nachfolger Kaesarus geführten Lusitanern am
+rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das
+Glück war anfangs den Römern günstig; das lusitanische Heer ward
+zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch
+ermüdet, teils in der Unordnung des Nachsetzens sich auflösend, wurden
+sie von den schon besiegten Gegnern schließlich vollständig geschlagen
+und büßten zu dem feindlichen Lager das eigene sowie an Toten 9000 Mann
+ein. Weit und breit loderte jetzt die Kriegsflamme auf. Die Lusitaner
+am linken Ufer des Tajo warfen sich unter Anführung des Kaukaenus auf
+die den Römern untertänigen Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre
+Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner die dem
+Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als
+Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gärungsstoff. Zwei kleine,
+den mächtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte
+Völkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten
+beschlossen, in eine ihrer Städte, Segeda, sich zusammenzusiedeln.
+Während sie mit dem Mauerbau beschäftigt waren, ward ihnen dieser
+römischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den
+unterworfenen Gemeinden jede eigenmächtige Städtegründung verböten, und
+zugleich die vertragsmäßig schuldige, aber seit längerer Zeit nicht
+verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden Befehlen
+weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um Erweiterung,
+nicht um Gründung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht bloß
+suspendiert, sondern von den Römern erlassen seien. Darüber erschien
+Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken
+Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich
+befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt nicht vollständig;
+die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein die entschlossensten
+flüchteten mit Weib und Kind zu den mächtigen Arevakern und forderten
+sie auf, mit ihnen gegen die Römer gemeinschaftliche Sache zu machen.
+Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner über Mummius,
+gingen darauf ein und wählten einen der flüchtigen Segedaner, Karus, zu
+ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Führer
+eine Leiche, aber das römische Heer geschlagen und bei 6000 römische
+Bürger getötet - der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien,
+blieb seitdem den Römern in schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall
+ihres Feldherrn die Arevaker, sich in ihre festeste Stadt Numantia
+(Garray, eine Legua nördlich von Soria am Duero) zurückzuziehen, wohin
+Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es zu einem
+zweiten Treffen, in welchem die Römer anfänglich durch ihre Elefanten
+die Spanier in die Stadt zurückdrängten, aber dabei infolge der
+Verwundung eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die
+abermals ausrückenden Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser
+und andere Unfälle, wie die Vernichtung eines zur Herbeirufung von
+Zuzugmannschaft ausgesandten römischen Reiterkorps, gestalteten die
+Angelegenheiten der Römer in der diesseitigen Provinz so ungünstig, daß
+die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorräte der Römer sich
+befanden, zum Feinde übertrat und die Arevaker daran denken konnten,
+freilich ohne Erfolg, den Römern den Frieden zu diktieren. Einigermaßen
+wurden indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius
+in der südlichen Provinz erfocht. So geschwächt auch durch die
+erlittene Niederlage sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit
+demselben den unvorsichtig sich zerstreuenden Lusitanern am rechten
+Tajoufer eine Niederlage beizubringen und, übergehend auf das linke, wo
+die Lusitaner das ganze römische Gebiet überrannt, ja bis nach Afrika
+gestreift hatten, die südliche Provinz von den Feinden zu säubern. In
+die nördliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat außer
+beträchtlichen Verstärkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle
+des unfähigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon
+als Prätor 586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei
+Konsulaten sein Feldherrntalent bewährt hatte. Seine geschickte Führung
+und mehr noch seine Milde änderte die Lage der Dinge schnell: Okilis
+ergab sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der
+Hoffnung bestärkt, daß ihnen gegen eine mäßige Buße Friede gewährt
+werden würde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach
+Rom. Marcellus konnte sich nach der südlichen Provinz begeben, wo die
+Vettonen und Lusitaner sich dem Prätor Marcus Atilius zwar botmäßig
+erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner
+Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die römischen
+Verbündeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung
+wieder her, und während er in Corduba überwinterte, ruhten auf der
+ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom über den Frieden
+mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend für die inneren
+Verhältnisse Spaniens, daß vornehmlich die Sendlinge der bei den
+Arevakern bestehenden römischen Partei die Verwerfung der
+Friedensvorschläge in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, daß,
+wenn man die römisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die
+Wahl bleibe, entweder jährlich einen Konsul mit entsprechendem Heer
+nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrückliches Exempel zu
+statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne
+entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des
+Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genötigt, im folgenden
+Frühjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen.
+Indes sei es nun, wie behauptet wird, daß er den Ruhm, den Krieg
+beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht gönnte,
+sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, daß er gleich Gracchus in
+der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften
+Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des römischen
+Feldherrn mit den einflußreichsten Männern der Arevaker kam unter den
+Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den
+Römern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung zu
+Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmäßigen
+Rechte wiedereingesetzt wurden.
+
+———————————————————-
+
+^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et
+conciliabulum civium Romanorum hieß; ähnlich ist später Aquae Sextiae
+in Gallien entstanden. Die Entstehung überseeischer Bürgergemeinden
+beginnt erst später mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwürdig,
+daß in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte.
+
+————————————————————
+
+Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere
+eintraf, fand er den Krieg, den zu führen er gekommen war, bereits
+durch förmlichen Friedensschluß beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und
+vor allem Geld aus Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafür
+gab es Rat. Auf eigene Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der
+Arevaker, die Vaccäer, an, eine noch unabhängige keltiberische Nation,
+die mit den Römern im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der
+Spanier, was sie denn gefehlt hätten, war die Antwort: der Überfall der
+Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von Segovia); und als die
+erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu
+haben meinte, rückten römische Truppen in sie ein und knechteten oder
+mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser
+Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben
+soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Dörfer und
+Ortschaften leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die
+Hauptstadt der Vaccäer, Pallantia (Palencia), dem römischen Heere ihre
+Tore. Die Habsucht hatte in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine
+Gemeinde fand sich, die mit dem treubrüchigen Feldherrn eine
+Kapitulation hätte abschließen mögen, und die allgemeine Flucht der
+Bewohner machte nicht bloß die Beute karg, sondern auch das längere
+Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmöglich. Vor
+Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio
+Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des
+Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts
+mehr galt, die Bewohner zum Abschluß eines Vertrages zu bestimmen,
+infolgedessen das römische Heer gegen Lieferung von Vieh und
+Kleidungsstücken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia mußte wegen
+Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das römische Heer ward
+auf dem Rückmarsch von den Vaccäern bis zum Duero verfolgt. Lucullus
+begab sich darauf nach der südlichen Provinz, wo der Prätor Servius
+Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte
+schlagen lassen; beide überwinterten nicht fern voneinander, Lucullus
+im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im
+folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus
+errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile über sie. Galba
+richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Stämmen am rechten
+Ufer des Tajo einen Vertrag abschloß und sie in bessere Wohnsitze
+überzusiedeln verhieß, worauf die Barbaren, die der gehofften Äcker
+wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen
+geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggeführt, teils
+niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit,
+Grausamkeit und Habgier Krieg geführt worden wie von diesen beiden
+Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schätze
+der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den
+Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr,
+wenige Monate vor seinem Tode, vor der Bürgerschaft zur Verantwortung
+zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein
+heimgebrachtes Gold erwiesen dem römischen Volke seine Unschuld.
+
+Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien
+erreicht hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des
+Dritten Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, daß man die
+spanischen Angelegenheiten zunächst wieder den gewöhnlichen
+Statthaltern überließ. So verwüsteten denn die Lusitaner, durch Galbas
+Treulosigkeit mehr erbittert als gedemütigt, unaufhörlich das reiche
+turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der römische Statthalter Gaius
+Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloß, sondern drängte
+auch den ganzen Haufen auf einen Hügel zusammen, wo derselbe
+rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie
+abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie
+einst als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden
+Tiere und Räuber, so jetzt in ernsteren Kämpfen ein gefürchteter
+Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Überfall Galbas
+zufällig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf römisches
+Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhieß, wenn sie ihm folgen
+wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer übertrug ihm den
+Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in
+einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten
+Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und
+zuverlässigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug
+der Seinigen deckte. Die Römer, denen es an leichter Kavallerie fehlte,
+wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur
+Verfolgung zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch
+mit seinem Haufen das ganze römische Heer aufgehalten hatte, verschwand
+auch er plötzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz
+zu. Der römische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt
+gelegten Hinterhalt, in dem er die Hälfte seines Heeres verlor und
+selber gefangen und getötet ward; kaum rettete der Rest der Truppen
+sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom
+Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstärkung der
+geschlagenen Römer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch
+auf dem Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so
+unumschränkt, daß die Römer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen.
+Viriathus, jetzt als Herr und König der sämtlichen Lusitaner anerkannt,
+verstand es, das volle Gewicht seiner fürstlichen Stellung mit dem
+schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied
+ihn von dem gemeinen Soldaten; von der reichgeschmückten Hochzeitstafel
+seines Schwiegervaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand
+er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt zu
+haben, hob seine Braut auf das Roß und ritt mit ihr zurück in seine
+Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch
+jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem
+treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber
+daran, daß er es in Mäßigkeit und in Mühsal jedem der Seinigen
+zuvortat, nie anders als in voller Rüstung schlief und in der Schlacht
+allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen
+Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit
+erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation
+meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der
+Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im
+nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die nächsten Jahre
+seiner Feldherrnschaft. Den Prätor Gaius Plautius (608/09 146) wußte
+er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hinüber auf das rechte
+Tajoufer zu locken und ihn dort so nachdrücklich zu schlagen, daß der
+römische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging - später
+ward dafür gegen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde
+vor dem Volk erhoben und er genötigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen
+wurde das Heer des Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz
+- Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und
+weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen
+erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen
+Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmückt waren; bestürzt
+und beschämt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkönigs. Zwar
+übernahm jetzt ein zuverlässiger Offizier die Führung des Spanischen
+Krieges, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus
+Fabius Maximus Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben
+von Makedonien und Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den
+verhaßten Spanischen Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die
+beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht
+viel minder unzuverlässig als das alte, gänzlich demoralisierte
+spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die Lusitaner
+günstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des
+Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna südöstlich von
+Sevilla) zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und
+nahm erst im folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine
+Truppen kampffähig geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die
+Überlegenheit zu behaupten vermochte und nach glücklichen Waffentaten
+nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an Maximus’ Stelle der
+feige und ungeschickte Prätor Quinctius den Befehl übernahm, erlitten
+die Römer wiederum eine Niederlage über die andere und schloß ihr
+Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, während
+Viriathus’ Scharen die südliche Provinz überschwemmten (611 143). Sein
+Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus
+Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der
+Halbinsel gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen,
+allein nach einer Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem mühsam
+abgeschlagenen Sturm auf das römische Lager sah er sich genötigt, auf
+das römische Gebiet zurückzuweichen. Viriathus folgte ihm in die
+Provinz; da aber seine Truppen nach dem Brauch spanischer
+Insurgentenheere plötzlich sich verliefen, mußte auch er nach
+Lusitanien zurückkehren (612 142). Im nächsten Jahre (613 141) ergriff
+Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und
+Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrückend, eine Menge
+Ortschaften. Eine große Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die
+Führer - es waren deren gegen 500 - wurden hingerichtet, den aus
+römischem Gebiet zum Feinde Übergegangenen die Hände abgehauen, die
+übrige Masse in die Sklaverei verkauft. Aber der Spanische Krieg
+bewährte auch hier seine tückische Unbeständigkeit. Das römische Heer
+ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane von
+Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedrängt, wo es
+gänzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnügte sich,
+wie einst der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Pässen, mit
+Servilianus einen Frieden abzuschließen, worin die Gemeinde der
+Lusitaner als souverän und Viriathus als König derselben anerkannt
+ward. Die Macht der Römer war nicht mehr gestiegen als das nationale
+Ehrgefühl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des lästigen
+Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die
+Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und
+Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit
+wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu
+heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmächtigen und
+bald ihm den offenen, unbeschönigten Bruch des gegebenen Treuworts
+wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog
+das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus
+vermied den Kampf mit der Übermacht und entzog sich durch geschickte
+Bewegungen dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139)
+nicht bloß Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der
+nördlichen Provinz inzwischen verfügbar gewordene Heer unter Marcus
+Popillius in Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder
+Bedingung. Er ward geheißen, alle aus dem römischen Gebiet zu ihm
+übergetretenen Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die
+Römer auszuliefern; es geschah, und die Römer ließen dieselben
+hinrichten oder ihnen die Hände abhauen. Allein es war damit nicht
+genug; nicht auf einmal pflegten die Römer den Unterworfenen
+anzukündigen, was über sie verhängt war. Ein Befehl nach dem andern,
+und immer der folgende unerträglicher als die vorhergehenden, erging an
+die Lusitaner, und schließlich ward sogar die Auslieferung der Waffen
+von ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals
+seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs
+neue zum Schwert, aber zu spät. Sein Schwanken hatte in seiner nächsten
+Umgebung die Keime des Verrats gesät; drei seiner Vertrauten, Audas,
+Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Möglichkeit, jetzt
+noch zu siegen, erwirkten von dem König die Erlaubnis, noch einmal mit
+Caepio Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, und benutzten sie, um gegen
+Zusicherung persönlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben
+des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurückgekehrt in das
+Lager, versicherten sie den König des günstigsten Erfolgs ihrer
+Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem
+Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier
+ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele
+fochten; höher noch dadurch, daß sie den Kampf nicht aufgaben, sondern
+an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn
+ernannten. Kühn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Römern
+Sagunt zu entreißen; allein der neue Feldherr besaß weder seines
+Vorgängers weise Mäßigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition
+scheiterte völlig, und auf der Rückkehr ward das Heer bei dem Übergang
+über den Baetis angegriffen und genötigt, sich unbedingt zu ergeben.
+Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von Eingeborenen
+als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen.
+
+————————————————————-
+
+2 Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es
+steht fest, daß Viriathus’ Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert
+(App. Hisp. 61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und daß er 615 (130) umkam
+(Diod. Vat. p. 110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht
+(App. Hisp. 63), zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fünfzehn (Liv.
+54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre
+(Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige
+Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus’ Auftreten sowohl bei Diodor (p.
+591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die
+Zerstörung von Korinth angeknüpft wird. Von den römischen Statthaltern,
+mit denen sich Viriathus schlug, gehören ohne Zweifel mehrere der
+nördlichen Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht
+ausschließlich in der südlichen tätig war (Liv. 52); man darf also
+nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl der Jahre seiner
+Feldherrnschaft berechnen.
+
+———————————————————-
+
+Während die südliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner
+heimgesucht ward, war nicht ohne deren Zutun in der nördlichen bei den
+keltiberischen Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg
+ausgebrochen. Viriathus’ glänzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144)
+die Arevaker, gleichfalls gegen die Römer sich zu erheben, und es war
+dies die Ursache, weshalb der zur Ablösung des Maximus Aemilianus nach
+Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius Metellus nicht nach der
+südlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer sich wandte. Auch
+gegen sie bewährte er, namentlich während der Belagerung der für
+unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tüchtigkeit, die er
+bei der Überwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte;
+nach zweijähriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die nördliche
+Provinz zum Gehorsam zurückgebracht. Nur die beiden Städte Termantia
+und Numantia hatten noch den Römern die Tore nicht geöffnet; auch mit
+diesen aber war die Kapitulation fast schon abgeschlossen und der
+größte Teil der Bedingungen von den Spaniern erfüllt. Als es jedoch zur
+Ablieferung der Waffen kam, ergriff auch sie eben wie den Viriathus
+jener echt spanische Stolz auf den Besitz des wohlgeführten Schwertes,
+und es ward beschlossen, unter dem kühnen Megaravicus den Krieg
+fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen
+Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius übernahm, war viermal so
+stark als die gesamte waffenfähige Bevölkerung von Numantia. Allein der
+völlig kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Städte
+so harte Niederlagen (613, 614 141, 140), daß er endlich es vorzog, den
+Frieden, den er nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu
+erwirken. Mit Termantia muß ein definitives Abkommen getroffen sein;
+auch den Numantinern sandte der römische Feldherr ihre Gefangenen
+zurück und forderte die Gemeinde unter dem geheimen Versprechen
+günstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade zu ergeben.
+Die Numantiner, des Krieges müde, gingen darauf ein, und der Feldherr
+beschränkte in der Tat seine Forderungen auf das möglichst geringe Maß.
+Gefangene, Überläufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene
+Geldsumme größtenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue
+Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die
+Last des Oberbefehls auf fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um
+sich der in Rom seiner wartenden Verantwortung für den nach römischen
+Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht
+etwa bloß zu brechen, sondern zu verleugnen und, als die Numantiner
+kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen Offizieren ins
+Gesicht den Abschluß des Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die
+Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; während
+dort darüber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und
+beschäftigte sich Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die
+Katastrophe des Viriathus beschleunigen half, und mit einem Streifzug
+gegen die den Numantinern benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat
+die Entscheidung kam, lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man
+beteiligte sich also von Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius.
+Mit ungeschwächtem Mut und erhöhter Erbitterung nahmen die Numantiner
+den Kampf wieder auf; Laenas focht unglücklich gegen sie und nicht
+minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die
+Katastrophe führten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als
+die schlaffe und elende Kriegszucht der römischen Feldherrn und die
+Folge derselben, die von Jahr zu Jahr üppiger wuchernde Liederlichkeit,
+Zuchtlosigkeit und Feigheit der römischen Soldaten. Das bloße, überdies
+falsche Gerücht, daß die Kantabrer und Vaccäer zum Entsatz von Numantia
+heranrückten, bewog das römische Heer, ungeheißen in der Nacht das
+Lager zu räumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior
+angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch
+in Kenntnis gesetzt, drängten der fliehenden Armee nach und umzingelten
+sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich
+durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen
+Frieden zu schließen. Mehr als der Konsul, der persönlich ein
+Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius
+Gracchus, der als Quästor im Heere diente, durch sein von dem Vater,
+dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den
+Keltiberern, daß die Numantiner sich mit einem billigen, von allen
+Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genügen ließen. Allein der
+Senat rief nicht bloß den Feldherrn sofort zurück, sondern ließ auch
+nach langer Beratung bei der Bürgerschaft darauf antragen, den Vertrag
+zu behandeln wie einst den caudinischen, das heißt, ihm die
+Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafür auf
+diejenigen abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen
+hätten dies sämtliche Offiziere sein müssen, die den Vertrag beschworen
+hatten; allein Gracchus und die übrigen wurden durch ihre Verbindungen
+gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der höchsten
+Aristokratie angehörte, ward bestimmt, für eigene und fremde Schuld zu
+büßen. Seiner Insignien entkleidet, ward der römische Konsular zu den
+feindlichen Vorposten geführt, und da die Numantiner ihn anzunehmen
+verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig
+anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Hände
+auf den Rücken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia,
+Freunden und Feinden ein klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus’
+Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus,
+schien die bittere Lehre völlig verloren. Während die Verhandlungen
+über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter
+nichtigen Vorwänden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie
+Volk der Vaccäer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der
+jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluß
+befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er,
+unter dem Vorwand, daß die Umstände inzwischen sich geändert hätten,
+die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade so schlecht wie als
+Bürger; nachdem er so lange vor der großen und festen Stadt gelegen
+hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen
+war, mußte er mit Zurücklassung aller Verwundeten und Kranken den
+Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Hälfte
+seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh
+abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene römische
+Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Dafür ward denn dem
+hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbuße auferlegt.
+Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius
+Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu führen, und
+da sie eben gar nichts taten, kamen sie glücklich ohne Niederlage heim.
+Selbst die römische Regierung fing endlich an einzusehen, daß man so
+nicht länger fortfahren könne; man entschloß sich, die Bezwingung der
+kleinen spanischen Landstadt außerordentlicherweise dem ersten
+Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu übertragen. Die Geldmittel zur
+Kriegführung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit
+zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar
+geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die Furcht, der
+souveränen Bürgerschaft lästig zu werden, zusammengewirkt haben mögen.
+Indes begleitete ihn freiwillig eine große Anzahl von Freunden und
+Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor einigen
+Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestützt auf
+diese zuverlässige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward,
+begann Scipio das tief zerrüttete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor
+allen Dingen mußte der Troß das Lager räumen - es fanden sich bis 2000
+Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten -, und da
+der Soldat zum Fechten unbrauchbar war, mußte er wenigstens schanzen
+und marschieren. Den ersten Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit
+den Numantinern; er begnügte sich, die Vorräte in der Umgegend zu
+vernichten und die Vaccäer, die den Numantinern Korn verkauften, zu
+züchtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst
+gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; außer dem
+numidischen Kontingent von Reitern, Fußsoldaten und zwölf Elefanten
+unter Anführung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen
+Zuzügen waren es vier Legionen, überhaupt eine Heermasse von 60000
+Mann, die eine Stadt mit einer waffenfähigen Bürgerschaft von höchstens
+8000 Köpfen einschloß. Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf
+an; allein Scipio, wohl erkennend, daß die vieljährige Zuchtlosigkeit
+nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht,
+und wo es dennoch bei den Ausfällen der Belagerten dazu kam,
+rechtfertigte die feige, kaum durch das persönliche Erscheinen des
+Feldherrn gehemmte Flucht der Legionäre diese Taktik nur zu sehr. Nie
+hat ein Feldherr seine Soldaten verächtlicher behandelt als Scipio die
+numantinische Armee; und nicht bloß mit bitteren Reden, sondern vor
+allem durch die Tat bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal
+führten die Römer, wo es nur auf sie ankam, das Schwert zu brauchen,
+den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings um die ganze Stadtmauer von
+reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang ward eine doppelt so
+ausgedehnte, mit Mauern, Türmen und Gräben versehene zwiefache
+Umwallungslinie aufgeführt und auch der Duerofluß, auf dem den
+Belagerten anfangs noch durch kühne Schiffer und Taucher einige Vorräte
+zugekommen waren, endlich abgesperrt. So mußte die Stadt, die zu
+stürmen man nicht wagte, wohl durch Hunger erdrückt werden, um so mehr,
+als es der Bürgerschaft nicht möglich gewesen war, sich während des
+letzten Sommers zu verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel
+an allem. Einer ihrer kühnsten Männer, Retogenes, schlug sich mit
+wenigen Begleitern durch die feindlichen Linien durch, und seine
+rührende Bitte, die Stammesgenossen nicht hilflos untergehen zu lassen,
+war wenigstens in einer der Arevakerstädte, in Lutia, von großer
+Wirkung. Bevor aber die Bürger von Lutia sich entschieden hatten,
+erschien Scipio, benachrichtigt von den römisch Gesinnten in der Stadt,
+mit Übermacht vor ihren Mauern und zwang die Behörden, ihm die Führer
+der Bewegung, vierhundert der trefflichsten Jünglinge, auszuliefern,
+denen sämtlich auf Befehl des römischen Feldherrn die Hände abgehauen
+wurden. Die Numantiner, also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an
+Scipio, um über die Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen
+Mann an, der Tapferen zu schonen; allein als die rückkehrenden Boten
+meldeten, daß Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der
+wütenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloß, bis Hunger und
+Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das römische
+Hauptquartier eine zweite Botschaft, daß die Stadt jetzt bereit sei,
+auf Gnade und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Bürgerschaft
+angewiesen wurde, am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie
+um einige Tage Frist, um denjenigen Bürgern, die den Untergang der
+Freiheit nicht zu überleben beschlossen hätten, Zeit zum Sterben zu
+gestatten. Sie ward ihnen gewährt, und nicht wenige benutzten sie.
+Endlich erschien der elende Rest vor den Toren. Scipio las fünfzig der
+Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe aufzuführen; die übrigen
+wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht,
+ihr Gebiet unter die Nachbarstädte verteilt. Das geschah im Herbst 621
+(133), fünfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl übernommen hatte.
+
+Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition
+gegen Rom in der Wurzel getroffen; militärische Spaziergänge und
+Geldbußen reichten aus, um die römische Oberherrschaft im ganzen
+diesseitigen Spanien zur Anerkennung zu bringen.
+
+Auch im jenseitigen ward durch die Überwindung der Lusitaner die
+römische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius
+Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen
+Lusitaner an in der Nähe von Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia
+(Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung (616 138); er durchzog
+ferner (616-618 138-136) in verschiedenen Richtungen die iberische
+Westküste und gelangte zuerst von den Römern an das Gestade des
+Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Männern und Frauen,
+hartnäckig verteidigten Städte der dort wohnenden Lusitaner wurden
+durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhängigen Callaeker nach
+einer großen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der
+römischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der Vaccäer, Lusitaner
+und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordküste die ganze Halbinsel
+wenigstens dem Namen nach den Römern untertan. Eine senatorische
+Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio das
+neugewonnene Provinzialgebiet römisch zu ordnen, und Scipio tat, was er
+konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner Vorgänger
+zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle
+Mißhandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit
+hatte ansehen müssen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt
+zurückzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum für Spanien
+eine leidlichere Zeit. Die Unterdrückung des Seeraubes, der auf den
+Balearen gefährliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus Caecilius
+Metellus’ Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem Aufblühen
+des spanischen Handels ungemein förderlich, und auch sonst waren die
+fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst
+unübertroffenen Bevölkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie
+zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevölkerung auf der
+Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in
+den Städten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen
+Inseln. Trotz mancher schwerer Mißstände bewahrte die römische
+Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit und
+zunächst Tiberius Gracchus ihr aufgeprägt hatten. Das römische
+Grenzgebiet zwar hatte von den Überfällen der halb oder gar nicht
+bezwungenen Stämme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei
+den Lusitanern namentlich tat die ärmere Jugend regelmäßig sich in
+Räuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute
+oder die Nachbarn, weshalb noch in viel späterer Zeit die einzeln
+gelegenen Bauernhöfe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im
+Notfall verteidigungsfähig waren; und es gelang den Römern nicht,
+diesem Räuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugänglichen
+lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege
+nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder
+leidlich tüchtige Statthalter mit den gewöhnlichen Mitteln
+niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der
+Grenzdistrikte war Spanien unter allen römischen Gebieten das
+blühendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die
+Mittelsmänner waren daselbst unbekannt, die Bevölkerung zahlreich und
+die Landschaft reich an Korn und Vieh.
+
+In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller
+Souveränität und tatsächlicher Untertänigkeit befanden sich die
+afrikanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche durch die
+Kriege der Römer gegen Karthago, Makedonien und Syrien und deren
+Konsequenzen in den Kreis der römischen Hegemonie gezogen worden waren.
+Der unabhängige Staat bezahlt den Preis seiner Selbständigkeit nicht zu
+teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt, wenn es sein
+muß; der Staat, der die Selbständigkeit eingebüßt hat, mag wenigstens
+einen Ersatz darin finden, daß der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor
+seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder
+Selbständigkeit noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und
+Numidien tatsächlich ein ewiger Grenzkrieg. In Ägypten hatte zwar der
+römische Schiedsspruch den Sukzessionsstreit der beiden Brüder
+Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein
+die neuen Herren von Ägypten und von Kyrene führten nichtsdestoweniger
+Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloß die meisten
+Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch
+Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der
+Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache
+und schwere Kriege geführt zwischen den Attaliden und den Galatern,
+zwischen den Attaliden und den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos
+und Kreta. Ebenso glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen
+zwerghaften Fehden, und selbst das sonst so ruhige makedonische Land
+verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokratischen
+Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, daß
+die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen
+ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten hätten einsehen
+müssen, daß der Staat, der nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg
+führen kann und daß, da der Besitzstand und die Machtstellung all
+dieser Staaten tatsächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei
+jeder Differenz nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Güte
+sich zu vergleichen oder die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn
+die achäische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe
+gemahnt ward und ernstlich über deren Absendung beratschlagte (601
+153), so war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der
+Führer der römisch gesinnten Partei damals aufstellte, daß es den
+Achäern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Römer Krieg zu führen,
+drückte, freilich mit übelklingender Schärfe, die einfache Wahrheit
+aus, daß die Souveränität der Dependenzstaaten eben nur eine formelle
+war und jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin
+führen mußte, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer
+als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu
+richten. Es ist für den Menschen wie für den Staat keine leichte
+Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des
+Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft
+aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen
+Überlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu nötigen. Der römische
+Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestürmt,
+griff der Senat beständig ein in den Gang der afrikanischen,
+hellenischen, asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten, allein in einer
+so unsteten und schlaffen Weise, daß durch diese Schlichtungsversuche
+die Verwirrung gewöhnlich nur noch ärger ward. Es war die Zeit der
+Kommissionen. Beständig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago und
+Alexandreia, an die achäische Tagsatzung und die Höfe der
+vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten,
+und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und
+gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, daß Kypros,
+welches der Senat dem Kyrenäischen Reich zugeschieden hatte,
+nichtsdestoweniger bei Ägypten blieb; daß ein syrischer Prinz den Thron
+seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Römern
+zugesprochen erhalten zu haben, während in der Tat ihm derselbe vom
+Senate ausdrücklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von
+Rom entkommen war; ja daß die offenkundige Ermordung eines römischen
+Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment
+von Syrien führte, gänzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wußten zwar
+sehr wohl, daß sie nicht imstande seien, den römischen Legionen zu
+widerstehen; aber sie wußten nicht minder, wie wenig der Senat geneigt
+war, den Bürgern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu
+erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der
+Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment
+brachte die Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die
+der Ordnung. Für die Römer selbst aber war diese Lage der Dinge
+insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermaßen
+preisgab. Ohne daß Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern
+vermochte, konnten hier, gestützt auf die außerhalb des Bereiches der
+römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen
+die schwachen römischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer
+für Rom gefährlichen und früher oder später mit ihm rivalisierenden
+Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermaßen der
+überall zerspaltene und nirgends einer großartigen staatlichen
+Entwicklung günstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch
+erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, daß
+in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des
+Augustus noch nicht am Euphrat standen.
+
+Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das
+einzig mögliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in
+römische Ämter, was um so eher geschehen konnte, als ja die römische
+Provinzialverfassung wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand
+des römischen Vogts zusammenfaßte und Verwaltung und Gerichte in der
+Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was
+von der alten politischen Selbständigkeit überhaupt noch lebensfähig
+war, sich in der Form der Gemeindefreiheit bewahren ließ. Zu verkennen
+war die Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es
+fragte sich nur, ob der Senat dieselbe verzögern und verkümmern, oder
+ob er den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen
+und energisch durchzuführen.
+
+Blicken wir zunächst auf Afrika. Die von den Römern in Libyen
+gegründete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des
+Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. Während jenes unter
+Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte,
+befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch die bloßen Folgen
+des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es
+auf der Höhe seiner politischen Macht gewesen war. Die Römer sahen mit
+übelverhehlter, neidischer Furcht die, wie es schien, unverwüstliche
+Blüte der alten Nebenbuhlerin; hatten sie bisher den beständig
+fortgesetzten Übergriffen Massinissas gegenüber derselben jeden
+ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu Gunsten
+des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreißig Jahren
+zwischen der Stadt und dem König schwebende Streit über den Besitz der
+Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des
+karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von römischen
+Kommissarien dahin entschieden, daß die Karthager die noch in ihrem
+Besitz verbliebenen emporitanischen Städte zu räumen und als
+Entschädigung für die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente
+(860000 Taler) an den König zu zahlen hätten. Die Folge war, daß
+Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der
+Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der großen
+Felder am Bagradas, bemächtigte; den Karthagern blieb nichts übrig, als
+abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozeß anhängig zu machen. Nach
+langem und ohne Zweifel absichtlichem Zögern erschien in Afrika eine
+zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne
+genaue vorgängige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu
+fällenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten,
+sondern auf eingehender Erörterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten
+die Kommissare ohne weiteres wieder zurück nach Rom. Die Rechtsfrage
+zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die
+Sendung führte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser
+Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der
+einflußreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen
+Kriege noch von dem vollen Pönerhaß und der vollen Pönerfurcht
+durchdrungen. Betroffen und mißgünstig hatte dieser mit eigenen Augen
+den blühenden Zustand der Erbfeinde Roms, die üppige Landschaft und die
+wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorräte in den Zeughäusern und
+das reiche Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen
+zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner
+ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem
+Ergebnis, daß Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom
+Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese
+Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer
+der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmerlichen
+Politik mit großem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse
+vor einer Kaufstadt, deren phönikische Bewohner mehr und mehr der
+kriegerischen Künste und Gedanken sich entwöhnten, und die vollkommene
+Verträglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der
+politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine
+römische Provinzialstadt wäre ausführbar, ja, verglichen mit dem
+gegenwärtigen Zustand, den Phönikern selbst vielleicht nicht
+unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung,
+sondern den Untergang der verhaßten Stadt. Seine Politik fand, wie es
+scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmännern, die geneigt waren,
+die überseeischen Gebiete in unmittelbare Abhängigkeit von Rom zu
+bringen, teils und vor allem an dem mächtigen Einfluß der römischen
+Bankiers und Großhändler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld-
+und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen mußte. Die Majorität
+beschloß, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten
+forderte die Rücksicht auf die öffentliche Meinung - den Krieg mit
+Karthago oder vielmehr die Zerstörung der Stadt zu bewirken.
+
+Die gewünschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden
+Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Römer brachten in
+Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Führer der
+Patriotenpartei, welche, ähnlich der achäischen, zwar nicht daran
+dachte, gegen die römische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens
+die den Karthagern vertragsmäßig zustehenden Rechte gegen Massinissa,
+wenn nötig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die
+Patrioten ließen vierzig der entschiedensten Anhänger Massinissas aus
+der Stadt verbannen und das Volk schwören, ihnen unter keiner Bedingung
+je die Rückkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen
+die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein
+starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154).
+Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu rüsten, sondern sich
+wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch
+der Römer zu unterwerfen; und so konnte man römischerseits mit einigem
+Schein behaupten, daß die karthagischen Rüstungen gegen die Römer
+gerichtet sein müßten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und
+Vernichtung der Flottenvorräte dringen. Der karthagische Rat wollte
+einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausführung des
+Beschlusses, und die römischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago
+überbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen
+Sohn Gulussa nach Rom, um über die fortdauernden Vorbereitungen
+Karthagos für den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und die
+Kriegserklärung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine
+Gesandtschaft von zehn Männern es bestätigt hatte, daß in Karthago in
+der Tat gerüstet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte
+Kriegserklärung, die Cato begehrte, beschloß aber in geheimer Sitzung,
+daß der Krieg erklärt sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu
+verstehen würden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu
+verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen.
+Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter
+Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurückgesandt. Da die
+Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern
+einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und
+auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. Indes
+Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der
+gewöhnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren zu
+nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein
+Theaterkönig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war
+der eitle und schwerfällige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen
+in einer Bedrängnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und
+Hannibals Arm nicht mehr hätten abwenden können. Vor den Augen des
+Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, an
+Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische
+Elefanten zuzuführen, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge
+herab “wie Zeus vom Ida” der Schlacht zuschaute, lieferten die
+Karthager und die Numidier sich ein großes Treffen, in welchem jene,
+obwohl durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen
+zugeführte numidische Reiter verstärkt und an Zahl dem Feinde
+überlegen, dennoch den kürzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten
+sich die Karthager gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und
+Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag
+zustande zu bringen; allein an der Weigerung der karthagischen
+Patrioten, die Überläufer auszuliefern, scheiterte das
+Friedensgeschäft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen
+des Gegners, wurde genötigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte:
+Auslieferung der Überläufer, Rückkehr der Verbannten, Abgabe der
+Waffen, Abzug unter dem Joch, Zahlung von jährlich 100 Talenten (155000
+Talern) für die nächsten fünfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde
+von den Numidiern nicht gehalten, sondern der entwaffnete Rest des
+karthagischen Heeres auf der Heimkehr von ihnen zusammengehauen.
+
+Die Römer, die sich wohl gehütet hatten, den Krieg selbst durch zeitige
+Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wünschten: einen
+brauchbaren Kriegsgrund - denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht
+gegen römische Bundesgenossen noch außerhalb der eigenen Grenzen Krieg
+zu führen, waren jetzt allerdings von den Karthagern übertreten worden
+- und einen bereits im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die
+italischen Kontingente nach Rom gemahnt und die Schiffe
+zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die Kriegserklärung da sein.
+Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag abzuwenden. Die
+Führer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum Tode
+verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die
+Verantwortung zu wälzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der
+zweiten Stadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht
+hatten, ihre Gemeinde den Römern völlig zu eigen zu geben - mit dieser
+zuvorkommenden Unterwürfigkeit verglichen, schien es fast Trotz, daß
+die Karthager sich begnügt hatten, die Hinrichtung ihrer angesehensten
+Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat erklärte, daß die
+Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage,
+was denn genügen werde, hieß es, das sei den Karthagern ja bekannt.
+Freilich konnte man es wissen, was die Römer wollten; allein es schien
+doch wieder unmöglich zu glauben, daß nun wirklich für die liebe
+Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen
+karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreißig und mit unbeschränkter
+Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklärt
+(Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch
+versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollständige Unterwerfung zu
+beschwören. Der Senat beschied sie, daß Rom bereit sei, der
+karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr
+Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantieren, wofern sie
+den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in
+Lilybäon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen
+und die weiteren Befehle erfüllen würden, die ihnen die Konsuln nach
+ihrer Instruktion würden zugehen lassen. Man hat den Bescheid
+zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende
+Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daß alles, was man nur
+begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und
+daß keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu
+sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat
+verfuhr mit furchtbarer Härte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab
+er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich
+kein Staatsmann, der die haltlose städtische Menge entweder zum vollen
+Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht hätte. Als
+man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die erträgliche
+Geiselforderung vernahm, fügte man zunächst sich dieser und hoffte
+weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heiße, sich
+der Willkür eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln
+sandten die Geiseln von Lilybäon zurück nach Rom und beschieden die
+karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne
+Widerstand geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel
+verabfolgt. Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von
+Karthago erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten
+die Konsuln zunächst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der
+Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten,
+gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch
+die Flucht entronnenen Hasdrubal beschützen solle, ward ihnen erwidert,
+daß dies die Sorge der Römer sein werde. Gehorsam erschien demnach der
+Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen
+Kriegsvorräten der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz
+befindlichen Waffen - man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000 volle
+Rüstungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob
+sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eröffnete dem Rat, daß in
+Gemäßheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt
+zerstört werden müsse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst
+wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom
+Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fürchterliche Befehl
+rüttelte in den Phönikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder
+wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander
+und später die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die
+Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen
+vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und
+Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der
+Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empörung
+der kaufmännischen und seefahrenden Bevölkerung. Von Hoffnung und
+Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne
+Frage auch jetzt sich zu fügen - aber die Stimme der wenigen, welche
+mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf
+des Fährmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in
+ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff,
+welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils
+die unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt
+heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten ließ, teils
+die zufällig in der Stadt verweilenden Italiker zerriß, um wenigstens
+an diesen die Rache vorwegzunehmen für die Vernichtung der Heimat. Man
+beschloß nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies
+von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen
+entblößten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal,
+den Tochtersohn Massinissas, übertragen, die Sklaven sämtlich frei
+erklärt. Das Emigrantenheer unter dem flüchtigen Hasdrubal, das mit
+Ausnahme der von den Römern besetzten Städte an der Ostküste,
+Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, das
+ganze karthagische Gebiet innehatte und für die Verteidigung eine
+unschätzbare Stütze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in
+dieser höchsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt
+phönikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der
+Demut versteckend, den Feind zu täuschen. Es ging eine Botschaft an die
+Konsuln, um dreißigtägigen Waffenstillstand zur Absendung einer
+Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wußten wohl, daß die
+Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewähren wollten
+noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestärkt in der
+natürlichen Voraussetzung, daß nach dem ersten Ausbruch der
+Verzweiflung die gänzlich wehrlose Stadt sich fügen werde, und
+verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt,
+um Wurfgeschütze und Rüstungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne
+Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen
+gezimmert und gehämmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die
+öffentlichen Gebäude niedergerissen; um die für die Wurfgeschütze
+unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar;
+in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Männer wieder
+bewehrt. Daß dies alles geschehen konnte, ohne daß die wenige Meilen
+entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten
+wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja
+dämonischen Volkshaß getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des
+Wartens müde, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloß mit Leitern
+die nackten Mauern ersteigen zu können meinten, fanden sie mit Staunen
+und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekrönt und die große
+volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu besetzen
+gehofft hatte, fähig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu
+verteidigen.
+
+Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie durch die
+Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner.
+In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, östlich Kap
+Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach Osten eine
+Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und nur gegen
+Westen mit dem Festland zusammenhängt. Diese Landspitze, an der
+schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im
+ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in
+den beiden Höhen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen
+die Fläche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem südlichen, mit der Höhe
+von Sidi bu Said abschließenden Teil derselben lag die Stadt Karthago.
+Der ziemlich steile Abfall jener Höhe gegen den Golf und dessen
+zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt
+natürliche Festigkeit, und es genügte hier eine einfache Umwallung.
+Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen
+Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst
+vermochte. Sie bestand, wie die kürzlich aufgedeckten, mit der
+Beschreibung des Polybios genau übereinstimmenden Überreste gezeigt
+haben, aus einer Außenmauer von 6½ Fuß Dicke und an diese hinterwärts,
+wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren
+Kasematten, welche durch einen 6 Fuß breiten bedeckten Gang von der
+Außenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuß breiten Vorder-
+und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 Fuß hatten 4.
+Dieser ungeheure, durchaus aus mächtigen Quadern zusammengefügte Wall
+erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die mächtigen vier
+Stockwerke hohen Türme ungerechnet, zu einer Höhe von 45 Fuß 5 und
+gewährte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung und
+Futtermagazine für 300 Elefanten, in dem oberen Pferdeställe, Magazin-
+und Kasernenräume 6. Der Burghügel, die Byrsa (syrisch birtha = Burg),
+ein verhältnismäßig bedeutender Fels von 188 Fuß Höhe und an der
+Unterfläche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten 7, griff in
+diese Mauer an ihrem südlichen Ende ein, ähnlich wie die Felswand des
+Kapitols in den römischen Stadtwall. Die obere Fläche desselben trug
+den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen ruhenden Tempel
+des Heilgottes. Die Südseite der Stadt bespülte teils der seichte
+Tunesische See im Südwesten, den eine von der karthagischen Halbinsel
+südwärts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast gänzlich von
+dem Golfe schied, teils im Südosten der offene Golf. An dieser letzten
+Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk von
+Menschenhand: der äußere oder der Handelshafen, ein längliches, die
+schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuß
+breiter Mündung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen,
+und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das
+Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den äußeren
+gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa
+ostwärts sich wendend, die Landzunge und den Außenhafen aus-, dagegen
+den Kriegshafen einschloß, so daß die Einfahrt in den letzteren gleich
+einem Tor verschließbar gedacht werden muß. Unweit des Kriegshafens lag
+der Marktplatz, der durch drei enge Straßen mit der nach der Stadtseite
+offenen Burg verbunden war. Nördlich von und außerhalb der eigentlichen
+Stadt hatte der ziemlich beträchtliche, schon zu jener Zeit großenteils
+mit Landhäusern und wohlbewässerten Gärten gefüllte Raum der heutigen
+El Mersa, damals Magalia genannt, eine eigene, an die Stadtmauer sich
+anlehnende Umwallung. Auf der gegenüberliegenden Spitze der Halbinsel,
+dem Dschebel-Khawi bei dem heutigen Dorfe Qamart, lag die Gräberstadt.
+Diese drei, die Alt-, die Vor- und die Gräberstadt, füllten zusammen
+die ganze Breite der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus
+und waren nur zugänglich auf den beiden Hauptstraßen nach Utica und
+Tunes über jene schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer
+geschlossen war, aber doch für die unter dem Schutze der Hauptstadt und
+wieder zu deren Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste
+Stellung darbot.
+
+—————————————————————-
+
+3 Der Zug der Küste ist im Laufe der Jahrhunderte so verändert worden,
+daß man an der alten Stätte die ehemaligen Lokalverhältnisse nur
+unvollkommen wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap
+Kartadschena, auch von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu
+Said genannt, die in den Golf hineinragende östliche Spitze der
+Halbinsel und ihr höchster 393 Fuß über dem Meere gelegener Punkt.
+
+4 Die von C. E. Beulé (Fouilles à Carthage. Paris 1861) mitgeteilten
+Tiefmaße sind in Metern und in griechischen Fuß (1 = 0,309):
+
+Außenmauer
+
+2 Meter = 6½ Fuß
+
+Korridor
+
+9 Meter = 6 Fuß
+
+Vordermauer der Kasematten
+
+1 Meter = 3¼Fuß
+
+Kasemattensäle
+
+4,2 Meter = 14 Fuß
+
+Hintermauer der Kasematten
+
+1 Meter = 3¼Fuß
+
+Gesamttiefe der Mauer
+
+10,1 Meter = 33 Fuß
+
+oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1½
+Fuß), während Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die
+eine andere, minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu
+haben scheinen, die Mauertiefe auf 30 Fuß ansetzen. Die dreifache Mauer
+Appians, über die bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche
+Vorstellung verbreitet war, ist die Außenmauer, die Vorder- und die
+Hintermauer der Kasematten. Daß dies Zusammentreffen nicht zufällig ist
+und wir hier in der Tat die Überreste der berühmten karthagischen Mauer
+vor uns haben, wird jedem einleuchten; N. Davis’ Einwürfe (Carthage and
+her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, daß gegen die wesentlichen
+Ergebnisse Beulés auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist.
+Nur muß man festhalten, daß die alten Berichterstatter die Angaben, um
+die es sich handelt, sämtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern
+von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Südseite
+des Burghügels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu
+stimmt, daß die Ausgrabungen auf dem Burghügel gegen Osten, Norden und
+Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Südseite eben
+jene großartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden,
+dieselben als Überreste einer besonderen, von der Stadtmauer
+verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen in
+entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen
+Stadtmauer liegt 56 Fuß unter dem heutigen Boden - werden vermutlich
+längs der ganzen Landseite gleiche oder doch ähnliche Fundamente zu
+Tage fördern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt
+Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von
+Haus aus schwächer gewesen oder früh vernachlässigt worden ist. Wie
+lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch
+ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren
+Futtermagazine und vielleicht noch andere Räumlichkeiten sowie die Tore
+in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche
+Längenentwicklung. Daß die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa
+einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten
+Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117;
+Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich.
+
+5 So rechnet Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung
+der Zinnen, die Höhe auf 40 Ellen oder 60 Fuß. Der erhaltene Überrest
+ist noch 12-16 Fuß (4-5 Meter) hoch.
+
+6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen hufeisenförmigen Säle haben
+eine Tiefe von 14, eine Breite von 11 griechischen Fuß; die Weite der
+Eingänge wird nicht angegeben. Ob diese Maße und die Verhältnisse des
+Korridors ausreichen, um in ihnen Elefantenställe zu erkennen, bleibt
+durch genauere Ermittlung festzustellen. Die Zwischenmauern, die die
+Säle voneinander scheiden, haben die Dicke von 1,1 Meter = 3½ Fuß.
+
+7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich 2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt
+haben wird - 16 Stadien sind ungefähr 3000 Meter. Der Burghügel, auf
+dem jetzt die Kirche des hl. Ludwig steht, mißt oben etwa 1400, auf der
+halben Höhe etwa 2600 Meter im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf
+den unteren Umfang wird jene Angabe recht gut auskommen.
+
+8 Sie trägt jetzt das Fort Goletta.
+
+9 Daß dieses phönikische Wort das kreisförmig ausgegrabene Bassin
+bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der
+die Griechen dasselbe verwenden. Es paßt also nur auf den inneren Hafen
+Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es
+eigentlich für die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones p.
+37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den viereckigen
+Vorhafen des Kothon als Teil desselben.
+
+———————————————————-
+
+Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde
+noch dadurch erschwert, daß teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst
+und des noch immer 800 Ortschaften umfassenden und von der
+Emigrantenpartei größtenteils beherrschten Gebietes, teils die
+zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Stämme der ganz oder halb
+freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die
+Verteidigung der Stadt zu beschränken, sondern zugleich ein zahlreiches
+Heer im Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der
+Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von
+den Belagerern nicht außer acht gelassen werden durfte.
+
+Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu lösen,
+als sie nun doch sich genötigt sahen, die Belagerung regelrecht zu
+beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein
+Lager der Burgmauer gegenüber, während Lucius Censorinus mit der Flotte
+an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die Operationen
+begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an dem andern
+Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den zum
+Holzfällen für den Maschinenbau ausgeschickten römischen Soldaten ihre
+Arbeit erschwerte und namentlich der tüchtige Reiterführer Himilkon
+Phameas den Römern viele Leute tötete. Indes stellte Censorinus auf der
+Landzunge zwei große Sturmböcke her und brach mit ihnen Bresche an
+dieser schwächsten Stelle der Mauer; der Sturm indes mußte, da es Abend
+geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten,
+einen großen Teil der Bresche zu füllen und durch einen Ausfall die
+römischen Maschinen so zu beschädigen, daß sie am nächsten Tage nicht
+weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die Römer den Sturm; allein sie
+fanden die Bresche und die nächsten Mauerabschnitte und Häuser stark
+besetzt und gingen so unvorsichtig vor, daß sie mit starkem Verlust
+zurückgeschlagen wurden und noch weit größere Nachteile erlitten haben
+würden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den Ausgang des
+tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern
+zusammengehalten und mit ihnen die Flüchtenden aufgenommen hätte. Noch
+viel weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus.
+So zog die Belagerung sich in die Länge. Die durch die Sommerhitze im
+Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des fähigeren Feldherrn
+Censorinus, endlich die Verstimmung und Untätigkeit Massinissas, der
+begreiflicherweise die Römer sehr ungern die längst begehrte Beute für
+sich selber nehmen sah, und der bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod
+des neunzigjährigen Königs brachten die Offensivoperationen der Römer
+völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die
+karthagischen Brander und ihr Lager gegen die nächtlichen Überfälle zu
+schützen und durch Anlegung eines Hafenkastells und Streifzüge in die
+Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen
+Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die
+erste hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast
+mit einer förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für
+den Feldherrn wie für das Heer verlief, so glänzend tat der
+Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem
+Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager, mit einigen
+Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend, ihn
+zum Umkehren nötigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach
+dem Flußübergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das
+Verderben des Heeres geworden wäre, durch einen verwegenen
+Seitenangriff dem rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon
+verloren gegebene Abteilung durch seinen aufopfernden Heldenmut.
+Während die übrigen Offiziere, der Konsul vor allem, durch ihre
+Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Städte und Parteiführer
+zurückschreckten, gelang es Scipio, einen der tüchtigsten von diesen,
+Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Übertritt zu bestimmen. Endlich,
+nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter
+dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das
+Reich geteilt hatte, führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen
+Reiterführer dem römischen Heer zu und half damit dem bisher
+empfindlich gefühlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und
+doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte
+als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den Neid, und im Lager
+wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen. Selbst Cato,
+der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor
+seinem Tode - er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch
+seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfüllt gesehen zu haben -
+auf den jungen Offizier und seine unfähigen Kameraden die Homerische
+Zeile an: “Einzig er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten
+^10.”
+
+——————————————————————-
+
+^10 Οιος πέπυται, τοί δέ σκιαί αίσσουσιν.
+
+——————————————————————-
+
+Über diese Vorgänge war der Jahresschluß und damit der Kommandowechsel
+herangekommen: ziemlich spät erschien der Konsul Lucius Piso (606 148)
+und übernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den
+der Flotte. Indes, hatten die Vorgänger wenig geleistet, so geschah nun
+gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Überwindung der
+Armee Hasdrubals beschäftigte Piso sich damit, die kleinen phönikischen
+Seestädte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel
+Clupea ihn zurückschlug und er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den
+ganzen Sommer davor verloren hatte und das Belagerungsgerät ihm zweimal
+verbrannt worden war, schimpflich abziehen mußte. Neapolis ward zwar
+genommen; aber die Plünderung der Stadt gegen das gegebene Ehrenwort
+war auch dem Fortgang der römischen Waffen nicht sonderlich günstig.
+Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit
+800 Pferden zu ihnen über; karthagische Gesandte konnten es versuchen,
+mit den Königen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen
+Philippos von Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die
+inneren Zerwürfnisse - Hasdrubal der Emigrant verdächtigte den
+gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt befehligte, wegen seiner
+Verwandtschaft mit Massinissa und ließ ihn im Rathause erschlagen - als
+die Tätigkeit der Römer verhinderten eine für Karthago noch günstigere
+Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem besorglichen Stand der
+afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der
+außerordentlichen Maßregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den
+libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst für
+diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Ädilität, um die er eben
+sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit
+das Konsulat und durch besonderen Beschluß die Führung des
+Afrikanischen Krieges zu übertragen. Er traf (607 147) in Utica in
+einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der römische Admiral
+Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der Belagerung der
+Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten Bezirk weit
+entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugänglichen Seite
+der Außenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche
+Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die
+Außenstadt eindringen zu können. In der Tat waren die Angreifer schon
+einen Augenblick innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war
+der Lagertroß in der Hoffnung auf Beute in Masse herbeigeströmt, als
+sie wieder auf die Klippe zurückgedrängt wurden und ohne Zufuhr und
+fast abgeschnitten in der größten Gefahr schwebten. So fand Scipio die
+Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte er die mitgebrachte
+Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt,
+und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu
+behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr
+sich in das Lager Pisos, um das Heer zu übernehmen und nach Karthago
+zurückzuführen. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit,
+um ihr Lager unmittelbar an die Stadt zu rücken und den Angriff auf die
+Besatzung der Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien
+Scipio mit dem Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten
+abermals Beistand zu leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher
+die Belagerung. Vor allen Dingen säuberte Scipio das Lager von der
+Masse des Trosses und der Marketender und zog die erschlafften Zügel
+der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen auch die militärischen
+Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem nächtlichen Angriff auf
+die Außenstadt gelangten von einem Turme aus, der den Mauern an Höhe
+gleich vor denselben stand, die Römer auf die Zinnen und öffneten ein
+Pförtchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben die
+Außenstadt und das Lager vor den Toren auf und übertrugen den
+Oberbefehl über die auf 30000 Mann sich belaufende städtische Besatzung
+an Hasdrubal. Der neue Kommandant bewies seine Energie zuvörderst
+dadurch, daß er sämtliche römische Gefangenen auf die Mauerzinnen
+bringen und sie vor den Augen des Belagerungsheeres nach grausamen
+Martern in die Tiefe stürzen ließ; und als hierüber Stimmen des Tadels
+sich erhoben, wurde auch gegen die Bürger die Schreckensherrschaft
+eingeführt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt auf sich
+selber beschränkt hatte, ihr den Verkehr nach außen hin völlig
+abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdrücken,
+durch den die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhängt,
+und schlug hier trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu
+stören, ein großes, diesen Rücken in seiner ganzen Breite schließendes
+Lager, das die Stadt nach der Landseite hin vollständig absperrte.
+Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kühne
+Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils Schiffe des Bithyas, der
+von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus jeden günstigen Fahrwind
+benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu bringen; wie auch daselbst
+die Bürgerschaft schon litt, die Besatzung war noch hinreichend
+versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und Golf in
+den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuß Breite, um damit die
+Hafenmündung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen
+dieses anfangs von den Karthagern als unausführbar verspotteten
+Unternehmens offenbar ward. Aber eine Überraschung machte die andere
+wett. Während die römischen Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch
+im karthagischen Hafen zwei Monate lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne
+daß selbst die Überläufer zu sagen wußten, was die Belagerten
+beabsichtigten. Plötzlich, als eben die Römer mit der Verbauung des
+Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fünfzig
+karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kähne hinaus in den
+Golf -die Karthager hatten, während die Feinde die alte Hafenmündung
+gegen Süden sperrten, durch einen in östlicher Richtung gezogenen Kanal
+sich einen neuen Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres
+an dieser Stelle unmöglich gesperrt werden konnte. Hätten die
+Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu begnügen, sofort sich mit
+Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und völlig unvorbereitete
+römische Flotte gestürzt, so war diese verloren; als sie am dritten
+Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Römer
+gerüstet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rückfahrt aber
+stopften sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der
+Hafenmündung, daß der dadurch entstandene Schaden einer Niederlage
+gleichkam. Scipio richtete nun seine Angriffe auf den äußeren Hafenkai,
+welcher außerhalb der Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem
+angelegten Erdwall notdürftig geschützt war. Die Maschinen wurden auf
+der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit
+beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen
+durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die
+Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, daß Scipio seine
+eigenen Reiter auf sie einhauen lassen mußte, und zerstörten die
+Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie Zeit, die Bresche zu schließen.
+Scipio stellte indes die Maschinen wieder her und schoß die Holztürme
+der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und damit den Außenhafen in
+seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Höhe gleichkommender Wall
+wurde hier aufgeführt, und es war jetzt endlich die Stadt von der Land-
+wie von der Seeseite vollständig abgesperrt, da man nur durch den
+äußeren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollständig zu
+sichern, ließ Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes
+befehligte, von Gaius Laelius angreifen; durch eine glückliche
+Kriegslist ward es erobert und die ganze dort versammelte zahllose
+Menschenmasse getötet oder gefangen. Darüber war der Winter
+herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem Hunger
+und den Seuchen überlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar
+die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet
+hatten, während Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen,
+zeigte sich, so wie im Frühling 608 (146) das römische Heer zum Angriff
+gegen die innere Stadt überging. Hasdrubal ließ den Außenhafen anzünden
+und machte sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm
+abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter aufwärts die von der
+ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu übersteigen und
+so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber
+der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den
+kleinen Hafen anstoßenden Markt und drangen in den drei schmalen, von
+diesem nach der Burg zu führenden Straßen langsam vor - langsam, denn
+von den gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Häusern mußte eines
+nach dem andern erstürmt werden; auf den Dächern oder auf über die
+Straße gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser
+festungsähnlichen Gebäude in das benachbarte oder gegenüberstehende vor
+und stieß nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage,
+schreckliche für die Bewohner der Stadt und auch für die Angreifer voll
+Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf
+den sich Hasdrubal und die noch übrige Mannschaft zurückgezogen hatten.
+Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten
+Straßen anzuzünden und den Schutt zu planieren, bei welcher
+Veranlassung eine Menge in den Häusern versteckter kampfunfähiger
+Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg
+zusammengedrängte Rest der Bevölkerung um Gnade. Das nackte Leben ward
+ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Männer und
+25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevölkerung. Einzig
+die römischen Überläufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal
+mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel
+des Heilgottes geworfen: für sie, für die desertierten Soldaten wie für
+den Mörder der römischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber als
+nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den Tempel
+anzündeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu sehen;
+einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefällig um sein Leben. Es
+ward ihm gewährt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter
+den übrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Füßen Scipios
+erblickte, schwoll ihr das stolze Herz über diese Schändung der teuren
+untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd,
+seines Lebens sorglich zu schonen, stürzte sie erst die Söhne und dann
+sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager
+wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des Volkes schämten im
+stillen sich der neuesten Großtat der Nation. Die Gefangenen wurden
+größtenteils zu Sklaven verkauft; einzelne ließ man im Kerker
+verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als römische
+Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das
+bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk,
+ward den Soldaten zur Plünderung preisgegeben; von den Tempelschätzen
+ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den sizilischen Städten
+weggeführte Beute diesen zurückgestellt, wie zum Beispiel der Stier des
+Phalaris den Akragantinern; das übrige, fiel an den römischen Staat.
+
+Indes noch stand die Stadt zum bei weitem größten Teil. Es ist
+glaublich, daß Scipio die Erhaltung derselben wünschte; wenigstens
+richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio
+Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der Vernunft und der Ehre
+geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat befahl dem Feldherrn,
+die Stadt Karthago und die Außenstadt Magalia dem Boden gleich zu
+machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit Karthago
+gehalten; sodann über den Boden Karthagos den Pflug zu führen, um der
+Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und
+Boden auf ewige Zeiten zu verwünschen, also daß weder Haus noch
+Kornfeld je dort entstehen möge. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn
+Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Überreste der
+karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit
+einer vier bis fünf Fuß tiefen, von halb verkohlten Holzstücken,
+Eisentrümmern und Schleuderkugeln erfüllten Aschenlage. Wo die
+fleißigen Phöniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt
+hatten, weideten fortan römische Sklaven die Herden ihrer fernen
+Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser
+Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und
+statt der Siegesfreude erfaßte den Sieger selber die Ahnung der solcher
+Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung.
+
+Es blieb noch übrig, für die künftige Organisation der Landschaft die
+Einrichtungen zu treffen. Die frühere Weise, mit den gewonnenen
+überseeischen Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht
+ferner beliebt. Micipsa und seine Brüder behielten im wesentlichen ihr
+bisheriges Gebiet mit Einschluß der kürzlich am Bagradas und in Emporia
+den Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genährte Hoffnung,
+Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward für immer vereitelt; dafür
+verehrte ihnen der Senat die karthagischen Büchersammlungen. Die
+karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das
+heißt der schmale, Sizilien zunächst gegenüberliegende Küstenstrich von
+Afrika, vom Tuscafluß (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena
+gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnenland, wo die
+übergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwährend weiter
+beschränkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Königen gehörten,
+blieb den Numidiern, was sie besaßen. Allein die sorgfältige
+Regulierung der Grenze zwischen der römischen Provinz und dem auf drei
+Seiten dieselbe einschließenden numidischen Königreich zeugte davon,
+daß Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago
+verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa,
+andererseits darauf hinzudeuten schien, daß Rom die gegenwärtig
+abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die
+Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer Statthalter,
+dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmäßigen Grenzverteidigung bedurfte
+dieselbe nicht, da das verbündete Numidische Reich sie überall von den
+Bewohnern der Wüste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im
+ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf
+seiten der Römer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestädte
+Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die
+Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistädte;
+dasselbe Recht empfing die neugegründete Gemeinde der Überläufer. Das
+Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten
+Striches, und das der übrigen zerstörten Ortschaften ward römisches
+Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die übrigen
+Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und
+ihre städtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre
+Verfassung bis auf weitere Anordnung der römischen Regierung vorläufig
+als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden für die
+Nutzung des römisch gewordenen Bodens jährlich nach Rom eine ein für
+allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits
+mittels einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen
+wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstörung
+der ersten Handelsstadt des Westens waren die römischen Kaufleute,
+welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica strömten
+und von dort aus nicht bloß die römische Provinz, sondern auch die bis
+dahin ihnen verschlossenen numidischen und gätulischen Landschaften
+auszubeuten begannen.
+
+Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe
+der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit
+des römischen Senats das alte Königreich zerstückelt hatte, konnten in
+sich und untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande
+zuging, zeigt ein einzelner, zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo
+der gesamte Regierungsrat einer dieser Eidgenossenschaften auf
+Anstiften eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die
+Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch die nach
+griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden
+Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151),
+vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien plötzlich
+in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des
+Königs Perseus, welchem er auffallend glich, und der syrischen Laodike.
+Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier
+behauptete er die sicheren Beweise seiner hohen Abstammung erhalten zu
+haben. Mit diesen hatte er, nach einem vergeblichen Versuch, in seinem
+Heimatland sich geltend zu machen, sich an seiner Mutter Bruder, König
+Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich in der Tat einige
+Männer, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben und den
+König bestürmten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich
+wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf
+Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Prätendenten
+festnahm und den Römern zuschickte. Indes der Senat achtete des
+Menschen so wenig, daß er ihn in einer italischen Stadt konfinierte,
+ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war er nach Milet
+entflohen, wo die städtischen Behörden ihn abermals aufgriffen und bei
+römischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen machen
+sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt
+versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glück; und wunderbarerweise
+fand er hier Anerkennung und Unterstützung, nicht bloß bei den
+thrakischen Barbarenfürsten Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester,
+und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. Mit thrakischer
+Unterstützung drang der sogenannte Philipp in Makedonien ein, und
+obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald einen Sieg über
+das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des Strymon und
+darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von ganz
+Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzählung klang und so
+entschieden es feststand, daß der echte Philippos Perseus’ Sohn
+achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger
+als ein makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker
+Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der Königsherrschaft zu
+sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitätsfrage sich rasch abzufinden
+und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den
+Thessalern, daß der Prätendent in ihr Gebiet eingerückt sei; der
+römische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, daß das erste ernste
+Wort dem törichten Beginnen ein Ende machen werde, vom Senat ohne
+Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, mußte die achäische und
+pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achäern Thessalien gegen
+die Übermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Prätor
+Juventius mit einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen
+Streitmacht die Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging
+fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum größten Teil in die Gewalt
+des falschen Philippos, der sein Regiment hier und in Makedonien in
+grausamer und übermütiger Weise handhabte. Endlich betrat ein stärkeres
+römisches. Heer unter Quintus Caecilius Metellus den Kampfplatz und
+drang, unterstützt durch die pergamenische Flotte, in Makedonien ein.
+Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier die Oberhand;
+allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen Heer
+ein, und der Fehler des Prätendenten, sein Heer zu teilen und die eine
+Hälfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Römern einen
+leichten und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos flüchtete nach
+Thrakien zu dem Häuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach
+einem zweiten Sieg seine Auslieferung erlangte.
+
+Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Prätendenten
+nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt
+gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor,
+den Makedoniern den Schatten von Selbständigkeit zu nehmen, den die
+Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das Reich
+Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine römische
+Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, daß die römische
+Regierung ihr System geändert und das Klientel- durch das
+Untertanenverhältnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die
+Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen
+Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag
+empfunden. Die früher nach den ersten römischen Siegen von Makedonien
+abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Häfen
+Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen
+Beamtensprengel gehört hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien
+vereinigt, so daß dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im
+Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel
+die Schutzherrlichkeit, die Rom über das eigentliche Griechenland in
+Anspruch nahm, von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So
+erhielt Makedonien die Einigkeit zurück und auch ungefähr wieder die
+Grenzen, wie es sie in seiner blühendsten Zeit gehabt; aber es war
+nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine einige Provinz, mit
+kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher Organisation,
+jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch
+wohl auf den Landesmünzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als
+Steuer blieb die alte mäßige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte,
+eine Summe von 100 Talenten (155000 Talern), die in festen Beträgen auf
+die einzelnen Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner
+alten ruhmreichen Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach
+der Besiegung des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher
+Perseussohn, Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion
+auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quästor
+Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Mühe Herr und verfolgte den
+fliehenden Prätendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist
+auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der
+zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so große Dinge vollbracht
+hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten,
+als daß sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation
+der Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zählen.
+
+Fortan waren es die Römer, denen die Verteidigung der makedonischen
+Nord- und Ostgrenzen, das heißt der Grenze der hellenischen
+Zivilisation gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit
+unzulänglichen Streitkräften und im ganzen nicht mit der gebührenden
+Energie geführt; doch ist zunächst für diesen militärischen Zweck die
+große Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios’
+Zeit von den beiden Haupthäfen an der Westküste, Apollonia und
+Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, später noch
+weiter bis an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die
+natürliche Basis teils für die Züge gegen die unruhigen Dalmater, teils
+für die zahlreichen Expeditionen gegen die nordwärts der griechischen
+Halbinsel ansässigen illyrischen, keltischen und thrakischen Stämme,
+die später in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein
+werden.
+
+—————————————————————-
+
+^11 Als Handelsstraße zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als
+diejenige nämlich, in deren Mitte die kerkyräischen Weinkrüge den
+thasischen und lesbischen begegnen, kennt diese Straße schon der
+Verfasser der pseudo-aristotelischen Schrift ‘Von den merkwürdigen
+Dingen’. Auch heute noch läuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung
+von Durazzo, die Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von
+Ochrida (Lychnitis) durchschneidend, über Monastir nach Saloniki.
+
+—————————————————————
+
+Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst
+der herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten
+wohl der Ansicht sein, daß daselbst die Nachwehen des Perseischen
+Krieges im Verschwinden und die Verhältnisse überhaupt auf dem Wege zum
+Besseren seien. Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden
+Partei, Lykiskos der Ätoler, Mnasippos der Böoter, Chrematas der
+Akarnane, der schandbare Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Römer
+ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes
+Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten
+Gegensätze verblaßt waren. Der römische Senat meinte die Zeit des
+allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entließ im Jahre 604
+(150) die noch übrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten
+achäischen Patrioten, deren Freigebung die achäische Tagsatzung nicht
+aufgehört hatte zu fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den
+Römern mit all ihrem Philhellenentum gelungen war, den hellenischen
+Patriotismus innerlich zu versöhnen, offenbarte sich in nichts so
+deutlich wie in der Stellung der Griechen zu den Attaliden. König
+Eumenes II. war als Römerfreund in Griechenland im höchsten Grade
+verhaßt gewesen; kaum aber war zwischen ihm und den Römern eine
+Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland plötzlich populär ward;
+wie früher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den
+Erlöser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen
+aber stieg in der sich selbst überlassenen hellenischen Kleinstaaterei
+zusehends die soziale Zerrüttung. Das Land verödete, nicht durch Krieg
+und Pest, sondern durch die immer weiter um sich greifende Abneigung
+der höheren Stände, mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafür strömte
+wie bisher das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend
+nach Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die
+Gemeinden versanken in immer tiefere Verschuldung und in ökonomische
+Ehr- und die daranhängende Kreditlosigkeit; einzelne Städte, namentlich
+Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum
+Räuberhandwerk und plünderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere
+Hader in den Bünden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den
+gezwungenen Mitgliedern der Achäischen Eidgenossenschaft, war
+keineswegs beigelegt. Wenn die Römer, wie es scheint, glaubten, was sie
+wünschten, und der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so
+sollten sie bald erfahren, daß die jüngere Generation in Hellas um
+nichts besser und um nichts klüger als die ältere war. Die Gelegenheit,
+um mit den Römern Händel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune.
+
+Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der
+zeitige Vorstand der Achäischen Eidgenossenschaft, Diäos, auf der
+Tagsatzung die Behauptung hin, daß die den Lakedaemoniern als Glied der
+Achäischen Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die
+Befreiung von der achäischen Kriminaljurisdiktion und das Recht,
+Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den
+Römern gewährleistet seien. Es war eine freche Lüge; allein die
+Tagsatzung glaubte natürlich, was sie wünschte, und da sich die Achäer
+bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand
+wahrzumachen, gaben die schwächeren Spartaner vorläufig nach, oder
+vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achäern begehrt ward,
+verließen die Stadt, um als Kläger vor dem römischen Senat aufzutreten.
+Der Senat antwortete wie gewöhnlich, daß er eine Kommission zur
+Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses Bescheides
+berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide falsch, daß
+der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achäer, die wegen der
+soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen
+Philippos sich mehr als je in bundesgenössischer Gleichheit und
+politischer Gewichtigkeit fühlten, rückten im Jahre 606 (148) unter
+ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von
+Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende römische
+Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu
+erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner
+fielen, und Sparta hätte genommen werden können, wenn Damokritos nicht
+als Offizier ebenso untüchtig gewesen wäre wie als Staatsmann. Er ward
+abgesetzt, und sein Nachfolger Diäos, der Anstifter all dieses Unfugs,
+setzte den Krieg eifrig fort, während er gleichzeitig den gefürchteten
+Kommandanten von Makedonien der vollen Botmäßigkeit der Achäischen
+Eidgenossenschaft versichern ließ. Darüber erschien die lange erwartete
+römische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die
+Waffen und die achäische Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um
+ihre Eröffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter und
+unerfreulicher Art. Die Römer hatten sich entschlossen, die
+unnatürliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die achäischen
+Staaten wiederaufzuheben und überhaupt gegen die Achäer durchzugreifen.
+Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die ätolische Stadt
+Pleuron aus ihrem Bund entlassen müssen; jetzt wurden sie angewiesen
+auf sämtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte
+Erwerbungen, das heißt auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im
+Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder
+auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurückzuführen. Wie
+dies die achäischen Abgeordneten vernahmen, stürmten sie sofort auf den
+Markt, ohne die Römer auch nur auszuhören, und teilten die römischen
+Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der regierte Pöbel
+einhellig beschloß, zu allervörderst sämtliche in Korinth anwesende
+Lakedämonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglück über sie gebracht
+habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der tumultuarischsten Weise,
+so daß Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende
+Einsperrungsgründe erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der
+römischen Gesandten, um die dorthin geflüchteten Lakedaemonier
+festzunehmen, und es fielen gegen die Römer harte Reden, obgleich man
+an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim
+und führten bittere, selbst übertriebene Beschwerde im Senat; dennoch
+beschränkte sich dieser mit derselben Mäßigung, die all seine Maßregeln
+gegen die Griechen bezeichnet, zunächst auf Vorstellungen. In der
+mildesten Form und der Genugtuung für die erlittenen Beleidigungen kaum
+erwähnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der Tagsatzung in
+Aegion (Frühling 607 147) die Befehle der Römer. Aber die Leiter der
+Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg
+Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der höheren
+Politik wohlbewanderte Leute daraus bloß den Schluß, daß die römischen
+Angelegenheiten gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen
+müßten, und fuhren fort, die Römer zugleich zu prellen und zu
+beleidigen. Caesar ward ersucht, zur Ausgleichung der Sache eine
+Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden Teile in Tegea zu
+veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die lakedämonischen
+Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achäer gewartet hatten,
+erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, daß lediglich die
+allgemeine Volksversammlung der Achäer in dieser Sache kompetent sei
+und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heißt in sechs Monaten,
+erledigt werden könne. Caesar ging darauf nach Rom zurück; die nächste
+Volksversammlung der Achäer aber erklärte auf Kritolaos’ Antrag
+förmlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen
+Versuch, den Zwist in Güte beizulegen, und schickte Gesandte nach
+Korinth; allein die lärmende Ekklesia, größtenteils bestehend aus dem
+Pöbel der reichen Handels- und Fabrikstadt, übertobte die Stimme der
+römischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbühne zu verlassen.
+Kritolaos’ Erklärung, daß man die Römer wohl zu Freunden, aber nicht zu
+Herren wünsche, ward mit unsäglichem Jubel aufgenommen, und als die
+Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schützte der
+Pöbel den Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwörter von dem
+Landesverrat der Reichen und der notwendigen Militärdiktatur sowie die
+geheimnisvollen Winke über die nahe bevorstehende Schilderhebung
+unzähliger Völker und Könige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung
+beseelt war, zeigten die beiden Beschlüsse, daß bis zum hergestellten
+Frieden alle Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten.
+Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die
+Thebaner und Böoter nämlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu
+Anfang des Jahres 608 (146) rückten die Achäer in Thessalien ein, um
+Herakleia am Öta, das in Gemäßheit des Senatsbeschlusses sich von der
+Achäischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu
+bringen. Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu
+senden beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach übernahm
+es Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schützen. Als
+dem achäisch-thebanischen Heer das Anrücken der Römer gemeldet ward,
+war von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es
+wohl gelingen möchte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen;
+eiligst machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die
+Stellung bei den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte
+die Verfolgung und erreichte und schlug das griechische Heer bei
+Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und Toten war
+beträchtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine
+Kunde vernommen. Die Trümmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen
+Trupps in den hellenischen Landschaften umher und baten überall umsonst
+um Aufnahme; die Abteilung von Paträ ward in Phokis, das arkadische
+Elitenkorps bei Chäroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde
+geräumt, und von dem Achäerheer und der in Masse flüchtenden
+Bürgerschaft von Theben gelangte nur ein geringer Teil in den
+Peloponnes. Metellus suchte durch die möglichste Milde die Griechen zum
+Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl zum
+Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen;
+seine wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des
+Volkes, sondern an der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten
+Führer. Diäos, der nach Kritolaos’ Fall wieder den Oberbefehl
+übernommen hatte, berief alle Waffenfähigen auf den Isthmos und befahl,
+12000 in Griechenland geborene Sklaven in das Heer einzustellen; die
+Reichen wurden zu Vorschüssen angehalten und unter den
+Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der
+Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeräumt.
+Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achäische
+Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief
+sich, sowie sie die römischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf
+dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul
+Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im römischen Hauptquartier
+eintraf und das Kommando übernahm. Inzwischen boten die Achäer,
+ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen
+römischen Vorposten, der römischen um das Doppelte überlegenen Armee
+bei Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Römer zögerten
+nicht sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achäischen Reiter in
+Masse aus vor der sechsfach stärkeren römischen Reiterei; die Hopliten
+standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des römischen Elitenkorps
+auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu
+Ende. Diäos floh in seine Heimat, tötete sein Weib und nahm selber
+Gift; die Städte unterwarfen sich sämtlich ohne Gegenwehr, und sogar
+das unbezwingliche Korinth, in das einzurücken Mummius drei Tage
+zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich
+von den Römern besetzt.
+
+Die neue Regelung der griechischen Verhältnisse ward in Gemeinschaft
+mit einer Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius übertragen,
+der sich in dem eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken
+erwarb. Zwar war es, gelind gesagt, eine Torheit, daß er seiner Kriegs-
+und Siegestaten wegen den Namen des “Achaikers” annahm und dem Hercules
+Sieger dankerfüllt einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies
+er, der nicht in aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption
+aufgewachsen, sondern ein “neuer Mann” und verhältnismäßig unbemittelt
+war, sich gerecht und mild. Es ist eine rednerische Übertreibung, daß
+von den Achäern bloß Diäos, von den Böotern bloß Pytheas umgekommen
+seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward
+aber doch in den Strafgerichten Maß gehalten. Den Antrag, die Statuen
+des Begründers der achäischen Patriotenpartei, des Philopömen,
+umzustürzen, wies Mummius zurück; die den Gemeinden auferlegten
+Geldbußen wurden nicht für die römische Kasse, sondern für die
+geschädigten griechischen Städte bestimmt, größtenteils auch später
+erlassen und das Vermögen derjenigen Hochverräter, die Eltern oder
+Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen
+überwiesen. Nur die Kunstschätze wurden aus Korinth, Thespiä und
+anderen Städten weggeführt und teils in der Hauptstadt, teils in den
+Landstädten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stücke auch den
+isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der
+definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die
+Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte,
+die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achäische, als solche
+aufgelöst, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, daß niemand
+in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben dürfe, der
+Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus
+versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt
+und in jeder Gemeinde einem aus den Vermögenden gebildeten Rat das
+Regiment in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste,
+nach Rom zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie sämtlich dem
+Statthalter von Makedonien in der Art untergeordnet, daß diesem als
+oberstem Militärchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine
+Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur
+Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen
+Gemeinden die “Freiheit”, das heißt eine, freilich durch die römische
+Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle Souveränität, welche
+das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und
+Gerichtsbarkeit in sich schloß ^13. Einige Jahre später ward sogar
+nicht bloß ein Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet,
+sondern auch die drückende Beschränkung in der Veräußerung des
+Grundbesitzes beseitigt.
+
+————————————————————
+
+^12 Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in
+Spanien sind noch mehrere mit Mummius’ Namen bezeichnete Basen bekannt,
+die einst solche Beutegaben trugen.
+
+^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) römische Provinz
+geworden sei oder nicht, läuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit
+hinaus. Daß die griechischen Gemeinden durchgängig “frei” blieben (CIG
+1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist
+ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, daß Griechenland
+damals von den Römern “in Besitz genommen ward” (Tac. arm. 14, 21; 1.
+Makk. 8, 9,10); daß von da an jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom
+entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die kleine Insel
+Gyaros zum Beispiel jährlich 150 Drachmen (Strab. 10, 485); daß die
+“Ruten und Beile” des römischen Statthalters fortan auch in
+Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, 55)
+und derselbe die Oberaufsicht über die Stadtverfassungen (CIG 1543)
+sowie in gewissen Fällen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim.
+2) fortan ebenso übte wie bis dahin der römische Senat; daß endlich die
+makedonische Provinzialära auch in Griechenland im Gebrauch war.
+Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein
+anderer als derjenige, welcher überhaupt in der Stellung der freien
+Städte liegt, welche bald als außerhalb der Provinz stehend (z. B.
+Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z.
+B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der römische
+Domanialbesitz in Griechenland beschränkte sich zwar auf den
+Korinthischen Acker und etwa einige Stücke von Euböa (CIG 5879) und
+eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte
+dennoch, wenn man auf das tatsächlich zwischen den griechischen
+Gemeinden und dem makedonischen Statthalter bestehende Verhältnis
+sieht, ebenso wie Massalia zur Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz
+Makedonien, auch Griechenland zu der makedonischen Provinz gerechnet
+werden. Es finden sich sogar noch viel weitergehende Fälle: Das
+Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter Bürger- oder
+latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in der
+caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschließlich aus
+Bürgergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhören, Provinzen
+zu sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der römischen provincia
+hervor; sie ist zunächst nichts als das “Kommando” und alle
+Verwaltungs- und Jurisdiktionstätigkeit des Kommandanten sind
+ursprünglich Nebengeschäfte und Korollarien seiner militärischen
+Stellung.
+
+Andererseits muß dagegen, wenn man die formelle Souveränität der freien
+Gemeinden ins Auge faßt, zugestanden werden, daß durch die Ereignisse
+des Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht
+änderte: es waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, daß
+statt der Achäischen Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden
+Achaias als tributäre Klientelstaaten neben Rom standen und daß seit
+Einrichtung der römischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt
+der hauptstädtischen Behörden die Oberaufsicht über die griechischen
+Klientelstaaten übernahm. Man kann demnach, je nachdem die tatsächliche
+oder die formelle Auffassung überwiegt, Griechenland als Teil des
+Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes wird der
+ersteren Auffassung mit Recht das Übergewicht eingeräumt.
+
+——————————————————————-
+
+Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und
+Korinth. Es läßt sich nichts dawider erinnern, daß die ersten beiden
+entwaffnet und durch Niederreißung ihrer Mauern in offene Flecken
+umgewandelt wurden; dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstörung
+der ersten Handelsstadt Griechenlands, des blühenden Korinth, ein
+düsterer Schandfleck in den Jahrbüchern Roms. Auf ausdrücklichen Befehl
+des Senats wurden die korinthischen Bürger aufgegriffen, und was dabei
+nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa
+bloß ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe
+nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war,
+sondern dem Boden gleichgemacht und in den üblichen Bannformen jeder
+Wiederanbau der öden Stätte untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an
+Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten des
+isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, größtenteils aber zu
+römischem Gemeinland erklärt. Also erlosch der “Augapfel von Hellas”,
+der letzte köstliche Schmuck des einst so städtereichen griechischen
+Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so
+muß die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser
+Zeit selbst unumwunden eingestanden, daß an dem Kriege selbst nicht die
+Römer die Schuld trugen, sondern daß die unkluge Treubrüchigkeit und
+die schwächliche Tollkühnheit der Griechen die römische Intervention
+erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveränität der Bünde und alles
+damit verknüpften unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glück
+für das Land und das Regiment des römischen Oberfeldherrn von
+Makedonien, wieviel es auch zu wünschen übrig ließ, immer noch bei
+weitem besser als die bisherige Wirr- und Mißregierung der griechischen
+Eidgenossenschaften und der römischen Kommissionen. Der Peloponnes
+hörte auf, die große Söldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und
+begreiflich, daß überhaupt mit dem unmittelbaren römischen Regiment
+Sicherheit und. Wohlstand einigermaßen zurückkehrten. Das
+Themistokleische Epigramm, daß der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde
+von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den
+Untergang der griechischen Selbständigkeit. Die ungemeine Nachsicht,
+welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht
+in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben
+Behörden gegen die Spanier und die Phöniker zusammenhält; Barbaren
+grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie später Kaiser
+Traianus hielten es auch die Römer dieser Zeit “für hart und
+barbarisch, Athen und Sparta den noch übrigen Schatten von Freiheit zu
+entreißen”. Um so schärfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde
+die empörende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der
+numantinischen Katastrophe gemißbilligte Behandlung von Korinth, welche
+durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Abgeordneten
+ausgestoßenen Schmähreden auch nach römischem Völkerrecht nichts
+weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor
+aus der Brutalität eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius,
+sondern war eine vom römischen Rat erwogene und beschlossene Maßregel.
+Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei
+erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie
+anfängt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen
+Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die römischen Großhändler bei
+der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift
+man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und
+weshalb man nicht bloß die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch
+die Ansiedlung an dieser für den Handel so überaus günstigen Stätte für
+die Zukunft verbot. Für die auch in Hellas sehr zahlreichen römischen
+Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos;
+wichtiger aber für den römischen Großhandel ward Delos, das, schon seit
+586 (168) römischer Freihafen, einen guten Teil der Geschäfte von
+Rhodos an sich gezogen hatte und nun in ähnlicher Weise in die
+korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für längere Zeit der
+Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14.
+
+—————————————————
+
+^14 Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen
+griechischen Bronze- und Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne
+Unterschied “korinthisches” oder “delisches Kupfer” genannt werden. Die
+Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den
+Fabrikations-, sondern von den Exportplätzen hergenommen (Plin. nat.
+34, 2, 9); womit natürlich nicht geleugnet wird, daß dergleichen Gefäße
+auch in Korinth und Delos selbst fabriziert wurden.
+
+——————————————————
+
+Unvollständiger als in der nur durch schmale Meere von Italien
+getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft
+entwickelte sich die römische Herrschaft in dem dritten entfernteren
+Weltteil.
+
+In Vorderasien war durch die Zurückdrängung der Seleukiden das Reich
+von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die
+Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kühl genug, um auf
+das Unmögliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und
+strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der römischen Hegemonie
+sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die
+Römer es erlaubten, zu fördern und die Künste des Friedens zu pflegen.
+Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms nicht. Im
+Besitz der europäischen Küste der Propontis, der Westküste Kleinasiens
+und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen und
+kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Königen, von
+denen Antiochos Epiphanes († 590 164) durch die Hilfe der Attaliden auf
+den Thron gelangt war, hatte König Eumenes II. durch seine bei dem
+immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher
+erscheinende Macht selbst den Begründern derselben Bedenken eingeflößt;
+es ist schon erzählt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem
+Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine
+diplomatische Künste zu demütigen und zu schwächen. Die an sich schon
+schwierigen Verhältnisse der Herren von Pergamon zu den ganz und halb
+freien Handelsstädten innerhalb ihres Reichs und zu den barbarischen
+Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung der
+Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, ob nach
+dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushöhen in der pamphylischen
+und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich
+gehörten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller
+Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Königen Eumenes Il. und
+Attalos II. langjährigen und energischen Widerstand in den schwer
+zugänglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche
+eine Zeitlang unter Zulassung der Römer unter pergamenischer
+Botmäßigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes ab und begannen im
+Einverständnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem König Prusias von
+Bithynien, um 587 (167) plötzlich gegen ihn Krieg. Der König hatte
+keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und
+Tapferkeit konnte nicht verhindern, daß sie die asiatische Miliz
+schlugen und das Gebiet überschwemmten; wir kennen bereits die
+eigentümliche Vermittlung, zu der die Römer auf Eumenes’ Bitte sich
+herbeiließen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner
+wohlgefüllten Kasse eine kampffähige Armee aufzustellen, trieb er auch
+die wilden Scharen schnell zurück über die Grenze seines Reiches; und
+obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnäckig fortgesetzten
+Versuche, dort die Hände im Spiel zu behalten, durch römischen Einfluß
+vereitelt wurden ^15, hinterließ er dennoch trotz aller offenen
+Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Römer
+gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in
+ungeschmälertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos († 616
+138) wies den Versuch des Königs Pharnakes von Pontos, sich der
+Vormundschaft über Eumenes’ unmündigen Sohn zu bemächtigen, mit
+römischer Hilfe zurück und regierte anstatt seines Neffen wie Antigonos
+Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tüchtig, fügsam, ein echter
+Attalide, verstand er es, den argwöhnischen Senat von der Nichtigkeit
+der früher gehegten Besorgnisse zu überzeugen. Die antirömische Partei
+beschuldigte ihn, daß er sich dazu hergebe, das Land für die Römer zu
+hüten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen
+lasse; indes konnte er, des römischen Schutzes sicher, in die
+syrischen, kappadokischen und bithynischen Thronstreitigkeiten
+entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefährlichen bithynischen Krieg,
+den König Prusias II., der Jäger genannt (572 ? - 605 182-149), ein
+Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten Laster in sich
+vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die römische Intervention -
+freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert und eine
+erste Mahnung der Römer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhöhnt
+worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines
+Mündels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle
+des friedlichen und mäßigen Bürgerkönigtums ein asiatisches
+Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, daß der König, um des
+unbequemen Rats seiner väterlichen Freunde sich zu entledigen, sie im
+Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen und Kinder von
+seinen Lanzknechten niedermachen ließ; nebenher schrieb er Bücher über
+den Gartenbau, zog Giftkräuter und bossierte in Wachs, bis ein
+plötzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der
+Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens für die
+Klientelstaaten Roms gültigen Staatsrecht der letzte Regent
+testamentarisch über die Sukzession verfügen. Ob der Gedanke, das Reich
+den Römern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den wahnwitzigen
+Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei
+Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloß eine weitere Anerkennung
+der tatsächlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden.
+Das Testament lag vor ^16; die Römer traten die Erbschaft an und die
+Frage über das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer
+Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber auch in Asien
+entzündete dies Königstestament den Bürgerkrieg. Im Vertrauen auf die
+Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende Fremdherrschaft trat ein
+natürlicher Sohn Eumenes’ II., Aristonikos in Leukä, einer kleinen
+Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokäa, als Kronprätendent auf. Phokäa
+und andere Städte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in dem
+festen Anschluß an Rom die einzige Möglichkeit erkannten, ihre
+Privilegien sich zu erhalten, zur See auf der Höhe von Kyme geschlagen,
+mußte er in das Binnenland flüchten. Schon glaubte man ihn verschollen;
+da erschien er plötzlich wieder an der Spitze der neuen “Bürger der
+Sonnenstadt” ^17, das heißt der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen
+Sklaven, bemächtigte, sich der lydischen Städte Thyateira und Apollonis
+sowie eines Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen
+thrakischer Lanzknechte unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft.
+Römische Truppen standen in Asien nicht; die asiatischen Freistädte und
+die Kontingente der Klientelfürsten von Bithynien, Paphlagonien,
+Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Prätendenten sich nicht
+erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein
+und gebot schon fast über das gesamte väterliche Reich, als am Ende des
+Jahres 623 (131) ein römisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr,
+der Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer
+der reichsten und zugleich einer der gebildetsten Männer Roms und als
+Redner wie als Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den
+Prätendenten in Leukä zu belagern, ließ aber während der Vorbereitungen
+dazu von dem allzu gering geschätzten Gegner sich überraschen und
+schlagen und ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den
+Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu
+stellen, gönnte er einem solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren,
+die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben
+(Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit
+ihm, wie es scheint, fiel König Ariarathes von Kappadokien. Indes ward
+Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus’ Nachfolger
+Marcus Perpenna überfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in
+Stratonikeia belagert und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet.
+Die Unterwerfung der letzten, noch Widerstand leistenden Städte und die
+definitive Regulierung der Landschaft übernahm nach Perpennas
+plötzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man verfuhr ähnlich wie im
+karthagischen Gebiet. Der östliche Teil des Attalidenreichs ward den
+Klientelkönigen überwiesen, um die Römer von dem Grenzschutz und damit
+von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien;
+Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europäischen
+Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen;
+das übrige Gebiet ward als neue römische Provinz eingerichtet, der
+gleich der karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils
+beigelegt ward, in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt
+worden waren, wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde
+behandelt wie Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste
+kleinasiatische Staat eine römische Vogtei.
+
+————————————————————
+
+^15 Mehrere vor kurzem (SB München, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene
+Schreiben der Könige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von
+Pessinus, welcher durchgängig Attis heißt (vgl. Polyb. 22, 20),
+erläutern diese Verhältnisse sehr anschaulich. Das älteste derselben
+und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des
+Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiäos, also 590/91 der
+Stadt (164/63), bietet dem Priester militärische Hilfe an, um den
+(sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu
+entreißen. Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den König
+als Partei in der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen
+Bruder Aiorix. Ohne Zweifel gehörten beide Handlungen des Eumenes zu
+denjenigen, die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als
+Versuche desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch
+fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu stützen (Polyb.
+31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines
+Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geändert und die
+Wünsche herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer
+Zusammenkunft in Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter
+Hilfe erhalten zu haben; nachher aber schreibt ihm der König, daß in
+einem deswegen abgehaltenen Staatsrat, dem Athenäos (sicher der
+bekannte Bruder des Königs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere
+Verwandte (αναγκαίοι) beigewohnt hätten, nach langem Schwanken endlich
+die Majorität dem Chloros dahin beigetreten sei, daß nichts geschehen
+dürfe, ohne die Römer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg
+erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem bösen
+Verdacht aus, “den sie auch gegen den Bruder” (Eumenes II.) “gehegt
+hätten”.
+
+^16 In demselben Testament gab der König seiner Stadt Pergamon die
+“Freiheit”, das heißt die δημοκρατία, das städtische Selbstregiment.
+Laut einer merkwürdigen, kürzlich dort gefundenen Urkunde (Römisches
+Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloß nach Eröffnung des
+Testaments, aber vor dessen Bestätigung durch die Römer der also
+konstituierte Demos den bisher vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Klassen
+der Bevölkerung, insbesondere den im Zensus aufgeführten Paröken und
+den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das
+städtische Bürgerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverständnis
+in der gesamten Bevölkerung herbeizuführen. Offenbar wollte die
+Bürgerschaft, indem sie die Römer vor die vollendete Tatsache dieser
+umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der
+römischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den
+fremden Gebietern die Möglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten
+innerhalb der Bevölkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu
+benutzen.
+
+^17 Diese seltsamen “Heliopoliten” sind, nach der mir von einem Freunde
+geäußerten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, daß die befreiten
+Sklaven als Bürger einer umgenannten oder auch vielleicht für jetzt nur
+gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem
+in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing.
+
+——————————————————————————
+
+Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Städte Vorderasiens, das
+Königreich Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fürstentümer,
+die lykische und die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistädte
+Kyzikos und Rhodos blieben in ihren bisherigen beschränkten
+Verhältnissen bestehen.
+
+Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem König Ariarathes V.
+Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsächlich durch Hilfe der
+Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstützten Bruder und
+Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische
+Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung
+auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin
+fast barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswüchse,
+wie der Bakchosdienst und das wüste Treiben der wandernden
+Schauspielertruppen, der sogenannten “Künstler”. Zum Lohn der Treue
+gegen Rom, die dieser Fürst in dem Kampfe gegen den pergamenischen
+Prätendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmündiger Erbe
+Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem König von Pontos versuchte
+Usurpation durch die Römer geschirmt, sondern ihm auch der südöstliche
+Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der östlich daran
+grenzenden, .in älterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft.
+
+Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte “Kappadokien am Meer”
+oder kurzweg der “Meerstaat”, Pontos, zu steigender Ausdehnung und
+Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte König
+Pharnakes I. sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an, der
+bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich
+bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Könige Residenz
+ward. Zwar hatten die durch diese Übergriffe gefährdeten
+Nachbarstaaten, König Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen
+ihn geführt (571-575 183-179) und unter römischer Vermittlung das
+Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien zu räumen;
+allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, daß Pharnakes sowie sein
+Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120), treue
+Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen
+Aristonikos, nicht bloß jenseits des Halys sitzen geblieben sind,
+sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit über die
+paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter
+dieser Voraussetzung ist es erklärlich, wie Mithradates, angeblich
+wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat für
+beträchtliche an den römischen Feldherrn gezahlte Summen, von demselben
+nach Auflösung des Attalischen Reiches Großphrygien empfangen konnte.
+Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das
+:Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu
+bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von Armenien um Enderes
+und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien als abhängige Satrapie
+umfaßt zu haben, während Groß -Armenien und Sophene eigene unabhängige
+Reiche bildeten.
+
+Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das
+Regiment führte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen
+geschah, doch den Besitzstand im ganzen bestimmt, so blieben dagegen
+die weiten Strecken jenseits des Taurus und des oberen Euphrat bis
+hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber überlassen. Zwar der der
+Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte Satz, daß der
+Halys die Ostgrenze der römischen Klientel bilden solle, ward vom Senat
+nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der
+politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische; wenn
+dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und
+Kriegselefanten im Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das
+syrische Heer auf Befehl des römischen Senats das halb gewonnene
+Ägypten räumte, so lag da in die vollständige Anerkennung der Hegemonie
+und der Klientel. Darum gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in
+Syrien wie in Ägypten zur Beilegung an die römische Regierung. Dort
+stritten nach Antiochos Epiphanes’ Tode (590 164) der als Geisel in Rom
+lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, später Soter genannt, und
+des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos
+Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170)
+gemeinschaftlich regierenden Brüdern der ältere Ptolemaeos Philometor
+(573-608 146-131) durch den jüngeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den
+Dicken († 637 117) aus dem Lande getrieben worden (590 164) und, um
+seine Herstellung zu erwirken, persönlich in Rom erschienen. Beide
+Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf diplomatischem Wege und
+wesentlich nach Maßgabe des römischen Vorteils. In Syrien ward
+Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios als
+König anerkannt und mit der Führung der Vormundschaft über den
+königlichen Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat
+beauftragt, welcher, wie begreiflich, durchaus im römischen Interesse
+regierte, die Kriegsflotte und das Elefantenheer dem Friedensvertrag
+von 565 (189) gemäß reduzierte und im besten Zuge war, den
+militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Ägypten ward nicht bloß
+Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist
+ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Ägyptens
+zu schwächen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben
+abgefunden. “Könige sind, wen die Römer wollen”, schrieb nicht lange
+nachher ein jüdischer Mann, “und wen sie nicht wollen, den verjagen sie
+von Land und Leuten”. Allein dies war für lange Zeit das letzte Mal,
+daß der römische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen
+Tüchtigkeit und Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit
+Philippos, Antiochos und Perseus durchgängig bewährt hatte. Der
+innerliche Verfall des Regiments wirkte am spätesten, aber wirkte doch
+endlich auch zurück auf die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten.
+Das Regiment ward unstet und unsicher; man ließ die eben erfaßten Zügel
+erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent
+von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurückgewiesene Prätendent
+Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter dem dreisten
+Vorgeben, daß der römische Senat ihn dazu bevollmächtigt habe, nach
+Beseitigung des königlichen Knaben der Regierung seines väterlichen
+Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Königen von Ägypten
+und Kyrene Krieg aus über den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat
+zuerst dem älteren, sodann dem jüngeren zugeschieden hatte, und im
+Widerspruch mit der neuesten römischen Entscheidung blieb dieselbe
+schließlich bei Ägypten. So wurde die römische Regierung, in der Fülle
+ihrer Macht und während des tiefsten inneren und äußeren Friedens
+daheim, von den ohnmächtigen Königen des Ostens mit ihren Dekreten
+verhöhnt, ihr Name gemißbraucht, ihr Mündel und ihr Kommissar ermordet.
+Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in ähnlicher Weise sich an
+römischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem
+Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und
+Flotte die Mörder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit ließ
+dem Gnaeus Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der
+Väter es vorschrieb; aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward
+Demetrios als König des Landes anerkannt - man war ja jetzt so mächtig,
+daß es überflüssig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloß
+Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Ägypten,
+sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte
+und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, ließ der Senat
+auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgängen war der
+römische Einfluß in diesen Landschaften tatsächlich gebrochen und
+entwickelten sich die Verhältnisse daselbst zunächst ohne Zutun der
+Römer; doch ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig,
+auch jetzt den näheren und selbst den ferneren Osten nicht völlig aus
+den Augen zu verlieren.
+
+Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Ägypten der Status quo sich so
+leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- und
+jenseits des Euphrat während und zum Teil infolge dieser momentanen
+Stockung der römischen Oberleitung die Völker und Staaten sich
+wesentlich anders. Jenseits der großen iranischen Wüste hatten nicht
+lange nach Alexander dem Großen am Indus das Reich von Palimbothra
+unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der mächtige
+baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und
+der östlichsten Ausläufer hellenischer Zivilisation sich gebildet.
+Westwärts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos
+dem Großen zwar geschmälert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont
+bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und
+das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloß. Noch jener
+König hatte seine Waffen bis jenseits der Wüste in das Gebiet der
+Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat
+angefangen sich aufzulösen. Nicht bloß Vorderasien war infolge der
+Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gänzliche Lösung der
+beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien
+im Nordosten und der Landschaft Sophene im Südwesten, und ihre
+Verwandlung in selbständige Königreiche aus syrischen
+Lehnsfürstentümern, gehört dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte
+namentlich Großarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen
+Stellung. Vielleicht noch gefährlichere Wunden schlug dem Reiche seines
+Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175-164) törichte
+Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, daß sein Reich mehr einem
+Länderbündel als einem Staate glich und daß die Verschiedenheiten der
+Nationalitäten und der Religionen der Untertanen der Regierung die
+wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan,
+hellenisch-römische Weise und hellenisch-römischen Kultus überall in
+seinem Lande einzuführen und seine Völker in politischer wie in
+religiöser Hinsicht auszugleichen unter allen Umständen eine Torheit,
+auch abgesehen davon, daß dieser karikierte Joseph II. persönlich einem
+solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war und
+durch Tempelplünderung im großartigsten Maßstab und die tollste
+Ketzerverfolgung seine Reformen in der übelsten Weise einleitete. Die
+eine Folge hiervon war, daß die Bewohner der Grenzprovinz gegen
+Ägypten, die Juden, sonst bis zur Demütigkeit fügsame und äußerst
+tätige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang
+zur offenen Empörung gedrängt wurden (um 587 167). Die Sache kam an den
+Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter mit
+gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und
+Seleukiden besorgte, überhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht
+zwischen Syrien und Ägypten im Interesse Roms lag, so machte er keine
+Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation
+sofort anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom für die
+Juden nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemühen; trotz der
+Klausel des zwischen den Römern und den Juden abgeschlossenen Vertrags,
+die den Juden, im Fall sie angegriffen würden, den Beistand Roms
+versprach, und trotz des an die Könige von Syrien und Ägypten
+gerichteten Verbots, ihre Truppen durch das jüdische Land zu führen,
+blieb es natürlich lediglich jenen selbst überlassen, der syrischen
+Könige sich zu erwehren. Mehr als die Briefe ihrer mächtigen
+Verbündeten tat für sie die tapfere und umsichtige Leitung des
+Aufstandes durch das Heldengeschlecht der Makkabäer und die innere
+Zerrissenheit des Syrischen Reiches: während des Haders zwischen den
+syrischen Königen Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die
+Autonomie und Steuerfreiheit förmlich zugestanden (612 142) und bald
+darauf sogar das Haupt des Makkabäerhauses, Simon, des Mattathias Sohn,
+von der Nation wie von dem syrischen Großkönig als Hochpriester und
+Fürst Israels förmlich anerkannt ^18 (615 139).
+
+————————————————————-
+
+^18 Von ihm rühren die Münzen her mit der Aufschrift “Shekel Israel”
+und der Jahreszahl des “heiligen Jerusalem” oder “der Erlösung Sions”.
+Die ähnlichen mit dem Namen Simons, des Fürsten (Nessi) Israel, gehören
+nicht ihm, sondern dem Insurgentenführer Bar Kochba unter Hadrian.
+
+—————————————————————
+
+Folgenreicher noch als diese Insurrektion der Israeliten war die
+gleichzeitig und wahrscheinlich aus gleicher Ursache entstandene
+Bewegung in den östlichen Landschaften, wo Antiochos Epiphanes die
+Tempel der persischen Götter nicht minder leerte wie den von Jerusalem
+und dort den Anhängern des Ahuramazda und des Mithra es nicht besser
+gemacht haben wird wie hier denen des Jehova. Wie in Judäa, nur in
+weiterem Umfang und in großartigeren Verhältnissen, war das Ergebnis
+eine Reaktion der einheimischen Weise und der einheimischen Religion
+gegen den Hellenismus und die hellenischen Götter; die Träger dieser
+Bewegung waren die Parther und aus ihr entsprang das große
+Partherreich. Die “Parthwa” oder Parther, die als eine der zahllosen in
+das große Perserreich aufgegangenen Völkerschaften früh, zuerst im
+heutigen Khorasan südöstlich vom Kaspischen Meere begegnen, erscheinen
+schon seit 500 (250) unter dem skythischen, das heißt turanischen
+Fürstengeschlecht der Arsakiden als ein selbständiger Staat, der indes
+erst ein Jahrhundert später aus seiner Dunkelheit hervortrat. Der
+sechste Arsakes, Mithradates I. (579? - 618? 175-136), ist der
+eigentliche Gründer der parthischen Großmacht. Ihm erlag das an sich
+weit mächtigere, aber teils durch die Fehden mit den skythischen
+Reiterscharen von Turan und mit den Staaten am Indus, teils durch
+innere Wirren bereits in allen Fugen erschütterte Baktrische Reich.
+Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften westlich von der
+großen Wüste. Das Syrische Reich war eben damals, teils infolge der
+verfehlten Hellenisierungsversuche des Antiochos Epiphanes, teils durch
+die nach dessen Tode eintretenden Sukzessionswirren, aufs tiefste
+zerrüttet und die inneren Provinzen im vollen Zuge, sich von Antiocheia
+und der Küstenlandschaft abzulösen; in Kommagene zum Beispiel, der
+nördlichsten Landschaft Syriens an der kappadokischen Grenze, machte
+der Satrap Ptolemaeos, auf dem entgegengesetzten Ufer des Euphrat im
+nördlichen Mesopotamien oder der Landschaft Osrhoene der Fürst von
+Edessa, in der wichtigen Provinz Medien der Satrap Timarchos sich
+unabhängig; ja der letztere ließ sich vom römischen Senat seine
+Unabhängigkeit bestätigen und herrschte, gestützt auf das verbündete
+Armenien, bis hinab nach Seleukeia am Tigris. Unordnungen dieser Art
+waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, sowohl die Provinzen unter
+ihren halb oder ganz unabhängigen Satrapen in ewigem Aufstand als auch
+die Hauptstadt mit ihrem gleich dem römischen und dem alexandrinischen
+zuchtlosen und widerspenstigen Pöbel. Die gesamte Meute der
+Nachbarkönige, Ägypten, Armenien, Kappadokien, Pergamon, mengte
+unaufhörlich sich in die Angelegenheiten Syriens und nährte die
+Erbfolgestreitigkeiten, so daß der Bürgerkrieg und die faktische
+Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr Prätendenten fast zur
+stehenden Landplage ward. Die römische Schutzmacht, wenn sie die
+Nachbarn nicht aufstiftete, sah untätig zu. Zu allem diesem drängte von
+Osten her das neue Partherreich, nicht bloß mit seiner materiellen
+Macht, sondern auch mit dem ganzen Übergewicht seiner nationalen
+Sprache und Religion, seiner nationalen Heer- und Staatsverfassung auf
+die Fremdlinge ein. Es ist hier noch nicht der Ort dies regenerierte
+Kyrosreich zu schildern; es genügt im allgemeinen, daran zu erinnern,
+daß, so mächtig auch in ihm noch der Hellenismus auftritt, dennoch der
+parthische Staat, verglichen mit dem der Seleukiden, auf einer
+nationalen und religiösen Reaktion beruht und die alte iranische
+Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die orientalische
+Lehnsverfassung, die Reiterei der Wüste und Pfeil und Bogen hier zuerst
+dem Hellenismus wieder übermächtig entgegentraten. Die Lage der
+Reichskönige diesem allem gegenüber war in der Tat beklagenswert. Das
+Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt wie zum Beispiel
+das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es nicht an
+Tapferkeit und Fähigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder den
+andern jener zahllosen Rebellen, Prätendenten und Intervenienten in
+seine Schranken zurück; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an
+einer festen Grundlage, daß sie dennoch der Anarchie nicht auch nur
+vorübergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein
+mußte. Die östlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschützten
+oder gar aufrührerischen Satrapen gerieten unter parthische
+Botmäßigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom
+Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden
+Seiten der großen Wüste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur
+Arabischen Wüste, wiederum gleich dem Perserreich und all den älteren
+asiatischen Großstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum
+eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit
+den Völkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische
+Staat umfaßte außer der Küstenlandschaft höchstens noch Mesopotamien
+und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerrüttung als seiner
+Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Großstaaten. Wenn die
+mehrfach drohende gänzliche Unterjochung des Landes durch die Parther
+unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden,
+noch weniger dem Einfluß Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den
+vielfältigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem den
+Einfällen der turanischen Steppenvölker in dessen östliche
+Landschaften.
+
+Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im inneren Asien ist der
+Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Völkerflut, die
+bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem großen Alexander
+ihren letzten und höchsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die Ebbe.
+Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloß verloren, was in Baktrien
+und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben
+mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurück in das
+seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. Der
+römische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik
+Alexanders und leitet damit jene rückläufige Bewegung ein, deren letzte
+Ausläufer im Alhambra von Granada und in der Großen Moschee von
+Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragä und Persepolis
+bis zum Mittelmeer dem König von Antiochia gehorchte, erstreckte auch
+Roms Macht sich bis an die Grenze der großen Wüste; der Partherstaat,
+nicht weil er so gar mächtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt
+fern von der Küste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in
+die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den
+Okzidentalen allein gehört und schien der Orient für diese nur zu sein,
+was später Amerika und Australien für die Europäer wurden; mit
+Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen
+Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren.
+
+Es ist noch übrig, auf die maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen
+Blick zu werfen, obwohl darüber sich kaum etwas anderes sagen läßt, als
+daß es nirgends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet,
+Syriens Kriegsflotte vertragsmäßig zugrunde gerichtet, Ägyptens einst
+so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwärtigen schlaffen Regenten
+in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstädte
+hatten wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genügten nicht einmal
+für die im Mittelmeere so schwierige Unterdrückung des Seeraubs. Mit
+Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der führenden Macht im Mittelmeer.
+Wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin mit besonderer und
+wohltätiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten
+ihre Suprematie zunächst eingeführt hatten durch die zum allgemeinen
+Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die
+vollständige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den
+furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene
+Flotte besaß Rom nicht mehr; man begnügte sich, wenn es nötig schien,
+von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestädten
+Schiffe einzufordern. Die Folge war natürlich, daß das Flibustierwesen
+sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrückung geschah
+nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare
+Macht der Römer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die
+gegen die dalmatischen und ligurischen Küsten in dieser Epoche
+gerichteten Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrückung des
+Seeraubs in den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im
+Jahre 631 (123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den
+mauretanischen und den griechischen Gewässern blieb es den Anwohnern
+und den Schiffern überlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die
+andere Weise sich abzufinden, da die römische Politik daran festhielt
+sich um diese entfernteren Gegenden so wenig wie irgend möglich zu
+kümmern. Die zerrütteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich
+selbst überlassenen Küstenstaaten wurden hierdurch natürlich zu
+Freistätten der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien
+nicht. Am ärgsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch
+eine glückliche Lage und die Schwäche oder Schlaffheit der Großstaaten
+des Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen
+seine Unabhängigkeit bewahrt hatte; die römischen Kommissionen kamen
+und gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch
+weniger aus als selbst in Syrien und Ägypten. Fast schien es aber, als
+habe das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen,
+was herauskomme bei der hellenischen Unabhängigkeit. Es war ein
+schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen war
+ähnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wüste Demokratie, der
+ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein
+achtbarer Hellene selbst bezeugt es, daß allein auf Kreta nichts für
+schimpflich gelte, was einträglich sei, und noch der Apostel Paulus
+führt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: “Lügner sind
+all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter.” Die ewigen Bürgerkriege
+verwandelten trotz der römischen Friedensstiftungen auf der alten
+“Insel der hundert Städte” eine blühende Ortschaft nach der andern in
+Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Räuber die Heimat und
+die Fremde, die Länder und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz für
+die umliegenden Königreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht mehr
+geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie denn
+zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische
+Korsarenflotte völlig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem
+Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel
+zugefügten Schlägen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine
+letzten Kräfte in den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie
+gegen die Kreter zu führen sich genötigt sah (um 600 150) und in denen
+die Römer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es
+scheint, ohne Erfolg.
+
+Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, für diese Flibustierwirtschaft
+eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht bloß die Ohnmacht der
+syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: der Usurpator Diodotos
+Tryphon, der sich vom Sklaven zum König Syriens aufgeschwungen hatte
+(608-615 146-139), förderte, um durch Korsarenhilfe seinen Thron zu
+befestigen, in seinem Hauptsitz, dem Rauhen oder westlichen Kilikien,
+mit allen Mitteln von oben herab die Piraterie. Der ungemein
+gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich die
+hauptsächlichsten Sklavenfänger und Sklavenhändler waren, verschaffte
+ihnen bei dem kaufmännischen Publikum, sogar in Alexandreia, Rhodos und
+Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die Regierungen wenigstens
+durch Passivität sich beteiligten. Das Übel ward so ernsthaft, daß der
+Senat um 611 (143) seinen besten Mann, Scipio Aemilianus, nach
+Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was
+sich dabei tun lasse. Allein diplomatische Vorstellungen der Römer
+machten die schwachen Regierungen nicht stark; es gab keine andere
+Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen Gewässern zu unterhalten,
+wozu es wieder der römischen Regierung an Energie und Konsequenz
+gebrach. So blieb eben alles beim alten, die Piratenflotte die einzige
+ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der Menschenfang das einzige
+daselbst blühende Gewerbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu,
+die römischen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem
+Sklavenmarkt mit den Piratenkapitänen als den bedeutendsten
+Großhändlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem und
+freundlichem Geschäftsverkehr.
+
+Wir haben die Umgestaltung der äußeren Verhältnisse Roms und der
+römisch-hellenischen Welt überhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht
+bei Pydna bis auf die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil
+und zum Euphrat begleitet. Es war eine große und schwierige Aufgabe,
+die Rom mit dem Regimente dieser römisch-hellenischen Welt übernahm;
+sie ward nicht völlig verkannt, aber keineswegs gelöst. Die
+Unhaltbarkeit des Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien
+zu beschränken und außerhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen,
+ward von den leitenden Männern der folgenden Generation wohl begriffen
+und wohl die Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses
+Klientelregiments eine die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare
+Herrschaft Roms zu setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch
+und gleichmäßig durchzuführen, wurden einzelne Landschaften eingezogen,
+wo eben Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu führten,
+wogegen der größere Teil des Klientelgebiets entweder in der
+unerträglichen Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar,
+wie namentlich Syrien, sich gänzlich dem Einfluß Roms entzog. Aber auch
+das Regiment selbst ging mehr und mehr auf in einem schwächlichen und
+kurzsichtigen Egoismus. Man begnügte sich von heute auf morgen zu
+regieren und nur eben die laufenden Geschäfte notdürftig zu erledigen.
+Man war gegen die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in
+Karien dem Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines
+Sturmbocks einen andern Balken als den verlangten sandte, ward der
+Vorstand der Stadt deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein
+schlechter Mann und ein streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die
+Strenge da vermißt, wo sie an ihrem Platz gewesen wäre, wie gegen die
+angrenzenden Barbaren und gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung
+auf jede Oberleitung und jede Übersicht der Provinzialverhältnisse
+Verzicht tat, gab sie dem jedesmaligen Vogt nicht bloß die Interessen
+der Untertanen, sondern auch die des Staates vollständig preis. Die
+spanischen Vorgänge, unbedeutend an sich, sind hierfür belehrend. Hier,
+wo die Regierung weniger als in den übrigen Provinzen sich auf die
+bloße Zuschauerrolle beschränken konnte, wurde nicht bloß von den
+römischen Statthaltern das Völkerrecht geradezu mit Füßen getreten und
+durch eine Wort- und Treulosigkeit sondergleichen, durch das
+frevelhafteste Spiel mit Kapitulationen und Verträgen, durch
+Niedermetzelung untertäniger Leute und Mordanstiftung gegen die
+feindlichen Feldherren die römische Ehre dauernd im Kote geschleift,
+sondern es ward auch gegen den ausgesprochenen Willen der römischen
+Oberbehörde Krieg geführt und Friede geschlossen und aus unbedeutenden
+Vorfällen; wie zum Beispiel dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine
+seltene Vereinigung von Verkehrtheit und Verruchtheit eine für den
+Staat verhängnisvolle Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah,
+ohne daß in Rom auch nur eine ernstliche Bestrafung deswegen verfügt
+ward. Über die Besetzung der wichtigsten Stellen und die Behandlung der
+bedeutendsten politischen Fragen entschieden nicht bloß die Sympathien
+und Rivalitäten der verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand
+selbst schon das Gold der auswärtigen Dynasten Eingang bei den
+Ratsherren von Rom. Als der erste, der mit Erfolg versuchte, den
+römischen Senat zu bestechen, wird Timarchos genannt, der Gesandte des
+Königs Antiochos Epiphanes von Syrien († 590 164); bald wurde die
+Beschenkung einflußreicher Senatoren durch auswärtige Könige so
+gewöhnlich, daß es auffiel, als Scipio Aemilianus die im Lager vor
+Numantia ihm von dem König von Syrien zugekommenen Gaben in die
+Kriegskasse einwarf. Durchaus ließ man den alten Grundsatz fallen, daß
+der Lohn der Herrschaft einzig die Herrschaft und die Herrschaft
+ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie ein Recht und ein Vorteil
+sei. So kam die neue Staatswirtschaft auf, welche von der Besteuerung
+der Bürger absah und dagegen die Untertanenschaft als einen nutzbaren
+Besitz der Gemeinde teils von Gemeinde wegen ausbeutete, teils der
+Ausbeutung durch die Bürger überlieferte; nicht bloß wurde dem
+rücksichtslosen Geldhunger des römischen Kaufmanns in der
+Provinzialverwaltung mit frevelhafter Nachgiebigkeit Spielraum
+gestattet, sondern es wurden sogar die ihm mißliebigen Handelsrivalen
+durch die Heere des Staats aus dem Wege geräumt und die herrlichsten
+Städte der Nachbarländer nicht der Barbarei der Herrschsucht, sondern
+der weit scheußlicheren Barbarei der Spekulation geopfert. Durch den
+Ruin der älteren, der Bürgerschaft allerdings schwere Opfer
+auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten Ende doch nur auf
+seinem militärischen Übergewicht ruhende Staat sich selber die Stütze
+ab. Die Flotte ließ man ganz eingehen, das Landkriegswesen in der
+unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung der asiatischen und
+afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen abgewälzt und was man
+nicht von sich abwälzen konnte, wie die italische, makedonische und
+spanische Grenzverteidigung, in der elendesten Weise verwaltet. Die
+besseren Klassen fingen an so sehr aus dem Heere zu verschwinden, daß
+es schon schwer hielt, für die spanischen Heere die erforderliche
+Anzahl von Offizieren aufzutreiben. Die immer steigende Abneigung
+namentlich gegen den spanischen Kriegsdienst in Verbindung mit der von
+den Beamten bei der Aushebung bewiesenen Parteilichkeit nötigten im
+Jahre 602 (152) zum Aufgeben der alten Übung, die Auswahl der
+erforderlichen Anzahl Soldaten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem
+freien Ermessen der Offiziere zu überlassen, und zu deren Ersetzung
+durch das Losen der sämtlichen Dienstpflichtigen - sicher nicht zum
+Vorteil des militärischen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der
+einzelnen Abteilungen. Die Behörden, statt mit Strenge durchzugreifen,
+erstreckten die leidige Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal
+ein Konsul für den spanischen Dienst pflichtmäßig strenge Aushebungen
+veranstaltete, so machten die Tribune Gebrauch von ihrem
+verfassungsmäßigen Recht, ihn zu verhaften (603, 616 151,138); und es
+ward schon bemerkt, daß Scipios Ansuchen, ihm für den Numantinischen
+Krieg die Aushebung zu gestatten, vom Senat geradezu abgeschlagen ward.
+Schon erinnern denn auch die römischen Heere vor Karthago oder Numantia
+an jene syrischen Armeen, in denen die Zahl der Bäcker, Köche,
+Schauspieler und sonstigen Nichtkombattanten die der sogenannten
+Soldaten um das Vierfache überstieg; schon geben die römischen Generale
+ihren karthagischen Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und
+werden die Kriege in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien
+regelmäßig mit Niederlagen eröffnet; schon schweigt man still zu der
+Ermordung des Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus’ Meuchelmord ein
+Meisterwerk der römischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia
+eine Großtat. Wie völlig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits
+den Römern abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schärfe
+die Bildsäule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser
+selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen
+ließ. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie
+seine äußere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkämpfen gewonnene
+Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal
+behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu
+bewahren; jenes hatte der römische Senat vermocht, an diesem ist er
+gescheitert.
+
+
+
+
+KAPITEL II.
+Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus
+
+
+Ein volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der
+römische Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberfläche
+bewegten Ruhe. Das Gebiet dehnte über die drei Weltteile sich aus; der
+Glanz der römischen Macht und der Ruhm des römischen Namens waren in
+dauerndem Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller
+Reichtum strömten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und
+geistigen Lebensgenusses schien dort beginnen zu müssen. Mit
+Bewunderung erzählten sich die Orientalen dieser Zeit von der mächtigen
+Republik des Westens, “die die Königreiche bezwang fern und nah, und
+wer ihren Namen vernahm, der fürchtete sich; mit den Freunden und
+Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war
+bei den Römern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte
+keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn
+machten, auf den hörten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch
+Zwietracht.”
+
+So schien es in der Ferne; in der Nähe sahen die Dinge anders aus. Das
+Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein eigenes Werk zu
+verderben. Nicht als wären die Söhne und Enkel der Besiegten von Cannae
+und der Sieger von Zama so völlig aus der Art ihrer Väter und Großväter
+geschlagen; es waren weniger andere Menschen, die jetzt im Senate
+saßen, als eine andere Zeit. Wo eine geschlossene Zahl alter Familien
+festgegründeten Reichtums und ererbter staatsmännischer Bedeutung das
+Regiment führt, wird sie in den Zeiten der Gefahr eine ebenso
+unvergleichlich zähe Folgerichtigkeit und heldenmütige Opferfähigkeit
+entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe kurzsichtig, eigensüchtig und
+schlaff regieren - zu dem einen wie dem andern liegen die Keime im
+Wesen der Erblichkeit und der Kollegialität. Der Krankheitsstoff war
+längst vorhanden, aber ihn zu entwickeln bedurfte es der Sonne des
+Glückes. In Catos Frage, was aus Rom werden solle, wenn es keinen Staat
+mehr zu fürchten haben werde, lag ein tiefer Sinn. Jetzt war man so
+weit: jeder Nachbar, den man hätte fürchten mögen, war politisch
+vernichtet, und von den Männern, welche unter der alten Ordnung der
+Dinge, in der ernsten Schule des Hannibalischen Krieges erzogen waren
+und aus denen der Nachklang jener gewaltigen Zeit bis in ihr spätestes
+Alter noch widerhallte, rief der Tod einen nach dem andern ab, bis
+endlich auch die Stimme des letzten von ihnen, des alten Cato, im
+Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte. Eine jüngere Generation kam
+an das Regiment, und ihre Politik war eine arge Antwort auf jene Frage
+des alten Patrioten. Wie das Untertanenregiment und die äußere Politik
+unter ihren Händen sich gestalteten, ist bereits dargelegt worden.
+Womöglich noch mehr ließ man in den inneren Angelegenheiten das Schiff
+vor dem Winde treiben; wenn man unter innerem Regiment mehr versteht
+als die Erledigung der laufenden Geschäfte, so ward in dieser Zeit
+überhaupt in Rom nicht regiert. Der einzige leitende Gedanke der
+regierenden Korporation war die Erhaltung und womöglich Steigerung
+ihrer usurpierten Privilegien. Nicht der Staat hatte für sein höchstes
+Amt ein Anrecht auf den rechten und den besten Mann, sondern jedes
+Glied der Kamaraderie ein angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz
+der Standesgenossen noch durch Übergriffe der Ausgeschlossenen zu
+verkürzendes Anrecht auf das höchste Staatsamt. Darum steckte die
+Clique zu ihrem wichtigsten politischen Ziel sich die Beschränkung der
+Wiederwahl zum Konsulat und die Ausschließung der “neuen Menschen”; es
+gelang denn auch in der Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich
+untersagt zu erhalten ^1 und auszureichen mit einem Regiment adliger
+Nullitäten. Auch die Tatenlosigkeit der Regierung nach außen hin hängt
+ohne Zweifel mit dieser gegen die Bürgerlichen ausschließenden und
+gegen die einzelnen Standesglieder mißtrauischen Adelspolitik zusammen.
+Man konnte gemeine Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den
+lauteren Kreisen der Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem
+man überhaupt es keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch würde dem
+bestehenden Regiment der allgemeinen Mittelmäßigkeit selbst ein adliger
+Eroberer Syriens oder Ägyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings
+fehlte es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis
+zu einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege.
+Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst oder
+gelegentlich durch außerordentliche Kommissionen über die
+Provinzialbeamten ausübte, reichte anerkanntermaßen nicht aus; es war
+eine für das ganze öffentliche Leben der römischen Gemeinde
+folgenreiche Neuerung, daß im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius
+Calpurnius Piso eine ständige Senatorenkommission (quaestio ordinaria)
+niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die
+vorgesetzten römischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen
+Formen zu prüfen. Man suchte die Komitien von dem übermächtigen Einfluß
+der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der römischen
+Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen der
+Bürgerschaft, welche zuerst für die Magistratswahlen durch das
+Gabinische (615 139), dann für die Volksgerichte durch das Cassische
+(617 137), endlich für die Abstimmung über Gesetzvorschläge durch das
+Papirische Gesetz (623 131) eingeführt ward. In ähnlicher Weise wurden
+bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluß angewiesen,
+bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf
+den bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu
+verzichten. In diesen auf die Emanzipation der Wählerschaft von dem
+regierenden Herrenstand gerichteten Maßregeln mochte die Partei, die
+sie veranlaßte, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates
+erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit
+des gesetzlich höchsten Organs der römischen Gemeinde auch nicht das
+mindeste geändert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging,
+nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel
+war die förmliche Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der
+Bürgerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres Versammlungsplatzes
+von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf den Marktplatz zuteil
+ward (um 609 145).
+
+————————————————————
+
+^1 Im Jahre 537 (217) wurde das die Wiederwahl zum Konsulat
+beschränkende Gesetz auf die Dauer des Krieges in Italien (also bis 551
+203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach Marcellus’ Tode 546 (208) aber sind
+Wiederwahlen zum Konsulat, wenn die abdizierenden Konsuln von 592 (162)
+nicht mitgerechnet werden, überhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547,
+554, 560, 579, 585, 586, 591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169,
+168, 163, 158, 155, 152); also nicht öfter in diesen sechsundfünfzig
+als zum Beispiel in den zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von
+diesen, und eben die letzte, ist mit Verletzung des zehnjährigen
+Intervalls erfolgt; und ohne Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus
+Marcellus, Konsul 588 (166) und 599 (155), zum dritten Konsulat für 602
+(152), deren nähere Umstände wir nicht kennen, die Veranlassung der
+gesetzlichen Untersagung der Wiederwahl zum Konsulat überhaupt (Liv.
+ep. 56) geworden; zumal da dieser Antrag, als von Cato unterstützt (p.
+55 Jordan), vor 605 (149) eingebracht worden sein muß.
+
+——————————————————-
+
+Aber diese Fehde der formalen Volkssouveränität gegen die tatsächlich
+bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die
+Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war in
+den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig zu
+spüren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die jährlichen
+Gemeindewahlen zu den bürgerlichen Ämtern, namentlich zum Konsulat und
+zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und den Brennpunkt des
+politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen Fällen waren in
+den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte politische
+Prinzipien verkörpert; regelmäßig blieben dieselben rein persönliche
+Fragen und war es für den Gang der Angelegenheiten gleichgültig, ob die
+Majorität der Wahlkörper dem Cäcilier oder dem Cornelier zufiel. Man
+entbehrte also dessen, was die Übelstände des Parteilebens alle
+überträgt und vergütet, der freien und gemeinschaftlichen Bewegung der
+Massen nach dem als zweckmäßig erkannten Ziel, und duldete sie dennoch
+alle lediglich zum Frommen des kleinen Spiels der herrschenden
+Koterien.
+
+Es war dem römischen Adligen verhältnismäßig leicht, die Ämterlaufbahn
+als Quästor und Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des
+Konsulats und der Zensur war auch ihm nur durch große und jahrelange
+Anstrengungen möglich. Der Preise waren viele, aber der lohnenden
+wenige; die Kämpfer liefen, wie ein römischer Dichter einmal sagt, wie
+in einer an den Schranken weiten, allmählich mehr und mehr sich
+verengenden Bahn. Das war recht, solange das Amt war, wie es hieß, eine
+“Ehre”, und militärische, politische, juristische Kapazitäten
+wetteifernd um die seltenen Kränze warben; jetzt aber hob die
+tatsächliche Geschlossenheit der Nobilität den Nutzen der Konkurrenz
+auf und ließ nur ihre Nachteile übrig. Mit wenigen Ausnahmen drängten
+die den regierenden Familien angehörenden jungen Männer sich in die
+politische Laufbahn, und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu
+wirksameren Mitteln, als nützliche Tätigkeit für das gemeine Beste war.
+Die erste Bedingung für die öffentliche Laufbahn wurden mächtige
+Verbindungen; dieselbe begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in
+den Vorzimmern der einflußreichen Männer. Was sonst nur Schutzbefohlene
+und Freigelassene getan, daß sie ihrem Herrn am frühen Morgen
+aufzuwarten kamen und öffentlich in seinem Gefolge erschienen, das
+übertrug sich jetzt auf die neue vornehme Klientel. Aber auch der Pöbel
+ist ein großer Herr und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel
+fing an, es als sein Recht zu fordern, daß der künftige Konsul in jedem
+Lumpen von der Gasse das souveräne Volk erkenne und ehre und jeder
+Bewerber bei seinem “Umgang” (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei
+Namen begrüße und ihm die Hand drücke. Bereitwillig ging die vornehme
+Welt ein auf diesen entwürdigenden Ämterbettel. Der richtige Kandidat
+kroch nicht bloß im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich
+der Menge durch Liebäugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von
+feinerer oder gröberer Qualität. Der Ruf nach Reformen und die
+Demagogie wurden dazu vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und
+beliebt zu machen; und sie wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die
+Sache angriffen, sondern die Person. Es ward Sitte, daß die bartlosen
+Jünglinge vornehmer Geburt, um sich glänzend in das öffentliche Leben
+einzuführen, mit der unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften
+Beredsamkeit die Rolle Catos weiterspielten und aus eigener
+Machtvollkommenheit sich womöglich gegen einen recht hochstehenden und
+recht unbeliebten Mann zu Anwälten des Staats aufwarfen; man ließ es
+geschehen, daß das ernste Institut der Kriminaljustiz und der
+politischen Polizei ein Mittel für den Ämterbewerb ward. Die
+Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die Verheißung prachtvoller
+Volkslustbarkeiten war längst die gleichsam gesetzliche Vorbedingung
+zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen auch schon, wie das um 595
+(159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die Stimmen der Wähler geradezu
+mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die schlimmste Folge des
+dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie um die Gunst der Menge
+war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und Schmeichlerrolle mit
+derjenigen Stellung, welche der Regierung den Regierten gegenüber von
+Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch aus einem Segen für das
+Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, über Gut und Blut der Bürger
+zum Besten des Vaterlandes nach Bedürfnis zu verfügen. Man ließ die
+Bürgerschaft sich an den gefährlichen Gedanken gewöhnen, daß sie selbst
+von der vorschußweisen Entrichtung direkter Abgaben gesetzlich befreit
+sei - nach dem Kriege gegen Perseus ist kein Schoß mehr von der
+Gemeinde gefordert worden. Man ließ lieber das Heerwesen verfallen, als
+daß man die Bürger zu dem verhaßten überseeischen Dienst zwang; wie es
+den einzelnen Beamten erging, die die Konskription nach der Strenge des
+Gesetzes durchzuführen versuchten, ist schon gesagt worden.
+
+In verhängnisvoller Weise verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die
+zwiefachen Mißstände einer ausgearteten Oligarchie und einer noch
+unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfraß ergriffenen
+Demokratie. Ihren Parteinamen nach, welche zuerst in dieser Periode
+gehört werden, wollten die “Optimaten” den Willen der Besten, die
+“Popularen” den der Gemeinde zur Geltung bringen; in der Tat gab es in
+dem damaligen Rom weder eine wahre Aristokratie noch eine wahrhaft sich
+selber bestimmende Gemeinde. Beide Parteien stritten gleichermaßen für
+Schatten und zählten in ihren Reihen nur entweder Schwärmer oder
+Heuchler. Beide waren von der politischen Fäulnis gleichmäßig ergriffen
+und in der Tat beide gleich nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in
+den Status quo gebannt, da weder hüben noch drüben ein politischer
+Gedanke, geschweige denn ein politischer Plan sich fand, der über
+diesen hinausgegangen wäre, und so vertrugen denn auch beide sich
+miteinander so vollkommen, daß sie auf jeden Schritt sich in den
+Mitteln wie in den Zwecken begegneten und der Wechsel der Partei mehr
+ein Wechsel der politischen Taktik als der politischen Gesinnung war.
+Das Gemeinwesen hätte ohne Zweifel gewonnen, wenn entweder die
+Aristokratie statt der Bürgerschaftswahlen geradezu einen erblichen
+Turnus eingeführt oder die Demokratie ein wirkliches Demagogenregiment
+aus sich hervorgebracht hätte. Aber diese Optimaten und diese Popularen
+des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die einen für die andern
+viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und Leben zu bekriegen; sie
+konnten nicht bloß nicht einander vernichten, sondern, wenn sie es
+gekonnt hätten, hätten sie es nicht gewollt. Darüber wich denn freilich
+politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer mehr aus den Fugen und
+ging seiner völligen Auflösung entgegen.
+
+Es ging denn auch die Krise, durch welche die römische Revolution
+eröffnet ward, nicht aus diesem dürftigen politischen Konflikt hervor,
+sondern aus den ökonomischen und sozialen Verhältnissen, welche die
+römische Regierung wie alles andere lediglich gehen ließ und welche
+also Gelegenheit fanden, den seit langem gärenden Krankheitsstoff jetzt
+ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit
+uralter Zeit beruhte die römische Ökonomie auf den beiden ewig sich
+suchenden und ewig hadernden Faktoren, der bäuerlichen und der
+Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit
+dem großen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen
+Krieg geführt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und
+demnächst des ganzen Gemeinwesens endigen zu müssen schien, aber ohne
+eigentliche Entscheidung abgebrochen ward infolge der glücklichen
+Kriege und der hierdurch möglich gemachten umfänglichen und großartigen
+Domanialaufteilung. Es ward schon früher gezeigt, daß in derselben
+Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter
+veränderten Namen erneuerte, das unverhältnismäßig anschwellende
+Kapital einen zweiten Sturm gegen die bäuerliche Wirtschaft
+vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine
+Bauer ruiniert worden durch Vorschüsse, die ihn tatsächlich zum Meier
+seines Gläubigers herabdrückten; jetzt ward er erdrückt durch die
+Konkurrenz des überseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man
+schritt fort mit der Zeit; das Kapital führte gegen die Arbeit, das
+heißt gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natürlich wie immer in
+strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise,
+daß der freie Mann der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus
+mit rechtmäßig gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige
+hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeitgemäßer Gestalt als
+industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebnis war in
+beiden Fällen das gleiche: die Entwertung der italischen Bauernstellen,
+die Verdrängung der Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen,
+sodann in Italien durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung
+auch dieser in Italien auf Viehzucht und auf Öl- und Weinbau;
+schließlich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in
+Italien durch Sklaven. Eben wie die Nobilität deshalb gefährlicher war
+als das Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine
+Verfassungsänderung sich beseitigen ließ, so war auch diese neue
+Kapitalmacht darum gefährlicher als die des vierten und fünften
+Jahrhunderts, weil gegen sie mit Änderungen des Landrechts nichts
+auszurichten war.
+
+Ehe wir es versuchen, den Verlauf dieses zweiten großen Konflikts von
+Arbeit und Kapital zu schildern, wird es notwendig, über das Wesen und
+den Umfang der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten.
+Wir haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermaßen
+unschuldigen Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit
+seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er
+bewirtschaften kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter
+Verpflichtung zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermaßen als
+Pächter über einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhältnisse
+bestanden zwar zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch
+in der Kaiserzeit die Regel -, allein als Ausnahmezustände bevorzugter
+Landschaften und milde verwalteter Güter. Hier ist die Großwirtschaft
+mit Sklaven gemeint, welche im römischen Staat wie einst im
+karthagischen aus der Übermacht des Kapitals sich entwickelte. Während
+für den Sklavenbestand der älteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und
+die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese
+Sklavenwirtschaft, völlig wie die amerikanische, auf systematisch
+betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der
+Sklaven wenig Rücksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevölkerung
+beständig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den
+Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten.
+Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon
+verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhört, daß der arme
+Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward. Das
+Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und
+kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmäßigen Sklavenjäger und
+Sklavenhändler, die Küsten Syriens und die griechischen Inseln
+ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die römischen Zollpächter in den
+Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter
+ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang,
+daß um 650 (100) der König von Bithynien sich unfähig erklärte, den
+verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfähigen
+Leute von den Zollpächtern weggeschleppt seien. Auf dem großen
+Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhändler ihre Ware
+an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu
+10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft
+gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven
+geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot
+überstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der römischen
+Ökonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, daß
+dieselbe wie überhaupt die gesamte Großwirtschaft des Altertums auf dem
+Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf, ihr
+Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte Mensch.
+Durch Sklaven wurden großenteils die Handwerke betrieben, so daß der
+Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der Steuerpachtgesellschaft
+wurde die Erhebung der öffentlichen Gefälle in den untern Graden
+regelmäßig beschafft. Ihre Hände besorgten den Grubenbau, die
+Pechhütten und was derart sonst vorkommt; schon früh kam es auf,
+Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden, deren Vorsteher
+sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die Wein- und Olivenlese
+wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut bewirkt, sondern
+einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Hütung des Viehs ward
+allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten, häufig berittenen
+Hirtensklaven auf den großen Weidestrecken Italiens ist bereits gedacht
+worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward bald auch in den
+Provinzen ein beliebter Gegenstand der römischen Spekulation - so war
+zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), als die römischen
+Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise die Viehzucht im großen
+zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit schlimmer noch war der
+eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der Felder durch eine Herde
+nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven, welche mit Fußschellen
+an den Beinen unter Aufsehern des Tags die Feldarbeiten taten und
+nachts in dem gemeinschaftlichen, häufig unterirdischen Arbeiterzwinger
+zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirtschaft war aus dem Orient
+nach Karthago gewandert und scheint durch die Karthager nach Sizilien
+gelangt zu sein, wo, wahrscheinlich aus diesem Grunde, die
+Plantagenwirtschaft früher und vollständiger als in irgendeinem anderen
+Gebiet der römischen Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die
+Leontinische Feldmark von etwa 30 000 Jugera urbaren Landes, die als
+römische Domäne von den Zensoren verpachtet wurde, finden wir einige
+Dezennien nach der Gracchenzeit geteilt unter nicht mehr als 84
+Pächter, von denen also durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und
+unter denen nur ein einziger Leontiner, die übrigen fremde, meistens
+römische Spekulanten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die
+römischen Spekulanten hier in die Fußstapfen ihrer Vorgänger traten und
+welche großartigen Geschäfte mit sizilischem Vieh und sizilischem
+Sklavenkorn die römischen und nichtrömischen Spekulanten gemacht haben
+werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel
+bedeckten. Italien indes blieb von dieser schlimmsten Form der
+Sklavenwirtschaft für jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in
+Etrurien, wo die Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu
+sein scheint und wo sie wenigstens vierzig Jahre später in
+ausgedehntestem Umfange bestand, höchstwahrscheinlich schon jetzt es an
+Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward doch die italische
+Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch überwiegend durch freie Leute oder
+doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Akkordierung größerer
+Arbeiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der
+Unterschied des italischen Sklavenwesens von dem sizilischen darin, daß
+bei dem sizilischen Sklavenaufstand 619-622 (135-1 S2) allein die
+Sklaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen Gemeinde sich
+nicht beteiligten.
+
+—————————————————————
+
+2 Auch damals wurde es geltend gemacht, daß die Menschenrasse daselbst
+durch besondere Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand
+eigne. Schon Plautus (Trip. 542) preist “den Syrerschlag, der mehr
+verträgt als ein andrer sonst”.
+
+3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses (ergastulum
+von εργάζομαι nach Analogie von stabulum, operculum) deutet darauf, daß
+diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen Sprachgebiets
+und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit den Römern
+zukam.
+
+—————————————————————
+
+Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller
+Proletariate sich vor unsern Augen auftut, mag ergründen, wer den Blick
+in solche Tiefen wagt; es ist leicht möglich, daß mit denen der
+römischen Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein
+Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft
+selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen Staat
+brachte und auf das Verhalten der Regierung denselben gegenüber. Daß
+dies Proletariat weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch
+geradezu von ihr beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es hätte dies
+nur geschehen können durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen wären
+als das Übel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr
+für Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die
+Staatsangehörigen bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei
+abzuwenden, teils auf die möglichste Beschränkung des Proletariats
+durch Hebung der freien Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die römische
+Aristokratie diesen beiden Aufgaben nachkam.
+
+Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die allerorts ausbrechenden
+Sklavenverschwörungen und Sklavenkriege. In Italien schienen die wüsten
+Vorgänge, wie sie in den unmittelbaren Nachwehen des Hannibalischen
+Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu erneuern; auf einmal mußte man
+in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450, in Sinuessa gar 4000 Sklaven
+aufgreifen und hinrichten lassen (621 133). Noch schlimmer stand es
+begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem großen Sklavenmarkt zu
+Delos und in den attischen Silbergruben hatte man um dieselbe Zeit die
+aufständischen Sklaven mit den Waffen zu Paaren zu treiben. Der Krieg
+gegen Aristonikos und seine kleinasiatischen “Sonnenstädter” war
+wesentlich ein Krieg der Besitzenden gegen die empörten Sklaven. Am
+ärgsten aber stand es natürlicherweise in dem gelobten Lande des
+Plantagensystems, in Sizilien. Die Räuberwirtschaft war daselbst, zumal
+im Binnenlande, längst ein stehendes Übel; sie fing an, sich zur
+Insurrektion zu steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in
+industrieller Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder
+Pflanzer von Enna (Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen
+erbitterten Feldsklaven überfallen und ermordet; worauf die wilde Schar
+in die Stadt Enna strömte und dort derselbe Vorgang in größerem Maßstab
+sich erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren,
+töteten oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon
+ansehnlichen Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen
+Apameia, der Feuer zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave
+Eunus genannt, jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der König der
+Syrer. Warum auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer
+syrischer Knecht, der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia
+selbst das königliche Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere
+“Feldherr” des neuen Königs, der griechische Sklave Achäos,
+durchstreifte die Insel, und nicht bloß die wilden Hirten strömten von
+nah und fern unter die seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die
+den Pflanzern alles Üble gönnten, machten mit den empörten Sklaven
+gemeinschaftliche Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein
+kilikischer Sklave, Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Räuber,
+dem gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Häupter
+miteinander sich vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren
+Erfolgen zuletzt, den Prätor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner
+größtenteils aus sizilischen Milizen bestehenden Armee gänzlich zu
+schlagen und sein Lager zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel
+in die Gewalt der Aufständischen, deren Zahl nach den mäßigsten Angaben
+sich auf 70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer sahen sich
+genötigt, drei Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und
+konsularische Heere nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen
+unentschiedenen, ja zum Teil unglücklichen Gefechten endlich mit der
+Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand überwältigt war. Vor
+der letzteren Stadt, in die sich die entschlossenste Mannschaft der
+Insurgenten geworfen hatte, um sich in dieser unbezwinglichen Stellung
+zu verteidigen, wie sich Männer verteidigen, die an Rettung wie an
+Begnadigung verzweifeln, lagerten die Konsuln Lucius Calpurnius Piso
+und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich mehr
+durch den Hunger als durch die Waffen 4.
+
+————————————————————————-
+
+4 Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am
+wenigsten jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen
+des Konsuls von 621 (133): L. Piso L. f. cos.
+
+————————————————————————-
+
+Das waren die Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem
+römischen Senat und dessen Beamten in Italien und den Provinzen
+gehandhabt ward. Wenn die Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die
+ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft
+übersteigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhaltung desselben für
+jedes größere Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. Es stände wohl um die
+Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr
+bereiteten, als wie sie auch droht von Bären und Wölfen; nur der
+Ängsterling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschäfte macht,
+prophezeit den Untergang der bürgerlichen Ordnung in Sklavenaufständen
+oder Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe
+der Bändigung der gedrückten Massen ward von der römischen Regierung
+trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hilfsquellen des
+Staats keineswegs genügt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwäche; aber
+nicht ihrer Schwäche allein. Von Rechts wegen war der römische
+Statthalter verpflichtet, die Landstraßen rein zu halten und die
+aufgegriffenen Räuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu
+lassen; natürlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht möglich ohne
+Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch
+mitunter, wenn die Straßen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter
+eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht
+zu verderben, wurden die gefangenen Räuber von der Behörde in der Regel
+an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese Herren
+waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie Kleider
+begehrten, mit Prügel antworteten und mit der Frage, ob denn die
+Reisenden nackt durch das Land zögen. Die Folge solcher Konnivenz war
+denn, daß nach Überwältigung des Sklavenaufstandes der Konsul Publius
+Rupilius alles, was lebend in seine Hände kam, es heißt über 20000
+Menschen, ans Kreuz schlagen ließ. Es war freilich nicht länger
+möglich, das Kapital zu schonen.
+
+Unendlich schwerer zu gewinnende, freilich auch unendlich reichere
+Früchte verhieß die Fürsorge der Regierung für Hebung der freien Arbeit
+und folgeweise für Beschränkung des Sklavenproletariats. Leider geschah
+in dieser Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen
+Krise hatte man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der
+Zahl seiner Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu
+verwenden. Jetzt ward auf Veranlassung der Regierung eine punische
+Schrift über den Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur
+Plantagenwirtschaft nach karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der
+italischen Spekulation ins Lateinische übersetzt -das erste und einzige
+Beispiel einer von dem römischen Senat veranlaßten literarischen
+Unternehmung! Dieselbe Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren
+Angelegenheit oder vielmehr in der Lebensfrage für Rom, in dem
+Kolonisierungssystem. Es bedurfte nicht der Weisheit, nur der
+Erinnerung an den Verlauf der ersten sozialen Krise Roms, um zu
+begreifen, daß gegen ein agrikoles Proletariat die einzige ernstliche
+Abhilfe in einem umfassenden und regularisierten Emigrationssystem
+bestand, wozu die äußeren Verhältnisse Roms die günstigste Gelegenheit
+darboten. Bis gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der
+Tat dem fortwährenden Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes
+durch fortwährende Gründung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war
+dies zwar keineswegs in dem Maße geschehen, wie es hätte geschehen
+können und sollen; man hatte nicht bloß das seit alten Zeiten von
+Privaten okkupierte Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere
+Okkupationen neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige
+Erwerbungen, wie namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der
+Okkupation preisgegeben, aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht,
+sondern als nutzbare Domäne verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung
+segensreich gewirkt, vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung
+gegeben. Allein, nach der Gründung von Luna (577 177) findet sich,
+außer der vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum
+(Osimo) im Jahre 597 (157), von weiteren Landanweisungen auf lange
+hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der
+Boier und Apuaner außer den wenig lockenden ligurischen Tälern neues
+Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land
+zu verteilen als das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen
+Antastung der Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm
+war wie vor dreihundert Jahren. Das außerhalb Italien! gewonnene Gebiet
+zur Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gründen
+unzulässig; Italien sollte das herrschende Land bleiben und die
+Scheidewand zwischen italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht
+fallen. Wenn man nicht die Rücksichten der höheren Politik oder gar die
+Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts
+übrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und also
+geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer
+auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Äcker ohne
+Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer gütlich abging
+- eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, während er im Felde
+stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stoßen und ihn mittels der Theorie
+der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die
+Gutsbesitzer fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der
+Sklaven zu bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum
+Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie
+Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft
+herabzudrücken. Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische
+Sklavenkorn das italische von dem hauptstädtischen Markt zu verdrängen
+und dasselbe auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte
+die alte einheimische Aristokratie im Bunde mit den römischen
+Kapitalisten schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, daß es dort
+keinen freien Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt
+laut gesagt werden, daß die Tiere ihr Lager hätten, den Bürgern aber
+nichts geblieben sei als Luft und Sonnenschein und daß die, welche die
+Herren der Welt hießen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den
+Kommentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten der römischen
+Bürgerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre 595
+(159) ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache
+wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen
+Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zählung 328000
+waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmäßiges Sinken,
+indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607 (147)
+auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfähige Bürger stellt -
+ein erschreckendes Ergebnis für eine Zeit tiefen inneren und äußeren
+Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich auf in
+Pflanzer und Sklaven und konnte schließlich der römische Staat, wie es
+bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt kaufen.
+
+So standen die äußeren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat
+eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin man auch
+das Auge wandte, fiel es auf Mißbräuche und Verfall; jedem einsichtigen
+und wohlwollenden Mann mußte die Erwägung sich aufdrängen, ob denn hier
+nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte an solchen in Rom nicht;
+aber keiner schien mehr berufen zu dem großen Werk der politischen und
+sozialen Reform als der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der
+Adoptivenkel des großen Scipio, der dessen glorreichen Afrikanernamen
+nicht bloß kraft Erb-, sondern auch kraft eigenen Rechtes trug, Publius
+Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625 184-129). Gleich seinem
+Vater war er ein maßvoller, durch und durch gesunder Mann, nie krank am
+Körper und nie unsicher über den nächsten und notwendigen Entschluß.
+Schon in seiner Jugend hatte er sich ferngehalten von dem gewöhnlichen
+Treiben der politischen Anfänger, dem Antichambrieren in den Zimmern
+der vornehmen Senatoren und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen
+liebte er die Jagd - als Siebzehnjähriger hatte er, nachdem er den
+Feldzug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht
+hatte, als Belohnung dafür sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren
+unberührten Wildhag der Könige von Makedonien erbeten - und vor allen
+Dingen wandte er gern seine Muße auf wissenschaftlichen und
+literarischen Genuß. Durch die Fürsorge seines Vaters war er früh in
+diejenige echte griechische Bildung eingeführt worden, welche über das
+geschmacklose Hellenisieren der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch
+seine ernste und treffende Würdigung des Echten und des Schlechten in
+dem griechischen Wesen und durch sein adliges Auftreten imponierte
+dieser Römer den Höfen des Ostens, ja sogar den spottlustigen
+Alexandrinern. Seinen Hellenismus erkannte man vor allem in der feinen
+Ironie seiner Rede und in seinem klassisch reinen Latein. Obwohl nicht
+eigentlich Schriftsteller, zeichnete er doch wie Cato seine politischen
+Reden auf - sie wurden gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der
+Mutter der Gracchen, von den späteren Literatoren als Meisterstücke
+mustergültiger Prosa geschätzt - und zog mit Vorliebe die besseren
+griechischen und römischen Literaten in seinen Kreis, welcher
+plebejische Umgang ihm freilich nicht wenig verdacht ward von
+denjenigen Kollegen im Senat, die auf ihre edle Geburt als einzige
+Auszeichnung angewiesen waren. Ein sittlich fester und zuverlässiger
+Mann, galt sein Wort bei Freund und Feind; er mied Bauten und
+Spekulationen und lebte einfach; dafür handelte er in
+Geldangelegenheiten nicht bloß ehrlich und uneigennützig, sondern auch
+mit einer dem kaufmännischen Sinn seiner Zeitgenossen seltsam dünkenden
+Zartheit und Liberalität. Er war ein tüchtiger Soldat und Offizier; aus
+dem Afrikanischen Krieg brachte er den Ehrenkranz heim, der wegen
+Rettung gefährdeter Bürger mit eigener Lebensgefahr erteilt zu werden
+pflegte, und beendete den Krieg als Feldherr, den er als Offizier
+begonnen hatte; an wirklich schwierigen Aufgaben sein Feldherrngeschick
+zu erproben, boten die Umstände ihm keine Gelegenheit. Scipio war so
+wenig wie sein Vater eine geniale Natur - davon zeugt schon seine
+Vorliebe für Xenophon, den nüchternen Militär und korrekten
+Schriftsteller -, aber ein rechter und echter Mann, der vor andern
+berufen schien, dem beginnenden Verfall durch organische Reformen zu
+wehren. Um so bezeichnender ist es, daß er es nicht versucht hat. Zwar
+half er, wo und wie er konnte, Mißbräuche abstellen und verhindern und
+arbeitete namentlich hin auf Verbesserung der Rechtspflege.
+Hauptsächlich durch seinen Beistand vermochte Lucius Cassius, ein
+tüchtiger Mann von altväterischer Strenge und Ehrenhaftigkeit, gegen
+den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein Stimmgesetz
+durchzubringen, welches für die noch immer den wichtigsten Teil der
+Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime Abstimmung
+einführte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht hatte mitmachen
+mögen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der schuldigsten Männer
+der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem Geiste hat er als
+Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber und die Pfaffen zu
+den Toren des Lagers hinausgejagt und das Soldatengesindel wieder
+zurück gezwungen unter den eisernen Druck der alten Heereszucht, als
+Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der glattkinnigen
+Manschettenträger aufgeräumt und mit ernsten Worten die Bürgerschaft
+ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Väter treulich zu halten.
+Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es verkennen, daß die
+Verschärfung der Rechtspflege und das vereinzelte Dazwischenfahren
+nicht einmal Anfänge waren zur Heilung der organischen Übel, an denen
+der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht gerührt. Gaius Laelius
+(Konsul 614 140), Scipios älterer Freund und sein politischer
+Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefaßt, die Einziehung des
+unvergebenen, aber vorläufig okkupierten italischen Domaniallandes
+vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends verfallenden
+italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand von dem
+Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff war,
+und ward fortan “der Verständige” genannt. Auch Scipio dachte also. Er
+war von der Größe des Übels völlig durchdrungen und griff, wo er nur
+sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person
+rücksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch überzeugt, daß
+dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im
+vierten und fünften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen
+hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel
+schlimmer als das Übel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner
+Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befürwortung des
+Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch
+auch nicht genügte noch genügen wollte, während seines Lebens einsam,
+nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der
+Aristokratie, bald als Begünstiger der Reform. Bis auf seine Zeit
+hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Götter
+angerufen, dem Staat größere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der
+Zensor Scipio betete, daß sie geneigen möchten, den Staat zu erhalten.
+Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf.
+
+Aber wo der Mann verzagte, der zweimal das römische Heer aus tiefem
+Verfall zum Siege geführt hatte, da getraute sich ein tatenloser
+Jüngling, zum Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hieß Tiberius
+Sempronius Gracchus (591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul
+577, 591; Zensor 585 177, 163;169) war das rechte Musterbild eines
+römischen Aristokraten. Die glänzende, nicht ohne Bedrückung der
+abhängigen Gemeinden zuwege gebrachte Pracht seiner ädilizischen Spiele
+hatte ihm schweren und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, während er
+durch sein Einschreiten in dem leidigen Prozeß gegen die persönlich ihm
+verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein
+Standesgefühl, durch sein energisches Auftreten gegen die
+Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betätigte
+und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem
+durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst und
+zugleich in den Gemütern der unterworfenen Nation ein dauerndes
+Gedächtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb.
+
+Seine Mutter Cornelia war die Tochter des Siegers von Zama, welcher
+ebenjenes hochherzigen Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner
+sich zum Schwiegersohn erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und
+bedeutende Frau, die nach dem Tode ihres viel älteren Gemahls die Hand
+des Königs von Ägypten zurückgewiesen hatte und im Andenken an den
+Gemahl und den Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der ältere
+von den beiden Söhnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur,
+sanften Blicks und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher
+bestimmt als zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und
+Anschauungen gehörte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine
+griechische und nationale Durchbildung er und seine Geschwister
+teilten. Scipio Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner
+Schwester Gemahl; unter ihm hatte Tiberius als Achtzehnjähriger die
+Erstürmung Karthagos mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des
+strengen Feldherrn und kriegerische Auszeichnungen erworben. Daß der
+tüchtige junge Mann die Anschauungen über den Verfall des Staats an
+Haupt und Gliedern, wie sie in diesem Kreise gangbar waren, die
+Gedanken namentlich über die Hebung des italischen Bauernstandes mit
+aller Lebendigkeit und allem Rigorismus der Jugend in sich aufnahm und
+steigerte, ist begreiflich; waren es doch nicht bloß die jungen Leute,
+denen das Zurückweichen des Laelius vor der Durchführung seiner
+Reformideen nicht verständig erschien, sondern schwach. Appius
+Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618 136), einer der
+angesehensten Männer des Senats, tadelte mit all der gewaltsamen
+Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier erblich war
+und blieb, daß der Scipionische Kreis den Plan der Domänenaufteilung so
+rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, wie es scheint, weil
+er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die Zensur in persönliche
+Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius Crassus Mucianus sich
+aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und Rechtsgelehrter im
+Senat wie in der Bürgerschaft allgemein verehrt. Sogar dessen Bruder
+Publius Mucius Scaevola, der Begründer der wissenschaftlichen
+Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht abgeneigt, und seine
+Stimme war von um so größerem Gewicht, als er gewissermaßen außerhalb
+der Parteien stand. Ähnlich dachte Quintus Metellus, der Überwinder
+Makedoniens und der Achäer, mehr aber noch als seiner Kriegstaten
+halber geachtet als ein Muster alter Zucht und Sitte in seinem
+häuslichen wie in seinem öffentlichen Leben. Tiberius Gracchus stand
+diesen Männern nahe, namentlich dem Appius, dessen Tochter er, und dem
+Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib genommen hatte; es war
+kein Wunder, daß der Gedanke sich in ihm regte, den Reformplan selber
+wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer Stellung befinden werde, die
+ihm verfassungsmäßig die Initiative gestatte. Persönliche Motive
+mochten ihn hierin bestärken. Der Friedensvertrag, den Mancinus 617
+(147) mit den Numantinern abschloß, war wesentlich Gracchus’ Werk; daß
+der Senat ihn kassiert hatte, daß der Feldherr deswegen den Feinden
+ausgeliefert worden und Gracchus mit den übrigen höheren Offizieren dem
+gleichen Schicksal nur durch die größere Gunst, deren er bei der
+Bürgerschaft genoß, entgangen war, konnte den jungen rechtschaffenen
+und stolzen Mann nicht milder stimmen gegen die herrschende
+Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen er gern
+philosophierte und politisierte, der Mytilenäer Diophanes, der Kymäer
+Gaius Blossius, nährten in seiner Seele die Ideale, mit denen er sich
+trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden, fehlte es
+nicht an billigenden Stimmen, und mancher öffentliche Anschlag forderte
+den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, der Rettung Italiens zu
+gedenken.
+
+Am 10. Dezember 620 (134) übernahm Tiberius Gracchus das Volkstribunat.
+Die entsetzlichen Folgen der bisherigen Mißregierung, der politische,
+militärische, ökonomische, sittliche Verfall der Bürgerschaft lagen
+eben damals nackt und bloß jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln
+dieses Jahres focht der eine ohne Erfolg in Sizilien gegen die
+aufständischen Sklaven und war der andere, Scipio Aemilianus, seit
+Monaten beschäftigt, eine kleine spanische Landstadt nicht zu besiegen,
+sondern zu erdrücken. Wenn es noch einer besonderen Aufforderung
+bedurfte, um Gracchus’ Entschluß zur Tat werden zu lassen, sie lag in
+diesen, jedes Patrioten Gemüt mit unnennbarer Angst erfüllenden
+Zuständen. Sein Schwiegervater versprach Beistand mit Rat und Tat, man
+durfte hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, der kurz
+vorher zum Konsul für 621 (133) erwählt worden war. So beantragte
+Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die Erlassung eines
+Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine Erneuerung des
+Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es sollten danach
+die sämtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne Entgelt benutzten
+Staatsländereien - die verpachteten, wie zum Beispiel das Gebiet von
+Capua, berührte das Gesetz nicht - von Staats wegen eingezogen werden,
+jedoch mit der Beschränkung, daß der einzelne Okkupant für sich 500 und
+für jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu
+bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten oder dafür Ersatz in
+Land in Anspruch nehmen dürfen. Für etwaige, von den bisherigen
+Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebäude und Pflanzungen,
+scheint man Entschädigung bewilligt zu haben. Das also eingezogene
+Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und diese teils
+an Bürger, teils an italische Bundesgenossen verteilt werden, nicht als
+freies Eigentum, sondern als unveräußerliche Erbpacht, deren Inhaber
+das Land zum Feldbau zu benutzen und eine mäßige Rente an die
+Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein Kollegium von drei
+Männern, die als ordentliche und stehende Beamte der Gemeinde angesehen
+und jährlich von der Volksversammlung gewählt wurden, ward mit dem
+Einziehungs- und Aufteilungsgeschäft beauftragt, wozu später noch der
+wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich festzustellen, was
+Domanialland und was Privateigentum sei. Die Aufteilung war demnach
+angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, bis daß die sehr
+ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen Domänen reguliert
+sein würden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz verglichen waren neu
+in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel zu Gunsten der
+beerbten Besitzer, teils die für die neuen Landstellen beantragte
+Erbpachtgutsqualität und Unveräußerlichkeit, teils und vor allem die
+regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in dem älteren Gesetz
+hauptsächlich bewirkt hatte, daß dasselbe ohne nachhaltige praktische
+Anwendung geblieben war.
+
+Den großen Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren
+wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt, und
+seit langem zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in
+ernsthafter Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm
+den Kampf auf in der für solche Fälle hergebrachten Weise, die
+Ausschreitungen des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren.
+Ein Kollege des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von
+der Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich
+überzeugter Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht
+werden sollte; womit verfassungsmäßig der Antrag beseitigt war.
+Gracchus sistierte nun seinerseits die Staatsgeschäfte und die
+Rechtspflege und legte seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man
+nahm es hin - es war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende.
+Gracchus, ratlos, brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung;
+natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die
+flehentliche Bitte seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die
+Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwidern, daß darüber, wie
+Italien gerettet werden könne, eben die Ansichten verschieden, sein
+verfassungsmäßiges Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines
+Veto sich zu bedienen, außer allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt
+den Versuch, Gracchus einen leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei
+Konsulare forderten ihn auf, die Angelegenheit in der Kurie
+weiterzuverhandeln, und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte
+in diesen Antrag hineinzulegen, daß der Senat damit die
+Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; allein weder lag dies
+darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der Sache nachzugeben; die
+Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungsmäßigen Wege
+waren erschöpft. In früheren Zeiten hatte man unter solchen
+Verhältnissen es sich nicht verdrießen lassen, den gestellten Antrag
+für dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem folgenden ihn
+wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der Druck der
+öffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man rascher.
+Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf die Reform
+überhaupt verzichten oder die Revolution beginnen mußte; er tat das
+letztere, indem er mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daß
+entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden müsse, und
+diesem ansann, die Bürger darüber abstimmen zu lassen, welchen von
+ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich natürlich, auf
+diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die Interzession war eben
+dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der Kollegen Raum zu
+gewähren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Kollegen ab und
+wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob nicht der
+Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt habe; und
+die Versammlung, längst gewohnt, zu allen an sie gebrachten Anträgen ja
+zu sagen und größtenteils zusammengesetzt aus dem vom Lande
+hereingeströmten und bei der Durchführung des Gesetzes persönlich
+interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die
+Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus’ Befehl durch die
+Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter
+allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten
+Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des Gesetzes
+nebst seinem erst zwanzigjährigen Bruder Gaius und seinem
+Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die
+Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie üblich an
+den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu
+erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24
+Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward
+immer gehässiger und persönlicher. Das schwierige und verwickelte
+Geschäft der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domänen trug den
+Hader in jede Bürgergemeinde, ja selbst in die verbündeten italischen
+Städte. Die Aristokratie hatte es kein Hehl, daß sie das Gesetz
+vielleicht, weil sie müsse, sich gefallen lassen, der unberufene
+Gesetzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die
+Ankündigung des Quintus Pompeius, daß er den Gracchus an demselben
+Tage, wo er das Tribunat niederlege, in Anklagestand versetzen werde,
+war unter den Drohungen, die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem
+nicht die schlimmste. Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine
+persönliche Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr
+ohne eine Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worüber er selbst
+von dem der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere
+Worte hören wußte. Überhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung
+seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, daß
+er erst am Anfang stand. Das “Volk” war ihm zu Dank verpflichtet; aber
+er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte
+als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich
+blieb und durch andere und weitergreifende Vorschläge neue und immer
+neue Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Ebendamals war durch
+das Testament des letzten Königs von Pergamon den Römern Reich und
+Vermögen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk,
+den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung
+des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte überhaupt,
+gegen die bestehende Übung, der Bürgerschaft das Recht, über die neue
+Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populäre Gesetze, über
+Abkürzung der Dienstzeit, über Ausdehnung des Provokationsrechts, über
+die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschließlich als
+Zivilgeschworene zu fungieren, sogar über die Aufnahme der italischen
+Bundesgenossen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet
+haben; wie weit seine Entwürfe in der Tat gereicht haben, läßt sich
+nicht entscheiden, gewiß ist nur, daß Gracchus seine einzige Rettung
+darin sah, das Amt, das ihn schützte, von der Bürgerschaft auf ein
+zweites Jahr verliehen zu erhalten, und daß er, um diese
+verfassungswidrige Verlängerung zu bewirken, weitere Reformen in
+Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen
+zu retten, so wußte er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen
+aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen
+für das nächste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre Stimmen für
+Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch schließlich
+wenigstens insoweit durch, daß die Versammlung unverrichteter Sache
+aufgelöst und die Entscheidung auf den folgenden Tag verschoben ward.
+Für diesen setzte Gracchus alle Mittel in Bewegung, erlaubte und
+unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im Trauergewand und empfahl ihm
+seinen unmündigen Knaben; für den Fall, daß die Wahl abermals durch
+Einspruch gestört werden würde, traf er Vorkehrungen, den Anhang der
+Aristokratie mit Gewalt von dem Versammlungsplatz vor dem
+Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam der zweite Wahltag heran;
+die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden und wieder erfolgte der
+Einspruch; der Auflauf begann. Die Bürger zerstreuten sich; die
+Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der Kapitolinische Tempel ward
+geschlossen; man erzählte sich in der Stadt, bald daß Tiberius die
+sämtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald daß er ohne Wiederwahl sein
+Amt fortzuführen entschlossen sei. Der Senat versammelte sich im Tempel
+der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die erbittertsten Gegner des
+Gracchus führten in der Sitzung das Wort; als Tiberius die Hand nach
+der Stirn bewegte, um in dem wilden Getümmel dem Volke zu erkennen zu
+geben, daß sein Leben bedroht sei, hieß es, er fordere schon die Leute
+auf, sein Haupt mit der königlichen Binde zu schmücken. Der Konsul
+Scaevola ward angegangen, den Hochverräter sofort töten zu lassen; als
+der gemäßigte, der Reform an sich keineswegs abgeneigte Mann das ebenso
+unsinnige wie barbarische Begehren unwillig zurückwies, rief der
+Konsular Publius Scipio Nasica, ein harter und leidenschaftlicher
+Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich zu bewaffnen, wie sie
+könnten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten war zu den Wahlen fast
+niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk wich scheu auseinander,
+als es die vornehmen Männer mit Stuhlbeinen und Knütteln in den Händen
+zornigen Auges heranstürmen sah; Gracchus versuchte, von wenigen
+begleitet, zu entkommen. Aber er stürzte auf der Flucht am Abhang des
+Kapitols und ward von einem der Wütenden - Publius Satureius und Lucius
+Rufus stritten sich später um die Henkerehre - vor den Bildsäulen der
+sieben Könige am Tempel der Treue durch einen Knüttelschlag auf die
+Schläfe getötet; mit ihm dreihundert andere Männer, keiner durch
+Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die Körper in den
+Tiberfluß gestürzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche seines Bruders
+zur Bestattung zu vergönnen. Solch einen Tag hatte Rom noch nicht
+erlebt. Der mehr als hundertjährige Hader der Parteien während der
+ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe geführt, wie
+diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der
+Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurück. Man
+hatte nur die Wahl, eine große Zahl der zuverlässigsten Parteigenossen
+der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf
+die Gesamtheit zu übernehmen; das letztere geschah. Man hielt offiziell
+daran fest, daß Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und
+rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man
+überwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus’ Mitschuldige
+einer besonderen Kommission und ließ deren Vormann, den Konsul Publius
+Popillius, dafür sorgen, daß durch Blutsentenzen gegen eine große
+Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachträglich eine Art
+rechtlichen Gepräges aufgedrückt ward (622 132). Nasica, gegen den vor
+allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut
+hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu
+vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwänden nach Asien gesandt und bald
+darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die
+gemäßigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius
+Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner;
+Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte,
+verteidigte sie später im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner
+Rückkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich öffentlich
+darüber zu erklären, ob er die Tötung seines Schwagers billige oder
+nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, daß, wofern er nach
+der Krone getrachtet habe, er mit Recht getötet worden sei.
+
+Versuchen wir über diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu
+gelangen. Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefährlichen
+Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gründung neuer
+Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfügung stehenden
+italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein
+Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den
+obwaltenden politischen und sozialen Verhältnissen zweckmäßig. Die
+Aufteilung der Domänen ferner war an sich keine politische Parteifrage;
+sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgeführt werden, ohne daß die
+bestehende Verfassung geändert, das Regiment der Aristokratie irgend
+erschüttert ward. Ebensowenig konnte hier von einer Rechtsverletzung
+die Rede sein. Anerkanntermaßen war der Eigentümer des okkupierten
+Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloß geduldeter Besitzer in
+der Regel nicht einmal den gutgläubigen Eigentumsbesitz sich
+zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte, stand ihm entgegen, daß
+gegen den Staat nach römischem Landrecht die Verjährung nicht lief. Die
+Domänenaufteilung war keine Aufhebung, sondern eine Ausübung des
+Eigentums; über die formelle Rechtsbeständigkeit derselben waren alle
+Juristen einig. Allein damit, daß die Domänenaufteilung weder der
+bestehenden Verfassung Eintrag tat noch eine Rechtsverletzung in sich
+schloß, war der Versuch, diese Rechtsansprüche des Staats jetzt
+durchzuführen, politisch noch keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl
+in unsern Tagen erinnert hat, wenn ein großer Grundherr rechtlich ihm
+zustehende, aber tatsächlich seit langen Jahren nicht erhobene
+Ansprüche plötzlich in ihrem ganzen Umfang geltend zu machen beginnt,
+konnte mit gleichem und besserem Rechte auch gegen die Gracchische
+Rogation eingewendet werden. Unleugbar hatten diese okkupierten Domänen
+zum Teil seit dreihundert Jahren sich in erblichem Privatbesitz
+befunden; das Bodeneigentum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt
+leichter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert,
+war an diesen Grundstücken so gut wie verschollen und die jetzigen
+Inhaber durchgängig durch Kauf oder sonstigen lästigen Erwerb zu diesen
+Besitzungen gelangt. Der Jurist mochte sagen was er wollte; den
+Geschäftsleuten erschien die Maßregel als eine Expropriation der großen
+Grundbesitzer zum Besten des agrikolen Proletariats; und in der Tat
+konnte auch kein Staatsmann sie anders bezeichnen. Daß die leitenden
+Männer der catonischen Epoche nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr
+klar die Behandlung eines ähnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen
+Falles. Das im Jahre 543 (211) zur Domäne geschlagene Gebiet von Capua
+und den Nachbarstädten war in den folgenden unruhigen Zeiten
+tatsächlich größtenteils in Privatbesitz übergegangen. In den letzten
+Jahren des sechsten Jahrhunderts, wo man vielfältig, besonders durch
+Catos Einfluß bestimmt, die Zügel des Regiments wieder straffer anzog,
+beschloß die Bürgerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu
+nehmen und zum Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172).
+Dieser Besitz beruhte auf einer nicht durch vorgängige Aufforderung,
+sondern höchstens durch Konnivenz der Behörden gerechtfertigten und
+nirgends viel über ein Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation;
+dennoch wurden die Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des
+Senats von dem Stadtprätor Publius Lentulus ausgeworfene
+Entschädigungssumme aus dem Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger
+bedenklich vielleicht, aber doch auch nicht unbedenklich war es, daß
+für die neuen Landlose Erbpachtqualität und Unveräußerlichkeit
+festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in bezug auf die
+Verkehrsfreiheit hatten Rom groß gemacht, und es vertrug sich sehr
+wenig mit dem Geist der römischen Institutionen, daß diese neuen Bauern
+von oben herab angehalten wurden, ihr Grundstück in einer bestimmten
+Weise zu bewirtschaften, und daß für dasselbe Retraktrechte und alle
+der Verkehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmaßregeln
+festgestellt wurden.
+
+———————————————————————-
+
+5 Die bisher nur aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19)
+teilweise bekannte Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des
+Licinianus (p. 4) wesentlich vervollständigt. Die beiden Berichte sind
+dahin zu vereinigen, daß Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm
+festgesetzte Entschädigungssumme expropriierte, bei den wirklichen
+Grundeigentümern aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren
+nicht befugt war und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten.
+
+———————————————————————
+
+Man wird einräumen, daß diese Einwürfe gegen das Sempronische
+Ackergesetz nicht leicht wogen. Dennoch entscheiden sie nicht. Jene
+tatsächliche Expropriation der Domänenbesitzer war sicher ein großes
+Übel; aber sie war dennoch das einzige Mittel, um einem noch viel
+größeren, ja den Staat geradezu vernichtenden, dem Untergang des
+italischen Bauernstandes, wenigstens auf lange hinaus zu steuern. Darum
+begreift man es wohl, warum die ausgezeichnetsten und patriotischsten
+Männer auch der konservativen Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und
+Scipio Aemilianus, die Domänenaufteilung an sich billigten und
+wünschten.
+
+Aber wenn der Zweck des Tiberius Gracchus wohl der großen Majorität der
+einsichtigen Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat
+dagegen der Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und
+patriotischen Mannes Billigung gefunden und finden können. Rom wurde um
+diese Zeit regiert durch den Senat. Wer gegen die Majorität des Senats
+eine Verwaltungsmaßregel durchsetzte, der machte Revolution. Es war
+Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die
+Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den
+Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der
+Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäßig beseitigte, die
+tribunizische Interzession durch die mit unwürdiger Sophistik
+gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloß für jetzt, sondern
+für alle Folgezeit zerstörte. Indes nicht hierin liegt die sittliche
+und politische Verkehrtheit von Gracchus’ Tun. Für die Geschichte gibt
+es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat zum Kampf
+aufruft gegen die andere, der ist gewiß ein Revolutionär, aber
+vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswürdiger Staatsmann. Der
+wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur zu
+oft übersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen
+Bürgerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das des
+Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und
+denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Männer nicht weniger
+verschieden als die ehemalige römische Bürgerschaft, welche mit den
+Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die
+die Provinzen Asia und Africa einrichten ließ. Jene war eine städtische
+Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein
+großer Staat, dessen Angehörige in einer und derselben Urversammlung zu
+vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso
+klägliches wie lächerliches Resultat gab. Es rächte sich hier der
+Grundfehler der Politie des Altertums, daß sie nie vollständig von der
+städtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem
+System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist.
+Die souveräne Versammlung Roms war, was die souveräne Versammlung in
+England sein würde, wenn statt der Abgeordneten die sämtlichen Wähler
+Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von
+allen Interessen und allen Leidenschaften wüst bewegte Masse, in der
+die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die
+Verhältnisse zu übersehen noch auch nur einen eigenen Entschluß zu
+fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen
+Ausnahmefällen abgesehen, unter dem Namen der Bürgerschaft ein paar
+hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufällig
+aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Bürgerschaft fand
+sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen
+Repräsentanten in der Regel ungefähr ebenso genügend vertreten wie in
+den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repräsentierenden
+dreißig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluß
+nichts war als ein Beschluß desjenigen Magistrats, der die
+Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und
+Zenturienbeschluß in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige
+obligate Jaherren legalisierter Beschluß des vorschlagenden Beamten.
+Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man es
+auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Bürger
+erschienen, so war dagegen in den bloßen Volksversammlungen, den
+Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte,
+Ägypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes
+bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht
+abstimmen noch beschließen. Allein tatsächlich beherrschte dasselbe die
+Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam etwas
+darauf an, ob diese wüste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt ward,
+schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner
+auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen
+anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner
+Äußerung über den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da, sprach
+er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt zu
+schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, daß ich
+die losgebunden fürchten werde, die ich in Ketten auf den Sklavenmarkt
+geschickt habe?
+
+Daß man der verrosteten Maschine der Komitien sich für die Wahlen und
+für die Gesetzgebung bediente, war schon übel genug. Aber wenn man
+diesen Massen, zunächst den Komitien und faktisch auch den Kontionen,
+Eingriffe in die Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur
+Verhütung solcher Eingriffe aus den Händen wand; wenn man gar diese
+sogenannte Bürgerschaft aus dem gemeinen Säckel sich selber Äcker samt
+Zubehör dekretieren ließ; wenn man einem jeden, dem die Verhältnisse
+und sein Einfluß beim Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf
+einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen
+Projekten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken,
+so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht
+bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten
+in der vorigen Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen
+nie an die Bürgerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat
+verhandelt. Darum bezeichnen Gracchus’ Zeitgenossen, die Männer des
+Scipionischen Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den
+ersten Schritt auf jener verhängnisvollen Bahn, als den Anfang des
+Verfalles der römischen Größe. Darum ließen dieselben den Urheber der
+Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende
+gleichsam einen Damm gegen künftige ähnliche Versuche, während sie doch
+die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie
+festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, daß
+redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedrängt wurden,
+den Übeltäter preiszugeben und die Frucht der Übeltat sich anzueignen.
+Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne nicht
+unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es ist
+für ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, daß
+dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische
+Regiment war so durchaus verderblich, daß der Bürger, der den Senat ab-
+und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem
+Gemeinwesen mehr noch nützte, als er ihm schadete. Allein dieser kühne
+Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich fähiger,
+durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht
+wußte, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den
+Pöbel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis
+die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam drängte in die
+demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission, den
+Eingriffen in das öffentliche Kassenwesen, den durch Not und
+Verzweiflung erpreßten weiteren “Reformen”, der Leibwache von der Gasse
+und den Straßengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt für
+Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten
+Geister der Revolution den unfähigen Beschwörer packten und
+verschlangen. Die ehrlose Schlächterei, durch die er endigte, richtet
+sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging;
+allein die Märtyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus’ Namen
+geschmückt hat, kam hier wie gewöhnlich an den unrechten Mann. Die
+besten seiner Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus
+die Katastrophe gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: “Also
+verderb’ ein jeder, der ähnliche Werke vollführt hat!” Und als des
+Tiberius jüngerer Bruder Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten,
+schrieb ihm die eigene Mutter: “Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein
+Ende finden? Wo wird die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend
+uns zu schämen, den Staat verwirrt und zerrüttet zu haben?” So sprach
+nicht die besorgte Mutter, sondern die Tochter des Überwinders der
+Karthager, die noch ein größeres Unglück kannte und erfuhr als den Tod
+ihrer Kinder.
+
+
+
+
+KAPITEL III.
+Die Revolution und Gaius Gracchus
+
+
+Tiberius Gracchus war tot; indes seine beiden Werke, die Landaufteilung
+wie die Revolution, überlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen
+Proletariat gegenüber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber
+nicht diesen Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes
+benutzen; durch den wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz
+selbst weit mehr befestigt als erschüttert worden. Die reformistisch
+gesinnte Partei der Aristokratie, welche die Domanialteilung offen
+begünstigte, an ihrer Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623
+131) Zensor, und Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei
+des Scipio Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war,
+selbst im Senat für jetzt die Oberhand, und ausdrücklich wies ein
+Senatsbeschluß die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach dem
+Sempronischen Gesetz sollten dieselben jährlich von der Gemeinde
+ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein
+bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natürlich, daß die Wahl
+wieder und wieder auf dieselben Männer fiel und eigentliche Neuwahlen
+nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat für
+Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders
+Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und
+auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschäft in
+Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der tätigsten Führer
+der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo.
+Schon die Namen dieser Männer bürgen dafür, daß man das Geschäft der
+Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer und
+Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafür nicht an
+Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius,
+derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhänger des Tiberius Gracchus
+leitete, verzeichnet auf einem öffentlichen Denkmal sich als “den
+ersten, der auf den Domänen die Hirten aus- und dafür die Bauern
+eingewiesen habe”, und auch sonst ist es überliefert, daß sich die
+Aufteilung über ganz Italien erstreckte und überall in den bisherigen
+Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch
+Gründung neuer Gemeinden, sondern durch Verstärkung der bestehenden die
+Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen Ackergesetzes.
+Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser Aufteilungen bezeugen
+die zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die Gracchischen
+Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel
+eine gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung
+zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und Landaufteilungen ins
+Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten aber reden die Zahlen
+der Bürgerliste. Die Schätzung, die im Jahre 623 (131) veröffentlicht
+ward und tatsächlich wohl Anfang 622 (132) stattfand, ergab nicht mehr
+als 319000 waffenfähige Bürger, wogegen sechs Jahre später (629 125)
+statt des bisherigen Sinkens sich die Ziffer auf 395000, also um 76000
+hebt - ohne allen Zweifel lediglich infolge dessen, was die
+Teilungskommission für die römische Bürgerschaft tat. Ob dieselbe auch
+bei den Italikern die Bauernstellen in demselben Verhältnis vermehrt
+hat, läßt sich bezweifeln; auf alle Fälle war das, was sie erreichte,
+ein großes und segensreiches Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab
+ohne vielfache Verletzung achtbarer Interessen und bestehender Rechte.
+Das Teilherrenamt, besetzt mit den entschiedensten Parteimännern und
+durchaus Richter in eigener Sache, ging mit seinen Arbeiten
+rücksichtslos und selbst tumultuarisch vor; öffentliche Anschläge
+forderten jeden, der dazu imstande sei, auf über die Ausdehnung des
+Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde
+zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloß neue und alte
+Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch
+vielfältig wirkliches Privateigentum, über das der Inhaber sich nicht
+genügend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie laut und
+großenteils begründet auch die Klagen waren, der Senat ließ die
+Aufteiler gewähren: es war einleuchtend, daß, wenn man einmal die
+Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches rücksichtsloses
+Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte
+dies Gewährenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland war
+nicht lediglich in den Händen römischer Bürger; große Strecken
+desselben waren einzelnen bundesgenössischen Gemeinden durch Volks-
+oder Senatsbeschlüsse zu ausschließlicher Benutzung zugewiesen, andere
+Stücke von latinischen Bürgern erlaubter- oder unerlaubterweise
+okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen
+an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern
+einfach okkupierten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder
+vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschlüsse, ja selbst des
+durch Gemeindebeschlüsse den italischen Gemeinden überwiesenen
+Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum
+verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private
+nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder
+Untertanengemeinden, daß Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht
+einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt
+verletzten römischen Bürger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich
+mochten jene nicht besser begründet sein als diese; aber wenn es in
+diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehörigen handelte,
+so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es
+politisch richtig sei, die militärisch so wichtigen und schon durch
+zahlreiche rechtliche und faktische Zurücksetzungen Rom sehr
+entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche
+Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die
+Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen,
+die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern die
+Reform gegen die Oligarchie geschützt hatte, und sie allein vermochte
+jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu
+setzen. Die Latiner wandten sich persönlich an den hervorragendsten
+Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu
+schützen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluß ^1 ward
+im Jahre 625 (129) durch Volksschluß der Teilkommission die
+Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was
+Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die
+Konsuln gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen
+zukam. Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren
+Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs
+gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen
+Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr, zum
+illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschäft
+unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber
+da die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch
+sie notgedrungen untätig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst
+Männer wie Publius Mucius und Quintus Metellus mißbilligten Scipios
+Zwischentreten. In anderen Kreisen begnügte man sich nicht mit der
+Mißbilligung. Auf einen der nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag
+über die Verhältnisse der Latiner angekündigt; am Morgen dieses Tages
+ward er tot in seinem Bette gefunden. Daß der sechsundfünfzigjährige in
+voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher
+öffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede für den nächsten
+Tag zu entwerfen, sich früher als gewöhnlich in sein Schlafgemach
+zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist,
+kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn
+gerichteten Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand
+den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner Zeit bei
+nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie an den Tag gekommen, und es
+ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch
+überlieferten Gerüchte zu wiederholen noch den kindischen Versuch
+anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur daß der
+Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehört haben muß, ist
+einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die
+aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten
+nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, daß ihre Führer, Gaius
+Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozeß möchten
+verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung
+einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebensosehr
+einen Gegner wie einen Verbündeten verlor, ließ nicht ungern die Sache
+ruhen. Die Menge und die gemäßigten Männer standen entsetzt; keiner
+mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten gegen die Reform
+gemißbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd sich
+abwandte und seinen vier Söhnen befahl, die Bahre des großen Gegners
+zur Feuerstätte zu tragen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt;
+verhüllten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht des Siegers von
+Zama hinausgetragen, ohne daß jemand zuvor des Toten Antlitz hätte
+sehen dürfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten mit der
+Hülle des hohen Mannes zugleich die Spuren des Verbrechens.
+
+—————————————————————————————
+
+^1 Hierher gehört ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit
+nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz über Quästionengerichte gemeint
+ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut
+triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep.
+28; oben S. 95).
+
+—————————————————————————————
+
+Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio
+Aemilianus, aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an völliger
+Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm
+gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere
+Rolle zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Fähigkeiten
+sich bewußt, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor
+seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch
+einer Rettung, in der klaren Einsicht, nur übel damit ärger zu machen,
+in sich niederzukämpfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica
+gutheißen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Mörder
+verteidigen zu müssen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst
+gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des
+Sempronischen Gesetzes, dem die römische Bürgerschaft einen Zuwachs von
+gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese
+Domanialteilung hemmte, als sie genützt hatte, was sie nützen konnte.
+Daß es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von
+wohlmeinenden Männern bestritten; aber die Tatsache, daß auch Gaius
+Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und
+unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht
+gar sehr dafür, daß Scipio im wesentlichen den richtigen Moment traf.
+Beide Maßregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der
+Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber
+mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld
+für sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort den
+Tod von Mörderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer
+nicht minder für Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern
+gefallen wäre.
+
+Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die
+revolutionäre Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine
+konstituierte Vorstandschaft besaß, hatte schon bei Scipios Lebzeiten
+hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplänkelt; namentlich
+Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als
+Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die
+geheime Abstimmung in den Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt,
+soweit es nicht bereits früher geschehen war, und sogar den
+bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um
+dasselbe Amt für das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also das
+Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert war,
+gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand
+Scipios vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint nach
+dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschränkenden Klauseln,
+wieder ein- und durchgebracht 2. Die hauptsächliche Absicht der Partei
+ging indes auf Reaktivierung des faktisch außer Tätigkeit gesetzten
+Teilungsamts: unter den Führern ward der Plan ernstlich besprochen, die
+Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben
+entgegenstellten, durch Erteilung des Bürgerrechts an dieselben zu
+beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu
+begegnen, ließ der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius
+Pennus die Ausweisung sämtlicher Nichtbürger aus der Hauptstadt
+beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des
+Gaius Gracchus, und der durch diese gehässige Maßregel hervorgerufenen
+Gärung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus
+Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul mit
+dem Antrag, den Bürgern der Bundesgemeinden die Gewinnung der römischen
+Bürgerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht gewonnen,
+gegen Straferkenntnisse die Provokation an die römischen Komitien
+einzuräumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte inzwischen die
+Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius Gracchus
+abwesend als Quästor in Sardinien - und scheiterte an dem Widerstand
+nicht bloß des Senats, sondern auch der Bürgerschaft, die der
+Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt
+war. Flaccus verließ Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten zu
+übernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den großen
+Plänen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit aus der
+üblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten
+Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an der Grenze
+von Latium und Kampanien am Hauptübergang über den Liris inmitten eines
+großen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die zweite
+Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewöhnliche
+Wortführer für die sämtlichen latinischen Kolonien, begann infolge der
+Zurückweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen Rom
+- seit hundertfünfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen, nicht
+durch auswärtige Mächte herbeigeführten Schilderhebung Italiens gegen
+die römische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den Brand, ehe er
+andere bundesgenössische Gemeinden ergriff, im Keime zu ersticken;
+nicht durch die Überlegenheit der römischen Waffen, sondern durch den
+Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward der
+Prätor Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr
+Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf
+einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria
+gegründet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die
+umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare
+Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose
+Hochverratsprozesse verfolgten nicht bloß die Fregellaner, sondern auch
+die Führer der Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der
+Aristokratie als an dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen
+erschien Gaius Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den
+gefürchteten Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie
+die übliche Ablösung unterließ und sodann, da er ohne hieran sich zu
+kehren dennoch zurückkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen
+Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die
+Bürgerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh auf,
+bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewöhnlich
+zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631
+(123) ernannt. Der Krieg war also erklärt. Die demokratische Partei,
+immer arm an leitenden Kapazitäten, hatte neun Jahre hindurch
+notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu
+Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als
+Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Führerschaft
+berufen war.
+
+——————————————————————————
+
+2 Die Restriktion, daß die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn
+es an anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht
+schwer zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den älteren
+Ordnungen anzugehören (Römisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473),
+sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein.
+
+——————————————————————————
+
+Gaius Gracchus (601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um
+neun Jahre älteren Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem
+Treiben abgewandt, ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er
+hatte vor Numantia unter seinem Schwager und später in Sardinien mit
+Auszeichnung gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an
+Leidenschaft war er dem Tiberius entschieden überlegen. An der Klarheit
+und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich später in dem Drang der
+verschiedenartigsten, zur praktischen Durchführung seiner zahlreichen
+Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen wußte, erkannte man die
+echte staatsmännische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum
+Tode getreuen Hingebung, mit der seine näheren Freunde an ihm hingen,
+die Liebefähigkeit dieses adligen Gemütes. Der Energie seines Wollens
+und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene
+Zurückhaltung während der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht mit
+geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in die
+innerste Brust zurückgedrängte Erbitterung gegen die Partei, die das
+Vaterland zerrüttet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch diese
+furchtbare Leidenschaft seines Gemütes ist er der erste Redner
+geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn
+wahrscheinlich den ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen.
+Noch unter den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind
+manche selbst in diesem Zustande von herzerschütternder Mächtigkeit 3,
+und wohl begreift man, daß, wer sie hörte oder auch nur las,
+fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. Dennoch,
+sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn selber der
+Zorn, so daß dem glänzenden Sprecher die Rede trübe oder stockend floß.
+Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und Leidens. In Gaius’
+Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, von jener etwas
+sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren Gutmütigkeit, die
+den politischen Gegner mit Bitten und Tränen umstimmen möchte; mit
+voller Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach
+dem Ziel der Rache. “Auch mir”, schrieb ihm seine Mutter, “scheint
+nichts schöner und herrlicher, als dem Feinde zu vergelten, wofern dies
+geschehen kann, ohne daß das Vaterland zugrunde geht. Ist aber dies
+nicht möglich, da mögen unsere Feinde bestehen und bleiben, was. sie
+sind, tausendmal lieber, als daß das Vaterland verderbe.” Cornelia
+kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis war eben das Gegenteil.
+Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung, Rache um jeden Preis,
+mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darüber zugrunde gehen - die
+Ahnung, daß das Verhängnis ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder,
+trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem tödlich Verwundeten, der sich
+auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch den Sohn, diese
+tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus italienische Natur hat
+die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, und sie hat recht daran
+getan.
+
+———————————————————————————-
+
+3 So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen
+Worte: “Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler
+Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüßt habe und nun
+niemand weiter übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius
+Gracchus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu
+lassen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und
+ein Sprößling dieses Geschlechts übrig bleibe: so möchte wohl solches
+mir von euch bereitwillig zugestanden werden.”
+
+———————————————————————————
+
+Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativreform vor die
+Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge
+einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung,
+als deren erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung
+erscheint, daß es dem Volkstribun freistehen solle, sich für das
+folgende Jahr wiederwählen zulassen. Wenn hiermit für das Volkshaupt
+die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber schützenden Stellung
+gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu
+sichern, das heißt die hauptstädtische Menge - denn daß auf das nur von
+Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlaß war, hatte
+sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Führer zu
+knüpfen. Hierzu diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen
+Getreideverteilung. Schon früher war das dem Staat aus den
+Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu Schleuderpreisen an
+die Bürgerschaft abgegeben worden. Gracchus verfügte, daß fortan jedem
+persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bürger monatlich eine
+bestimmte Quantität - es scheint 5 Modii (5/6 preuß. Scheffel) -aus den
+öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As
+(2½ Groschen) oder noch nicht die Hälfte eines niedrigen
+Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch Anlage der neuen
+Sempronischen Speicher die öffentlichen Kornmagazine erweitert wurden.
+Diese Verteilung, welche folgeweise die außerhalb der Hauptstadt
+lebenden Bürger ausschloß und notwendig die ganze Masse des
+Bürgerproletariats nach Rom ziehen mußte, sollte das hauptstädtische
+Bürgerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie
+abgehangen hatte, in die Klientel der Führer der Bewegungspartei
+bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache
+und eine feste Majorität in den Komitien gewähren. Zu mehrerer
+Sicherheit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den
+Zenturiatkomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf
+Vermögensklassen in jedem Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben,
+abgeschafft; statt dessen sollten in Zukunft sämtliche Zenturien
+durcheinander in einer jedesmal durch das Los festzustellenden
+Reihenfolge stimmen. Wenn diese Bestimmungen wesentlich darauf
+hinzielten, durch das hauptstädtische Proletariat dem neuen
+Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die Hauptstadt und
+damit über den Staat, die freieste Disposition über die Maschine der
+Komitien und die Möglichkeit zu verschaffen, den Senat und die Beamten
+nötigenfalls zu terrorisieren, so faßte doch der Gesetzgeber daneben
+allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen Schäden mit Ernst
+und Nachdruck an. Zwar die italische Domänenfrage war in gewissem Sinne
+abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und selbst das Teilungsamt
+bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius durchgebrachte Ackergesetz
+kann nichts neu festgesetzt haben als die Zurückgabe der verlorenen
+Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Daß hiermit nur das Prinzip gerettet
+werden sollte und die Ackerverteilung wenn überhaupt, doch nur in sehr
+beschränktem Umfang wiederaufgenommen ward, zeigt die Bürgerliste, die
+für die Jahre 629 (125) und 639 (115) genau dieselbe Kopfzahl ergibt.
+Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb nicht weiter, weil das von
+römischen Bürgern in Besitz genommene Domanialland wesentlich bereits
+verteilt war, die Frage aber wegen der von den Latinern benutzten
+Domänen nur in Verbindung mit der sehr schwierigen über die Ausdehnung
+des Bürgerrechts wiederaufgenommen werden durfte. Dagegen tat er einen
+wichtigen Schritt hinaus über das Ackergesetz des Tiberius, indem er
+die Gründung von Kolonien in Italien, namentlich in Tarent und vor
+allem in Capua, beantragte, also auch das von Gemeinde wegen
+verpachtete, bisher von der Aufteilung ausgeschlossene Domanialland zur
+Verteilung mitheranzog, und zwar nicht zur Verteilung nach dem
+bisherigen, die Gründung neuer Gemeinden ausschließenden Verfahren,
+sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne Zweifel sollten auch diese
+Kolonien die Revolution, der sie ihre Existenz verdankten, dauernd
+verteidigen helfen. Bedeutender und folgenreicher noch war es, daß
+Gaius Gracchus zuerst dazu schritt, das italische Proletariat in den
+überseeischen Gebieten des Staats zu versorgen, indem er an die Stätte,
+wo Karthago gestanden, 6000 vielleicht nicht bloß aus den römischen
+Bürgern, sondern auch aus den italischen Bundesgenossen erwählte
+Kolonisten sendete und der neuen Stadt Iunonia das Recht einer
+römischen Bürgerkolonie verlieh. Die Anlage war wichtig, aber wichtiger
+noch das damit hingestellte Prinzip der überseeischen Emigration, womit
+für das italische Proletariat ein bleibender Abzugskanal und in der Tat
+eine mehr als provisorische Hilfe eröffnet, freilich aber auch der
+Grundsatz des bisherigen Staatsrechts aufgegeben ward, Italien als das
+ausschließlich regierende, das Provinzialgebiet als das ausschließlich
+regierte Land zu betrachten.
+
+Zu diesen auf die große Frage hinsichtlich des Proletariats unmittelbar
+bezüglichen Maßregeln kam eine Reihe von Verfügungen, die hervorgingen
+aus der allgemeinen Tendenz, gegenüber der altväterischen Strenge der
+bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemäßere Grundsätze zur
+Geltung zu bringen. Hierher gehören die Milderungen im Militärwesen.
+Hinsichtlich der Länge der Dienstzeit bestand nach altem Recht keine
+andere Grenze, als daß kein Bürger vor vollendetem siebzehnten und nach
+vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum ordentlichen Felddienst
+pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung Spaniens der Dienst
+anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich verfügt zu sein,
+daß, wer sechs Jahre hintereinander im Felde gestanden, dadurch
+zunächst ein Recht erhalte auf den Abschied, wenngleich dieser vor der
+Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht schützte; später, vielleicht um
+den Anfang dieses Jahrhunderts, kam der Satz auf, daß zwanzigjähriger
+Dienst zu Fuß oder zehnjähriger zu Roß überhaupt vom weiteren
+Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte die vermutlich öfter
+gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Bürger vor dem begonnenen
+achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und beschränkte auch, wie es
+scheint, die zur vollen Befreiung von der Militärpflicht erforderliche
+Zahl von Feldzügen; überdies wurde den Soldaten die Kleidung, deren
+Betrag ihnen bisher am Solde gekürzt worden war, fortan vom Staat
+unentgeltlich geliefert.
+
+———————————————————————-
+
+4 So möchte die Angabe Appians (Hisp. 78), daß sechsjähriger Dienst
+berechtige, den Abschied zu fordern, auszugleichen sein mit der
+bekannteren des Polybios (6, 19), über welche Marquardt (Handbuch, Bd.
+6, S. 381) richtig urteilt. Die Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen,
+läßt sich nicht weiter bestimmen, als daß die erste wahrscheinlich
+schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die Gracchen, S. 231), die zweite
+sicher schon zu Polybios’ Zeit bestand. Daß Gracchus die Zahl der
+gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint aus Asconius (Corn. p.
+68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio fr. 83; 7 Bekker.
+
+——————————————————————-
+
+Hierher gehört ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung
+hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch
+noch mehr, als es schon geschehen war, zu beschränken, die zum Teil
+selbst in der Militärgerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit
+Einführung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, über den
+Bürger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhängen außer
+nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Bürgers bald nach der
+Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn,
+Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen
+beschränkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu
+suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das
+Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhängen oder vielmehr zu
+bestätigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschränkt, daß
+Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am häufigsten zu
+Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und überhaupt Mord, der
+Bürgerschaft entzog und an ständige Kommissionsgerichte überwies,
+welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns
+gesprengt werden konnten und von denen nicht bloß keine Appellation an
+die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig wie die der
+althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde
+unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, namentlich bei den
+eigentlich politischen Prozessen, zwar auch längst Regel, daß der
+Angeklagte auf freiem Fuß prozessiert und ihm gestattet ward, durch
+Aufgebung seines Bürgerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten;
+denn die Vermögensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den
+Exilierten noch treffen. Allein vorgängige Verhaftung und vollständige
+Exekution blieben hier wenigstens rechtlich möglich und wurden selbst
+gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius
+Hostilius Tubulus, Prätor 612 (142), der wegen eines schweren
+Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des
+Exilrechts festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem
+Zivilprozeß hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich
+von Haus aus Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und
+höchstens auf Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig
+befundenen Mann gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur
+förmlichen Strafe. Auch dieses unfreiwillige Exil ließ gleich dem
+freiwilligen dem Verbannten das Vermögen, soweit es nicht zur
+Befriedigung der Ersatzforderungen und in Geldbußen daraufging.
+
+Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus zwar nichts geneuert; doch
+behaupten sehr achtbare Zeugen, daß er den verschuldeten Leuten auf
+Minderung oder Erlaß der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn
+es richtig ist, gleichfalls diesen radikal populären Maßregeln
+beizuzählen ist.
+
+Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine
+materielle Verbesserung ihrer Lage teils erwartete, teils empfing,
+arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl
+erkennend, wie unsicher jede bloß auf das Proletariat gebaute
+Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war er vor allem darauf bedacht,
+die Aristokratie zu spalten und einen Teil derselben in sein Interesse
+zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die
+Aristokratie der Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus
+erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei wesentlich ungleichen
+Massen, die man einigermaßen der Lords- und der Cityaristokratie
+Englands vergleichen kann. Die eine umfaßte den tatsächlich
+geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien, die der
+unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre ungeheuren
+Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille
+Gesellschafter bei den großen Assoziationen verwerteten. Den Kern der
+zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschäftsführer
+dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Groß- und Geldgeschäfte
+im ganzen Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Es ist schon
+dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des
+sechsten Jahrhunderts allmählich der senatorischen Aristokratie an die
+Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschließung der Senatoren von dem
+kaufmännischen Betrieb durch den von dem Vorläufer der Gracchen Gaius
+Flaminius veranlaßten Claudischen Volksschluß, eine äußere Scheidewand
+zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In der
+gegenwärtigen Epoche beginnt die kaufmännische Aristokratie unter dem
+Namen der “Ritterschaft” einen entscheidenden Einfluß auch in
+politischen Angelegenheiten zu üben. Diese Bezeichnung, die
+ursprünglich nur der diensttuenden Bürgerreiterei zukam, übertrug sich
+allmählich, wenigstens im gewöhnlichen Sprachgebrauch, auf alle
+diejenigen, die als Besitzer eines Vermögens von mindestens 400000
+Sesterzen zum Roßdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff
+also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme römische
+Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die
+Inkompatibilität des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes
+gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfähigen
+ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im großen und ganzen
+genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die
+Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat
+eingetretenen, namentlich also die jüngeren Glieder der senatorischen
+Familien nicht aufhörten, als Ritter zu dienen und also zu heißen, ja
+die eigentliche Bürgerreiterei, das heißt die achtzehn Ritterzenturien,
+infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren, fortfuhren,
+vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich zu ergänzen.
+
+Dieser Stand der Ritter, das heißt wesentlich der vermögenden
+Kaufleute, berührte vielfältig sich unsanft mit dem regierenden Senat.
+Es war eine natürliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und
+den Männern, denen mit dem Gelde der Rang gekommen war. Die regierenden
+Herren, vor allem die besseren von ihnen, standen der Spekulation
+ebenso fern, wie die politischen Fragen und Koteriefehden den Männern
+der materiellen Interessen gleichgültig waren. Jene und diese waren
+namentlich in den Provinzen schon öfter hart zusammengestoßen; denn
+wenn auch im allgemeinen die Provinzialen weit mehr Grund hatten, sich
+über die Parteilichkeit der römischen Beamten zu beschweren als die
+römischen Kapitalisten, so ließen doch die regierenden Herren vom Senat
+sich nicht dazu herbei, den Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten
+der Geldmänner auf Kosten der Untertanen so durchaus und unbedingt die
+Hand zu leihen, wie es von jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht
+gegen einen gemeinschaftlichen Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen
+war, klaffte zwischen der Adels- und Geldaristokratie ein tief gehender
+Riß; und geschickter als sein Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das
+Bündnis gesprengt war und die Kaufmannschaft auf seiner Seite stand.
+Daß die äußeren Vorrechte, durch die späterhin die Männer von
+Ritterzensus von der übrigen Menge sich unterschieden - der goldene
+Fingerreif statt des gewöhnlichen eisernen oder kupfernen und der
+abgesonderte und bessere Platz bei den Bürgerfesten -, der Ritterschaft
+zuerst von Gaius Gracchus verliehen worden sind, ist nicht gewiß, aber
+nicht unwahrscheinlich. Denn aufgekommen sind sie auf jeden Fall um
+diese Zeit, und wie die Erstreckung dieser bisher im wesentlichen
+senatorischen Privilegien auf den von ihm emporgehobenen Ritterstand
+ganz in Gracchus’ Art ist, so war es auch recht eigentlich sein Zweck,
+der Ritterschaft den Stempel eines zwischen der senatorischen
+Aristokratie und der gemeinen Menge in der Mitte stehenden, ebenfalls
+geschlossenen und privilegierten Standes aufzudrücken; und ebendies
+haben jene Standesabzeichen, wie gering sie an sich auch waren und wie
+viele Ritterfähige auch ihrer sich nicht bedienen mochten, mehr
+gefördert als manche an sich weit wichtigere Verordnung. Indes die
+Partei der materiellen. Interessen, wenn sie dergleichen Ehren auch
+keineswegs verschmäht, ist doch dafür allein nicht zu haben. Gracchus
+erkannte es wohl, daß sie zwar dem Meistbietenden von Rechts wegen
+zufällt, aber es auch eines hohen und reellen Gebotes bedurfte; und so
+bot er ihr die asiatischen Gefälle und die Geschworenengerichte.
+
+Das System der römischen Finanzverwaltung, sowohl die indirekten
+Steuern wie auch die Domanialgefälle durch Mittelsmänner zu erheben,
+gewährte an sich schon dem römischen Kapitalistenstand auf Kosten der
+Steuerpflichtigen die ausgedehntesten Vorteile. Die direkten Abgaben
+indes bestanden entweder, wie in den meisten Ämtern, in festen, von den
+Gemeinden zu entrichtenden Geldsummen, was die Dazwischenkunft
+römischer Kapitalisten von selber ausschloß, oder, wie in Sizilien und
+Sardinien, in einem Bodenzehnten, dessen Erhebung für jede einzelne
+Gemeinde in den Provinzen selbst verpachtet ward und wobei also
+regelmäßig die vermögenden Provinzialen, und sehr häufig die
+zehntpflichtigen Gemeinden selbst, den Zehnten ihrer Distrikte
+pachteten und dadurch die gefährlichen römischen Mittelsmänner von sich
+abwehrten. Als sechs Jahre zuvor die Provinz Asia an die Römer gefallen
+war, hatte der Senat sie im wesentlichen nach dem ersten System
+einrichten lassen. Gaius Gracchus 5 stieß diese Verfügung durch einen
+Volksschluß um und belastete nicht bloß die bis dahin fast steuerfreie
+Provinz mit den ausgedehntesten indirekten und direkten Abgaben,
+namentlich dem Bodenzehnten, sondern er verfügte auch, daß diese
+Hebungen für die gesamte Provinz und in Rom verpachtet werden sollten -
+eine Bestimmung, die die Beteiligung der Provinzialen tatsächlich
+ausschloß und die in der Mittelsmännerschaft für Zehnten, Hutgeld und
+Zölle der Provinz Asia eine Kapitalistenassoziation von kolossaler
+Ausdehnung ins Leben rief. Charakteristisch für Gracchus’ Bestreben,
+den Kapitalistenstand vom Senat unabhängig zu machen, ist dabei noch
+die Bestimmung, daß der völlige oder teilweise Erlaß der Pachtsumme
+nicht mehr, wie bisher, vom Senat nach Ermessen bewilligt werden,
+sondern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle.
+Wenn hier dem Kaufmannsstand eine Goldgrube eröffnet und in den
+Mitgliedern der neuen Gesellschaft ein selbst der Regierung
+imponierender Kern der hohen Finanz, ein “Senat der Kaufmannschaft”
+konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den
+Geschworenengerichten eine bestimmte öffentliche Tätigkeit zugewiesen.
+Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die
+Bürgerschaft gehörte, war bei den Römern von Haus aus sehr eng und
+ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten
+Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die
+Zivilsachen, wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils
+stehenden, teils außerordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher
+waren jene und diese ausschließlich aus dem Senat genommen worden;
+Gracchus überwies sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den
+ständigen und nichtständigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an
+den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der
+Ritterzenturien aus den sämtlichen ritterfähigen Individuen jährlich
+neu formieren ließ und die Senatoren geradezu, die jungen Männer der
+senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze
+von den Gerichten ausschloß 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die
+Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Männer gelenkt ward, die in
+den großen kaufmännischen Assoziationen namentlich der asiatischen und
+sonstigen Steuerpächter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein
+sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen;
+und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietäten in
+ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des
+also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war,
+daß, während bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die
+Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Bürgerschaft als
+legislative Behörde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren,
+jetzt die Geldaristokratie nicht bloß auf der soliden Basis der
+materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse
+sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende
+Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast
+ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute
+gegen den Adel mußten fortan in den Wahrsprüchen der Geschworenen einen
+nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den
+Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator
+nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Großhändlern und
+Bankiers die Entscheidung zu erwarten über seine bürgerliche Existenz.
+Die Fehden zwischen den römischen Kapitalisten und den römischen
+Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den
+bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der
+Reichen war nicht bloß gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt,
+daß der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand.
+
+——————————————————————————-
+
+5 Daß er und nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt
+jetzt Fronto in den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11,
+10; Cic. rep. 3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6.
+
+6 Die zunächst durch diese Veränderung des Richterpersonals veranlaßte
+neue Gerichtsordnung für die ständige Kommission wegen Erpressungen
+besitzen wir noch zum großen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des
+Servilischen oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes.
+
+————————————————————————-
+
+Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand,
+ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden
+Aristokratie. Den Senat stürzen hieß einerseits durch gesetzliche
+Neuerungen eine wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch
+Maßregeln mehr persönlicher und transitorischer Art die bestehende
+Aristokratie zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die
+Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschließlich zugestanden; Gracchus
+nahm sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen
+durch Komitialgesetze, das heißt tatsächlich durch tribunizische
+Machtsprüche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den
+Senat möglichst beschränkte, teils selbst in der umfassendsten Weise
+die Geschäfte an sich zog. Die Maßregeln der ersten Gattung sind schon
+erwähnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu
+fragen, über die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den
+öffentlichen Finanzen eine dauernde und drückende Last aufbürdete, über
+die Domänen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats- und
+Volks-, sondern allein nach Volksschluß aussandte, über die
+Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene
+Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstieß und eine durchaus andere
+an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden
+Geschäften des Senats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen
+Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der
+bisher dabei geübte indirekte Druck auf die höchsten Beamten dadurch
+beschränkt, daß der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen
+festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewählt seien. Mit
+beispielloser Tätigkeit endlich konzentrierte Gaius die
+verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschäfte in seiner
+Person: Er selbst überwachte die Getreideverteilung, erlas die
+Geschworenen, gründete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden
+Amtes persönlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloß die
+Bauverträge ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die
+Konsulwahlen - kurz er gewöhnte das Volk daran, daß in allen Dingen ein
+Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung
+des senatorischen Kollegiums durch sein kräftiges und gewandtes
+persönliches Regiment.
+
+Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die
+senatorische Gerichtsallmacht. Daß er die Senatoren als Geschworene
+beseitigte, ward schon gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiktion,
+die der Senat als oberste Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmefällen
+gestattete. Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem
+erneuerten Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung außerordentlicher
+Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluß, wie diejenige gewesen
+war, welche nach seines Bruders Ermordung über dessen Anhänger zu
+Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Maßregeln ist, daß der Senat
+die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das
+Staatshaupt ihm zu lassen für gut befand. Indes diese konstitutiven
+Maßregeln genügten nicht; auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie
+wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein bloßer Akt der Rache war es,
+daß dem zuletzt erwähnten Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt und
+dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen erfolgtem
+Tode der Haß der Demokraten hauptsächlich traf, Publius Popillius,
+genötigt ward, das Land zu meiden. Merkwürdigerweise ging dieser Antrag
+nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der Bezirksversammlung durch
+- ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch
+der Einfluß der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches,
+aber weit minder zu rechtfertigendes Dekret, den gegen Marcus Octavius
+gerichteten Antrag, daß, wer durch Volksschluß sein Amt verloren habe,
+auf immer unfähig sein solle, einen öffentlichen Posten zu bekleiden,
+nahm Gaius zurück auf Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die
+Schande, durch die Legalisierung einer notorischen
+Verfassungsverletzung das Recht offen zu verhöhnen und an einem
+Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius gesprochen und nur der
+Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie verstand, gemäß gehandelt
+hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von ganz anderer Wichtigkeit als
+diese Maßregeln war Gaius’ freilich wohl schwerlich zur Ausführung
+gelangter Plan, den Senat durch 300 neue Mitglieder, das heißt ungefähr
+ebenso viele als er bisher hatte, zu verstärken und diese aus dem
+Ritterstand durch Komitien wählen zu lassen - eine Pairskreierung im
+umfassendsten Stil, die den Senat in die vollständigste Abhängigkeit
+von dem Staatsoberhaupt gebracht haben würde.
+
+————————————————————————
+
+7 Dies und das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur dürften identisch
+sein.
+
+————————————————————————
+
+Dies ist die Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und
+während der beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in
+ihren wesentlichsten Punkten durchgeführt hat, soweit wir sehen, ohne
+auf irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stoßen und ohne zur
+Erreichung seiner Zwecke Gewalt anwenden zu müssen. Die Reihenfolge, in
+der die Maßregeln durchgebracht sind, läßt in der zerrütteten
+Überlieferung sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende
+Frage müssen wir die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht,
+daß uns mit dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da
+über die Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius
+keineswegs wie sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und
+weiter gedrängt ward, sondern offenbar einen wohl überlegten,
+umfassenden Plan in einer Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen
+vollständig realisierte.
+
+Daß nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmütige Leute in alter
+und neuer Zeit gemeint haben, die römische Republik auf neue
+demokratische Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der
+Form eines durch stehende Wiederwahl lebenslänglich und durch
+unbedingte Beherrschung der formell souveränen Komitien absolut
+gemachten Amtes, eines unumschränkten Volkstribunats auf Lebenszeit,
+anstatt der Republik die Tyrannis, das heißt nach heutigem
+Sprachgebrauch die nicht feudalistische und nicht theokratische, die
+napoleonisch absolute Monarchie einführen wollte, das offenbart die
+Sempronische Verfassung selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der
+Augen hat und haben will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte
+deutlich und deutlicher seine Werke es sagen, den Sturz des
+Senatsregiments bezweckte, was blieb in einem Gemeinwesen, das über die
+Urversammlungen hinaus und für das der Parlamentarismus nicht vorhanden
+war, nach dem Sturz des aristokratischen Regiments für eine andere
+politische Ordnung möglich als die Tyrannis? Träumer, wie sein
+Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit
+heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war
+ein Staatsmann, und wenn auch die Formulierung, die der große Mann für
+sein großes Werk bei sich selber aufstellte, uns nicht überliefert und
+in sehr verschiedener Weise denkbar ist, so wußte er doch
+unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die beabsichtigte Usurpation der
+monarchischen Gewalt sich verkennen läßt, so wenig wird, wer die
+Verhältnisse übersieht, den Gracchus deswegen tadeln. Eine absolute
+Monarchie ist ein großes Unglück für die Nation, aber ein minderes als
+eine absolute Oligarchie; und wer der Nation statt des größeren das
+kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am
+wenigsten eine so leidenschaftlich ernste und allem Gemeinen so
+fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichtsdestoweniger darf
+sie es nicht verschweigen, daß durch die ganze Gesetzgebung desselben
+eine Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das
+gemeine Beste bezweckt, andererseits den persönlichen Zwecken, ja der
+persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war ernstlich bemüht,
+für die sozialen Schäden eine Abhilfe zu finden und dem einreißenden
+Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich durch seine
+Getreideverteilungen, die für alles arbeitsscheue hungernde
+Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein
+hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich
+groß. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des
+Senats und deckte namentlich den skandalösen Schacher, den Manius
+Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit
+schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben
+Mannes Werk, daß der souveräne Pöbel der Hauptstadt für seine
+Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren ließ.
+Gracchus mißbilligte lebhaft die schändliche Ausplünderung der
+Provinzen und veranlaßte nicht bloß, daß in einzelnen Fällen mit
+heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der
+durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio
+Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein
+ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch überlieferte er
+zugleich durch die Einführung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen
+mit gebundenen Händen der Partei der materiellen Interessen und damit
+einer noch rücksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen
+war, und führte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die
+nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind
+und menschlich heißen konnte - beides, weil er teils der Partei der
+Geldmänner, teils für seine Getreideverteilungen und die sonstigen den
+Finanzen neu aufgebürdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen
+bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und eine
+geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmäßige Anordnungen
+bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem auf einer
+fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter Usurpationen;
+dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete Staat, soweit
+irgend möglich, zwar nicht über die politischen Parteien, aber doch
+außerhalb derselben zu stellen bemüht sein wird, absichtlich mitten in
+den Strudel der Revolution. Allerdings fällt die Schuld dieser
+Zwiespältigkeit in Gaius Gracchus’ Tendenzen zu einem sehr großen Teil
+mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich hier an der Schwelle
+der Tyrannis entwickelt sich das verhängnisvolle sittlich-politische
+Dilemma, daß derselbe Mann zugleich, man möchte sagen, als
+Räuberhauptmann sich behaupten und als der erste Bürger den Staat
+leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon
+bedenkliche Opfer haben bringen müssen. Indes ganz läßt sich Gaius
+Gracchus’ Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklären; es wirkt
+daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die glühende Rache, die,
+den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das
+Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er über seine
+Geschworenenordnung und ähnliche auf die Spaltung der Aristokratie
+abzweckende Maßregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den
+Markt geworfen, damit die Bürger - die vornehmen, versteht sich - mit
+ihnen sich untereinander zerfleischen möchten. Er war ein politischer
+Brandstifter; nicht bloß die hundertjährige Revolution, die von ihm
+datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des Gaius
+Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes
+entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten
+hauptstädtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden
+von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollständig
+demoralisiert, teils seiner Macht sich bewußt ward und mit seinen bald
+pinselhaften, bald bübischen Ansprüchen und seiner Fratze von
+Volkssouveränität ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem
+römischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und
+doch - dieser größte der politischen Verbrecher ist auch wieder der
+Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der
+römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Gaius Gracchus.
+Von ihm rührt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten
+Kriegsrechts begründete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser
+praktischen Anwendung doch dem älteren Staatsrecht fremde Satz her, daß
+aller Grund und Boden der untertänigen Gemeinden als Privateigentum des
+Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunächst benutzt ward, um dem
+Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden beliebig zu besteuern, wie
+es in Asien, oder auch zur Anlegung von Kolonien zu verwenden, wie es
+in Afrika geschah, und der späterhin ein fundamentaler Rechtssatz der
+Kaiserzeit ward. Von ihm rührt die Taktik der Demagogen und Tyrannen
+her, auf die materiellen Interessen sich stützend die regierende
+Aristokratie zu sprengen, überhaupt aber durch eine strenge und
+zweckmäßige Administration anstatt des bisherigen Mißregiments die
+Verfassungsänderung nachträglich zu legitimieren. Auf ihn gehen vor
+allem zurück die Anfänge einer Ausgleichung zwischen Rom und den
+Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie unvermeidlich mit sich
+bringen mußte; der Versuch, das durch die italische Rivalität zerstörte
+Karthago wiederaufzubauen und überhaupt der italischen Emigration den
+Weg in die Provinzen zu eröffnen, ist das erste Glied in der langen
+Kette dieser folgen- und segensreichen Entwicklung. Es sind in diesem
+seltenen Mann und in dieser wunderbaren politischen Konstellation Recht
+und Schuld, Glück und Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier
+sich wohl ziemen mag, was der Geschichte nur selten ziemt, mit dem
+Urteil zu verstummen.
+
+—————————————————————-
+
+8 Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der
+Einziehung des Attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von
+Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren durch
+Mehrgebot erstanden ward, bezieht sich ein noch vorhandenes längeres
+Redebruchstück des Gracchus. Er bemerkt darin, daß von den Senatoren
+keiner umsonst sich um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere, und
+fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede stehende Gesetz (über die
+Verleihung Phrygiens an König Mithradates) teile der Senat sich in drei
+Klassen: solcher, die dafür seien, solcher, die dagegen seien, und
+solcher, die stillschwiegen - die ersten seien bestochen von König
+Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien
+die feinsten, denn diese ließen sich von den Gesandten beider Könige
+bezahlen und jede Partei glauben, daß in ihrem Interesse geschwiegen
+werde.
+
+————————————————————————————
+
+Als Gracchus die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich
+vollendet hatte, legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk.
+Noch schwankte die Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen.
+Wie die Führer der demokratischen Partei darüber dachten, hatte sich
+sattsam gezeigt; sie wünschten natürlich die möglichste Ausdehnung des
+römischen Bürgerrechts, nicht bloß, um die von den Latinern okkupierten
+Domänen zur Verteilung bringen zu können, sondern vor allem, um mit der
+ungeheuren Masse der Neubürger ihre Klientel zu verstärken, um die
+Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten
+Wählerschaft immer vollständiger in ihre Gewalt zu bringen, überhaupt
+um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der
+republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor.
+Allein hier stießen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und
+vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, was
+sie verstand und nicht verstand, ihr souveränes Ja gab; aus dem
+einfachen Grunde, daß diesen Leuten das römische Bürgerrecht sozusagen
+wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei sehr
+handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz und
+gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionäre zu vermehren. Die
+Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus
+entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl,
+der eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden
+Fraktion der Bürgerschaft als auch des ungeduldigen Drängens der
+Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte
+Gracchus, wahrscheinlich durch übernommene Verpflichtungen gegen die
+Bundesgenossen gedrängt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit
+Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das früher von ihm ohne Erfolg
+beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat
+übernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle
+Bürger-, den übrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht der
+Latiner zu gewähren. Allein der Antrag stieß auf die vereinigte
+Opposition des Senats und des hauptstädtischen Pöbels; welcher Art
+diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein
+aus der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Bürgerschaft gegen
+den Antrag hielt, zufällig erhaltenes Bruchstück. “So meint ihr also”,
+sprach der Optimat, “wenn ihr den Latinern das Bürgerrecht erteilt,
+eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch künftig in der
+Bürgerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz
+finden zu können? Glaubt ihr nicht vielmehr, daß jene Leute jeden Fleck
+besetzen werden?” Bei der Bürgerschaft des fünften Jahrhunderts, die an
+einem Tage allen Sabinern das Bürgerrecht verlieh, hätte ein solcher
+Redner wohl mögen ausgezischt werden: die des siebenten fand seine
+Gründe ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen Preis
+der Assignation der latinischen Domänen weitaus zu niedrig. Schon daß
+der Senat es durchsetzte, die sämtlichen Nichtbürger vor dem
+entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu dürfen, zeigte
+das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der
+Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz
+einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, daß Gracchus
+nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des
+Marcus Octavius zu bereiten.
+
+Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der dem Senat den Mut gab, den
+Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen. Die Angriffsmittel waren
+wesentlich dieselben, mit denen früher Gracchus selbst operiert hatte.
+Gracchus’ Macht ruhte auf der Kaufmannschaft und dem Proletariat,
+zunächst auf dem letzteren, das in diesem Kampf, in welchem
+militärischer Rückhalt beiderseits nicht vorhanden war, gleichsam die
+Rolle der Armee spielte. Es war einleuchtend, daß der Senat weder der
+Kaufmannschaft noch dem Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen
+mächtig genug war; jeder Versuch, die Getreidegesetze oder die neue
+Geschworenenordnung anzugreifen, hätte, in etwas plumperer oder etwas
+zivilisierterer Form, zu einem Straßenkrawall geführt, dem der Senat
+völlig wehrlos gegenüberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend,
+daß Gracchus selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig
+zusammengehalten wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und daß sowohl
+die Männer der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche
+Pöbel sein Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie
+von Gaius Gracchus. Gracchus’ Institutionen standen, für den Augenblick
+wenigstens, unerschütterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner
+eigenen Oberhauptschaft. Die Schwäche dieser lag darin, daß in
+Gracchus’ Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein
+Treuverhältnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle
+anderen Elemente der Lebensfähigkeit vorhanden waren, nur ein einziges
+nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das
+jeder Staat auf tönernen Füßen steht. In der Verwerfung des Antrags,
+die Latiner in den Bürgerverband aufzunehmen, war es mit schneidender
+Deutlichkeit zu Tage gekommen, daß die Menge in der Tat niemals für
+Gracchus stimmte, sondern immer nur für sich; die Aristokratie entwarf
+den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf
+seinem eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von
+selbst, daß der Senat dem Proletariat nicht bloß das gleiche bot, was
+Gracchus ihm an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch
+mehr. Im Auftrag des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus
+vor, den Gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins zu erlassen
+und ihre Landlose für freies und veräußerungsfähiges Eigentum zu
+erklären; ferner, statt in den überseeischen, das Proletariat zu
+versorgen in zwölf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu
+deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer ernennen möge; nur
+Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische
+Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen
+Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten,
+wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes
+Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint
+nicht mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich
+einzelne Verfügungen des Drusus, wie die Bestimmung, daß dem
+latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von
+dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt werden dürfen, die
+allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner für andere Verluste
+zu entschädigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die
+Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das
+Bestreben, das schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere
+gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, die
+Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die
+italischen Domänen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn
+man die gesamten, den Latinern überwiesenen konfiszierte -, das für
+zwölf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Bürgerschaften
+erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein möge,
+endlich Drusus’ Erklärung, daß er mit der Ausführung seines Gesetzes
+nichts zu tun haben wolle, so verwünscht gescheit, daß sie beinahe
+herzlich albern war. Indes für das plumpe Wild, das man fangen wollte,
+war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht
+entscheidend, daß Gracchus, auf dessen persönlichen Einfluß alles
+ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete und
+sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch sein
+heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Hände
+arbeitete. Das “Volk” ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso
+bereitwillig wie früher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem
+neuesten Wohltäter wie üblich dadurch, daß es dem früheren einen
+mäßigen Tritt versetzte und, als dieser sich für das Jahr 633 (121) zum
+drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwählte; wobei
+übrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher
+beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach
+die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter
+Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloß im allgemeinen
+gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius
+der Mann, der als Prätor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die
+Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am
+wenigsten bedenklichen Häupter der strengen Adelspartei, ein Mann fest
+entschlossen, den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu
+beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hörte
+Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius
+sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nützlichste und die
+unpopulärste Maßregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago.
+Hatte man bisher die überseeischen Kolonien nur mittelbar durch die
+lockenderen italischen angegriffen, so wühlten jetzt afrikanische
+Hyänen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und die
+römischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daß solches Wunder und
+Zeichen ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der
+gottverfluchten Stätte. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen
+gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausführung der
+Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung
+derselben ernannten Männern eben damals die Kolonisten auslas, erschien
+an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Bürgerschaft
+berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu
+bewirken. Gewalttätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern
+nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes
+hatte er nicht wehren können, daß ein großer Teil seiner Getreuen, der
+Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den
+Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der
+ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Händel kaum zu vermeiden.
+In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius
+Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen
+Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide
+in der Hand, die “schlechten Bürger” an, die Halle zu räumen, und
+schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger
+Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstieß. Es entstand
+ein furchtbarer Lärm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen
+und die Urheberschaft der gotteslästerlichen Mordtat von sich
+abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund
+mehr, indem er, ohne dessen in dem Getümmel gewahr zu werden, einem
+eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein
+verschollenes Statut aus der Zeit des alten Ständehaders die schwerste
+Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Maßregeln,
+um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die
+Vorgänge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand zu
+unterdrücken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel am
+Markte; mit dem frühesten Morgen füllte das Kapitol sich mit kretischen
+Bogenschützen, Rathaus und Markt mit den Männern der Regierungspartei,
+den Senatoren und der ihnen anhängigen Fraktion der Ritterschaft,
+welche auf Geheiß des Konsuls sämtlich bewaffnet und jeder von zwei
+bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner
+von der Aristokratie; selbst der ehrwürdige, hochbejahrte und der
+Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert
+erschienen. Ein tüchtiger und in den spanischen Kriegen erprobter
+Offizier, Decimus Brutus, übernahm das Kommando der bewaffneten Macht;
+der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche des
+Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam
+überrascht, erschien in Masse an der Tür, um die Leiche in Augenschein
+zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurück, um das weitere zu
+beschließen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre
+Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum
+Straßenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu verschmähen schien, mit
+dem Verhängnis zu kämpfen. Als man am andern Morgen die auf dem Kapitol
+und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben beide
+sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der
+Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus
+dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte sich im
+Tempel der Diana, während er zugleich seinen jüngeren Sohn Quintus in
+das feindliche Lager sandte, um womöglich einen Vergleich zu
+vermitteln. Dieser kam zurück mit der Meldung, daß die Aristokratie
+unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des Senats
+an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen
+Verletzung der tribunizischen Majestät sich zu verantworten. Gracchus
+wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und
+wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwächlichen
+Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der
+beiden vorgeladenen Führer bloß der junge Quintus Flaccus abermals sich
+einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu stellen,
+als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung; er ließ
+den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den Aventin,
+indem er zugleich in den Straßen ausrufen ließ, daß dem, der das Haupt
+des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe
+buchstäblich mit Gold aufwiegen werde, sowie daß sie jedem, der vor dem
+Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit
+gewährleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der
+tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstürmte den
+fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist
+geringe Leute. Marcus Flaccus flüchtete mit seinem ältesten Sohn in ein
+Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden.
+Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva
+zurückgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als
+sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor,
+womöglich sich für bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus ließ sich
+bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu
+entkommen; allein den Berg hinabeilend stürzte er und verstauchte sich
+den Fuß. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden
+Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin,
+Publius Laetorius auf der Tiberbrücke, da wo einst Horatius Cocles
+allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern
+sich entgegen und ließen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur
+von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer
+des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man später die beiden Leichen;
+es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber
+den Tod gegeben. Die Köpfe der beiden gefallenen Führer wurden der
+Regierung, wie befohlen, eingehändigt, auch dem Überbringer des Kopfes
+des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene
+Preis und darüber ausgezahlt, dagegen die Mörder des Flaccus, geringe
+Leute, mit leeren Händen fortgeschickt. Die Körper der Getöteten wurden
+in den Fluß geworfen, die Häuser der Führer zur Plünderung der Menge
+preisgegeben. Gegen die Anhänger des Gracchus begann der Prozeßkrieg im
+großartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker aufgeknüpft
+worden sein, unter ihnen der achtzehnjährige Quintus Flaccus, der an
+dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner Jugend und seiner
+Liebenswürdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem Freiplatz unter dem
+Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem Frieden von Camillus
+geweihte Altar und andere, bei ähnlichen Veranlassungen errichtete
+Heiligtümer der Eintracht sich befanden, wurden diese kleinen Kapellen
+niedergerissen und aus dem Vermögen der getöteten oder verurteilten
+Hochverräter, das bis auf die Mitgift ihrer Frauen hin konfisziert
+ward, nach Beschluß des Senats von dem Konsul Lucius Opimius ein neuer
+glänzender Tempel der Eintracht mit dazugehöriger Halle errichtet -
+allerdings war es zeitgemäß, die Zeichen der alten Eintracht zu
+beseitigen und eine neue zu inaugurieren über den Leichen der drei
+Enkel des Siegers von Zama, die nun alle, zuerst Tiberius Gracchus,
+dann Scipio Aemilianus, endlich der jüngste und gewaltigste von ihnen,
+Gaius Gracchus, von der Revolution verschlungen worden waren. Der
+Gracchen Andenken blieb offiziell geächtet; nicht einmal das
+Trauergewand durfte Cornelia um den Tod ihres letzten Sohnes anlegen.
+Allein die leidenschaftliche Anhänglichkeit, die gar viele im Leben für
+die beiden edlen Brüder und vornehmlich für Gaius empfunden hatten,
+zeigte sich in rührender Weise auch nach ihrem Tode in der fast
+religiösen Verehrung, die die Menge ihrem Andenken und an den Stätten,
+wo sie gefallen waren, allen polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz
+fortfuhr zu zollen.
+
+
+
+
+KAPITEL IV.
+Die Restaurationsherrschaft
+
+
+Das neue Gebäude, das Gaius Gracchus aufgeführt hatte, war mit seinem
+Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie der seines Bruders zunächst
+nichts als ein Akt der Rache; allein es war doch zugleich ein sehr
+wesentlicher Schritt zur Restauration der alten Verfassung, daß aus der
+Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu begründen, die Person
+des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle um so mehr, weil nach
+der Katastrophe des Gaius und dem gründlichen Opimischen Blutgericht im
+Augenblick schlechterdings niemand vorhanden war, der, sei es durch
+Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen Staatsoberhaupt, sei es durch
+überwiegende Fähigkeit, auch nur zu einem Versuch, den erledigten Platz
+einzunehmen, sich legitimiert gefühlt hätte. Gaius war ohne Kinder aus
+der Welt gegangen, und auch Tiberius’ hinterlassener Knabe starb, bevor
+er zu seinen Jahren kam; die ganze sogenannte Volkspartei war
+buchstäblich ohne irgendeinen auch nur namhaft zu machenden Führer. Die
+Gracchische Verfassung glich einer Festung ohne Kommandanten; Mauern
+und Besatzung waren unversehrt, aber der Feldherr fehlte, und es war
+niemand vorhanden, der an den leeren Platz sich hätte setzen mögen als
+eben die gestürzte Regierung.
+
+So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus’ erblosem Abgang stellte das
+Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war
+dies um so natürlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich
+formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden
+Ausnahmehandlungen tatsächlich zunichte gemacht worden war. Dennoch
+würde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter
+sehen wollte als ein Zurückgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit
+Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist
+immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte
+Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu
+gerüstet in dem Heerzeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat den
+Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so
+fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stücken mit der Verfassung der
+Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner
+Zeit wo nicht ganz zu beseitigen, doch gründlich zu reinigen von den
+der regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fürs
+erste reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius
+Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfügungen aus der
+Verbannung zurück (633 121) und machte den Gracchanern den Prozeßkrieg;
+wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius nach
+Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu
+bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist für
+den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die
+Aristokratie an Gesinnungstüchtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst
+Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und noch
+kürzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine
+Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Überläufer; als gegen ihn von
+den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, ließ
+ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden
+Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So
+erwiesen die Männer der Reaktion in Personenfragen sich als lautere
+Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der
+Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung griff
+die Reaktion zunächst nicht an und schonte nicht bloß die
+Kaufmannschaft und das hauptstädtische Proletariat, sondern huldigte,
+wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner
+diesen Mächten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener,
+als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloß, weil
+die Gracchische Revolution in den Gemütern der Zeitgenossen noch lange
+nachzitterte und ihre Schöpfungen schützte: die Hegung und Pflegung
+wenigstens der Pöbelinteressen vertrug sich in der Tat aufs
+vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es ward
+dabei nichts weiter geopfert als bloß das gemeine Beste. Alle
+diejenigen Maßregeln, die von Gaius Gracchus zur Förderung des
+öffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich
+begreiflicherweise auch den unpopulärsten Teil seiner Gesetzgebung,
+ließ die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich
+angegriffen wie der großartigste seiner Entwürfe: der Plan, zunächst
+die römische Bürgerschaft und Italien, sodann Italien und die Provinzen
+rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied zwischen bloß
+herrschenden und zehrenden und bloß dienenden und arbeitenden
+Staatsangehörigen weggeräumt ward, zugleich durch die umfassendste und
+systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, die soziale Frage
+zu lösen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen grämlichen
+Eigensinn der Altersschwäche drängte die restaurierte Oligarchie den
+Grundsatz der abgelebten Geschlechter, daß Italien das herrschende Land
+und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben müsse, der Gegenwart
+aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus war die Zurückweisung
+der italischen Bundesgenossen eine vollendete Tatsache und war gegen
+den großen Gedanken der überseeischen Kolonisation ein sehr ernsthafter
+Angriff gerichtet worden, der die nächste Ursache zu Gracchus’
+Untergang geworden war. Nach seinem Tode wurde der Plan der
+Wiederherstellung Karthagos mit leichter Mühe von der Regierungspartei
+beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon verteilten Landlose
+den Empfängern geblieben sind. Zwar daß der demokratischen Partei auf
+einem andern Punkte eine ähnliche Gründung gelang, konnte sie nicht
+wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der Alpen, welche Marcus
+Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre 636 (118) die Kolonie
+Narbo (Narbonne) begründet, die älteste überseeische Bürgerstadt im
+Römischen Reiche, welche trotz vielfacher Anfechtungen der
+Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung derselben vom Senat
+gestellten Antrags dennoch, geschützt wahrscheinlich durch die
+beteiligten kaufmännischen Interessen, dauernden Bestand gehabt hat.
+Indes abgesehen von dieser, in ihrer Vereinzelung nicht sehr
+bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung, die Landanweisung
+außerhalb Italiens durchgängig zu verhindern.
+
+In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die
+italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und,
+soweit sie bereits zur Ausführung gekommen waren, wieder aufgelöst; nur
+die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, daß die neue
+Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite trat.
+Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domänen bereits
+verteilt war, blieb den Empfängern; die darauf von Gracchus im
+Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschränkungen, Erbzins und
+Veräußerungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen die
+noch nach Okkupationsrecht besessenen Domänen, welche außer dem von den
+Latinern genutzten Domanialland zum größten Teil bestanden haben werden
+in dem gemäß des Gracchischen Maximum den Inhabern gebliebenen
+Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten definitiv
+zuzuwenden und auch die Möglichkeit künftiger Aufteilung abzuschneiden.
+Freilich waren es zunächst diese Ländereien, aus denen die 36000 von
+Drusus verheißenen neuen Bauernhufen hätten gebildet werden sollen;
+allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter dem Monde diese
+Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands belegen sein
+möchten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen Dienst
+getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine Kolonie von
+Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus
+zurückgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats
+der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre
+635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester
+Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstädtischen Pöbel zugute kam -
+es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward:
+noch weitergehende Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der
+Getreidespenden, wehrte der verständige Volkstribun Gaius Marius ab.
+Acht Jahre später (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch
+einen neuen Volksschluß ^1 das okkupierte Domanialland geradezu
+umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen
+Okkupanten. Man fügte hinzu, daß in Zukunft Domanialland überhaupt
+nicht okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine
+Weide offenstehen solle; für den letzteren Fall ward durch Feststellung
+eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stück Groß- und fünfzig Stück
+Kleinvieh dafür gesorgt, daß nicht der große Herdenbesitzer den kleinen
+tatsächlich ausschließe - verständige Bestimmungen, in denen die
+Schädlichkeit des übrigen längst aufgegebenen Okkupationssystems
+nachträglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst
+getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine
+Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die römische Aristokratie
+also für sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in ihren
+Händen war, sich in Eigentum umwandeln ließ, beschwichtigte sie
+zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, daß sie denselben an
+dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie
+genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh,
+aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran
+ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der üblen Lage, daß in den
+wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der
+hauptstädtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene mit
+der römischen Regierung eine Art Bündnis eingingen und gegen die
+ausschweifenden Absichten mancher römischen Demagogen bei dem Senat
+Schutz suchten und fanden.
+
+————————————————————————————
+
+^1 Er ist großenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit
+dreihundert Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen
+Ackergesetzes.
+
+————————————————————————————
+
+Während also die restaurierte Regierung es sich angelegen sein ließ,
+die Keime zum Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden
+waren, gründlich auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen
+von Gracchus erweckten feindlichen Mächten gegenüber vollständig
+ohnmächtig. Das hauptstädtische Proletariat blieb bestehen in
+anerkannter Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand
+ließ der Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwärtig auch dieses
+Joch eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es
+waren unwürdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden
+nicht, daß sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das
+Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die
+verfassungsmäßigen Beschränkungen des Stimmrechts der Freigelassenen
+einschärfte, war für lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der
+senatorischen Regierung, ihren Pöbeltyrannen wieder zu bändigen. Der
+Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einführung
+der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurückgabe der Prozesse an
+senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wünschte, aber
+auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domänen zu
+verschleudern, sondern einem einflußreichen Stande gegenüber eine
+Maßregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation
+der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl
+aber trugen diese Maßregeln dazu bei, das niemals aufrichtige
+Einverständnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und
+dem Proletariat noch ferner zu trüben. Beide wußten sehr genau, daß der
+Senat alle Zugeständnisse nur aus Angst und widerwillig gewährte; weder
+durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsrücksichten an die Herrschaft
+des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit, jedem anderen
+Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot, dieselben
+Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine
+Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte
+die Restauration weiter mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen
+Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der
+Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloß auf den gleichen Basen wie
+die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch
+schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Pöbel im Bunde
+zweckmäßige Institutionen umstieß, aber den Gassenbanden wie den
+kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen machtlos. Sie saß auf
+dem erledigten Thron mit bösem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den
+Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfähig, auch nur
+planmäßig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen außer, wo der
+eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die
+eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der
+kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein unübertroffenes
+Ideal der Mißregierung.
+
+——————————————————————————
+
+2 Das zeigt, wie bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend
+gemacht, daß bei Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats
+genannt werde; allein teils beweist dies nicht genug, teils paßt, was
+daselbst erzählt wird, schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres
+648 (106), und es muß hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder
+in den berichteten Tatsachen.
+
+—————————————————————————-
+
+Es konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem
+und sittlichem Verfall, vor allem aber die höchsten Stände. Die
+Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht überreich an
+Talenten und die Bänke des Senats vollgedrängt von feigem und
+verlottertem adligen Gesindel; indes es saßen doch in demselben auch
+Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus,
+Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und fähige Männer, und
+wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, daß der Senat in
+der Unrechtfertigkeit ein gewisses Maß und ein gewisses Dekorum in dem
+Mißregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestürzt und sodann
+wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der
+Restauration. Hatte die Aristokratie früher regiert schlecht und recht
+und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fühlbare Opposition, so
+hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den
+Abgrund gezeigt, der vor ihren Füßen klaffte. War es ein Wunder, daß
+fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment
+der altadligen Herrenpartei bezeichnete? daß die Regierenden noch
+unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die
+nichtregierende Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? daß
+die Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des
+Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Söhne und
+(wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer
+einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen
+berufene Leute, innerhalb fünfzehn Jahren (631-645 123-109) sämtlich
+zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten,
+von den Schwiegersöhnen und so weiter zu schweigen? daß, je gewalt- und
+grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war, er
+desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder
+Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? daß die Regierenden und die
+Regierten nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien glichen, daß in
+ihrem Krieg kein Völkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich,
+daß, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese
+restaurierte es mit Skorpionen züchtigte. Sie kam zurück; aber sie kam
+weder klüger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der römischen
+Aristokratie so vollständig an staatsmännischen und militärischen
+Kapazitäten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der
+Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafür ist der
+Koryphäe der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus.
+Der Sohn hochadliger, aber unvermögender Eltern und darum genötigt,
+Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich
+auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann
+des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und
+verewigte seinen Namen nicht bloß als Redner und Schriftsteller,
+sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem
+Jahrhundert ausgeführten Staatsbauten. Indes wenn man näher zusieht,
+laufen seine vielgefeierten Großtaten darauf hinaus, daß er als
+Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit
+seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefähr ebenso ernsthafte Siege
+über den revolutionären Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent
+indes darin bestand, ganz ebenso zugänglich und bestechlich zu sein wie
+jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den
+Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und
+vor allem durch seine vornehme und ehrwürdige Erscheinung vor dem
+Publikum den Fabricius zu agieren. In militärischer Hinsicht finden
+sich zwar einige ehrenvolle Ausnahmen tüchtiger Offiziere aus den
+höchsten Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, daß die
+vornehmen Herren, wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten,
+schleunigst aus den griechischen Kriegshandbüchern und den römischen
+Annalen zusammenlasen, was nötig war, um einen militärischen Diskurs zu
+führen und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando
+einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Fähigkeit und erprobter
+Bescheidenheit übergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor
+der Senat einer Versammlung von Königen glich, so spielten diese ihre
+Nachfahren nicht übel die Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser
+restaurierten Adligen hielt völlig die Waage ihre politische und
+sittliche Nichtswürdigkeit. Wenn nicht die religiösen Zustände, auf die
+zurückzukommen sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser Zeit ein
+treues Spiegelbild böten und ebenso die äußere Geschichte in dieser
+Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des römischen Adels als einen
+ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so würden die entsetzlichsten
+Verbrechen, die in den höchsten Kreisen Roms Schlag auf Schlag zum
+Vorschein kamen, allein denselben hinreichend charakterisieren.
+
+Die Verwaltung war nach innen und nach außen, was sie sein konnte unter
+einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens griff mit
+erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie das
+Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen, und
+in ihrem neuen Übermut das Austreiben derselben immer häufiger sich
+selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die Regentropfen im
+Meer. Wie mit der politischen die ökonomische Oligarchie mindestens
+Schritt hielt, zeigt die Äußerung, die ein gemäßigt demokratischer
+Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) tat, daß es in der ganzen
+Bürgerschaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den praktischen
+Kommentar dazu lieferten abermals die Sklavenaufstände, welche in den
+ersten Jahren des Kimbrischen Krieges alljährlich in Italien
+ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii. Diese letzte
+Zusammenrottung war schon so bedeutend, daß gegen sie der städtische
+Prätor mit seiner Legion hatte marschieren müssen und dennoch nicht
+durch Waffengewalt, sondern nur durch tückischen Verrat der
+Insurrektion Herr geworden war. Auch das war eine bedenkliche
+Erscheinung, daß an der Spitze derselben kein Sklave gestanden hatte,
+sondern der römische Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem
+wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven frei und sich zu
+ihrem König zu erklären (650 104). Wie gefährlich die Anhäufung der
+Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien, beweisen die
+Vorsichtsmaßregeln hinsichtlich der Goldwäschereien von Victumulae, die
+seit 611 (143) für Rechnung der römischen Regierung betrieben wurden:
+die Pächter wurden zuerst verpflichtet, nicht über 5000 Arbeiter
+anzustellen, später der Betrieb durch Senatsbeschluß gänzlich
+eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwärtigen war in der Tat
+alles zu fürchten, wenn, wie dies sehr möglich war, ein Heer von
+Transalpinern in Italien eindrang und die großenteils stammverwandten
+Sklaven zu den Waffen rief.
+
+Verhältnismäßig mehr noch litten die Provinzen. Man versuche sich
+vorzustellen, wie es in Ostindien aussehen würde, wenn die englische
+Aristokratie wäre, was in jener Zeit die römische war, und man wird
+eine Vorstellung der Lage von Sizilien und Asia haben. Die
+Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft die Kontrolle der Beamten
+übertrug, nötigte diese, gewissermaßen gemeinschaftliche Sache mit
+jener zu machen und durch unbedingte Nachgiebigkeit gegen die
+Kapitalisten in den Provinzen sich unbeschränkte Plünderungsfreiheit
+und Schutz vor der Anklage zu erkaufen. Neben diesen offiziell und
+halboffiziell angestellten Räubern plünderten Land- und Seepiraten die
+sämtlichen Landschaften des Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen
+Gewässern trieben die Flibustier es so arg, daß selbst die römische
+Regierung sich genötigt sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den
+Schiffen der abhängigen Kaufstädte gebildete Flotte unter dem mit
+prokonsularischer Gewalt bekleideten Prätor Marcus Antonius nach
+Kilikien zu entsenden. Diese brachte nicht bloß eine Anzahl
+Korsarenschiffe auf und nahm einige Felsennester aus, sondern die Römer
+richteten hier sich sogar für die Dauer ein und besetzten zur
+Unterdrückung des Seeraubs in dem Hauptsitz desselben, dem rauhen oder
+westlichen Kilikien, feste militärische Positionen, was der Anfang war
+zur Einrichtung der seitdem unter den römischen Ämtern erscheinenden
+Provinz Kilikien 3. Die Absicht war löblich und der Plan an sich
+zweckmäßig entworfen; nur bewies leider der Fortbestand und die
+Steigerung des Korsarenunwesens in den asiatischen Gewässern und
+speziell in Kilikien, mit wie unzulänglichen Mitteln man von der neu
+genommenen Stellung aus die Piraterie bekämpfte.
+
+——————————————————————————-
+
+3 Vielfältig wird angenommen, daß die Einrichtung der Provinz Kilikien
+erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676
+f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla (App.
+Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus
+Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach
+nichts übrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652
+(102) zu setzen. Hierfür spricht ferner, daß in dieser Zeit die Züge
+der Römer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen,
+ligurischen, dalmatischen, regelmäßig gerichtet erscheinen auf
+Besetzung der Küstenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natürlich, denn
+da die Römer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel, dem
+Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Küsten. Übrigens ist
+daran zu erinnern, daß der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz
+der Landschaft in sich schließt, sondern an sich nichts ist als ein
+selbständiges militärisches Kommando; es ist sehr möglich, daß die
+Römer zunächst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station
+für Schiffe und Mannschaft.
+
+Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den Krieg gegen Tigranes bei dem
+Syrischen Reich (App. Syr. 48); die ehemals zu Kilikien gerechneten
+Landschaften nördlich des Tauros, das sogenannte kappadokische Kilikien
+und Kataonien gehörten jenes seit der Auflösung des Attalischen Reiches
+(Iust. 37, 1; oben S. 62), dieses wohl schon seit dem Frieden mit
+Antiochos zu Kappadokien.
+
+——————————————————————————
+
+Aber nirgends kam die Ohnmacht und die Verkehrtheit der römischen
+Provinzialverwaltung in so nackter Blöße zu Tage wie in den
+Insurrektionen des Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der
+Aristokratie zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein
+schienen. Jene aus Aufständen zu Kriegen anschwellenden
+Schilderhebungen der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134)
+als eine und vielleicht die nächste Ursache der Gracchischen Revolution
+aufgetreten waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger
+Einförmigkeit. Wieder gärte es wie dreißig Jahre zuvor in der gesamten
+Sklavenschaft im Römischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen
+ward schon gedacht. In den attischen Silberbergwerken standen die
+Grubenarbeiter auf, besetzten das Vorgebirge Sunion und plünderten
+längere Zeit hindurch von dort aus die Umgegend; an anderen Orten
+zeigten sich ähnliche Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz
+dieser fürchterlichen Vorgänge Sizilien mit seinen Plantagen und den
+dort zusammenströmenden kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist
+charakteristisch für die Größe des Übels, daß ein Versuch der
+Regierung, den schlimmsten Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu
+steuern, die nächste Ursache der neuen Insurrektion ward. Daß die
+freien Proletarier in Sizilien wenig besser daran waren als die
+Sklavenschaft, hatte schon ihr Verhalten zu dem ersten Aufstand
+gezeigt; nach der Besiegung desselben nahmen die römischen Spekulanten
+ihre Revanche und steckten die freien Provinzialen massenweise unter
+die Sklavenschaften ein. Infolge einer hiergegen im Jahre 650 (204) vom
+Senat erlassenen scharfen Verfügung setzte der damalige Statthalter von
+Sizilien, Publius Licinius Nerva, in Syrakus ein Freiheitsgericht
+nieder, das in der Tat mit Ernst durchgriff; in kurzer Zeit war in
+achthundert Prozessen gegen die Sklavenbesitzer entschieden und die
+Zahl der anhängig gemachten Sachen immer noch im Steigen. Die
+erschreckten Plantagenbesitzer stürmten nach Syrakus, um von dem
+römischen Statthalter die Sistierung solcher unerhörten Rechtspflege zu
+erzwingen; Nerva war schwach genug, sich terrorisieren zu lassen und
+die prozeßbittenden Unfreien mit barschen Worten anzuweisen, daß sie
+sich des lästigen Verlangens von Recht und Gerechtigkeit zu begeben und
+augenblicklich zu denen zurückzukehren hätten, die sich ihre Herren
+nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt dessen sich zusammen und
+gingen in die Berge. Der Statthalter war auf militärische Maßregeln
+nicht gefaßt und selbst der elende Landsturm der Insel nicht sogleich
+zur Hand; weshalb er ein Bündnis abschloß mit einem der bekanntesten
+Räuberhauptleute auf der Insel und durch das Versprechen eigener
+Begnadigung ihn bewog, die aufständischen Sklaven durch Verrat den
+Römern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward man also Herr.
+Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang es, dafür eine
+Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu schlagen, und
+dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie vor allem
+bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergerät der gefallenen und
+flüchtigen Gegner gab die erste Grundlage für ihre militärische
+Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende
+angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren
+Vorgängern, sich nicht unwürdig, von Königen regiert zu werden wie ihre
+Landsleute daheim und - den Lumpenkönig der Heimat bis auf den Namen
+parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als König
+Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), wo diese
+Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den Händen
+der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Städte schon von
+ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen und
+italischen Scharen der römische Statthalter das Sklavenheer vor
+Morgantia überfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die
+Sklaven, obwohl überrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam,
+wich der Landsturm der Insel nicht bloß beim ersten Anprall, sondern,
+da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen
+ließen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit,
+ihren Abschied zu nehmen, und das römische Heer lief vollständig
+auseinander. Hätten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den
+Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren;
+sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmäßig die Freiheit
+geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt
+retten, worauf sodann der römische Statthalter das den Sklaven von den
+Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich
+erzwungen von Rechts wegen kassierte.
+
+Während also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um
+sich griff, brach ein zweiter aus auf der Westküste. An der Spitze
+stand hier Athenion. Er war, eben wie Kleon, einst ein gefürchteter
+Räuberhauptmann in seiner Heimat Kilikien gewesen und von dort als
+Sklave nach Sizilien geführt worden. Ganz wie seine Vorgänger
+versicherte er sich der Gemüter der Griechen und Syrer vor allem durch
+Prophezeiungen und anderen erbaulichen Schwindel; aber kriegskundig und
+einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht, wie die übrigen Führer, die
+ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, sondern bildete aus den
+kriegstüchtigen Mannschaften ein organisiertes Heer, während er die
+Masse zu friedlicher Beschäftigung anwies. Bei der strengen Mannszucht,
+die in seinen Truppen jedes Schwanken und jede unbotmäßige Regung
+niederhielt, und der milden Behandlung der friedlichen Landbewohner und
+selbst der Gefangenen errang er rasche und große Erfolge. Die Hoffnung,
+daß die beiden Führer sich veruneinigen würden, schlug den Römern auch
+diesmal fehl; freiwillig fügte sich Athenion dem weit minder fähigen
+König Tryphon und erhielt damit die Einigkeit unter den Insurgenten.
+Bald herrschten diese so gut wie unumschränkt auf dem platten Lande, wo
+die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven
+hielten; die römischen Behörden waren nicht imstande, gegen sie das
+Feld zu nehmen, und mußten sich begnügen, mit dem sizilischen und dem
+eiligst herangezogenen afrikanischen Landsturm die Städte zu schützen,
+welche sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die
+Rechtspflege stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das
+Faustrecht. Da kein Ackerbürger sich mehr vor das Tor, kein Landmann
+sich in die Stadt wagte, brach die fürchterlichste Hungersnot herein,
+und die städtische Bevölkerung dieser sonst Italien ernährenden Insel
+mußte von den römischen Behörden mit Getreidesendungen unterstützt
+werden. Dazu drohten überall im Innern die Verschwörungen der
+Stadtsklaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst
+Messana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So schwer es der
+Regierung fiel, während des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite
+Armee ins Feld zu stellen, sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651
+(103) ein Heer von 14000 Römern und Italikern, umgerechnet die
+überseeischen Milizen, unter dem Prätor Lucius Lucullus nach der Insel
+zu entsenden. Das vereinigte Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb
+Sciacca und nahm die Schlacht an, die Lucullus anbot. Die bessere
+militärische Organisation gab den Römern den Sieg: Athenion blieb für
+tot auf der Walstatt, Tryphon mußte sich in die Bergfestung Triokala
+werfen; die Insurgenten berieten ernstlich, ob es möglich sei, den
+Kampf länger fortzusetzen. Indes die Partei, die entschlossen war,
+auszuharren bis auf den letzten Mann, behielt die Oberhand; Athenion,
+der in wunderbarer Weise gerettet worden war, trat wieder unter die
+Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor allem aber tat Lucullus
+unbegreiflicherweise nicht das geringste, um seinen Sieg zu verfolgen,
+ja er soll absichtlich die Armee desorganisiert und sein Feldgerät
+verbrannt haben, um die gänzliche Erfolglosigkeit seiner Amtsführung zu
+bedecken und von seinem Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu
+werden. Mag dies wahr sein oder nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius
+(652 102) erlangte nicht bessere Resultate, und beide Generale sind
+später ihrer Amtsführung wegen kriminell belangt und verurteilt worden,
+was freilich auch durchaus kein sicherer Beweis für ihre Schuld ist.
+Athenion, der nach Tryphons Tode (652 102) den Oberbefehl allein
+übernommen hatte, stand siegreich an der Spitze eines ansehnlichen
+Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius Aquillius, der das Jahr zuvor
+unter Marius im Teutonenkriege sich ausgezeichnet hatte, als Konsul und
+Statthalter die Führung des Krieges übernahm. Nach zweijährigen harten
+Kämpfen - Aquillius soll mit Athenion persönlich gefochten und ihn im
+Zweikampf getötet haben - schlug der römische Feldherr endlich die
+verzweifelte Gegenwehr nieder und überwand die Insurgenten in ihren
+letzten Schlupfwinkeln durch Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde
+das Waffentragen untersagt und der Friede zog wieder auf ihr ein, das
+heißt die neuen Peiniger wurden abgelöst von den altgewohnten; wie denn
+namentlich der Sieger selbst unter den zahlreichen und energischen
+Räuberbeamten dieser Zeit eine hervorragende Stelle einnimmt. Für wen
+es aber noch eines Beweises bedurfte, wie das Regiment der
+restaurierten Aristokratie im Innern beschaffen war, den konnte man auf
+die Entstehung wie auf die Führung dieses zweiten fünfjährigen
+Sizilischen Sklavenkrieges verweisen.
+
+Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der römischen
+Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen
+hervor. Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung
+auch nur der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten,
+gewachsen war, so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika,
+wie man jetzt in Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um
+dieselbe Zeit, wo der Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor
+den Augen der erstaunten Welt das Schauspiel aufgeführt, daß gegen die
+gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien und Asien mit einem
+Schlag ihres schweren Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender
+Klientelfürst nicht mittels Waffen, sondern mittels der Erbärmlichkeit
+ihrer regierenden Herren eine vierzehnjährige Usurpation und
+Insurrektion durchzuführen vermochte.
+
+Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich aus bis an die
+Große Syrte, so daß es einerseits grenzte an das Mauretanische Reich
+von Tingis (das heutige Marokko), andererseits an Kyrene und Ägypten,
+und den schmalen Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich,
+südlich und östlich umschloß; es umfaßte außer den alten Besitzungen
+der numidischen Häuptlinge den bei weitem größten Teil desjenigen
+Gebiets, welches Karthago in den Zeiten seiner Blüte in Afrika besessen
+hatte, darunter mehrere bedeutende altphönikische Städte wie Hippo
+regius (Bona) und Groß-Leptis (Lebidah), überhaupt den größten und
+besten Teil des reichen nordafrikanischen Küstenlandes. Nächst Ägypten
+war ohne Frage Numidien der ansehnlichste unter allen römischen
+Klientelstaaten. Nach Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter
+dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die
+väterliche Herrschaft in der Art geteilt, daß der erstgeborene die
+Residenz und die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die
+Gerichtsbarkeit übernahm. Jetzt regierte nach dem Tode seiner beiden
+Brüder wieder allein Massinissas ältester Sohn Micipsa 4, ein
+schwacher, friedlicher Greis, der lieber als mit Staatsangelegenheiten
+sich mit dem Studium der griechischen Philosophie beschäftigte. Da
+seine Söhne noch nicht erwachsen waren, führte tatsächlich die Zügel
+der Regierung ein illegitimer Neffe des Königs, der Prinz Jugurtha.
+Jugurtha war kein unwürdiger Enkel Massinissas. Er war ein schöner Mann
+und ein gewandter und mutiger Reiter und Jäger; seine Landsleute
+hielten den klaren und einsichtigen Verwalter in hohen Ehren, und seine
+militärische Brauchbarkeit hatte er als Führer des numidischen
+Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen erwiesen. Seine Stellung
+im Königreich und der Einfluß, dessen er durch seine zahlreichen
+Freunde und Kriegskameraden bei der römischen Regierung genoß, ließen
+es König Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu adoptieren (634 120) und in
+seinem Testament zu verordnen, daß des Königs beide älteste leibliche
+Söhne Adherbal und Hiempsal und sein Adoptivsohn Jugurtha selbdritt,
+ebenso wie er selbst mit seinen beiden Brüdern, zu gesamter Hand das
+Reich erben und regieren sollten. Zu größerer Sicherheit wurde diese
+Verfügung unter die Garantie der römischen Regierung gestellt. Bald
+nachher, im Jahre 636 (118) starb König Micipsa. Das Testament trat in
+Kraft; allein die beiden Söhne Micipsas, mehr noch als der schwache
+ältere Bruder der heftige Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den
+sie als Eindringling in die legitime Erbfolge ansahen, so heftig
+zusammen, daß der Gedanke an eine Gesamtregierung der drei Könige
+aufgegeben werden mußte. Man versuchte eine Realteilung durchzuführen;
+allein die hadernden Könige vermochten über die Landes- und
+Schatzquoten sich nicht zu einigen, und die Schutzmacht, der hier von
+Rechts wegen das entscheidende Wort zustand, bekümmerte wie gewöhnlich
+um diese Angelegenheit sich nicht. Es kam zum Bruch; Adherbal und
+Hiempsal mochten das Testament des Vaters als erschlichen bezeichnen
+und Jugurthas Miterbrecht überhaupt bestreiten, wogegen Jugurtha
+auftrat als Prätendent auf das gesamte Königreich. Noch während der
+Verhandlungen über die Teilung ward Hiempsal durch gedungene
+Meuchelmörder aus dem Wege geschafft; zwischen Adherbal und Jugurtha
+kam es zum Bürgerkriege, in dem ganz Numidien Partei nahm. Mit seinen
+minder zahlreichen, aber besser geübten und besser geführten Truppen
+siegte Jugurtha und bemächtigte sich des gesamten Reichsgebiets unter
+den grausamsten Verfolgungen gegen die seinem Vetter anhängenden
+Häupter. Adherbal rettete sich nach der römischen Provinz und ging von
+da nach Rom, um dort Klage zu führen. Jugurtha hatte es erwartet und
+sich darauf eingerichtet, der drohenden Intervention zu begegnen. Er
+hatte im Lager von Numantia noch mehr von Rom kennengelernt als die
+römische Taktik: der numidische Prinz, eingeführt in die Kreise der
+römischen Aristokraten, war zugleich eingeweiht worden in die römischen
+Koterieintrigen und hatte an der Quelle studiert, was man römischen
+Adligen zumuten könne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode,
+hatte er illoyale Unterhandlungen über die numidische Erbfolge mit
+vornehmen römischen Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich
+erinnern müssen, daß es fremden Prinzen anständiger sei, mit dem
+römischen Staat als mit einzelnen römischen Bürgern Freundschaft zu
+halten. Jugurthas Gesandte erschienen in Rom, nicht bloß mit Worten
+ausgerüstet; daß sie die richtigen diplomatischen Überzeugungsmittel
+gewählt hatten, bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von
+Adherbals gutem Recht überzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich
+davon, daß Hiempsal seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen
+umgebracht worden und daß der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha
+sei, sondern Adherbal. Selbst die leitenden Männer im Senat erschraken
+vor dem Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der
+Senat überging das Geschehene mit Stillschweigen und verfügte, daß die
+beiden überlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen
+erhalten und zur Verhütung neuen Haders die Teilung durch eine
+Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular
+Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der
+Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn für seinen
+Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission
+stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und
+nicht zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta
+(Constantine) mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an
+Adherbal, allein eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwüsten
+bestehende östliche Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare
+und bevölkerte Westhälfte (das spätere Sitifensische und Cäsariensische
+Mauretanien) zu teil.
+
+———————————————————————
+
+4 Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender:
+
+
+———————————————————————
+
+Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege
+der Verteidigung Adherbal um seine Hälfte bringen zu können, reizte
+Jugurtha denselben zum Kriege; indes da der schwache Mann, durch die
+gemachten Erfahrungen gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet
+ungehindert brandschatzen ließ und sich begnügte, in Rom Beschwerde zu
+führen, begann Jugurtha, ungeduldig über diese Weitläufigkeiten, auch
+ohne Vorwand den Krieg. In der Gegend des heutigen Philippeville ward
+Adherbal vollständig geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt
+Cirta. Während die Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen
+mit den in Cirta zahlreich ansässigen und bei der Verteidigung der
+Stadt lebhafter als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern
+täglich sich herumschlugen, erschien die von dem römischen Senat auf
+Adherbals erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natürlich junge
+unerfahrene Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewöhnlichen
+Staatssendungen regelmäßig verwandte. Die Gesandten verlangten, daß
+Jugurtha sie als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die
+Stadt einlasse, überhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung
+annehme. Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen
+schleunigst heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Väter der
+Stadt zu berichten. Die Väter hörten den Bericht an und ließen ihre
+Landsleute in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte.
+Erst als im fünften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch
+die Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des
+Königs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte
+derselbe sich auf und faßte wirklich einen Beschluß - nicht etwa den
+Krieg zu erklären, wie die Minorität es verlangte, sondern eine neue
+Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus
+an der Spitze, dem großen Bezwinger der Taurisker und der
+Freigelassenen, dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen bloßes
+Erscheinen genügen werde, den ungehorsamen König auf andere Gedanken zu
+bringen. In der Tat erschien Jugurtha, wie geheißen, in Utica, um mit
+Scaurus zu verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich
+die Konferenz geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat
+erreicht. Die Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklärt zu haben, nach
+Rom zurück und der König wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal
+sah sich aufs Äußerste gebracht und verzweifelte an der römischen
+Unterstützung; die Italiker in Cirta, der Belagerung müde und für ihre
+eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem römischen
+Namen, drängten überdies zur Übergabe. So kapitulierte die Stadt.
+Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern
+hinzurichten, die sämtliche erwachsene männliche Bevölkerung der Stadt
+aber, Afrikaner wie Italiker, über die Klinge springen zu lassen (642
+112).
+
+Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Italien. Die Minorität des
+Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten einmütig diese
+Regierung, für die die Ehre und das Interesse des Landes nichts zu sein
+schienen als verkäufliche Artikel; am lautesten die Kaufmannschaft, die
+durch die Hinopferung der römischen und italischen Kaufleute in Cirta
+am nächsten getroffen worden war. Die Majorität des Senats sträubte
+sich zwar auch jetzt noch; sie appellierte an die Standesinteressen der
+Aristokratie und setzte alle Hebel der kollegialischen
+Geschäftsverschleppung in Bewegung, um den lieben Frieden noch ferner
+zu bewahren. Indes als der für 643 (111) gewählte Volkstribun Gaius
+Memmius, ein tätiger und beredter Mann, sofort nach Antritt seines
+Amtes den Handel öffentlich zur Sprache brachte und die schlimmsten
+Sünder zu gerichtlicher Verantwortung ziehen zu wollen drohte, ließ der
+Senat es geschehen, daß der Krieg an Jugurtha erklärt ward (642/43
+112/11). Es schien ernst zu werden. Jugurthas Gesandte wurden, ohne
+vorgelassen zu sein, aus Italien ausgewiesen; der neue Konsul Lucius
+Calpurnius Bestia, der, unter seinen Standesgenossen wenigstens, durch
+Einsicht und Tätigkeit sich auszeichnete, betrieb die Rüstungen mit
+Energie; Marcus Scaurus selbst übernahm eine Befehlshaberstelle in der
+afrikanischen Armee; in kurzer Zeit stand ein römisches Heer auf
+afrikanischem Boden und rückte, am Bagradas (Medscherda)
+hinaufmarschierend, ein in das Numidische Königreich, wo die vor dem
+Sitz der königlichen Macht entlegensten Städte, wie Groß-Leptis,
+bereits freiwillig ihre Unterwerfung einsandten, während König Bocchus
+von Mauretanien, obwohl seine Tochter mit Jugurtha vermählt war, doch
+den Römern Freundschaft und Bündnis antrug. Jugurtha selbst verlor den
+Mut und sandte Boten in das römische Hauptquartier, um Waffenstillstand
+zu erbitten. Das Ende des Kampfes schien nahe und kam noch schneller,
+als man dachte. Der Vertrag mit König Bocchus scheiterte daran, daß der
+König, unbekannt mit den römischen Sitten, diesen den Römern
+vorteilhaften Vertrag umsonst abschließen zu können gemeint und deshalb
+versäumt hatte, seinen Boten den marktgängigen Preis römischer
+Bündnisse mitzugeben. Jugurtha kannte allerdings die römischen
+Institutionen besser und hatte nicht versäumt, seine
+Waffenstillstandsanträge durch die gehörigen Begleitgelder zu
+unterstützen; indes auch er hatte sich getäuscht. Nach den ersten
+Verhandlungen ergab es sich, daß im römischen Hauptquartier nicht bloß
+der Waffenstillstand feil sei, sondern auch der Friede. Die königliche
+Schatzkammer war noch von Massinissas Zeiten her wohl gefüllt; rasch
+war man handelseinig. Der Vertrag ward abgeschlossen, nachdem der Form
+halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt und nach einer unordentlichen
+und möglichst summarischen Verhandlung dessen Zustimmung erwirkt worden
+war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade und Ungnade; der Sieger aber
+übte Gnade und gab dem König sein Reich ungeschmälert zurück gegen eine
+mäßige Buße und die Auslieferung der römischen Oberläufer und der
+Kriegselefanten (643 111), welche letztere der König großenteils später
+wiedereinhandelte durch Verträge mit den einzelnen römischen
+Platzkommandanten und Offizieren.
+
+Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt
+wußte, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war zu
+haben, nur um einen höheren als den gemeinen senatorischen
+Durchschnittspreis. Die Rechtsbeständigkeit des Friedens ward im Senat
+ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklärte, daß der König, wenn er
+wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern könne, in
+Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen möge, um hinsichtlich
+der durchaus irregulären Friedensverhandlungen durch Vernehmung der
+beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fügte
+sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der König nicht
+als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich
+sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der König in der Tat in
+Rom und stellte sich zum Verhör vor dem versammelten Volke, das mühsam
+bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Mörder der
+cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreißen. Allein kaum
+hatte Gaius Memmius die erste Frage an den König gerichtet, als einer
+seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Könige befahl zu
+schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold mächtiger als der
+Wille des souveränen Volkes und seiner höchsten Beamten. Inzwischen
+gingen im Senat die Verhandlungen über die Gültigkeit des soeben
+abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius
+Albinus nahm eifrig Partei für den Antrag, denselben zu kassieren, in
+der Aussicht, daß dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde.
+Dies veranlaßte einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva,
+seine Ansprüche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat
+geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Königs
+Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen
+Auftrag, meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafür der
+Prozeß gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue,
+unter den Augen der römischen Regierung verübte Verbrechen bewirkte
+wenigstens so viel, daß der Senat nun den Frieden kassierte und den
+König aus der Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also
+wieder an, und der Konsul Spurius Albinus übernahm den Oberbefehl (644
+110). Allein das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten
+hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen politischen und
+militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloß von Disziplin war
+die Rede nicht mehr und die Plünderung der numidischen Ortschaften, ja
+des römischen Provinzialgebiets während der Waffenruhe das
+Hauptgeschäft der römischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch
+nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche
+Einverständnisse angeknüpft mit dem Feinde. Daß ein solches Heer im
+Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch
+diesmal vom römischen Obergeneral die Untätigkeit kaufte, wie dies
+später gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er
+wahrlich ein übriges. Spurius Albinus also begnügte sich damit, nichts
+zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch den
+Oberbefehl übernahm, der ebenso tolldreiste als unfähige Aulus
+Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kühnen
+Handstreich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der
+schwer zugänglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (später
+Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und
+erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und
+aussichtslos, und als der König, der eine Zeitlang mit seinen Truppen
+vor der Stadt gestanden, in die Wüste ging, zog der römische Feldherr
+es vor, ihn zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch
+einen nächtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und
+Jugurthas Einverständnisse in der römischen Armee zusammenwirkten,
+eroberten die Numidier das römische Lager und trieben die großenteils
+waffenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht vor
+sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug des
+römischen Heeres unter dem Joch, sofortige Räumung des ganzen
+numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten
+Bündnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Römern angenommen
+wurden (Anfang 645 109).
+
+Dies war denn doch zu arg. Während die Afrikaner jubelten und die
+plötzlich eröffnende Aussicht auf den kaum noch für möglich gehaltenen
+Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche Stämme der freien und halbfreien
+Wüstenbewohner unter die Fahnen des siegreichen Königs führte, brauste
+in Italien die öffentliche Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene
+wie verderbliche Regierungsaristokratie und brach los in einem
+Prozeßsturm, der, genährt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft,
+eine Reihe von Opfern aus den höchsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf
+den Antrag des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der
+schüchternen Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine
+außerordentliche Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des
+in der numidischen Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und
+ihre Wahlsprüche sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius
+Bestia und Spurius Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der
+ersten afrikanischen Kommission und nebenbei den Henker des Gaius
+Gracchus, außerdem zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und
+unschuldige Männer der Regierungspartei in die Verbannung. Daß indes
+diese Prozesse einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger
+der am meisten kompromittierten Personen die aufgeregte öffentliche
+Meinung namentlich der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und daß
+dabei von einer Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose
+Regiment selbst nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr
+deutlich die Tatsache, daß an den schuldigsten unter den Schuldigen, an
+den klugen und mächtigen Scaurus nicht bloß niemand sich wagte, sondern
+daß er eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu
+einem der Vorstände der außerordentlichen Hochverratskommission erwählt
+ward. Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in
+ihre Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat überlassen,
+dem numidischen Skandal in der für die Aristokratie möglichst gelinden
+Weise ein Ende zu machen; denn daß dies an der Zeit war, mochte wohl
+selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen.
+
+Der Senat kassierte zunächst auch den zweiten Friedensvertrag - den
+Oberbefehlshaber, der ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie
+dies noch vor dreißig Jahren geschehen war, schien nach den neuen
+Begriffen von der Heiligkeit der Verträge nicht ferner nötig -, und die
+Erneuerung des Krieges ward diesmal allen Ernstes beschlossen. Man
+übergab den Oberbefehl in Afrika zwar wie natürlich einem Aristokraten,
+aber noch einem der wenigen vornehmen Männer, die militärisch und
+sittlich der Aufgabe gewachsen waren. Die Wahl fiel auf Quintus
+Metellus. Er war wie die ganze mächtige Familie, der er angehörte,
+seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloser Aristokrat, als
+Beamter ein Mann, der es zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des
+Staats Meuchelmörder zu dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat,
+vermutlich als unpraktische Donquichotterie verlacht haben würde, aber
+doch ein unbeugsamer, weder der Furcht noch der Bestechung zugänglicher
+Verwalter und ein einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser
+Hinsicht war er auch von seinen Standesvorurteilen so weit frei, daß er
+sich zu seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte,
+sondern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen
+seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veränderten und
+verbesserten Exerzierreglements in militärischen Kreisen geschätzt
+ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen
+Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen fähigen Offizieren
+begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul
+und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so
+zerrütteten Zustand antraf, daß die Generale bisher nicht gewagt
+hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu führen und sie niemand
+fürchterlich war als den unglücklichen Bewohnern der römischen Provinz.
+Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Frühling des Jahres 646
+(108) 5 führte Metellus sie über die numidische Grenze. Wie Jugurtha
+der veränderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich verloren und
+machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte
+Vergleichsanträge, indem er schließlich nichts weiter begehrte, als daß
+man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und
+vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als
+mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen
+Klientelfürsten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den
+Römern genügen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg über Albinus als der
+Erlöser Libyens von der Herrschaft der verhaßten Fremden; rücksichtslos
+und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die römische Regierung war,
+konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in seiner Heimat den
+Krieg entzünden; die Ruhe war nicht eher gesichert und die Entfernung
+der afrikanischen Armee nicht eher möglich, als wenn König Jugurtha
+nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende Antworten auf die
+Anträge des Königs; insgeheim stiftete er die Boten desselben auf,
+ihren Herrn lebend oder tot an die Römer auszuliefern. Indes wenn der
+römische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem Gebiet des
+Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister; Jugurtha
+durchschaute den Plan und rüstete sich, da er nicht anders konnte, zur
+verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des völlig öden Gebirgszugs, über den
+der Weg der Römer in das Innere führte, erstreckte sich in der Breite
+von vier deutschen Meilen bis zu dem dem Gebirgszug parallel laufenden
+Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis auf die unmittelbare
+Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war und nur durch einen
+mit niedrigem Gestrüpp bedeckten Hügelrücken in der Quere durchsetzt
+ward. Auf diesem Hügelrücken erwartete Jugurtha das römische Heer.
+Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein Teil der Infanterie
+und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Rücken auslief gegen den
+Fluß, die andere, der Kern des Fußvolks und die gesamte Reiterei, höher
+hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch das Gestrüpp. Aus dem
+Gebirge debouchierend, erblickten die Römer den Feind in einer ihre
+rechte Flanke vollständig beherrschenden Stellung und hatten, da sie
+auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmöglich verweilen konnten
+und den Fluß notwendig erreichen mußten, die schwierige Aufgabe zu
+lösen, durch die vier Meilen breite, ganz offene Ebene, unter den Augen
+der feindlichen Reiter und selber ohne leichte Kavallerie, an den Strom
+zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement unter Rufus in gerader
+Richtung an den Fluß, um daselbst ein Lager zu schlagen; die Hauptmasse
+marschierte aus den Debouchés des Gebirges in schräger Richtung durch
+die Ebene auf den Hügelrücken zu, um den Feind von demselben
+herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene drohte das Verderben
+des Heeres zu werden, denn während numidische Infanterie im Rücken der
+Römer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese sie räumten, sah sich die
+römische Angriffskolonne auf allen Seiten von den feindlichen Reitern
+umschwärmt, die von dem Hügelrücken herab angriffen. Das stete
+Anprallen der feindlichen Schwärme hinderte den Vormarsch, und die
+Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter Detailgefechte
+aufzulösen; während gleichzeitig Bomilkar mit seiner Abteilung das
+Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer bedrängten
+römischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang es Metellus und
+Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuß des Hügelrückens zu
+erreichen; und das numidische Fußvolk, das die Höhen verteidigte, lief
+trotz der Überzahl und der günstigen Stellung fast ohne Widerstand
+davon, als die Legionäre im Sturmschritt den Berg hinauf angriffen.
+Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fußvolk gegen Rufus; es ward
+bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten in dem
+durchschnittenen Terrain alle getötet oder gefangen. Spät am Abend
+trafen die beiden römischen Heerhaufen, jeder für sich Sieger und jeder
+besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden Walplätzen
+zusammen. Es war eine Schlacht, die für Jugurthas ungemeines
+militärisches Talent ebenso zeugte wie für die unverwüstliche
+Tüchtigkeit der römischen Infanterie, welche allein die strategische
+Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha sandte nach der
+Schlacht einen großen Teil seiner Truppen heim und beschränkte sich auf
+den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit Gewandtheit leitete. Die
+beiden römischen Kolonnen, die eine von Metellus geführt, die andere
+von Marius, der, obwohl von Geburt und Rang der geringste, seit der
+Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die erste Stelle einnahm,
+durchzogen das numidische Gebiet, besetzten die Städte und machten, wo
+eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig geöffnet hatte, die erwachsene
+männliche Bevölkerung nieder. Allein die ansehnlichste unter den
+Städten im östlichen Binnenland, Zama, leistete den Römern ernsthaften
+Widerstand, den der König nachdrücklich unterstützte. Sogar ein
+Überfall des römischen Lagers gelang ihm, und die Römer sahen sich
+endlich genötigt, die Belagerung aufzuheben und in das Winterquartier
+zu gehen. Der leichteren Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe,
+unter Zurücklassung von Besatzungen in den eroberten Städten, in die
+römische Provinz und benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen
+anzuknüpfen, indem er sich geneigt zeigte, dem König einen erträglichen
+Frieden zu bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits
+hatte er sich anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja
+sogar seine Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000
+römische Überläufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber
+wurde des Königs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit
+Unrecht besorgte, daß, wenn es zum Frieden käme, Jugurtha ihn als den
+Mörder des Massiva den römischen Gerichten überliefern werde, von
+Metellus gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit für jenen
+Mord und großer Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den König den
+Römern lebendig oder tot in die Hände zu liefern. Indes weder jene
+offizielle Verhandlung noch diese Intrige führte zu dem gewünschten
+Resultat. Als Metellus mit dem Ansinnen herausrückte, daß der König
+persönlich sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die
+Unterhandlungen ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und
+derselbe festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein
+für diese diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Römer hatten
+allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu
+bemächtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder
+weiterführen noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war,
+beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Römern
+besetzten Städten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte
+römische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit
+Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher später wegen
+Einverständnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, läßt sich
+nicht sagen, von dem römischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und
+hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage nach
+dem Abfall überrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts
+preisgegeben; allein wenn die Gemüter der leicht erreichbaren und
+verhältnismäßig fügsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, wie
+mochte es da aussehen weiter landeinwärts und bei den schweifenden
+Stämmen der Wüste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm
+den doppelten Brudermörder gern übersahen über dem Retter und Rächer
+der Nation. Zwanzig Jahre nachher mußte ein numidisches Korps, das für
+die Römer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurückgesandt
+werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man
+mag daraus schließen, was er selber über die Seinen vermochte. Wie war
+ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten
+Eigentümlichkeiten der Bevölkerung und des Bodens einem Führer, der
+sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den
+Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine
+Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit neuer
+Gewalt wiederzuerwecken?
+
+————————————————————————
+
+5 In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von
+Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg
+ging im Sommer 649 (105) zu Ende (c. 114); wenn also Marius seine
+Kriegführung als Konsul 647 (107) begann, so führte er dort das
+Kommando in drei Kampagnen. Allein die Erzählung schildert nur zwei,
+und mit Recht. Denn eben wie Metellus allem Anschein nach zwar schon
+645 (109) nach Afrika ging, aber, da er spät eintraf (c. 37, 44) und
+die Reorganisation des Heeres Zeit kostete (c. 44), seine Operationen
+erst im folgenden Jahr begann, trat auch Marius, der gleichfalls in
+Italien längere Zeit sich mit Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84),
+entweder als Konsul 647 (107) spät im Jahre und nach beendigtem Feldzug
+oder auch erst als Prokonsul 648 (106) den Oberbefehl an; so daß also
+die beiden Feldzüge des Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius
+648, 649 (106, 105) fallen. Dazu paßt, daß Metellus erst im Jahre 648
+(106) triumphierte (Eph. epigr. IV, S. 257). Dazu paßt ferner, daß die
+Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhältnis, in
+dem sie zu Marius’ Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das
+Jahr 646 (108) gesetzt werden müssen. Von Ungenauigkeiten ist der
+Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar
+noch 649 (105) bei ihm Konsul genannt wird.
+
+Die Verlängerung des Kommandos des Metellus, die Sallustius (62, 10)
+berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie steht, nur beziehen
+auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf Grund des
+Sempronischen Gesetzes die Provinzen der für 647 (107) zu wählenden
+Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere Provinzen
+und ließ also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluß stieß das 72,
+7 erwähnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten Handschriften
+beider Familien lückenhaft überlieferten Worte sed Paulo …. decreverat:
+ea res frustra fuit müssen entweder die den Konsuln vom Senat
+bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante uti
+consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat -
+oder, nach der Ergänzung der Vulgathandschriften: sed Paulo [ante
+senatus Metello Numidiam] decreverat.
+
+6 Jetzt Bedschah an der Medscherda.
+
+————————————————————
+
+Als Metellus im Jahre 647 (107) wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha
+ihm nirgends stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit
+entfernten Punkt; es schien, als würde man ebenso leicht Herr werden
+über die Löwen wie über diese Reiter der Wüste. Eine Schlacht ward
+geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen
+hatte, war schwer zu sagen. Der König war verschwunden in die
+unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am
+Saum der großen Wüste, lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7;
+dorthin hatte Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen
+Schätzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst
+abzuwarten. Metellus wagte es, durch eine Einöde, wo das Wasser auf
+zehn deutsche Meilen in Schläuchen mitgeführt werden mußte, dem König
+zu folgen; Thala ward erreicht und fiel nach vierzigtägiger Belagerung;
+allein nicht bloß vernichteten die römischen Überläufer mit dem
+Gebäude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten,
+zugleich den wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam,
+der König Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen.
+Numidien zwar war so gut wie ganz in den Händen der Römer; aber statt
+daß man damit am Ziele gestanden hätte, schien der Krieg nur über ein
+immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Süden begannen die freien
+gätulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen
+die Römer. Im Westen schien König Bocchus von Mauretanien, dessen
+Freundschaft die Römer in früherer Zeit verschmäht hatten, jetzt nicht
+abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie gemeinschaftliche Sache
+zu machen: er nahm ihn nicht bloß bei sich auf, sondern rückte auch,
+mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas Haufen vereinigend,
+in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man
+begann zu unterhandeln; es war klar, daß er mit Jugurthas Person den
+eigentlichen Kampfpreis für Rom in Händen hielt. Was er aber
+beabsichtigte, ob den Römern den Schwiegersohn teuer zu verkaufen oder
+mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen,
+wußten weder die Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst
+nicht; derselbe beeilte sich auch keineswegs, aus seiner zweideutigen
+Stellung herauszutreten. Darüber verließ Metellus die Provinz, die er
+durch Volksbeschluß genötigt worden war, seinem ehemaligen
+Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius abzutreten und dieser
+übernahm für den nächsten Feldzug 648 (106) den Oberbefehl. Er
+verdankte ihn gewissermaßen einer Revolution. Im Vertrauen auf die von
+ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm zuteil gewordenen
+Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um das Konsulat
+aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmäßige wie
+sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tüchtigen, durchaus
+nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so würde dabei
+nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen Geschlechts
+in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde der nicht adlige Mann,
+der die höchste Gemeinwürde für sich begehrte, von der ganzen
+regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und Revolutionär geschmäht -
+vollkommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriziern
+behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechtsgrund -, der
+tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus verhöhnt - Marius möge
+mit seiner Kandidatur warten, hieß es, bis Metellus’ Sohn, ein
+bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne - und kaum im letzten
+Augenblick aufs ungnädigste entlassen, um für das Jahr 647 (107), als
+Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. Hier vergalt er
+das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem er vor der
+gaffenden Menge die Kriegführung und Verwaltung des Metellus in Afrika
+in einer ebenso unmilitärischen wie schmählich unbilligen Weise
+kritisierte, ja sogar es nicht verschmähte, dem lieben, ewig von
+geheimen, höchst unerhörten und höchst unzweifelhaften Konspirationen
+der vornehmen Herren munkelnden Pöbel das platte Märchen aufzutischen,
+daß Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie möglich
+Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies vollkommen
+ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der Regierung
+mißwollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte Kaufmannschaft,
+verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, die
+Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde
+nicht bloß mit ungeheurer Majorität zum Konsul gewählt, sondern ihm
+auch, während sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die
+Entscheidung über die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat
+zustand, unter Umstoßung der vom Senat getroffenen Verfügung, die den
+Metellus an seiner Stelle ließ, durch Beschluß der souveränen Komitien
+der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg übertragen. Demgemäß trat er im
+Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus’ Stelle und führte das Kommando
+in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die zuversichtliche
+Verheißung, es besser zu machen als sein Vorgänger und den Jugurtha an
+Händen und Füßen gebunden schleunigst nach Rom abzuliefern, war
+leichter gegeben als erfüllt. Marius schlug sich herum mit den
+Gätulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Städte; er
+unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im äußersten Südosten des
+Königreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch überbot, nahm
+die Stadt durch Kapitulation und ließ trotz des Vertrages alle
+erwachsenen Männer darin töten - freilich das einzige Mittel, den
+Wiederabfall der fernliegenden Wüstenstadt zu verhüten; er griff ein am
+Fluß Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied,
+belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte,
+und erstürmte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der
+Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kühner
+Kletterer glücklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloß darauf
+angekommen wäre, durch dreiste Razzias das Heer abzuhärten und dem
+Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus’ Zug in die Wüste durch
+eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man
+diese Kriegführung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel,
+worauf alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge
+behalten hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei völlig beiseite
+gesetzt. Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie
+der des Metellus nach Thala ein zweckmäßiges Wagnis; die Expedition
+aber an den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet
+streifte, war geradezu zweckwidrig. König Bocchus, in dessen Hand es
+lag, den Krieg zu einem für die Römer günstigen Ausgang zu bringen oder
+ihn ins Endlose zu verlängern, schloß jetzt mit Jugurtha einen Vertrag
+ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber
+versprach, den Schwiegersohn gegen Rom tätig zu unterstützen. Das
+römische Heer, das vom Fluß Molochath wieder zurückkehrte, sah sich
+eines Abends plötzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer und
+numidischer Reiterei; man mußte fechten, wo und wie die Abteilungen
+eben standen, ohne daß eine eigentliche Schlachtordnung und ein
+leitendes Kommando sich hätten durchführen lassen, und sich glücklich
+schätzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit
+entfernten Hügeln vorläufig für die Nacht in Sicherheit zu bringen.
+Indes die arge Nachlässigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner
+entriß ihnen die Folgen desselben; sie ließen sich von den während der
+Nacht einigermaßen wiedergeordneten römischen Truppen beim grauenden
+Morgen im tiefen Schlafe überfallen und wurden glücklich zerstreut.
+Darauf setzte das römische Heer in besserer Ordnung und mit größerer
+Vorsicht den Rückzug fort; allein noch einmal wurde es auf demselben
+von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in großer
+Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die ihm
+gegenüberstehenden Reiterhaufen auseinanderstäubte und von deren
+Verfolgung rasch zurückkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus
+warf, da wo sie persönlich das römische Fußvolk im Rücken bedrängten.
+Also ward auch dieser Angriff glücklich abgeschlagen; Marius brachte
+sein Heer zurück nach Cirta und nahm daselbst das Winterquartier
+(648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich begreiflich, daß man
+römischerseits um die Freundschaft des Königs Bocchus, die man anfangs
+verschmäht, sodann wenigstens nicht eben gesucht hatte, jetzt, nachdem
+er den Krieg begonnen hatte, anfing sich aufs eifrigste zu bemühen,
+wobei es den Römern zustatten kam, daß von mauretanischer Seite keine
+förmliche Kriegserklärung stattgefunden hatte. Nicht ungern trat König
+Bocchus zurück in seine alte zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit
+Jugurtha aufzulösen oder diesen zu entlassen, ließ er mit dem römischen
+Feldherrn sich ein auf Verhandlungen über die Bedingungen eines
+Bündnisses mit Rom. Als man einig geworden war oder zu sein schien,
+erbat sich der König, daß Marius zum Abschluß des Vertrages und zur
+Übernahme des königlichen Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden
+möge, der dem König bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo
+er als Gesandter des Senats am mauretanischen Hofe erschienen war,
+teils durch Empfehlungen der nach Rom bestimmten mauretanischen
+Gesandten, denen Sulla unterwegs Dienste geleistet hatte. Marius war in
+einer unbequemen Lage. Lehnte er die Zumutung ab, so führte dies
+wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie an, so gab er seinen adligsten
+und tapfersten Offizier einem mehr als unzuverlässigen Mann in die
+Hände, der, wie männiglich bekannt, mit den Römern und mit Jugurtha
+doppeltes Spiel spielte, und der fast den Plan entworfen zu haben
+schien, an Jugurtha und Sulla sich vorläufig nach beiden Seiten hin
+Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg zu Ende zu bringen,
+überwog jede andere Rücksicht, und Sulla verstand sich zu der
+bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er auf,
+geleitet von König Bocchus’ Sohn Volux, und seine Entschlossenheit
+wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager
+des Jugurtha führte. Er wies die kleinmütigen Fluchtvorschläge seiner
+Begleiter zurück und zog, des Königs Sohn an der Seite, unverletzt
+durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewährte der kecke Offizier
+in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich,
+ernstlich eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem
+Vorgeben, daß alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er
+von dem eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein
+Gefolge niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der große
+Verräter durch den Verrat seiner Nächsten. Gefesselt brachte Lucius
+Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das
+römische Hauptquartier; damit war nach siebenjähriger Dauer der Krieg
+zu Ende. Der Sieg ging zunächst auf den Namen des Marius; seinem
+Triumphalwagen schritt in königlichem Schmuck und in Fesseln König
+Jugurtha mit seinen beiden Söhnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar
+650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wüste
+wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefängnis, dem alten
+Brunnenhaus am Kapitol, dem “eisigen Badgemach”, wie der Afrikaner es
+nannte, als er die Schwelle überschritt, um daselbst sei es erdrosselt
+zu werden, sei es umzukommen durch Kälte und Hunger. Allein es ließ
+sich nicht leugnen, daß Marius an den wirklichen Erfolgen den
+geringsten Anteil hatte, daß Numidiens Eroberung bis an den Saum der
+Wüste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war
+und zwischen beiden Marius eine für einen ehrgeizigen Emporkömmling
+einigermaßen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern,
+daß sein Vorgänger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er
+brauste zornig auf, als König Bocchus später ein goldnes Bildwerk auf
+dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla
+darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler
+die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in
+Schatten, vor allem Sullas glänzender Zug in die Wüste, der seinen Mut,
+seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht über die
+Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur
+Anerkennung gebracht hatte. An sich wäre auf diese militärischen
+Rivalitäten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen
+Parteikampf eingegriffen hätten; wenn nicht die Opposition durch Marius
+den senatorischen General verdrängt gehabt, nicht die Regierungspartei
+Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die
+militärischen Koryphäen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen
+hätte - wir werden auf die verhängnisvollen Folgen dieser Verhetzungen
+in der Darstellung der inneren Geschichte zurückzukommen haben.
+
+————————————————-
+
+7 Die Örtlichkeit ist nicht wiedergefunden. Die frühere Annahme, daß
+Thelepte (bei Feriana, nördlich von Capsa) gemeint sei, ist willkürlich
+und die Identifikation mit einer auch heute Thala genannten Örtlichkeit
+östlich von Capsa auch nicht gehörig begründet.
+
+————————————————
+
+Im übrigen verlief diese Insurrektion des numidischen Klientelstaats,
+ohne weder in den allgemeinen politischen Verhältnissen noch auch nur
+in denen der afrikanischen Provinz eine merkliche Veränderung
+hervorzubringen. Abweichend von der sonst in dieser Zeit befolgten
+Politik ward Numidien nicht in eine römische Provinz umgewandelt;
+offenbar deshalb, weil das Land nicht ohne eine die Grenzen gegen die
+Wilden der Wüste deckende Armee zu behaupten und man keineswegs gemeint
+war, in Afrika ein stehendes Heer zu unterhalten. Man begnügte sich
+deshalb, die westlichste Landschaft Numidiens, wahrscheinlich den
+Strich vom Fluß Molochath bis zum Hafen von Saldae (Bougie) - das
+spätere Mauretanien von Caesarea (Provinz Algier) - zu dem Reich des
+Bocchus zu schlagen und das darum verkleinerte Königreich Numidien auf
+den letzten noch lebenden legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an
+Körper und Geist schwachen Halbbruder Gauda, zu übertragen, welcher
+bereits im Jahre 646 (108) auf Veranlassung des Marius seine Ansprüche
+bei dem Senat geltend gemacht hatte 8. Zugleich wurden die gätulischen
+Stämme im inneren Afrika als freie Bundesgenossen unter die mit den
+Römern in Vertrag stehenden unabhängigen Nationen aufgenommen.
+
+————————————————————————————————
+
+8 Sallusts politisches Genregemälde des jugurthinischen Krieges, in der
+sonst völlig verblaßten und verwaschenen Tradition dieser Epoche das
+einzige in frischen Farben übriggebliebene Bild, schließt mit Jugurthas
+Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht
+historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhängenden
+Bericht über die Behandlung des Numidischen Reiches. Daß Gauda
+Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr.
+79, 4 Bekk.) an und bestätigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli
+630), die ihn König und Vater Hiempsals II. nennt. Daß im Westen die
+zwischen Numidien einer- und dem römischen Afrika und Kyrene
+andererseits bestehenden Grenzverhältnisse unverändert blieben, zeigt
+Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spätere
+Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird
+auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, daß Bocchus’ Reich
+bedeutend vergrößert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhängt, daß
+Mauretanien, ursprünglich beschränkt auf die Landschaft von Tingis
+(Marokko), in späterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von
+Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Hälfte der
+Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Römern vergrößert
+ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann 708 (46)
+nach Auflösung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich die
+Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei der zweiten
+Vergrößerung hinzugekommen.
+
+———————————————————————————————
+
+Wichtiger als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die
+politischen Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der
+Jugurthinischen Insurrektion, obgleich auch diese häufig zu hoch
+angeschlagen worden sind. Allerdings waren darin alle Schäden des
+Regiments in unverhüllter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt
+nicht bloß notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, daß
+den regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das
+Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der
+Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei
+seiner Abreise von Rom äußerte, wenn er nur Geld genug hätte, mache er
+sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze äußere
+und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel teuflischer
+Erbärmlichkeit. Für uns verschiebt der Zufall, daß uns der Krieg in
+Afrika durch bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen
+gleichzeitigen militärischen und politischen Ereignisse, die richtige
+Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthüllungen eben
+nichts, als was jedermann längst wußte und jeder unerschrockene Patriot
+längst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Daß man für die nur durch
+ihre Unfähigkeit aufgewogene Niederträchtigkeit der restaurierten
+Senatsregierung jetzt einige neue, noch stärkere und noch
+unwiderleglichere Beweise in die Hände bekam, hätte dennoch von
+Wichtigkeit sein können, wenn es eine Opposition und eine öffentliche
+Meinung gegeben hätte, mit denen die Regierung genötigt gewesen wäre
+sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die
+Regierung prostituiert als die vollständige Nichtigkeit der Opposition
+offenbart. Es war nicht möglich, schlechter zu regieren als die
+Restauration in den Jahren 637-645 (117-109) es tat, nicht möglich,
+wehrloser und verlorener dazustehen, als der römische Senat im Jahre
+645 (109) stand; hätte es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben, das
+heißt eine Partei, die eine prinzipielle Abänderung der Verfassung
+wünschte und betrieb, so mußte diese notwendig jetzt wenigstens einen
+Versuch machen, den restaurierten Senat zu stürzen. Er erfolgte nicht;
+man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die
+Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute
+in die Verbannung. Damit stand es also fest, daß die sogenannte
+Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte;
+daß es in Rom schlechterdings nur zwei mögliche Regierungsformen gab,
+die Tyrannis und die Oligarchie; daß, solange es zufällig an einer
+Persönlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug war,
+um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste Mißwirtschaft
+höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefährdete;
+daß dagegen, sowie ein solcher Prätendent auftrat, nichts leichter war,
+als die morschen kurulischen Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht
+war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so
+völlig unmotiviert war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus’ Niederlage
+die Kurie gestürmt hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der
+Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem Numidischen
+Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Führung, geschweige denn von
+Gefahr für das Gemeinwesen wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr
+die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen
+Offizier, das auszuführen, womit einst der ältere Africanus der
+Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten militärischen
+Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu
+verschaffen. Die öffentliche Meinung, nichtig in den Händen der
+sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe in der Hand
+des künftigen Königs von Rom. Es soll damit nicht gesagt werden, daß
+Marius beabsichtigte, den Prätendenten zu spielen, am wenigsten damals
+schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem Volke warb; aber
+mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, es war
+augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen
+Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder,
+was ungefähr dasselbe war, wenn jeder populäre Offizier imstande war,
+in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges
+neues Element trat in diesen vorläufigen Krisen auf; es war das
+Hineinziehen der militärischen Männer und der militärischen Macht in
+die politische Revolution. Ob Marius’ Auftreten unmittelbar die
+Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die
+Tyrannis zu verdrängen, oder ob dasselbe, wie so manches Ähnliche, als
+vereinzelter Eingriff in die Prärogative der Regierung ohne weitere
+Folgen vorübergehen werde, ließ sich noch nicht bestimmen; wohl aber
+war es vorauszusehen, daß, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis zur
+Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie Gaius
+Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die
+gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei
+der Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher
+geforderten Vermögensqualifikation absah und auch dem ärmsten Bürger,
+wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die
+Legion gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen
+Rücksichten veranstaltet worden sein; allein darum war es
+nichtsdestoweniger ein folgenreiches politisches Ereignis, daß das Heer
+nicht mehr, wie ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in
+der jüngsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet
+ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die
+nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die
+Aristokratie herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschränkt wie im
+Jahre 620 (134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten
+sich gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das
+Schwert aufgegangen.
+
+
+
+
+KAPITEL V.
+Die Völker des Nordens
+
+
+Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die römische
+Gemeinde die drei großen von dem nördlichen Kontinent in das Mittelmeer
+hineinragenden Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich
+innerhalb derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den
+Ligurischen Apenninen und Alpentälern, in den Gebirgen Makedoniens und
+Thrakiens die ganz- oder halbfreien Völkerschaften fort, der schlaffen
+römischen Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung
+zwischen Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in
+der oberflächlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits
+der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die großen Stromgebiete
+der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich außerhalb des
+politischen Gesichtskreises der Römer. Es ist hier darzustellen, was
+römischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu
+sichern und zu arrondieren und wie zugleich die großen Völkermassen,
+die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten,
+anfingen, an die Tore der nördlichen Gebirge zu pochen und die
+griechisch-römische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, daß sie
+mit Unrecht meine, die Erde für sich allein zu besitzen.
+
+Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Westalpen und den
+Pyrenäen ins Auge. Die Römer beherrschten diesen Teil der Küste des
+Mittelmeers seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der
+ältesten, treuesten und mächtigsten der von Rom abhängigen
+bundesgenössischen Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe
+(Agde) und Rhode (Rosas), östlich Tauroention (Ciotat), Olbia
+(Hyères?), Antipolis (Antibes) und Nikäa (Nizza), die Küstenfahrt wie
+den Landweg von den Pyrenäen zu den Alpen sicherten und deren
+merkantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland
+hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes
+gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten ward im Jahre 600 (154) von
+den Römern teils auf Ansuchen der Massalioten, teils im eigenen
+Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil verlustvollen
+Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten fortan
+stehende Geiseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist
+nicht unwahrscheinlich, daß um diese Zeit zugleich in dem ganzen von
+Massalia abhängigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des
+massaliotischen daselbst aufblühende Wein- und Ölbau im Interesse der
+italischen Gutsbesitzer und Kaufleute untersagt ward ^1. Einen
+ähnlichen Charakter finanzieller Spekulation trägt der Krieg, der wegen
+der Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Gegend von
+Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora Baltea) von den Römern
+unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143) gegen die Salasser
+geführt ward. Die große Ausdehnung dieser Wäschereien, welche den
+Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Äcker
+entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete
+Intervention der Römer hervor; der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie
+alle übrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, führte
+endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des
+Goldbezirkes an das römische Ärar. Einige Jahrzehnte später (654 100)
+ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie Eporedia (Ivrea)
+angelegt, hauptsächlich wohl, um durch sie den westlichen wie durch
+Aquileia den östlichen Alpenpaß zu beherrschen. Einen ernsteren
+Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius
+Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629
+(125) in dieser Gegend den Oberbefehl übernahm. Er zuerst betrat die
+Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen
+Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche
+Hegemonie eingebüßt und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte,
+der effektiv führende Gau in dem Gebiet von den Pyrenäen bis zum Rhein
+und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner 2, und es erscheint
+danach nicht gerade übertrieben, daß er bis 180000 Mann ins Feld zu
+stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst die Häduer (um
+Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; während in dem
+nordöstlichen Gallien die Könige der Suessionen (um Soissons) den bis
+nach Britannien hinüber sich erstreckenden Völkerbund der Belgen unter
+ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit
+wußten viel zu erzählen von der prachtvollen Hofhaltung des
+Arvernerkönigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glänzenden
+Clangefolge, den Jägern mit der gekoppelten Meute und der wandernden
+Sängerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Städte seines
+Reiches fuhr, das Gold mit vollen Händen auswerfend unter die Menge,
+vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen
+erfreuend - die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem
+Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder
+des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel
+Camachos. In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen
+arvernischen Goldmünzen dieser Zeit dafür, daß der Arvernergau zu
+ungemeinem Reichtum und einer verhältnismäßig hoch gesteigerten
+Zivilisation gediehen war. Flaccus’ Angriff traf indes zunächst nicht
+auf die Arverner, sondern auf die kleineren Stämme in dem Gebiet
+zwischen den Alpen und der Rhone, wo die ursprünglich ligurischen
+Einwohner mit nachgerückten keltischen Scharen sich vermischt hatten
+und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevölkerung
+entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glück gegen die Salyer
+oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen
+ihre nördlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drôme),
+ebenso sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen
+die Allobrogen, einen mächtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der
+Isère, der auf die Bitte des landflüchtigen Königs der Salyer,
+Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, aber
+in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes
+nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkönig auszuliefern, drang
+Calvinus’ Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet
+ein (632 122). Bis dahin hatte der führende keltische Stamm dem
+Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkönig
+Betuhus, jenes Luerius’ Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen
+Schutzverhältnisses wegen, in dem die östlichen Gaue zu ihm stehen
+mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die
+Römer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet
+anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurückweisung zur Folge
+hatte, daß er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe
+erschien; wogegen wieder die Häduer Partei ergriffen für die Römer.
+Auch die Römer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der
+Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in
+Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der
+südlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluß der Isère in
+die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die
+über die Herrschaft im südlichen Gallien entschied. König Betuitus, wie
+er die zahllosen Haufen der abhängigen Clans auf der über die Rhone
+geschlagenen Schiffbrücke an sich vorüberziehen und gegen sie die
+dreimal schwächeren Römer sich aufstellen sah, soll ausgerufen haben,
+daß dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres zu
+sättigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht
+dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbrücke unter
+der Masse der Flüchtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des
+größten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen
+ferner Beistand zu leisten der Arvernerkönig sich unfähig erklärte und
+denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen
+sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker genannt, nach
+Italien zurückging und die nicht mehr ferne Beendigung des arvernischen
+Krieges dem Ahenobarbus überließ. Dieser, auf König Betuitus persönlich
+erbittert, weil er die Allobrogen veranlaßt habe, sich dem Maximus und
+nicht ihm zu ergeben, bemächtigte sich in treuloser Weise der Person
+des Königs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des
+Treuworts zwar mißbilligte, aber nicht bloß den verratenen Mann
+festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus,
+gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu
+sein, daß der fast schon beendigte arvernische Krieg noch einmal
+aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluß der
+Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die Waffen kam.
+Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal hauptsächlich
+die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer zerstreuten. Hierauf
+bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war in dem
+Keltenland wiederhergestellt 3.
+
+—————————————————————
+
+^1 Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129)
+sagen läßt (rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden
+kommen lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung
+möglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich
+nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im Jahre 637 (117) beweist;
+ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4;
+Poseid. fr. 25 Müller; Strab. 4, 179). Die starke Ausfuhr von Öl und
+Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der
+Stadt ist bekannt.
+
+2 In der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht
+weit von Clermont.
+
+3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator
+und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge
+führen Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestätigt teils
+dadurch, daß Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. 7,
+50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die
+Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloß Maximus vor Ahenobarbus
+triumphierte, sondern auch jener über die Allobrogen und den
+Arvernerkönig, dieser nur über die Arverner. Es ist einleuchtend, daß
+die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner früher stattgefunden haben
+muß als die gegen die Arverner allein.
+
+————————————————————————
+
+Das Ergebnis dieser militärischen Operationen war die Einrichtung einer
+neuen römischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenäen. Die
+sämtlichen Völkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von
+den Römern abhängig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten,
+vermutlich schon jetzt den Römern tributär. In der Landschaft zwischen
+der Rhone und den Pyrenäen behielten die Arverner zwar die Freiheit und
+wurden nicht den Römern zinspflichtig; allein sie hatten den
+südlichsten Teil ihres mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich
+südlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der
+Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Römer abzutreten. Da der
+nächste Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung
+zwischen Spanien und Italien war, so wurde unmittelbar nach der
+Besetzung gesorgt für die Chaussierung des Küstenweges. Zu diesem Ende
+wurde von den Alpen zur Rhone der Küstenstrich in der Breite von 1/5
+bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von
+Seestationen an dieser Küste besaßen, überwiesen mit der Verpflichtung,
+die Straße in gehörigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu
+den Pyrenäen die Römer selbst eine Militärchaussee anlegten, die von
+ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Straße erhielt. Wie
+gewöhnlich verband mit dem Straßenbau sich die Anlage neuer Festungen.
+Im östlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die
+Kelten geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend
+wie die zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden;
+hier entstand eine römische Ortschaft, die “Bäder des Sextius”, Aquae
+Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Römer in Narbo sich
+an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluß Atax (Aude) in
+geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekatäos nennt und die schon
+vor ihrer Besetzung durch die Römer als lebhafter an dem britannischen
+Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae
+erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen
+Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die
+Kelten gegründet, ward als “Marsstadt” römische Bürgerkolonie und der
+gewöhnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen
+Keltenprovinz oder, wie sie noch häufiger genannt wird, der Provinz
+Narbo.
+
+———————————————————————————-
+
+4 Aquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell
+(Strab. 4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1.
+Kopenhagen 1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen
+Orten - so ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes
+gewesen als ein keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes
+römisches Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft.
+
+———————————————————————————-
+
+Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen
+Gebietserwerbungen veranlaßte, wollte offenbar sich hier ein neues und
+unermeßliches Gebiet für ihre Kolonisationspläne eröffnen, das
+dieselben Vorzüge darbot wie Sizilien und Afrika und leichter den
+Eingeborenen entrissen werden konnte als die sizilischen und libyschen
+Äcker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte
+freilich auch hier sich fühlbar in der Beschränkung der Eroberungen und
+mehr noch der Stadtgründungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem
+Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht völlig vereitelt. Das
+gewonnene Gebiet und mehr noch die Gründung von Narbo, welcher
+Ansiedelung der Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu
+bereiten suchte, blieben als unfertige, aber den künftigen Nachfolger
+des Gracchus an die Fortsetzung des Baus mahnende Ansätze stehen.
+Offenbar schützte die römische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit
+Massalia in dem gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren
+vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten.
+
+Eine ähnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten
+von Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlässigt, aber noch
+unvollkommener als jene gelöst. Mit der Anlage von Aquileia (571 183)
+kam die Istrische Halbinsel in den Besitz der Römer; in Epirus und dem
+ehemaligen Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits
+geraume Zeit früher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins
+Binnenland hinein, und selbst an der Küste beherrschten sie kaum dem
+Namen nach den unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der
+in seinen wildverschlungenen, weder von Flußtälern noch von
+Küstenebenen unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten
+Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger
+Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als zusammenknüpft. Um
+die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloß sich hier die
+Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren
+wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu reicher
+Kulturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine
+Münze und teilte den Acker, ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen,
+von acht zu acht Jahren neu auf unter die gemeinsässigen Leute. Land-
+und Seeraub waren die einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese
+Völkerschaften hatten in früheren Zeiten in einem losen
+Abhängigkeitsverhältnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren
+insofern mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die
+Königin Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem
+Regierungsantritt des Königs Genthios hatten sie sich losgemacht und
+waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das südliche Illyrien in den
+Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von Rom dauernd
+abhängig machte. Die Römer überließen die wenig lockende Landschaft
+gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, namentlich
+der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dalmatern wohnten, und
+der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen
+Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer
+zu leiden hatten, nötigten die römische Regierung, an diese eine
+Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort zurückbrachte, daß
+die Dalmater um die Römer weder bisher sich gekümmert hätten noch
+künftig kümmern würden, im Jahre 598 (156) ein Heer unter dem Konsul
+Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein,
+ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet. Erst sein
+Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die große und feste
+Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und
+sich bekannte als den Römern untertänig. Indes war die arme und nur
+oberflächlich unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als
+eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnügte sich, wie man es schon
+für die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, sie von Italien aus
+mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen; wobei es
+wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre 608 (146) die
+Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche Grenze nördlich
+von Skodra festgestellt worden war 5.
+
+————————————————————————
+
+5 3, 49. Die Pirusten in den Tälern des Drin gehörten zur Provinz
+Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caes.
+Gall. 5, 1).
+
+————————————————————————
+
+Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar
+abhängige Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Völkern im
+Nordosten größere Bedeutung, indem sie den Römern die Verpflichtung
+auferlegte, die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die
+angrenzenden barbarischen Stämme zu verteidigen; und in ähnlicher Weise
+ging nicht lange darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum
+Reich der Attaliden gehörigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von
+Gallipoli) die bisher den Königen von Pergamon obliegende
+Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schützen,
+gleichfalls auf die Römer über. Von der zwiefachen Basis aus, die das
+Potal und die makedonische Landschaft darboten, konnten die Römer jetzt
+ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und
+der nördlichen Gebirge wenigstens insoweit sich bemächtigen, als die
+Sicherheit der südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen
+Gegenden war damals die mächtigste Nation das große Keltenvolk, welches
+der einheimischen Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean
+sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpenkette in das Potal und
+nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau
+ergossen hatte. Von ihren Stämmen saßen auf beiden Ufern des Oberrheins
+die mächtigen, reichen und, da sie mit den Römern nirgends sich
+unmittelbar berührten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden
+Helvetier, die damals vom Genfer See bis zum Main sich erstreckend die
+heutige Schweiz, Schwaben und Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit
+ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Bayern und Böhmen
+gewesen sein mögen 6. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem anderen
+Keltenstamm, der in der Steiermark und Kärnten unter dem Namen der
+Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der
+Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nördlich von
+Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die schon damals in
+dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in
+dieser Zeit die Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage
+gekommenen reichen Goldlager, bis die Eingeborenen sie ausschlossen und
+dies Kalifornien der damaligen Zeit für sich allein nahmen. Diese zu
+beiden Seiten der Alpen sich ergießenden keltischen Schwärme hatten
+nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und Hügelland besetzt; die
+eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der Etsch und des
+unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Händen der früher dort
+einheimischen Bevölkerung geblieben, welche, ohne daß über ihre
+Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen wäre, unter
+dem Namen der Räter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten
+dem der Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daß an
+diesem letzten Punkt die beiden großen Keltenströme fast sich berühren
+und nur ein schmaler Streif eingeborener Bevölkerung die keltischen
+Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die
+Euganeer und Veneter waren längst friedliche Untertanen der Römer;
+dagegen die eigentlichen Alpenvölker waren nicht bloß noch frei,
+sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmäßig Streifzüge in
+die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnügten zu
+brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit
+fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze männliche
+Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten - vermutlich die
+tatsächliche Antwort auf die römischen Razzias in den Alpentälern. Wie
+gefährlich diese rätischen Einfälle waren, zeigt, daß einer derselben
+um das Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete.
+Wenn bereits diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen
+und nichtkeltischen Stämme vielfach sich gemischt haben mögen, so ist
+die Völkermengung, wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise
+eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in
+den westlicheren, die hohen Gebirge als natürliche Scheidewände dienen.
+Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren letzter reiner Überrest
+die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgängig wenigstens im
+Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische
+Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst an
+die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen
+im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng saßen, ein
+ursprünglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm.
+An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe
+Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland
+dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor
+allem mächtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den
+Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren
+Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die
+führende Nation, die weit und breit nach Mösien, Thrakien und
+Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen
+Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war
+das feste Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save.
+Die Völker, die damals in Ungarn, Siebenbürgen, Rumänien, Bulgarien
+saßen, blieben für jetzt noch außerhalb des Gesichtskreises der Römer;
+nur mit den Thrakern berührte man sich an der Ostgrenze Makedoniens in
+den Rhodopegebirgen.
+
+—————————————————————-
+
+6 “Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb),
+dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier”, sagt Tacitus (Germ. 28),
+“weiterhin die Boier.” Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an,
+daß die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den
+Herkynischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis
+zum Böhmerwald. Wenn Caesar sie “jenseits des Rheines” versetzt (Gall.
+1, 5), so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von
+helvetischen Verhältnissen ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft
+nordöstlich vom Bodensee meinen; womit vollkommen übereinstimmt, daß
+Strabon die ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend
+bezeichnet, nur daß er nicht ganz genau als Anwohner des Bodensees die
+Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst festsetzten, nachdem
+die Boier diese Striche geräumt hatten. Aus diesen ihren Sitzen waren
+die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Stämmen schon vor
+Poseidonios’ Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben
+irrten zu Caesars Zeit in Kärnten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen
+von da zu den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer
+Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten
+vernichtet ward, die Landschaft aber, die sogenannte “boische Einöde”,
+den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Völker bewahrte. Vgl. 2,
+193 A.
+
+—————————————————————
+
+Es wäre für eine kräftigere Regierung, als die damalige römische es
+war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen
+Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten;
+was unter den Auspizien der Restaurationsregierung für den wichtigen
+Zweck geschah, genügt auch den mäßigsten Anforderungen nicht. An
+Expeditionen gegen die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben;
+im Jahre 636 (118) ward triumphiert über die Stöner, die in den Bergen
+oberhalb Verona gesessen haben dürften; im Jahre 659 (95) ließ der
+Konsul Lucius Crassus die Alpentäler weit und breit durchstöbern und
+die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben
+genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem
+Rednerruhm den Siegerlorbeer paaren zu können. Allein da man es bei
+derartigen Razzias bewenden ließ, die die Eingeborenen nur erbitterten,
+ohne sie unschädlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen
+Überlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der
+Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war.
+
+Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um
+die Nachbarn bekümmert zu haben; kaum daß im Jahre 651 (103) Gefechte
+mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Mädern in den
+Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwähnt werden.
+
+Ernstlichere Kämpfe fanden statt im illyrischen Land, wo über die
+unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der
+Adriatischen See beständig Beschwerde geführt ward; und an der völlig
+offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck
+eines Römers so weit ging als die römischen Schwerter und Speere
+reichten, ruhten die Kämpfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619
+(135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyäer oder Vardäer und die
+Pleräer oder Paralier, eine dalmatische Völkerschaft in dem Litoral
+nördlich der Narentamündung, die nicht aufhörte, auf dem Meer und an
+der gegenüberliegenden Küste Unfug zu treiben; auf Geheiß der Römer
+siedelten sie von der Küste weg im Binnenland, der heutigen
+Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkümmerten aber
+in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward von
+Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die
+vermutlich mit den angegriffenen Küstenbewohnern gemeinschaftliche
+Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demütigte der Konsul
+Tuditanus in Verbindung mit dem tüchtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger
+der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfänglich
+eine Niederlage erlitten, schließlich die römischen Waffen tief nach
+Dalmatien hinein bis an den Kerkafluß, 25 deutsche Meilen abwärts von
+Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom
+in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre später (635
+119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den
+Skordiskern. Während gegen diese der Konsul Lucius Cotta kämpfte und
+dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater
+sein Kollege, der ältere Bruder des Besiegten von Numidien, Lucius
+Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, überwand sie und überwinterte
+in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz der
+Römer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in
+diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee fällt, die von
+Salona in östlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da
+weiter landeinwärts führte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges
+trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius
+Scaurus, gegen die Taurisker 7; er überstieg, der erste unter den
+Römern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten Senkung zwischen
+Triest und Laibach und schloß mit den Tauriskern Gastfreundschaft,
+wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward, ohne daß
+doch die Römer, wie eine förmliche Unterwerfung dies nach sich gezogen
+haben würde, in die Völkerbewegungen nordwärts der Alpen hineingezogen
+worden wären.
+
+———————————————————————————————————
+
+7 Galli Karni heißen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn
+so ist statt des überlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei
+Victor.
+
+———————————————————————————————————-
+
+Von den fast verschollenen Kämpfen mit den Skordiskern ist durch einen
+kürzlich in der Nähe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen
+Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung
+deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel in
+diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos
+(unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten
+gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quästor Marcus Annius mit
+seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermaßen Herr geworden
+war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem König
+der Mäder (am oberen Strymon) Tipas in noch größeren Massen abermals
+ein, und mit Mühe erwehrten sich die Römer der andringenden Barbaren 8.
+Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, daß es nötig wurde,
+konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre darauf
+wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den
+serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern überfallen und sein Heer
+vollständig aufgerieben, während er selbst mit wenigen schimpflich
+entfloh; mühsam schirmte der Prätor Marcus Didius die römische Grenze.
+Glücklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642
+113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste römische
+Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647
+110-107), der die Waffen längs der Morawa ^10 trug und die Skordisker
+nachdrücklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher,
+im Bunde wieder mit den Mädern und den Dardanern, in das römische
+Gebiet und plünderten sogar das delphische Heiligtum; erst da machte
+Lucius Scipio dem zweiunddreißigjährigen Skordiskerkrieg ein Ende und
+trieb den Rest hinüber auf das linke Ufer der Donau ^11. Seitdem
+beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem
+Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die erste
+Rolle zu spielen.
+
+————————————————————————
+
+8 Der Quästor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete
+(Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der
+Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist
+sonst nicht bekannt; der Prätor Sex. Pompeius, dessen Fall darin
+erwähnt wird, kann kein anderer sein als der Großvater des Pompeius,
+mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde
+werden bezeichnet als Γαλατών έθνος. Es wird hervorgehoben, daß Annius
+aus Schonung gegen die Provinzialen es unterließ, ihre Kontingente
+aufzubieten und mit den römischen Truppen allein die Barbaren
+zurücktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine
+faktisch stehende römische Besatzung erfordert.
+
+9 Ist Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien
+gegangen (CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z.
+Berlin 1854, S. 167), so muß auch er dort einen Mißerfolg erlitten
+haben, da Cicero (Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio
+imperio, consulari quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin
+triumpharit; denn die für diese Epoche vollständige Triumphalliste
+kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des
+Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106).
+
+^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von
+Minucius besiegte Völkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein
+Fehler von Florus sein, daß er statt des Margos (Morawa) den Hebros
+(die Maritza) nennt.
+
+^11 Von dieser Vernichtung der Skordisker, während die Mäder und
+Dardaner zum Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und
+in der Tat sind seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden.
+Wenn die schließliche Überwältigung im 32. Jahr από τής πρώτης εις
+Κελτούς πείρας stattgefunden hat, so scheint dies von einem
+zweiunddreißigjährigen Krieg zwischen den Römern und den Skordiskern
+verstanden werden zu müssen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach
+der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) fällt und von dem
+die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil
+sind. Daß die Überwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen
+Bürgerkriege, also wohl spätestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus
+Appians Erzählung hervor. Sie fällt zwischen 650 (104) und 656 (98),
+wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das
+Triumphalverzeichnis vollständig; indes ist es möglich, daß es aus
+irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht
+bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres 671
+(83), da dieser infolge der cinnanisch-marianischen Wirren füglich
+verspätet zum Konsulat gelangt sein kann.
+
+————————————————————————-
+
+Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten.
+Schon seit längerer Zeit irrte ein “unstetes Volk” an dem nördlichen
+Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen
+Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heißt die Chempho, die
+Kämpen oder, wie ihre Feinde übersetzten, die Räuber, welche Benennung
+indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum Volksnamen
+geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stießen unter den Kelten
+zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Böhmen.
+Genaueres über die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die
+Zeitgenossen aufzuzeichnen versäumt ^12 und kann auch durch keine
+Mutmaßung ergänzt werden, da die derzeitigen Zustände nördlich von
+Böhmen und dem Main und östlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich
+vollständig entziehen. Dagegen dafür, daß die Kimbrer und nicht minder
+der ihnen später sich anschließende gleichartige Schwarm der Teutonen
+ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehören, der die Römer
+sie anfänglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen die
+bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger
+Stämme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurückgebliebener Reste,
+der Kimbrer im heutigen Dänemark, der Teutonen im nordöstlichen
+Deutschland in der Nähe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des
+Großen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels
+gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen
+Völkertafel unter den Ingävonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars,
+der zuerst die Römer den Unterschied der Deutschen und der Kelten
+kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen gesehen
+haben muß, den Deutschen beizählt; endlich die Völkernamen selbst und
+die Angaben über ihre Körperbildung und ihr sonstiges Wesen, die zwar
+auf die Nordländer überhaupt, aber doch vorwiegend auf die Deutschen
+passen. Andererseits ist es begreiflich, daß ein solcher Schwarm,
+nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und
+auf seinen Zügen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden
+Waffenbruder, der sich anschloß, willkommen geheißen hatte, eine Menge
+keltischer Elemente in sich schloß; so daß es nicht befremdet, wenn
+Männer keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder wenn die
+Römer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu
+kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Römer noch
+nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht
+ein “heiliger Lenz” in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern
+ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog,
+eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der überall bei den noch
+nicht völlig seßhaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere
+Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den
+Kelten durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das
+Haus, wo unter dem übergespannten Lederdach neben dem Gerät Platz sich
+fand für die Frau und die Kinder und selbst für den Haushund. Die
+Südländer sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit
+den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen
+Frauen, die den Männern an Größe und Stärke wenig nachgaben, die Kinder
+mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die flachsköpfigen
+Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war wesentlich das
+der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die italischen,
+barhäuptig und bloß mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit
+kupfernen, oft reichgeschmückten Helmen und mit einer eigentümlichen
+Wurfwaffe, der Materis; daneben war das große Schwert geblieben und der
+lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug.
+An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen
+überlegen. Die Schlachtordnung war wie früher eine rohe, angeblich
+ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied
+in gefährlichen Gefechten nicht selten die metallenen Leibgürtel mit
+Stricken zusammenknüpfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward
+häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und womöglich der
+längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und überhaupt der
+Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausgemacht,
+auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum
+Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten
+Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche Gebärden und ein
+entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und
+die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel
+nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem
+Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes würdig war -,
+allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste
+Bestialität und verhieß auch wohl im voraus den Schlachtgöttern,
+darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben würde. Dann
+wurden die Geräte zerschlagen, die Pferde getötet, die Gefangenen
+aufgeknüpft oder nur aufbehalten, um den Göttern geopfert zu werden. Es
+waren die Priesterinnen, greise Frauen in weißen linnenen Gewändern und
+unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen und
+aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder Verbrechers
+die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner Brauch der
+nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie viel
+deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise,
+nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und
+leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen
+werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein
+ungeheures Knäuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern deutscher
+Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht
+unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten ähnlich
+belastet und ähnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein
+übers Meer fahren; ihre schwerfällige Wagenburg mit der Gewandtheit,
+die ein langes Wanderleben gibt, hinüberführend über Ströme und
+Gebirge, gefährlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und
+die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch
+vordringend, bald plötzlich stockend oder seitwärts und rückwärts sich
+wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie
+verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in der
+sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten hätte, das
+wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man später anfing, die Kette
+zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den
+Kreis der antiken Zivilisation berührt hat, ein Glied ist, war die
+unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.
+
+———————————————————————————
+
+^12 Denn der Bericht, daß an den Küsten der Nordsee durch Sturmfluten
+große Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung
+der Kimbrer veranlaßt worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns
+nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, märchenhaft, allein ob er auf
+Überlieferung oder Vermutung sich gründet, ist doch nicht zu
+entscheiden.
+
+———————————————————————————
+
+Dies heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der
+Donau, namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Süden
+vorzudringen, durchbrach diese Schranke infolge der von den Römern
+gegen die Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, daß die
+Donaukelten die kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die
+vordringenden Legionen, oder daß jene durch den Angriff der Römer
+verhindert wurden, ihre Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch
+das Gebiet der Skordisker einrückend in das Tauriskerland, näherten sie
+im Jahre 641 (113) sich den Krainer Alpenpässen, zu deren Deckung der
+Konsul Gnaeus Papirius Carbo auf den Höhen unweit Aquileia sich
+aufstellte. Hier hatten siebzig Jahre zuvor keltische Stämme sich
+diesseits der Alpen anzusiedeln versucht, aber auf Geheiß der Römer den
+schon okkupierten Boden ohne Widerstand geräumt; auch jetzt erwies die
+Furcht der transalpinischen Völker vor dem römischen Namen sich
+mächtig. Die Kimbrer griffen nicht an; ja sie fügten sich, als Carbo
+sie das Gebiet der Gastfreunde Roms, der Taurisker, räumen hieß, wozu
+der Vertrag mit diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den
+Führern, die ihnen Carbo gegeben hatte, um sie über die Grenze zu
+geleiten. Allein diese Führer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in
+einen Hinterhalt zu locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es
+unweit Noreia im heutigen Kärnten zum Kampf, in dem die Verratenen über
+den Verräter siegten und ihm beträchtlichen Verlust beibrachten; nur
+ein Unwetter, das die Kämpfenden trennte, verhinderte die vollständige
+Vernichtung der römischen Armee. Die Kimbrer hätten sogleich ihren
+Angriff gegen Italien richten können; sie zogen es vor, sich westwärts
+zu wenden. Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als
+durch Gewalt der Waffen eröffneten sie sich den Weg auf das linke
+Rheinufer und über den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos
+Niederlage abermals in nächster Nähe das römische Gebiet. Die
+Rheingrenze und das zunächst gefährdete Gebiet der Allobrogen zu
+decken, erschien 645 (109) im südlichen Gallien ein römisches Heer
+unter Marcus Iunius Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen,
+wo sie friedlich sich niederlassen könnten - eine Bitte, die sich
+allerdings nicht gewähren ließ. Der Konsul griff statt aller Antwort
+sie an; er ward vollständig geschlagen und das römische Lager erobert.
+Die neuen Aushebungen, welche durch diesen Unfall veranlaßt wurden,
+stießen bereits auf so große Schwierigkeit, daß der Senat deshalb die
+Aufhebung der vermutlich von Gaius Gracchus herrührenden, die
+Verpflichtung zum Kriegsdienst der Zeit nach einschränkenden Gesetze
+bewirkte. Indes die Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Römer zu
+verfolgen, sandten an den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von
+Land zu wiederholen, und beschäftigten sich inzwischen, wie es scheint,
+mit der Unterwerfung der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor
+den Deutschen die römische Provinz und die neue römische Armee für den
+Augenblick Ruhe; dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland
+selbst. Die Helvetier, die in den steten Kämpfen mit ihren
+nordöstlichen Nachbarn viel zu leiden hatten, fühlten durch das
+Beispiel der Kimbrer sich gereizt, gleichfalls im westlichen Gallien
+sich ruhigere und fruchtbarere Sitze zu suchen, und hatten vielleicht
+schon, als die Kimbrerscharen durch ihr Land zogen, sich dazu mit ihnen
+verbündet; jetzt überschritten unter Divicos Führung die Mannschaften
+der Tougener (unbekannter Lage) und der Tigoriner (am See von Murten)
+den Jura ^13 und gelangten bis in das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen
+an der Garonne). Das römische Heer unter dem Konsul Lucius Cassius
+Longinus, auf das sie hier stießen, ließ sich von den Helvetiern in
+einen Hinterhalt locken, wobei der Feldherr selber und sein Legat, der
+Konsular Lucius Piso, mit dem größten Teil der Soldaten ihren Tod
+fanden; der interimistische Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich
+in das Lager gerettet hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug
+unter dem Joch gegen Auslieferung der Hälfte der Habe, die die Truppen
+mit sich führten, und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich
+standen die Dinge für die Römer, daß in ihrer eigenen Provinz eine der
+wichtigsten Städte, Tolosa, sich gegen sie erhob und die römische
+Besatzung in Fesseln schlug.
+
+——————————————————-
+
+^13 Die gewöhnliche Annahme, daß die Tougener und Tigoriner mit den
+Kimbrern zugleich in Gallien eingerückt seien, läßt sich auf Strabon 7,
+293 nicht stützen und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der
+Helvetier. Die Überlieferung über diesen Krieg ist übrigens in einer
+Weise trümmerhaft, daß eine zusammenhängende Geschichtserzählung,
+völlig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf
+ungefähre Richtigkeit.
+
+———————————————————
+
+Indes da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und
+auch die Helvetier vorläufig die römische Provinz nicht weiter
+belästigten, hatte der neue römische Oberfeldherr Quintus Servilius
+Caepio volle Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu
+bemächtigen und das alte und berühmte Heiligtum des Keltischen Apollon
+von den darin aufgehäuften ungeheuren Schätzen mit Muße zu leeren - ein
+erwünschter Gewinn für die bedrängte Staatskasse, nur daß leider die
+Gold- und Silberfässer auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der
+schwachen Bedeckung durch einen Räuberhaufen abgenommen wurden und
+spurlos verschwanden; wie es hieß, waren die Anstifter dieses
+Überfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen
+beschränkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive
+und hütete mit drei starken Heeren die römische Provinz, bis es den
+Kimbrern gefallen würde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre
+649 (105) unter ihrem König Boiorix, diesmal ernstlich denkend an einen
+Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der
+Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter
+ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular
+Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward völlig
+geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier
+gebracht, wo der kimbrische König, erzürnt über die stolze Warnung des
+gefangenen Römers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen,
+ihn niederstieß. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer über
+die Rhone zu führen; widerwillig sich fügend erschien dieser endlich
+bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze
+römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüberstand und ihm durch ihre
+ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, daß die Kimbrer anfingen zu
+unterhandeln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfnis.
+Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Konsul seinem
+stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten
+prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen übergeordnet; allein
+dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und
+gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie
+vor sein selbständiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des
+römischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persönliche
+Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen,
+erweiterte nur den Riß. Als Caepio den Maximus mit den Boten der
+Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer
+Unterwerfung allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein
+sich schleunigst auf den Feind. Er ward völlig vernichtet, so daß auch
+das Lager dem Feinde in die Hände fiel (6. Oktober 649 105); und sein
+Untergang zog die nicht minder vollständige Niederlage der zweiten
+römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische Soldaten und halb
+soviel von dem ungeheuren und unbehilflichen Troß gefallen, nur zehn
+Mann entkommen sein - so viel ist gewiß, daß es nur wenigen von den
+beiden Heeren gelang, sich zu retten, da die Römer mit dem Fluß im
+Rücken gefochten hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und
+moralisch den Tag von Cannae weit überbot. Die Niederlagen des Carbo,
+des Silanus, des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen
+Eindruck vorübergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit
+Unfällen zu eröffnen; die Unüberwindlichkeit der römischen Waffen stand
+so unerschütterlich fest, daß es überflüssig schien, die ziemlich
+zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das
+den unverteidigten Alpenpässen in erschreckender Weise sich nähernde
+Kimbrerheer, die sowohl in der römischen Landschaft jenseits der Alpen
+als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt ausbrechende
+Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus
+diesen Träumen. Man gedachte wieder der nie völlig vergessenen
+Keltenstürme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des
+Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich ältester Erinnerung
+und frischester Angst kam der Gallierschreck über Italien; im ganzen
+Okzident schien man es inne zu werden, daß die Römerherrschaft anfange
+zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch
+Senatsbeschluß die Trauerzeit abgekürzt ^14. Die neuen Werbungen
+stellten den drückendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfähigen
+Italiker mußten schwören, Italien nicht zu verlassen; die Kapitäne der
+in den italischen Häfen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen
+dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was
+hätte kommen mögen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg
+durch die Alpenpforten in Italien eingerückt wären. Indes sie
+überschwemmten zunächst das Gebiet der Arverner, die mühsam in ihren
+Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der
+Belagerung müde, nicht nach Italien, sondern westwärts gegen die
+Pyrenäen.
+
+———————————————————————
+
+^14 Hierher gehört ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122.
+
+———————————————————————
+
+Wenn der erstarrte Organismus der römischen Politik noch aus sich
+selber zu einer heilsamen Krise gelangen konnte, so mußte sie jetzt
+eintreten, wo durch einen der wunderbaren Glücksfälle, an denen die
+Geschichte Roms so reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle
+Energie und allen Patriotismus in der Bürgerschaft aufzurütteln, und
+doch nicht so plötzlich hereinbrach, daß diesen Kräften kein Raum
+geblieben wäre, sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur
+ebendieselben Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den
+afrikanischen Niederlagen eingetreten waren. In der Tat waren die
+afrikanischen und die gallischen Unfälle wesentlich gleicher Art. Es
+mag sein, daß zunächst jene mehr der Oligarchie im ganzen, diese mehr
+einzelnen Beamten zur Last fielen; allein die öffentliche Meinung
+erkannte mit Recht in beiden vor allen Dingen den Bankrott der
+Regierung, welche in fortschreitender Entwicklung zuerst die Ehre des
+Staats und jetzt bereits dessen Existenz in Frage stellte. Man täuschte
+sich damals so wenig wie jetzt über den wahren Sitz des Übels, allein
+jetzt so wenig wie damals brachte man es auch nur zu einem Versuch, an
+der rechten Stelle zu bessern. Man sah es wohl, daß das System die
+Schuld trug; aber man blieb auch diesmal dabei stehen, einzelne
+Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud freilich über den
+Häuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich mit um so viel
+schwereren Schlägen, als die Katastrophe von 649 (105) die von 645
+(109) an Umfang und Gefährlichkeit übertraf. Das instinktmäßig sichere
+Gefühl des Publikums, daß es gegen die Oligarchie kein Mittel gebe als
+die Tyrannis, zeigte sich wiederum, indem dasselbe bereitwillig einging
+auf jeden Versuch namhafter Offiziere, der Regierung die Hand zu
+zwingen und unter dieser oder jener Form das oligarchische Regiment
+durch eine Diktatur zu stürzen.
+
+Zunächst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten;
+mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunächst durch seine
+Unbotmäßigkeit herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich
+gegründeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosanischen
+Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn entwickelte,
+wesentlich auch das bei, daß er als Konsul einen Versuch gewagt hatte,
+den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreißen. Um seinetwillen
+ward der alte ehrwürdige Grundsatz, auch im schlechtesten Gefäß die
+Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, während gegen den Urheber
+des cannensischen Unglückstages der Tadel in die stille Brust
+verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio durch
+Volksbeschluß des Prokonsulats entsetzt und - was seit den Krisen, in
+denen das Königtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen war - sein
+Vermögen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht lange nachher
+wurde derselbe durch einen zweiten Bürgerschluß aus dem Senat gestoßen
+(650 104). Aber dies genügte nicht; man wollte mehr Opfer und vor allem
+Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter Volkstribune, an
+ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius Norbanus,
+beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen
+Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen;
+trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der
+Todesstrafe für politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die
+Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil über ihn zu fällen
+und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch
+tribunizische Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die
+einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt
+und bei dem heftigen Auflauf die ersten Männer des Senats durch
+Steinwürfe verletzt. Die Untersuchung war nicht zu verhindern und der
+Prozeßkrieg ging im Jahre 651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor;
+Caepio selbst, sein Kollege im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und
+zahlreiche andere angesehene Männer wurden verurteilt; mit Mühe gelang
+es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner
+eigenen bürgerlichen Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben
+zu retten ^15.
+
+—————————————————————
+
+^15 Die Amtsentsetzung des Prokonsuls Caepio, mit der die
+Vermögenseinziehung verbunden war (Liv. ep. 67), ward wahrscheinlich
+unmittelbar nach der Schlacht von Arausio (6. Oktober 649 105) von der
+Volksversammlung ausgesprochen. Daß zwischen der Absetzung und der
+eigentlichen Katastrophe einige Zeit verstrich, zeigt deutlich der im
+Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio gemünzte Antrag, daß
+Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat nach sich ziehen solle
+(Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus (p. 10: Cn. Manilius ob
+eandem causam quam et Caepio L. Saturnini rogatione e civitate est cito
+[?] eiectus; wodurch die Andeutung bei Cicero (De orat. 2, 28,125) klar
+wird, lehren jetzt, daß ein von Lucius Appuleius Saturninus
+vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe herbeigeführt hat. Es ist dies
+offenbar kein anderes als das Appuleische Gesetz über die geschmälerte
+Majestät des römischen Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201)
+oder, wie der Inhalt desselben schon früher (Bd. 2, S. 193 der ersten
+Auflage [Orig.]) bestimmt ward, Saturninus’ Antrag auf Niedersetzung
+einer außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der während der
+kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverrätereien. Die
+Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3,
+30, 74) entsprang in ganz ähnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz,
+wie die dort weiter genannten Spezialgerichte über eine ärgerliche
+Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die über die
+Vorgänge mit den Vestalinnen aus dem Peducäischen von 641 (113), die
+über den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110). Die
+Vergleichung dieser Fälle lehrt auch, daß von dergleichen
+Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen an
+Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn
+anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird,
+der das Verfahren gegen Caepio veranlaßte und dafür später zur
+Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200.
+part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn
+der Antrag ging, wie gewöhnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet.
+Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits
+tot war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung
+zu üben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten
+und schließlichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewöhnliche,
+sehr unüberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), zehn
+Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits früher
+zurückgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, daß Crassus als
+Konsul, also 659 (95) für Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er
+aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus
+wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius
+Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Früher wurde für diese
+zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, daß sie
+aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken
+zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros.
+hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum
+zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden
+sich nicht, aber die sehr überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht für
+das erstere Jahr, teils weil dies den Unglücksfällen in Gallien näher
+steht, teils weil in den ziemlich ausführlichen Berichten über
+Saturninus’ zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen
+diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Daß die infolge
+der Urteilssprüche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den
+Staatsschatz zurückgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat
+für seine Kolonisationspläne in Anspruch genommen werden (Vir. ill. 73,
+5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht entscheidend
+und kann überdies leicht durch Verwechslung von dem ersten
+afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus
+übertragen worden sein.
+
+Daß späterhin, als Norbanus belangt ward, dies eben auf Grund des von
+ihm mitveranlaßten Gesetzes geschah, ist eine dem römischen politischen
+Prozeß dieser Zeit gewöhnliche Ironie (Cic. Brut. 89, 305) und darf
+etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als sei das Appuleische Gesetz
+schon, wie das spätere Cornelische, ein allgemeines Hochverratsgesetz
+gewesen.
+
+————————————————————————
+
+Wichtiger als diese Maßregel der Rache war die Frage, wie der
+gefährliche Krieg jenseits der Alpen ferner geführt und zunächst, wem
+darin die Oberfeldherrnschaft übertragen werden sollte. Bei
+unbefangener Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu
+treffen. Rom war zwar im Vergleich mit früheren Zeiten an militärischen
+Notabilitäten nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in
+Gallien, Marcus Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den
+Donauländern, Quintus Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in
+Afrika mit Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht
+darum, einen Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren
+des Nordens gegenüber die oft erprobte Überlegenheit römischer Waffen
+und römischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines
+genialen, sondern nur eines strengen und tüchtigen Kriegsmanns
+bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher möglich war
+als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung
+war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische
+Krieg gezeigt hatte, in der öffentlichen Meinung so vollständig
+bankrott, daß ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn
+weichen mußten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem
+Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich
+an die Spitze der Geschäfte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, daß,
+was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich
+wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus
+Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat
+mehr als einmal zu übernehmen verbot, auf als Bewerber um das höchste
+Staatsamt und nicht bloß ward er, während er noch in Afrika an der
+Spitze des dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der
+Oberbefehl in dem Gallischen Krieg übergeben, sondern es ward ihm auch
+fünf Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das
+Konsulat übertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter
+Hohn gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen
+Torheit und Kurzsichtigkeit bewährten exklusiven Geist der Nobilität,
+aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhört und in der Tat
+mit dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich
+war. Namentlich in dem römischen Militärwesen, dessen im Afrikanischen
+Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Bürgerwehr in eine Söldnerschar
+Marius während seines fünfjährigen, durch die Not der Zeit mehr noch
+als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschränkten Oberkommandos
+fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser
+inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen
+Generals für alle Zeit sichtbar geblieben.
+
+Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits
+der Alpen, gefolgt von einer Anzahl erprobter Offiziere, unter denen
+der kühne Fänger des Jugurtha, Lucius Sulla, bald sich abermals
+hervortat, und von zahlreichen Scharen italischer und
+bundesgenössischer Soldaten. Zunächst fand er den Feind, gegen den er
+geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, die bei Arausio
+gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, nachdem sie
+die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, über die Pyrenäen
+gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den tapferen Bewohnern
+der Nordküste und des Binnenlandes herum; es schien, als wollten die
+Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei ihrem ersten
+Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius volle Zeit,
+einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam zurückzubringen,
+die schwankende Treue der untertänigen gallischen und ligurischen Gaue
+wieder zu befestigen und innerhalb wie außerhalb der römischen Provinz
+von den gleich den Römern durch die Kimbrer gefährdeten Bundesgenossen,
+wie zum Beispiel von den Massalioten, den Allobrogen, den Sequanern,
+Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits durch strenge Mannszucht
+und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe das ihm
+anvertraute Heer zu disziplinieren und durch Märsche und ausgedehnte
+Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung eines später den Massalioten
+überwiesenen Rhonekanals zur leichteren Herbeischaffung der von Italien
+dem Heer nachgesandten Transporte - die Soldaten für die ernstere
+Kriegsarbeit tüchtig zu machen. Auch er verhielt sich in strenger
+Defensive und überschritt nicht die Grenzen der römischen Provinz.
+Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651 (103), flutete der
+Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen Widerstand der
+eingeborenen Völkerschaften, namentlich der Keltiberer sich gebrochen
+hatte, wieder zurück über die Pyrenäen und von da, wie es scheint, am
+Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen Männern sich
+unterwarf, von den Pyrenäen bis zur Seine. Erst hier, an der
+Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen sie auf
+ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, während sie im Gebiet
+der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher Zuzug.
+Nicht bloß drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner und
+Tougener, welche früher an der Garonne gegen die Römer gefochten
+hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern,
+sondern es stießen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter
+ihrem König Teutobod, welche durch uns nicht überlieferte Fügungen aus
+ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen waren ^16.
+Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen Widerstand
+der Belgen nicht zu überwältigen. Die Führer entschlossen sich daher,
+mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals beratenen Zug
+nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit dem bisher
+zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier
+zurückgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus
+denen später nach mancherlei Irrfahrten die Völkerschaft der Aduatuker
+an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen
+Verpflegung auf den Alpenstraßen, sei es aus anderen Gründen, die
+Massen lösten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine,
+die Kimbrer und Tigoriner, über den Rhein zurück und durch die schon im
+Jahre 641 (113) erkundeten Pässe der Ostalpen, der andere, die
+neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von
+Arausio bewährte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das römische
+Gallien und die Westpässe nach Italien eindringen sollte. Diese zweite
+Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die
+Rhone überschritt und am linken Ufer derselben mit den Römern den Kampf
+nach fast dreijähriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in
+einem wohlgewählten und wohlverproviantierten Lager am Einfluß der
+Isère in die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals
+gangbaren Heerstraßen nach Italien, die über den Kleinen Bernhard und
+die an der Küste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen
+das Lager an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte
+der Sturm der Barbaren um die römischen Verschanzungen, aber der wilde
+Mut scheiterte an der Überlegenheit der Römer im Festungskrieg und an
+der Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich
+die dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fürbaß
+nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran
+vorüber, ein Beweis mehr noch für die Schwerfälligkeit ihres Trosses
+als für ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr ließ es geschehen ohne
+anzugreifen; daß er durch den höhnischen Zuruf der Feinde, ob die Römer
+nicht Aufträge hätten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren ließ, ist
+begreiflich, aber daß er dies verwegene Vorbeidefilieren der
+feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten römischen Masse nicht
+benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten
+vertraute. Als der Zug vorüber war, brach auch er sein Lager ab und
+folgte dem Feinde auf dem Fuß, in strenger Ordnung und Nacht für Nacht
+sich sorgfältig verschanzend. Die Teutonen, die der Küstenstraße
+zustrebten, gelangten längs der Rhone hinabmarschierend bis in die
+Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschöpfen
+stießen hier die leichten ligurischen Truppen der Römer mit der
+feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald
+allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Römer und verfolgten den
+weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glückliche
+Zusammenstoß erhöhte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am dritten
+Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze das
+römische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. Die
+Teutonen, längst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten
+sofort den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und
+langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein
+die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen
+und ein blinder Lärm in ihrem Rücken, wo ein Haufen römischer Troßbuben
+aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte,
+entschied vollends die Auflösung der schwankenden Reihen. Der ganze
+Schwarm ward gesprengt und, wie begreiflich in dem fremden Lande,
+entweder getötet oder gefangen; unter den Gefangenen war der König
+Teutobod, unter den Toten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt
+mit der Behandlung, die ihnen als Sklavinnen bevorstand, teils auf
+ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr sich hatten niedermachen
+lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem sie umsonst gebeten, sie
+dem Dienst der Götter und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen,
+sich selber den Tod gegeben hatten (Sommer 652 102).
+
+———————————————————————-
+
+^16 Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhältnismäßig
+zuverlässigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen
+ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und
+bei Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die
+Teutonen schon früher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der
+Schlacht von Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind
+verbunden die Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem
+Zug der Kimbrer in die römische Provinz und nach Italien nur die
+Expedition von 652 (102) gemeint sein kann.
+
+———————————————————————
+
+So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon
+standen deren Waffenbrüder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern
+verbündet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in das
+obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpaß
+überschritten und waren von da durch die Täler der Eisack und Etsch
+hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus
+Lutatius Catulus die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht völlig
+kundig und fürchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut,
+in die Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken
+Ufer der Etsch sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug auf das
+rechte durch Anlegung einer Brücke sich gesichert. Allein als nun die
+Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein
+panischer Schreck das römische Heer und Legionäre und Reiter liefen
+davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die nächste
+Anhöhe, die Sicherheit zu gewähren schien. Mit genauer Not brachte
+Catulus wenigstens den größten Teil seines Heeres durch eine Kriegslist
+wieder an den Fluß und über die Brücke zurück, ehe es den Feinden, die
+den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Bäume und Balken gegen
+die Brücke hinabtreiben ließen, gelang, diese zu zerstören und damit
+dem Heer den Rückzug abzuschneiden. Eine Legion indes hatte der
+Feldherr auf dem anderen Ufer zurücklassen müssen und bereits wollte
+der feige Tribun, der sie führte, kapitulieren, als der Rottenführer
+Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieß und mitten durch die Feinde
+auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich durchschlug. So war
+das Heer und einigermaßen selbst die Waffenehre gerettet; allein die
+Folgen der versäumten Besetzung der Pässe und des übereilten Rückzugs
+waren dennoch sehr empfindlich. Catulus mußte auf das rechte Ufer des
+Po sich zurückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Alpen
+in der Gewalt der Kimbrer lassen, so daß man die Verbindung mit
+Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im Sommer 652 (102),
+um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und den Römern bei Aquae
+Sextiae zur Entscheidung kam. Hätten die Kimbrer ihren Angriff
+ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr bedrängte Lage
+geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, blieben sie auch
+diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die ungewohnten
+Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen reichlichen
+Speisen und Getränke sie einluden, es sich vorläufig wohl sein zu
+lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit, ihnen mit vereinigten Kräften
+in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische
+General sonst wohl getan haben würde, den unterbrochenen Eroberungsplan
+des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt
+wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das siegreiche
+Heer an den Po geführt und nach kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo
+er den ihm angetragenen Triumph bis nach völliger Überwindung der
+Barbaren zurückwies, traf auch Marius selbst bei den vereinigten Armeen
+ein. Im Frühjahr 653 (101) überschritten sie, 50000 Mann stark, unter
+dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum den Po und zogen
+gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flußaufwärts marschiert zu sein
+scheinen, um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten.
+Unterhalb Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po ^17, ebenda,
+wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte,
+trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer wünschten die Schlacht
+und sandten, ihrer Landessitte gemäß, zu den Römern, Zeit und Ort dazu
+auszumachen: Marius willfahrte ihnen und nannte den nächsten Tag - es
+war der 30. Juli 653 (101) - und das Raudische Feld, eine weite Ebene,
+auf der die überlegene römische Reiterei einen vorteilhaften Spielraum
+fand. Hier stieß man auf den Feind, erwartet und doch überraschend;
+denn in dem dichten Morgennebel fand sich die kimbrische Reiterei im
+Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es vermutete, und ward
+von ihr zurückgeworfen auf das Fußvolk, das eben zum Kampfe sich
+ordnete. Mit geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und
+die Kimbrer vernichtet. Glücklich mochte heißen, wer den Tod in der
+Schlacht fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix;
+glücklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an sich
+selbst legten oder gar auf dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen
+mußten, der dem einzelnen Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des
+schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner,
+die auf den Vorbergen der Alpen zurückgeblieben waren, um den Kimbrern
+später zu folgen, verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in
+ihre Heimat. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der
+Donau bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert
+hatte, ruhte unter der Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der
+verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schuldigkeit
+getan; das heimatlose Volk der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht
+mehr.
+
+————————————————————————-
+
+^17 Man hat nicht wohl getan, von der Überlieferung abweichend das
+Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daß
+zwischen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein
+ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und daß Catulus
+nach ausdrücklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer
+zurückgewichen war. Auch die Angaben, daß am Po (Hier. chron. a. Abr.)
+und daß da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am
+Tanaro, die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide ungenau,
+doch viel eher nach Vercellae als nach Verona.
+
+—————————————————————————-
+
+Über den Leichen haderten die politischen Parteien Roms ihren
+kümmerlichen Hader weiter, ohne um das große Kapitel der Weltgeschichte
+sich zu bekümmern, davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte,
+ohne auch nur Raum zu geben dem reinen Gefühl, daß an diesem Tage Roms
+Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die
+Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloß politische Gegner,
+sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg der beiden vorjährigen
+Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum
+widerwärtigsten Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, daß das
+Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe und daß von
+seinen Leuten einunddreißig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen
+eingebracht seien - seine Soldaten führten sogar die Abgeordneten der
+Stadt Parma durch die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, daß Marius
+tausend geschlagen habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger
+galt Marius als der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht;
+nicht bloß, weil er kraft seines höheren Ranges an dem entscheidenden
+Tage den Oberbefehl geführt hatte und an militärischer Begabung und
+Erfahrung seinem Kollegen ohne Zweifel weit überlegen war, sondern vor
+allem, weil der zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur möglich
+geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der
+damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den
+Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius’
+Namen knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein
+feiner und gescheiter Mann, ein so anmutiger Sprecher, daß der Wohllaut
+seiner Worte fast wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher
+Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher
+Kunstkenner und Kunstrichter; aber er war nichts weniger als ein Mann
+des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber
+des groben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke auf den Schild
+gehoben war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese
+Schlachten waren nicht bloß Niederlagen der Kimbrer und Teutonen,
+sondern auch Niederlagen der Regierung; es knüpften daran sich noch
+ganz andere Hoffnungen als die, daß man wieder ungestört jenseits der
+Alpen Geldgeschäfte machen oder diesseits den Acker bauen könne.
+Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus’ blutende Leiche
+den Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regiment der
+restaurierten Oligarchie ertragen und verwünscht; immer noch war dem
+Gracchus kein Rächer, seinem angefangenen Bau kein zweiter Meister
+erstanden. Es haßten und hofften viele, viele von den schlechtesten und
+viele von den besten Bürgern des Staats; war der Mann, der diese Rache
+und diese Wünsche zu erfüllen verstand, endlich gefunden in dem Sohn
+des Tagelöhners von Arpinum? Stand man wirklich an der Schwelle der
+neuen, vielgefürchteten und vielersehnten zweiten Revolution?
+
+
+
+
+KAPITEL VI.
+Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus
+
+
+Gaius Marius ward, eines armen Tagelöhners Sohn, geboren im Jahre 599
+(155) in dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das später als
+Cereatae Marianae Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen
+“Mariusheimat” (Casamare) trägt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so
+dürftigen Verhältnissen, daß sie ihm selbst zu den Gemeindeämtern von
+Arpinum den Zugang zu verschließen schienen; er lernte früh, was er
+später noch als Feldherr übte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und
+Winterkälte ertragen und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter
+es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und hatte in der
+schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier
+emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals
+dreiundzwanzigjährig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die
+saubere Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine
+Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war
+heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und kriegerischen Abzeichen und mit
+dem lebhaften Wunsch, in der rühmlich betretenen Laufbahn sich einen
+Namen zu machen; allein unter den damaligen Verhältnissen konnte zu den
+politischen Ämtern, die allein zu höheren Militärstellen führten, auch
+der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermögen und ohne
+Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glückliche
+Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Mädchen aus dem
+altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter großen
+Anstrengungen und nach vielfachen Mißerfolgen im Jahre 639 (115) bis
+zur Prätur, in welcher er als Statthalter des jenseitigen Spaniens
+seine militärische Tüchtigkeit aufs neue zu bewähren Gelegenheit fand.
+Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im Jahre 647 (107) das
+Konsulat übernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den
+Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglückstag von Arausio
+zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal
+vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den
+Annalen der Republik beispielloser Erneuerung des Konsulats, die
+Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen überwand und
+vernichtete, ist bereits erzählt worden. In seinem Kriegsamt hatte er
+sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen Mann, der
+unparteiisch Recht sprach, über die Beute mit seltener Ehrlichkeit und
+Uneigennützigkeit verfügte und durchaus unbestechlich war; als einen
+geschickten Organisator, der die einigermaßen eingerostete Maschine des
+römischen Heerwesens wieder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als
+einen fähigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter
+Laune erhielt und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe
+gewann, dem Feinde aber kühn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit
+ihm schlug. Eine militärische Kapazität im eminenten Sinn war er,
+soweit wir urteilen können, nicht; allein die sehr achtungswerten
+Eigenschaften, die er besaß, genügten unter den damals bestehenden
+Verhältnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen,
+und auf diesen gestützt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise
+eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er paßte
+darum nicht besser in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und
+laut, sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich
+und nicht wohlerzogene und parfümierte Kollegen. Daß er abergläubisch
+war wie ein echter Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes
+Konsulat sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunächst
+durch die Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen
+ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin
+Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich
+unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen
+Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft.
+Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar
+löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man
+denken von einem der verfassungsmäßigen Etikette so unkundigen Konsul,
+daß er im Triumphalkostüm im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotüre
+ihm an. Er war nicht bloß - nach aristokratischer Terminologie - ein
+armer Mann, sondern, was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter
+Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart war er
+nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in späteren Jahren;
+Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten Koch.
+Ebenso übel war es, daß der Konsular nur Lateinisch verstand und die
+griechische Konversation sich verbitten mußte; daß er bei den
+griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war
+vermutlich nicht der einzige -, aber daß er sich zu seiner Langenweile
+bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die
+Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen
+Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das
+wie diese selber zu verachten er denn doch nicht über sich vermochte.
+Nicht viel weniger wie außerhalb der Gesellschaft stand Marius
+außerhalb der Parteien. Die Maßregeln, die er in seinem Volkstribunat
+(635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der
+Stimmtäfelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden
+Betrügereien und die Verhinderung ausschweifender Anträge auf Spenden
+an das Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den
+der demokratischen, sondern zeigen nur, daß ihm Unrechtfertigkeit und
+Unvernunft verhaßt waren; und wie hätte auch ein Mann wie dieser, Bauer
+von Geburt und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionär sein
+können? Die Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar später in das
+Lager der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier
+auf den Schild gehoben zunächst als Feldherr der Opposition und
+demnächst vielleicht bestimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war
+dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhältnisse und des
+allgemeinen Bedürfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein
+eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48
+(107/06) kaum vorübergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt.
+Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie über
+die Kimbrer so über die Teutonen, nach Rom zurück, um den verschobenen
+Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann in Rom und
+doch zugleich politischer Anfänger. Es war unwidersprechlich
+ausgemacht, nicht bloß daß Marius Rom gerettet habe, sondern daß er der
+einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein Name war auf allen
+Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem Volk war
+er populär wie keiner vor oder nach ihm, populär durch seine Tugenden
+wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit
+nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieß der Menge der
+dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm
+Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf
+mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von
+Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu
+Erdteil verglich und sich für seinen Gebrauch einen Becher - keinen von
+den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen fertigen ließ. Es war
+ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung
+des Volkes, die wohl einen Mann von kälterem Blut und gereifterer
+politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius’ Werk schien
+seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer als die Barbaren
+lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms,
+dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu, Rom zum
+zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das
+hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so
+schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern
+der Feinde gegenüber eine weit festere Haltung als gegen die
+klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an.
+Hoffnungen binden. Seine militärische und politische Stellung war von
+der Art, daß, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht
+brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht täuschen,
+seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der
+Mißverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten steuern und dem
+Restaurationsregiment ein Ende machen mußte, und wenn er nur die
+inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besaß, so konnte er dessen,
+was zum Volksführer ihm abging, allerdings entraten.
+
+Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten
+Armee. Bis auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der
+Servianischen Verfassung, die Aushebung lediglich auf die vermögenden
+Bürger zu beschränken und die Unterschiede der Waffengattungen allein
+nach den Vermögensklassen zu ordnen, wohl schon manches nachlassen
+müssen: es war das zum Eintritt in das Bürgerheer verpflichtende
+Minimalvermögen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden auf
+4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die älteren sechs in den
+Waffengattungen unterschiedenen Vermögensklassen beschränkt worden auf
+drei, indem man zwar wie nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus
+den vermögendsten, die Leichtbewaffneten aus den ärmsten
+Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche
+Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermögen, sondern nach
+dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und
+Triarier ordnet. Man hatte ferner schon längst die italischen
+Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maße zum Kriegsdienst
+mitherangezogen, indes auch hier, ganz wie bei der römischen
+Bürgerschaft, die Militärpflicht vorzugsweise auf die besitzenden
+Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das römische Militärwesen bis
+auf Marius im wesentlichen auf jener uralten Bürgerwehrordnung. Allein
+für die veränderten Verhältnisse paßte dieselbe nicht mehr. Die
+besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und
+mehr sich zurück, teils schwand der römische und italische Mittelstand
+überhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die beträchtlichen
+Streitmittel der außeritalischen Bundesgenossen und Untertanen
+verfügbar geworden, andererseits bot das italische Proletariat, richtig
+verwandt, ein militärisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die
+Bürgerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden
+sollte, war im Felddienst schon vor Marius tatsächlich eingegangen. Als
+wirklicher Heerkörper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen
+Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren höhnischen
+Hochmut und ihre Unbotmäßigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen
+beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher
+Gewissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg
+erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn
+und fremde Prinzen; von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich
+die Ergänzung der Legionen mit gehörig qualifizierten Pflichtigen schon
+im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig, so daß Anstrengungen, wie sie
+nach der Schlacht von Arausio nötig waren, unter Einhaltung der
+bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht wohl in der Tat
+materiell unausführbar gewesen sein würden. Andererseits wurden schon
+vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie,
+die außeritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die
+leichte afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fußvolk der
+bebenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer größerer
+Anzahl auch außerhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren
+mitverwendet; und zugleich drängten sich, während an qualifizierten
+Bürgerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten ärmeren Bürger
+ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des
+arbeitslosen oder arbeitsscheuen Bürgergesindels und bei den
+ansehnlichen Vorteilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die
+Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts
+als eine notwendige Konsequenz der politischen und sozialen Umwandlung
+des Staats, daß man im Militärwesen überging von dem System des
+Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die
+leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der Untertanen
+bildete, wie denn für den kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien
+Zuzug angesagt ward, für die Linieninfanterie aber zwar die bisherige
+Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen
+Bürger den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst
+Marius 647 (107) tat.
+
+Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die
+gleichfalls auf Marius zurückgeht. Die römische Weise aristokratischer
+Gliederung hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die
+vier Treffen der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier
+oder, wie man auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und
+dritten Linie hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach
+Vermögens- oder Dienstalter und großenteils auch verschiedene
+Bewaffnung, jedes seinen ein für allemal bestimmten Platz in der
+Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militärischen Rang und sein
+eigenes Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt über
+den Haufen. Wer überhaupt als Legionär zugelassen ward, bedurfte keiner
+weiteren Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; über die
+Einordnung entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle
+Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle
+Rekruten gleichmäßig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen
+die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des
+Gepäcks und ähnlichen Dingen von Marius herrühren und ein rühmliches
+Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des
+Kriegshandwerks und seiner Fürsorge für die Soldaten; vor allem aber
+das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius
+Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist
+bezeichnend, daß dasselbe die militärische Ausbildung des einzelnen
+Mannes beträchtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in
+den damaligen Fechterschulen übliche Ausbildung der künftigen
+Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gänzlich andere. An
+die Stelle der 30 Fähnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes
+zu zwei Zügen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30
+Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten,
+traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu
+sechs, oft auch nur zu fünf Zügen von je 100 Mann; so daß, obgleich
+gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200
+Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf
+5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb
+bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkörper
+gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn überlassen, die
+Kohorten, über die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu
+verteilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer
+der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen
+Legionsteile, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roß, der Eber, die
+bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren
+Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafür traten die
+Fähnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der
+gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der
+Legion jede Spur der bisherigen bürgerlichen und aristokratischen
+Gliederung verschwand und unter den Legionären fortan nur noch rein
+soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon einige
+Jahrzehnte früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte
+Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des
+Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den
+bundesgenössischen Kontingenten die persönliche Bedeckung des Feldherrn
+gebildet; römische Legionäre oder gar freiwillig sich erbietende
+Mannschaften zum persönlichen Dienst bei dem selben zu verwenden,
+widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen Gemeinwesens. Aber
+als der Numantinische Krieg ein beispiellos demoralisiertes Heer
+großgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward, dem wüsten
+Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen
+können, völlig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm
+wenigstens gewährt, außer einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die
+abhängigen Könige und Freistädte des Auslandes zur Verfügung stellten,
+aus freiwilligen römischen Bürgern eine persönliche
+Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese Kohorte, teils aus
+den besseren Ständen, teils aus der niederen persönlichen Klientel des
+Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die des
+Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem
+(praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoß
+höheren Sold und größeres Ansehen.
+
+Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint
+allerdings wesentlich aus rein militärischen Motiven hervorgegangen und
+überhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines
+berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände gebotene
+Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es ist
+wahrscheinlich, daß die Einführung des inländischen Werbesystems durch
+Marius ebenso den Staat militärisch vom Untergang gerettet hat, wie
+manches Jahrhundert später Arbogast und Stilicho durch Einführung des
+ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten.
+Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich
+eine vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfassung
+ruhte zumeist darauf, daß der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor
+allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich
+bildete. Hierzu mußte schon das neue Exerzierreglement führen mit
+seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward
+allmählich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch
+beschränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst, besonders in
+Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit
+sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches arbiträres
+Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und
+glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil
+der beweglichen Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu
+heischen. Wenn der ausgehobene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst
+nichts sah als eine für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im
+Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt für den ihm aus dem
+Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der
+geworbene Proletarier nicht bloß für den Augenblick allein angewiesen
+auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft mußte er, den nach der
+Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm,
+wünschen, zunächst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu
+verlassen als mit Begründung seiner bürgerlichen Existenz. Seine
+einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg,
+seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als
+Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten
+italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das
+Bürgerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh,
+rechtfertigte er später sich damit, daß er im Lärm der Schlacht die
+Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in
+wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in
+verfassungswidrigem Begehren sich begegneten, wer mochte dafür stehen,
+daß alsdann nicht noch andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht
+würden vernommen werden? Man hatte das stehende Heer, den
+Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen Verfassung, so
+standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der künftigen
+Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um
+den Palatinischen Hügel kreisten, da riefen sie dem Königtum; der neue
+Adler, den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der
+Kaiser.
+
+Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß Marius einging auf die
+glänzenden Aussichten, die seine militärische und politische Stellung
+ihm eröffnete. Es war eine trübe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber
+man ward des Friedens nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem
+ersten gewaltigen Anprall der Nordländer auf Rom, wo nach überstandener
+Krise im frischen Gefühl der Genesung alle Kräfte sich neu geregt, wo
+sie in üppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt
+hatten. Alle Welt fühlte, daß, mochten auch tüchtige Feldherren noch
+aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen
+darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der
+restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fühlte auch, daß die Zeit
+nicht mehr war, wo in solchen Fällen die Bürgerschaft sich selber half,
+und daß nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer
+blieb. Wie tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen
+Jünglinge, welche der Revolution das Tor geöffnet hatten,
+zurückgebliebene Lücke empfand, freilich auch wie kindisch sie nach
+jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn des
+Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden
+Gracchen ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig
+seines usurpierten Namens wegen vom Volke für 655 (99) zum Tribun
+gewählt ward. In demselben Sinne jubelte die Menge dem Gaius Marius
+entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, schien er der rechte
+Mann; war er doch der erste Feldherr und der populärste Name seiner
+Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch seine von dem
+Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats, empfohlen
+- wie hätte nicht das Volk, wie hätte er selbst nicht sich dafür halten
+sollen! Die öffentliche Meinung war so entschieden wie möglich
+oppositionell; es ist bezeichnend dafür, daß die Besetzung der in den
+höchsten geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die
+Bürgerschaft anstatt durch die Kollegien selbst, die die Regierung noch
+im Jahre 609 (145) durch Anregung der religiösen Bedenken in den
+Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des
+Gnaeus Domitius durchging, ohne daß der Senat es hätte wagen können,
+sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an einem
+Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein
+praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden.
+
+Zur Durchführung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius
+konnte die Oligarchie zu stürzen versuchen als Imperator an der Spitze
+der Armee oder auf dem für konstitutionelle Änderungen verfassungsmäßig
+bezeichneten Weg; dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der
+Vorgang des Gracchus. Es ist sehr begreiflich, daß er den ersteren Weg
+nicht betrat, vielleicht nicht einmal die Möglichkeit dachte, ihn zu
+betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhaßt
+und verachtet, daß Marius gegen ihn kaum einer anderen Stütze als
+seiner ungeheuren Popularität zu bedürfen, nötigenfalls aber trotz der
+Auflösung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen
+harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, daß Marius,
+im Hinblick auf Gracchus’ leichten und scheinbar fast vollständigen
+Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit überlegenen
+Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjährigen, mit dem nach
+komplizierter Hierarchie geordneten Staatskörper und der
+mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen
+Verfassung für weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer tiefer
+in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius
+wahrscheinlich tat, mochte erwägen, daß das Heer, obwohl im Übergang
+begriffen von der Bürgerwehr zur Söldnerschar, doch während dieses
+Übergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines
+Staatsstreiches sich schickte und daß ein Versuch, die widerstrebenden
+Elemente durch militärische Mittel zu beseitigen, die
+Widerstandsfähigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben würde.
+Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, mußte auf den
+ersten Blick überflüssig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man
+war eben am Anfang der Krise und die Gegensätze von ihrem letzten,
+kürzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt.
+
+Marius entließ also der bestehenden Ordnung gemäß nach dem Triumph sein
+Heer und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein,
+vermittels der Übernahme der verfassungsmäßigen Staatsämter die
+Oberhauptschaft im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit
+angewiesen auf die sogenannte Volkspartei und in deren damaligen
+Führern um so mehr seine Bundesgenossen, als der siegreiche General die
+zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus
+nicht besaß. So gelangte die demokratische Partei nach langer
+Nichtigkeit plötzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem
+langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich
+verschlechtert. Wohl war das Mißvergnügen über das senatorische
+Regiment jetzt nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen,
+die den Gracchen ihre treuesten Anhänger zugeführt hatten, war
+inzwischen als Illusion erkannt worden und die Ahnung inzwischen
+manchem aufgegangen, daß diese Gracchische Agitation auf ein Ziel
+hinausliefe, wohin ein sehr großer Teil der Mißvergnügten keineswegs zu
+folgen willig war; wie denn überhaupt in dem zwanzigjährigen Hetzen und
+Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen
+Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des
+Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn
+die demokratische Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus
+gewesen, so standen die Führer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter
+ihrer Partei, als Gaius Gracchus hoch über derselben gestanden hatte.
+Es lag dies in der Natur der Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es
+wagte, wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen,
+konnten die Führer nur Lückenbüßer sein: entweder politische Anfänger,
+die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als
+sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder
+minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der Regierungspartei
+bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluß nichts
+zu verlieren, an Ehre gewöhnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten,
+und die aus persönlicher Erbitterung oder auch aus bloßer Lust am
+Lärmschlagen sich ein Geschäft daraus machten, die Regierung zu hindern
+und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius
+Memmius und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen
+der Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnächst als eifrige
+Regierungsmänner verwerteten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei
+aber um diese Zeit waren Männer der zweiten Gattung: sowohl Gaius
+Servilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein
+gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester
+Straßenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner
+drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer Genosse Lucius
+Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein
+feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von
+gemein eigennützigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quästor die in
+üblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluß des
+Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als
+um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der
+Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der
+herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zuzuwenden. Diese
+Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition
+gedrängt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit
+Zinsen. Ein ärgerlicher Handel hatte damals den anderen gedrängt. Er
+hatte die von den Gesandten des Königs Mithradates in Rom bewirkten
+Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat
+aufs höchste kompromittierenden Enthüllungen hätten fast dem kühnen
+Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens
+Quintus Metellus, als derselbe sich für 652 (102) um die Zensur bewarb,
+einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten,
+bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergießen befreiten; des Zensors
+Metellus Vergeltung, die schimpfliche Ausstoßung des Saturninus wie des
+Glaucia aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des
+Senatorenverzeichnisses, war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem
+Metellus zugegebenen Kollegen. Er hauptsächlich hatte jenes
+Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen trotz des heftigsten
+Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die lebhaft
+bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul für 652 (102)
+durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des
+Senats und der tätigste und beredteste Führer der Volkspartei seit
+Gaius Gracchus, freilich auch gewalttätig und rücksichtslos wie keiner
+vor ihm, immer bereit, in die Straße hinabzusteigen und statt mit
+Worten den Gegner mit Knütteln zu widerlegen.
+
+Solcher Art waren die beiden Führer der sogenannten Popularpartei, die
+mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es
+war natürlich; die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch
+schon bei Marius’ früheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs
+entschiedenste und erfolgreichste für ihn Partei genommen. Sie wurden
+sich dahin einig, daß für 654 (100) Marius um das sechste Konsulat,
+Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia um die Prätur sich bewerben
+sollten, um im Besitz dieser Ämter die beabsichtigte Staatsumwälzung
+durchzuführen. Der Senat ließ die Ernennung des minder gefährlichen
+Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um Marius’ und Saturninus’
+Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem in Quintus Metellus einen
+entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die Seite zu setzen.
+Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und unerlaubte, in
+Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die gefährliche
+Verschwörung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmähte es nicht,
+Stimmenbettel, es heißt sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in
+den tribunizischen Wahlen neun Männer von der Liste der
+Regierungspartei proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits
+einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert
+schien, ward dieser von einem wüsten Haufen, der vorzugsweise aus
+entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, angefallen und
+erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich auf die
+gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewählt als Konsul, Glaucia
+als Prätor, Saturninus als Volkstribun für 654 (109): nicht Quintus
+Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus,
+erhielt die zweite Konsulstelle; die verbündeten Männer konnten daran
+gehen, ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633
+(121) unterbrochene Werk zu vollenden.
+
+Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln
+er sie verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach
+außen zu brechen, also teils die vom Senat völlig abhängig gewordene
+Beamtengewalt in ihre ursprünglichen souveränen Rechte
+wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus der regierenden wieder in
+eine beratende Behörde umzuwandeln, teils der aristokratischen
+Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden Bürger-, der
+italischen Bundesgenossen- und der Untertanenschaft durch allmähliche
+Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment
+unverträglichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen
+die drei verbündeten Männer wieder auf in den Kolonialgesetzen, die
+Saturninus als Volkstribun teils schon früher (651 103) eingebracht
+hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte ^1. Schon in jenem Jahre war
+zunächst zu Gunsten der Marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloß,
+sondern, wie es scheint, auch der italischen Bundesgenossen, die
+unterbrochene Verteilung des karthagischen Gebiets wieder aufgenommen
+und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem
+fünffachen Maß eines gewöhnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz
+Africa zugesichert worden. Jetzt ward für die römisch-italische
+Emigration nicht bloß das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland
+in weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der
+rechtlichen Fiktion, daß den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das
+gesamte von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles
+Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseits der Alpen. Zur Leitung
+der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa nötig erscheinenden
+weiteren Maßregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber
+von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden
+Tempelschätze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen Landempfänger
+bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloß die Eroberungspläne
+jenseits der Alpen und die transalpinischen und überseeischen
+Kolonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen
+hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die
+Italiker neben den Römern zur Emigration zuließ und doch ohne Zweifel
+die sämtlichen neuen Gemeinden als Bürgerkolonien einzurichten
+vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer durchzubringenden und
+doch unmöglich auf die Länge abzuweisenden Ansprüche der Italiker auf
+Gleichstellung mit den Römern zu befriedigen. Zunächst aber wurde, wenn
+das Gesetz durchging und Marius zur selbständigen Ausführung dieser
+ungeheuren Eroberungs- und Aufteilungspläne berufen ward, tatsächlich
+derselbe bis zur Realisierung jener Pläne oder vielmehr, bei der
+Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens
+Monarch von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so
+Marius das Konsulat alljährlich sich erneuern zu lassen gedachte.
+überhaupt ist bei der sonstigen Übereinstimmung der für den jüngeren
+Gracchus und für Marius entworfenen politischen Stellungen in allen
+wesentlichen Stücken oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem
+landanweisenden Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, daß
+jener eine rein bürgerliche, dieser daneben eine militärische Stellung
+einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs
+allein aus den persönlichen Verhältnissen hervorging, unter denen die
+beiden Männer an die Spitze des Staates getreten waren.
+
+———————————————————————-
+
+^1 Es ist nicht möglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was
+dem zweiten Tribunat des Saturninus angehört; um so weniger, als
+derselbe in beiden offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte.
+Das afrikanische Ackergesetz setzt die Schrift ‘De viris illustribus’
+(73, 1) mit Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der
+erst kurz vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das
+zweite Ackergesetz gehört unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das
+Majestäts- und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651
+(103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.
+
+———————————————————————
+
+Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich
+vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch
+welche man den voraussichtlich hartnäckigen Widerstand der
+Regierungspartei zu brechen gedachte. Gaius Gracchus hatte seine
+Schlachten geschlagen mit dem Kapitalistenstand und dem Proletariat.
+Seine Nachfolger versäumten zwar nicht, auch diesen entgegenzukommen.
+Den Rittern ließ man nicht bloß die Gerichte, sondern ihre
+Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine
+verschärfte Ordnung für die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende
+Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den
+Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte,
+teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus’ Antrag
+niedergesetzte Spezialgericht über die während der kimbrischen Bewegung
+in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen.
+Zum Frommen des hauptstädtischen Proletariats ferner ward der bisher
+bei den Getreideverteilungen für den römischen Scheffel zu entrichtende
+Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine bloße
+Rekognitionsgebühr von 5/6 As. Indes obwohl man das Bündnis mit den
+Rittern und dem hauptstädtischen Proletariat nicht verschmähte, so
+ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbündeten wesentlich
+nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen
+Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so
+ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der
+vorwiegend militärische Charakter hervor, der hauptsächlich diesen
+Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet.
+
+Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stießen
+bei der Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man
+bewies im Senat mit schlagenden Zahlen, daß jenes die öffentlichen
+Kassen bankrott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man
+erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus
+ließ weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an,
+daß ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach
+altem Glauben die Götter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen;
+Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich
+ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner der Hagel
+folgen. Endlich trieb der städtische Quästor Quintus Caepio, vermutlich
+der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und gleich
+seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen
+ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die
+derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach
+Rom geströmt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die
+städtischen Haufen, und so gelang es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld
+die Abstimmung über die Appuleischen Gesetze zu Ende zu führen. Der
+Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob der Senat der Klausel
+des Gesetzes genügen werde, daß binnen fünf Tagen nach dessen
+Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf
+getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten
+diesen Eid die sämtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus
+Metellus, der es vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen
+Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüchtigsten Mann
+unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus dem Staate scheiden.
+
+————————————————————
+
+2 Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 648 (106)
+Konsul, der jüngere 651 (103) oder 654 (100) Quästor, also jener um
+oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; daß
+jener starb, ohne Söhne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht
+nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 (90) und der ältere, der im
+Exil zu Smyrna sein Leben beschloß, kann gar wohl ihn überlebt haben.
+
+————————————————————-
+
+Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mußte schon jetzt das
+Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens
+lag wesentlich in der ungeschickten Allianz eines politisch unfähigen
+Feldherrn und eines fähigen, aber rücksichtslos heftigen, und mehr von
+Leidenschaft als von staatsmännischen Zwecken erfüllten Demagogen von
+der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur
+noch um Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es
+sich sehr bald, daß der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war
+als eine Inkapazität; daß sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den
+Adligen an Titeln erreichen und womöglich überbieten möchte, nicht aber
+der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft
+fühlt; daß jedes Unternehmen, welches auf seine politische
+Persönlichkeit gebaut war, auch unter den sonst günstigsten
+Verhältnissen notwendig an ihm selber scheitern mußte.
+
+Er wußte weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu bändigen.
+Die Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon
+ansehnlich genug; denn nicht bloß die Regierungspartei in Masse gehörte
+dazu, sondern auch der große Teil der Bürgerschaft, der mit
+eifersüchtigen Blicken den Italikern gegenüber über seinen
+Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die Dinge nahmen,
+wurde noch die gesamte begüterte Klasse zu der Regierung
+hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und
+Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fuße mit der
+Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Pöbels dem
+Senat einmal Schach zu bieten, aber Straßenaufläufe und arge
+Gewalttätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus’ erstem Tribunat
+hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumgeschlagen;
+die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun für 654 (100)
+stieß, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war. Es wäre
+Marius’ Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser Genossen sich
+nur mit Maßen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daß sie nicht
+bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da
+er das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen
+gewann, als handle es sich nicht darum, einen intelligenten und
+kräftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so
+schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der
+materiellen Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen, sich
+wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus, wohl erkennend, daß
+mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden kann, vor
+allen Dingen bemüht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine
+Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die
+Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versöhnen.
+
+Aber noch rascher als die Versöhnung der Feinde führte den Ruin des
+Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern
+Marius’ mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief.
+Während die entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von
+seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig
+leidend, gleich als ob der politische Führer nicht ebenso wie der
+militärische, wenn es zum Hauptangriff geht, überall und vor allen
+einstehen müßte mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor
+den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reißaus. Als
+seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht
+billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht
+erreichen ließ, versuchte er in der üblichen Weise
+politisch-moralischer Konfusionäre sich von der Teilnahme an jenen
+Verbrechen reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich
+zunutze zu machen. Es gibt ein Geschichtchen, daß der General einst in
+zwei verschiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem
+Saturninus und den Seinen, in dem anderen mit den Abgeordneten der
+Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe, dort über das
+Losschlagen gegen dem Senat, hier über das Einschreiten gegen die
+Revolte, und daß er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der
+Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei
+- ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie
+nur irgendein Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die
+zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs
+Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze geforderten Eid der
+bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler halber selbst zu
+verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor, wofern die
+Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, der den Eid
+selber aufhob, und den natürlich sämtliche Senatoren in ihren Schwur
+gleichfalls aufnahmen, so daß durch diese Weise der Beeidigung die
+Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in
+Frage gestellt ward.
+
+Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten
+Feldherrn entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht
+deswegen die Revolution unternommen und dem Marius die
+Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm verleugnen und
+aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spaßhafte Volksmann, bisher den
+Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen Beredsamkeit
+überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm wand,
+keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit
+beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um
+allein das von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten
+und der ihm darin bestimmten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren
+Saturninus und Glaucia in der Lage, das für Marius begonnene Geschäft
+auf eigene Rechnung fortzuführen. Indes die beiden Demagogen waren so
+kompromittiert, daß sie nicht zurückkonnten und nur die Wahl hatten,
+ihre Ämter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und damit ihren
+erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder nun
+selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fühlten
+nicht tragen zu können. Sie entschlossen sich zu dem letzteren;
+Saturninus wollte für 655 (99) abermals um das Volkstribunat als
+Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl Prätor und erst nach zwei Jahren
+wahlfähig zum Konsulat, um dieses sich bewerben. In der Tat wurden die
+tribunizischen Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius’
+Versuch, den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das
+Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem gefeierten Mann zu beweisen,
+was seine Popularität jetzt noch wert war; die Menge sprengte die Tür
+des Gefängnisses, in dem Gracchus eingesperrt saß, trug ihn im Triumph
+durch die Straßen und wählte ihn mit großer Majorität zu ihrem Tribun.
+Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im
+vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in
+die Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius
+Memmius, derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt
+hatte, wurde von einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knütteln
+erschlagen. Aber die Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes
+Ereignis der Art gewartet, um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte
+den Konsul Gaius Marius auf, einzuschreiten, und dieser gab in der Tat
+sich dazu her, das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für
+sie zu führen versprochen hatte, nun für die konservative Partei zu
+ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen
+aus den öffentlichen Gebäuden ausgerüstet und militärisch geordnet; der
+Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein
+greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Straßenlärm
+überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie mußte
+nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefängnisse und
+rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heißt
+es wenigstens - den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem
+Tage, wo die neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10.
+Dezember 654 (100), kam es auf dem Großen Markte zur Schlacht, der
+ersten, die, seit Rom stand, innerhalb der Mauern der Hauptstadt
+geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft.
+Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedrängt auf das Kapitol, wo
+man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nötigte, sich zu
+ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen
+ehemaligen Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut
+rief Saturninus der Menge zu, daß alles, was er beantragt, im
+Einverständnis mit dem Konsul geschehen sei; selbst einem schlechteren
+Mann, als Marius war, mußte grauen vor der ehrlosen Rolle, die er an
+diesem Tage spielte. Indes er war längst nicht mehr Herr der Dinge.
+Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des Rathauses am
+Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte
+die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit
+den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck
+gefunden und gleichfalls getötet. Ohne Urteil und Recht starben an
+diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes. ein Prätor, ein Quästor,
+zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten
+Familien angehöriger Männer. Trotz der schweren und blutigen
+Verschuldungen, die die Häupter auf sich geladen hatten, durfte man
+dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer
+im Stich läßt und sie nötigt, im verzweifelten Kampf zwecklos
+unterzugehen.
+
+Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten,
+nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem 10.
+Dezember. Es war das wenigste, daß man sich einiger unbequemer Schreier
+entledigt hatte, die jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag
+ersetzt werden konnten; schwerer fiel ins Gewicht, daß der einzige
+Mann, der damals imstande war, der Regierung gefährlich zu werden, sich
+selber öffentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, daß
+die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das
+Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das
+Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhältnisse,
+teils und vor allem die grobe Bauernfaust seines unfähigen Nachtreters
+hatten wieder aufgelöst, was unter Gaius Gracchus’ gewandter Hand sich
+zusammenfügte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung
+oder Glück der Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung
+ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach
+jener Katastrophe einnahm - nur um so kläglicher, weil man nicht anders
+konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor
+denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf
+demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn
+bei der Besetzung der Ämter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht
+einmal wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in
+den Osten, wie er sagte, um ein Gelübde dort zu lösen, in der Tat, um
+nicht von der triumphierenden Rückkehr seines Todfeindes, des Quintus
+Metellus, Zeuge zu sein; man ließ ihn gehen. Er kam wieder zurück und
+öffnete sein Haus; seine Säle standen leer. Immer hoffte er, daß es
+wieder Kämpfe und Schlachten geben und man seines erprobten Armes
+abermals bedürfen werde; er dachte sich im Osten, wo die Römer
+allerdings Ursache genug gehabt hätten, energisch zu intervenieren,
+Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl
+wie jeder andere seiner Wünsche; es blieb tiefer Friede. Und dabei fraß
+der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je öfter er
+getäuscht ward, immer tiefer sich ein in sein Gemüt; abergläubisch wie
+er war, nährte er in seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben
+Konsulate verheißen hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es
+geschehen möge, daß dies Wort seine Erfüllung und er seine Rache
+bekomme, während er allen, nur sich selbst nicht, unbedeutend und
+unschädlich erschien.
+
+Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefährlichen Mannes war die
+tiefe Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die
+Schilderhebung des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen
+zurückließ. Mit der rücksichtslosesten Härte verurteilten die
+Rittergerichte jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich
+bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als wegen seines
+Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause
+gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das
+Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte.
+Sogar für ältere, von den Popularen der Aristokratien zugefügte Unbill
+wurde nun nicht ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten
+Genugtuung gefordert. Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in
+Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular Quintus Caepio ins Elend
+getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund seines eigenen
+Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die
+Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig,
+sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio
+ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch zuletzt für
+Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung an sich
+nicht geneigter als früher, so erschien doch nun, seit man sich, wenn
+auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen Pöbelherrschaft
+befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende
+Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und
+staatsverderberisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem noch elenderen
+und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen
+relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Strömung, daß die Menge
+einen Volkstribun zerriß, der es gewagt hatte, die Rückkehr des Quintus
+Metellus zu verzögern, und daß die Demokraten anfingen, ihr Heil zu
+suchen in dem Bündnis mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum
+Beispiel des verhaßten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar
+in dem Bündnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen schon
+flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im stillen zum Krieg
+rüstete gegen Rom.
+
+Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich
+günstig. Die römischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf
+den Bundesgenossenkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren tätig.
+Ernstlich gestritten wurde nur in Spanien, wo während der letzten für
+Rom so schweren Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich
+reit ungewohnter Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten; hier
+stellten in dem Jahre 656-661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der
+nördlichen und der Konsul Publius Crassus in der südlichen Provinz mit
+Tapferkeit und Glück nicht bloß das Obergewicht der römischen Waffen
+wieder her, sondern schleiften auch die wiederspenstigen Städte und
+versetzten, wo es nötig schien, die Bevölkerung der festen Bergstädte
+in die Ebenen. Daß um dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder
+des ein Menschenalter hindurch vernachlässigten Ostens gedachte und
+energischer, als seit langem erhört war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien
+auftrat, wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn
+der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begründet, so
+populär gewesen. Konsularische Gesetze lösten die tribunizischen,
+Freiheitsbeschränkungen die Fortschrittsmaßregeln ab. Die Kassierung
+der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die überseeischen
+Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen
+Ansiedelung auf der wüsten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus
+Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel stärker
+war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin
+bestand, nachts auf den Straßen die Götterbilder zu zerschlagen, das
+Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte,
+konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand
+kassieren, ohne daß jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte;
+den Urheber straften, wie schon erwähnt ward, die Ritter in ihren
+Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln
+eingebrachtes Gesetz die übliche vierundzwanzigtägige Frist zwischen
+Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot,
+mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag
+zusammenzufassen; wodurch die unvernünftige Ausdehnung der
+legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschränkt und offenbare
+Überrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden.
+Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Gracchische Verfassung, die
+den Sturz ihres Urhebers überdauert hatte, jetzt, seit die Menge und
+die Geldaristokratie nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten
+schwankte. Wie diese Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der
+Aristokratie, so schien die Zwiespältigkeit der Opposition sie zu Falle
+bringen zu müssen. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das
+unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem
+Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende
+Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt
+wiedereinzusetzen.
+
+Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die
+Verwaltung der Provinzen, die hauptsächliche Grundlage des
+senatorischen Regiments, war von den Geschworenengerichten, namentlich
+von der Kommission wegen Erpressungen, in dem Maße abhängig geworden,
+daß der Statthalter die Provinz nicht mehr für den Senat, sondern für
+den Kapitalisten- und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie
+bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn
+es um Maßregeln gegen die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich
+ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht
+freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschränken. Einzelne derartige
+Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder
+an, sich zu fühlen und eben ihre besten Männer hielten sich
+verpflichtet, der entsetzlichen Mißwirtschaft in den Provinzen
+wenigstens für ihre Person entgegenzutreten. Am entschlossensten tat
+dies Quintus Mucius Scaevola, gleich seinem Vater Publius Oberpontifex
+und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste Jurist und einer der
+vorzüglichsten Männer seiner Zeit. Als prätorischer Statthalter (um 656
+98) von Asia, der reichsten und gemißhandeltsten unter allen Provinzen,
+statuierte er in Gemeinschaft mit seinem älteren, als Offizier, Jurist
+und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius
+Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen
+Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen
+zu machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloß die römischen
+Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen, vollen
+Geldersatz zu leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und
+rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden
+wurden, ließ er diese, taub gegen alle Bestechungsanträge, ans Kreuz
+schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte
+sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, daß sie
+sich die Verwaltungsgrundsätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten;
+allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und
+vielvermögenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine
+Gefährten vor Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten
+derselben, seinen Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und
+anerkannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt
+war. Die Anklage, daß dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen
+zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen
+Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines
+gewissen Apicius; allein man ließ dennoch die willkommene Gelegenheit,
+den Konsular zu demütigen, nicht vorübergehen, und da dieser, die
+falsche Beredsamkeit, die Trauergewänder, die Tränen verschmähend, sich
+kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveränen Kapitalisten
+die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt
+und sein mäßiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter
+Entschädigungsansprüche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die
+angeblich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von
+sämtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit seines
+Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Muße die ihm noch übrigen
+Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der ärgste, aber
+keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher
+Mißbrauch der Justiz gegen Männer fleckenlosen Wandels, aber neuen
+Adels erbitterte es die senatorische Partei, daß der reinste Adel nicht
+mehr genügte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war
+Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, seit
+zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus
+Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach
+aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig
+war. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmäßig
+betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter
+schützte mehr vor den frevelhaftesten und gefährlichsten Angriffen. Die
+Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre
+schlimmste Geißel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur
+seine Mitthebe gewähren ließ und sich nicht weigerte, einen Teil der
+erpreßten Summen den Geschworenen zufließen zu lassen; aber jeder
+Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht und
+Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die
+römische Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem
+kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das
+Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In
+furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus’ ahnungsvolles Wort, daß
+mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich
+selber zerfleischen werde.
+
+Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der
+Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, daß das Regieren nicht bloß
+Rechte, sondern auch Pflichten in sich schließt, ja wer nur noch
+edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich empfand, mußte sich auflehnen
+gegen diese erdrückende und entehrende politische Kontrolle, die jede
+Möglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von vornherein abschnitt. Die
+skandalöse Verurteilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung,
+den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus, der im Jahre
+663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an sich
+gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreißig Jahre zuvor
+zunächst den Gaius Gracchus gestürzt und später auch als Offizier durch
+die Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war
+Drusus, gleich seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese
+seine Gesinnung bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsächlich
+bewährt. Er gehörte den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer
+eines kolossalen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein echter
+Aristokrat - ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte, mit den
+Ehrenzeichen seiner Ämter sich zu behängen, aber auf dem Totenbette es
+aussprach, daß nicht bald ein Bürger wiederkommen werde, der ihm gleich
+sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daß der Adel verpflichtet, die
+Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten
+Leidenschaft seines Gemütes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit
+und Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er
+bei den geringen Leuten, denen seine Tür und sein Beutel immer
+offenstanden, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner
+Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters von Gewicht im
+Senat wie auf dem Markte. Auch stand er nicht allein. Marcus Scaurus
+hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung in dem Prozeß wegen
+Erpressungen den Drusus öffentlich aufzufordern, Hand zu legen an die
+Reform der Geschworenenordnung; er sowie der berühmte Redner Lucius
+Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die
+Miturheber seiner Anträge. Indes die Masse der regierenden Aristokratie
+dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat
+nicht an entschiedenen Anhängern der Kapitalistenpartei, unter denen
+namentlich sich bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius
+Philippus, der wie früher die Sache der Demokratie, so jetzt die des
+Ritterstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene und
+rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche Feindschaft
+gegen Drusus und Scaurus zu dieser Opposition bestimmte. Allein
+gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die feige und faule
+Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber allein geplündert
+hätte, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die
+Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes
+gegen die übermütigen Kapitalisten zu übernehmen, es viel billiger und
+bequemer fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch
+einen Fußfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen.
+Nur der Erfolg konnte zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse
+mit fortzureißen, ohne die es nun einmal nicht möglich war, zum Ziele
+zu gelangen.
+
+Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Bürgern vom
+Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurückzugeben, welcher
+zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt
+werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genügen; zur
+Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich
+schuldig gemacht hätten oder schuldig machen würden, sollte eine eigene
+Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der nächste Zweck
+erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu berauben
+und sie für die verübte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes
+Drusus’ Anträge und Absichten beschränkten sich hierauf keineswegs;
+seine Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaßregeln, sondern ein
+umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die
+Getreideverteilung zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die
+dauernde Emission einer verhältnismäßigen Zahl von kupfernen
+plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte noch
+unverteilte italische Ackerland, also namentlich die Kampanische
+Domäne, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von
+Bürgerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen
+Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das
+römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von
+aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstützen und
+ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus’ Verfassung
+beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches
+Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daß, wie die Tyrannis gegen
+die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf
+das besoldete und gewissermaßen organisierte Proletariat; hatte die
+Regierung früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als
+ein unvermeidliches Übel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe,
+wenigstens für den Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu
+gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, daß der bessere Teil der
+Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius
+Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen
+Reformmaßregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu berühren, nur darauf
+abzweckten, die alten Schäden des Staats auszuheilen. In der
+Emigrations- und Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen
+wie die Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte
+auf dem freien Schalten über die Provinzen und durch jedes dauernde
+militärische Kommando gefährdet ward; die Gedanken, Italien und die
+Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen
+mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und
+selbst die kampanischen Domänen so wie Sizilien konnte der Senat recht
+wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch die
+Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, daß man
+künftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, daß
+alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung
+gebracht ward und für künftige Demagogen, nach Drusus’ eigenem
+Ausdruck, nichts zu verteilen übrig blieb als der Gassenkot und das
+Morgenrot. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch
+sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Familien, ziemlich
+einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen Bürgerverband
+gehörte; und daher mußten wohl beiderseits die reformierenden Männer
+sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmäßige und rechtzeitige
+Erstreckung des Bürgerrechts die Gefahr abzuwenden, daß die
+Insurrektion von Fregellae in größerem Maßstab wiederkehre, nebenher
+auch an den zahl- und einflußreichen Italikern sich Bundesgenossen für
+ihre Pläne suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und
+Absichten der beiden großen politischen Parteien sich schieden, so
+vielfach berührten sich in den Operationsmitteln und in den
+reformistischen Tendenzen die besten Männer aus beiden Lagern; und wie
+Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des Tiberius Gracchus
+wie unter den Förderern seiner Reformbestrebungen genannt werden kann,
+so war auch Drusus der Nachfolger und Schüler nicht minder als der
+Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen
+jugendlichen Reformatoren waren sich ähnlicher, als es auf den ersten
+Blick schien und auch persönlich beide nicht unwert, über dem trüben
+Nebel des befangenen Parteitreibens in reineren und höheren
+Anschauungen sich mit dem Kern ihrer patriotischen Bestrebungen zu
+begegnen.
+
+Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen
+Gesetze, von denen übrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus,
+den bedenklichen Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das römische
+Bürgerrecht zu verleihen, vorläufig zurückhielt und zunächst nur das
+Geschworenen-, Acker- und Getreidegesetz vorlegte. Die
+Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und würde bei der
+Unentschlossenheit des größten Teils der Aristokratie und der
+Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des
+Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung
+gekommen wäre. Drusus faßte deshalb seine sämtlichen Anträge in einen
+einzigen zusammen; und indem also alle bei den Getreide- und
+Landverteilungen interessierten Bürger genötigt wurden, auch für das
+Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und durch die
+Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten
+großen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest
+zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen - freilich erst, nachdem
+Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhörte zu widerstreben, hatte
+verhaften und durch den Büttel in den Kerker abführen lassen. Das Volk
+feierte den Tribun als seinen Wohltäter und empfing ihn im Theater mit
+Aufstehen und Beifallklatschen; allein die Abstimmung hatte den Kampf
+nicht so sehr entschieden als auf einen anderen Boden verlegt, da die
+Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als dem Gesetz von 656 (98)
+zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der Hauptgegner des
+Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus diesem
+Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die
+Majorität des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den
+Antrag zurück. Der Konsul erklärte darauf auf offenem Markte, daß mit
+einem solchen Senat zu regieren nicht möglich sei und er sich nach
+einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu
+beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen berufen, sprach nach
+stürmischen Verhandlungen gegen den Konsul ein Tadels- und
+Mißtrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem großen
+Teil der Majorität die Angst vor der Revolution zu regen, mit der
+sowohl Philippus als ein großer Teil der Kapitalisten zu drohen schien.
+Andere Umstände kamen hinzu. Einer der tätigsten und angesehensten
+unter Drusus’ Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb
+plötzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung (September 663 91). Die
+von Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er anfangs
+nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt hatte, wurden allmählich
+ruchbar, und in das wütende Geschrei über Landesverrat, das die Gegner
+erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten Männer der
+Regierungspartei mit ein; selbst die edelmütige Warnung, die er dem
+Konsul Philippus zukommen ließ, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg
+vor den von den Italikern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente
+nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er
+in die unter den Italikern gärenden Verschwörungen verwickelt war.
+Immer heftiger drängte Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes;
+immer lauer ward die Majorität in der Verteidigung desselben. Bald
+erschien die Rückkehr zu den früheren Verhältnissen der großen Menge
+der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg,
+und der Kassationsbeschluß wegen formeller Mängel erfolgte. Drusus,
+nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu
+erinnern, daß der Senat also selbst die verhaßten Rittergerichte
+wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluß
+durch Interzession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die
+Kapitalistenpartei war vollständig abgeschlagen, und willig oder
+unwillig fügte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe
+Finanz begnügte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends
+auf seinem Hausflur die wie gewöhnlich ihn begleitende Menge eben
+verabschieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters
+zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen und so sicher, daß er
+wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Täter war in der
+Abenddämmerung verschwunden, ohne daß jemand ihn erkannt hatte, und
+eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte
+derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die
+Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und
+grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte,
+war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine
+tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwäche der
+Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu
+reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein
+Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stürzen,
+die Emigration zu organisieren, den drohenden Bürgerkrieg abzuwenden;
+er sah noch selbst die Kaufleute unumschränkter regieren als je, sah
+alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewußtsein, daß
+seid jäher Tod das Signal zu dem fürchterlichsten Bürgerkrieg sein
+werde, der je das schöne italische Land verheert hat.
+
+
+
+
+KAPITEL VII.
+Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution
+
+
+Seitdem mit Pyrrhos’ Überwindung der letzte Krieg, den die Italiker für
+ihre Unabhängigkeit geführt hatten, zu Ende gegangen war, das heißt
+seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das römische Prinzipat in
+Italien bestanden, ohne daß es selbst unter den gefährlichsten
+Verhältnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt hätte.
+Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die
+Nachfolger des großen Alexander und der Achämeniden versucht, die
+italische Nation zum Kampf aufzurütteln gegen die übermächtige
+Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am
+Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepaß und am Sipylos
+erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die
+Untertänigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung
+indessen hatte sich wohl verändert, aber eher verschlechtert als
+verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen
+nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer
+durch ganz Italien infolge der unverständigen römischen
+Korngesetzgebung litt, so gediehen dafür die größeren Gutsherren und
+mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker
+hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen
+denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die römischen
+Bürger und also die materiellen Vorteile des politischen Übergewichts
+der Römer großenteils auch ihnen zugute kamen. Überhaupt waren die
+wirtschaftlichen und sozialen Zustände Italiens nicht zunächst abhängig
+von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise
+bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der
+freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentäler, in
+denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberührt sich erhalten
+hatte - ähnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den
+verschiedenen römischen Bürgerdistrikten nachweisen läßt. Dagegen die
+politische Zurücksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl fand
+ein förmlicher unverhüllter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen nicht
+statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der Souveränität
+den italischen Gemeinden vertragsmäßig zustand, wurde von der römischen
+Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die römische
+Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser
+gestellten Gemeinden verbrieften römischen Domänen machte, hatte nicht
+bloß die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom ernstlich
+bekämpft, sondern auch die römische Opposition selbst sehr bald
+aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde
+zustanden und zustehen mußten, die oberste Leitung des Kriegswesens und
+die Oberaufsicht über die gesamte Verwaltung, wurden in einer Weise
+ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen
+geradezu für rechtlose Untertanen erklärt hätte. Die zahlreichen
+Milderungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, welche im
+Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen
+sämtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein;
+von der wichtigsten, der Abschaffung der standrechtlichen
+Hinrichtungen, ist dies gewiß und der Eindruck leicht zu ermessen,
+wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene latinische
+Offiziere nach Urteil des römischen Kriegsrats enthauptet wurden, dem
+letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht zustand, an die
+bürgerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In welchem Verhältnis
+die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen
+werden sollten, war vertragsmäßig wie billig unbestimmt geblieben;
+allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl
+Soldaten gestellt hatten, wurden jetzt, obwohl das
+Bevölkerungsverhältnis wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nachteil
+der Bürgerschaft sich verändert hatte, die Forderungen an die
+Bundesgenossen allmählich unverhältnismäßig gesteigert, so daß man
+ihnen teils den schwereren und kostbareren Dienst vorzugsweise
+aufbürdete, teils jetzt regelmäßig auf einen Bürger zwei Bundesgenossen
+aushob. Ähnlich wie die militärische Oberleitung wurde die bürgerliche
+Oberaufsicht, welche mit Einschluß der davon kaum zu trennenden
+obersten Administrativjurisdiktion die römische Regierung stets und mit
+Recht über die abhängigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte,
+in einer Weise ausgedehnt, daß die Italiker fast nicht minder als die
+Provinzialen sich der Willkür eines jeden der zahllosen römischen
+Beamten schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der
+angesehensten Bundesstädte, hatte ein Konsul den Bürgermeister der
+Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruten stäupen lassen, weil
+seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu baden verlangte, die
+Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten
+und ihr das Bad nicht sauber erschienen war. Ähnliche Auftritte waren
+in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten
+und wichtigen latinischen Kolonie Cales vorgefallen. In der latinischen
+Kolonie Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassierenden
+jungen, amtlosen römischen Diplomaten wegen eines Spaßes, den er sich
+über dessen Sänfte erlaubt hatte, angehalten, niedergeworfen und mit
+dem Tragriemen der Sänfte zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfälle
+wird um die Zeit des fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht;
+es leidet keinen Zweifel, daß ähnliche Unrechtfertigkeiten häufig
+vorkamen und ebensowenig, daß eine ernstliche Genugtuung für solche
+Missetaten nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht
+ungestraft verletzte Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des
+römischen Bürgers einigermaßen schützte. Es konnte nicht fehlen, daß
+infolge dieser Behandlung der Italiker seitens der römischen Regierung
+die Spannung, welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen
+und den sonstigen italischen Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte,
+wenn nicht verschwand, so doch nachließ. Die Zwingburgen Roms und die
+durch die Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt
+unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran
+erinnern, daß sie beide in gleicher Weise “den Beilen unterworfen”
+seien; die Vögte und die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der
+gemeinsame Haß gegen den gemeinsamen Zwingherrn.
+
+Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundesgenossen aus
+einem leidlichen Abhängigkeitsverhältnis umgeschlagen war in die
+drückendste Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf
+Erlangung besseren Rechts genommen worden. Schon mit der Unterwerfung
+Italiens hatte die römische Bürgerschaft sich abgeschlossen und die
+Erteilung des Bürgerrechts an ganze Gemeinden vollständig aufgegeben,
+die an einzelne Personen sehr beschränkt. Jetzt ging man noch einen
+Schritt weiter: bei Gelegenheit der die Erstreckung des römischen
+Bürgerrechts auf ganz Italien bezweckenden Agitation in den Jahren 628,
+632 (126, 122) griff man das Übersiedlungsrecht selbst an und wies
+geradezu die sämtlichen in Rom sich aufhaltenden Nichtbürger durch
+Volks- und Senatbeschluß aus der Hauptstadt aus - eine ebenso durch
+ihre Illiberalität gehässige wie durch die vielfach dabei verletzten
+Privatinteressen gefährliche Maßregel. Kurz, wenn die italischen
+Bundesgenossen zu den Römern früher gestanden hatten teils als
+bevormundete Brüder, mehr beschützt als beherrscht und nicht zu ewiger
+Unmündigkeit bestimmt, teils als leidlich gehaltene und der Hoffnung
+auf die Freilassung nicht völlig beraubte Knechte, so standen sie jetzt
+sämtlich ungefähr in gleicher Untertänigkeit und gleicher
+Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und Beilen ihrer Zwingherren und
+durften höchstens als bevorrechtete Knechte sich es herausnehmen, die
+von den Herren empfangenen Fußtritte an die armen Provinzialen
+weiterzugeben.
+
+Es liegt in der Natur solcher Zerwürfnisse, daß sie anfangs,
+zurückgehalten durch das Gefühl der nationalen Einheit und die
+Erinnerung gemeinschaftlich überdauerter Gefahr, leise und gleichsam
+bescheiden auftreten, bis allmählich der Riß sich erweitert und
+zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich ihre Macht ist, und den
+Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht als ihre Furcht, das
+unverhohlene Gewaltverhältnis sich offenbart. Bis zu der Empörung und
+Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die gleichsam offiziell
+den veränderten Charakter der römischen Herrschaft konstatierte, trug
+die Gärung unter den Italikern nicht eigentlich einen revolutionären
+Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung hatte allmählich sich
+gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte, nur um, je bestimmter es
+auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu werden. Sehr bald konnte man
+erkennen, daß eine gutwillige Gewährung nicht zu hoffen sei, und der
+Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird nicht gefehlt haben; allein
+Roms damalige Stellung ließ den Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu
+machen, kaum aufkommen. Obwohl das Zahlenverhältnis der Bürger und
+Nichtbürger in Italien sich nicht gehörig ermitteln läßt, so kann es
+doch als ausgemacht gelten, daß die Zahl der Bürger nicht sehr viel
+geringer war als die der italischen Bundesgenossen und auf ungefähr
+400000 waffenfähige Bürger mindestens 500000, wahrscheinlich 600000
+Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei einem solchen Verhältnis die
+Bürgerschaft einig und kein nennenswerter äußerer Feind vorhanden war,
+konnte die in eine Unzahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden
+zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse
+mit Rom verknüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem
+gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäßiger Klugheit
+es der Regierung nicht fehlen, die schwierigen und grollenden
+Untertanenschaften teils durch die kompakte Masse der Bürgerschaft,
+teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel, die die Provinzen
+darboten, teils eine Gemeinde durch die andere zu beherrschen. Darum
+verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution Rom zu
+erschüttern begann; sowie aber diese ausgebrochen war, griffen auch sie
+ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine
+oder die andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten
+gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der
+Senatspartei und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich
+überzeugen müssen, daß zwar die besten Männer beider Parteien die
+Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, daß aber
+diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich wenig
+vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu
+verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die begabtesten,
+energischsten, gefeiertsten Staatsmänner Roms in demselben Augenblick,
+wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von ihren eigenen
+Anhängern verlassen gefunden hatten und deshalb gestürzt worden waren.
+In all den Wechselfällen der dreißigjährigen Revolution und
+Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, aber
+wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige
+Engherzigkeit saß ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgänge
+hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die
+Berücksichtigung ihrer Ansprüche von Rom erwarteten. Solange sich die
+Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten
+und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte
+man sich noch dem Glauben überlassen, als sei die Oligarchie nur den
+Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als
+sei noch eine Möglichkeit vorhanden, daß der intelligentere Staat die
+mit dem Wesen der Oligarchie verträgliche und dem Senat heilsame
+Maßregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in
+denen der Senat wieder fast unumschränkt regierte, hatten über die
+Absichten auch der römischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit
+verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95)
+ein konsularisches Gesetz, das den Nichtbürgern aufs strengste
+untersagte, des Bürgerrechts sich anzumaßen, und die Kontravenienten
+mit Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine große
+Anzahl der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am
+meisten interessierten Personen aus den Reihen der Römer in die der
+Italiker zurückwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und
+staatsmännischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit
+jener berühmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas
+vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die nächste Ursache des
+Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, daß die Urheber dieses
+Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten
+gehörten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein
+verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum
+Rechtsgelehrten und vom Verhängnis zum Staatsmann bestimmte Quintus
+Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schädliche
+Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den
+zwischen Römern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzündet hat,
+und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des Drusus
+und überhaupt einer der gemäßigtsten und einsichtigsten Optimaten.
+Inmitten der heftigen Gärung, die dies Gesetz und die daraus
+entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien
+den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus
+Drusus. Was fast unmöglich gedünkt hatte, daß ein Konservativer die
+reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die
+Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch
+eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen,
+zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen hin
+und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer, all
+seine zuverlässige Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu
+setzen. Ober wirklich, wie erzählt wird, sich an die Spitze eines
+Geheimbundes gestellt hat, dessen Fäden durch ganz Italien liefen und
+dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen für
+Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber
+wenn er auch nicht zu so gefährlichen und in der Tat für einen
+römischen Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so
+ist es doch sicher nicht bei allgemeinen Verheißungen geblieben und
+sind, wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen
+Namen hin bedenkliche Verbindungen geknüpft worden. Jubelnd vernahm man
+in Italien, daß Drusus unter Zustimmung der großen Mehrheit des Senats
+seine ersten Anträge durchgesetzt habe; mit noch größerem Jubel
+feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des
+plötzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus’ weitere Absichten
+sich enthüllten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das
+Hauptgesetz einzubringen; er mußte verschieben, mußte zögern, mußte
+bald zurückweichen. Man vernahm, daß die Majorität des Senats unsicher
+werde und von ihrem Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief
+durch die Gemeinden Italiens die Kunde, daß das durchgebrachte Gesetz
+kassiert sei, daß die Kapitalisten unumschränkter schalteten als je,
+daß der Tribun von Mörderhand getroffen, daß er tot sei (Herbst 663
+91).
+
+——————————————————————————-
+
+^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70)
+entnommen; waffenfähige Bürger zählte man in jenem Jahr 394336, in
+diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Müller, welchen Satz Clinton und
+dessen Ausschreiber fälschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen;
+nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Köpfe
+gezählt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zählungsziffer,
+die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Köpfe ergab,
+ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise
+der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in
+der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst die
+Sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen,
+höchstens gedeckt haben können, so darf der Überschuß von reichlich
+500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte
+Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indes ist es möglich
+und sogar wahrscheinlich, daß in diesen verhängnisvollen Jahren der
+Gesamtstand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging; rechnet man
+das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfähige, was nicht übertrieben
+erscheint, so kommen für die Zeit des Bundesgenossenkrieges in Italien
+auf zwei Bürger drei Nichtbürger.
+
+2 Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet:
+“Ich schwöre bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der römischen
+Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei
+der nährenden Erde und bei den göttlichen Gründern und Mehrern (den
+Penaten) der Stadt Rom, daß mir Freund sein soll und Feind sein soll,
+wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen daß ich weder meines
+eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will,
+außer insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn
+ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will ich
+Rom achten als meine Heimat und Drusus als den größten meiner
+Wohltäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbürger, als
+ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl, schwöre ich
+falsch, so gehe es mir übel!”
+
+Indes wird man Wohltun, diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er
+rührt entweder her aus den gegen Drusus von Philippus gehaltenen Reden
+(worauf die sinnlose, von dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte
+Überschrift ‘Eid des Philippus’ zu führen scheint) oder im besten Fall
+aus den später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen
+Kriminalprozeßakten; und auch bei der letzteren Annahme bleibt es
+fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inkulpaten heraus- oder in sie
+hineininquiriert ward.
+
+———————————————————-
+
+Die letzte Hoffnung, durch Vertrag die Aufnahme in den römischen
+Bürgerverband zu erlangen, ward den Italikern mit Marcus Drusus zu
+Grabe getragen. Wozu dieser konservative und energische Mann unter den
+günstigsten Verhältnissen seine eigene Partei nicht hatte bestimmen
+können, dazu war überhaupt auf dem Wege der Güte nicht zu gelangen. Den
+Italikern blieb nur die Wahl, entweder geduldig sich zu fügen oder den
+Versuch, der vor fünfunddreißig Jahren durch die Zerstörung von
+Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal und womöglich mit
+gesamter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu
+vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit
+Rom zu erzwingen. Es war dieser letztere Entschluß freilich ein
+Entschluß der Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung
+der einzelnen Stadtgemeinden gegen die römische Regierung gar leicht
+noch hoffnungsloser erscheinen als der Aufstand der amerikanischen
+Pflanzstädte gegen das Britische Imperium; allem Anschein nach konnte
+die römische Regierung mit mäßiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser
+zweiten Schilderhebung das Schicksal der früheren bereiten. Allein war
+es etwa minder ein Entschluß der Verzweiflung, wenn man stillsaß und
+die Dinge über sich kommen ließ? Wenn man sich erinnerte, wie die Römer
+ungereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu
+erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen Stadt mit
+Drusus in einem Einverständnis gestanden hatten oder haben sollten -
+beides war hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu
+gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und füglich als Hochverrat
+zu qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt,
+ja allen, die nur der Teilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb
+keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter
+das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, daß für eine allgemeine
+Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwärtige Augenblick noch
+verhältnismäßig günstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau
+darüber unterrichtet, inwieweit die Römer die Sprengung der größeren
+italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hatten; es ist indes nicht
+unwahrscheinlich, daß die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die
+Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch
+bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf bloße Fest- und
+Opfergemeinschaft zurückgeführten Gemeindebünden zusammenstanden. Immer
+fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbänden einen
+Stützpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Römer ebendarum dazu
+schreiten würden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner, an
+dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches oder
+gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und gewährte
+für die politische Organisation des Aufstandes einen wichtigen Anhalt,
+während die militärische daran anknüpfen konnte, daß jede Bundesstadt
+ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten besaß. Andrerseits war man
+in Rom auf nichts ernstlich gefaßt. Man vernahm wohl davon, daß
+unruhige Bewegungen in Italien stattfänden und die bundesgenössischen
+Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr unterhielten; aber
+statt schleunigst die Bürger unter die Waffen zu rufen, begnügte das
+regierende Kollegium sich damit, in herkömmlicher Art die Beamten zur
+Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um etwas Genaueres zu
+erfahren. Die Hauptstadt war so völlig unverteidigt, daß ein
+entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, einer von
+den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen haben soll,
+an der Spitze einer Schar zuverlässiger, unter den Gewändern Schwerter
+führender Männer sich in dieselbe einzuschleichen und sich ihrer durch
+einen Handstreich zu bemächtigen. Ein Aufstand bereitete also sich vor;
+Verträge wurden geschlossen, die Rüstungen still und tätig betrieben,
+bis endlich, wie gewöhnlich noch etwas früher, als die leitenden Männer
+beabsichtigt hatten, durch einen Zufall die Insurrektion zum Ausbruch
+kam. Der römische Prätor mit prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius,
+durch seine Kundschafter davon benachrichtigt, daß die Stadt Asculum
+(Ascoli) in den Abruzzen an die Nachbargemeinden Geiseln sende, begab
+sich mit seinem Legaten Fonteius und wenigem Gefolge dorthin und
+richtete an die eben zur Feier der großen Spiele im Theater versammelte
+Menge eine donnernde Drohrede. Der Anblick der nur zu bekannten Beile,
+die Verkündigung der nur zu ernst gemeinten Drohungen warf den Funken
+in den seit Jahrhunderten aufgehäuften Zunder des erbitterten Hasses;
+die römischen Beamten wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen
+und sofort, gleich als gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede
+Brücke der Versöhnung abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit
+geschlossen, die sämtlichen in Asculum verweilenden Römer niedergemacht
+und ihre Habe geplündert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die
+Empörung durch die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche
+Volk der Marser in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen
+Eidgenossenschaften in den Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern,
+Frentanern und Vestinern; der schon genannte tapfere und kluge Quintus
+Silo war hier die Seele der Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den
+Römern förmlich abgesagt, wonach späterhin dem Krieg der Name des
+marsischen blieb. Dem gegebenen Beispiel folgten die samnitischen und
+überhaupt die Masse der Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab
+nach Kalabrien und Apulien, so daß bald in ganz Mittel- und Süditalien
+gegen Rom gerüstet ward. Die Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu
+Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern zusammengehalten hatten
+gegen Drusus. Es ist bezeichnend, daß in diesen Landschaften seit alten
+Zeiten die Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand
+gänzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der
+Bauernstand sich reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst
+in Italien; der Bauern- und überhaupt der Mittelstand also war es, aus
+dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die munizipale
+Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit der hauptsächlichen
+Regierung. Danach ist es auch leicht erklärlich, daß in den
+aufständischen Distrikten einzelne Gemeinden und in den aufständischen
+Gemeinden Minoritäten festhielten an dem römischen Bündnis; wie zum
+Beispiel die Vestinerstadt Pinna für Rom eine schwere Belagerung
+aushielt und ein im Hirpinerland gebildetes Loyalistenkorps unter
+Minatus Magius von Aeclanum die römischen Operationen in Kampanien
+unterstützte. Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten
+bundesgenössischen Gemeinden, in Kampanien, Nola und Nuceria, und die
+griechischen Seestädte Neapolis und Rhegion, desgleichen wenigstens die
+meisten latinischen Kolonien, wie zum Beispiel Alba und Aesernia -
+ebenwie im Hannibalischen Kriege die latinischen und die griechischen
+Städte im ganzen für die sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten.
+Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die aristokratische
+Gliederung gegründet und mit geschickter Abstufung der Abhängigkeiten
+die schlechter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts,
+innerhalb jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die
+Munizipalaristokratie in Untertänigkeit gehalten. Erst jetzt, unter dem
+unvergleichlich schlechten Regiment der Oligarchie, erprobte es sich
+vollständig, wie fest und gewaltig die Staatsmänner des vierten und
+fünften Jahrhunderts ihre Werksteine ineinandergefügt hatten; auch
+diese Sturmflut hielt der vielfach erschütterte Bau noch aus. Freilich
+war damit, daß die besser gestellten Städte nicht auf den ersten Stoß
+von Rom ließen, noch keineswegs gesagt, daß sie auch jetzt, wie im
+Hannibalischen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen
+ausdauern würden, ohne in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die
+Feuerprobe war noch nicht überstanden.
+
+Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei große Heerlager
+auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, noch gar viel an einer
+allgemeinen Schilderhebung der italischen Bundesgenossenschaft; dennoch
+hatte die Insurrektion schon eine vielleicht die Hoffnungen der Führer
+selbst übertreffende Ausdehnung gewonnen, und die Insurgenten konnten
+ohne Übermut daran denken, der römischen Regierung ein billiges
+Abkommen anzubieten. Sie sandten Boten nach Rom und machten sich
+anheischig, gegen Aufnahme in den Bürgerverband die Waffen
+niederzulegen; es war vergebens. Der Gemeinsinn, der so lange in Rom
+vermißt worden war, schien plötzlich wiedergekehrt zu sein, nun es sich
+darum handelte, einem gerechten und jetzt auch mit ansehnlicher Macht
+unterstützten Begehren der Untertanen mit starrer Borniertheit in den
+Weg zu treten. Die nächste Folge der italischen Insurrektion war,
+ähnlich wie nach den Niederlagen, die die Regierungspolitik in Afrika
+und Gallien erlitten hatte, die Eröffnung eines Prozeßkrieges, mittels
+dessen die Richteraristokratie Rache nahm an denjenigen Männern der
+Regierung, in denen man, mit Recht oder Unrecht, die nächste Ursache
+dieses Unheils sah. Auf den Antrag des Tribuns Quintus Varius ward
+trotz des Widerstandes der Optimaten und trotz der tribunizischen
+Interzession eine besondere Hochverratskommission, natürlich aus dem
+mit offener Gewalt für diesen Antrag kämpfenden Ritterstand,
+niedergesetzt zur Untersuchung der von Drusus angezettelten und, wie in
+Italien so auch in Rom, weitverzweigten Verschwörung, aus der die
+Insurrektion hervorgegangen war und die jetzt, da halb Italien in
+Waffen stand, der gesamten erbitterten und erschreckten Bürgerschaft
+als unzweifelhafter Landesverrat erschien. Die Urteile dieser
+Kommission räumten stark auf in den Reihen der senatorischen
+Vermittlungspartei; unter andern namhaften Männern ward Drusus’ genauer
+Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die Verbannung gesandt,
+und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem gleichen Schicksal.
+Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus geneigten Senatoren ging
+soweit, daß bald nachher der Konsul Lupus aus dem Lager an den Senat
+berichtete über die Verbindungen, die zwischen den Optimaten in seinem
+Lager und dem Feinde beständig unterhalten würden; ein Verdacht, der
+sich freilich bald durch das Aufgreifen marsischer Spione als
+unbegründet auswies. Insofern konnte der König Mithradates nicht mit
+Unrecht sagen, daß der Hader der Faktionen ärger als der
+Bundesgenossenkrieg selbst den römischen Staat zerrüttete. Zunächst
+indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der Terrorismus, den
+die Hochverratskommission übte, wenigstens einen Schein her von
+Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen; die fähigen Offiziere
+aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius
+Sulla, Freunde des Drusus wie Publius Sulpicius Rufus, stellten sich
+der Regierung zur Verfügung; die Getreideverteilungen wurden, wie es
+scheint, um diese Zeit durch Volksbeschluß wesentlich beschränkt, um
+die finanziellen Kräfte des Staates für den Krieg zusammenzuhalten, was
+um so notwendiger wir, als bei der drohenden Stellung des Königs
+Mithradates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand geraten
+und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes versiegen
+konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochverratskommission
+nach Beschluß des Senats vorläufig ihre Tätigkeit ein; alle Geschäfte
+stockten und man dachte an nichts als an Aushebung von Soldaten und
+Anfertigung von Waffen.
+
+Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehenden
+schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die
+schwierigere Aufgabe zu lösen, sich während des Kampfes politisch zu
+organisieren. In dem inmitten der marsischen, samnitischen,
+marrucinischen und vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten
+Landschaften belegenen Gebiete der Päligner, in der schönen Ebene an
+dem Pescarafluß ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder
+zur Stadt Italia, deren Bürgerrecht den Bürgern sämtlicher insurgierter
+Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Größe Markt und
+Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern erhielt den
+Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des
+Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bürgerschaft aus den
+Männern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwölf Prätoren, die
+ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Prätoren die höchste Amtsgewalt in
+Krieg und Frieden .übernahmen. Die lateinische Sprache, die damals
+schon bei den Marsern und Picentern die landübliche war, blieb in
+offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im
+südlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider
+bediente man sich abwechselnd auf den Silbermünzen, die man nach
+römischen Mustern und nach römischem Fuß auf den Namen des neuen
+italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten
+von Rom ausgeübte Münzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus
+diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst
+versteht, daß die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von
+den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu
+unterwerfen und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht
+daraus auch hervor, daß ihre Verfassung nichts war als ein reiner
+Abklatsch der römischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei
+den italischen Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik:
+eine Stadtordnung statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen
+von gleicher Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die römischen
+Komitien es waren, mit einem regierenden Kollegium, das dieselben
+Elemente der Oligarchie in sich trug wie der römische Senat, mit einer
+in gleicher Art durch eine Vielzahl konkurrierender höchster Beamten
+ausgeübten Exekutive - es geht diese Nachbildung bis in das kleinste
+Detail hinab, wie zum Beispiel der Konsul- oder Prätortitel des
+höchstkommandierenden Magistrats auch von den Feldherren der Italiker
+nach einem Siege vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es ändert
+sich eben nichts als der Name, ganz wie auf den Münzen der Insurgenten
+dasselbe Götterbild erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern
+Italia lautet. Nur darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich
+dies Insurgenten-Rom von dem ursprünglichen, daß das letztere denn doch
+eine städtische Entwicklung gehabt und seine unnatürliche
+Zwischenstellung zwischen Stadt und Staat wenigstens auf natürlichem
+Wege sich gebildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als
+der Kongreßplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die
+Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt gestempelt
+wurden. Bezeichnend aber ist es, daß hier, wo die plötzliche
+Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen
+politischen Einheit den Gedanken einer Repräsentativverfassung im
+modernen Sinn so nahelegte, doch von einer solchen keine Spur, ja das
+Gegenteil sich zeigt 3 und nur die kommunale Organisation in einer noch
+widersinnigeren Weise als bisher reproduziert wird. Vielleicht nirgends
+zeigt es sich so deutlich wie hier, daß dem Altertum die freie
+Verfassung unzertrennlich ist von dem Auftreten des souveränen Volkes
+in eigener Person in den Urversammlungen oder von der Stadt, und daß
+der große Grundgedanke des heutigen republikanisch-konstitutionellen
+Staates: die Volkssouveränität auszudrücken durch eine
+Repräsentantenversammlung, dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein
+Unding wäre, ganz und vollkommen modern ist. Selbst die italische
+Staatenbildung, obwohl sie in den gewissermaßen repräsentativen Senaten
+und in dem Zurücktreten der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich
+nähert, hat doch weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu
+überschreiten vermocht.
+
+—————————————————————————-
+
+3 Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und
+Strabon (5, 4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie
+denn zum Beispiel der letztere ausdrücklich sagt, daß die Bürgerschaft
+die Beamten wählte. Daß der Senat von Italia in anderer Weise gebildet
+werden und andere Kompetenz haben sollte als der römische, ist wohl
+behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten
+Zusammensetzung natürlich für eine einigermaßen gleichmäßige Vertretung
+der insurgierten Städte gesorgt haben; allein daß die Senatoren von
+Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, ist nirgends
+überliefert. Ebensowenig schließt der Auftrag an den Senat, die
+Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den Beamten und die
+Ratifikation durch die Volksversammlung aus.
+
+————————————————————————-
+
+So begann wenige Monate nach Drusus’ Tode im Winter 663/64 (91/90) der
+Kampf, wie eine der Insurgentenmünzen ihn darstellt, des sabellinischen
+Stiers gegen die römische Wölfin. Beiderseits rüstete man eifrig; in
+Italia wurden große Vorräte an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehäuft; in
+Rom bezog man aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die
+erforderlichen Vorräte und setzte für alle Fälle die lange
+vernachlässigten Mauern in Verteidigungszustand. Die Streitkräfte waren
+einigermaßen gleich gewogen. Die Römer füllten die Lücken in den
+italischen Kontingenten teils durch gesteigerte Aushebung aus der
+Bürgerschaft und aus den schon fast ganz romanisierten Bewohnern der
+Keltenlandschaften diesseits der Alpen, von denen allein bei der
+kampanischen Armee 10000 dienten 4, teils durch die Zuzüge der Numidier
+und anderer überseeischer Nationen, und brachten mit Hilfe der
+griechischen und kleinasiatischen Freistädte eine Kriegsflotte zusammen
+5. Beiderseits wurden, ohne die Besatzungen zu rechnen, bis 100000
+Soldaten mobil gemacht 6 und an Tüchtigkeit der Mannschaft, an
+Kriegstaktik und Bewaffnung standen die Italiker hinter den Römern in
+nichts zurück. Die Führung des Krieges war für die Insurgenten wie für
+die Römer deswegen sehr schwierig, weil das aufständische Gebiet sehr
+ausgedehnt und eine große Zahl zu Rom haltender Festungen in demselben
+zerstreut war; so daß einerseits die Insurgenten sich genötigt sahen,
+einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer
+ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden, andrerseits die Römer nicht
+wohl anders konnten, als die nirgends recht zentralisierte Insurrektion
+in allen insurgierten Landschaften zu bekämpfen. Militärisch zerfiel
+das insurgierte Land in zwei Hälften: in der nördlichen, die von
+Picenum und den Abruzzen bis an die kampanische Nordgrenze reichte und
+die lateinisch redenden Distrikte umfaßte, übernahmen italischerseits
+der Marser Quintus Silo, römischerseits Publius Rutilius Lupus, beide
+als Konsuln, den Oberbefehl; in der südlichen, welche Kampanien,
+Samnium und überhaupt die sabellisch redenden Landschaften in sich
+schloß, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius
+Mutilus, als römischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden
+Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf
+Unterbefehlshaber zur Seite, so daß ein jeder von diesen in einem
+bestimmten Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die
+konsularischen Heere aber die Bestimmung hatten, freier zu agieren und
+die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offiziere, wie
+zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden im Spanischen
+Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und Publius Crassus, stellten
+für diese Posten den Konsuln sich zur Verfügung; und wenn man auf
+Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen hatte,
+so bewies doch der Erfolg, daß ihre Führer den römischen militärisch in
+nichts nachstanden.
+
+—————————————————————————-
+
+4 Die Schleuderbleie von Asculum beweisen, daß auch im Heere des Strabo
+die Gallier sehr zahlreich waren.
+
+5 Wir haben noch einen römischen Senatsbeschluß vom 22. Mai 676 (78),
+welcher dreien griechischen Schiffskapitänen von Karystos, Klazomenä
+und Miletos für die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90)
+geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile
+zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, daß von Herakleia am
+Schwarzen Meer für den Italischen Krieg zwei Trieren aufgeboten und
+dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben heimgekehrt seien.
+
+6 Daß diese Angaben Appians nicht übertrieben ist, beweisen die
+Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen die fünfzehnte Legion
+nennen.
+
+——————————————————————————
+
+Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen
+auf seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit
+auf. Es fällt auf, daß weder die Römer ihre Truppen zusammennahmen, um
+einen überlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszuführen, noch die
+Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzurücken und sich auf die
+feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen
+Verhältnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders
+hätte handeln können und inwieweit die Schlaffheit der römischen
+Regierung einer- und die lose Verbindung der föderierten Gemeinden
+andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegführung beigetragen
+haben. Es ist begreiflich, daß bei diesem System es wohl zu Siegen und
+Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgültigen Erledigung;
+nicht minder aber auch, saß von einem solchen Krieg, der in eine Reihe
+von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald kombiniert
+operierender Korps sich auflöste, aus unserer beispiellos trümmerhaften
+Überlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen läßt.
+
+Der erste Sturm traf selbstverständlich die in den insurgierten
+Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore
+schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf
+sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im
+Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier trafen
+sie auf den entschlossensten Widerstand. Ähnliche Kämpfe mögen im
+Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria, Benevent, Nola,
+Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere sich an den
+Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem die Südarmee
+unter Caesar in der größtenteils noch zu Rom haltenden kampanischen
+Landschaft sich im Frühjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit seinem für
+die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die bedeutenderen
+Bundesstädte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur Offensive
+überzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus
+Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu
+kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter
+Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurückgewiesen, und die
+wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den Insurgenten, denen sie
+die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den Abfall dieser
+Stadt, die auf der Heerstraße von Kampanien nach Samnium lag, war
+Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung sah
+sich jetzt ausschließlich auf den Mut und die Ausdauer ihrer
+Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte
+ein Streifzug, den Sulla mit derselben kühnen Verschlagenheit wie vor
+Jahren den Zug zu Bocchus glücklich zu Ende führte, den bedrängten
+Aeserninern für einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach
+hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die äußerste
+Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius
+Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genötigt, sich in Grumentum
+einzuschließen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und
+die südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst
+überlassen müssen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an der
+Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrückte, übergab die
+Bürgerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die römische
+Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus’ Befehl hingerichtet, die
+Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger
+Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis
+zum Vesuv den Römern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum
+erklärten sich für die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet
+nördlich vom Vesuv vorrücken und mit seiner samnitisch-lucanischen
+Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in großer Zahl bei Caesars
+Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus überzugehen oder
+vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Übergabe von
+Venusia den Samniten in die Hände gefallen war und nun im königlichen
+Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so daß Caesar sich genötigt
+sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat zurückzuschicken.
+Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das römische Lager; allein er ward
+abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem Abzug die römische
+Reiterei in den Rücken gefallen war, ließen bei 6000 Tote auf dem
+Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege
+die Römer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und
+in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder an sich zu heben.
+Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee bei einem
+Flußübergang von Marius Egnatius angegriffen und so nachdrücklich
+geschlagen, daß sie bis Teanum zurückweichen und dort wieder
+organisiert werden mußte; indes gelang es den Anstrengungen des tätigen
+Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in
+kriegsfähigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder
+einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische
+Hauptarmee unter Mutilus fortfuhr zu belagern.
+
+Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo
+der Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in
+gefährlicher Nähe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbständiges Korps
+unter Gnaeus Pompeius Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf
+Firmum und Falerio gestützt, Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse
+dagegen der römischen Nordarmee stellte unter dem Konsul Lupus sich auf
+an der Grenze des latinischen und des marsischen Gebietes, wo an der
+Valerischen und der Salarischen Chaussee der Feind der Hauptstadt am
+nächsten stand; der kleine Fluß Tolenus (Turano), der zwischen Tibur
+und Alba die Valerische Straße schneidet und bei Rieti in den Velino
+fällt, schied die beiden Heere. Ungeduldig drängte der Konsul Lupus zur
+Entscheidung und überhörte den unbequemen Rat des Marius, die des
+Dienstes ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu üben. Zunächst
+ward ihm die 10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollständig
+geschlagen. Der Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines
+Kommandos und vereinigte den Rest des Korps mit dem unter Marius’
+Befehl stehenden, ließ sich aber dadurch nicht abhalten, die Offensive
+zu ergreifen und in zwei teils von ihm selbst, teils von Marius
+geführten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander geschlagenen
+Brücken den Tolenus zu überschreiten. Ihnen gegenüber stand Publius
+Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo
+Marius den Bach überschritt, allein ehe der Übergang stattfand, sich
+mit Hinterlassung der bloßen Lagerposten von dort weggezogen und weiter
+flußaufwärts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das
+römische Korps unter Lupus unvermutet während des Übergehens angriff
+und es teils niedermachte, teils in den Fluß sprengte (11. Juni 664
+90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein
+Ersatz heißen, daß Marius, Scatos Abmarsch endlich gewahrend, über den
+Fluß gegangen war und nicht ohne Verlust der Feinde deren Lager besetzt
+hatte. Doch zwang dieser Flußübergang und gleichzeitig von dem
+Feldherrn Servius Sulpicius über die Paeligner erfochtener Sieg die
+Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurückzunehmen, und Marius,
+welcher nach Beschluß des Senats als Höchstkommandierender an Lupus’
+Stelle trat, verhinderte wenigstens, daß der Feind weitere Erfolge
+errang. Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur
+Seite gesetzt ward, weniger wegen eines glücklich von ihm bestandenen
+Gefechtes, als weil er den damals in Rom tonangebenden Rittern durch
+seine heftige Opposition gegen Drusus sich empfohlen hatte, ließ sich
+von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein Heer verraten zu wollen, in
+einen Hinterhalt locken und ward mit einem großen Teil seiner
+Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen. Marius, nach
+Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch
+seinen zähen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu
+benutzen, und drang allmählich tief in das marsische Gebiet ein. Die
+Schlacht versagte er lange; als er endlich sie lieferte, überwand er
+seinen stürmischen Gegner, der unter anderen Toten den Hauptmann der
+Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt zurückließ. In einem zweiten
+Treffen wirkten Marius’ Heer und das zur Südarmee gehörige Korps des
+Sulla zusammen, um den Marsern eine noch empfindlichere Niederlage
+beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre dieses Tages aber
+blieb dem jüngeren Offizier, denn Marius hatte zwar die Schlacht
+geliefert und gewonnen, aber Sulla den Flüchtigen den Rückzug verlegt
+und sie aufgerieben.
+
+Während also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten
+ward, hatte auch das picenische Korps unter Strabo unglücklich und
+glücklich gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus
+Asculum, Publius Vettius Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten
+Kräften dasselbe angegriffen, es geschlagen und gezwungen, sich nach
+Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo belagert hielt, während
+Iudacilius in Apulien einrückte und Canusium, Venusia und die sonstigen
+dort noch zu Rom haltenden Städte zum Anschluß an die Aufständischen
+bestimmte. Allein auf der römischen Seite bekam Servius Sulpicius durch
+seinen Sieg über die Paeligner freie Hand, um in Picenum einzurücken
+und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, während von vorn Strabo
+ihn angriff, von Sulpicius in den Rücken gefaßt und sein Lager in Brand
+gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in
+aufgelöster Flucht nach Asculum. So vollständig hatte im Picenischen
+die Lage der Dinge sich geändert, daß wie vorher die Römer auf Firmum,
+so jetzt die Italiker auf Asculum sich beschränkt sahen und der Krieg
+also sich abermals in eine Belagerung verwandelte.
+
+Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und
+vielgeteilten Kriegen im südlichen und mittleren Italien noch ein
+dritter in der nördlichen Landschaft gekommen, indem die für Rom so
+gefährliche Lage der Dinge nach den ersten Kriegsmonaten einen großen
+Teil der umbrischen und einzelne etruskische Gemeinden veranlaßt hatte,
+sich für die Insurrektion zu erklären, so daß es nötig geworden war,
+gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den Lucius
+Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stießen die Römer auf einen weit
+minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land
+und behaupteten das entschiedenste Übergewicht im Felde.
+
+So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militärisch wie politisch
+trübe Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend.
+Militärisch waren beide Armeen der Römer, die marsische wie die
+kampanische, durch schwere Niederlagen geschwächt und entmutigt, die
+Nordarmee genötigt, vor allem auf die Deckung der Hauptstadt bedacht zu
+sein, die Südarmee bei Neapel in ihren Kommunikationen ernstlich
+bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit aus dem marsischen
+oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und Neapel sich
+festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine
+Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die
+Insurrektion während dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin
+Boden gewonnen, der Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der
+festen und großen latinischen Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische
+Aufstand waren bedenkliche Zeichen, daß die römische Symmachie in ihren
+innersten Fugen wanke und nicht imstande sei, diese letzte Probe
+auszuhalten. Schon hatte man der Bürgerschaft das Äußerste zugemutet,
+schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen Küste zu
+bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Bürgermiliz eingereiht, schon
+von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer
+gefordert; es war nicht möglich, die Sehne des Bogens noch schärfer
+anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der
+Bürgerschaft war unglaublich gedrückt. Nach der Schlacht am Tolenus,
+als der Konsul und die zahlreichen mit ihm gefallenen namhaften Bürger
+von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als Leichen
+zurückgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum
+Zeichen der öffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von
+sich legten, als von der Regierung an die hauptstädtischen Bewohner der
+Befehl erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der
+Verzweiflung überlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die
+schlimmste Entmutigung gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von
+Strabo im Picenischen erfochtenen Siegen; auf die Meldung des ersteren
+hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock wieder mit dem Bürgerkleid
+vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt;
+aber es war doch nicht zweifelhaft, daß im ganzen die Römer in diesem
+Waffengang den kürzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus
+dem Senat wie aus der Bürgerschaft der Geist entwichen, der sie einst
+durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege
+getragen hatte. Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen
+trotzigen Übermut wie damals, aber man wußte ihn nicht wie damals damit
+zu endigen; der starre Eigensinn, die zähe Konsequenz hatten einer
+schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht. Schon nach dem ersten
+Kriegsjahr wurde die äußere und innere Politik plötzlich eine andere
+und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel, daß man damit das
+Klügste tat, was sich tun ließ; aber nicht weil man, durch die
+unmittelbare Gewalt der Waffen genötigt, nicht umhin konnte, sich
+nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, sondern weil das, worum
+gestritten ward, die Verewigung des politischen Vorranges der Römer vor
+den übrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber mehr schädlich als
+förderlich war. Es trifft im öffentlichen Leben wohl, daß ein Fehler
+den anderen ausgleicht; hier machte, was der Eigensinn verschuldet
+hatte, die Feigheit gewissermaßen wieder gut. Das Jahr 664 (90) hatte
+begonnen mit der schroffsten Zurückweisung des von den Insurgenten
+angebotenen Vergleichs und mit der Eröffnung eines Prozeßkrieges, in
+welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger des patriotischen
+Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die im
+Verdacht standen, der Mäßigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das
+Wort geredet zu haben. Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius
+Silvanus, der am 10. Dezember desselben Jahres sein Amt antrat, ein
+Gesetz durch, das die Hochverratskommission den
+Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien, nicht
+ständisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen
+Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, daß diese Kommission aus
+einer Geißel der Moderierten zu einer Geißel der Ultras ward und sie
+unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die öffentliche
+Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des
+Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die
+Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische
+Palinodie war die veränderte Richtung, die man in der Politik gegen die
+Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom
+zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen müssen; Rom
+war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war
+derselbe nur möglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die
+Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich
+erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstören, war die Fehde
+zu erbittert geworden, als daß man in Rom es über sich gewonnen hätte,
+ihnen die verlangten Zugeständnisse zu machen; und hätte man es getan,
+sie wären vielleicht jetzt von der anderen Seite zurückgewiesen worden.
+Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen Gemeinden die
+ursprünglichen Forderungen unter gewissen Einschränkungen gewährt
+wurden, so ward damit teils der Schein freiwilliger Nachgiebigkeit
+gerettet, teils die sonst unvermeidliche Konsolidierung der
+Konföderation verhindert und damit der Weg zu ihrer Überwindung
+gebahnt. So taten denn die Pforten des römischen Bürgertums, die der
+Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt plötzlich sich auf,
+als die Schwerter daran pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz,
+sondern selbst für die Aufgenommenen in widerwilliger und kränkender
+Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7 durchgebrachtes Gesetz
+verlieh das römische Bürgerrecht den Bürgern aller derjenigen
+italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht Rom offen abgesagt
+hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius Silvanus und Gaius
+Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbürgerten und domizilierten
+Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein
+solle, durch Anmeldung bei einem römischen Beamten das römische
+Bürgerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubürger, ähnlich den
+Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daß von den
+fünfunddreißig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelassenen nur in
+vier, eingeschrieben werden konnten; ob die Beschränkung persönlich
+oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht mit Sicherheit zu
+entscheiden. Diese Maßregel bezog sich zunächst auf das eigentliche
+Italien, das nördlich damals noch wenig über Ancona und Florenz
+hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, das zwar
+rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in der
+Kolonisierung längst als Teil Italiens galt, wurden sämtliche
+latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im übrigen
+war hier diesseits des Po der größte Teil des Bodens nach Auflösung der
+alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen Schema
+organisiert, stand aber doch im Eigentum römischer, meist in
+Marktflecken (fora) zusammenwohnender Bürger. Die nicht zahlreichen
+bundesgenössischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna,
+sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge
+eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes
+nach italischer Stadtverfassung organisiert, so daß die hierzu sich
+nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den
+Alpentälern, einzelnen Städten als abhängige und zinspflichtige Dörfer
+zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem
+römischen Bürgertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion,
+daß sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet,
+welche bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden
+hatten. Italien endigte also damals tatsächlich am Po, während die
+transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, nördlich
+vom Po, gab es außer Cremona, Eporedia und Aquileia keine Bürger- oder
+latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Stämme hier
+keineswegs, wie südlich vom Po, verdrängt worden. Die Abschaffung der
+keltischen Gau- und die Einführung der italischen Stadtverfassung
+bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war
+dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des
+gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals
+Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen
+Herren.
+
+—————————————————————
+
+7 Das Julische Gesetz muß in den letzten Monaten des Jahres 664 (90)
+erlassen sein, da während der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand;
+das Plautische ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen
+Anträge, unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember
+664 (90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden.
+
+————————————————————-
+
+So ansehnlich diese Zugeständnisse waren, wenn man sie vergleicht mit
+der seit mehr als hundertfünfzig Jahren festgehaltenen starren
+Abgeschlossenheit der römischen Bürgerschaft, so schlossen sie doch
+nichts weniger als eine Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten
+ein, sondern sollten teils die schwankenden und mit dem Abfall
+drohenden Gemeinden festhalten, teils möglichst viele Überläufer aus
+den feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze,
+namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung
+gekommen sind, läßt sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der
+Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen
+anzugeben vermögen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, daß die bisher
+latinischen Gemeinden, sowohl die Überreste der alten latinischen
+Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die
+latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten
+übergegangenen, dadurch eintraten in den römischen Bürgerverband.
+Außerdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen Bundesstädte
+in Etrurien und besonders in Süditalien, wie Nuceria und Neapolis. Daß
+einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden über die Annahme des
+Bürgerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug, seinen
+bisherigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Landdienst und
+ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies Domanialnutzungen
+garantierte, gegen das beschränkte Neubürgerrecht hinzugeben, ist
+begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstände wegen
+geschlossenen Vergleichen herzuleiten, daß diese Stadt, sowie auch
+Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in Italien,
+selbst nach dem Eintritt in den Bürgerverband ihre bisherige
+Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle
+unverändert beibehalten haben. Auf alle Fälle ward infolge dieser
+Gesetze der römische Bürgerverband außerordentlich erweitert durch das
+Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge
+bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, außerdem die
+Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung des besten
+bundesgenössischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft
+auf das volle Bürgerrecht beliehen.
+
+Gestützt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen
+die Römer mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufständischen
+Distrikte. Man hatte von den bestehenden politischen Institutionen so
+viel niedergerissen, als notwendig schien, um die Ausbreitung des
+Brandes zu hindern; die Insurrektion griff fortan wenigstens nicht
+weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im
+Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische Gesetz als
+durch den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt.
+In den ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten
+Polandschaft eröffneten sich reiche und jetzt zuverlässige
+Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der Bürgerschaft selbst konnte
+man daran gehen, den jetzt isolierten Brand zu bewältigen. Die beiden
+bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach Rom zurück, Caesar als
+erwählter Zensor, Marius, weil man seine Kriegführung als unsicher und
+langsam tadelte und den sechsundsechzigjährigen Mann für altersschwach
+erklärte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegründet; Marius
+bewies, indem er täglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens
+seine körperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in
+dem letzten Feldzug im ganzen die alte Tüchtigkeit bewährt zu haben;
+aber glänzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen
+Bankrott sich hätte in der öffentlichen Meinung rehabilitieren können,
+hatte er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem
+bitteren Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstände zu dem alten
+Eisen geworfen. An Marius’ Stelle trat bei der marsischen Armee der
+Konsul dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in
+Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der
+Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge
+des vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als
+Konsul, das mit so großem Erfolg von ihm geführte Kommando im
+picenischen Gebiet.
+
+So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die
+Insurgenten eröffneten durch den kühnen, an den großartigen Gang der
+Samnitischen Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen
+von 15000 Mann der in Norditalien gärenden Insurrektion zu Hilfe nach
+Etrurien zu senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren
+hatte, verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollständig; nur wenige
+gelangten zurück in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit
+den römischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat
+Cato das marsische Gebiet und drang unter glücklichen Gefechten in
+demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem
+Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschließliche Oberleitung
+der Operationen in Mittelitalien auf Strabo überging. Dieser
+beschäftigte sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum,
+teils mit der Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen
+Landschaften. Zum Entsatz seiner bedrängten Heimatstadt erschien vor
+Asculum Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die
+belagernde Armee an, während gleichzeitig die ausfallende Besatzung
+sich auf die römischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000
+Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Römern,
+doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in
+die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war
+langwierig 8 durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte
+Verteidigung der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die
+schreckliche Kriegserklärung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius
+endlich nach mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation
+herankommen sah, ließ er die Häupter der römisch gesinnten Fraktion der
+Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den
+Tod. So wurden die Tore geöffnet und die römischen Exekutionen lösten
+die italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Bürger wurden
+hingerichtet, die übrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, sämtliches
+Hab und Gut von Staats wegen eingezogen. Während der Belagerung und
+nach dem Fall von Asculum durchzogen zahlreiche römische Korps die
+benachbarten aufständischen Landschaften und bewogen eine nach der
+anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner fügten sich, nachdem Servius
+Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich geschlagen hatte. In
+Apulien drang der Prätor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae
+und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius
+Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die
+Römer zurückdrängte, gelang es dem römischen Feldherrn bei dem Übergang
+über den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres
+mußte in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer drangen
+wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz
+Apulien. Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen
+der Insurrektion, stellten die Römer ihre Herrschaft wieder her; die
+Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus
+Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666
+88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die
+bescheidene pälignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen
+Senats flüchteten auf samnitisches Gebiet.
+
+———————————————————————
+
+8 Schleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit
+Verwünschungen der “entlaufenen Sklaven” - demnach römische - oder mit
+der Aufschrift entweder: “triff die Picenter” oder “triff den Pompeius”
+-jene römische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch
+jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli.
+
+——————————————————————-
+
+Die römische Südarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand,
+hatte gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das
+vom Feind besetzte südliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst
+erobert und zerstört (30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius,
+der indes, es scheint bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Länger
+widerstand Pompeii. Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam
+herbei, der Stadt Entsatz zu bringen, allein er ward von Sulla
+zurückgewiesen, und als er, durch Keltenscharen verstärkt, seinen
+Versuch wiederholte, hauptsächlich durch den Wankelmut dieser
+unzuverlässigen Gesellen so vollständig geschlagen, daß sein Lager
+erobert und er selbst mit dem größten Teil der Seinigen auf der Flucht
+nach Nola zu niedergehauen ward. Das dankbare römische Heer verlieh
+seinem Feldherrn den Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach
+Lagerbrauch der Soldat geschmückt wurde, der durch seine Tüchtigkeit
+eine Abteilung seiner Kameraden gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung
+Nolas und den anderen von den Samniten noch besetzten kampanischen
+Städte sich aufzuhalten, rückte Sulla sofort in das innere Land ein, wo
+der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche Eroberung und
+fürchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in der
+ganzen hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der
+lucanische Zuzug herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung
+setzte, und Sulla konnte ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der
+samnitischen Eidgenossenschaft. Der Paß, wo die samnitische Landwehr
+unter Mutilus ihn erwartete, wurde umgangen, die samnitische Armee im
+Rücken angegriffen und geschlagen; das Lager ging verloren, der
+Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rückte vor die
+Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch
+einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren.
+Erst die vorgerückte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende.
+
+Es war der vollständigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so
+siegreich, so vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665
+(89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so überall geschlagen, so völlig
+hoffnungslos ging sie aus demselben hervor. Ganz Norditalien war
+beruhigt. In Mittelitalien waren beide Küsten völlig in römischer
+Gewalt, die Abruzzen fast vollständig, Apulien bis auf Venusia,
+Kampanien bis auf Nola in den Händen der Römer und durch die Besetzung
+des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den beiden
+einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der
+samnitischen und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet
+glich einer erlöschenden ungeheuren Brandstätte; überall traf das Auge
+auf Asche und Trümmer und verglimmende Brände, hie und da loderte noch
+zwischen den Ruinen die Flamme empor, aber man war des Feuers überall
+Meister und nirgends drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, daß wir
+die Ursachen dieses plötzlichen Umschwunges in der oberflächlichen
+Überlieferung nicht mehr genügend erkennen. So unzweifelhaft Strabos
+und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich die energischere
+Konzentrierung der römischen Streitkräfte, die raschere Offensive
+wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch neben den militärischen
+auch politische Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der
+Insurgentenmacht im Spiel gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus
+und Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die
+Reihen der Feinde zu tragen, erfüllt haben, es mag, wie so oft, unter
+die lose verknüpften aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der
+Zwietracht gefallen sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf
+eine sicher unter heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Auflösung
+der Italia -, daß die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers
+Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und
+nach der Kapitulation der Marser landflüchtig zu dem Nachbarvolk
+gegangen war, jetzt sich eine andere, rein landschaftliche Organisation
+gaben und, nachdem die “Italia” überwunden war, es unternahmen, als
+“Safinen” oder Samniten den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste
+Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen
+Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuß und
+1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000
+Sklaven verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter
+als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach
+zweihundertjähriger Pause die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das
+entschlossene Bauernvolk abermals, ganz wie im fünften Jahrhundert,
+nachdem die italische Konföderation gescheitert war, noch einen Versuch
+machen, seine landschaftliche Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom
+zu ertrotzen. Allein dieser Entschluß der tapfersten Verzweiflung
+änderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in
+Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die
+Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.
+
+——————————————————————————
+
+9 Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in
+oskischer Schrift angehören; denn solange die Italia von den
+Insurgenten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne
+Macht Münzen mit dem eigenen Namen schlagen.
+
+——————————————————————————
+
+Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die
+asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit
+gemacht hatten, an König Mithradates von Pontos den Krieg zu erklären
+und für das nächste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine
+konsularische Armee nach Kleinasien zu bestimmen. Wäre dieser Krieg ein
+Jahr früher zum Ausbruch gekommen, so hätte die gleichzeitige Empörung
+des halben Italiens und der wichtigsten Provinz dem römischen Staat
+eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der
+italischen Insurrektion das wunderbare Glück Roms sich abermals bewährt
+hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem daß er mit
+dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich
+bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Übermut die
+Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von
+der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die
+Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen
+überseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander führte; die Staatskasse
+war nach zwei Kriegsjahren bereits vollständig erschöpft, die Bildung
+einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum
+ausführbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der seit
+alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plätze an die
+Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2½ Mill. Taler) gelöst wurden,
+lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht
+gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach
+Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im südlichen
+Italien es ihr gestatten würde sich zu entfernen; war bei den
+Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee
+voraussichtlich bald geschehen konnte.
+
+So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter günstigen Aussichten für
+Rom. Strabo dämpfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen
+geleistet ward. In Apulien machte Cosconius’ Nachfolger Quintus
+Metellus Pius, der Sohn des Überwinders von Numidien und an energisch
+konservativer Gesinnung wie an militärischer Begabung seinem Vater
+nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende durch die Einnahme von Venusia,
+wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden. In Samnium gelang zwar
+Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer Schlacht, die er
+dem römischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Römer,
+und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die
+Samniten auf der Walstatt ließen, war auch Silo. In Kampanien wurden
+die kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von
+Sulla ihnen entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der
+römische Feldherr Aulus Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge;
+allein nachdem er bei einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen
+war, herrschte der Insurgentenführer Lamponius mit den Seinen wiederum
+fast ungestört in der weiten und öden lucanisch-brettischen Landschaft.
+Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions zu bemächtigen, den indes
+der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner
+Unfälle näherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die
+Unterwerfung von Samnium, die Möglichkeit, ansehnliche Streitkräfte für
+Asien verfügbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung
+der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion
+unvermutet Luft machte.
+
+Rom war in fürchterlicher Gärung. Drusus’ Angriff auf die
+Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter jäher Sturz,
+sodann der zweischneidige Varische Prozeßkrieg hatten die bitterste
+Zwietracht gesät zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen
+den Gemäßigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der
+Nachgiebigkeit vollständig recht gegeben: was sie beantragt hatte,
+freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen
+zugestehen müssen; allein die Art, wie dies Zugeständnis erfolgt war,
+trug eben wie die frühere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und
+kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche
+Recht zu gewähren, hatte man die Zurücksetzung nur anders formuliert.
+Man hatte eine große Anzahl italischer Gemeinden in den römischen
+Bürgerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem
+ehrenrührigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbürger ungefähr wie
+die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die
+Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugeständnis des
+latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem
+ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, sämtlichen
+wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloß das Bürgerrecht
+vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den Aufstand
+vernichteten Verträge ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, höchstens
+im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert ^10. Die
+Zurücksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie bei der
+damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und die
+scheinheilige Fürsorge der Regierung für die unbefleckte Reinheit der
+Wählerschaft jedem Unbefangenen lächerlich erscheinen mußte; all jene
+Beschränkungen aber waren insofern gefährlich, als sie jeden Demagogen
+dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder gerechten
+Forderungen der Neubürger sowohl wie der vom Bürgerrecht
+ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen.
+Wenn somit die heller sehende Aristokratie diese halben und
+mißgünstigen Konzessionen ebenso unzulänglich finden mußte wie die
+Neubürger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermißte sie ferner
+schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vorzüglichen Männer,
+die die Varische Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die
+zurückzurufen deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch
+Volks-, sondern durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren;
+denn sowenig man Bedenken trug, einen Volksschluß auch richterlicher
+Natur durch einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation
+eines Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren
+Aristokratie als ein sehr gefährliches Beispiel. So waren weder die
+Ultras noch die Gemäßigten mit dem Ausgang der italischen Krise
+zufrieden. Aber von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten
+Mannes, der mit erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen
+und daraus unfreiwillig zurückgekommen war, mit dem Bewußtsein, neue
+Dienste geleistet und dafür neue schwerste Kränkungen empfangen zu
+haben, mit dem bitteren Gefühle, von den Feinden nicht mehr gefürchtet,
+sondern geringgeschätzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen,
+der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von
+den Neubürgern und den Ausgeschlossenen: unfähig und unbehilflich wie
+er sich erwiesen hatte, war doch sein populärer Name in der Hand eines
+Demagogen ein furchtbares Werkzeug.
+
+———————————————————————
+
+^10 Dediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87),
+omnibus [ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV …
+cobortes miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis
+populis a senatu civltas data est) in teilweise schärferer Fassung
+wiedererscheint. Dediticii sind nach römischem Staatsrecht diejenigen
+peregrinischen Freien (Gaius inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die
+den Römern untertan geworden und zu keinem Bündnis zugelassen worden
+sind. Sie behalten nicht bloß Leben, Freiheit und Eigentum, sondern
+können auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert sein.
+Απόλιδες, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48,
+19, 17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii
+gleichgestellten Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur
+mißbräuchlich und bei besseren Schriftstellern selten geradezu
+dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6)
+ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani. Aber die dediticii
+sind dennoch dem römischen Staate gegenüber insofern rechtlos, als nach
+römischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb.
+21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdrücklich oder
+stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen
+Widerruf zugestanden werden (App. Hisp. 44), der römische Staat also,
+was er auch gleich oder später über seine Deditizier verhängen mag,
+niemals gegen sie eine Rechtsverletzung begehen kann. Diese
+Rechtlosigkeit hört erst auf durch Abschließung eines Bündnisvertrages
+(Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio und foedus als staatsrechtlich
+sich ausschließende Gegenstände (Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13,
+16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch der den Juristen
+geläufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die
+Latiner sind eben die Föderierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24,
+54).
+
+Nach dem älteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht
+zahlreichen, infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Verträge
+verlustig erklärten Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem
+Plautischen Gesetz von 664/65 (90/89) schloß die Bezeichnung: qui
+foederatis civitatibus adscripti fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich
+alle Italiker ein. Da nun aber unter den dediticii, die 667 (87)
+nachträglich das Bürgerrecht empfingen, doch nicht füglich bloß die
+Brettier und Picenter verstanden sein können, so wird man annehmen
+dürfen, daß alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und
+nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Bürgerrecht erworben
+hatten, als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, daß ihre durch
+die Insurrektion von selbst kassierten Verträge (darum qui foederati
+fuerunt in der angeführten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung
+nicht rechtlich erneuert wurden.
+
+——————————————————————-
+
+Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch
+fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militärischen
+Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das
+Heer in sich trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit
+während des demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden
+waffenfähigen Mann ohne Unterschied zum Dienst zuzulassen nötigte und
+der vor allem unmittelbar in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt
+die politische Propaganda trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem
+Erschlaffen aller Bande der militärischen Hierarchie. Während der
+Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des Sullanischen
+Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen
+Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten,
+mit Steinen und Knütteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla
+begnügte sich, die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor
+dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang auszulöschen. Die Urheber
+dieser Tat waren die Flottensoldaten, von jeher die am mindesten
+achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpöbel
+ausgehobene Abteilung der Legionäre dem gegebenen Beispiel. Angestiftet
+von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, vergriff sie sich an
+dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem Tode;
+Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als Cato dann
+bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen
+Offiziere, namentlich der jüngere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit
+Unrecht ist nicht auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet.
+
+Zu dieser beginnenden politischen und militärischen kam die vielleicht
+noch entsetzlichere ökonomische Krise, die im Verfolg des
+Bundesgenossenkrieges und der asiatischen Unruhen über die römischen
+Geldmänner hereingebrochen war. Die Schuldner, unfähig, auch nur die
+Zinsen zu erschwingen, und dennoch von ihren Gläubigern unerbittlich
+gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gerichtsvorstand, dem Stadtprätor
+Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen zu
+können, teils die alten verschollenen Zinsgesetze wieder hervorgesucht
+und nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den vierfachen Betrag
+der dem Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt.
+Asellio gab sich dazu her, das tatsächlich bestehende Recht durch
+dessen Buchstaben zu beugen, und instruierte in gewöhnlicher Weise die
+verlangten Zinsklagen; worauf die verletzten Gläubiger unter Leitung
+des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammentaten und
+den Prätor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte,
+vor dem Tempel der Eintracht überfielen und erschlugen - eine
+Freveltat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665
+89). Andererseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, daß der
+leidenden Menge nicht anders geholfen werden könne als durch “neue
+Rechnungsbücher”, das heißt durch gesetzliche Vernichtung der
+Forderungen sämtlicher Gläubiger an sämtliche Schuldner. Es war genau
+wieder wie während des Ständestreits: wieder machten die Kapitalisten
+im Bunde mit der befangenen Aristokratie der gedrückten Menge und der
+zur Mäßigung des starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und
+den Prozeß; wieder stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den
+der verzweifelte Schuldner den Gläubiger mit sich hinabreißt; nur war
+seitdem an die Stelle der einfach bürgerlichen und sittlichen Ordnung
+einer großen Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler
+Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit
+dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Mißverhältnisse breiter,
+schroffer, in grauenhafter Weise großartiger geworden. Indem der
+Bundesgenossenkrieg all die gärenden politischen und sozialen Elemente
+in der Bürgerschaft gegeneinander rüttelte, legte er den Grund zu einer
+neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall.
+
+Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88)
+bei der Bürgerschaft die Anträge stellte, jeden Senator, der über 2000
+Denare (600 Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklären;
+den durch unfreie Geschworenengerichte verurteilten Bürgern die
+Rückkehr in die Heimat freizugeben; die Neubürger durch sämtliche
+Distrikte zu verteilen und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in
+allen Distrikten zu gestatten. Es waren Vorschläge, die aus dem Munde
+dieses Mannes zum Teil wenigstens überraschten. Publius Sulpicius Rufus
+(geboren 630 124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner
+adligen Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten
+Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den
+Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme, die
+lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebärden, die üppige
+Fülle seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht überzeugten.
+Seiner Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des
+Senats, und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage
+des der Regierungspartei tödlich verhaßten Norbanus gewesen. Unter den
+Konservativen gehörte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus. Was
+ihn zunächst veranlaßte, sich für das Jahr 666 (88) um das
+Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel
+abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, daß auch er, wie
+die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionär
+verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionär geworden zu sein und
+keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus
+beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen
+Prozeßsturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des
+Crassus und Drusus, sich berufen gefühlt haben, das Werk des Drusus zu
+vollenden und die noch bestehenden Zurücksetzungen der Neubürger
+schließlich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus
+seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwähnt, die das
+gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er
+durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des
+Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluß zu
+kassieren; und als der gewesene Ädil Gaius Caesar verfassungswidrig
+sich mit Überspringung der Prätur um das Konsulat für 667 (87) bewarb,
+wie es heißt in der Absicht, sich später die Führung des Asiatischen
+Krieges übertragen zu lassen, trat, entschlossener und schärfer als
+irgendein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus
+also forderte er von sich wie von andern zunächst und vor allem die
+Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie
+Drusus das Unverträgliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte,
+an sich verständige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der
+Altbürgerschaft auf gütlichem Wege niemals zu erlangende
+Verfassungsänderung in strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch
+mit der mächtigen Familie der Iulier, unter denen namentlich der Bruder
+des Gaius, der Konsular Lucius Caesar, im Senat sehr einflußreich war,
+und mit der derselben anhängenden Fraktion der Aristokratie hat ohne
+Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den zornmütigen Mann durch
+persönliche Erbitterung über die ursprüngliche Absicht hinausgeführt.
+Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Anträge ist doch von der
+Art, daß sie keineswegs die Persönlichkeit und die bisherige
+Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der
+Neubürger mit den Altbürgern war nichts als die teilweise
+Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen Anträge zu Gunsten der
+Italiker und wie diese nur die Erfüllung der Vorschriften einer
+gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die Varischen Geschworenen
+Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des
+Geschworenenwahrspruchs, für den Sulpicius eben noch selbst mit der Tat
+eingestanden war, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen
+Parteigenossen des Antragstellers, den gemäßigten Konservativen,
+zugute, und es läßt sich von dem stürmischen Mann recht wohl begreifen,
+daß er bei seinem ersten Auftreten eine solche Maßregel entschieden
+bekämpfte und dann, ergrimmt über den Widerstand, auf den er traf, sie
+selber beantragte. Die Maßregel gegen die Überschuldung der Senatoren
+war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Bloßlegung der trotz alles
+äußeren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden
+Familien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar
+peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen Interesse der
+Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein
+mußte, alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten,
+ihre Passiva rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in
+der Überschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigeführten
+Abhängigkeit von den reichen Kollegen seinen hauptsächlichen Halt fand,
+durch die Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedämpft
+ward - womit natürlich nicht geleugnet werden soll, daß Rufus eine den
+Senat so schroff und gehässig prostituierende Säuberung der Kurie, wie
+er sie vorschlug, ohne seine persönlichen Zerwürfnisse mit den
+herrschenden Koteriehäuptern sicher niemals beantragt haben würde.
+Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte
+unzweifelhaft zunächst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse
+zu machen; an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der
+aristokratischen Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte,
+die Freigelassenen zum Militärdienst mit hinzuzuziehen, war ihre
+Forderung des Stimmrechts insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und
+Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber
+kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob
+in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Möglichkeit,
+mit den Komitien zu regieren, ward für die Oligarchie eher gesteigert
+als gemindert durch die unbeschränkte Zulassung der Freigelassenen,
+welche ja zu einem sehr großen Teil von den regierenden Familien
+persönlich und ökonomisch abhängig waren und richtig verwandt eben ein
+Mittel für die Regierung abgeben konnten, die Wahlen gründlicher noch
+als bisher zu beherrschen. Wider die Tendenzen der reformistisch
+gesinnten Aristokratie lief diese Maßregel allerdings wie jede andere
+politische Begünstigung des Proletariats; allein sie war auch für Rufus
+schwerlich etwas anderes, als was das Getreidegesetz für Drusus gewesen
+war: ein Mittel, um das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit
+dessen Hilfe den Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft
+gemeinnützigen Reformen zu brechen. Es ließ sich leicht voraussehen,
+daß dieser nicht gering sein, daß die bornierte Aristokratie und die
+bornierte Bourgeoisie ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem
+Ausbruch der Insurrektion jetzt nach ihrer Überwindung betätigen, daß
+die große Majorität aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten
+Gefahr gemachten halben Zugeständnisse im stillen oder auch laut als
+unzeitige Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich
+leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus’ Beispiel hatte gezeigt, was
+dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen auf
+die Senatsmajorität durchzusetzen unternahm; es war vollkommen
+erklärlich, daß sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten
+in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu
+realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Mühe, durch den
+Köder der Geschworenengerichte den Senat für sich zu gewinnen. Besseren
+Rückhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem
+bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus
+3000 gedungenen Leuten und einem “Gegensenat” von 600 jungen Männern
+aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Straßen und auf dem Markte
+erschien. Seine Anträge stießen denn auch auf den entschiedensten
+Widerstand bei der Majorität des Senats, welche zunächst, um Zeit zu
+gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius
+Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, außerordentliche
+religiöse Festlichkeiten anzuordnen, während deren die
+Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen
+Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius,
+der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand
+und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla
+soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daß Marius ihm sein Haus
+öffnete. Man mußte nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die
+angekündigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Anträge
+gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch
+keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die
+Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem
+Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht
+übersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des
+Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische
+Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt
+für den Augenblick gewichen war, nicht bloß mit der Senatsmajorität in
+vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die
+Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner
+Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knüttelmänner oder die
+wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren,
+lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, daß der
+Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der
+Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurückkehren werde, um den
+konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen über den Haufen zu
+werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wünschte den Krieg gegen
+Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstädtischen
+politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und seiner
+unübertroffenen politischen Nonchalance hat es große
+Wahrscheinlichkeit, daß er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete,
+keineswegs beabsichtigte und daß er, wenn man ihn hätte gewähren
+lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch
+beschäftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien
+eingeschifft haben würde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius
+entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den
+Oberbefehl abzunehmen, und ließ zu diesem Ende mit Marius sich ein,
+dessen Name noch immer hinreichend populär war, um einen Antrag, den
+Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen, der Menge
+plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militärische Stellung und
+Kapazität für den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stütze werden
+konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfähigen als
+rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu
+stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen und ebensowenig die arge
+Abnormität, einem Privatmann ein außerordentliches Oberkommando durch
+Volksschluß zu übertragen; aber eben Marius’ erprobte staatsmännische
+Unfähigkeit gab eine Art Garantie dafür, daß er die Verfassung nicht
+ernstlich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius’ eigene
+Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte,
+daß dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht kamen. Daß der
+abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als
+Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem
+Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg gelüstete sein Herz seit
+vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gründlich
+abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt auf Antrag des
+Sulpicius durch Beschluß des Volkes Gaius Marius mit außerordentlicher
+höchster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der
+kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates,
+und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei Volkstribune
+in das Lager von Nola abgesandt.
+
+Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen
+war, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu führen, so war es Sulla.
+Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem größten Erfolge auf demselben
+Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte mehr als irgendein anderer Mann
+beigetragen zur Überwältigung der gefährlichen italischen Insurrektion;
+ihm als Konsul des Jahres, in welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch
+kam, war in der hergebrachten Weise und mit voller Zustimmung seines
+ihm befreundeten und verschwägerten Kollegen das Kommando in demselben
+übertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen
+Verhältnissen übernommenen Oberbefehl nach Beschluß der souveränen
+Bürgerschaft von Rom abzugeben an einen alten militärischen und
+politischen Antagonisten, in dessen Händen die Armee, niemand mochte
+sagen zu welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, mißbraucht werden
+konnte. Sulla war weder gutmütig genug, um freiwillig einem solchen
+Befehl Folge zu leisten, noch abhängig genug, um es zu müssen. Sein
+Heer war, teils infolge der von Marius herrührenden Umgestaltungen des
+Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere und
+militärisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem Führer
+unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente
+Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer
+Kopf, dem die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen war, der
+Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle
+Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit
+halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als
+Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es
+waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von
+Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen
+anzudeuten, daß der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer,
+sondern andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien führen werde. Die
+höheren Offiziere, immer noch mehr Bürger als Militärs, hielten sich
+zurück, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die
+Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach früheren Erfahrungen in Asien
+einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten
+auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen
+und von allen Seiten erscholl der Zuruf, daß der Feldherr sie auf Rom
+zu führen möge. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs seinen
+Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen
+Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden
+Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der
+Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersäulen sich aufstellen an der
+Tiberbrücke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei
+Legionen in Reih’ und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten
+Mauerring überschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt
+hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren
+innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne daß ein römisches
+Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen hätte; jetzt geschah es,
+zunächst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier
+berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrückenden Legionen gingen
+vor bis auf die Höhe des Esquilin; als die von den Dächern
+heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und
+sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel und,
+mit Brandpfeilen und Anzündung der Häuser drohend, brachen die Legionen
+sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. Maria
+Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius
+zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden Kolonnen
+durch die Überzahl zurück. Aber von den Toren kam denselben
+Verstärkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der
+Suburastraße die Verteidiger zu umgehen; sie mußten zurück. Am Tempel
+der Tellus, wo der Esquilin anfängt sich gegen den Großen Marktplatz zu
+senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor Senat
+und Ritter und die gesamte Bürgerschaft, den Legionen sich
+entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Bürgern in
+Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie
+gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die
+Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu
+bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Führern
+nichts übrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen;
+nach wenigen Stunden war Sulla unumschränkter Herr von Rom. Diese Nacht
+brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Großen Marktplatz der
+Hauptstadt.
+
+Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Fehden hatte es
+zur vollen Evidenz gebracht, sowohl daß die politischen Kämpfe auf dem
+Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die
+Entscheidung gibt, als auch daß die Gewalt des Knüttels nichts ist
+gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen,
+die das Schwert zuerst gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle
+Wort des Evangeliums über den, der zuerst das Schwert erhebt,
+seinerzeit sich erfüllt hat. Für jetzt triumphierte sie vollständig und
+durfte ihren Sieg nach Belieben selber formulieren. Von selbst verstand
+es sich, daß die Sulpicischen Gesetze als von Rechts wegen nichtig
+bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhänger hatten
+sich geflüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat als
+Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius
+Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht
+und das an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf
+dem Markt auf ebenderselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er
+selbst noch wenige Tage zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft
+gestanden hatte. Die anderen Geächteten wurden verfolgt; auch dem alten
+Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. Wie der Feldherr auch die
+Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette von
+Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo der Retter des
+Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae
+und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse
+seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um
+nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an Vorräten
+zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glück in
+die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach sich
+anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuß, oft vom Hunger
+gepeinigt, in die Nähe der römischen Kolonie Minturnae an der Mündung
+des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden Reiter;
+mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes
+Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die ängstlichen
+Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, während Marius am
+Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Gürtel in
+den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen,
+fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehörde von
+Minturnae. Er ward ins Gefängnis gelegt und der Stadtbüttel, ein
+kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche
+erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das Beil
+entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn
+anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu töten. Als man
+dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, daß der
+Retter Roms größere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die
+Knechtschaft, als bei den Mitbürgern, denen er die Freiheit gebracht
+hatte; sie lösten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und
+sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des
+Sulpicius fanden in diesen Gewässern sich allmählich zusammen; sie
+liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die römischen
+Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurück. So entrannen sie
+nach Numidien, dessen öde Stranddünen ihnen einen Zufluchtsort für den
+Winter gewährten. Allein der König Hiempsal II., den sie zu gewinnen
+hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben hatte, mit
+ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um sie sicher zu
+machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu bemächtigen. Mit
+genauer Not entrannen die Flüchtlinge seinen Reitern und fanden
+vorläufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina (Kerkena) an der
+tunesischen Küste. Wir wissen es nicht, ob Sulla seinem Glücksstern
+auch dafür dankte, daß es ihm erspart blieb, den Kimbrersieger töten zu
+lassen; wenigstens scheint es nicht, daß die minturnensischen Beamten
+bestraft worden sind.
+
+Um die vorhandenen Übelstände zu beseitigen und künftige Umwälzungen zu
+verhüten, veranlaßte Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen.
+Für die bedrängten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als daß
+man die Vorschriften über das Zinsmaximum einschärfte ^11; außerdem
+wurde die Ausführung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den
+Schlachten und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr
+zusammengeschwundene Senat ward ergänzt durch die Aufnahme von 300
+neuen Senatoren, deren Auswahl natürlich im optimatischen Interesse
+getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der
+legislatorischen Initiative wesentliche Änderungen vorgenommen. Die
+alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der die
+erste Steuerklasse mit einem Vermögen von 100000 Sesterzen (7600
+Talern) oder darüber allein fast die Hälfte der Stimmen inne hatte,
+trat wieder an die Stelle der im Jahre 513 (241) eingeführten, das
+Übergewicht der ersten Klasse mildernden Ordnungen. Tatsächlich ward
+damit für die Wahl der Konsuln, Prätoren und Zensoren ein Zensus
+eingeführt, der die nicht Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache
+nach ausschloß. Die legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen
+dadurch beschränkt, daß jeder Antrag fortan von ihnen zunächst dem
+Senat vorgelegt werden mußte und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte,
+an das Volk gelangen konnte.
+
+————————————————————————
+
+^11 Klar ist es nicht, was das “Zwölftelgesetz’, der Konsuln Sulla und
+Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste
+Annahme bleibt aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357)
+zu sehen, so daß der höchste erlaubte Zinsfuß wieder 1/12 des Kapitals
+für das zehnmonatliche oder 10 Prozent für das zwölfmonatliche Jahr
+ward.
+
+————————————————————————-
+
+Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen
+Verfügungen desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der
+Verfassungspartei aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz
+eigentümlichen Charakter. Sulla wagte es, ohne die Bürgerschaft oder
+Geschworene zu fragen, über zwölf der angesehensten Männer, darunter
+fungierende Beamte und den berühmtesten General seiner Zeit, das
+Todesurteil zu verhängen und öffentlich zu diesen Ächtungen sich zu
+bekennen, eine Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die
+selbst von sehr konservativen Männern, wie zum Beispiel von Quintus
+Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb
+Jahrhunderten bestehende Wahlordnung umzustoßen und den seit langem
+verschollenen und verfemten Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es,
+das Recht der Legislation seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten
+und den Komitien, tatsächlich zu entziehen und es auf eine Behörde zu
+übertragen, die zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser
+Hinsicht besessen hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu können.
+Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geübt, mit
+so rücksichtsloser Kühnheit an den Fundamenten der Verfassung gerüttelt
+und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf die
+Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen
+Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom
+beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche,
+in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld,
+überwunden zu sein, gleichsam als ein Verbrechen büßen. Wer sich
+erinnert an die prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende
+Partei nach dem Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte,
+der fühlt sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der
+Offenheit und der relativen Mäßigung zu erteilen, indem er einmal ohne
+viel Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die
+geschlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte; zweitens
+die Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenigstens das widerliche
+Wüten gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine ähnliche Mäßigung
+zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich
+der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste,
+brachte in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist
+derselben in Einklang. Die römische Legislation, wo jeder Konsul,
+Prätor oder Tribun jede beliebige Maßregel bei der Bürgerschaft
+beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus
+aus unvernünftig gewesen und mit der steigenden Nullität der Komitien
+es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat
+sich das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmäßig den ohne
+solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte durch
+politische oder religiöse Interzession. Diese Dämme hatte die
+Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System
+an, seine Konsequenzen vollständig und jedem mutwilligen Buben den
+Umsturz des Staats in formell legaler Weise möglich zu machen. Was war
+unter solchen Umständen natürlicher, notwendiger, im rechten Sinne
+konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des
+Senats jetzt förmlich und ausdrücklich anzuerkennen? Etwas Ähnliches
+gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die ältere Verfassung ruhte
+durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die
+Bevorzugung der Vermögenden nur beschränkt. Aber seit diesem Jahr war
+eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhöhung
+des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie
+änderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben
+treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schändlichen Stimmenkauf samt
+allem, was daran hing, in der möglichst milden Form zu wehren
+wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der
+Schuldner, die Wiederaufnahme der Kolonisationspläne gaben den redenden
+Beweis, daß Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius’
+leidenschaftlichen Anträgen beizupflichten, doch eben wie er und wie
+Drusus, wie überhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den
+materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht übersehen werden
+darf, daß er diese Maßregel nach dem Siege und durchaus freiwillig
+beantragte. Wenn man hiermit verbindet, daß Sulla die hauptsächlichen
+Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen ließ und weder an den
+Rittergerichten noch an den Kornverteilungen rüttelte, so wird man das
+Urteil gerechtfertigt finden, daß die Sullanische Ordnung von 666 (86)
+an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo
+wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment
+zunächst Gefahr drohenden überlieferten Satzungen zeitgemäß änderte,
+teils den vorhandenen sozialen Übeln nach Kräften abzuhelfen suchte,
+soweit beides sich tun ließ, ohne die tieferliegenden Schäden zu
+berühren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus in
+Verbindung mit einem lebendigen Gefühl für den inneren Gehalt der
+bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und löbliche Absichten
+bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse
+Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel
+guter Wille dazu gehörte, um zu glauben, daß die Feststellung des
+Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhältnissen aufhelfen und daß das
+Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die künftige Demagogie
+widerstandsfähiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und
+die Religion.
+
+In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald
+neue Wolken auf. Die asiatischen Verhältnisse nahmen einen immer
+drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, daß die
+Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzögert
+hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf
+keinen Fall länger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils in
+den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewählt würden, teils
+besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen
+Insurrektion beschäftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf
+die Oligarchie in Italien zurückzulassen. Allein in den
+Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten
+Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng
+optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur
+entschiedensten Opposition gehörte. Vermutlich war es hauptsächlich die
+Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes
+vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklärung hin, daß es
+ihn freue, die Bürger von ihrer verfassungsmäßigen Wahlfreiheit
+Gebrauch machen zu sehen, und begnügte sich, beiden Konsuln den Schwur
+abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den
+Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische
+größten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla ließ durch
+Volksschluß das Kommando über jene auf seinen treuergebenen Kollegen
+Quintus Rufus übertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in
+möglichst schonender Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der
+Ritterpartei angehörte und seine passive Haltung während der
+Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt
+hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und übernahm an Strabos Stelle den
+Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten
+erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum abgegebene
+Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiß ist es, daß er
+ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die
+Früchte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten
+strafte. Für Sulla war Rufus’ Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft
+eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando
+abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich
+einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedrängt, endlich nach Asien
+abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat,
+andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen;
+es war dem blödesten Auge klar, daß ein neuer Sturm gegen ihn und seine
+Partei sich vorbereitete und daß die Gegner seine Entfernung wünschten.
+Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu
+treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen
+Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach
+einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich - ob mehr
+aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht werden
+- für die letztere Alternative, übergab das in Samnium zurückbleibende
+Korps dem zuverlässigen und kriegskundigen Quintus Metellus Pius, der
+an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl in Unteritalien
+übernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem Proprätor Appius
+Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen Legionen
+nach dem hellenischen Osten sich ein.
+
+
+
+
+KAPITEL VIII.
+Der Osten und König Mithradates
+
+
+Die atemlose Spannung, in welcher die Revolution mit ihrem ewig sich
+erneuernden Feuerlärm und Löschruf die römische Regierung erhielt, war
+die Ursache, daß dieselbe die Provinzialverhältnisse überhaupt aus den
+Augen verlor, am meisten aber die des asiatischen Ostens, dessen ferne
+und unkriegerische Nationen nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien
+und die transalpinischen Nachbarn der Beachtung der Regierung sich
+aufdrängten. Nach der Einziehung des Attalischen Königreiches, die mit
+dem Ausbruch der Revolution zusammenfällt, ist ein volles Menschenalter
+hindurch kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den
+orientalischen Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die
+maßlose Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Römern abgedrungenen
+Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache
+nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station
+für eine kleine römische Heer- und Flottenabteilung in den östlichen
+Gewässern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100)
+die Restaurationsregierung einigermaßen konsolidiert hatte, begann die
+römische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige
+Aufmerksamkeit zuzuwenden.
+
+In vieler Hinsicht waren die Verhältnisse noch, wie wir dreißig Jahre
+zuvor sie verließen. Das Reich Ägypten mit seinen beiden Nebenländern
+Kyrene und Kypros löste mit dem Tode Euergetes II. (637 117) teils
+rechtlich, teils tatsächlich sich auf. Kyrene kam an den natürlichen
+Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und trennte sich auf immer von dem
+Hauptland. Um die Herrschaft in diesem haderten die Witwe des letzten
+Königs, Kleopatra († 665 89), und dessen beide Söhne Soter II. Lathyros
+(† 673 81) und Alexander I. († 666 88), was die Ursache ward, daß auch
+Kypros auf längere Zeit von Ägypten sich schied. Die Römer griffen in
+die Wirren nicht ein; ja als ihnen im Jahre 658 (96) das Kyrenische
+Reich durch das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen
+sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überließen doch die
+Landschaft im wesentlichen sich selbst, indem sie die griechischen
+Städte des Reiches, Kyrene, Ptolemais, Berenike, zu Freistädten
+erklärten und denselben sogar die Nutzung der königlichen Domänen
+überwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von Africa über dieses
+Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr eine bloß nominelle
+als die des Statthalters von Makedonien über die hellenischen
+Freistädte. Die Folgen dieser Maßregel, die ohne Zweifel nicht aus dem
+Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit
+der römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die
+unter gleichen Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bürgerkriege
+und Usurpation zerrissen die Landschaft so, daß, als dort zufällig im
+Jahre 668 (86) ein höherer römischer Offizier erschien, die Einwohner
+ihn dringend ersuchten, ihre Verhältnisse zu ordnen und ein dauerhaftes
+Regiment bei ihnen zu begründen.
+
+Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am
+wenigsten besser geworden. Während des zwanzigjährigen Erbfolgekrieges
+der beiden Halbbrüder Antiochos Grypos († 658 96) und Antiochos von
+Kyzikos († 659 95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Söhne
+forterbte, ward das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen
+Namen, in dem die kilikischen Seekönige, die Araberscheichs der
+syrischen Wüste, die Fürsten der Juden und die Magistrate der größeren
+Städte in der Regel mehr zu sagen hatten als die Träger des Diadems.
+Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Römer sich fest und ging
+das wichtige Mesopotamien definitiv über an die Parther.
+
+Die Monarchie der Arsakiden hatte, hauptsächlich infolge der Einfälle
+turanischer Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise
+durchzumachen gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der
+Große (630 ? - 667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine
+überwiegende Stellung in Innerasien zurückgegeben, die Skythen
+zurückgeschlagen und gegen Syrien und Armenien die Grenze des Reiches
+vorgeschoben, allein gegen das Ende seines Lebens lähmten neue Unruhen
+sein Regiment; und während die Großen des Reiches, ja der eigene Bruder
+Orodes gegen den König sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn
+stürzte und töten ließ, erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien.
+Dieses Land, das seit seiner Selbständigkeitserklärung in die
+nordöstliche Hälfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der
+Artaxiaden, und die südwestliche oder Sophene, das Reich der
+Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes
+(regierte seit 660 94) zum erstenmal zu einem Königreich vereinigt, und
+teils diese Machtverdoppelung, teils die Schwäche der parthischen
+Herrschaft machten es dem neuen König von ganz Armenien möglich, nicht
+bloß aus der Klientel der Parther sich zu lösen und die früher an sie
+abgetretenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das
+Oberkönigtum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Seleukiden
+und von diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an Armenien zu
+bringen.
+
+In Kleinasien endlich bestand die Länderteilung, wie sie nach der
+Auflösung des Attalischen Reiches unter römischer Einwirkung
+festgestellt worden war, noch wesentlich ungeändert. In dem Zustande
+der Klientelstaaten, der Königreiche Bithynien, Kappadokien, Pontus,
+der Fürstentümer Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen
+Städtebünde und Freistädte, war eine äußerliche Änderung zunächst nicht
+wahrzunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der römischen
+Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Teils durch
+die bei jedem tyrannischen Regiment naturgemäß eintretende stetige
+Steigerung des Druckes, teils durch die mittelbare Einwirkung der
+römischen Revolution - man erinnere sich an die Einziehung des
+Bodeneigentums in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die
+römischen Zehnten und Zölle und an die Menschenjagden, die die Zöllner
+daselbst nebenbei betrieben - lastete die schon von Haus aus schwer
+erträgliche römische Herrschaft in einer Weise auf Asien, daß weder die
+Königskrone noch die Bauernhütte daselbst mehr sicher war vor
+Konfiskation, daß jeder Halm für den römischen Zehntherrn zu wachsen,
+jedes Kind freier Eltern für die römischen Sklavenzwinger geboren zu
+werden schien. Zwar ertrug der Asiate in seiner unerschöpflichen
+Passivität auch diese Qual; allein es waren nicht Geduld und
+Überlegung, die ihn ruhig tragen hießen, sondern der eigentümlich
+orientalische Mangel der Initiative, und es konnten in diesen
+friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare,
+schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat,
+der es verstand, das Zeichen zu geben.
+
+Es regierte damals im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem
+Beinamen Eupator (geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht
+von väterlicher Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios
+Hystaspes’ Sohn, im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches,
+Mithradates I., zurückführte, von mütterlicher den Alexandriden und
+Seleukiden entstammte. Nach dem frühen Tode seines Vaters Mithradates
+Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel, war er um 634 (120) als
+elfjähriger Knabe König genannt worden; allein das Diadem brachte ihm
+nur Not und Gefahr. Die Vormünder, ja, wie es scheint, die eigene,
+durch des Vaters Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem
+königlichen Knaben nach dem Leben; es wird erzählt, daß er, um den
+Dolchen seiner gesetzlichen Beschützer sich zu entziehen, freiwillig in
+das Elend gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht für Nacht die
+Ruhestätte wechselnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein
+heimatloses Jägerleben geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger
+Mann. Wenngleich unsere Berichte über ihn im wesentlichen auf
+schriftliche Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurückgehen, so hat
+nichtsdestoweniger die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den
+mächtigen König früh geschmückt mit manchen der Züge ihrer Simson und
+Rustem; aber auch diese gehören zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone
+zum Charakter der höchsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes
+erscheinen in beiden Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht
+getrübt noch wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem
+riesengroßen Leibe des Königs Mithradates paßten, erregten das Staunen
+der Asiaten und mehr noch der Italiker. Als Läufer überholte er das
+schnellste Wild; als Reiter bändigte er das wilde Roß und vermochte mit
+gewechselten Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurückzulegen;
+als Wagenlenker fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen
+Preis - freilich war es gefährlich, in solchem Spiel dem König
+obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde
+herab, ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen
+- er veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die für
+den derbsten Esser und für den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise -
+und nicht minder in den Freuden des Harems, wie unter anderm die
+zügellosen Billets seiner griechischen Mätressen bewiesen, die sich
+unter seinen Papieren fanden. Seine geistigen Bedürfnisse befriedigte
+er im wüstesten Aberglauben -Traumdeuterei und das griechische
+Mysterienwesen füllten nicht wenige der Stunden des Königs aus - und in
+einer rohen Aneignung der hellenischen Zivilisation. Er liebte
+griechische Kunst und Musik, das heißt er sammelte Pretiosen, reiches
+Gerät, alte persische und griechische Prachtstücke - sein Ringkabinett
+war berühmt -, hatte stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen,
+Poeten in seiner Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den
+Preisen für Esser und Trinker auch welche aus für den drolligsten
+Spaßmacher und den besten Sänger. So war der Mensch; der Sultan
+entsprach ihm. Im Orient, wo das Verhältnis des Herrschers und der
+Beherrschten mehr den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes
+trägt, ist der Untertan hündisch treu und hündisch falsch, der
+Herrscher grausam und mißtrauisch. In beiden ist Mithradates kaum
+übertroffen worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger
+Haft wegen wirklicher oder angeblicher Verräterei seine Mutter, sein
+Bruder, seine ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und ebenso
+viele seiner Töchter. Vielleicht noch empörender ist es, daß sich unter
+seinen geheimen Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen
+mehrere seiner vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt
+sultanisch, daß er späterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophäen
+zu entziehen, seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und
+seinen ganzen Harem töten ließ und den Frauen nur die Wahl der Todesart
+freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er
+als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte und versuchte, seinen
+Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen. Verrat und Mord hatte er von früh
+auf von jedermann und zumeist von den Nächsten erwarten und gegen
+jedermann und zumeist gegen die Nächsten üben gelernt, wovon denn die
+notwendige und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, daß all
+seine Unternehmungen schließlich mißlangen durch die Treulosigkeit
+seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Züge von hochherziger
+Gerechtigkeit; wenn er Verräter bestrafte, schonte er in der Regel
+diejenigen, welche nur durch ihr persönliches Verhältnis zu dem
+Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfälle
+von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in der
+Tat auszeichnet unter der großen Anzahl gleichartiger Sultane, ist
+seine grenzenlose Rührigkeit. Eines schönen Morgens war er aus seiner
+Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so daß man ihn
+bereits verloren gab; als er zurückkam, hatte er unerkannt ganz
+Vorderasien durchwandert und Land und Leute überall militärisch
+erkundet. Von gleicher Art ist es, daß er nicht bloß überhaupt ein
+redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, über
+die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines
+Dolmetschers zu bedürfen - ein bezeichnender Zug für den regsamen
+Herrscher des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter trägt seine
+ganze Regententätigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren
+Verwaltung schweigt unsere Überlieferung leider durchaus -, geht sie
+auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schätzen, im
+Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen früheren Jahren
+gewöhnlich nicht der König selbst, sondern irgendein griechischer
+Condottiere gegen den Feind führt, in dem Bestreben, neue Satrapien zu
+den alten zu fügen; von höheren Elementen, Förderung der Zivilisation,
+ernstlicher Führerschaft der nationalen Opposition, eigenartiger
+Genialität finden sich, in unserer Überlieferung wenigstens, bei
+Mithradates keine bewußten Spuren, und wir haben keinen Grund, auch nur
+mit den großen Regenten der Osmanen, wie Muhamed II. und Suleiman
+waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der hellenischen Bildung,
+die ihm nicht viel besser sitzt als seinen Kappadokiern die römische
+Rüstung, ist er durchaus ein Orientale gemeinen Schlags, roh, voll
+sinnlichster Begehrlichkeit, abergläubisch, grausam, treu- und
+rücksichtslos, aber so kräftig organisiert, so gewaltig physisch
+begabt, daß sein trotziges Umsichschlagen, sein unverwüstlicher
+Widerstandsmut häufig wie Talent, zuweilen sogar wie Genie aussieht.
+Wenn man auch in Anschlag bringt, daß während der Agonie der Republik
+es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in den Zeiten Scipios
+oder Traians, und daß nur die Verschlingung der asiatischen Ereignisse
+mit den inneren Bewegungen Italiens es Mithradates möglich machte,
+doppelt so lange als Jugurtha den Römern zu widerstehen, so bleibt es
+darum doch nicht minder wahr, daß bis auf die Partherkriege er der
+einzige Feind ist, der im Osten den Römern ernstlich zu schaffen
+gemacht, und daß er gegen sie sich gewehrt hat wie gegen den Jäger der
+Löwe der Wüste. Aber mehr als solchen naturkräftigen Widerstand sind
+wir nach dem, was vorliegt, auch nicht berechtigt, in ihm zu erkennen.
+
+Indes wie man immer über die Individualität des Königs urteilen möge,
+seine geschichtliche Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die
+Mithradatischen Kriege sind zugleich die letzte Regung der politischen
+Opposition von Hellas gegen Rom und der Anfang einer auf sehr
+verschiedenen und weit tieferen Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen
+die römische Suprematie, der nationalen Reaktion der Asiaten gegen die
+Okzidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch sein Reich ein
+orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herrschend am Hofe und
+überhaupt unter den Vornehmen, die Religion der Landesbewohner wie die
+offizielle des Hofes vorwiegend der alte Nationalkult; der Hellenismus
+daselbst war wenig verschieden von dem Hellenismus der armenischen
+Tigraniden und der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die
+kleinasiatischen Griechen einen kurzen Augenblick für ihre politischen
+Träume an diesem König einen Halt zu finden meinen; in der Tat ward in
+seinen Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als worüber auf den
+Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung fiel. Es war nach
+langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem ungeheuren Zweikampf des
+Westens und des Ostens, welcher von den Kämpfen bei Marathon auf die
+heutige Generation sich vererbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso
+nach Jahrtausenden zählen mag wie seine Vergangenheit.
+
+So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun des kappadokischen Königs
+das fremdartige und unhellenische Wesen hervortritt, so schwierig ist
+es, das hier obwaltende nationale Element bestimmt anzugeben, und kaum
+wird es je gelingen, in dieser Hinsicht über Allgemeinheiten hinaus und
+zu einer wirklichen Anschauung zu gelangen. In dem ganzen Kreis der
+antiken Zivilisation gibt es keinen Bezirk, in welchem so zahlreiche,
+so verschiedenartige, so seit fernster Zeit mannigfaltig verschlungene
+Stämme neben- und durcheinander geschoben und wo demzufolge die
+Verhältnisse der Nationalitäten weniger klar wären wie in Kleinasien.
+Die semitische Bevölkerung setzt sich von Syrien her in
+ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien fort, und es scheint ihr
+ferner auch an der Ostküste in der karischen lydischen Landschaft der
+Grundstock der Bevölkerung anzugehören, während die nordwestliche
+Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten der europäischen Thraker,
+eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und die Nordküste sind
+vorwiegend von indogermanischen, am nächsten den iranischen verwandten
+Völkerschaften erfüllt. Von der armenischen und der phrygischen Sprache
+^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen höchstwahrscheinlich, daß
+sie zunächst an das Zend grenzten; und wenn von den Mysern angegeben
+wird, daß bei ihnen lydische und phrygische Sprache sich begegneten, so
+bezeichnet dies eben eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen
+vergleichbare Mischbevölkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien
+sich ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so
+mangelt es, trotz der gerade hier in Fülle vorhandenen Überreste
+einheimischer Sprache und Schrift, bis jetzt über dieselbe noch an
+gesicherten Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, daß diese
+Stämme eher den Indogermanen als den Semiten zuzuzählen sind. Wie dann
+überall dieses Völkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer
+Kaufstädte, sodann der durch das kriegerische wie das geistige
+Übergewicht der griechischen Nation ins Leben gerufene Hellenismus
+gelegt hat, ist in seinen Umrissen bereits früher auseinandergesetzt
+worden.
+
+—————————————————————
+
+^1 Die als phrygisch angeführten Wörter Βαγαίος = Zeus und der alte
+Königsname Μάνις sind unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha =
+Gott und das deutsche Mannus, indisch Manus zurückgeführt worden. Chr.
+Lassen in: ZDMG, 10, 1888, S. 329f.
+
+—————————————————————
+
+In diesen Gebieten herrschte König Mithradates und zwar zunächst in
+Kappadokien am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen
+Landschaft, da wo, am nordöstlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu
+und mit diesem in steter Berührung, sich die iranische Nationalität
+vermutlich minder gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet
+hatte. Nicht einmal der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit
+Ausnahme der Küste, wo mehrere ursprünglich griechische Ansiedlungen
+bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze Trapezus, Amisos
+und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats und die
+blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr
+primitiven Zustand. Nicht als hätte es wüst gelegen; vielmehr wie die
+pontische Landschaft noch heute eine der lachendsten der Erde ist, in
+der Getreidefelder mit Wäldern von wilden Obstbäumen wechseln, war sie
+ohne Zweifel auch zu Mithradates’ Zeit wohl bebaut und verhältnismäßig
+auch bevölkert. Allein eigentliche Städte gab es daselbst kaum, sondern
+nur Burgen, die den Ackerleuten als Zufluchtsstätten und dem König als
+Schatzkammern zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie
+denn allein in Kleinarmenien fünfundsiebzig solcher kleiner königlicher
+Kastelle gezählt wurden. Wir finden nicht, daß Mithradates wesentlich
+dazu getan hätte, das städtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen;
+und wie er gestellt war, in tatsächlicher, wenn auch vielleicht ihm
+selbst nicht völlig bewußter Reaktion gegen den Hellenismus, begreift
+sich dies wohl. Um so tätiger erscheint er, gleichfalls in ganz
+orientalischer Weise, bemüht, sein Reich, das schon nicht klein war,
+wenn auch der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500 deutsche Meilen
+angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer
+wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine
+Flotten und seine Botschafter tätig. Nirgends aber bot sich ihm ein so
+freier und so weiter Spielraum wie an den östlichen und den nördlichen
+Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustände hier einen
+Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder
+vielmehr unmöglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu
+geben. An dem östlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast
+unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen
+ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und
+Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen
+Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie.
+Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nördlichen
+Landschaften 2. Die weiten hügel- und waldlosen Steppen, die sich
+nördlich vom Schwarzen Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See
+hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der
+zwischen dem Klima von Stockholm und von dem von Madeira schwankenden
+Temperaturdifferenz und der nicht selten eintretenden und bis zu 22
+Monaten und länger anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit,
+für den Ackerbau und überhaupt für feste Ansiedlung wenig geeignet und
+waren dies immer, wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen
+Verhältnisse vermutlich etwas weniger ungünstig standen, als dies
+heutzutage der Fall ist 3. Die verschiedenen Stämme, die der
+Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem Gebot
+der Natur und führten und führen zum Teil noch jetzt ein wanderndes
+Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinder- oder häufiger noch mit ihren
+Roßherden Wohn- und Weideplätze wechselten und ihr Gerät auf
+Wagenhäusern sich nachführten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise
+richtete sich hiernach: die Bewohner dieser Steppen fochten großenteils
+beritten und immer aufgelöst, mit Helm und Panzer von Leder und
+lederüberzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und
+Bogen - die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprünglich hier
+ansässigen Skythen, die mongolischer Rasse und in Sitte und
+Körpergestalt den heutigen Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein
+scheinen, hatten sich, von Osten nach Westen vorrückend, sarmatische
+Stämme nachgeschoben, Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich
+für slawischer Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen,
+welche man ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und
+persischen sich verwandt zeigen und vielleicht jene Völker vielmehr dem
+großen Zendstamme angehört haben. In entgegengesetzter Richtung
+fluteten thrakische Schwärme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr
+gelangten; dazwischen drängten sich, wahrscheinlich als Ausläufer der
+großen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht
+berührt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst die
+Bastarner, an der Donaumündung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat
+bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fürsten und
+Ältesten für sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz standen
+die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen
+Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an
+diesen Gestaden gegründet worden waren, teils als Emporien, teils als
+Stationen für den wichtigen Fischfang und selbst für den Ackerbau, für
+welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des Schwarzen
+Meeres im Altertum minder ungünstige Verhältnisse darbot, als dies
+heutzutage der Fall ist; für die Benutzung des Bodens zahlten hier die
+Hellenen, wie die Phöniker in Libyen, den einheimischen Herren Schoß
+und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die Freistadt
+Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in der
+Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften
+Verhältnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer
+Bürger in mäßigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der
+gegenüberliegenden Seite der Halbinsel an der Straße von dem Schwarzen
+in das Asowsche Meer Pantikapäon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297)
+Roms regiert von erblichen Bürgermeistern, später bosporanische Könige
+genannt, den Archäanaktiden, Spartokiden und Pärisaden. Der Getreidebau
+und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell zur Blüte
+gebracht. Ihr Gebiet umfaßte in der Mithradatischen Zeit noch die
+kleinere Osthälfte der Krim mit Einschluß der Stadt Theodosia und auf
+dem gegenüberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt Phanagoria und
+die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten die Herren von
+Pantikapäon zu Lande die Völker an der Ostküste des Asowschen Meeres
+und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze Meer
+beherrscht; allein Pantikapäon war nicht mehr, was es gewesen war.
+Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den
+traurigen Rückgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten Zeit
+ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der
+führenden Macht erfüllte, die allerdings auch den Athenern durch ihren
+Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz
+der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich
+selbst überlassen. Die griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt,
+ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders,
+und Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche
+mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische
+Verpflichtung überging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen
+bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten völlig das Gebot
+des Vorteils wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos
+vollendeten die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen
+Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren
+gegenüber gibt uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmündung
+bei Očakov), die nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt
+zu sein scheint. Die Bürgerschaft muß dem Barbarenkönig nicht bloß
+jährlichen Zins an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er
+vor der Stadt lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen,
+in ähnlicher Weise auch geringere Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen
+Schwarm der Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr übel,
+wenn die Gabe zu geringfügig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott,
+und man muß die Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen drängen
+draußen vor den Toren sich die Stämme der Wilden: das Gebiet wird
+verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das ärgste
+ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um
+vor dem Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der
+ummauerten Stadt sich zu bemächtigen, so daß zahlreiche Bürger dieselbe
+verlassen und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben.
+
+——————————————————————-
+
+2 Sie sind hier zusammengefaßt, da sie freilich zum Teil erst zwischen
+den ersten und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten
+Krieg mit Rom fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13;
+Eutr. 5, 5) und eine Erzählung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal
+schlechterdings nicht durchführen läßt. Auch das neu gefundene Dekret
+von Chersonesos hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluß gegeben. Danach
+ist Diophantos zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden;
+aber daß die zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluß des
+römischen Senats zu Gunsten der skythischen Fürsten in Verbindung
+steht, erhellt aus der Urkunde nicht und ist nicht einmal
+wahrscheinlich.
+
+3 Es hat viele Wahrscheinlichkeit, daß die ungemeine Trockenheit, die
+vornehmlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden
+überhaupt erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der
+Wälder des mittleren und südlichen Rußland, die ehemals bis zu einem
+gewissen Grad die Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind
+schützten.
+
+——————————————————————-
+
+Diese Zustände fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den
+Kamm des Kaukasus überschreitend hinabstieg in die Täler des Kuban und
+Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich
+zeigte. Kein Wunder, daß auch hier überall, wie es schon in Dioskurias
+geschehen war, die Hellenen den pontischen König mit offenen Armen
+empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch gerüsteten
+Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier versäumt
+hatte. Den Herren von Pantikapäon waren ebendamals die
+Tributforderungen zu unerschwinglicher Höhe gesteigert worden; die
+Stadt Chersonesos sah sich von dem König der auf der Halbinsel
+hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fünfzig Söhnen hart bedrängt;
+gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit
+hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht
+umsonst. Mithradates’ tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos und
+seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvölkern
+fertig. Neoptolemos schlug sie in der Straße von Pantikapäon teils zu
+Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die
+Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmäßig angelegte Festungen
+der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie sie
+später heißen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den
+Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor
+seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen
+Waffen 4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem
+pontischen verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl
+griechischer Handelsstädte gegründetes Königreich, das Bosporanische
+genannt, das die heutige Krim mit der gegenüberliegenden asiatischen
+Landspitze umfaßte und jährlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000
+Scheffel Getreide in die königlichen Kassen und Magazine lieferte. Die
+Steppenvölker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumündung
+traten wenigstens zum großen Teil in Klientel oder in Vertrag mit dem
+pontischen König und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch
+wenigstens einen unerschöpflichen Werbeplatz für seine Armeen.
+
+———————————————————————————
+
+4 Das kürzlich aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos für
+diesen Diophantos (SIG 252) bestätigt die Überlieferung durchaus. Es
+zeigt uns die Stadt in nächster Nähe - den Hafen von Balaklava müssen
+die Taurer, Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -,
+bedrängt teils von den Taurern an der Südküste der Krim, teils und vor
+allem von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das
+angrenzende Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der
+Feldherr des Königs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt
+Luft macht die Taurer niederschlägt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg
+(wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den
+westlichen und den östlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im
+Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfürsten Saumakos
+überwältigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich sie
+mit den Reuxinalern - so heißen hier, wo sie zuerst auftreten, die
+späteren Roxolaner - in der großen Feldschlacht besiegt, deren auch die
+schriftliche Überlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der
+Griechenstadt unter den König scheint nicht stattgefunden zu haben;
+Mithradates erscheint nur als schützender Bundesgenosse, der gegen die
+als unbesiegbar geltenden (τούς ανυποστάτους δοκούντασ ειμεν) Skythen
+für die Griechenstadt die Schlachten schlägt, welche wahrscheinlich zu
+ihm ungefähr in dem Verhältnis gestanden hat wie Massalia und Athen zu
+Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (υπάκοιοι) des
+Mithradates.
+
+———————————————————————————-
+
+Während also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der
+König zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als die
+Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhängigen
+Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die
+enge Verbindung, in die er mit dem König von Großarmenien trat. Er gab
+dem Tigranes nicht bloß seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern
+er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstützung Tigranes sich der
+Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es
+scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein,
+daß Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und
+die Küsten des Schwarzen Meeres zu besetzen übernahmen unter Zusage
+gegenseitiger Unterstützung, und ohne Zweifel war es der tätigere und
+fähigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Rücken
+zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zu sichern.
+
+In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke auf das
+binnenländische Paphlagonien - die Küste gehörte seit langem zum
+Poptischen Reich - und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man
+pontischerseits Ansprüche als durch Testament des letzten der
+Pylämeniden vermacht an den König Mithradates Euergetes; wogegen
+freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das Land selbst
+protestierten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen
+Herrscher nicht vergessen, daß dies Land und Kappadokien am Meer einst
+zusammengehört hatten, und trugen sich fortwährend mit Reunionsideen.
+Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König
+Nikomedes von Bithynien, mit dem er das Land teilte. Als der Senat
+dagegen Einspruch erhob, fügte sich Mithradates demselben, während
+Nikomedes einen seiner Söhne mit dem Namen Pylämenes ausstattete und
+unter diesem Titel die Landschaft an sich behielt. Noch schlimmere Wege
+ging die Politik der Verbündeten in Kappadokien. König Ariarathes VI.
+ward ermordet durch Gordios, es hieß im Auftrage, jedenfalls im
+Interesse des Schwagers, des Ariarathes Mithradates Eupator; sein
+junger Sohn Ariarathes wußte den Übergriffen des Königs von Bithynien
+nur zu begegnen vermittels der zweideutigen Hilfe seines Oheims, für
+welche dieser dann ihm ansann, dem flüchtig gewordenen Mörder seines
+Vaters die Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierüber zum
+Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich
+gegenüberstanden, begehrte der Oheim zuvor eine Zusammenkunft mit dem
+Neffen und stieß dabei den unbewaffneten Jüngling mit eigener Hand
+nieder. Gordios, der Mörder des Vaters, übernahm hierauf im Auftrage
+Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige Bevölkerung sich
+gegen ihn erhob und den jüngeren Sohn des letzten Königs zur Herrschaft
+berief, vermochte dieser doch Mithradats überlegenen Streitkräften
+keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem
+Volke auf den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen König um so
+mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch.
+Als nomineller Regent ward, ebenwie in Bithynien geschehen war, ein
+falscher Ariarathes proklamiert, unter dessen Namen Gordios als
+Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. Gewaltiger als seit langem
+ein einheimischer Monarch herrschte König Mithradates am nördlichen wie
+am südlichen Gestade des Schwarzen Meeres und weit in das innere
+Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des Königs für den Krieg zu Lande
+und zu Wasser schienen unermeßlich. Sein Werbeplatz reichte von der
+Donaumündung bis zum Kaukasus und dem Kaspischen Meer; Thraker,
+Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien)
+drängten sich unter seine Fahne; vor allem rekrutierte er seine
+Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern. Für die Flotte lieferte ihm
+die kolchische Satrapie außer Flachs, Hanf, Pech und Wachs das
+trefflichste, vom Kaukasus herabgeflößte Bauholz; Steuermänner und
+Offiziere wurden in Phönikien und Syrien gedungen. In Kappadokien, hieß
+es, sei der König eingerückt mit 600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000
+Mann zu Fuß; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch nicht
+aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer
+römischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pontische
+Flotte, gestützt auf Sinope und die Häfen der Krim, das Schwarze Meer
+ausschließlich.
+
+————————————————————————
+
+5 Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu
+bestimmen. Um 640 (114) etwa scheint Mithradates Eupator tatsächlich
+die Regierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fand 662 (92)
+statt (Liv. ep. 70), womit die Berechnung der Mithradatischen Kriege
+auf einen Zeitraum von dreißig Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt
+(Plin. nat. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen
+und kappadokischen Sukzessionshändel, mit denen die von Mithradates,
+wie es scheint, in Saturninus’ erstem Tribunat 651 (103) in Rom
+versuchte Bestechung (Diod. 631) wahrscheinlich schon zusammenhängt.
+Marius, der 655 (99) Rom verließ und nicht lange im Osten verweilte,
+traf Mithradates schon in Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen
+seiner Übergriffe (Cic. Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war
+also damals schon ermordet.
+
+———————————————————————
+
+Daß der römische Senat seine allgemeine Politik, die mehr oder minder
+von ihm abhängigen Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen
+geltend machte, beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem
+plötzlichen Tode Mithradates V. Dem unmündigen Knaben, der ihm folgte,
+wurde das dem Vater für seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos
+oder vielmehr für sein gutes Geld verliehene Großphrygien genommen und
+diese Landschaft dem unmittelbar römischen Gebiet hinzugefügt 6. Aber
+nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe
+Senat gegen dessen allseitige Übergriffe und gegen diese imposante
+Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjährigen
+Zeitraum ausfüllt, völlige Passivität. Er ließ es geschehen, daß einer
+seiner Klientelstaaten sich militärisch zu einer Großmacht entwickelte,
+die über hunderttausend Bewaffnete gebot; daß er in die engste
+Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die Spitze
+der innerasiatischen Staaten gestellten Großkönig des Ostens; daß er
+die benachbarten asiatischen Königreiche und Fürstentümer unter
+Vorwänden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und
+weit entfernte Schutzmacht klangen; daß er endlich sogar in Europa sich
+festsetzte und als König auf der Taurischen Halbinsel, als Schutzherr
+fast bis an die makedonisch-thrakische Grenze gebot. Wohl ward über
+diese Verhältnisse im Senat verhandelt; aber wenn das hohe Kollegium
+sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schließlich dabei
+beruhigte, daß Nikomedes sich auf seinen falschen Pylämenes berief, so
+war dasselbe offenbar nicht so sehr getäuscht als dankbar für jeden
+Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte. Inzwischen
+wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die Fürsten
+der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdrängt hatte,
+wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der
+traditionellen Maximen der römischen Politik gedachte, mußte sich
+erinnern, daß einst unter so ganz anderen Verhältnissen der Übergang
+des Königs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen
+Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg
+geworden war, und mußte begreifen, daß die Besetzung des taurischen
+durch den pontischen König jetzt noch viel weniger geduldet werden
+konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Königreichs
+Kappadokien, wegen welcher überdies Nikomedes von Bithymen, der auch
+seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in
+Besitz zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten
+den seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die
+römische Regierung zur Intervention zu drängen. Der Senat beschloß, daß
+Mithradates die skythischen Fürsten wiedereinzusetzen habe - so weit
+war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen
+Politik gedrängt, daß man jetzt, statt die Hellenen gegen die Barbaren,
+umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute unterstützen mußte.
+Paphlagonien wurde abhängig erklärt und der falsche Pylämenes des
+Nikomedes angewiesen, das Land zu räumen. Ebenso sollte der falsche
+Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen und, da die
+Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, durch freie
+Volkswahl ihm wiederum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen
+energisch genug; nur war es übel, daß man, statt ein Heer zu senden,
+den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit der Handvoll Leute, die
+er daselbst gegen die Räuber und Piraten kommandierte, anwies, in
+Kappadokien zu intervenieren. Zum Glück vertrat im Osten die Erinnerung
+an die ehemalige Energie der Römer besser ihr Interesse als ihr
+gegenwärtiges Regiment und ergänzte die Energie und Gewandtheit des
+Statthalters, was der Senat an beiden vermissen ließ. Mithradates hielt
+sich zurück und begnügte sich, den Großkönig Tigranes von Armenien, der
+den Römern gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu
+veranlassen, Truppen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine
+Mannschaft und die Zuzüge der asiatischen Bundesgenossen zusammen,
+überstieg den Taurus und schlug den Statthalter Gordios samt seinen
+armenischen Hilfstruppen aus Kappadokien hinaus. Dies wirkte.
+Mithradates gab in allen Stücken nach; Gordios mußte die Schuld der
+kappadokischen Wirren auf sich nehmen und der falsche Ariarathes
+verschwand; die Königswahl, die der pontische Anhang vergebens auf
+Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den angesehenen Kappadokier
+Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner Expedition in die Gegend des
+Euphrat gelangte, in dessen Wellen damals zuerst römische Feldzeichen
+sich spiegelten, fand bei dieser Gelegenheit auch die erste Berührung
+statt zwischen den Römern und den Parthern, welche letztere infolge der
+Spannung zwischen ihnen und Tigranes Ursache hatten, den Römern sich zu
+nähern. Beiderseits schien man zu fühlen, daß etwas darauf ankam bei
+dieser ersten Berührung der beiden Großmächte des Westens und des
+Ostens, dem Anspruch auf die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben;
+aber Sulla, kecker als der parthische Bote, nahm und behauptete in der
+Zusammenkunft den Ehrenplatz zwischen dem König von Kappadokien und dem
+parthischen Abgesandten. Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte
+Sullas Ruhm sich durch diese vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der
+parthische Gesandte büßte später seinem Herrn dafür mit dem Kopfe.
+Indes für den Augenblick hatte diese Berührung keine weitere Folge.
+Nikomedes unterließ es im Vertrauen auf die Gunst der Römer,
+Paphlagonien zu räumen; aber die gegen Mithradates gefaßten
+Senatsbeschlüsse wurden ferner vollzogen, die Wiederherstellung der
+skythischen Häuptlinge von ihm wenigstens zugesagt; der frühere Status
+quo im Osten schien wiederhergestellt (662 92).
+
+———————————————————————-
+
+6 Ein vor kurzem in dem Dorfe Aresli südlich von Synnada gefundener
+Senatsbeschluß vom Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus
+Romanus usus sit, S. 51) bestätigt sämtliche, von dem König bis zu
+seinem Tode getroffenen Anordnungen und zeigt also, daß Großphrygien
+nach dem Tode des Vaters nicht bloß dem Sohn genommen ward, was auch
+Appian berichtet, sondern damit geradezu unter römische Botmäßigkeit
+kam.
+
+————————————————————————-
+
+So hieß es; in der Tat war von einer ernstlichen Zurückführung der
+früheren Ordnung der Dinge wenig zu verspüren. Kaum hatte Sulla Asien
+verlassen, als König Tigranes von Großarmenien über den neuen König von
+Kappadokien, Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle
+den pontischen Prätendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien,
+wo nach dem Tode des alten Königs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn
+Nikomedes III. Philopator vom Volk und vom römischen Senat als
+rechtmäßiger König anerkannt worden war. trat dessen jüngerer Bruder
+Sokrates als Kronprätendent auf und bemächtigte sich der Herrschaft. Es
+war klar, daß der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der
+bithynischen Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich
+jeder offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wußte, daß Tigranes
+nur handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit
+pontischen Truppen eingerückt und des rechtmäßigen Königs Leben durch
+Mithradates’ Meuchelmörder bedroht. In der Krim gar und den
+benachbarten Landschaften dachte der pontische König nicht daran
+zurückzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter.
+
+Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und Nikomedes
+persönlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur
+Unterstützung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular
+Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg
+erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer
+Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten
+und namentlich den Mithradates an, nötigenfalls mit gewaffneter Hand
+Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische
+Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen
+römischen Korps, über das der Statthalter der Provinz Asia verfügte,
+und des Aufgebots der Phryger und der Galater; König Nikomedes und
+König Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne;
+Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewähren, unter
+verschiedenen Vorwänden, allein er leistete nicht bloß den Römern
+keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Prätendent Sokrates
+wurde sogar auf sein Geheiß getötet (664 90).
+
+Es war eine sonderbare Verwicklung. Mithradates war vollkommen
+überzeugt, gegen die Römer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu
+können und es nicht zum offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen
+lassen zu dürfen. Wäre er nicht also entschlossen gewesen, so fand sich
+kein günstigerer Augenblick, den Kampf zu beginnen, als der
+gegenwärtige: eben damals, als Aquillius in Bithymen und Kappadokien
+einrückte, stand die italische Insurrektion auf dem Höhepunkt ihrer
+Macht und konnte selbst den Schwachen Mut machen, gegen Rom sich zu
+erklären; dennoch ließ Mithradates das Jahr 664 (90) ungenutzt
+verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er so zäh wie rührig
+seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung
+der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der Eroberung war
+allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue, daß Mithradates
+nicht zu den Staatsmännern rechter Art gehörte und weder zum Kampf zu
+rüsten wußte wie König Philippos noch sich zu fügen wie König Attalos,
+sondern in echter Sultansart ewig hin- und hergezogen ward zwischen
+begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefühl seiner eigenen Schwäche.
+Aber auch so läßt sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich
+erinnert, daß Mithradates in zwanzigjähriger Erfahrung die damalige
+römische Politik kennengelernt hatte. Er wußte sehr genau, daß die
+römische Regierung nichts weniger als kriegslustig war, ja daß sie, im
+Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder berühmte General ihrer
+Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung an den Kimbrischen Krieg
+und Marius, den Krieg womöglich noch mehr fürchtete als er selbst.
+Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, in einer Weise
+aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch egoistische
+Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlaß zur
+Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er vermied sorgfältig den
+offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu versetzt hätte.
+Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius;
+er hoffte unzweifelhaft darauf, daß nicht immer energische Feldherren
+ihm gegenüberstehen, daß auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus
+und Albinus treffen würde. Es muß zugestanden werden, daß diese
+Hoffnung nicht unverständig war, obwohl freilich eben Jugurthas
+Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt es war, die Bestechung
+eines römischen Heerführers und die Korruption einer römischen Armee
+mit der Überwindung des römischen Volkes zu verwechseln. So standen die
+Dinge zwischen Frieden und Krieg und ließen ganz dazu an, noch lange
+sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber dies zuzulassen war
+Aquillius’ Absicht nicht, und da er seine Regierung nicht zwingen
+konnte, Mithradates den Krieg zu erklären, so bediente er sich dazu des
+Königs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des römischen Feldherrn
+gegeben und überdies noch für die abgelaufenen Kriegskosten und die dem
+Feldherrn persönlich zugesicherten Summen sein Schuldner, konnte sich
+dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg zu beginnen, nicht
+entziehen. Die bithynische Kriegserklärung erfolgte; aber selbst als
+Nikomedes’ Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten, seine Truppen
+in die pontischen Grenzdistrikte einrückten und die Gegend von Amastris
+brandschatzten, blieb Mithradates noch unerschüttert bei seiner
+Friedenspolitik; statt die Bithyner über die Grenze zu werfen, führte
+er Klage bei der römischen Gesandtschaft und bat dieselbe, entweder
+vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung gestatten zu wollen. Allein
+er ward von Aquillius dahin beschieden, daß er unter allen Umständen
+sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war
+deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet;
+man ließ das Schlachtopfer von der römischen Meute überfallen und
+verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch Mithradates erachtete
+sich verloren, ebenwie die Karthager es getan hatten; aber wenn die
+Phöniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat dagegen der König von
+Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und Schiffe zusammen -
+“Wehrt nicht”, so soll er gesagt haben, “auch wer unterliegen muß,
+dennoch sich gegen den Räuber?” Sein Sohn Ariobarzanes erhielt Befehl,
+in Kappadokien einzurücken; es ging noch einmal eine Botschaft an die
+römischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, wozu die Notwehr den König
+gezwungen habe, und eine letzte Erklärung von ihnen zu fordern. Sie
+lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der römische Senat noch
+König Mithradates noch König Nikomedes den Bruch gewollt hatten,
+Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80).
+
+Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und
+militärischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor
+allen Dingen knüpfte er das Bündnis mit König Tigranes von Armenien
+fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das in
+Vorderasien einrücken und Grund und Boden daselbst für König
+Mithradates, die bewegliche Habe für König Tigranes in Besitz nehmen
+sollte. Der parthische König, verletzt durch das stolze Verhalten
+Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als
+Bundesgenosse der Römer auf. Den Griechen war der König bemüht, sich in
+der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der griechischen
+Nation gegen die römische Fremdherrschaft darzustellen. Pontische
+Gesandte gingen an den König von Ägypten und an den letzten Überrest
+des freien Griechenlands, den kretensischen Städtebund, und beschworen
+sie, für die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt im letzten
+Augenblick einzustehen für die Rettung der hellenischen Nationalität;
+es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich, und zahlreiche
+Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man hoffte auf die
+sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten Schutzstaaten,
+Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die Empörung der
+Provinzen, vor allem des maßlos gedrückten Vorderasiens. Man arbeitete
+an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der Insurgierung
+Makedoniens. Die schon vorher blühende Piraterie wurde jetzt als
+willkommene Bundesgenossin überall entfesselt, und mit furchtbarer
+Raschheit erfüllten bald Korsarengeschwader, pontische Kaper sich
+nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung und Freude
+die Kunde von den Gärungen innerhalb der römischen Bürgerschaft und von
+der zwar überwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrückten
+italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes mit den
+Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde in
+Asien ein römisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps gebildet,
+dessen Kern römische und italische Flüchtlinge waren. Streitkräfte
+gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen in Asien nicht
+gesehen worden. Die Angaben, daß er, das armenische Hilfsheer
+ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuß und 40 000 Reitern das Feld nahm,
+daß 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen
+nicht allzu übertrieben bei einem Kriegsherrn, der über die zahllosen
+Steppenbewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die Brüder
+Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige griechische
+Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte es nicht an
+tapferen todverachtenden Männern, und die gold- und silberblinkenden
+Rüstungen und reichen Gewänder der Skythen und Meder mischten sich
+lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen. Ein
+einheitlicher militärischer Organismus freilich hielt diese
+buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates
+war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen,
+wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia
+einer höheren militärischen Organisation unterlegen waren; immer aber
+stand doch der Osten gegen die Römer in Waffen, während auch in der
+westlichen Hälfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So
+sehr es an sich für Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates
+den Krieg zu erklären, so war doch gerade dieser Augenblick so übel
+gewählt wie möglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr
+wahrscheinlich, daß Manius Aquillius zunächst aus Rücksichten auf seine
+eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben jetzt
+herbeigeführt hat. Für den Augenblick hatte man in Asien keine anderen
+Truppen zur Verfügung als die kleine römische Abteilung unter Lucius
+Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der militärischen
+und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge des
+Insurrektionskrieges befand, konnte eine römische Armee im günstigsten
+Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis dahin hatten
+die römischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes hoffte man,
+die römische Provinz decken und sich behaupten zu können, wo man stand:
+das bithynische Heer unter König Nikomedes in seiner im vorigen Jahr
+eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet zwischen Amastris und
+Sinope, weiter rückwärts in der bithynischen, galatischen,
+kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter Lucius Cassius, Manius
+Aquillius, Quintus Oppius, während die bithynisch-römische Flotte
+fortfuhr, den Bosporus zu sperren.
+
+Mit dem Beginn des Frühjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die
+Offensive. An einem Nebenfluß des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen
+Tesch köpri), stieß der pontische Vortrab, Reiterei und
+Leichtbewaffnete, auf die bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz
+ihrer sehr überlegenen Zahl im ersten Anlauf so vollständig
+auseinander, daß das geschlagene Heer sich auflöste und Lager und
+Kriegskasse den Siegern in die Hände fielen. Es waren hauptsächlich
+Neoptolemos und Archelaos, denen der König diesen glänzenden Erfolg
+verdankte. Die weiter zurückstehenden, noch viel schlechteren
+asiatischen Milizen gaben hierauf sich überwunden, noch ehe sie mit dem
+Feinde zusammenstießen; wo Mithradates’ Feldherren sich ihnen näherten,
+stoben sie auseinander. Eine römische Abteilung ward in Kappadokien
+geschlagen; Cassius suchte in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu
+halten, allein er entließ ihn wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen
+zu mögen, und warf sich mit seinen wenigen zuverlässigen Leuten in die
+Ortschaften am oberen Mäander, namentlich nach Apameia; Oppius räumte
+in gleicher Weise Pamphylien und schloß in dem phrygischen Laodikeia
+sich ein; Aquillius ward im Zurückweichen am Sangarios im bithynischen
+Gebiet eingeholt und so vollständig geschlagen, daß er sein Lager
+verlor und sich in die römische Provinz nach Pergamon retten mußte;
+bald war auch diese überschwemmt und Pergamon selbst in den Händen des
+Königs, ebenso der Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach
+jedem Sieg hatte Mithradates sämtliche Gefangene der kleinasiatischen
+Miliz entlassen und nichts versäumt, die von Anfang an ihm zugewandten
+nationalen Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis
+zum Mäander mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich
+erfuhr man, daß in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, daß der gegen
+Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich
+einzuschiffen, gegen Rom marschiert sei, daß die gefeiertsten römischen
+Generale sich untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem
+der Oberbefehl im Asiatischen Kriege gebühre. Rom schien eifrigst
+bemüht, sich selber zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, daß,
+wenngleich Minoritäten auch jetzt noch überall zu Rom hielten, doch die
+große Masse der Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die
+Asiaten vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es
+ward üblich, den König, in dem wie in dem göttlichen Indersieger Asien
+und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen
+des neuen Dionysos. Die Städte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm
+Boten entgegen, “den rettenden Gott” zu sich einzuladen, und festlich
+gekleidet strömte die Bürgerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen.
+Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden römischen Offiziere
+gebunden an den König ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt
+Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7.
+Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine
+Macht bekommt, entlud sich über den unglücklichen Urheber des Krieges.
+Bald zu Fuß an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, bald
+auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der
+bejahrte Mann durch ganz Kleinasien geführt und, als endlich das arme
+Schaustück wieder am königlichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl
+des Königs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlaßt habe,
+zu sättigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, daß er unter
+Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, der
+allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der
+adligen Männer. Von Ephesos aus erließ König Mithradates an alle von
+ihm abhängigen Statthalter und Städte den Befehl, an einem und
+demselben Tage sämtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker,
+Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters zu
+töten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung
+behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Vögeln zum Fraß
+hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Hälfte an die Mörder, zur
+Hälfte an den König abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit
+Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, pünktlich
+vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfünfzigtausend
+wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit
+kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle
+Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu
+entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische
+Schergenwillfährigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das
+vergleichungsweise edle Gefühl der Rache. Politisch war diese Maßregel
+nicht bloß ohne jeden vernünftigen Zweck - denn der finanzielle ließ
+auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten waren
+selbst durch das Bewußtsein der ärgsten Blutschuld nicht zum
+kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem sie
+einerseits den römischen Senat, soweit er irgend noch der Energie fähig
+war, zur ernstlichen Kriegführung zwang, andererseits nicht bloß die
+Römer traf, sondern ebensogut des Königs natürliche Bundesgenossen, die
+nichtrömischen Italiker. Es ist dieser ephesische Mordbefehl durchaus
+nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden Rache, welcher nur
+durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der Sultanismus
+auftritt, einen falschen Schein von Großartigkeit erhält.
+
+—————————————————————————-
+
+7 Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf
+fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithradates’
+Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab.
+
+—————————————————————————-
+
+Überhaupt ging des Königs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den
+Krieg begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des
+gefürchteten Sulla ließen ihn übergehen zu den hochfahrendsten
+Hoffnungen. Er richtete sich häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des
+römischen Statthalters, Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte
+Reich von Sinope wurde als Statthalterschaft an des Königs Sohn
+Mithradates zur Verwaltung übergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen
+wurden organisiert als pontische Satrapien. Die Großen des Reichs und
+des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und
+sämtlichen Gemeinden nicht bloß die rückständigen Steuern erlassen,
+sondern auch Steuerfreiheit auf fünf Jahre zugesichert - eine Maßregel,
+die ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Römer, wenn der König
+dadurch sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte.
+
+Freilich füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die
+unermeßlichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und anderen
+Konfiskationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente
+(1250000 Taler), welche die Juden dort deponiert hatten, von
+Mithradates weggenommen wurden. Der nördliche Teil von Kleinasien und
+die meisten dazu gehörigen Inseln waren in des Königs Gewalt; außer
+einigen kleinen paphlagonischen Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk,
+der noch zu Rom hielt; das gesamte Ägäische Meer ward beherrscht von
+seinen Flotten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von Karien und
+Lykien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar
+Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand
+glücklich eine schwere Belagerung, bei welcher Mithradates’ tüchtigster
+Offizier Archelaos geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der
+Zufluchtsort der aus Asien entkommenen Römer, unter ihnen des
+Statthalters Lucius Cassius, wurde von Mithradates zu Wasser und zu
+Lande mit ungeheurer Übermacht angegriffen. Aber seine Seeleute, so
+mutig sie unter den Augen des Königs ihre Pflicht taten, waren
+ungeschickte Neulinge, und es kam vor, daß rhodische Geschwader
+vielfach stärkere pontische überwanden und mit erbeuteten Schiffen
+heimkehrten. Auch zu Lande rückte die Belagerung nicht vor; nachdem ein
+Teil der Arbeiten zerstört worden war, gab Mithradates das Unternehmen
+auf und die wichtige Insel sowie das gegenüberliegende Festland blieben
+in den Händen der Römer.
+
+Aber nicht bloß die asiatische Provinz wurde, hauptsächlich infolge der
+zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast
+unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon
+den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten
+die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfälle mit
+auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664,
+665 (90, 89) überrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und
+plünderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, daß damit
+noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Prätendenten auf den
+makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen.
+Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern
+unterhielt, war all diesen Vorgängen schwerlich fremd. Zwar erwehrte
+sich der Prätor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten
+dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, daß ihm
+mächtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen
+Erfolgen, den kühnen Entschluß gefaßt, wie Antiochos den Krieg um die
+Herrschaft über Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und
+zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein
+Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte
+Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische
+Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstützpunkte der
+pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, geführt von
+Mithradates’ bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Ägäischen Meer, wo
+kaum ein römisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des
+römischen Handels in diesen Gewässern, ward besetzt und bei 20000
+Menschen, größtenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euböa erlitt
+ein gleiches Schicksal; bald waren östlich vom Malfischen Vorgebirg
+alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum Angriff auf das
+Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische Flotte von Euböa
+aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius Sura, der
+tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit seiner
+Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und besetzte
+sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, daß der
+Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier wirkte
+Mithradates nicht bloß mit den Waffen, sondern zugleich mit der
+nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser
+Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks
+ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Günstling
+Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetäros, der durch die glänzende
+Karriere, die er bei Hof gemacht, den Pöbel zu blenden und ihm mit
+Aplomb zu versichern verstand, daß aus dem seit beiläufig sechzig
+Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe für Mithradates schon
+unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht,
+daß die wenigen Verständigen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und
+ein paar toll gewordene Literaten den Römern förmlich absagten. So ward
+aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestützt auf seine
+pontische Söldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus
+dem Peiräeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen auf
+dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen
+Freistaaten ihnen zu: Achäer, Lakonen, Böoter, bis hinauf nach
+Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstärkung
+herangezogen hatte, rückte in Böotien ein, um dem belagerten Thespiä
+Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chäroneia in dreitägigen
+Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie führten zu keiner
+Entscheidung und Sura mußte zurückgehen, als die pontischen
+Verstärkungen aus dem Peloponnes sich näherten (Ende 666, Anfang 667
+88, 87).
+
+So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daß eine
+Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, einen
+Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals
+bereits verloren und der König wies das Ansinnen zurück.
+
+Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu werden.
+Kleinasien und Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in
+Feindeshand; auf der See herrschte ohne Nebenbuhler die pontische
+Flagge. Dazu kam die italische Insurrektion, die, im ganzen zu Boden
+geschlagen, immer noch in weiten Gebieten Italiens unbestritten die
+Herrschaft führte; dazu die kaum beschwichtigte Revolution, die jeden
+Augenblick drohte, wiederum und furchtbarer emporzulodern; dazu endlich
+die durch die inneren Unruhen in Italien und die ungeheuren Verluste
+der asiatischen Kapitalisten hervorgerufene fürchterliche Handels- und
+Geldkrise und der Mangel an zuverlässigen Truppen. Die Regierung hätte
+dreier Armeen bedurft, um in Rom die Revolution niederzuhalten, in
+Italien die Insurrektion völlig zu ersticken und in Asien Krieg zu
+führen; sie hatte eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war
+unter dem unzuverlässigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit
+mehr. Die Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied
+sich, wie wir sahen, für den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes,
+man darf vielleicht sagen eine große patriotische Tat, daß in diesem
+Konflikt des allgemeinen vaterländischen und des besonderen
+Parteiinteresses das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der
+Gefahren, die seine Entfernung aus Italien für seine Verfassung und für
+seine Partei nach sich zog, dennoch im Frühling 667 (87) landete an der
+Küste von Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst römische Oberfeldherrn
+im Osten aufzutreten pflegten. Daß sein Heer von fünf Legionen oder
+höchstens 30000 Mann 8 wenig stärker war als eine gewöhnliche
+Konsulararmee, war das wenigste. Sonst hatte in den östlichen Kriegen
+eine römische Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See
+beherrscht; Sulla, gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des
+Ägäischen Meeres wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff.
+Sonst hatte der Feldherr eine volle Kasse mit sich geführt und den
+größten Teil seiner Bedürfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen;
+Sulla kam mit leeren Händen - denn die für den Feldzug von 666 (88) mit
+Not flüssig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah
+sich ausschließlich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der
+Feldherr seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und
+hatten dem Landesfeind gegenüber seit der Beendigung des Ständekampfes
+die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter
+Mithradates’ Feldzeichen fochten namhafte römische Männer, große
+Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Bündnis zu treten, und es
+war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das rühmliche
+Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand
+halten werde, solange er gegen den asiatischen König focht. Aber der
+rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war
+nicht gewohnt, vor Erledigung der nächsten Aufgabe um die ferneren
+Gefahren sich zu bekümmern. Da seine an den König gerichteten
+Friedensanträge, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des
+Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rückte
+er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Häfen bis nach Böotien
+vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde,
+Archelaos und Aristion, und bemächtigte sich nach diesem Siege fast
+ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der
+Festung Athen und des Peiräeus, wohin Aristion und Archelaos sich
+geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen mißlang. Eine
+römische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien und
+streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte vor
+Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euböa stehende
+feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis
+und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte
+und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die
+hellenischen Städte, wie immer von der nächsten Furcht regiert,
+unterwarfen sich den Römern auf jede Bedingung und waren froh, wenn sie
+mit Lieferungen von Vorräten und Mannschaft und mit Geldbußen schwerere
+Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen in
+Attika vonstatten. Sulla sah sich genötigt, in aller Form das schwere
+Belagerungszeug zu rüsten, wozu die Bäume der Akademie und des Lykeion
+das Holz liefern mußten. Archelaos leitete die Verteidigung ebenso
+kräftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, schlug
+also verstärkt die Angriffe der Römer mit überlegener Macht ab und
+machte häufige und nicht selten glückliche Ausfälle. Zwar die zum
+Entsatz herbeirückende pontische Armee des Dromichätes ward unter den
+Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer
+Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Römern
+geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von
+Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv
+festgesetzt hatten, kam reichliche und regelmäßige Zufuhr zur See, die
+Sulla nicht imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen
+gingen zwar die Vorräte auf die Neige, doch konnte bei der Nähe der
+beiden Festungen Archelaos mehrfache Versuche machen,
+Getreidetransporte nach Athen zu werfen, die nicht alle mißlangen. So
+verfloß in peinlicher Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie
+die Jahreszeit es erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestüm auf den
+Peiräeus; in der Tat gelang es, durch Geschütze und Minen einen Teil
+der gewaltigen Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort
+schritten die Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er
+wiederholt ward, fanden sich hinter den eingestürzten Mauerteilen
+halbmondförmige Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden
+sich von drei Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla
+hob darauf die Belagerung auf und begnügte sich mit einer Blockade. In
+Athen waren inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die
+Besatzung versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla
+wies ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, daß er nicht als
+Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte
+Unterwerfung annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal
+dann ihm bevorstand, damit zögerte, wurden die Leitern angelegt und die
+kaum noch verteidigte Stadt erstürmt (1. März 668 86). Aristion warf
+sich in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der römische
+Feldherr ließ die Soldateska in der eroberten Stadt morden und plündern
+und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls hinrichten; die Stadt
+selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar
+das wichtige Delos zurück und ward also noch einmal gerettet durch ihre
+herrlichen Toten.
+
+——————————————————————————
+
+8 Man muß sich erinnern, daß seit dem Bundesgenossenkrieg auf die
+Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet ist,
+mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem.
+
+——————————————————————————-
+
+Über den Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes
+Sullas Lage blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als
+ein Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt
+vorwärtsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner
+Anstrengungen, während Asien gänzlich sich selbst überlassen, die
+Eroberung Makedoniens von Mithradates’ Statthaltern kürzlich durch die
+Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich
+immer deutlicher - war es nicht bloß unmöglich, die Verbindungen und
+die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu
+sichern, sondern auch nur den Peiräeus, geschweige denn Asien und die
+Inseln wiederzugewinnen; und doch ließ sich nicht absehen, wie man zu
+Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte
+Sulla einen seiner fähigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius
+Licinius Lucullus, in die östlichen Gewässer entsandt, um dort
+womöglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von
+den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief
+Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote
+aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten
+Schiffen den Feind täuschend, gelangte er über Kreta und Kyrene nach
+Alexandreia; allein der ägyptische Hof schlug die Bitte um
+Unterstützung mit Kriegsschiffen ebenso höflich wie entschieden ab.
+Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des
+römischen Staats, der einst das Angebot der Könige von Ägypten, mit
+ihrer ganzen Seemacht den Römern beizustehen, dankbar abzulehnen
+vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmännern
+schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedrängnis;
+schon hatte Sulla die Schatzhäuser des Olympischen Zeus, des
+Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren müssen, wofür
+die Götter entschädigt wurden durch die zur Straße eingezogene
+Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese
+militärische und finanzielle Verlegenheit war der Rückschlag der
+politischen Umwälzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame
+Vollendung die ärgsten Befürchtungen weit hinter sich gelassen hatte.
+Die Revolution führte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war
+abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen
+Konsul Lucius Valerius Flaccus übertragen worden, den man täglich in
+Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an
+Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was ließ
+sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt
+und geächtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der
+Krieg gegen den zähen seemächtigen Gegner aussichtslos sich hinspann!
+
+König Mithradates übernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen Lage
+zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem
+seiner Generale mißbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind
+fördersamst zu überwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes aus
+Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu
+bekämpfen; nur der plötzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am
+Tisäischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals
+rückgängig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86),
+das in Thessalien stehende römische Korps vor sich hertreibend, mit
+einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuß und 10000 Reitern an den
+Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichätes. Auch Archelaos räumte
+- es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch Befehle
+seines Herrn - den Peiräeus erst teilweise, sodann ganz und stieß in
+Böotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der Peiräeus mit
+all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl zerstört worden
+war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung, vor dem Eintreffen
+des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu können. Vergeblich riet
+Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die See und die
+Küsten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst unter Dareios und
+Antiochos, so stürzten auch jetzt die Massen der Orientalen, wie
+geängstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und blindlings in den
+Kampf; und törichter als je war dies hier angewandt, wo die Asiaten
+vielleicht nur einige Monate hätten warten dürfen, um bei einer
+Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben. In der
+Ebene des Kephissos unweit Chäroneia im März 668 (86) trafen die Heere
+aufeinander. Selbst mit Einschluß der aus Thessalien zurückgedrängten
+Abteilung, der es geglückt war, ihre Verbindung mit der römischen
+Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluß der griechischen
+Kontingente fand sich das römische Heer einem dreifach stärkeren Feind
+gegenüber und namentlich einer weit überlegenen und bei der
+Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefährlichen Reiterei, gegen die
+Sulla seine Flanken durch verschanzte Gräben zu decken nötig fand,
+sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen
+zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen
+ließ. Als die Streitwagen den Kampf zu eröffnen heranrollten, zog sich
+das erste Treffen der Römer hinter diese Pfahlreihe zurück; die Wagen,
+an ihr abprallend und gescheucht durch die römischen Schleuderer und
+Schützen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung
+sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen
+Flüchtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken
+herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein
+Fußvolk wieder zu ordnen; sie griff mit großem Feuer an und durchbrach
+die römischen Reihen; allein die römische Infanterie formierte sich
+rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie
+anstürmenden Reitern mutig stand. Inzwischen führte Sulla selbst auf
+dem rechten Flügel seine Reiterei in die entblößte Flanke des Feindes;
+die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum Schlagen gekommen
+zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die Reitermassen. Ein
+allgemeiner Angriff des römischen Fußvolks, das durch die schwankende
+Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft bekam, entschied den Sieg.
+Die Schließung der Lagertore, die Archelaos anordnete, um die Flucht zu
+hemmen, bewirkte nur, daß das Blutbad um so größer ward und, als die
+Tore endlich sich auftaten, die Römer mit den Asiaten zugleich
+eindrangen. Nicht den zwölften. Mann soll Archelaos nach Chalkis
+gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den Euripos; den schmalen
+Meeresarm zu überschreiten war er nicht imstande.
+
+Es war ein großer Sieg, aber die Resultate waren geringfügig, was wegen
+des Mangels einer Flotte, teils weil der römische Sieger sich genötigt
+sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunächst vor seinen Landsleuten
+sich zu schützen. Die See war noch immer ausschließlich bedeckt von den
+pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich vom Malfischen
+Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von Chäroneia setzte
+Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte einen Versuch, auf
+dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen in der Tat Lucius
+Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne unterwegs
+durch Stürme und durch die im Adriatischen Meer kreuzenden feindlichen
+Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen seine
+Truppen in Thessalien; dorthin zunächst mußte Sulla sich wenden. Bei
+Melitäa am nördlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide
+römischen Heere sich gegenüber; ein Zusammenstoß schien unvermeidlich.
+Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeugen,
+daß Sullas Soldaten keineswegs geneigt war ihren siegreichen Führer an
+den gänzlich unbekannten demokratischen Oberfeldherrn zu verraten, daß
+vielmehr seine eigene Vorhut anfing, in das Sullanische Lager zu
+desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner Hinsicht gewachsen
+war, und brach auf gegen Norden, um durch Makedonien und Thrakien nach
+Asien zu gelangen und dort durch Überwältigung Mithradats sich den Weg
+zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Daß Sulla den schwächeren Gegner
+ungehindert abziehen ließ und, statt ihm zu folgen, vielmehr zurück
+nach Athen ging, wo er den Winter 668/69 (86/85) verweilt zu haben
+scheint, ist militärisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man
+annehmen, daß auch hier politische Beweggründe ihn leiteten und er
+gemäßigt und
+
+Patriotisch genug dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den
+Asiaten zu tun hatte, gern einen Sieg über die Landsleute zu vermeiden
+und die erträglichste Lösung der leidigen Verwicklung darin zu finden,
+wenn die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit
+dem gemeinschaftlichen Feinde stritt.
+
+Mit dem Frühling 669 (85) gab es in Europa wieder neue Arbeit.
+Mithradates, der in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte,
+hatte eine, der bei Chäroneia aufgeriebenen an Zahl nicht viel
+nachstehende Armee unter Dorylaos nach Euböa gesandt; von dort war
+dieselbe in Verbindung mit den Überbleibseln der Armee des Archelaos
+über den Euripos nach Böotien gegangen. Der pontische König, der in den
+Siegen über die bithynische und die kappadokische Miliz den Maßstab
+fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die ungünstige
+Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon flüsterten die
+Kreise der Höflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war
+gegeben, mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und
+nun unfehlbar die Römer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo
+nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der
+Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Römer und die
+Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf
+sich ungestüm auf das römische Fußvolk, das zu schwanken und zu weichen
+begann; die Gefahr ward so dringend, daß Sulla ein Feldzeichen ergriff
+und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind vorgehend mit
+lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie
+ihren Feldherrn im Stich gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei
+Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und überwältigten
+die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit leichter Mühe
+geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der Asiaten umstellt
+und erstürmt; der weitaus größte Teil derselben fiel oder kam in den
+Kopaischen Sümpfen um; nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten
+nach Euböa. Die böotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von
+Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu büßen. Dem Einmarsch in
+Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: Philippi ward besetzt,
+Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig geräumt, überhaupt das
+europäische Festland von den Feinden gesäubert. Am Ende des dritten
+Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla Winterquartiere in Thessalien
+beziehen, um im Frühjahr 670 (84) 9 den asiatischen Feldzug zu
+beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in den thessalischen Häfen
+Schiffe zu bauen.
+
+————————————————————-
+
+9 Die Chronologie dieser Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten
+überhaupt, in einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur
+Dämmerung zu zerstreuen vermag. Daß die Schlacht von Chäroneia, wenn
+auch nicht an demselben Tage wie die Erstürmung von Athen (Paus. 1,
+20), doch bald nachher, etwa im März 668 (86), stattfand, ist ziemlich
+sicher. Daß die darauf folgende thessalische und die zweite böotische
+Kampagne nicht bloß den Rest des Jahres 668 (86), sondern auch das
+ganze Jahr 669 (85) in Anspruch nahmen, ist an sich wahrscheinlich und
+wird es noch mehr dadurch, daß Sullas Unternehmungen in Asien nicht
+genügen, um mehr als einen Feldzug auszufüllen. Auch scheint Licinianus
+anzudeuten, daß Sulla für den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen
+zurückging und hier die Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf
+dann die Schlacht von Orchomenos erzählt wird. Darum ist der Übergang
+Sullas nach Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden.
+
+——————————————————————
+
+Inzwischen hatten auch die kleinasiatischen Verhältnisse sich
+wesentlich geändert. Wenn König Mithradates einst aufgetreten war als
+der Befreier der Hellenen, wenn er mit Förderung der städtischen
+Unabhängigkeit und mit Steuererlassen seine Herrschaft eingeleitet
+hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur zu rasch und nur zu bitter
+die Enttäuschung gefolgt. Sehr bald war er in seinem wahren Charakter
+hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei der römischen Vögte weit
+überbietende Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar die geduldigen
+Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff dagegen
+wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen verliehen den
+zugewandten Ortschaften die Selbständigkeit, den Insassen das
+Bürgerrecht, den Schuldnern vollen Schuldenerlaß, den Besitzlosen
+Äcker, den Sklaven die Freiheit; an 15000 solcher freigelassener
+Sklaven fochten im Heer des Archelaos. Die fürchterlichsten Szenen
+waren die Folge dieser von oben herab erfolgenden Umwälzung aller
+bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten Kaufstädte, Smyrna, Kolophon,
+Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den Vögten des Königs die Tore
+oder brachten sie um und erklärten sich für Rom ^10. Dagegen ließ der
+königliche Vogt Diodoros, ein namhafter Philosoph wie Aristion, von
+anderer Schule, aber gleich brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei,
+im Auftrag seines Herrn den gesamten Stadtrat von Adramytion
+niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung zu Rom verdächtig schienen,
+wurden zunächst um 2000 Talente (3150000 Taler) gebüßt und, da die
+Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf Schiffe gesetzt und
+gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen Sklaven, an die kolchische Küste
+deportiert, während ihre Insel mit pontischen Kolonisten besetzt ward.
+Die Häuptlinge der kleinasiatischen Kelten befahl der König sämtlich an
+einem Tage mit ihren Weibern und Kindern umzubringen und Galatien in
+eine pontische Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle
+wurden auch entweder an Mithradates’ eigenem Hoflager oder im
+galatischen Lande vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen stellten
+sich an die Spitze ihrer kräftigen Stämme und schlugen den Statthalter
+des Königs, Eumachos, aus ihren Grenzen hinaus. Daß diesen König die
+Dolche der Mörder verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen
+wurden als in solche Komplotte verwickelt von den königlichen
+Untersuchungsgerichten zum Tode verurteilt.
+
+———————————————————————-
+
+^10 Es ist kürzlich (Waddington, Zusätze zu Lebas, 3, 136a) der
+desfällige Beschluß der Bürgerschaft von Ephesos aufgefunden worden.
+Sie seien, erklären die Bürger, in die Gewalt des “Königs von
+Kappadokien” Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner
+Streitkräfte und die Plötzlichkeit seines Angriffs; wie aber die
+Gelegenheit dazu sich darbiete, erklärten sie “für die Herrschaft
+(ηγεμονία) der Römer und die gemeine Freiheit” ihm den Krieg.
+
+———————————————————————
+
+Wenn also der König durch dies selbstmörderische Wüten seine
+derzeitigen Untertanen gegen sich unter die Waffen rief, so begannen
+gleichzeitig die Römer auch in Asien, ihn zur See und zu Lande zu
+drängen. Lucullus hatte, nachdem der Versuch, die ägyptische Flotte
+gegen Mithradates vorzuführen, gescheitert war, sein Bemühen, sich
+Kriegsschiffe zu verschaffen, in den syrischen Seestädten mit besserem
+Erfolg wiederholt und seine werdende Flotte in den kyprischen,
+pamphylischen und rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug
+fand, zum Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es, mit überlegenen
+Streitkräften sich zu messen und errang dennoch nicht unbedeutende
+Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von ihm besetzt,
+Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Feinden entrissen.
+
+Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und
+Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge passierend, nach
+Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den Feldherrn eine
+Militärinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten die Beute
+unterschlug; die Seele derselben war einer der höchsten Offiziere des
+Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwörtlich geworden war für
+den rechten Pöbelredner, Gaius Flavius Fimbria, welcher, nachdem er mit
+seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt begonnene
+Demagogengeschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem Heer
+abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalchedon getötet; an
+seine Stelle trat nach Beschluß der Soldaten Fimbria. Es versteht sich,
+daß er seinen Leuten alles nachsah: in dem befreundeten Kyzikos zum
+Beispiel ward der Bürgerschaft befohlen, ihre gesamte Habe an die
+Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei
+der angesehensten Bürger sogleich vorläufig hingerichtet. Allein
+militärisch war der Wechsel des Oberbefehls dennoch ein Gewinn; Fimbria
+war nicht wie Flaccus ein unfähiger General, sondern energisch und
+talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos westlich von Brussa) schlug
+er den jüngeren Mithradates, der als Statthalter der pontischen
+Satrapie ihm entgegengezogen war, vollständig in einem nächtlichen
+Überfall und öffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt
+sonst der römischen Provinz, jetzt des pontischen Königs, Pergamon, von
+wo er den König vertrieb und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten
+Hafen Pitane zu retten, um dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien
+Lucullus mit seiner Flotte in diesen Gewässern; Fimbria beschwor ihn,
+durch seinen Beistand ihm die Gefangennehmung des Königs möglich zu
+machen. Aber der Optimat war mächtiger in Lucullus als der Patriot; er
+segelte weiter, und der König entkam nach Mytilene. Auch so war
+Mithradates’ Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war
+Europa verloren, Kleinasien gegen ihn teils im Aufstand begriffen,
+teils von einem römischen Heer eingenommen und er selbst von diesem in
+unmittelbarer Nähe bedroht. Die römische Flotte unter Lucullus hatte an
+der Küste der troischen Landschaft in zwei glücklichen Seegefechten am
+Vorgebirg Lekton und bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie
+zog daselbst die inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien
+erbauten Schiffe an sich und verbürgte in ihrer den Hellespont
+beherrschenden Stellung dem Feldherrn der römischen Senatsarmee für das
+nächste Frühjahr den sicheren und bequemen Übergang nach Asien.
+
+Mithradates versuchte zu unterhandeln. Unter anderen Verhältnissen zwar
+hätte der Urheber des ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen
+dürfen, zum Frieden mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren
+Konvulsionen der römischen Republik, wo die herrschende Regierung den
+gegen Mithradates ausgesandten Feldherrn in die Acht erklärt hatte und
+daheim gegen seine Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wütete,
+wo ein römischer General gegen den andern und doch wieder beide gegen
+denselben Feind standen, hoffte er nicht bloß einen Frieden, sondern
+einen günstigen Frieden erlangen zu können. Er hatte die Wahl, sich an
+Sulla oder an Fimbria zu wenden; mit beiden ließ er unterhandeln, doch
+scheint seine Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla
+abzuschließen, der wenigstens in dem Horizont des Königs als seinem
+Nebenbuhler entschieden überlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos
+forderte nach Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den König
+abzutreten und dafür die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei
+in Rom zu gewärtigen. Aber Sulla, kühl und klar wie immer, wünschte
+zwar wegen der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige
+Erledigung der asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile
+der kappadokischen Allianz für den ihm in Italien bevorstehenden Krieg
+sehr niedrig an und war überhaupt viel zu sehr Römer, um in eine so
+entehrende und so nachteilige Abtretung zu willigen. In den
+Friedenskonferenzen, die im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der
+böotischen Küste, Euböa gegenüber, stattfanden, weigerte er sich
+bestimmt, auch nur einen Fußbreit Landes abzutreten, ging aber, der
+alten römischen Sitte, die vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach
+dem Siege nicht zu steigern, aus gutem Grunde getreu, über die früher
+gestellten Bedingungen nicht hinaus. Er forderte die Rückgabe aller von
+dem König gemachten und ihm noch nicht wiederentrissenen Eroberungen,
+Kappadokiens, Paphlagoniens, Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der
+Inseln, die Auslieferung der Gefangenen und Überläufer, die Übergabe
+der achtzig Kriegsschiffe des Archelaos zur Verstärkung der immer noch
+geringen römischen Flotte, endlich Sold und Verpflegung für das Heer
+und Ersatz der Kriegskosten mit der sehr mäßigen Summe von 3000
+Talenten (4¾ Mill. Taler). Die nach dem Schwarzen Meer weggeführten
+Chier sollten heimgesandt, den römisch gesinnten Makedoniern ihre
+weggeführten Familien zurückgegeben, den mit Rom verbündeten Städten
+eine Anzahl Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng
+genommen gleichfalls mit in den Frieden hätte eingeschlossen werden
+sollen, schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen,
+die seine Beiziehung machen mußte, keinem der kontrahierenden Teile
+gelegen war. Der Besitzstand also, den der König vor dem Kriege gehabt
+hatte, blieb ihm und es ward ihm keine ehrenkränkende Demütigung
+angesonnen ^11. Archelaos, deutlich erkennend, daß verhältnismäßig
+unerwartet viel erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloß auf
+diese Bedingungen die Präliminarien und den Waffenstillstand ab und zog
+die Truppen aus den Plätzen heraus, die die Asiaten noch in Europa
+innehatten. Allein Mithradates verwarf den Frieden und begehrte
+wenigstens, daß die Römer auf die Auslieferung der Kriegsschiffe
+verzichten und ihm Paphlagonien einräumen wollten; indem er zugleich
+geltend machte, daß Fimbria ihm weit günstigere Bedingungen zu gewähren
+bereit sei. Sulla, beleidigt durch dies Gleichstellen seiner
+Anerbietungen mit denen eines amtlosen Abenteurers und bei dem
+äußersten Maß der Nachgiebigkeit bereits angelangt, brach die
+Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit benutzt, um Makedonien
+wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Mäder zu züchtigen, wobei er
+zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich Asien näherte; denn
+dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen, um mit Fimbria
+abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien stehenden Legionen
+sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont. Da endlich gelang
+es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die widerstrebende
+Einwilligung zu dem Traktat zu entreißen; wofür er später am
+königlichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens scheel
+angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so daß einige Zeit nachher
+er sich genötigt sah, das Land zu räumen und zu den Römern zu flüchten,
+die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren überhäuften. Auch die
+römischen Soldaten murrten; daß die gehoffte asiatische Kriegsbeute
+ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der an sich wohl
+gerechtfertigte Unwille, daß man den Barbarenfürsten, der
+achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und über Italien und Asien
+unsägliches Elend gebracht hatte, mit dem größten Teil der in Asien
+zusammengeplünderten Schätze ungestraft abziehen ließ in seine Heimat.
+Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, daß die politischen
+Verwicklungen seine militärisch so einfache Aufgabe in peinlichster
+Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen sich mit einem
+solchen Frieden zu begnügen. Indes zeigt sich die Selbstverleugnung und
+die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg geführt hat, nur aufs neue
+in diesem Friedensschluß; denn der Krieg gegen einen Fürsten, dem fast
+die ganze Küste des Schwarzen Meeres gehorchte und dessen Starrsinn
+noch die letzten Verhandlungen deutlich offenbarten, nahm selbst im
+günstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die Lage Italiens war von der
+Art, daß es fast schon für Sulla zu spät schien, um mit den wenigen
+Legionen, die er besaß, der dort regierenden Partei entgegenzutreten
+^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es schlechterdings
+notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der in Asien an der
+Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe nicht, wie Sulla
+jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu unterdrücken hoffte,
+so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu Hilfe komme. Bei
+Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von der Ratifikation
+des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach Asien ging
+weiter. Der König, hieß es, wünsche persönlich mit dem römischen
+Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu vereinbaren;
+vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand, um das Heer
+nach Asien überzuführen und dort mit Fimbria ein Ende zu machen. So
+überschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von Archelaos, den
+Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in Dardanos mit
+Mithradates zusammengetroffen war und mündlich den Vertrag
+abgeschlossen hatte, ließ er den Marsch fortsetzen, bis er bei
+Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an
+demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an
+Zahl, Zucht, Führung und Tüchtigkeit den Fimbrianern weit überlegen,
+sahen mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und
+deren unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern
+wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten die
+Soldaten sich, gegen ihre Mitbürger zu fechten, ja sogar den
+geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Hände
+abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria
+erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnügte sich,
+ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persönliche Rettung
+zu eröffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme;
+statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den
+Barbaren zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des
+Asklepios in sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem
+Heer begaben sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie
+bereitwillige Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle
+Sullas.
+
+———————————————————————-
+
+^11 Die Angabe, daß Mithradates den Städten, die seine Partei ergriffen
+hatten im Frieden Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint
+schon nach dem Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich
+und fehlt auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche
+Abfassung des Friedensvertrages ward versäumt, was später zu vielen
+Entstellungen benutzt ward.
+
+^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten Mithradatischen
+Krieg. König Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khorene,
+begnügte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im Persischen
+(Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den
+Partherkönig Arschagan, ihm die höchste Gewalt abzutreten, worauf er in
+Persien sich einen Palast bauen und daselbst Münzen mit eigenem Bildnis
+schlagen ließ und den Arschagan zum Unterkönig Persiens, seinen Sohn
+Dicran (Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter
+Ardaschama aber vermählte mit dem Großfürsten der Iberer Mihrdates
+(Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und
+Statthalters Alexanders über die besiegten Iberer, abstammte und in den
+nördlichen Bergen sowie über das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm
+darauf den König der Lydier Krösos gefangen, unterwarf das Festland
+zwischen den beiden großen Meeren (Kleinasien) und ging über das Meer
+mit unzähligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals
+Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine
+Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner
+Leute. Nach Ardasches’ Tode rückte sein Nachfolger Dicran gegen die
+Armee der Griechen (d. i. der Römer), die jetzt ihrerseits in das
+armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel,
+übergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag (Mazaka
+in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen
+Streitmacht und kehrte zurück nach Armenien. Viele Jahre später zeigte
+man noch in den armenischen Städten Statuen griechischer Götter von
+bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug.
+
+Man erkennt hier verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen
+Kriegs ohne Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augenscheinlich
+durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet und
+namentlich durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen. Ganz
+ebenso wird später der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt. Diese
+orientalischen Nachrichten sind mit um so größerer Vorsicht
+aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils die
+Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des
+fünften Jahrhunderts geläufiger Quellen darin mit den armenischen
+Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der
+Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des
+Moses dafür ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere
+okzidentalische Überlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der
+orientalischen in diesem und in ähnlichen Fällen, wie zum Beispiel der
+unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin führen, sie
+noch stärker zu trüben.
+
+—————————————————————————-
+
+Sulla beschloß, diese beiden Legionen, denen er für den bevorstehenden
+Krieg doch nicht traute, in Asien zurückzulassen, wo die entsetzliche
+Krise noch lange in den einzelnen Städten und Landschaften
+nachzitterte. Das Kommando über dieses Korps und die Statthalterschaft
+im römischen Asien übergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius
+Murena. Die revolutionären Maßregeln Mithradats, wie die Befreiung der
+Sklaven und die Kassation der Forderungen, wurden natürlich aufgehoben;
+eine Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt
+durchgesetzt werden konnte. Die Städte des östlichen Grenzgebiets
+unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit dem
+Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner
+Gerechtigkeit geübt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten
+Anhänger Mithradats und die Urheber der an den Italikern verübten
+Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mußten die
+sämtlichen von den letzten fünf Jahren her rückständigen Zehnten und
+Zölle sofort nach Abschätzung bar erlegen; außerdem hatten sie eine
+Kriegsentschädigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten,
+zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurückblieb. Es waren die
+Maßregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man
+sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so
+fühlt man sich geneigt, dieselben als eine verhältnismäßig noch gelinde
+Vergeltung zu betrachten. Daß die sonstigen Erpressungen nicht
+ungewöhnlich drückend waren, beweist der Betrag der später im Triumph
+aufgeführten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler
+belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die
+Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Mäander wurden reich
+belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen
+Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurück. Desgleichen wurden die Chier
+für die ausgestandene Not, die Ilienser für die wahnsinnig grausame
+Mißhandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknüpften
+Verhandlungen zugefügt hatte, nach Möglichkeit durch Freibriefe und
+Vergünstigungen entschädigt. Die Könige von Bithynien und Kappadokien
+hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen König zusammengeführt
+und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei
+freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von
+königlichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn
+nannte, persönlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward
+beauftragt, in den beiden von Mithradates geräumten Reichen die
+Wiederherstellung der gesetzlichen Zustände zu überwachen.
+
+So war man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische König
+wieder ein Klient der Römer und in Griechenland, Makedonien und
+Kleinasien ein einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt;
+die Gebote des Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genüge, doch
+zur Notdurft befriedigt. Sulla hatte nicht bloß als Soldat und Feldherr
+glänzend sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstraße zwischen
+kühnem Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen
+Hindernissen durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie
+Hannibal hatte er gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkräften, die
+der erste Sieg ihm gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe
+sich zu schicken. Nachdem er seine Soldaten durch die üppigen
+Winterquartiere in dem reichen Vorderasien einigermaßen für ihre
+ausgestandenen Strapazen entschädigt hatte, ging er im Frühjahr 671
+(83) auf 1600 Schiffen von Ephesos nach dem Peiräeus und von da auf dem
+Landweg nach Paträ, wo die Schiffe wiederum bereit standen, um die
+Truppen nach Brundisium zu führen. Ihm vorauf ging ein Bericht an den
+Senat über seine Feldzüge in Griechenland und Asien, dessen Schreiber
+von seiner Absetzung nichts zu wissen schien; es war die stumme
+Ankündigung der bevorstehenden Restauration.
+
+
+
+
+KAPITEL IX.
+Cinna und Sulla
+
+
+Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla bei seiner
+Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 (87) Italien
+zurückließ, sind früher dargelegt worden: die halb erstickte
+Insurrektion, die Hauptarmee unter dem mehr als halb usurpierten
+Kommando eines politisch sehr zweideutigen Generals, die Verwirrung und
+die vielfach tätige Intrige in der Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie
+durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Mäßigung vielfältige
+Mißvergnügte gemacht. Die Kapitalisten, von den Schlägen der schwersten
+Finanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten
+der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des
+Italischen und des Asiatischen Krieges, die sie nicht verhütet hatte.
+Die Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht
+bloß den Verlust ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte
+mit der herrschenden Bürgerschaft, sondern auch den ihrer
+althergebrachten Verträge und ihre neue völlig rechtlose
+Untertanenstellung. Die Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls
+unzufrieden mit den ihnen gemachten halben Zugeständnissen und die
+Neubürger und Freigelassenen erbittert durch die Kassation der
+Sulpicischen Gesetze. Der Stadtpöbel litt unter der allgemeinen
+Bedrängnis und fand es unerlaubt, daß das Säbelregiment sich die
+verfassungsmäßige Knüttelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen
+lassen. Der hauptstädtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwälzung
+Geächteten, der infolge der ungemeinen Mäßigung Sullas sehr zahlreich
+geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur
+Rückkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen
+sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. Keine dieser
+Verstimmungen war eigentlich von der Art, daß sie einen neuen
+gewaltsamen Zusammenstoß der Parteien in nahe Aussicht stellte;
+größtenteils waren sie zielloser und vorübergehender Art: aber sie alle
+nährten das allgemeine Mißbehagen und hatten schon mehr oder minder
+mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordversuchen
+gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der Konsul- und
+Tribunenwahlen für 667 (87). Der Name des Mannes, den die Mißvergnügten
+an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cornelius Cinna,
+war bis dahin kaum genannt worden, außer insofern er als Offizier im
+Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; über die Persönlichkeit
+desselben und seine ursprünglichen Absichten sind wir weniger
+unterrichtet als über die irgendeines andern Parteiführers in der
+römischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine andere,
+als daß dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus
+geleitete Gesell weitergehende politische Pläne von Haus aus gar nicht
+gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, daß er gegen
+ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern und der Koterie des Marius
+verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich aus; wäre sie
+aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger charakteristisch, daß
+ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und Sulpicius
+geäußert worden war, an Cinna haftete. In der Tat hat die Bewegung, an
+deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit
+sowohl der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer
+Partei aus als von einer Anzahl Mißvergnügter ohne eigentlich
+politische Zwecke und nennenswerten Rückhalt, die hauptsächlich die
+Rückberufung der Verbannten in gesetzlicher oder ungesetzlicher Weise
+durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint in die Verschwörung
+nur nachträglich und nur deshalb hineingezogen zu sein, weil die
+Intrige, die infolge der Beschränkung der tribunizischen Gewalt zur
+Vorbringung ihrer Anträge einen Konsul brauchte, unter den
+Konsularkandidaten für 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug ersah
+und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie
+erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige fähigere Köpfe,
+so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische
+Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus
+Sertorius, einer der talentvollsten römischen Offiziere und in jeder
+Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das
+Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch diesen Hader in
+die Reihen der Mißvergnügten geführt worden war, wohin er seiner Art
+nach keineswegs gehörte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der Regierung
+gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich
+einzulassen.
+
+Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbündeten aus guten
+Gründen sich still. Als indes der gefürchtete Prokonsul, nicht den
+Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand der Dinge im
+Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna, unterstützt von
+der Majorität des Tribunenkollegiums, sofort die Gesetzentwürfe vor,
+wodurch man übereingekommen war, gegen die Sullanische Restauration von
+666 (88) teilweise zu reagieren; sie enthielten die politische
+Gleichstellung der Neubürger und der Freigelassenen, wie Sulpicius sie
+beantragt hatte, und die Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen
+Revolution Geächteten in den vorigen Stand. In Masse strömten die
+Neubürger nach der Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich
+die Gegner einzuschüchtern und nötigenfalls zu zwingen. Aber auch die
+Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul
+gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen
+Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung großenteils
+bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten
+Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbühne selbst die
+Schwerter gezückt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttäter
+Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Männer säuberten nicht
+bloß die Heilige Straße und den Marktplatz, sondern wüteten auch, der
+Befehle ihres milder gesinnten Führers nicht achtend, in grauenhafter
+Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an
+diesem “Octaviustag”, wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend
+schätzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich
+durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf
+war ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es
+blieb den Führern der Bewegung nichts übrig, als zu flüchten. Weiter
+gegen die Häupter der Verschwörung, solange ihr Amtsjahr lief, zu
+verfahren gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein
+vermutlich mehr loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, daß die
+Verbannung des Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden
+Volkstribune dem Lande Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in
+Gemäßheit zwar nicht der Verfassung, aber wohl dieses glücklich von den
+Orakelbewahrern aufgefangenen Götterratschlags wurde durch Beschluß des
+Senats der Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius
+Cornelius Merula gewählt und gegen die flüchtigen Häupter die Acht
+ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, daß die
+Zahl der ausgetretenen Männer in Numidien um einige Köpfe sich
+vermehrte.
+
+Ohne Zweifel wäre auch bei der Bewegung nichts weiter herausgekommen,
+wenn nicht teils der Senat in seiner gewöhnlichen Schlaffheit es
+unterlassen hätte, die Flüchtlinge rasch wenigstens zur Räumung
+Italiens zu nötigen, teils diese in der Lage gewesen wären, zu ihren
+Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubürger gewissermaßen
+den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert erschienen sie in
+Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden Neubürgergemeinden Latiums
+und Kampaniens und forderten und erhielten überall zur Durchführung der
+gemeinschaftlichen Sache Geld und Mannschaft. So unterstützt zeigten
+sie sich bei der Belagerungsarmee von Nola. Die Heere dieser Zeit waren
+demokratisch und revolutionär gesinnt, wo immer nicht der Feldherr
+durch seine imponierende Persönlichkeit sie an sich selber fesselte;
+die Reden der flüchtigen Beamten, die überdies zum Teil, wie namentlich
+Cinna und Sertorius, aus den letzten Feldzügen in gutem Andenken bei
+den Soldaten standen, machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige
+Absetzung des popularen Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte
+des souveränen Volkes wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren
+machte das Gold des Konsuls oder vielmehr der Neubürger den
+Verfassungsbruch deutlich. Das kampanische Heer erkannte den Cinna als
+Konsul an und schwor ihm Mann für Mann den Eid der Treue; es ward der
+Kern für die von den Neubürgern und selbst den bundesgenössischen
+Gemeinden herbeiströmenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn
+auch meistens aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die
+Hauptstadt zu. Andere Schwärme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas
+Einladung waren die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der
+etruskischen Küste gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500
+Bewaffnete, größtenteils Sklaven der Flüchtlinge und geworbene
+numidische Reiter; aber Gaius Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem
+hauptstädtischen Gesindel hatte Gemeinschaft machen wollen, ließ jetzt
+die Zwinghäuser erbrechen, in denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre
+Feldarbeiter zur Nachtzeit einschlossen, und die Waffen, die er diesen
+bot, um sich die Freiheit zu erfechten, wurden nicht verschmäht. Durch
+diese Mannschaft und die Zuzüge der Neubürger sowie der von allen
+Seiten mit ihrem Anhang herbeiströmenden landflüchtigen Leute
+verstärkt, zählte er bald 6000 Mann unter seinen Adlern und konnte
+vierzig Schiffe bemannen, die sich vor die Tibermündung legten und auf
+die nach Rom segelnden Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte
+er sich dem “Konsul” Cinna zur Verfügung. Die Führer der kampanischen
+Armee schwankten; die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten
+ernstlich vor der allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch
+seinen Namen an die Spitze der Bewegung geführt werden mußte und doch
+notorisch ebenso jedes staatsmännischen Handelns unfähig wie von
+wahnsinnigem Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese
+Bedenklichkeiten nicht und bestätigte dem Marius den Oberbefehl in
+Etrurien und zur See mit prokonsularischer Gewalt.
+
+So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt zusammen, und es konnte
+nicht länger verschoben werden, zu ihrem Schutz die Regierungstruppen
+heranzuziehen ^1. Aber die Streitkräfte des Metellus wurden in Samnium
+und vor Nola durch die Italiker festgehalten; Strabo allein war
+imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er erschien auch und schlug
+sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner starken und krieggewohnten
+Armee wäre er wohl imstande gewesen, die noch schwachen
+Insurgentenhaufen rasch und völlig zu vernichten; allein dies schien
+nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr ließ er es geschehen, daß
+Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna mit seinem
+Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer dem
+Ianiculum gegenüber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenüber gegen
+den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmählich auf drei
+Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von
+Kriegsschiffen, besetzte einen Küstenplatz nach dem andern, bis zuletzt
+sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum
+Vorspiel der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von
+dem Feldherrn zu Mord und Plünderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt
+schwebte, schon durch die bloße Hemmung des Verkehrs, in großer Gefahr;
+auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in Verteidigungszustand
+gesetzt und das Bürgeraufgebot auf das Ianiculum befehligt. Strabos
+Untätigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen gleichmäßig Befremden
+und Entrüstung. Der Verdacht, daß er mit Cinna insgeheim unterhandle,
+lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegründet; ein ernstliches
+Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und die
+Unterstützung, die er dem Konsul Octavius gewährte, als Marius durch
+Einverständnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das Ianiculum
+eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die Insurgenten
+mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es, daß er nichts
+weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenführern anzuschließen
+oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine Absicht gewesen zu
+sein, der geängsteten hauptstädtischen Regierung und Bürgerschaft
+seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis des Konsulats für
+das nächste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des Regiments selber
+in die Hände zu bekommen. Der Senat war indes nicht geneigt, um dem
+einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme zu werfen, und
+suchte sich anderweitig zu helfen. Den sämtlichen, an dem Aufstand der
+Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die die Waffen
+niedergelegt und infolgedessen ihr altes Bündnis eingebüßt hatten,
+wurde durch Senatsbeschluß nachträglich das Bürgerrecht verliehen 2. Es
+schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen, daß Rom in dem
+Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines großen Zweckes,
+sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt hatte: in der ersten
+augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar tausend Soldaten mehr
+auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was in dem
+Bundesgenossenkrieg um so fürchterlich teuren Preis errungen worden
+war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese
+Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen
+betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als höchstens zehntausend Mann.
+Wichtiger noch wäre es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu einem
+Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlässigen
+Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu können. Allein die
+Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten:
+Rückgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen
+und Überläufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Römern
+entrissene Beute; Bewilligung des Bürgerrechts an die Samniten selbst
+sowie an die zu ihnen übergetretenen Römer. Der Senat verwarf selbst in
+dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch den
+Metellus an, mit Zurücklassung einer kleinen Abteilung alle im
+südlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach
+Rom zu führen. Er gehorchte; aber die Folge war, daß die Samniten den
+gegen sie zurückgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem
+schwachen Haufen angriffen und schlugen, daß die nolanische Besatzung
+ausrückte und die benachbarte, mit Rom verbündete Stadt Abella in Brand
+steckte; daß ferner Cinna und Marius den Samniten alles bewilligten,
+was sie begehrten - was lag ihnen an römischer Ehre! -und samnitischer
+Zuzug die Reihen der Insurgenten verstärkte. Ein empfindlicher Verlust
+war es auch, daß nach einem für die Regierungstruppen unglücklichen
+Gefecht Ariminum von den Insurgenten besetzt und dadurch die wichtige
+Verbindung zwischen Rom und dem Potal, von wo Mannschaft und Zufuhren
+erwartet wurden, unterbrochen ward. Mangel und Hunger stellten sich
+ein. Die große volkreiche, stark mit Truppen besetzte Stadt war nur
+ungenügend mit Vorräten versehen; und namentlich Marius ließ es sich
+angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr und mehr abzuschneiden. Schon
+früher hatte er den Tiber durch eine Schiffbrücke gesperrt; jetzt
+brachte er durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und anderen
+Ortschaften die noch offenen Landverbindungswege in seine Gewalt und
+kühlte zugleich vorläufig seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr
+geleistet worden war, die gesamte Bürgerschaft mit Ausnahme derer, die
+etwa die Stadt ihm verraten hatten, über die Klinge springen ließ.
+Ansteckende Krankheiten waren die Folge der Not und räumten in den
+dicht um die Hauptstadt zusammengedrängten Heermassen fürchterlich auf
+von Strabos Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius
+6000 Mann denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung
+nicht; und ein glückliches Ereignis für sie war Strabos plötzlicher
+Tod. Er starb an der Pest 3; die aus vielen Gründen gegen ihn
+erbitterten Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften
+ihn durch die Straßen. Was von seinen Truppen übrig war, vereinigte der
+Konsul Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus’ Eintreffen und Strabos
+Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens
+gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum
+Kampfe sich stellen. Allein die Gemüter der Regierungssoldaten waren
+tief erschüttert; als Cinna ihnen gegenüber erschien, empfingen sie ihn
+mit Zuruf, als wäre er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand es
+geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die
+Truppen in das Lager zurückzuführen. Die Optimaten selbst wurden
+unsicher und unter sich uneins. Während eine Partei, an ihrer Spitze
+der ehrenwerte, aber störrige und kurzsichtige Konsul Octavius, sich
+beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der
+kriegskundigere und verständigere Metellus einen Vergleich zustande zu
+bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras
+beider Parteien: Cinna hieß dem Marius ein Schwächling, Metellus dem
+Octavius ein Verräter. Die Soldaten, ohnehin verstört und nicht ohne
+Ursache der Führung des unerprobten Octavius mißtrauend, sannen
+Metellus an, den Oberbefehl zu übernehmen, und begannen, da dieser sich
+weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu
+desertieren. Die Stimmung der Bürgerschaft wurde täglich gedrückter und
+schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, daß den überlaufenden
+Sklaven die Freiheit zugesichert sei, strömten dieselben scharenweise
+aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, daß
+der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten würden, die Freiheit
+zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung
+konnte es sich nicht verbergen, daß sie geschlagen war und daß nichts
+übrig blieb, als mit den Führern der Bande womöglich ein Abkommen zu
+treffen, wie der überwältigte Wanderer es trifft mit dem
+Räuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie törichterweise
+Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna während
+dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so griff
+das Überlaufen so sehr um sich, daß es nicht mehr möglich war,
+irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach
+dem in die Acht erklärten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte
+hinzufügte, des Blutvergießens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu,
+aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius,
+ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem
+Schweigen.
+
+——————————————————
+
+^1 Die ganze folgende Darstellung beruht wesentlich auf dem neu
+aufgefundenen Bericht des Licinianus, der eine Anzahl früher
+unbekannter Tatsachen mitteilt und vor allem die Folge und Verknüpfung
+dieser Vorgänge deutlicher, als bisher möglich war, erkennen läßt.
+
+2 3, 258. Daß eine Bestätigung durch die Komitien nicht stattfand, geht
+aus Cic. Phil. 12, 11, 27 hervor. Der Senat scheint sich der Form
+bedient zu haben, die Frist des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach
+zu verlängern, was ihm nach Herkommen freistand und tatsächlich
+hinauslief auf Erteilung des Bürgerrechts an alle Italiker.
+
+3 Adflatus sidere wie Livius (nach Obsequens 56) sagt, heißt “von der
+Pest ergriffen” (Petr. 2; Plin. nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht
+“vom Blitz getroffen”, wie die Späteren es mißverstanden haben.
+
+————————————————————————-
+
+Die Tore der Hauptstadt öffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen
+Legionen; aber Marius, spöttisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte
+sich, die Stadt zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und
+eilig versammelten sich die Bürger auf dem Markt, um den kassierenden
+Beschluß zu fassen. So kam er denn und mit ihm die
+Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, nicht einzelne Opfer
+auszuwählen, sondern die namhaften Männer der Optimatenpartei sämtlich
+niedermachen zu lassen und ihre Güter einzuziehen. Die Tore wurden
+gesperrt; fünf Tage und fünf Nächte währte unausgesetzt die
+Schlächterei; einzelne Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher
+noch täglich erschlagen und monatelang ging die Blutjagd durch ganz
+Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das erste Opfer. Seinem oft
+ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den Tod zu leiden als den
+rechtlosen Leuten das geringste Zugeständnis zu machen, weigerte er
+auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen Schmuck harrte er auf
+dem Ianiculum des Mörders, der nicht lange säumte. Es starben Lucius
+Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder
+Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den Sulpicischen Tumult
+heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und Dichter und als
+liebenswürdiger Gesellschafter; Marcus Antonius (Konsul 665 99), nach
+dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner
+Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im Spanischen und im
+Bundesgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit
+Auszeichnung kommandiert hatte: überhaupt eine Menge der angesehensten
+Männer der Regierungspartei, unter denen von den gierigen Häschern
+namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden. Jammervoll
+vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider seinen
+Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich
+angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen
+Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern öffnete und am Altar des
+Höchsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der
+priesterlichen Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden
+Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod
+des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem
+herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte desselben Marius, der jetzt
+für die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort
+hatte als den einsilbigen Bescheid: “Er muß sterben!” Der Urheber all
+dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die
+Henker - nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine
+Rechtsform beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das
+Stillschweigen, womit er die Begrüßenden empfing, das Todesurteil, das
+stets sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte
+seine Rache nicht; er verbot, die Leichen zu bestatten; er ließ - worin
+freilich Sulla ihm vorangegangen war - die Köpfe der getöteten
+Senatoren an die Rednerbühne auf dem Marktplatz heften; einzelne
+Leichen ließ er über den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der
+Grabstätte des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius
+noch einmal durchbohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der ihm,
+während er bei Tafel saß, den Kopf des Antonius überreichte, den selber
+in seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum
+hatte abgehalten werden können. Hauptsächlich seine Sklavenlegionen,
+namentlich eine Abteilung Ardyäer, dienten ihm als Schergen und
+versäumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die Häuser
+ihrer ehemaligen Herren zu plündern und was ihnen darin vorkam, zu
+schänden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung
+über dieses wahnsinnige Wüten; Sertorius beschwor den Konsul, demselben
+um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken. Aber in
+Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; man
+stürzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es war
+nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu
+fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er wählte den Marius
+vielmehr für das nächste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das
+Schreckensregiment terrorisierte die gemäßigteren Sieger nicht viel
+weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht
+unzufrieden damit, daß eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen
+Oligarchen einmal gründlich zu demütigen, und zugleich infolge der
+umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute
+an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich
+den Beinamen der “Einsäckler”.
+
+Dem Urheber dieses Terrorismus, dem alten Gaius Marius, hatte also das
+Verhängnis seine beiden höchsten Wünsche gewährt. Er hatte Rache
+genommen an der ganzen vornehmen Meute, die ihm seine Siege vergällt,
+seine Niederlagen vergiftet hatte; er hatte jeden Nadelstich mit einem
+Dolchstich vergelten können. Er trat ferner das neue Jahr noch einmal
+an als Konsul; das Traumbild des siebenten Konsulates, das der
+Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er seit dreizehn Jahren
+gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er wünschte, hatten die
+Götter ihm gewährt; aber auch jetzt noch, wie in der alten Sagenzeit,
+übten sie die verhängnisvolle Ironie, den Menschen zu verderben durch
+die Erfüllung seiner Wünsche. In seinen ersten Konsulaten der Stolz, im
+sechsten das Gespött seiner Mitbürger, stand er jetzt im siebenten
+belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit dem Haß der ganzen Nation;
+er, der von Haus aus rechtliche, tüchtige, kernbrave Mann, gebrandmarkt
+als das wahnwitzige Oberhaupt einer ruchlosen Räuberbande. Er selbst
+schien es zu fühlen. Wie im Taumel vergingen ihm die Tage, und des
+Nachts versagte ihm seine Lagerstatt die Ruhe, so daß er zum Becher
+griff, um nur sich zu betäuben. Ein hitziges Fieber ergriff ihn; nach
+siebentägigem Krankenlager, in dessen wilden Phantasien er auf den
+kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla
+bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er eine Leiche. Er starb, über
+siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen, was er Macht und Ehre nannte,
+und in seinem Bette; aber die Nemesis ist mannigfaltig und sühnt nicht
+immer Blut mit Blut. Oder war es etwa keine Vergeltung, daß Rom und
+Italien bei der Nachricht von dem Tode des gefeierten Volkserretters
+jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde von der Schlacht auf dem
+Raudischen Feld?
+
+Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne Auftritte vor, die an die
+Schreckenszeit erinnerten; so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der
+wie kein anderer bei den Marianischen Schlächtereien seine Hand in Blut
+getaucht hatte, bei dem Leichenbegängnis des Marius selbst einen
+Versuch, den allgemein verehrten und selbst von Marius verschonten
+Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte
+dann, als derselbe von der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an,
+wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich ausdrückte, daß er sich
+nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des Mordens waren
+doch vorüber. Unter dem Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die
+Marianischen Banditen zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlässigen
+keltischen Truppen und ließ sie, nach den geringsten Angaben 4000 an
+der Zahl, sämtlich niederhauen.
+
+Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis gekommen. Cinna
+stand nicht bloß vier Jahre nacheinander (667-670 87-84) als Konsul an
+der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch regelmäßig sich und
+seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es war, als ob diese
+Demokraten die souveräne Volksversammlung mit absichtlicher
+Geringschätzung beiseite schöben. Kein anderes Haupt der Popularpartei
+vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt in Italien wie
+in dem größten Teil der Provinzen so lange Zeit hindurch fast ungestört
+besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu nennen, dessen Regiment
+so vollkommen nichtig und ziellos gewesen wäre. Man nahm natürlich das
+von Sulpicius und später von Cinna selbst beantragte, den Neubürgern
+und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht mit den Altbürgern
+zusichernde Gesetz wieder auf und ließ dasselbe durch einen
+Senatsbeschluß förmlich als zu Recht bestehend bestätigen (670 84). Man
+ernannte Zensoren (668 86), um demgemäß sämtliche Italiker in die
+fünfunddreißig Bürgerbezirke zu verteilen - eine seltsame Fügung dabei
+war es, daß infolge des Mangels von fähigen Kandidaten zur Zensur
+derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91) hauptsächlich den Plan des
+Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu verleihen, hatte scheitern
+machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als Zensor in die Bürgerrollen
+einzuschreiben. Man stieß natürlich die von Sulla im Jahre 666 (88)
+begründeten reaktionären Institutionen um. Man tat einiges, um dem
+Proletariat sich gefällig zu erweisen - so wurden wahrscheinlich die
+vor einigen Jahren eingeführten Beschränkungen der Getreideverteilung
+jetzt wiederum beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns
+Marcus Iunius Brutus die von Gaius Gracchus beabsichtigte
+Koloniegründung in Capua im Frühjahr 671 (83) in der Tat ins Werk
+gesetzt; so veranlaßte Lucius Valerius Flaccus der Jüngere ein
+Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten Teil ihres
+Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der Schuldner
+kassierte. Diese Maßregeln aber, die einzigen konstitutiven während des
+ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme vom Augenblick
+diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das Entsetzlichste bei
+dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein verkehrter,
+sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste den Pöbel
+und verletzte ihn zugleich in höchst unnötiger Weise durch zwecklose
+Mißachtung der verfassungsmäßigen Wahlordnung. Man konnte an der
+Kapitalistenpartei einen Halt finden und schädigte sie aufs
+empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stütze des
+Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubürger; man ließ
+sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame
+Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt römische
+Bürger waren, aber offenbar tatsächlich ihre landschaftliche
+Unabhängigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes
+betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen
+blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber
+nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung
+zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so daß
+dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus den
+Sturz der Oligarchie nicht verstanden, daß der neue Herr sich auf
+seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten könne, wie es legitime
+Nullkönige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen,
+sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, daß er
+blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespült hatte, bis eine
+zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen?
+
+Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der vollständigsten
+Impotenz und Inkapazität der Machthaber zeigte die Kriegführung der
+revolutionären Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch
+zunächst ihre Existenz hing. In Italien gebot sie unumschränkt. Unter
+den Altbürgern war ein sehr großer Teil grundsätzlich demokratisch
+gesinnt; die noch größere Masse der ruhigen Leute mißbilligte zwar die
+Marianischen Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration
+nichts als die Eröffnung eines zweiten Schreckensregiments der
+entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87)
+auf die Nation insgesamt war verhältnismäßig gering gewesen, da sie
+vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie betroffen hatten,
+und ward überdies einigermaßen ausgelöscht durch das darauffolgende
+dreijährige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubürger
+endlich, vielleicht drei Fünftel der Italiker, stand entschieden wo
+nicht für die gegenwärtige Regierung, doch gegen die Oligarchie.
+
+Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien,
+Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus
+Metellus, der den Mördern glücklich entkommen war, einen Versuch, diese
+Provinz für die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien
+Marcus Crassus, der jüngste Sohn des in dem Marianischen Blutbad
+umgekommenen Publius Crassus, und verstärkte ihn durch einen in Spanien
+zusammengebrachten Haufen. Allein sie mußten, da sie sich untereinander
+entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Regierung, Gaius Fabius
+Hadrianus, weichen. Asien war in den Händen Mithradats; somit blieb als
+einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz Makedonien,
+soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin
+und Kinder, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige
+entkommene Senatoren, so daß bald in seinem Hauptquartier eine Art von
+Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen Prokonsul ließ
+es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die Komitien seines
+Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Würden entsetzt und geächtet,
+wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, Appius Claudius und
+andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein Haus in Rom wurde
+geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indes damit freilich war die
+Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius länger gelebt, so wäre er ohne
+Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch auf seinem
+Todbette die Fieberbilder ihn führten; welche Maßregeln nach seinem
+Tode die Regierung ergriff, ward schon erzählt. Lucius Valerius Flaccus
+der jüngere 4, der nach Marius’ Tode das Konsulat und das Kommando im
+Osten übernahm (668 86), war weder Soldat noch Offizier, sein Begleiter
+Gaius Fimbria nicht unfähig, aber unbotmäßig, das ihnen mitgegebene
+Heer schon der Zahl nach dreifach schwächer als die Sullanische Armee.
+Man vernahm nacheinander, daß Flaccus, um nicht von Sulla erdrückt zu
+werden, an ihm vorüber nach Asien abgezogen sei (668 86), daß Fimbria
+ihn beseitigt und sich selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669
+85), daß Sulla Frieden geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84).
+Bis dahin hatte Sulla den in der Hauptstadt regierenden Behörden
+gegenüber geschwiegen; jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat
+ein, worin er die Beendigung des Krieges berichtete und seine Rückkehr
+nach Italien ankündigte; die den Neubürgern erteilten Rechte werde er
+achten; Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie würden
+nicht die Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankündigung
+schreckte Cinna aus seiner Untätigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen
+Sulla getan hatte, als daß einige Mannschaft unter die Waffen gestellt
+und eine Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so
+beschloß er jetzt, schleunigst nach Griechenland überzugehen. Aber
+andererseits weckte Sullas Schreiben, das den Umständen nach äußerst
+gemäßigt zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine
+friedliche Ausgleichung. Die Majorität des Senats beschloß nach dem
+Vorschlag des älteren Flaccus, einen Sühneversuch einzuleiten und zu
+dem Ende Sulla aufzufordern, sich unter Verbürgung sicheren Geleits in
+Italien einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen,
+bis zum Eingang von Sullas Antwort die Rüstungen einzustellen. Sulla
+wies die Vorschläge nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natürlich
+nicht selbst, aber ließ durch Boten erklären, daß er nichts fordere als
+Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche
+Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit übrigens nicht
+geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine
+Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich verändert.
+Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluß sich weiter zu bekümmern,
+sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die
+Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der bösen
+Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon
+schwierigen Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor,
+deren Opfer Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich
+genötigt sah, die schon übergegangenen Abteilungen zurückzuführen und,
+auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend,
+Winterquartiere in Ariminum zu beziehen. Sullas Anträge aber fanden
+darum keine bessere Aufnahme: der Senat wies seine Vorschläge zurück,
+ohne auch nur die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die
+Waffen niederzulegen. Es war nicht zunächst die Koterie der Marianer,
+welche dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt,
+mußte diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des höchsten Amtes
+abgeben und für das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen
+veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den
+bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere der bis
+dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den
+Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitäten,
+von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand,
+und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser
+als politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die
+Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer
+Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so
+wollte sie in ihrer großen Majorität noch viel weniger von Sulla und
+einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an
+Abwehr. Während Sulla nach Asien überging, das Heer des Fimbria zum
+Übertritt bestimmte und dessen Führer durch seine eigene Hand fiel,
+benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr
+gegönnte weitere Jahresfrist zu energischen Rüstungen: es sollen bei
+Sullas Landung 100000, später sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten
+gegen ihn gestanden haben.
+
+—————————————————————-
+
+4 Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen,
+ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger
+jüngerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das
+die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81)
+rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, daß
+dasselbe, war für Scipio Aemilianus und Marius, auch für Flaccus
+geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus
+genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es
+notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius
+Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als
+Konsulat in Rom tätig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668
+(86) sein, da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und
+wahrscheinlich schon tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97),
+ist derjenige, den Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom
+anwesenden Konsulaten nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der älteste
+lebende Altzensor und also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch
+der Zwischenkönig und der Reiterführer von 672 (82). Dagegen ist der
+Konsul 668 (86), der in Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero
+verteidigten Lucius Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77).
+
+——————————————————————-
+
+Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu
+legen als seine fünf Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in
+Makedonien und im Peloponnes aufgebotener Zuzüge, kaum auf 40000 Mann
+sich belaufen mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjährigen
+Kämpfen in Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich
+entwöhnt und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles,
+Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah,
+nichts verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und für
+den Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit
+allem jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als
+dabei die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben
+Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach römischer Sitte die
+Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, und
+freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als
+Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene
+Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte
+doch Sulla sehr wohl, daß Italien nicht mit fünf Legionen bezwungen
+werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig
+zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfähigen Autokraten
+fertig zu werden, wäre nicht schwierig gewesen; aber er sah sich
+gegenüber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine
+oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die
+gesamte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische
+Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten
+lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an
+den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla übersah vollkommen die
+Lage der Verhältnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung
+und der eigensinnigen Starrheit, die die Majorität seiner Partei
+charakterisierten. Während das Staatsgebäude in vollen Flammen stand,
+während man seine Freunde ermordete, seine Häuser zerstörte, seine
+Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben,
+bis der Landesfeind überwältigt und die römische Grenze gesichert war.
+In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Mäßigung behandelte
+er auch jetzt die italischen Verhältnisse und tat, was er irgend tun
+konnte, um die Gemäßigten und die Neubürger zu beruhigen und um zu
+verhindern, daß nicht unter dem Namen des Bürgerkrieges der weit
+gefährlichere Krieg zwischen den Altrömern und den italischen
+Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das
+Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit
+gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdrücklich zurückgewiesen; im
+Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der
+revolutionären Regierung sich lossagen würden, unbedingte Begnadigung
+in Aussicht und veranlaßte seine Soldaten, Mann für Mann, zu schwören,
+daß sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbürgern begegnen
+würden. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern die von
+ihnen erworbenen politischen Rechte; so daß Carbo deshalb von jeder
+italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was indes
+an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats
+scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat
+darin, daß bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubürger
+allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persönlichen Absichten, doch
+daran zu zweifeln, ob er es vermögen werde, seine Partei zum Worthalten
+nach dem Siege zu bestimmen.
+
+Im Frühling 671 (83) landete Sulla mit seinen Legionen in dem Hafen von
+Brundisium. Der Senat erklärte auf die Nachricht davon das Vaterland in
+Gefahr und übertrug den Konsuln unbeschränkte Vollmacht; aber diese
+unfähigen Leiter hatten sich nicht vorgesehen und waren durch die seit
+Jahren in Aussicht stehende Landung dennoch überrascht. Das Heer befand
+sich noch in Ariminum, die Häfen waren unbesetzt und überhaupt
+unglaublicherweise in dem ganzen südöstlichen Litoral kein Mann unter
+den Waffen. Die Folgen zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst,
+eine ansehnliche Neubürgergemeinde, öffnete ohne Widerstand dem
+oligarchischen General die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz
+Messapien und Apulien. Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie
+durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk, durchgängig die
+strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten die versprengten Reste
+der Optimatenpartei in das Lager Sullas. Aus den Bergschluchten
+Liguriens, wohin er von Afrika sich gerettet hatte, kam Quintus
+Metellus und übernahm wieder, als Kollege Sullas, das im Jahr 667 (87)
+ihm übertragene und von der Revolution ihm aberkannte prokonsularische
+Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit einer kleinen Schar
+Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten freilich kamen als
+vornehme Emigranten mit großen Ansprüchen und geringer Kampflust, so
+daß sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die
+adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten retten lassen und
+nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven zu bewaffnen.
+Wichtiger war es, daß schon Überläufer aus dem demokratischen Lager
+sich einstellten - so der feine und angesehene Lucius Philippus, nebst
+ein paar notorisch unfähigen Leuten der einzige Konsular, der mit der
+revolutionären Regierung sich eingelassen und unter ihr Ämter
+angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste Aufnahme und
+erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz Sardinien für
+ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia und andere
+brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschäftigt; selbst Publius
+Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von Sulla geächteten
+Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung im Heer. Wichtiger noch
+als die einzelnen Übertritte war der der Landschaft Picenum, der
+wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen Gnaeus Pompeius, verdankt
+ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus aus kein Anhänger der
+Oligarchie, hatte die revolutionäre Regierung anerkannt und sogar in
+Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward ihm nicht vergessen, daß
+sein Vater die Waffen gegen die Revolution getragen hatte; er sah sich
+vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage auf Herausgabe der nach
+der Einnahme von Asculum von seinem Vater wirklich oder angeblich
+unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines sehr beträchtlichen
+Vermögens bedroht. Zwar wendete mehr als die Beredsamkeit des Konsulars
+Lucius Philippus und des jungen Quintus Hortensius der Schutz des ihm
+persönlich gewogenen Konsuls Carbo den ökonomischen Ruin von ihm ab;
+aber die Verstimmung blieb. Auf die Nachricht von Sullas Landung ging
+er nach Picenum, wo er ausgedehnte Besitzungen und von seinem Vater und
+dem Bundesgenossenkriege her die besten munizipalen Verbindungen hatte
+und pflanzte in Auximum (Osimo) die Fahne der optimatischen Partei auf.
+Die meistens von Altbürgern bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge
+Mannschaft, welche großenteils mit ihm unter seinem Vater gedient
+hatte, stellte sich bereitwillig unter den beherzten Führer, der, noch
+nicht dreiundzwanzigjährig, ebensosehr Soldat wie General war, im
+Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tüchtig mit in den Feind
+einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen;
+den aus der Hauptstadt zur Dämpfung der picenischen Insurrektion
+ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius
+Brutus Damasippus 5 wußte der improvisierte Feldherr, die unter
+denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu
+entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas,
+wie es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begrüßte
+ihn als Imperator, das heißt als einen im eigenen Namen kommandierenden
+und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete
+den Jüngling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner
+vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, der
+charakterlosen Schwäche seiner eigenen Parteigenossen damit eine
+indirekte Züchtigung zukommen zu lassen.
+
+——————————————————————-
+
+5 Nur an diesen kann hier gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater
+des sogenannten Befreiers, im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht
+im Felde kommandieren konnte.
+
+——————————————————————-
+
+Also moralisch und materiell ansehnlich verstärkt gelangten Sulla und
+Metellus nach Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen
+Gegenden nach Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche
+Hauptmacht, und es schien die Entscheidung hier fallen zu müssen. Das
+Heer des Konsuls Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die
+neue Kolonie mit allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die
+zweite Konsulararmee rückte ebenfalls auf der Appischen Straße heran.
+Aber bevor sie eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenüber. Ein
+letzter Vermittlungsversuch, den Sulla machte, führte nur dazu, daß man
+an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine
+kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoß vom
+Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im
+ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die
+revolutionäre Kolonie Capua und die Neubürgerstadt Neapolis und ließ
+dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre
+schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch
+diesen Sieg das Vollgefühl militärischer Überlegenheit gewonnen; statt
+mit der Belagerung der Trümmer der geschlagenen Armee sich aufzuhalten,
+ließ Sulla die Städte umstellen, wo sie sich befanden, und rückte auf
+der Appischen Straße vor gegen Teanum, wo Scipio stand. Auch ihm bot
+er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; es scheint
+in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; ein
+Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen die
+beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, beide
+gebildet und feingesittet und langjährige Kollegen im Senat, persönlich
+zusammen; man ließ sich auf die einzelnen Fragen ein; schon war man so
+weit, daß Scipio einen Boten nach Capua absandte, um die Meinung seines
+Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die Soldaten beider
+Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit Geld versehen,
+machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim Becher leicht
+begreiflich, daß es besser sei, sie zu Kameraden als zu Feinden zu
+haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem gefährlichen
+Verkehr ein Ende zu machen. Die Verständigung, die so nahe geschienen,
+trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den Waffenstillstand
+kündigte. Aber Sulla behauptete, daß es zu spät und der Vertrag bereits
+abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand, daß ihr Feldherr den
+Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen Scipios Soldaten in
+Masse über in die feindlichen Reihen. Die Szene schloß mit einer
+allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden Offiziere der
+Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla ließ den Konsul auffordern,
+sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem Stab durch
+seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein kaum in
+Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Würde wieder an und
+begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes weiter etwas von
+Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen Winterquartiere in
+Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch, mit Norbanus sich
+zu verständigen, gescheitert war, Capua den Winter über blockiert.
+
+Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Unterwerfung von
+Apulien, Picenum und Kampanien, die Auflösung der einen, die Besiegung
+und Blockierung der anderen konsularischen Armee. Schon traten die
+italischen Gemeinden, genötigt, zwischen ihren zwiefachen Drängern jede
+für sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und
+ließen sich die von der Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch
+förmliche Separatverträge von dem Feldherrn der Oligarchie garantieren;
+Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug sie absichtlich zur Schau,
+die revolutionäre Regierung in dem nächsten Feldzug niederzuwerfen und
+wieder in Rom einzuziehen.
+
+Aber auch der Revolution schien die Verzweiflung neue Kräfte zu geben.
+Das Konsulat übernahmen zwei ihrer entschiedensten Führer, Carbo zum
+dritten Male und Gaius Marius der Sohn; daß der letztere eben
+zwanzigjährige Mann gesetzmäßig das Konsulat nicht bekleiden konnte,
+achtete man so wenig wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus
+Sertorius, der in dieser und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme
+Kritik machte, wurde angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach
+Etrurien und von da in seine Provinz, das Diesseitige Spanien,
+abzugehen. Die Kasse zu füllen, mußte der Senat die Einschmelzung des
+goldenen und silbernen Tempelgeräts der Hauptstadt verfügen; wie
+bedeutend der Ertrag war, erhellt daraus, daß nach mehrmonatlicher
+Kriegführung davon noch über 4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und
+6000 Pfund Silber) vorrätig waren. In dem beträchtlichen Teile
+Italiens, der gezwungen oder freiwillig noch zu der Revolution hielt,
+wurden die Rüstungen lebhaft betrieben. Aus Etrurien, wo die
+Neubürgergemeinden sehr zahlreich waren, und dem Pogebiet kamen
+ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf den Ruf des Sohnes stellten
+die Marianischen Veteranen in großer Anzahl sich bei den Fahnen ein.
+Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so leidenschaftlich gerüstet
+wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen Strichen von Lucanien. Es
+war nichts weniger als Ergebenheit gegen die revolutionäre römische
+Regierung, daß zahlreicher Zuzug aus den oskischen Gegenden ihre Heere
+verstärkte; wohl aber begriff man daselbst, daß eine von Sulla
+restaurierte Oligarchie sich die jetzt faktisch bestehende
+Selbständigkeit dieser Landschaften nicht so gefallen lassen werde wie
+die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum erwachte in dem Kampf
+gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalität der Sabeller gegen die
+Latiner. Für Samnium und Latium war dieser Krieg so gut ein
+Nationalkampf wie die Kriege des fünften Jahrhunderts; man stritt nicht
+um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um den lange
+verhaltenen Haß durch Vernichtung des Gegners zu sättigen. Es war darum
+kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz anderen Charakter
+trug als die übrigen Kämpfe, wenn hier keine Verständigung versucht,
+kein Quartier gegeben oder genommen, die Verfolgung bis aufs äußerste
+fortgesetzt ward.
+
+So trat man den Feldzug des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstärkten
+Streitkräften und gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die
+Revolution warf die Scheide weg; auf Carbos Antrag ächteten die
+römischen Komitien alle in Sullas Lager befindlichen Senatoren. Sulla
+schwieg; er mochte denken, daß man im voraus sich selber das Urteil
+spreche.
+
+Die Armee der Optimaten teilte sich. Der Prokonsul Metellus übernahm
+es, gestützt auf die picenische Insurrektion, nach Oberitalien
+vorzudringen, während Sulla von Kampanien aus geradeswegs gegen die
+Hauptstadt marschierte. Jenem warf Carbo sich entgegen; der feindlichen
+Hauptarmee wollte Marius in Latium begegnen. Auf der Launischen Straße
+heranrückend, traf Sulla unweit Signia auf den Feind, der vor ihm
+zurückwich bis nach dem sogenannten “Hafen des Sacer” zwischen Signia
+und dem Hauptwaffenplatz der Marianen dem festen Praeneste. Hier
+stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer war etwa 40000 Mann stark
+und er an wildem Grimme und persönlicher Tapferkeit seines Vaters
+rechter Sohn; aber es waren nicht die wohlgeübten Scharen, mit denen
+dieser seine Schlachten geschlagen hatte, und noch minder durfte der
+unerfahrene junge Mann mit dem alten Kriegsmeister sich vergleichen.
+Bald wichen seine Truppen; der Übertritt einer Abteilung noch während
+des Gefechts beschleunigte die Niederlage. Über die Hälfte der Marianer
+waren tot oder gefangen; der Überrest, weder imstande, das Feld zu
+halten, noch, das andere Ufer des Tiber zu gewinnen, genötigt, in den
+benachbarten Festungen Schutz zu suchen; die Hauptstadt, die zu
+verproviantieren man versäumt hatte, unrettbar verloren. Infolgedessen
+gab Marius dem daselbst befehligten Prätor Lucius Brutus Damasippus den
+Befehl, sie zu räumen, vorher aber alle bisher noch verschonten
+angesehenen Männer der Gegenpartei niederzumachen. Der Auftrag, durch
+den der Sohn die Ächtungen des Vaters noch überbot, ward vollzogen;
+Damasippus berief unter einem Vorwand den Senat, und die bezeichneten
+Männer wurden teils in der Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem
+Rathaus niedergestoßen. Trotz der vorhergegangenen gründlichen
+Aufräumung fanden sich doch noch einzelne namhaftere Opfer: so der
+gewesene Ädil Publius Antistius, der Schwiegervater des Gnaeus
+Pompeius, und der gewesene Prätor Gaius Carbo, der Sohn des bekannten
+Freundes und nachherigen Gegners der Gracchen, nach dem Tode so vieler
+ausgezeichneter Talente die beiden besten Gerichtsredner auf dem
+verödeten Markt; der Konsular Lucius Domitius und vor allem der
+ehrwürdige Oberpriester Quintus Scaevola, der dem Dolch des Fimbria nur
+entgangen war, um jetzt während der letzten Krämpfe der Revolution in
+der Halle des seiner Obhut anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit
+stummem Entsetzen sah die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des
+Terrorismus durch die Straßen schleifen und sie in den Fluß werfen.
+
+Marius’ aufgelöste Haufen warfen sich in die nahen und festen
+Neubürgerstädte Norba und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem
+größten Teil der Flüchtlinge in die letztere. Sulla ließ, ebenwie das
+Jahr zuvor vor Capua, vor Praeneste einen tüchtigen Offizier, den
+Quintus Ofelia, zurück, mit dem Auftrag, seine Kräfte nicht an die
+Belagerung der festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten
+Blockadelinie einzuschließen und sie auszuhungern; er selbst rückte von
+verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze
+Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum
+nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen und
+die nötigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach
+Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien
+zu vertreiben.
+
+Metellus war inzwischen am Fluß Aesis (Esino zwischen Ancona und
+Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen Provinz
+schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestoßen und hatte diesen
+geschlagen; als Carbo selbst mit seiner überlegenen Armee herbeikam,
+hatte er das weitere Vordringen aufgeben müssen. Allein auf die
+Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine
+Kommunikationen besorgt, zurückgegangen bis auf die Flaminische
+Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen
+und von dort teils die Pässe des Apennin, teils das Potal zu behaupten.
+Bei dieser rückgängigen Bewegung gerieten nicht bloß verschiedene
+Abteilungen dem Feinde in die Hände, sondern ward auch von Pompeius
+Sena gallica erstürmt und Carbos Nachhut in einem glänzenden
+Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck.
+Der Konsulat Norbanus übernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst
+begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen
+Legionen nach Etrurien änderte die Lage der Dinge: bald reichten von
+Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Hände.
+Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und
+schnitt bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal,
+in das auf der großen Straße nach Placentia er eine Abteilung vorgehen
+ließ unter Marcus Lucullus, dem Quästor Sullas und dem Bruder seines
+Flottenführers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein
+Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen auf
+Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Straße bei
+Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die
+Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht,
+aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum
+Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rückte von Rom aus in zwei
+Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Küste vorgehend
+bei Saturnia (zwischen den Flüssen Ombrone und Albegna) das ihm
+entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Führung
+im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glückliches Gefecht
+mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die
+zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward,
+endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten
+Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der
+Umgegend von Rom schienen die Dinge für die revolutionäre Partei sich
+günstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsächlich nach dieser
+Gegend ziehen zu wollen. Denn während die oligarchische Partei alle
+ihre Kräfte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller
+Orten die äußerste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu
+sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte
+sich dazu auf; es scheint indes nicht, daß er nach Praeneste gelangte.
+Ebensowenig glückte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen
+Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen
+Truppen überfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr
+und Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurück, ein anderer
+nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus
+Süditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die
+Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne daß
+der Abmarsch ihnen gewehrt worden wäre, zogen im Kampanien, wo Capua
+noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich
+und rückten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla
+selbst kehrte darauf, mit Zurücklassung eines Korps gegen Carbo, nach
+Latium zurück und nahm in den Engpässen vorwärts Praeneste 6 eine
+wohlgewählte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte.
+Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen,
+vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten
+unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo
+gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstärkt hatte.
+Während aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte,
+kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der
+Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn
+des Metellus, Marcus Lucullus, mit überlegener Macht angegriffen und
+ihn genötigt, sich in Placentia einzuschließen, endlich sich gegen
+Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am
+späten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermüdeten Truppen sofort an;
+die Folge war eine vollständige Niederlage und die totale Auflösung
+seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurückkamen. Auf
+die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und
+schlug die gegen ihn zurückgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen
+Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in
+Masse über; ihr Führer machte seine anfängliche Zögerung wieder gut,
+indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionären Armee zu einem
+Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen ließ; überhaupt
+schloß, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen
+Vorräten und Kassen geriet in Metellus’ Gewalt; Norbanus schiffte nach
+Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte
+das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten Truppen konnten
+sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die
+Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese
+Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer
+ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er
+dennoch heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich
+ein. Die im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit
+dem der Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils
+wurden sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas
+zusammen und führte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier
+hatte inzwischen nichts sich verändert; und die letzte Entscheidung
+nahte heran. Carrinas’ Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas
+Stellung zu erschüttern; schon näherte sich der Vortrab der bisher in
+Etrurien beschäftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius;
+in wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der
+Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Führer desselben, von
+Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken
+Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit
+verloren; ihre Rückzugslinie, die Latinische Straße, geriet durch
+diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemächtigten,
+so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs
+geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit
+überlegene Armeen, darin unfehlbar erdrückt. Aber es handelte sich auch
+nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach Rom,
+dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und vor
+allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius
+von Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit
+geraubt hätten, loszuwerden, müsse man den Wald vernichten, in dem sie
+hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt als am 1.
+November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas, Damasippus auf der
+Latinischen Straße gegen Rom herangezogen, etwa eine Viertelmeile vom
+Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der 20. Juli 365 der
+Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der Kelten und der
+Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich gegen Rom ein
+törichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in der Hauptstadt konnte
+es den Anrückenden nicht fehlen. Die Freiwilligenschar, die aus der
+Stadt ausrückte, meist vornehme Jünglinge, zerstob wie Spreu vor der
+ungeheuren Übermacht. Die einzige Hoffnung der Rettung beruhte auf
+Sulla. Dieser war, auf die Nachricht vom Abmarsch des samnitischen
+Heeres in der Richtung auf Rom, gleichfalls eiligst aufgebrochen der
+Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden Mut der Bürgerschaft belebte im
+Laufe des Morgens das Erscheinen seiner ersten Reiter unter Balbus; am
+Mittag erschien er selbst mit der Hauptmacht und ordnete sofort am
+Tempel der Erykinischen Aphrodite vor dem Collinischen Tor (unweit
+Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine Unterbefehlshaber beschworen
+ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch erschöpften Truppen sofort in den
+Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, was die Nacht über Rom bringen
+könne, und befahl noch am späten Nachmittag den Angriff. Die Schlacht
+war hart bestritten und blutig. Der linke Flügel Sullas, den er selbst
+anführte, wich zurück bis an die Stadtmauer, so daß es notwendig ward,
+die Stadttore zu schließen; schon brachten Versprengte die Nachricht an
+Ofelia, daß die Schlacht verloren sei. Allein auf den rechten Flügel
+warf Marcus Crassus den Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch
+auch der andere Flügel wider Luft bekam und eine Stunde nach
+Sonnenuntergang seinerseits ebenfalls zum Vorrücken überging. Die ganze
+Nacht und noch den folgenden Morgen ward gefochten; erst der Übertritt
+einer Abteilung von 3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die früheren
+Kameraden wandten, setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die
+Insurgentenarmee, für die es nirgends einen Rückzug gab, wurde
+vollständig aufgerieben. Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000
+bis 4000 an der Zahl, darunter die Generale Damasippus, Carrinas und
+den schwer verwundeten Pontius, ließ Sulla am dritten Tage nach der
+Schlacht in das städtische Meierhaus auf dem Marsfeld führen und
+daselbst bis auf den letzten Mann niederhauen, so daß man in dem nahen
+Tempel der Bellona, wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich
+das Klirren der Waffen und das Stöhnen der Sterbenden vernahm. Es war
+eine gräßliche Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber
+es ist nicht gerecht zu verschweigen, daß diese selben Menschen, die
+dort starben, wie eine Räuberbande über die Hauptstadt und die
+Bürgerschaft hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden hätten,
+so weit vernichtet haben würden, als Feuer und Schwert eine Stadt und
+eine Bürgerschaft zu vernichten vermögen.
+
+—————————————————————————-
+
+6 Es wird gemeldet, daß Sulla in dem Engpaß stand, durch den Praeneste
+allein zugänglich war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen,
+daß sowohl ihm als dem Entsatzheer die Straße nach Rom offenstand. Ohne
+Zweifel stand Sulla auf der Querstraße, die von der Latinischen, auf
+der sie Samniten herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in
+diesem Fall kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde
+auf der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt.
+
+————————————————————————-
+
+Damit war der Krieg in der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von
+Praeneste ergab sich, als die aus den über die Mauer geworfenen Köpfen
+des Carrinas und anderer Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom
+erfuhr. Die Führer, der Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius,
+stürzten, nachdem ein Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich
+einer in des andern Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und
+ward durch Cethegus darin bestärkt, daß der Sieger für sie auch jetzt
+noch Gnade walten lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je
+unbedingter Sulla bis zum letzten Augenblick den Übertretenden volle
+Verzeihung gewährt hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die
+Führer und Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den
+praenestinischen Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar außer den
+Kindern und Frauen die meisten Römer und einzelne Pränestiner
+entlassen, aber die römischen Senatoren, fast alle Pränestiner und
+sämtliche Samniten wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche
+Stadt geplündert. Es ist begreiflich, daß nach solchem Vorgang die noch
+nicht übergegangenen Neubürgerstädte den Widerstand in hartnäckigster
+Weise fortsetzten. So töteten in der latinischen Stadt Norba, als
+Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Bürger sich
+untereinander und zündeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern
+die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits
+früher Neapolis erstürmt und, wie es scheint, Capua freiwillig
+aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den
+Samniten geräumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch übrige
+namhafte Führer der Italiker, der Insurgentenkonsul des
+hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von
+seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der
+er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tür des eigenen
+Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklärte
+der Diktator, daß Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe,
+und daß darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden müsse;
+und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen in
+schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen
+Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen
+(674? 80) und die bis dahin blühende und bevölkerte Landschaft in die
+Einöde umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward
+in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstürmt. Länger wehrten sich in
+Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das
+aus den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um
+sich sammelte und eine zweijährige, zuerst von Sulla persönlich, sodann
+von dem gewesenen Prätor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen
+Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre
+nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen
+freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder
+Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien über Verrat und
+steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der römischen
+Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemäß der Kapitulation
+abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien
+verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen
+belegt; unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten
+langsam die letzten Zuckungen der revolutionären und nationalen
+Opposition.
+
+——————————————————————————-
+
+7 Ein anderer Name kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in
+Samnio sich verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10.
+
+———————————————————————————
+
+Noch gab es in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter
+der revolutionären Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius
+Philippus entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische
+Gallien leistete geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien,
+Spanien, Africa schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei
+noch keineswegs verloren. Sizilien regierte für sie der zuverlässige
+Statthalter Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen
+Spanien die Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien
+ansässigen Römern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewußt,
+welche zunächst die Pyrenäenpässe sperrte; er hatte auch hier wieder
+bewiesen, daß, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und
+unter all den revolutionären Inkapazitäten er der einzige praktisch
+brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da
+er das Revolutionieren allzu gründlich betrieb und den Sklaven die
+Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die römischen Kaufleute
+von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung überfallen und
+mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz
+nichtsdestoweniger zu der revolutionären Regierung, und Cinnas
+Schwiegersohn, der junge fähige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, übernahm
+daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in
+die Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren
+legitime Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn,
+hielten zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den
+demokratischen Prätendenten Hiarbas vom Thron gestoßen worden, und
+ähnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien
+geflüchtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria)
+zwischen Afrika und Sizilien, unschlüssig, wie es scheint, ob er nach
+Ägypten sich flüchten oder in einer der treuen Provinzen versuchen
+sollte, den Kampf zu erneuern.
+
+Sulla sandte nach Spanien den Gaius Annius und den Gaius Valerius
+Flaccus, als Statthalter jenen der jenseitigen, diesen der Ebroprovinz.
+Das schwierige Geschäft, die Pyrenäenpässe mit Gewalt sich zu eröffnen,
+ward ihnen dadurch erspart, daß der von Sertorius dort hingestellte
+General durch einen seiner Offiziere ermordet ward und darauf die
+Truppen desselben sich verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich
+im gleichen Kampfe zu behaupten, raffte eilig die nächststehenden
+Abteilungen zusammen und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin,
+wußte er selbst nicht, vielleicht an die afrikanische Küste oder nach
+den Kanarischen Inseln, nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche.
+Spanien unterwarf hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673
+81), und Flaccus focht glücklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er
+marschierte, und mit den spanischen Keltiberern (674 80).
+
+Nach Sizilien ward Gnaeus Pompeius als Proprätor gesandt und die Insel,
+als Pompeius mit 120 Segeln und sechs Legionen sich an der Küste
+zeigte, von Perpenna ohne Gegenwehr geräumt. Pompeius schickte von dort
+ein Geschwader nach Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen
+Offiziere aufhob; Marcus Brutus und die übrigen wurden sofort
+hingerichtet, den Konsul Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn
+selbst nach Lilybäon zu führen, um ihn hier, uneingedenk des in
+gefährlicher Zeit ihm von ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes,
+persönlich dem Henker zu überliefern (672 82). Von hier weiter beordert
+nach Afrika, schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas
+gesammelten, nicht unbedeutenden Streitkräfte mit seinem allerdings
+weit zahlreicheren Heer aus dem Felde und gab, die Begrüßung als
+Imperator vorläufig ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das
+feindliche Lager. So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus
+war unter den Gefallenen; mit Hilfe des Königs Bogud ward Hiarbas in
+Bulla ergriffen und getötet und Hiempsal in sein angestammtes Reich
+wiedereingesetzt; eine große Razzia gegen die Bewohner der Wüste, von
+denen eine Anzahl gätulischer, von Marius als frei anerkannter Stämme
+Hiempsal untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des
+römischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius’ Landung in
+Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer
+aufzulösen, worin die Andeutung lag, daß er nicht zum Triumph gelassen
+werden solle, auf welchen er als außerordentlicher Beamter dem
+Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte
+heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die
+afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen
+Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und ließ den jungen
+Mann sich berühmen, der einzige Römer zu sein, der eher Triumphator
+(12. März 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von
+diesen bequemen Großtaten begrüßte der “Glückliche”, vielleicht nicht
+ohne einige Ironie, den Jüngling als den “Großen”.
+
+Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Frühling 671 (83) die
+Waffen nicht geruht. Die Restauration der alten Verhältnisse und die
+Unterwerfung einzelner Städte kostete, wie in Italien so auch in Asien,
+noch manchen blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene
+mußte Lucius Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte,
+endlich Truppen führen, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem
+eigensinnigen Widerstand der Bürgerschaft kein Ende.
+
+Mittlerweile war der römische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit
+dem König Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich
+nach dem Frieden beschäftigt, seine auch in den nördlichen Provinzen
+erschütterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier
+beruhigt, indem er seinen tüchtigen Sohn Mithradates ihnen zum
+Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geräumt, und
+rüstete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die
+Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine
+Freistatt hatte suchen müssen, daß diese Rüstungen gegen Rom gerichtet
+seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, daß Mithradates noch
+kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen nach
+dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische
+Grenze (671 83). Mithradates begnügte sich, bei Murena und, da dies
+vergeblich war, bei der römischen Regierung Beschwerde zu führen. In
+der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen;
+allein er fügte sich nicht, sondern überschritt den Halys und betrat
+das unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloß, Gewalt
+mit Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios mußte das römische Heer
+festhalten, bis der König mit weit überlegenen Streitkräften herankam
+und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit großem Verlust
+bis über die römische Grenze nach Phrygien zurückgeworfen, die
+römischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte
+zwar die Stirn, wegen dieser Vorgänge sich Sieger zu nennen und den
+Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und eine
+zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht
+weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert
+(673 81).
+
+Über diese törichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenäer verzögert
+worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer Belagerung zu
+Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute Dienste tat, die
+Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79).
+
+Die zehnjährige Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten
+zu Ende; der Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden
+nach außen und innen. Nach den fürchterlichen Konvulsionen der letzten
+Jahre war schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewähren
+sollte, ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewältigung
+des Landesfeindes, das schwerere der Bändigung der Revolution gelungen
+war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren
+Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genügen
+vermochte, mußte demnächst sich entscheiden.
+
+
+
+
+KAPITEL X.
+Die Sullanische Verfassung
+
+
+Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen Römern und Römern
+geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671 (83), war der ehrwürdige
+Tempel, den die Könige errichtet, die junge Freiheit geweiht, die
+Stürme eines halben Jahrtausends verschont hatten, der Tempel des
+Römischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen aufgegangen. Es war kein
+Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes der römischen Verfassung.
+Auch diese lag in Trümmern und bedurfte eines neuen Aufbaus. Die
+Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte doch viel, daß damit von
+selber das alte Regiment wieder sich hergestellt hätte. Allerdings
+meinte die Masse der Aristokratie, daß jetzt nach dem Tode der beiden
+revolutionären Konsuln es genügen werde, die gewöhnliche Ergänzungswahl
+zu veranstalten und es dem Senat zu überlassen, was ihm zur Belohnung
+der siegreichen Armee, zur Bestrafung der schuldigsten Revolutionäre,
+etwa auch zur Verhütung ähnlicher Ausbrüche weiter erforderlich
+erscheinen werde. Allein Sulla, in dessen Händen der Sieg für den
+Augenblick alle Macht vereinigt hatte, urteilte richtiger über die
+Verhältnisse und die Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer
+besten Epoche nicht hinausgekommen über ein halb großartiges, halb
+borniertes Festhalten an den überlieferten Formen; wie sollte das
+schwerfällige kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine
+umfassende Staatsreform energisch und konsequent durchzuführen? Und
+eben jetzt, nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats
+weggerafft hatte, war in demselben die zu einem solchen Beginnen
+erforderliche Kraft und Intelligenz weniger als je zu finden. Wie
+unbrauchbar durchgängig das aristokratische Vollblut und wie wenig
+Sulla über dessen Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die
+Tatsache, daß mit Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus er
+sich seine Werkzeuge sämtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei
+und den Überläufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus,
+Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die
+Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem
+leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff, wohl
+auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie hätte er sonst
+überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser als
+seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses
+Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich betrachtete er teils
+umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit möglich war, ohne das
+Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines
+energischen Repressiv- und Präventivsystems; und er sah es deutlich,
+daß der Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstümmeln,
+jeden systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte
+Sulla schon nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in
+der einen und der andern Richtung durchgesetzt, was er für nötig
+erachtete, so war er auch jetzt unter weit schärferen und gespannteren
+Verhältnissen entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der
+Oligarchen auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie
+damals Konsul, sondern bloß mit prokonsularischer, das heißt rein
+militärischer Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer möglichst nahe an
+den verfassungsmäßigen Formen sich haltenden, aber doch
+außerordentlichen Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu
+oktroyieren. In einem Schreiben an den Senat eröffnete er demselben,
+daß es ihm unumgänglich scheine, die Ordnung des Staates in die Hände
+eines einzigen, mit unumschränkter Machtvollkommenheit ausgerüsteten
+Mannes zu legen, und daß er sich für geeignet halte, diese schwierige
+Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war
+unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im Auftrag des Senats
+brachte der Vormann desselben, der Zwischenkönig Lucius Valerius
+Flaccus der Vater, als interimistischer Inhaber der höchsten Gewalt bei
+der Bürgerschaft den Antrag ein, daß dem Prokonsul Lucius Cornelius
+Sulla für die Vergangenheit die nachträgliche Billigung aller von ihm
+als Konsul und Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, für die Zukunft
+aber das Recht erteilt werden möge, über Leben und Eigentum der Bürger
+in erster und letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomänen nach
+Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach
+Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzulösen oder zu
+gründen, über die Provinzen und die abhängigen Staaten zu verfügen, das
+höchste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und
+Proprätoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den
+Staat zu ordnen; daß es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle,
+wann er seine Aufgabe gelöst und es an der Zeit erachte, dies
+außerordentliche Amt niederzulegen; daß endlich während desselben es
+von seinem Gutfinden abhängen solle, die ordentliche höchste
+Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht
+sich, daß die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und
+nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul
+die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von
+Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen
+Kriege tatsächlich abgeschafften Diktatur; aber sie außer seinem
+bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten als
+dem Diktator der älteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue
+“Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens”,
+wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes
+ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschränkte, die Provokation
+an die Bürgerschaft nicht ausschließende und die ordentliche
+Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem der
+“Zehnmänner zur Abfassung von Gesetzen”, die gleichfalls als
+außerordentliche Regierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter
+Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und
+tatsächlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes
+verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem
+Volksbeschluß ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialität
+eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Königtum,
+das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Bürgerschaft,
+einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von
+Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, daß ein
+König besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich ward
+auch der Diktatortitel nur gewählt um anzudeuten, daß, wie die
+ehemalige Diktatur eine vielfach beschränkte, so diese neue eine
+vollständige Wiederaufnahme der königlichen Gewalt in sich enthalte. So
+fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den in
+so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier
+mußte die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr
+der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig
+andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem
+letzten Siege der Oligarchie.
+
+————————————————————
+
+^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22).
+
+————————————————————
+
+Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des
+Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht gewünscht; da ihm aber
+keine andere Wahl blieb, als sie gänzlich unfähigen Händen zu
+überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er sie an mit
+rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen mußte eine Feststellung
+hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war an sich zum
+Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, konnte er
+wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hüten, der sein Auge
+flammen und seine Wangen sich färben sah; aber die chronische
+Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen
+war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloß nach der
+Revolution von 666 (88) war er mit verhältnismäßig großer Milde
+aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel verübt und ihn
+persönlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem
+Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Körper
+seiner Freunde durch die Straßen der Hauptstadt schleifte, hatte er dem
+blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser
+freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anständig zu
+bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten,
+zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen
+kam, war zurückgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er
+in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war
+es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloß abgebrochen, sondern
+nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten
+abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung
+der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun
+war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar
+nach Übernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei
+sämtliche Zivil- und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung
+zufolge rechtsbeständig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch für
+die Revolution tätig gewesen wären, und von den übrigen Bürgern
+diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan hätten.
+Wer einen dieser Vogelfreien tötete, war nicht bloß straffrei wie der
+Henker, der ordnungsmäßig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt
+auch für die Hinrichtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3600
+Tälern); jeder dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der
+nächste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der
+Geächteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und
+Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch aber,
+insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die
+senatorischen Lasten für ihren Teil zu übernehmen. Die letzten
+Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter und die Nachkommen
+derjenigen, die im Kampfe für die Revolution gefallen waren; was noch
+hinausging selbst über die im ältesten Recht gegen solche, die die
+Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das
+Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der
+aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward
+und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, daß er die Namen der
+Geächteten öffentlich anschlagen ließ und als letzten Termin für den
+Schluß der Ächtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr diese
+täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende
+Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Bürger war, so war doch damit
+der reinen Schergenwillkür in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht
+der persönliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel;
+sein grimmiger Haß richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber
+der scheußlichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen
+Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen
+und die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmäler seiner
+Siege über Afrikaner und Deutsche umgestürzt und, da ihn selbst sowie
+seinen Sohn der Tod seiner Rache entrückt hatte, sein Adoptivneffe
+Marcus Marius Gratidianus, der zweimal Prätor gewesen und bei der
+römischen Bürgerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des
+bejammernswertesten der Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter
+den grausamsten Martern hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon
+die namhaftesten der Gegner hingerafft; von den Führern waren nur noch
+übrig Gaius Norbanus, der in Rhodos Hand an sich selbst legte, während
+die Ekklesia über seine Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine
+Bedeutungslosigkeit und wohl auch seine vornehme Geburt Schonung
+verschafften und die Erlaubnis, in seiner Zufluchtsstätte Massalia
+seine Tage in Ruhe beschließen zu dürfen; und Quintus Sertorius, der
+landflüchtig an der mauretanischen Küste umherirrte. Aber dennoch
+häuften sich am Servilischen Bassin, da wo die Jugarische Gasse in den
+Marktplatz einmündete, die Häupter der getöteten Senatoren, welche hier
+öffentlich auszustellen der Diktator befohlen hatte, und vor allem
+unter den Männern zweiten und dritten Ranges hielt der Tod eine
+furchtbare Ernte. Außer denen, die für Ehre Dienste in der oder für die
+revolutionäre Armee ohne viele Wahl, zuweilen wegen eines einem der
+Offiziere derselben gemachten Vorschusses oder wegen der mit einem
+solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die Liste eingetragen
+wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die über die Senatoren zu
+Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen spekuliert hatten,
+“die Einsäckler”, die Vergeltung; etwa sechzehnhundert der sogenannten
+Ritter 3 waren auf der Ächtungsliste verzeichnet. Ebenso büßten die
+gewerbsmäßigen Ankläger, die schwerste Geißel der Vornehmen, die sich
+ein Geschäft daraus machten, die Männer senatorischen Standes vor die
+Rittergerichte zu ziehen - “Wie geht es nur zu”, fragte bald darauf ein
+Sachwalter, “daß sie uns die Gerichtsbänke gelassen haben, da sie doch
+Ankläger und Richter totschlugen?” Die wildesten und schändlichsten
+Leidenschaften rasten viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien.
+In der Hauptstadt war es ein Keltentrupp, dem zunächst die Exekutionen
+aufgetragen wurden, und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere
+durchzogen zu gleichem Zweck die verschiedenen Distrikte Italiens; aber
+auch jeder Freiwillige war ja willkommen, und vornehmes und niederes
+Gesindel drängte sich herbei, nicht bloß, um die Mordprämie zu
+verdienen, sondern auch, um unter dem Deckmantel der politischen
+Verfolgung die eigene Rachsucht oder Habsucht zu befriedigen. Es kam
+wohl vor, daß der Eintragung in die Ächtungsliste die Ermordung nicht
+nachfolgte, sondern voranging. Ein Beispiel zeigt, in welcher Art diese
+Exekutionen erfolgten. In Larinum, einer marianisch gesinnten
+Neubürgerstadt, trat ein gewisser Statius Albius Oppianicus, der um
+einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in das Sullanische Hauptquartier
+entwichen war, nach dem Sieg auf als Kommissarius des Regenten, setzte
+die Stadtobrigkeit ab und sich und seine Freunde an deren Stelle und
+ließ den, der ihn mit der Anklage bedroht hatte, nebst dessen nächsten
+Verwandten und Freunden ächten und töten. So fielen unzählige, darunter
+nicht wenige entschiedene Anhänger der Oligarchie, als Opfer der
+Privatfeindschaft oder ihres Reichtums; die fürchterliche Verwirrung
+und die sträfliche Nachsicht, die Sulla wie überall so auch hier gegen
+die ihm näher Stehenden bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der
+hierbei mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen.
+
+————————————————————————-
+
+2 Diese Gesamtzahl gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1,
+9.5) wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträglich
+noch einige hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus
+Aug. civ. 3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31)
+wurden in den ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den
+ersten Tagen 580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen
+Berichten ist ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils
+nicht bloß Senatoren und Ritter getötet wurden, teils die Liste
+monatelang offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1,
+103) als von Sulla getötet oder verbannt aufführt fünfzehn Konsulare,
+90 Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang
+zeigt, die Opfer des Bürgerkriegs überhaupt und die Opfer Sullas
+verwechselt. Die fünfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652
+(102), Marcus Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus
+Scaevola 659 (95), Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90),
+Quintus Rufus 666 (88), Lucius Cinna 667-670 (87-84), Gnaeus Octavius
+667 (87), Lucius Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo
+669, 670, 672 (85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671
+(83), Gaius Marius 672 (82), von denen vierzehn getötet, einer, Lucius
+Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop
+(5, 9) und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Bürgerkrieg
+weggerafft (consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Prätorier, sechs
+Ädilizier, 200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege
+gefallenen Männer mitgezählt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul
+655 (99), Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato
+665 (89), teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius
+Aquillius, Gaius Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls
+auch als Opfer dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Männer, deren
+Schicksal uns nicht bekannt ist. Von den vierzehn getöteten Konsularen
+sind drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militärrevolten, dagegen
+acht Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei
+gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als
+Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40
+Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz
+willkürlichen Maßstab zur Abschätzung des Umfangs der beiderseitigen
+Frevel.
+
+3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede für Publius Quinctius öfter
+genannte Senator Sextus Alfenus.
+
+—————————————————————————————
+
+In ähnlicher Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus
+politischen Rücksichten dahin, daß die angesehenen Bürger sich bei
+dessen Ersteigerung beteiligten; ein großer Teil drängte übrigens
+freiwillig sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus.
+Unter den obwaltenden Umständen war die ärgste Schleuderwirtschaft
+nicht zu vermeiden, die übrigens zum Teil schon aus der römischen Weise
+folgte, die vom Staat eingezogenen Vermögen gegen eine Pauschalsumme
+zur Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, daß der Regent teils
+sich selbst nicht vergaß, teils besonders seine Gemahlin Metella und
+andere ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst
+Freigelassene und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen ließ, bald
+ihnen den Kaufschilling ganz oder teilweise erließ - so soll zum
+Beispiel einer seiner Freigelassenen ein Vermögen von 6 Millionen
+(457000 Talern) für 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und
+einer seiner Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem
+Vermögen von 10 Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der
+Unwille war groß und gerecht; schon während Sollas Regentschaft fragte
+ein Advokat, ob der Adel den Bürgerkrieg nur geführt habe, um seine
+Freigelassenen und Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser
+Schleuderei indes betrug der Gesamterlös aus den konfiszierten Gütern
+nicht weniger als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem
+ungeheuren Umfang dieser hauptsächlich auf den reichsten Teil der
+Bürgerschaft fallenden Einziehungen einen ungefähren Begriff gibt. Es
+war durchaus ein fürchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozeß,
+keine Begnadigung mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem
+Lande, und das freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der
+Landstadt verstummt. Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl
+einen anderen Stempel als das revolutionäre; wenn Marius seine
+persönliche Rachsucht im Blute seiner Feinde gelöscht hatte, so schien
+Sulla den Terrorismus man möchte sagen abstrakt als zur Einführung der
+neuen Gewaltherrschaft notwendig zu erachten und die Metzelei fast
+gleichgültig zu betreiben oder betreiben zu lassen. Aber nur um so
+entsetzlicher erschien das Schreckensregiment, indem es von der
+konservativen Seite her und gewissermaßen ohne Leidenschaft auftrat;
+nur um so unrettbarer schien das Gemeinwesen verloren, indem der
+Wahnsinn und der Frevel auf beiden Seiten im Gleichgewicht standen.
+
+In der Ordnung der Verhältnisse Italiens und der Hauptstadt hielt
+Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen alle während der Revolution
+vorgenommenen, nicht bloß die laufenden Geschäfte erledigenden
+Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch fest an dem von ihr
+aufgestellten Grundsatz, daß jeder Bürger einer italischen Gemeinde
+damit von selbst auch Bürger von Rom sei; die Unterschiede zwischen
+Bürgern und italischen Bundesgenossen, zwischen Altbürgern besseren und
+Neubürgern beschränkteren Rechts waren und blieben beseitigt. Nur den
+Freigelassenen ward das unbeschränkte Stimmrecht abermals entzogen und
+für sie das alte Verhältnis wiederhergestellt. Den aristokratischen
+Ultras mochte dies als eine große Konzession erscheinen; Sulla sah, daß
+den revolutionären Führern jene mächtigen Hebel notwendig aus der Hand
+gewunden werden mußten und daß die Herrschaft der Oligarchie durch die
+Vermehrung der Zahl der Bürger nicht wesentlich gefährdet ward. Aber
+mit dieser Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das härteste Gericht
+über die einzelnen Gemeinden in sämtlichen Landschaften Italiens,
+ausgeführt durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die
+ganze Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Städte wurden belohnt,
+wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen
+hatte, Brundisium, jetzt die für diesen Seehafen so wichtige
+Zollfreiheit erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden
+Geldbußen, Niederreißung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert;
+den hartnäckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer
+Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich
+allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als
+Bürgergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen,
+oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit Rom
+Krieg geführt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem
+Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich
+das römische Bürgerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste
+latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen
+Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu
+gewähren; die heimatlosen Expropriierten mußten bald in der Masse des
+Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloß, wie sich von
+selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die
+Domäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um
+diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen.
+In Latium wurde die gesamte Mark der großen und reichen Stadt Praeneste
+und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von
+Spoletium. Sulmo in der pälignischen Landschaft ward sogar geschleift.
+Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden
+Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am
+Collinischen Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien
+und Samnium. Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der
+ansehnlichsten Kommunen, zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium,
+Volaterrae. Von Samniums Schicksal ward schon gesprochen; hier ward
+nicht konfisziert, sondern das Land für immer verwüstet, seine
+blühenden Städte, selbst die ehemalige latinische Kolonie Aesernia, öde
+gelegt und die Landschaft der bruttischen und lucanischen
+gleichgestellt.
+
+——————————————————————-
+
+4 Es kam hierbei noch die eigentümliche Erschwerung hinzu, daß das
+latinische Recht sonst regelmäßig, ebenwie das peregrinische, die
+Mitgliedschaft in einer bestimmten latinischen oder peregrinischen
+Gemeinde in sich schloß, hier aber - ähnlich wie bei den späteren
+Freigelassenen latinischen und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) -
+ohne ein solches eigenes Stadtrecht auftrat. Die Folge war, daß diese
+Latiner die an die Stadtverfassung geknüpften Privilegien entbehrten,
+genau genommen auch nicht testieren konnten, da niemand anders ein
+Testament errichten kann als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber
+konnten sie aus römischen Testamenten erwerben und unter Lebenden unter
+sich wie mit Römern oder Latinern in den Formen des römischen Rechts
+verkehren.
+
+———————————————————————-
+
+Diese Anordnungen über das italische Bodeneigentum stellten teils
+diejenigen römischen Domanialländereien, welche den ehemaligen
+Bundesgenossengemeinden zur Nutznießung übertragen waren und jetzt mit
+deren Auflösung an die römische Regierung zurückfielen, teils die
+eingezogenen Feldmarken der straffälligen Gemeinden zur Verfügung des
+Regenten; und er benutzte sie, um darauf die Soldaten der siegreichen
+Armee ansässig zu machen. Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen
+nach Etrurien, zum Beispiel nach Faesulae und Arretium, andere nach
+Latium und Kampanien, wo unter andern Praeneste und Pompeii Sullanische
+Kolonien wurden. Samnium wiederzubevölkern lag, wie gesagt, nicht in
+der Absicht des Regenten. Ein großer Teil dieser Assignationen erfolgte
+in gracchanischer Weise, so daß die Angesiedelten zu einer schon
+bestehenden Stadtgemeinde hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung
+war, zeigt die Zahl der verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben
+wird; wobei dennoch einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden,
+wie zum Beispiel der Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Ländereien
+beschenkt ward, andere, wie die volaterranische Mark und ein Teil der
+arretinischen, unverteilt blieben, andere endlich nach dem alten,
+gesetzlich untersagten, aber jetzt wiederauftauchenden Mißbrauch von
+Sullas Günstlingen nach Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die
+Zwecke, die Sulla bei dieser Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher
+Art. Zunächst löste er damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner
+nahm er damit den Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die
+gemäßigten Konservativen zusammentrafen und demgemäß er selbst schon im
+Jahre 666 (88) die Gründung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte:
+die Zahl der ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung
+größerer Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie
+ernstlich ihm hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des
+Zusammenschlagens der Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen
+angesiedelten Soldaten gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem
+Eigentumsrecht zugleich seine neue Verfassung schirmen würden; weshalb
+auch, wo nicht die ganze Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in
+Pompeii, die Kolonisten nicht mit der Stadtgemeinde verschmolzen,
+sondern die Altbürger und die Kolonisten als zwei in demselben
+Mauerring vereinigte Bürgerschaften konstituiert wurden. Diese
+Kolonialgründungen ruhten wohl auch wie die älteren auf Volksschluß,
+aber doch nur mittelbar, insofern sie der Regent auf Grund der
+desfälligen Klausel des Valerischen Gesetzes konstituierte; der Sache
+nach gingen sie hervor aus der Machtvollkommenheit des Herrschers und
+erinnerten insofern an das freie Schalten der ehemaligen königlichen
+Gewalt über das Staatsgut. Insofern aber, als der Gegensatz des
+Soldaten und des Bürgers, der sonst eben durch die Deduktion der
+Soldaten aufgehoben ward, bei den Sullanischen Kolonien noch nach ihrer
+Ausführung lebendig bleiben sollte und blieb, und als diese Kolonisten
+gleichsam das stehende Heer des Senats bildeten, werden sie nicht
+unrichtig im Gegensatz gegen die älteren als Militärkolonien
+bezeichnet.
+
+Dieser faktischen Konstituierung einer stehenden Armee des Senats
+verwandt ist die Maßregel des Regenten, aus den Sklaven der Geächteten
+über 10000 der jüngsten und kräftigsten Männer auszuwählen und
+insgesamt freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren bürgerliche
+Existenz an die Rechtsbeständigkeit der Institutionen ihres Patrons
+geknüpft war, sollten eine Art von Leibwache für die Oligarchie sein
+und ihr den städtischen Pöbel beherrschen helfen, auf den nun einmal in
+der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam.
+
+Diese außerordentlichen Stützen, auf die zunächst der Regent die
+Oligarchie lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber
+erscheinen mochten, waren doch die einzig möglichen, wenn man nicht zu
+Mitteln greifen wollte, wie die förmliche Aufstellung eines stehendes
+Heeres in Rom und dergleichen Maßregeln mehr, die der Oligarchie noch
+weit eher ein Ende gemacht haben würden als ,die demagogischen
+Angriffe. Das dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der
+Oligarchie mußte natürlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und
+so konzentrierten Gewalt, daß er an jedem einzelnen Angriffspunkt den
+nichtorganisierten Gegnern überlegen gegenüberstand. Das vierzig Jahre
+hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische
+Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666,
+ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die
+Regierung dem hauptstädtischen Proletariat gleichsam das Recht der
+Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmäßige
+Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Bürger;
+Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten und
+Zölle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den
+Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der
+Mittelsmänner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten
+in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der
+Rückstände entworfenen Schätzungslisten auf die einzelnen Bezirke
+umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Übergabe der
+Geschworenenposten an die Männer vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand
+eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten
+sich stärker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla
+schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder
+her. Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern
+einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeräumt, wie ihn schon seit
+längerer Zeit die Senatoren besaßen; Sulla hob ihn auf und wies die
+Ritter zurück auf die Plebejerbänke 6. Der Ritterstand, als solcher
+durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch
+Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die
+höchste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten überkommen und
+auch äußerlich nicht bloß als privilegierter, sondern als einzig
+privilegierter Stand auftreten.
+
+————————————————————————
+
+5 Daß Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahresziele und der
+Kriegskosten auf die Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch
+für die Zukunft maßgebend war, zeigt schon die Zurückführung der
+Einteilung Asias in vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670)
+und die Zugrundelegung der sullanischen Repartition bei späteren
+Ausschreibungen (Cic. Flacc. 14, 32), ferner, daß bei dem Flottenbau
+672 (81) die hierzu verwandten Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia
+vectigali populo Romano) gekürzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89).
+Geradezu sagt endlich Cicero (ad Q. fr. 1, 11, 33), daß die Griechen
+“nicht imstande waren, von sich aus den von Sulla ihnen auferlegten
+Zins zu zahlen ohne Steuerpächter”.
+
+6 Überliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen
+ward, welches die Erneuerung des älteren Privilegs durch das Roscische
+Theatergesetz 687 (67) nötig machte (Friedländer in Becker, Handbuch,
+Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber dieses
+Gesetzes unzweifelhaft Sulla.
+
+———————————————————————
+
+Vor allem mußte zu diesem Ende die Regierungsbehörde ergänzt und selber
+unabhängig gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der
+Senatoren furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch
+die Rittergerichte Verbannten jetzt die Rückkehr frei, wie dem Konsular
+Publius Rutilius Rufus, der übrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch
+machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies ein
+geringer Ersatz für die Lücken, die der revolutionäre wie der
+reaktionäre Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte.
+Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat außerordentlicherweise
+ergänzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung
+aus den Männern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie, wie
+begreiflich, vorzugsweise teils aus den jüngeren Männern der
+senatorischen Häuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen,
+durch die letzte Umwälzung Emporgekommenen auslas. Aber auch für die
+Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich
+andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in
+den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche
+und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei
+kurulischen Ämter: des Konsulats, der Prätur oder der Ädilität, an
+welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im
+Senat geknüpft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats
+oder der Quästur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im
+Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Männer
+sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen
+beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens
+tatsächliche Beseitigung der Zensur und änderte den zweiten dahin ab,
+daß der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Ädilität an die
+Quästur geknüpft und zugleich die Zahl der jährlich zu ernennenden
+Quästoren auf zwanzig 7 erhöht ward. Die bisher den Zensoren rechtlich
+zustehende, obwohl tatsächlich längst nicht mehr in ihrem
+ursprünglichen ernstlichen Sinn geübte Befugnis, bei den von fünf zu
+fünf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter Angabe von
+Gründen von der Liste zu streichen, fiel für die Zukunft ebenfalls
+fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren ward also
+von Sulla schließlich festgestellt. Die Gesamtzahl der Senatoren, die
+bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht viel überstiegen
+und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch beträchtlich,
+vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhöht, 8 was auch schon
+die durch die Übertragung der Geschworenenfunktionen stark vermehrten
+Geschäfte des Senats notwendig machten. Indem ferner sowohl die
+außerordentlich eintretenden Senatoren als die Quästoren ernannt wurden
+von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf den Wahlen des
+Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl gegründet,
+derselbe also einem repräsentativen Regiment so weit genähert, als dies
+mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des Altertums überhaupt
+sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten bestimmten
+Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten befehlende
+und selbstregierende Behörde geworden; es war hiervon nur eine
+konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten ursprünglich
+zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben
+entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt
+wurde, auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante
+Befugnis der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutdünken
+Namen zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit
+einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die
+Quästorenwahl für eine genügende regelmäßige Ergänzung gesorgt ward,
+wurden die zensorischen Revisionen überflüssig und durch deren Wegfall
+das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die Inamovibilität und
+Lebenslänglichkeit der zu Sitz und Stimme gelangten Glieder des
+Herrenstandes, endgültig konsolidiert.
+
+————————————————————————
+
+7 Wieviele Quästoren bis dahin jährlich gewählt wurden, ist nicht
+bekannt. Im Jahre 487 (267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei
+städtische, zwei Militär- und vier Flottenquästoren; wozu dann die in
+den Ämtern beschäftigten Quästoren hinzugetreten sind. Denn die
+Flottenquästuren in Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein,
+und auch die Militärquästoren konnten nicht anderweitig verwendet
+werden, da sonst der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne
+Quästor gewesen sein würde. Da es nun bis auf Sulla neun Ämter gab,
+überdies nach Sizilien zwei Quästoren gingen, so könnte er
+möglicherweise schon achtzehn Quästoren vorgefunden haben. Wie indes
+auch die Zahl der Oberbeamten dieser Zeit beträchtlich geringer als die
+ihrer Kompetenzen gewesen und hier stets durch Fristerstreckung und
+andere Aushilfen Rat geschafft worden ist, überhaupt die Tendenz der
+römischen Regierung darauf ging, die Zahl der Beamten möglichst zu
+beschränken, so mag es auch mehr quästorische Kompetenzen gegeben haben
+als Quästoren, und es kann selbst sein, daß in kleine Provinzen, wie
+zum Beispiel Kilikien, in dieser Zeit gar kein Quästor ging. Aber
+sicher hat es doch schon vor Sulla mehr als acht Quästoren gegeben.
+
+8 Von einer festen Zahl der Senatoren kann genau genommen überhaupt
+nicht die Rede sein. Wenn auch die Zensoren vor Sulla jedesmal eine
+Liste von 300 Köpfen anfertigten, so traten doch zu dieser immer noch
+diejenigen Nichtsenatoren hinzu, die nach Abfassung der Liste bis zur
+Aufstellung der nächsten ein kurulisches Amt bekleideten; und nach
+Sulla gab es so viele Senatoren, als gerade Quästorier am Leben waren.
+Wohl aber ist anzunehmen, daß Sulla den Senat auf ungefähr 500 bis 600
+Köpfe zu bringen bedacht war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jährlich
+20 neue Mitglieder von durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die
+durchschnittliche Dauer der senatorischen Würde auf 25 bis 30 Jahre
+ansetzt. In einer stark besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit
+waren 417 Mitglieder anwesend.
+
+————————————————————————-
+
+Hinsichtlich der Gesetzgebung begnügte sich Sulla, die im Jahre 666
+(88) getroffenen Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische
+Initiative, wie sie längst tatsächlich dem Senat zustand, wenigstens
+den Tribunen gegenüber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Bürgerschaft
+blieb der formelle Souverän; allein was ihre Urversammlungen anlangt,
+so schien es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfältig zu
+konservieren, aber jede wirkliche Tätigkeit derselben noch sorgfältiger
+zu verhüten. Sogar mit dem Bürgerrecht selbst ging Sulla in der
+geringschätzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den
+Neubürgergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse
+damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht,
+schlechterdings gar nichts für die Feststellung der Bürgerliste, die
+doch nach so gewaltigen Umwälzungen einer Revision dringend bedurfte,
+wenn es überhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knüpfenden
+Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschränkt wurde die
+legislatorische Kompetenz der Komitien übrigens nicht; es war auch
+nicht nötig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats
+das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die
+Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen
+konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder zurückgeführt
+ward auf das Recht, zu Änderungen der Verfassung ja zu sagen.
+
+Wichtiger war die Beteiligung der Bürgerschaft bei den Wahlen, deren
+man nun einmal nicht entbehren zu können schien, ohne mehr
+aufzurütteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration aufrütteln
+konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die
+Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloß das Domitische Gesetz von
+650 (104), das die Wahlen zu den höchsten Priesterämtern überhaupt dem
+Volke übertrug, sondern auch die älteren gleichartigen Verfügungen
+hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von Sulla
+kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergänzung in
+seiner ursprünglichen Unbeschränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der
+Wahlen zu den Staatsämtern aber blieb es im ganzen bei der bisherigen
+Weise; außer insofern die sogleich zu erwähnende neue Regulierung des
+militärischen Kommandos allerdings folgeweise eine wesentliche
+Beschränkung der Bürgerschaft in sich schloß, ja gewissermaßen das
+Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der Bürgerschaft auf den Senat
+übertrug. Es scheint nicht einmal, daß Sulla die früher versuchte
+Restauration der Servianischen Stimmordnung jetzt wiederaufnahm, sei es
+nun, daß er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob die
+Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es, daß diese
+ältere Ordnung ihm den gefährlichen Einfluß der Kapitalisten zu
+steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden wiederhergestellt und
+teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines jeden Amtes
+erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschärft; ebenso die
+Bestimmung, daß jeder Bewerber um das Konsulat vorher die Prätur, jeder
+Bewerber um die Prätur vorher die Quästur bekleidet haben müsse,
+wogegen es gestattet war, die Ädilität zu übergehen. Mit besonderer
+Strenge wurde, in Hinblick auf die jüngst mehrfach vorgenommenen
+Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten
+Konsulats die Tyrannis zu begründen, gegen diesen Mißbrauch
+eingeschritten und verfügt, daß zwischen der Bekleidung zweier
+ungleicher Ämter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen Bekleidung
+desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfließen sollten; mit welcher
+letzteren Bestimmung, anstatt der in der jüngsten ultraoligarchischen
+Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder Wiederwahl zum Konsulat,
+wieder die ältere Ordnung vom Jahre 412 (342) aufgenommen ward. Im
+ganzen aber ließ Sulla den Wahlen ihren Lauf und suchte nur die
+Beamtengewalt in der Art zu fesseln, daß, wen auch immer die
+unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewählte
+außerstande sein würde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen.
+
+Die höchsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsächlich die
+drei Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Prätoren und der
+Zensoren. Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit
+wesentlich geschmälerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische
+Amt, das dem Regenten erschien als ein zwar auch für das Senatsregiment
+unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und stets
+geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger und
+dauernder Fesselung bedürftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die
+Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den
+Kontravenienten eventuell zu brächen und dessen weitere Bestrafung zu
+veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den
+Tribunen auch jetzt, nur daß auf den Mißbrauch des Interzessionsrechts
+eine schwere, die bürgerliche Existenz regelmäßig vernichtende
+Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem
+Volke nach Gutdünken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen,
+insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen,
+teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen,
+durch den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewälzt
+hatten; sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgängig bei
+dem Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhängig gemacht 9. Endlich wurde
+hinzugefügt, daß die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur Übernahme
+eines höheren Amtes unfähig machen solle - eine Bestimmung, die wie so
+manches andere in Sullas Restauration wieder auf die altpatrizischen
+Satzungen zurückkam und, ganz wie in den Zeiten vor der Zulassung der
+Plebejer zu den bürgerlichen Ämtern, das Tribunat einer- und die
+kurulischen Ämter andererseits miteinander unvereinbar erklärte. Auf
+diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie, der tribunizischen
+Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und aufstrebenden Männer von
+dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe festzuhalten als Werkzeug
+des Senats, sowohl zur Vermittlung zwischen diesem und der
+Bürgerschaft, als auch vorkommendenfalls zur Niederhaltung der
+Magistratur; und wie die Herrschaft des Königs und später der
+republikanischen Beamten über die Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu
+Tage tritt wie in dem Satze, daß ausschließlich sie das Recht haben,
+öffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die jetzt zuerst rechtlich
+festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am bestimmtesten in dieser
+von dem Vormann des Volkes für jede Verhandlung mit demselben vom Senat
+zu erbittenden Erlaubnis.
+
+——————————————————————-
+
+9 Darauf gehen die Worte des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11
+Dietsch): populus Romanus exutus … iure agitandi, auf die Tacitus (ann.
+3, 27) anspielt: statim turbidis Lepidi rogationibus neque multo post
+tribunis reddita licentia quoquo vellent populum agitandi. Daß die
+Tribune nicht überhaupt das Recht verloren, mit dem Volke zu
+verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de
+Thermensibus, welches aber auch in der Eingangsformel sich bezeichnet
+als de senatus sententia erlassen. Daß die Konsuln dagegen auch nach
+der Sullanischen Ordnung ohne vorgängigen Senatsbeschluß Anträge an das
+Volk bringen konnten, beweist nicht bloß das Stillschweigen der
+Quellen, sondern auch der Verlauf der Revolutionen von 667 (87) und 676
+(78), deren Führer eben aus diesem Grunde nicht Tribune, sondern
+Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch in dieser Zeit konsularische
+Gesetze über administrative Nebenfragen, wie zum Beispiel das
+Getreidegesetz von 681 (73), für die zu andern Zeiten sicher Plebiszite
+eingetreten sein würden.
+
+—————————————————————-
+
+Auch Konsulat und Prätur, obwohl sie von dem aristokratischen
+Regenerator Roms mit günstigeren Augen betrachtet wurden als das an
+sich verdächtige Tribunat, entgingen doch keineswegs dem Mißtrauen
+gegen das eigene Werkzeug, welches durchaus die Oligarchie bezeichnet.
+Sie wurden in schonenderen Formen, aber in sehr fühlbarer Weise
+beschränkt. Sulla knüpfte hier an die Geschäftsteilung an. Zu Anfang
+dieser Periode bestand dafür die folgende Ordnung. Den beiden Konsuln
+lag immer noch, wie ehemals der Inbegriff der Geschäfte des höchsten
+Amtes überhaupt, so jetzt derjenige Inbegriff der höchsten
+Amtsgeschäfte ob, für welchen nicht gesetzlich besondere Kompetenzen
+festgestellt waren. Dies letztere war der Fall mit dem hauptstädtischen
+Gerichtswesen, womit die Konsuln sich nach einer unverbrüchlich
+festgehaltenen Regel nicht befassen durften, und mit den damals
+bestehenden überseeischen Ämtern: Sizilien, Sardinien und den beiden
+Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar führen konnte, aber nur
+ausnahmsweise führte. Im ordentlichen Lauf der Dinge wurden demnach
+sechs Spezialkompetenzen, die beiden hauptstädtischen
+Gerichtsvorstandschaften und die vier überseeischen Ämter unter die
+sechs Prätoren vergeben, woneben den beiden Konsuln kraft ihrer
+Generalkompetenz die Leitung der hauptstädtischen nichtgerichtlichen
+Geschäfte und das militärische Kommando in den festländischen
+Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also doppelt besetzt war,
+blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfügung der Regierung, und
+für gewöhnliche Zeiten kam man demnach mit jenen acht höchsten
+Jahresbeamten vollständig, ja reichlich aus. Für außerordentliche Fälle
+blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht militärischen Kompetenzen
+zu kumulieren, teils die militärischen über die Endfrist hinaus
+fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht ungewöhnlich, die beiden
+Gerichtsvorstandschaften demselben Prätor zu übertragen und die
+regelmäßig von den Konsuln zu beschaffenden hauptstädtischen Geschäfte
+durch den Stadtprätor versehen zu lassen; wogegen es verständigerweise
+möglichst vermieden ward, mehrere Kommandos in derselben Hand zu
+vereinigen. Hier half vielmehr die Regel aus, daß im militärischen
+Imperium es kein Interregnum gab, also dasselbe, obwohl gesetzlich
+befristet, doch nach Eintritt des Endtermines von Rechts wegen noch so
+lange fortdauerte, bis der Nachfolger erschien und dem Vorgänger das
+Kommando abnahm, oder, was dasselbe ist, daß der kommandierende Konsul
+oder Prätor nach Ablauf seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht
+erschien, an Konsuls oder Prätors Statt weiter fungieren konnte und
+mußte. Der Einfluß des Senats auf diese Geschäftsverteilung bestand
+darin, daß es observanzmäßig von ihm abhing, entweder die Regel walten,
+also die sechs Prätoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich
+verlosen und die Konsuln die festländischen, nichtgerichtlichen
+Geschäfte besorgen zu lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben
+anzuordnen, etwa dem Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges
+überseeisches Kommando zuzuweisen oder eine außerordentliche
+militärische und gerichtliche Kommission, zum Beispiel das
+Flottenkommando oder eine wichtige Kriminaluntersuchung, unter die zur
+Verteilung kommenden Kompetenzen aufzunehmen und die dadurch weiter
+nötig werdenden Kumulationen und Fristerstreckungen zu veranlassen -
+wobei übrigens lediglich die Absteckung der jedesmaligen konsularischen
+und respektiv prätorischen Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der für
+das einzelne Amt eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere
+vielmehr durchgängig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten
+oder durch das Los erfolgte. Die Bürgerschaft war in der älteren Zeit
+wohl veranlaßt worden, die in dem Unterlassen der Ablösung enthaltene
+tatsächliche Verlängerung des Kommandos durch besonderen
+Gemeindebeschluß zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, als
+dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff die
+Bürgerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten
+Jahrhunderts traten nun allmählich zu den bestehenden sechs
+Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fünf neuen
+Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien
+und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen
+Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der
+römischen Regierung trat überdies immer häufiger der Fall ein, daß die
+Oberbeamten für außerordentliche militärische oder prozessualische
+Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde die Zahl der
+ordentlichen höchsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es kamen also auf
+acht jährlich zu ernennende Beamte, von allem andern abgesehen,
+mindestens zwölf jährlich zu besetzende Spezialkompetenzen. Natürlich
+war es nicht Zufall, daß man dies Defizit nicht durch Kreierung neuer
+Prätorenstellen ein für allemal deckte. Dem Buchstaben der Verfassung
+gemäß sollten die sämtlichen höchsten Beamten Jahr für Jahr von der
+Bürgerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung oder vielmehr
+Unordnung, derzufolge die entstehenden Lücken wesentlich durch
+Fristerstreckung ausgefüllt wurden und den gesetzlich ein Jahr
+fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt,
+nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die
+wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die
+Bürgerschaft, sondern aus einer durch die Bürgerschaftswahlen
+gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Üblich ward es dabei, da unter
+diesen Stellen die überseeischen Kommandos als die einträglichsten vor
+allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich
+oder doch tatsächlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden
+Vorstehern der städtischen Gerichtsbarkeit und häufig auch den Konsuln,
+nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein überseeisches Kommando zu übertragen,
+was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die Amtsgewalt des
+in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten wohl anders
+bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine qualitativ andere
+war.
+
+Diese Verhältnisse fand Sulla vor und sie lagen seiner neuen Ordnung zu
+Grunde. Der Grundgedanke derselben war die vollständige Scheidung der
+politischen Gewalt, welche in den Bürger-, und der militärischen,
+welche in den Nichtbürgerdistrikten regierte, und die durchgängige
+Erstreckung der Dauer des höchsten Amtes von einem Jahr auf zwei, von
+denen das erstere den bürgerlichen, das zweite den militärischen
+Geschäften gewidmet ward. Räumlich waren die bürgerliche und die
+militärische Gewalt allerdings längst schon durch die Verfassung
+geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese begann; allein
+immer noch hielt derselbe Mann die höchste politische und die höchste
+militärische Macht in seiner Hand vereinigt. Künftig sollte der Konsul
+und Prätor mit Rat und Bürgerschaft verhandeln, der Prokonsul und
+Proprätor die Armee kommandieren, jenem aber jede militärische, diesem
+jede politische Tätigkeit gesetzlich abgeschnitten sein. Dies führte
+zunächst zu der politischen Trennung der norditalischen Landschaft von
+dem eigentlichen Italien. Bisher hatten dieselben wohl in einem
+nationalen Gegensatz gestanden, insofern Norditalien vorwiegend von
+Ligurern und Kelten, Mittel- und Süditalien von Italikern bewohnt ward;
+allein politisch und administrativ stand das gesamte festländische
+Gebiet des römischen Staates von der Meerenge bis an die Alpen mit
+Einschluß der illyrischen Besitzungen, Bürger-, latinische und
+Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen Laufe der
+Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden höchsten
+Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgründungen sich durch dies ganze
+Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche Italien,
+dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als ein
+jetzt ohne Ausnahme von römischen Bürgern bewohntes Gebiet, den
+ordentlichen römischen Obrigkeiten untergeben und daß in diesem
+Sprengel regelmäßig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer
+der Fundamentalsätze des römischen Staatsrechts; das Keltenland
+diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der beständig fortwährenden
+Einfälle der Alpenvölker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden
+konnte, wurde nach dem Muster der älteren überseeischen Kommandos als
+eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl
+der jährlich zu ernennenden Prätoren von sechs auf acht erhöht ward,
+stellte sich die neue Geschäftsordnung dahin, daß die jährlich zu
+ernennenden zehn höchsten Beamten während ihres ersten Amtsjahrs als
+Konsuln oder Prätoren den hauptstädtischen Geschäften - die beiden
+Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Prätoren der
+Zivilrechtspflege, die übrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz
+- sich widmeten, während ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln oder
+Proprätoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften:
+Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo,
+Kilikien und dem italischen Keltenland übernahmen. Die schon erwähnte
+Vermehrung der Quästorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehört ebenfalls
+in diesen Zusammenhang ^11.
+
+————————————————-
+
+^10 Für diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als daß das
+italische Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen
+geschlossenen und von einem jährlich erneuerten Statthalter verwalteten
+Sprengel bedeutet, in den älteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist
+wie allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data
+erat et Sullae provincia Gallia cisalpina).
+
+Nicht viel anders steht es mit der Vorschiebung der Grenze; wir wissen,
+daß ehemals der Aesis, zu Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von
+Italien schied, aber nicht, wann die Vorrückung stattfand. Man hat zwar
+daraus, daß Marcus Terentius Varro Lucullus als Proprätor in dem
+Distrikt zwischen Aesis und Rubico eine Grenzregulierung vornahm
+(Orelli 570), geschlossen, daß derselbe wenigstens im Jahre nach
+Lucullus’ Prätur 679 (75) noch Provinzialland gewesen sein müsse, da
+auf italischem Boden der Proprätor nichts zu schaffen habe. Indes nur
+innerhalb des Pomerium hört jedes prorogierte Imperium von selber auf;
+in Italien dagegen ist auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht
+regelmäßig vorhanden, aber doch zulässig, und ein außerordentliches ist
+das von Lucullus bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir können
+aber auch nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser
+Gegend bekleidet hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen
+Reorganisation 672 (82) als kommandierender Offizier eben hier tätig
+und wahrscheinlich, ebenwie Pompeius, von Sulla mit proprätorischer
+Gewalt ausgestattet; in dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673
+(81) (vgl. App. 1, 95) die fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser
+Inschrift folgt also für die rechtliche Stellung Norditaliens überhaupt
+nichts und am wenigsten für die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist
+es ein bemerkenswerter Fingerzeig, daß Sulla das römische Pomerium
+vorschob (Sen. dial. 10, 14; Dio Cass. 43, 50), was nach römischem
+Staatsrecht nur dem gestattet war, der nicht etwa die Reichs-, sondern
+die Stadt-, d. h. die italische Grenze vorgerückt hatte.
+
+^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere Provinz ein Quästor gingen,
+überdies die zwei städtischen und die zwei den Konsuln bei der
+Kriegsführung beigeordneten und die vier Flottenquästoren bestehen
+blieben, so waren hierfür neunzehn Beamte jährlich erforderlich. Die
+zwanzigste Quästorenkompetenz läßt sich nicht nachweisen.
+
+————————————————
+
+Zunächst ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und
+zu allen möglichen schlechten Manövern und Intrigen einladenden
+Ämterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den
+Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Möglichkeit vorgebeugt und der
+Einfluß der obersten Regierungsbehörde wesentlich gesteigert. Nach der
+bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die
+Stadt, welche der Mauerring umschloß, und die Landschaft außerhalb des
+Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue,
+fortan als ewig befriedet dem regelmäßigen Kommando entzogene Italien
+^12 und ihm gegenüber das festländische und überseeische Gebiet, das
+umgekehrt notwendig unter Militärkommandanten steht, die von jetzt an
+sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann
+sehr häufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben; die
+neue Ordnung beschränkte die hauptstädtischen Ämter wie die
+Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfügung,
+daß jeder Statthalter binnen dreißig Tagen, nachdem der Nachfolger in
+seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen
+habe, zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das früher
+erwähnte Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu
+demselben oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz
+dieser Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die
+einst der Senat das Königtum sich dienstbar gemacht hatte, daß die
+Beschränkung der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der
+Zeit nach der Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung
+hatte Gaius Marius zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr
+des Staates amtiert; wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit
+zuzuschreiben hatte, daß es ihm mißlang, mittels dieser doppelten
+Amtsgewalt die Oligarchie zu stürzen, so schien nun dafür gesorgt, daß
+nicht etwa ein klügerer Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche.
+Nach der bisherigen Ordnung hatte auch der vom Volke unmittelbar
+ernannte Beamte eine militärische Stellung haben können; die
+sullanische dagegen behielt diese ausschließlich denjenigen Beamten
+vor, die der Senat durch Erstreckung der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt
+bestätigte. Zwar war diese Amtsverlängerung jetzt stehend geworden;
+dennoch wurde sie den Auspizien und dem Namen, überhaupt der
+staatsrechtlichen Formulierung nach auch ferner als außerordentliche
+Fristerstreckung behandelt. Es war dies nicht gleichgültig. Den Konsul
+oder den Prätor konnte nur die Bürgerschaft seines Amtes entsetzen; den
+Prokonsul und den Proprätor ernannte und entließ der Senat, so daß
+durch diese Verfügung die gesamte Militärgewalt, auf die denn doch
+zuletzt alles ankam, formell wenigstens vom Senat abhängig wurde.
+
+—————————————————————————
+
+^12 Die italische Eidgenossenschaft ist viel älter; aber sie ist ein
+Staatenbund, nicht, wie das sullanische Italien, ein innerhalb des
+Römischen Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet.
+
+—————————————————————————-
+
+Daß endlich das höchste aller Ämter, die Zensur, nicht förmlich
+aufgehoben, aber in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die
+Diktatur, ward schon bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls
+entraten. Für die Ergänzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit
+Italien tatsächlich steuerfrei war und das Heer wesentlich durch
+Werbung gebildet ward, hatte das Verzeichnis der Steuer- und
+Dienstpflichtigen in der Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn
+in der Ritterliste und dem Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung
+einriß, so mochte man dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also
+nur die laufenden Finanzgeschäfte, welche die Konsuln schon bisher
+verwaltet hatten, wenn, wie dies häufig vorkam, die Zensorenwahl
+unterblieben war, und nun als einen Teil ihrer ordentlichen
+Amtstätigkeit übernahmen. Gegen den wesentlichen Gewinn, daß der
+Magistratur in den Zensoren ihre höchste Spitze entzogen ward, kam
+nicht in Betracht und tat der Alleinherrschaft des höchsten
+Regierungskollegiums durchaus keinen Eintrag, daß, um die Ambition der
+jetzt so viel zahlreicheren Senatoren zu befriedigen, die Zahl der
+Pontifices und die der Augurn von neun, die der Orakelbewahrer von zehn
+auf je fünfzehn, die der Schmausherren von drei auf sieben vermehrt
+ward.
+
+In dem Finanzwesen stand schon nach der bisherigen Verfassung die
+entscheidende Stimme bei dem Senat; es handelte sich demnach hier um
+die Wiederherstellung einer geordneten Verwaltung. Sulla hatte
+anfänglich sich in nicht geringer Geldnot befunden; die aus Kleinasien
+mitgebrachten Summen waren für den Sold des zahlreichen und stets
+anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch nach dem Siege am
+Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse nach Praeneste
+entführt worden war, sich zu Notschritten entschließen müssen.
+Verschiedene Bauplätze in der Hauptstadt und einzelne Stücke der
+kampanischen Domäne wurden feilgeboten, die Klientelkönige, die
+befreiten und bundesgenössischen Gemeinden außerordentlicherweise in
+Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zölle
+eingezogen, anderswo denselben für Geld neue Privilegien zugestanden.
+Indes der bei der Übergabe von Praeneste vorgefundene Rest der
+Staatskasse von beiläufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden
+Versteigerungen und andere außerordentliche Hilfsquellen halfen der
+augenblicklichen Verlegenheit ab. Für die Zukunft aber ward gesorgt
+weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die
+Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor,
+als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domäne, wozu jetzt noch
+Aenaria gefügt ward, und vor allem durch die Abschaffung der
+Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den
+römischen Finanzen gezehrt hatten.
+
+Dagegen ward das Gerichtswesen wesentlich umgestaltet, teils aus
+politischen Rücksichten, teils um in die bisherige sehr unzulängliche
+und unzusammenhängende Prozeßlegislation größere Einheit und
+Brauchbarkeit zu bringen. Nach der bisherigen Ordnung gingen die
+Prozesse zur Entscheidung teils an die Bürgerschaft, teils an
+Geschworene. Die Gerichte, in denen die ganze Bürgerschaft auf
+Provokation von dem Urteil des Magistrats hin entschied, lagen bis auf
+Sulla in den Händen in erster Reihe der Volkstribune, in zweiter der
+Ädilen, indem sämtliche Prozesse, durch die ein Beamter oder
+Beauftragter der Gemeinde wegen seiner Geschäftsführung zur
+Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf Leib und Leben oder auf
+Geldbußen gehen, von den Volkstribunen, alle übrigen Prozesse, in denen
+schließlich das Volk entschied, von den kurulischen oder plebejischen
+Ädilen in erster Instanz abgeurteilt, in zweiter geleitet wurden. Sulla
+hat den tribunizischen Rechenschaftsprozeß wenn nicht geradezu
+abgeschafft, so doch, ebenwie die legislatorische Initiative der
+Tribune, von der vorgängigen Einwilligung des Senats abhängig gemacht
+und vermutlich auch den ädilizischen Strafprozeß in ähnlicher Weise
+beschränkt. Dagegen erweiterte er die Kompetenz der
+Geschworenengerichte. Es gab damals ein doppeltes Verfahren vor
+Geschworenen. Das ordentliche, welches anwendbar war in allen nach
+unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder Zivilprozeß sich eignenden
+Fällen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen den Staat gerichteten
+Verbrechen, bestand darin, daß der eine der beiden hauptstädtischen
+Gerichtsherren die Sache instruierte und ein von ihm ernannter
+Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied. Der
+außerordentliche Geschworenenprozeß trat ein in einzelnen wichtigen
+Zivil- oder Kriminalfällen, wegen welcher durch besondere Gesetze
+anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof bestellt
+worden war. Dieser Art waren teils die für einzelne Fälle
+konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden
+Kommissionalgerichtshöfe, wie sie für Erpressungen, für Giftmischerei
+und Mord, vielleicht auch für Wahlbestechung und andere Verbrechen im
+Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils
+endlich die beiden Höfe der Zehnmänner für den Freiheits- und der
+Hundertundfünf- oder kürzer der Hundertmänner für den Erbschaftsprozeß,
+auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten Lanzenschaft das
+Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmännerhof (decemviri litibus
+iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze der Plebejer gegen
+ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung des Schaftgerichts
+liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefähr dieselben sein wie
+bei den oben erwähnten wesentlich gleichartigen Kriminalkommissionen.
+Über die Leitung dieser verschiedenen Gerichtshöfe war in den einzelnen
+Gerichtsordnungen verschieden bestimmt; so standen dem
+Erpressungsgericht ein Prätor, dem Mordgericht ein aus den gewesenen
+Ädilen besonders ernannter Vorstand, dem Schaftgericht mehrere aus den
+gewesenen Quästoren genommene Direktoren vor. Die Geschworenen wurden
+wenigstens für das ordentliche wie für das außerordentliche Verfahren
+in Gemäßheit der Gracchischen Ordnung aus den nichtsenatorischen
+Männern von Ritterzensus genommen; die Auswahl stand im allgemeinen den
+Magistraten zu, die die Gerichtsleitung hatten, jedoch in der Weise,
+daß sie mit dem Antritt ihres Amts die Geschworenenliste ein für
+allemal aufzustellen hatten und dann das einzelne Geschworenenkollegium
+aus diesen nicht durch freie Auswahl des Magistrats, sondern durch
+Losung und durch Rejektion der Parteien gebildet ward. Aus der
+Volkswahl gingen nur die Zehnmänner für den Freiheitsprozeß hervor.
+
+Sullas Reformen waren hauptsächlich dreifacher Art. Einmal vermehrte er
+die Zahl der Geschworenenhöfe sehr beträchtlich. Es gab späterhin
+besondere Geschworenenkommissionen für Erpressung; für Mord mit
+Einschluß von Brandstiftung und falschem Zeugnis; für Wahlbestechung;
+ferner für Hochverrat und jede Entehrung des römischen Namens; für die
+schwersten Betrugsfälle: Testaments- und Münzfälschung; für Ehebruch;
+für die schwersten Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und Störung
+des Hausfriedens; vielleicht auch für Unterschlagung öffentlicher
+Gelder, für Zinswucher und andere Vergehen; und wenigstens die meisten
+dieser Höfe sind von Sulla entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen
+und von ihm mit einer besonderen Kriminal- und Kriminalprozeßordnung
+versehen worden. Übrigens blieb es der Regierung unbenommen,
+vorkommendenfalls für einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhöfe zu
+bestellen. Folgeweise wurden hierdurch die Volksgerichte im
+wesentlichen abgeschafft, namentlich die Hochverratsprozesse an die
+neue Hochverratskommission gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozeß
+bedeutend beschränkt, indem ihm die schwereren Fälschungen und Injurien
+entzogen wurden. Was zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so
+standen, wie schon erwähnt ward, jetzt für die Leitung der
+verschiedenen Geschworenenhöfe sechs Prätoren zur Disposition, denen
+noch für die am meisten in Anspruch genommene Kommission für Mordtaten
+eine Anzahl anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die
+Geschworenenstellen traten drittens statt der gracchischen Ritter
+wieder die Senatoren ein.
+
+Der politische Zweck dieser Verfügungen, der bisherigen Mitregierung
+der Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig
+läßt es sich verkennen, daß dieselben nicht bloß politische
+Tendenzmaßregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde,
+dem seit den ständischen Kämpfen immer mehr verwilderten römischen
+Kriminalprozeß und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser
+Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem älteren Recht unbekannte
+Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute
+damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von
+dem Prätor geleitete Geschworenenbank gehört, als Zivilsache dasjenige
+Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter prätorischem
+Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen
+Quästionenordnungen läßt sich zugleich als das erste römische
+Gesetzbuch nach den Zwölf Tafeln und als das erste überhaupt je
+besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im
+einzelnen zeigt sich ein löblicher und liberaler Geist. So seltsam es
+von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum
+nichtsdestoweniger wahr, daß er die Todesstrafe für politische Vergehen
+abgeschafft hat; denn da nach römischer, auch von Sulla unverändert
+festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die Geschworenenkommission auf
+Verlust des Lebens oder auf gefängliche Haft erkennen konnte, so kam
+die Übertragung der Hochverratsprozesse von der Bürgerschaft auf eine
+stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung der Todesstrafe für
+solche Vergehen, während andererseits in der Beschränkung der
+verderblichen Spezialkommissionen für einzelne Hochverratsfälle, wie
+deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg gewesen war; gleichfalls
+ein Fortschritt zum Besseren lag. Die gesamte Reform ist von ungemeinem
+und dauerndem Nutzen gewesen und ein bleibendes Denkmal des
+praktischen, gemäßigten, staatsmännischen Geistes, der ihren Urheber
+wohl würdig machte, gleich den alten Dezemvirn als souveräner
+Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen die Parteien zu treten.
+
+Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen mag man die polizeilichen
+Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das Gesetz an die Stelle des
+Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte wieder einschärfte und
+durch Feststellung neuer Maximalsätze anstatt der alten längst
+verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begräbnissen und sonst zu
+beschränken versuchte.
+
+Endlich ist wenn nicht Sullas, doch das Werk der sullanischen Epoche
+die Entwicklung eines selbständigen römischen Munizipalwesens. Dem
+Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde als ein untergeordnetes
+politisches Ganze dem höheren Staatsganzen organisch einzufügen,
+ursprünglich fremd; die Despotie des Ostens kennt städtische
+Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in der ganzen
+hellenisch-italischen Welt fällt Stadt und Staat notwendig zusammen.
+Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus ein
+eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die römische Politik hielt mit
+der ihr eigenen zähen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten
+Jahrhundert wurden die abhängigen Gemeinden Italiens entweder, um ihnen
+ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveräne
+Nichtbürgerstaaten konstituiert oder, wenn sie römisches Bürgerrecht
+erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren,
+aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so daß in allen
+Bürgerkolonien und Bürgermunizipien selbst die Rechtspflege und das
+Bauwesen von den römischen Prätoren und Zensoren verwaltet ward. Das
+Höchste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernannten
+Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die
+dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht
+anders verfuhr man in den Provinzen, außer daß hier an die Stelle der
+hauptstädtischen Behörden der Statthalter trat. In den freien, das
+heißt formell souveränen Städten ward die Zivil- oder
+Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten
+verwaltet; nur daß freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien
+entgegenstanden, jeder Römer sowohl als Beklagter wie als Kläger
+verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem
+Recht entschieden zu sehen. Für die gewöhnlichen Provinzialgemeinden
+war der römische Statthalter die einzige regelmäßige Gerichtsbehörde,
+der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war schon viel, wenn, wie
+in Sizilien, in dem Fall, daß der Beklagte ein Siculer war, der
+Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten war, einen
+einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch entscheiden
+zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des
+instruierenden Beamten abgehangen zu haben.
+
+Im siebenten Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des
+öffentlichen Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom
+wenigstens für Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische
+Gemeinde war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur
+sizilischen Meerenge reichte, mußte man wohl sich entschließen,
+innerhalb dieser großen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So
+ward Italien nach Vollbürgergemeinden organisiert, bei welcher
+Gelegenheit man zugleich die durch ihren Umfang gefährlichen größeren
+Gaue, soweit dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere kleinere
+Stadtbezirke aufgelöst haben mag. Die Stellung dieser neuen
+Vollbürgergemeinden war ein Kompromiß zwischen derjenigen, die ihnen
+bis dahin als Bundesstaaten zugekommen war, und derjenigen, die ihnen
+als integrierenden Teilen der römischen Gemeinde nach älterem Recht
+zugekommen sein würde. Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der
+bisherigen formell souveränen latinischen oder auch, insofern deren
+Verfassung in den Grundzügen der römischen gleich ist, die der
+römischen altpatrizisch-konsularischen Gemeinde; nur daß darauf
+gehalten ward, für dieselben Institutionen in dem Munizipium andere und
+geringere Namen zu verwenden als in der Hauptstadt, das heißt im Staat.
+Eine Bürgerversammlung tritt an die Spitze mit der Befugnis,
+Gemeindestatute zu erlassen und die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein
+Gemeinderat von hundert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen
+Senats. Das Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei
+ordentlichen Richtern, die den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die
+den kurulischen Ädilen entsprechen. Die Zensurgeschäfte, die wie in Rom
+von fünf zu fünf Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach
+vorwiegend in der Leitung der Gemeindebauten bestanden, wurden von den
+höchsten Gemeindebeamten, also den beiden ordentlichen Gerichtsherren,
+mit übernommen, welche in diesem Fall den auszeichnenden Titel der
+“Gerichtsherren mit zensorischer oder Fünfjahrgewalt” annahmen. Die
+Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren. Für das Sakralwesen sorgten
+zunächst die beiden der ältesten latinischen Verfassung allein
+bekannten Kollegien priesterlicher Sachverständigen, die munizipalen
+Pontifices und Augurn.
+
+Was das Verhältnis dieses sekundären politischen Organismus zu dem
+primären des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie
+diesem die politischen Befugnisse vollständig zu und band also der
+Gemeindebeschluß und das Imperium der Gemeindebeamten den
+Gemeindebürger ebenso wie der Volksbeschluß und das konsularische
+Imperium den Römer. Dies führte im ganzen zu einer konkurrierenden
+Tätigkeit der Staats- und der Stadtbehörden: Es hatten beispielsweise
+beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne daß bei den
+etwaigen städtischen Schatzungen und Steuern die von Rom
+ausgeschriebenen oder bei diesen jene berücksichtigt worden wären; es
+durften öffentliche Bauten sowohl von den römischen Beamten in ganz
+Italien als auch von den städtischen in ihrem Sprengel angeordnet
+werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natürlich die
+Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluß den Stadtschluß. Eine
+förmliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo
+das reine Konkurrenzsystem zu der größten Verwirrung geführt haben
+würde; hier wurden im Kriminalprozeß vermutlich alle Kapitalsachen, im
+Zivilverfahren die schwereren, und ein selbständiges Auftreten der
+dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen
+Behörden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte
+auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden
+Rechtshändel beschränkt.
+
+Die Entstehung dieses italischen Gemeindewesens ist nicht überliefert.
+Es ist wahrscheinlich, daß sie in ihren Anfängen zurückgeht auf
+Ausnahmebestimmungen für die großen Bürgerkolonien, die am Ende des
+sechsten Jahrhunderts gegründet wurden; wenigstens deuten einzelne, an
+sich gleichgültige formelle Differenzen zwischen Bürgerkolonien und
+Bürgermunizipien darauf hin, daß die neue, damals praktisch an die
+Stelle der latinischen tretende Bürgerkolonie ursprünglich eine bessere
+staatsrechtliche Stellung gehabt hat als das weit ältere
+Bürgermunizipium, und diese Bevorzugung kann wohl nur bestanden haben
+in einer der latinischen sich annähernden Gemeindeverfassung, wie sie
+späterhin sämtlichen Bürgerkolonien wie Bürgermunizipien zukam.
+Bestimmt nachweisen läßt sich die neue Ordnung zuerst für die
+revolutionäre Kolonie Capua, und keinem Zweifel unterliegt es, daß sie
+ihre volle Anwendung erst fand, als die sämtlichen bisher souveränen
+Städte Italiens infolge des Bundesgenossenkriegs als Bürgergemeinden
+organisiert werden mußten. Ob schon das Julische Gesetz, ob die
+Zensoren von 668 (86), ob erst Sulla das einzelne geordnet hat, läßt
+sich nicht entscheiden; die Übertragung der zensorischen Geschäfte auf
+die Gerichtsherren scheint zwar nach Analogie der Sullanischen, die
+Zensur beseitigenden Ordnung eingeführt zu sein, kann aber auch
+ebensogut auf die älteste latinische Verfassung zurückgehen, die ja
+auch die Zensur nicht kannte. Auf alle Fälle ist diese dem eigentlichen
+Staat sich ein- und unterordnende Stadtverfassung eines der
+merkwürdigsten und folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit
+und des römischen Staatslebens überhaupt. Staat und Stadt
+ineinanderzufügen hat allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als
+es vermocht hat, das repräsentative Regiment und andere große
+Grundgedanken unseres heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln;
+aber es hat seine politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen
+geführt, wo diese die gegebenen Maße überwächst und sprengt, und vor
+allem ist dies in Rom geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide
+und in der Verbindung der alten und der neuen geistigen Welt steht. In
+der Sullanischen Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der
+städtische Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form
+zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende
+Gemeinde schon in der italischen vollständig entwickelt; bis auf den
+Namen, der freilich in solchen Dingen die Hälfte der Sache ist, hat
+diese letzte Verfassung der freien Republik das Repräsentativsystem und
+den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgeführt.
+
+Das Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geändert; die
+Gemeindebehörden der unfreien Städte blieben vielmehr, von besonderen
+Ausnahmen abgesehen, beschränkt auf Verwaltung und Polizei und auf
+diejenige Jurisdiktion, welche die römischen Behörden vorzogen, nicht
+selbst in die Hand zu nehmen.
+
+Dieses war die Verfassung, die Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom
+gab. Senat und Ritterstand, Bürgerschaft und Proletariat, Italiker und
+Provinzialen nahmen sie hin, wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward,
+wenn nicht ohne zu grollen, doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die
+Sullanischen Offiziere. Das römische Heer hatte seinen Charakter
+gänzlich verändert. Es war allerdings durch die Marianische Reform
+wieder schlagfertiger und militärisch brauchbarer geworden, als da es
+vor den Mauern von Numantia nicht focht; aber es hatte zugleich sich
+aus einer Bürgerwehr in eine Schar von Lanzknechten verwandelt, welche
+dem Staat gar keine und dem Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er
+verstand, sie persönlich an sich zu fesseln. Diese völlige Umgestaltung
+des Armeegeistes hatte der Bürgerkrieg in gräßlicher Weise zur Evidenz
+gebracht: sechs kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus,
+Cinna und Gaius Carbo, waren während desselben gefallen von der Hand
+ihrer Soldaten; einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefährlichen
+Meute Herr zu bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden
+Begierden den Zügel schießen ließ wie noch nie vor ihm ein römischer
+Feldherr. Wenn deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld
+gegeben wird, so ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch
+ungerecht; er war eben der erste römische Beamte, der seiner
+militärischen und politischen Aufgabe nur dadurch zu genügen imstande
+war, daß er auftrat als Condottiere. Aber er hatte die Militärdiktatur
+nicht übernommen, um den Staat der Soldateska untertänig zu machen,
+sondern vielmehr, um alles im Staat, vor allem aber das Heer und die
+Offiziere, unter die Gewalt der bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen.
+Wie dies offenbar ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem
+eigenen Stab. Mochte den übrigen Bürgern gegenüber die Oligarchie den
+Tyrannen spielen; aber daß auch die Generale, die mit ihrem guten
+Schwert die umgestürzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten,
+jetzt ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert
+wurden, schien unerträglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das
+meiste Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung
+der Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von
+Sizilien und Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren
+hatte, nach Vollzug seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein
+Heer zu entlassen, unterließ er es zu gehorsamen und wenig fehlte an
+offenem Aufstand. Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste
+wesentlich der Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt
+ward, bewarb sich in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu
+erlassenen Ordnungen um das Konsulat, ohne die niederen Ämter bekleidet
+zu haben. Mit Pompeius kam, wenn nicht eine herzliche Aussöhnung, doch
+ein Vergleich zustande. Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn
+nicht zu fürchten, nahm die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins
+Gesicht sagte, daß mehr Leute sich um die aufgehende Sonne kümmerten
+als um die untergehende, und bewilligte dem eitlen Jüngling die leeren
+Ehrenbezeigungen, an denen sein Herz hing. Wenn er hier sich läßlich
+zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, daß er nicht der Mann
+war, sich von seinen Marschällen imponieren zu lassen: So wie dieser
+verfassungswidrig als Bewerber vor das Volk trat, ließ ihn Sulla auf
+öffentlichem Marktplatz niederstoßen und setzte sodann der versammelten
+Bürgerschaft auseinander, daß die Tat auf seinen Befehl und warum sie
+vollzogen sei. So verstummte zwar für jetzt diese bezeichnende
+Opposition des Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber
+sie blieb bestehen und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten,
+daß das, was er diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden könne.
+
+Eines blieb noch übrig -vielleicht das schwerste von allem: die
+Zurückführung der Ausnahmezustände in die neualten gesetzlichen Bahnen.
+Sie ward dadurch erleichtert, daß Sulla dieses letzte Ziel nie aus den
+Augen verloren hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt
+und jeder seiner Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch
+dieser exorbitanten Befugnis sich nur bei Maßregeln bedient, die von
+vorübergehender Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und
+Bürgerschaft bloß nutzlos kompromittiert haben würde, namentlich bei
+den Ächtungen. Regelmäßig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen
+beobachtet, die er für die Zukunft vorschrieb. Daß das Volk befragt
+ward, lesen wir in dem Quästorengesetz, das zum Teil noch vorhanden
+ist, und von anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen
+über die Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei
+wichtigeren Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und
+Zurückberufung der afrikanischen Armee und bei Erteilung von
+städtischen Freibriefen, der Senat vorangestellt. In demselben Sinn
+ließ Sulla schon für 673 (81) Konsuln wählen, wodurch wenigstens die
+gehässige offizielle Datierung nach der Regentschaft vermieden ward;
+doch blieb die Macht noch ausschließlich bei dem Regenten und ward die
+Wahl auf sekundäre Persönlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674
+80) setzte Sulla die ordentliche Verfassung wieder vollständig in
+Wirksamkeit und verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem
+Waffengenossen Quintus Metellus den Staat, während er die Regentschaft
+zwar noch beibehielt, aber vorläufig ruhen ließ. Er begriff es wohl,
+wie gefährlich es eben für seine eigenen Institutionen war, die
+Militärdiktatur zu verewigen. Da die neuen Zustände sich haltbar zu
+erweisen schienen, und von den neuen Einrichtungen zwar manches,
+namentlich in der Kolonisierung, noch zurück, aber doch das meiste und
+wichtigste vollendet war, so ließ er den Wahlen für 675 (79) freien
+Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat als mit seinen eigenen
+Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald nachdem die neuen Konsuln
+Publius Servilius und Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten, im
+Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft nieder. Es ergriff selbst
+starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit dem Leben und dem
+Eigentum von Millionen nach Willkür geschaltet hatte, auf dessen Wink
+so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse Roms, in jeder
+Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen ebenbürtigen
+Verbündeten, ja genau genommen ohne den Rückhalt einer festen Partei
+sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk der
+Reorganisation des Staates zu Ende geführt hatte, als dieser Mann auf
+den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig
+begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener
+entließ und die dichtgedrängte Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn
+einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles schwieg; Sulla stieg herab
+von der Rednerbühne und zu Fuß, nur von den Seinigen begleitet, ging er
+mitten durch ebenjenen Pöbel, der ihm vor acht Jahren das Haus
+geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung.
+
+Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk
+richtig zu würdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt
+gegen die Persönlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich
+entgegenstemmen. In der Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man
+darf vielleicht sagen eine einzige Erscheinung in der Geschichte.
+Physisch und psychisch ein Sanguiniker, blauäugig, blond, von
+auffallend weißer, aber bei jeder leidenschaftlichen Bewegung sich
+rötender Gesichtsfarbe, übrigens ein schöner, feurig blickender Mann,
+schien er nicht eben bestimmt, dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen,
+die seit seines Großvaters Großvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul
+464, 477 290, 277), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem
+prunkliebendsten Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten
+Ranges verharrt hatten. Er begehrte vom Leben nichts als heiteren
+Genuß. Aufgewachsen in dem Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in
+jener Zeit auch in den minder reichen senatorischen Familien Roms
+einheimisch war, bemächtigte er rasch und bebend sich der ganzen Fülle
+sinnlich geistiger Genüsse, welche die Verbindung hellenischer Feinheit
+und römischen Reichtums zu gewähren vermochten. Im adligen Salon und
+unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als angenehmer
+Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden
+in ihm den teilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der
+Not, der sein Geld weit lieber seinem bedrängten Genossen als seinem
+reichen Gläubiger gönnte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch
+leidenschaftlicher den Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er
+nicht mehr Regent, wenn er nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur
+Tafel setzte. Ein Zug der Ironie, man könnte vielleicht sagen der
+Bouffonnerie, geht durch seine ganze Natur. Noch als Regent befahl er,
+während er die Versteigerung der Güter der Geächteten leitete, für ein
+ihm überreichtes schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus
+der Beute zu verabreichen unter der Bedingung, daß er gelobe, ihn
+niemals wieder zu besingen. Als er vor der Bürgerschaft Ofenas
+Hinrichtung rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten die Fabel
+erzählte von dem Ackersmann und den Läusen. Seine Gesellen wählte er
+gern unter den Schauspielern und liebte es, nicht bloß mit Quintus
+Roscius, dem römischen Talma, sondern auch mit viel geringeren
+Bühnenleuten beim Weine zu sitzen; wie er denn auch selbst nicht
+schlecht sang und sogar zur Aufführung in seinem Zirkel selber Possen
+schrieb. Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die
+körperliche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der
+ländlichen Muße seiner letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob, und daß
+er aus dem eroberten Athen die Aristotelischen Schriften nach Rom
+brachte, beweist doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer
+Lektüre. Das spezifische Römertum stieß ihn eher ab. Von der plumpen
+Morgue, die die römischen Großen gegenüber den Griechen zu entwickeln
+liebten, und von der Feierlichkeit beschränkter großer Männer hatte
+Sulla nichts, vielmehr ließ er gern sich gehen, erschien wohl zum
+Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen Städten in
+griechischer Tracht oder veranlaßte seine adligen Gesellen, bei den
+Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den
+halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in
+Ländern freier Verfassung jede jugendliche Kapazität auf den
+politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder andere einmal
+empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war, schwankend
+zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nüchternem Erwachen,
+verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen und Streben mochte ihm
+eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall
+regiert ward und wo, wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts
+spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der Zeit,
+zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben folgte auch
+er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nicht der plebejische
+Köhlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen
+und seine Handlungen durch ihn bestimmen läßt; noch weniger der
+finstere Verhängnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das
+Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhängende
+Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen Menschen notwendig
+sich einstellt, der Aberglaube des glücklichen Spielers, der sich vom
+Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und überall die rechte Nummer
+zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den
+Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die
+Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, äußerte er, daß es
+demjenigen nimmermehr fehlen könne, dem die Götter selbst die Kasse
+füllten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, daß sie sich
+scheuten, die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes
+hell geklungen, als man sie berührt, ließ er ihnen zurücksagen, daß man
+sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der Gott seinem
+Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem
+Gedanken, der auserwählte Liebling der Götter zu sein, ganz besonders
+jener, der er bis in seine späten Jahre vor allen den Preis gab, der
+Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie
+rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die
+Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht,
+auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf
+sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen, daß jedes
+improvisierte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmäßig
+angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den
+Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regelmäßig als null
+anzugeben, ist doch auch nichts als die Kinderei eines Glückskindes. Es
+war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er, auf dem
+Gipfel seiner Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in
+schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen,
+Sulla Felix, als förmlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern
+entsprechende Benennungen beilegte.
+
+Nichts lag Sulla ferner als der planmäßige Ehrgeiz. Er war zu gescheit,
+um gleich den Dutzendaristokraten seiner Zeit die Verzeichnung seines
+Namens in die konsularischen Register als das Ziel seines Lebens zu
+betrachten; zu gleichgültig und zu wenig Ideolog, um sich mit der
+Reform des morschen Staatsgebäudes freiwillig befassen zu mögen. Er
+blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen, in dem Kreis der vornehmen
+Gesellschaft und machte wie üblich die Ämterlaufbahn durch; Ursache
+sich anzustrengen hatte er nicht und überließ dies den politischen
+Arbeitsbienen, an denen es ja nicht fehlte. So führte ihn im Jahre 647
+(107) bei der Verlosung der Quästorenstellen der Zufall nach Afrika in
+das Hauptquartier des Gaius Marius. Der unversuchte hauptstädtische
+Elegant ward von dem rauben bäurischen Feldherrn und seinem erprobten
+Stab nicht zum besten empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte
+Sulla, furchtlos und anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk
+sich zu eigen und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien
+zuerst jene eigentümliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit,
+wegen deren seine Zeitgenossen von ihm sagten, daß er halb Löwe, halb
+Fuchs und der Fuchs in ihm gefährlicher sei als der Löwe. Dem jungen,
+hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermaßen der
+eigentliche Beendiger des lästigen Numidischen Krieges war, öffnete
+jetzt sich die glänzendste Laufbahn; er nahm auch teil am Kimbrischen
+Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen
+Verpflegungsgeschäftes sein ungemeines Organisationstalent;
+nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des
+hauptstädtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In der
+Prätur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben
+hatte, im Jahre 661 (93) übernahm, fügte es sich abermals, daß ihm in
+seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg über
+König Mithradates und der erste Vertrag mit den mächtigen Arsakiden
+sowie deren erste Demütigung gelang. Der Bürgerkrieg folgte. Sulla war
+es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion
+zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich
+gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand mit
+energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glück schien sich ein
+Geschäft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen
+jüngeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die
+Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte,
+wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollführt; im
+Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbüßte und
+abgesetzt ward, gründete Sulla seinen militärischen Ruf und stieg empor
+zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor allem
+ein persönlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war, endigte
+mit Marius’ Ächtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war Sulla der
+berühmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie geworden. Es
+folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische Krieg, die
+Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. Wie der
+Kapitän, der das brennende Schiff nicht löscht, sondern fortfährt, auf
+den Feind zu feuern, harrte Sulla, während die Revolution in Italien
+tobte, in Asien unerschüttert aus, bis der Landesfeind gezwungen war.
+Mit diesem fertig, zerschmetterte er die Anarchie und rettete die
+Hauptstadt vor der Brandfackel der verzweifelnden Samniten und
+Revolutionäre. Der Moment der Heimkehr war für Sulla ein
+überwältigender in Freude und in Schmerz; er selbst erzählt in seinen
+Memoiren, daß er die erste Nacht in Rom kein Auge habe zutun können,
+und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war seine Aufgabe nicht zu
+Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter Selbstherrscher wie nur
+je ein König und doch durchaus verharrend auf dem Boden des formellen
+Rechts, zügelte er die ultrareaktionäre Partei, vernichtete die seit
+vierzig Jahren die Oligarchie einengende Gracchische Verfassung und
+zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz machenden Mächte der
+Kapitalisten und des hauptstädtischen Proletariats, endlich den im
+Schoße seines eigenen Stabes erwachsenen Übermut des Säbels wieder
+unter das neu befestigte Gesetz. Selbständiger als je stellte er die
+Oligarchie hin, legte die Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre
+Hände, verlieh ihr die Gesetzgebung, die Gerichte, die militärische und
+finanzielle Obergewalt und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten
+Sklaven, eine Art Heer in den angesiedelten Militärkolonisten. Endlich,
+als das Werk vollendet war, trat der Schöpfer zurück von seiner
+Schöpfung; freiwillig ward der absolute Selbstherrscher wieder
+einfacher Senator. In dieser ganzen langen militärischen und
+politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht verloren, nie einen
+Schritt zurücktun müssen und ungeirrt von Feinden und Freunden sein
+Werk geführt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl hatte er Ursache,
+seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Göttin des Glücks schien hier
+einmal die Laune der Beständigkeit angewandelt und sie darin sich
+gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen und Ehren zu häufen,
+was er begehrte und nicht begehrte. Aber die Geschichte wird gerechter
+gegen ihn sein müssen, als er es gegen sich selber war, und ihn in eine
+höhere Reihe stellen als in die der bloßen Favoriten der Fortuna.
+
+Nicht als wäre die Sullanische Verfassung ein Werk politischer
+Genialität, wie zum Beispiel die Gracchische und die Caesarische. Es
+begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der Restauration mit sich
+bringt, auch nicht ein staatsmännisch neuer Gedanke; alle ihre
+wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat durch Bekleidung der
+Quästur, die Aufhebung des zensorischen Rechts, den Senator aus dem
+Senate zu stoßen, die legislatorische Initiative des Senats, die
+Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug des Senats zur
+Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer des Oberamts auf
+zwei Jahre, der Übergang des Kommandos von dem Volksmagistrat auf den
+senatorischen Prokonsul oder Proprätor, selbst die neue Kriminal- und
+Munizipalordnung sind nicht von Sulla geschaffene, sondern früher schon
+aus dem oligarchischen Regiment entwickelte und durch ihn nur
+regulierte und fixierte Institutionen. Ja selbst die seiner
+Restauration anhaftenden Greuel, die Ächtungen und Konfiskationen, sind
+sie, verglichen mit den Taten der Nasica, Popillius, Opimius, Caepio
+und so weiter, etwas anderes als die rechtliche Formulierung der
+hergebrachten oligarchischen Weise, sich der Gegner zu entledigen? Über
+die römische Oligarchie dieser Zeit nun gibt es kein Urteil als
+unerbittliche und rücksichtslose Verdammung; und wie alles andere, was
+ihr anhängt, ist davon auch die Sullanische Verfassung vollständig
+mitbetroffen. Das von der Genialität des Bösen bestochene Lob
+versündigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte; aber daran wird
+man doch erinnern dürfen, daß weit weniger Sulla die Sullanische
+Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten als Clique
+regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften Entnervung und
+Verbissenheit verfallende römische Aristokratie insgesamt, und daß
+alles, was darin schal, und alles, was darin verrucht ist, am letzten
+Ende auf diese zurückfällt. Sulla hat den Staat reorganisiert, aber
+nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde nach
+eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern wie der zeitweilige
+Geschäftsführer, der seiner Anweisung getreu nachkommt; es ist flach
+und falsch, in diesem Falle die schließliche und wesentliche
+Verantwortung von dem Geschäftsherrn ab auf den Verwalter zu wälzen.
+Man schlägt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder findet vielmehr mit
+jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden und nie
+wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und Restaurationen
+viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk eines zufällig an die
+Spitze des Staats geratenen Wüterichs ansieht. Adelstaten waren dies
+und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht mehr dabei als, mit dem
+Dichter zu reden, das hinter dem bewußten Gedanken unbewußt
+herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit wunderbarer, ja
+dämonischer Vollkommenheit durchgeführt; innerhalb der Grenzen aber,
+die sie ihm gezogen, hat er nicht bloß großartig, sondern selbst
+nützlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und stetig tiefer
+sinkende Aristokratie, wie die römische damals war, einen Vormund
+gefunden, der so wie Sulla willig und fähig war, ohne jede Rücksicht
+auf eigenen Machtgewinn für sie den Degen des Feldherrn und den Griffel
+des Gesetzgebers zu führen. Es ist freilich ein Unterschied, ob ein
+Offizier aus Bürgersinn das Szepter verschmäht oder aus Blasiertheit es
+wegwirft; aber in der völligen Abwesenheit des politischen Egoismus -
+freilich auch nur in diesem einen - verdient Sulla neben Washington
+genannt zu werden. Aber nicht bloß die Aristokratie, das gesamte Land
+ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla
+hat die italische Revolution, insoweit sie beruhte auf der
+Zurücksetzung einzelner minder berechtigter gegen andere besser
+berechtigte Distrikte, endgültig geschlossen und ist, indem er sich und
+seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller Italiker vor dem
+Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber der vollen
+staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit endloser
+Not und Strömen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft war. Aber Sulla
+hat noch mehr getan. Seit länger als einem halben Jahrhundert war Roms
+Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in Permanenz; denn das
+Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung war Anarchie und
+gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit ärgere Meisterlosigkeit,
+deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in jenem ebenso verwirrten
+wie naturwidrigen Bündnis mit den Samniten widerspiegelt, der
+unklarste, unerträglichste, heilloseste aller denkbaren politischen
+Zustände, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist nicht zu viel gesagt,
+wenn man behauptet, daß das lange unterhöhlte römische Gemeinwesen
+notwendig hätte zusammenstürzen müssen, wenn nicht durch die
+Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz desselben
+gerettet hätte. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig Bestand gehabt
+wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, daß sein Bau kein
+solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, darüber zu
+übersehen, daß ohne Sulla höchstwahrscheinlich der Bauplatz selbst von
+den Fluten wäre fortgerissen worden; und auch jener Tadel trifft
+zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in dem ihm
+angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter tun
+konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und
+geahnt hat er es selbst, daß er wohl eine Festung, aber keine Besatzung
+zu schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen
+jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine
+Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm;
+es ist kein Vorwurf für den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt später die
+Wellen den naturwidrigen und von den Geschützten selbst nicht
+verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung
+auf höchst löbliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen
+Steuerwesens und der Kriminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere
+Restauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin eine
+richtig entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten im großen und
+ganzen konsequent durchgeführte Reorganisation des römischen
+Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der
+italischen Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen.
+
+Freilich ist es nicht bloß der Staatsmann, der im Totengericht Stimme
+hat, und das empörte menschliche Gefühl wird mit Recht sich nie mit dem
+versöhnen, was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla
+hat seine Gewaltherrschaft nicht bloß mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit
+begründet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen
+Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich
+verdorben hat mit der großen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor
+dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber
+allerdings auch dem sittlichen Urteil wegen der Kühle und Klarheit
+seines Frevels noch empörender erscheint als der leidenschaftliche
+Verbrecher. Ächtungen, Belohnungen der Henker, Güterkonfiskationen,
+kurzer Prozeß gegen unbotmäßige Offiziere waren hundertmal vorgekommen,
+und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte
+für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhört, daß
+die Namen der vogelfreien Männer öffentlich angeschlagen und die Köpfe
+öffentlich ausgestellt wurden, daß den Banditen eine feste Summe
+ausgesetzt und dieselbe in die öffentlichen Kassenbücher ordnungsmäßig
+eingetragen ward, daß das eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute
+auf offenem Markt unter den Hammer kam, daß der Feldherr den
+widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen ließ und vor allem Volk
+sich zu der Tat bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der Humanität
+ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu beigetragen,
+spätere revolutionäre Krisen im voraus zu vergiften, und noch jetzt
+ruht deswegen verdientermaßen ein finsterer Schatten auf dem Andenken
+des Urhebers der Proskriptionen.
+
+Mit Recht darf man ferner tadeln, daß Sulla, während er in allen
+wichtigen Dingen rücksichtslos durchgriff, doch in untergeordneten,
+namentlich in Personenfragen sehr häufig seinem sanguinischen
+Temperament nachgab und nach Neigung oder Abneigung verfuhr. Er hat, wo
+er wirklich einmal Haß empfand, wie gegen die Marier, ihm zügellos auch
+gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von sich selbst gerühmt, daß
+niemand besser als er Freunden und Feinden vergolten habe ^13. Er
+verschmähte es nicht, bei Gelegenheit seiner Machtstellung, ein
+kolossales Vermögen zu sammeln. Der erste absolute Monarch des
+römischen Staats, bewährte er den Kernspruch des Absolutismus, daß den
+Fürsten die Gesetze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst
+erlassenen Ehebruchs- und Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber
+als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat sein läßliches
+Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon seine schlaffe
+Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische Notwendigkeit
+geboten war, läßt sich hierher rechnen; viel schädlicher aber noch war
+die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang. Es ist kaum glaublich,
+was er gelegentlich hinnahm; so zum Beispiel ward dem Lucius Murena für
+die durch die schlimmste Verkehrtheit und Unbotmäßigkeit erlittenen
+Niederlagen nicht bloß die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph
+zugestanden; so wurde Gnaeus Pompeius, der sich noch schwerer vergangen
+hatte, von Sulla noch verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die
+ärgsten Frevel der Ächtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich
+weniger aus Sullas eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner
+Stellung kaum verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Daß
+Sulla bei seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgültigen
+Wesen sehr verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich
+streng auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, daß
+er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein
+blutdürstiger Wüterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als
+Regent das Gegenteil der früheren Gelindigkeit zeigte, so wird man
+vielmehr sagen müssen, daß er mit demselben nachlässigen Gleichmut
+strafte, mit dem er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht
+überhaupt durch sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem
+Sieger, eben wie es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glück zu
+schelten, auch der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe
+Empfindung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eigenen Werkes;
+als ziehe er nach Verwalterart das Ausbessern dem Einreißen und Umbauen
+vor und lasse sich am Ende auch mit einer leidlichen Übertünchung der
+Schäden genügen.
+
+——————————————————————————-
+
+^13 Euripides, Medeia, 807:
+
+Es soll mich keiner achten schwächlich und gering,
+
+Gutmütig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff,
+
+Den Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll.
+
+——————————————————————————-
+
+Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem
+Gusse. Sein ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines
+Wesens; in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unverändert derselbe.
+Es war derselbe Sinn, der nach den glänzenden Erfolgen in Afrika ihn
+wieder den hauptstädtischen Müßiggang suchen und der nach dem
+Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden ließ in
+seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, daß ihm
+die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so wie er
+durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er völlig sich
+gleich, ohne Unmut und ohne Affektation, froh, der öffentlichen
+Geschäfte entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die
+Gelegenheit sich bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner
+Memoiren füllten seine müßigen Stunden; dazwischen ordnete er auf
+Bitten der unter sich uneinigen Bürger die inneren Verhältnisse der
+benachbarten Kolonie Puteoli ebenso sicher und rasch wie früher die
+Verhältnisse der Hauptstadt. Seine letzte Tätigkeit auf dem
+Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem
+Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm
+nicht mehr vergönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im
+sechzigsten Lebensjahr, frisch an Körper und Geist, ward er vom Tode
+ereilt; nach kurzem Krankenlager - noch zwei Tage vor seinem Tode
+schrieb er an seiner Selbstbiographie - raffte ein Blutsturz ^14 ihn
+hinweg (676 78). Sein getreues Glück verließ ihn auch im Tode nicht. Er
+konnte nicht wünschen, noch einmal in den widerwärtigen Strudel der
+Parteikämpfe hineingezogen zu werden und seine alten Krieger noch
+einmal gegen eine neue Revolution führen zu müssen; und nach dem Stande
+der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien hätte bei längerem
+Leben ihm dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner
+feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, wurden
+zahlreiche Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwiegen hatten, dort
+gegen die letzte Ehre laut, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte.
+Aber noch war die Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten
+Soldaten zu lebendig; es wurde beschlossen, die Leiche nach der
+Hauptstadt bringen zu lassen und dort die Exequien zu begehen. Nie hat
+Italien eine großartigere Trauerfeier gesehen. Überall wo der königlich
+geschmückte Tote hindurchgetragen ward, ihm vorauf seine wohlbekannten
+Feldzeichen und Rutenbündel, da schlossen die Einwohner und vor allem
+seine alten Lanzknechte an das Trauergefolge sich an; es schien, als
+wollte die gesamte Truppe um den Mann, der sie im Leben so oft und nie
+anders als zum Siege geführt hatte, noch einmal im Tode sich
+vereinigen. So gelangte der endlose Leichenzug in die Hauptstadt, wo
+die Gerichte feierten und alle Geschäfte ruhten und zweitausend goldene
+Kränze, als letzte Ehrengabe der treuen Legionen, der Städte und der
+näheren Freunde, des Toten harrten. Sulla hatte, dem
+Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemäß, seinen Körper unverbrannt
+beizusetzen verordnet; aber andere waren besser als er dessen
+eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und künftige Tage
+bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die Leiche des Mannes, der
+die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe aufgestört hatte, den
+Flammen übergeben. Geleitet von allen Beamten und dem gesamten Senat,
+den Priestern und Priesterinnen in ihrer Amtstracht und der ritterlich
+gerüsteten adligen Knabenschar gelangte der Zug auf den großen
+Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast noch von dem Klange
+seiner gefürchteten Worte erfüllten Platz ward dem Toten die
+Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern der
+Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen errichtet
+war. Während er in Flammen loderte, hielten die Ritter und die Soldaten
+den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber ward auf dem
+Marsfeld neben den Gräbern der alten Könige beigesetzt, und ein Jahr
+hindurch haben die römischen Frauen um ihn getrauert.
+
+—————————————————————————-
+
+^14 Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem
+einfachen Grunde, daß eine solche Krankheit nur in der Phantasie
+existiert.
+
+
+
+
+KAPITEL XI.
+Das Gemeinwesen und seine Ökonomie
+
+
+Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahr tiefen Friedens, fünfzig
+einer fast permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese
+Epoche die ruhmloseste, die die römische Geschichte kennt. Zwar wurden
+in westlicher und östlicher Richtung die Alpen überschritten und
+gelangten die römischen Waffen auf der spanischen Halbinsel bis zum
+Atlantischen Ozean, auf der makedonisch-griechischen bis zur Donau;
+aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der
+“auswärtigen Völkerschaften in der Willkür, Botmäßigkeit, Herrschaft
+oder Freundschaft der römischen Bürgerschaft” ^1 ward nicht wesentlich
+erweitert; man begnügte sich, den Erwerb einer besseren Zeit zu
+realisieren und die in loseren Formen der Abhängigkeit an Rom
+geknüpften Gemeinden mehr und mehr in die volle Untertänigkeit zu
+bringen. Hinter dem glänzenden Vorhang der Provinzialreunionen verbarg
+sich ein sehr fühlbares Sinken der römischen Macht. Während die gesamte
+antike Zivilisation immer bestimmter in dem römischen Staat
+zusammengefaßt, immer altgemeingültiger in demselben formuliert ward,
+fingen zugleich jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr
+ausgeschlossenen Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff
+überzugehen. Auf den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae,
+von Chäroneia und Orchomenos wurden die ersten Schläge desjenigen
+Gewitters vernommen, das über die italisch-griechische Welt zu bringen
+die germanischen Stämme und die asiatischen Horden bestimmt waren und
+dessen letztes dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart
+hineinreicht. Aber auch in der inneren Entwicklung trägt diese Epoche
+denselben Charakter. Die alte Ordnung stürzt unwiederbringlich
+zusammen. Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde,
+welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und die
+Gesetze gab, welche von diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser
+gesetzlichen Schranken mit königlicher Freiheit geleitet ward, um
+welche teils die italische Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier,
+der römischen wesentlich gleichartiger und stammverwandter
+Stadtgemeinden, teils die außeritalische Bundesgenossenschaft als ein
+Inbegriff griechischer Freistädte und barbarischer Völker und
+Herrschaften, beide von der Gemeinde Rom mehr bevormundet als
+beherrscht, in zweifachem Kreise sich schlossen. Es war das letzte
+Ergebnis der Revolution - und beide Parteien, die nominell konservative
+wie die demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin
+zusammen -, daß von diesem ehrwürdigen Bau, der am Anfang der
+gegenwärtigen Epoche zwar rissig und schwankend, aber doch noch
+aufrecht gestanden, am Schluß derselben kein Stein mehr auf dem andern
+geblieben war. Der souveräne Machthaber war jetzt entweder ein
+einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der Vornehmen,
+bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden rechtlichen Anteil am
+Regiment verloren. Die Beamten waren unselbständige Werkzeuge in der
+Hand des jedesmaligen Machthabers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch
+ihre widernatürliche Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische
+Eidgenossenschaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die
+außeritalische Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine
+Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte organische Gliederung des
+römischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen und nichts übrig
+geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder disparater Elemente.
+Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere und äußere Auflösung
+des Staats überzugehen. Die politische Bewegung lenkte durchaus nach
+dem Ziele der Despotie; nur darüber noch ward gestritten, ob der
+geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der Kapitalistensenat
+oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische Bewegung ging
+durchaus die zum Despotismus führenden Wege: der Grundgedanke des
+freien Gemeinwesens, daß die ringenden Mächte gegenseitig sich auf
+mittelbaren Zwang beschränken, war allen Parteien gleichmäßig abhanden
+gekommen, und hüben und drüben fingen zuerst die Knüttel, bald auch die
+Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. Die Revolution, insofern zu
+Ende, als die alte Verfassung von beiden Seiten als definitiv beseitigt
+anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen Entwicklung deutlich
+festgestellt war, hatte doch für diese Reorganisation des Staates
+selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen gefunden; weder die
+Gracchische noch die Sullanische Konstituierung der Gemeinde trugen
+einen abschließenden Charakter. Das aber war das Bitterste dieser
+bitteren Zeit, daß dem klarsehenden Patrioten selbst das Hoffen und das
+Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit all ihrer
+unendlichen Segensfülle ging unaufhaltsam unter, und die Dämmerung
+senkte sich über die eben noch so glänzende Welt. Es war keine
+zufällige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie hätten wehren
+können; es waren uralte soziale Schäden, im letzten Kern der Ruin des
+Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das römische
+Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der
+Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie zu verlängern
+und zu verkürzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser beraten, je rascher
+und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten freiheitlichen
+Verfassung beseitigte und für das bescheidene Maß menschlichen
+Gedeihens, wofür in dem Absolutismus Raum ist, die neuen Formen und
+Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter den gegebenen
+Verhältnissen gegenüber jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich
+ebendarin, daß ein solcher energisch nivellierender und energisch
+aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behörde nimmermehr
+geübt werden konnte. Allein diese kühlen Erwägungen machen keine
+Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut für die
+Zukunft. Man mußte eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren
+werde, nicht leben und nicht sterben zu können, und ob es schließlich
+an einer mächtigen Natur seinen Meister und, soweit dies möglich war,
+seinen Neuschöpfer finden oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen
+werde.
+
+————————————————————————————————————
+
+^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi
+Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der
+nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen
+“Eidgenossen und Stammverwandten” (socii nominisve Latini).
+
+———————————————————————————————————-
+
+Es bleibt noch übrig, die ökonomische und soziale Seite dieses Verlaufs
+hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits früher geschehen ist.
+
+Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich auf
+den Einkünften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, die
+hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Gefällen
+als außerordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der Schlacht von
+Pydna nicht wieder erhoben, so daß die unbedingte Grundsteuerfreiheit
+anfing, als ein verfassungsmäßiges Vorrecht des römischen
+Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats, wie das
+Salzmonopol und das Münzrecht, wurden, wenn überhaupt je, so wenigstens
+jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue
+Erbschaftssteuer ließ man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht
+geradezu ab. Demnach zog die römische Staatskasse aus Italien
+einschließlich des diesseitigen Galliens nichts als teils den
+Domänenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den
+Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen
+und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einführenden in das römische
+Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als
+Luxussteuern betrachtet werden können und allerdings durch die
+Ausdehnung des römischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz
+Italien, wahrscheinlich mit Einschluß des diesseitigen Galliens,
+ansehnlich gesteigert werden mußten.
+
+In den Provinzen nahm der römische Staat zunächst als Privateigentum in
+Anspruch teils in den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte
+Mark, teils in denjenigen Staaten, wo die römische Regierung an die
+Stelle der ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen
+innegehaltenen Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von
+Leontinoi, Karthago, Korinth, das Domanialgut der Könige von
+Makedonien, Pergamon und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien
+als römische Domänen galten und, ähnlich wie das Gebiet von Capua, von
+den römischen Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer
+Ertragsquote oder einer bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Daß
+Gaius Gracchus noch weiter ging, das gesamte Provinzialland als Domäne
+ansprach und zunächst für die Provinz Asia diesen Satz insofern
+praktisch durchführte, als er den Bodenzehnten, die Hut- und
+Hafengelder daselbst rechtlich motivierte durch das Eigentumsrecht des
+römischen Staats an Acker, Wiese und Küste der Provinz, mochten diese
+nun früher dem König oder Privaten gehört haben, ward bereits früher
+ausgeführt.
+
+Nutzbare Staatsregalien scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen
+gegenüber noch nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und
+Ölbaues im Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher
+nicht zugute. Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in großem
+Umfang erhoben. Die als vollständig souverän anerkannten
+Klientelstaaten, also zum Beispiel die Königreiche Numidien und
+Kappadokien, die Bundesstädte (civitates foederatae) Rhodos, Messana,
+Tauromenion, Massalia, Gades waren rechtlich steuerfrei und durch ihren
+Vertrag nur verpflichtet, die römische Republik in Kriegszeiten teils
+durch regelmäßige Stellung einer festen Anzahl von Schiffen oder
+Mannschaften auf ihre Kosten, teils, wie natürlich, im Notfall durch
+außerordentliche Hilfsleistung jeder Art zu unterstützen. Das übrige
+Provinzialgebiet dagegen, selbst mit Einschluß der Freistädte, unterlag
+durchgängig der Besteuerung, und nur die mit römischem Bürgerrecht
+beliehenen Städte, wie Narbo, und die speziell mit der Steuerfreiheit
+beschenkten Gemeinden (civitates immunes), wie Kentoripa in Sizilien,
+waren hiervon ausgenommen. Die direkten Abgaben bestanden teils, wie in
+Sizilien und Sardinien, in einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben
+und sonstigen Feldfrüchte wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das
+Land zur Weide lag, einem entsprechenden Hutgeld; teils, wie in
+Makedonien, Achaia, Kyrene, dem größten Teil von Africa, beiden
+Spanien, nach Sulla auch in Asia, in einer von jeder einzelnen Gemeinde
+jährlich nach Rom zu entrichtenden festen Geldsumme (stipendium,
+tributum), welche zum Beispiel für ganz Makedonien 600000 (183000
+Taler), für die kleine Insel Gyaros bei Andros 150 Denare (46 Taler)
+betrug und allem Anschein nach im ganzen niedrig und geringer war als
+die vor der römischen Herrschaft entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten
+und Hutgelder verdang der Staat gegen Lieferung fester Quantitäten Korn
+oder fester Geldsummen an Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen
+hielt er sich an die einzelnen Gemeinden und überließ es diesen, den
+Betrag nach den von der römischen Regierung im allgemeinen
+festgestellten Prinzipien auf die Steuerpflichtigen zu repartieren und
+von diesen einzuziehen 3. Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen
+von den untergeordneten Chaussee-, Brücken- und Kanalgeldern,
+wesentlich in den Zöllen. Die Zölle des Altertums waren, wo nicht
+ausschließlich doch sehr vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzölle auf
+die zur Feilbietung bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden
+von jeder Gemeinde in ihren Häfen und ihrem Gebiet nach Ermessen
+erhoben. Die Römer erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als
+sich ihr ursprüngliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der
+römische Bürgerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein
+allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des
+Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden für den römischen Staat
+wohl durchaus Zollfreiheit, für den römischen Bürger vielfach
+wenigstens Zollbegünstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken,
+die nicht zum Bündnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher
+Untertänigkeit standen, auch nicht die Immunität erworben hatten,
+fielen die Zölle doch selbstverständlich an den eigentlichen Souverän,
+das heißt an die römische Gemeinde; und infolgedessen wurden einzelne
+größere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere römische
+Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen verbündeten oder
+mit Immunität beliehenen Gemeinden als vom römischen Zoll befreit
+enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der karthagischen
+Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von allen aus-
+und eingehenden Waren eine Abgabe von fünf Prozent vom Wert erhoben
+ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen
+Gesetzes eine ähnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward
+in ähnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschließlich der Feldmark der
+römischen Kolonie, als römischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser
+Einrichtung mag außer den fiskalischen Zwecken auch die löbliche
+Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzöllen
+unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmäßige
+Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zölle gleich
+den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmänner verdungen.
+
+————————————————————————————————-
+
+2 Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum
+erhebt, ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentümerzehnten, den er auf
+das Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein
+für allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers,
+verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende
+Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr. 3,
+6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Römisches
+Staatsrecht, Bd. 3, S. 730.
+
+3 Das Verfahren war, wie es scheint, folgendes. Die römische Regierung
+bestimmte zunächst die Gattung und die Höhe der Abgabe: so zum Beispiel
+ward in Asien auch nach der Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte
+Garbe erhoben (App. civ. 5 4); so steuerten nach Caesars Verordnung die
+Juden jedes andere Jahr ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10,
+6; vgl. 2, 5); so ward in Kilikien und Syrien später 5 vom Hundert des
+Vermögens (App. Syr. 50) und auch in Africa eine, wie es scheint,
+ähnliche Abgabe entrichtet, wobei übrigens das Vermögen nach gewissen
+Präsumtionen, z. B. nach der Größe des Bodenbesitzes, der Zahl der
+Türöffnungen, der Kopfzahl der Kinder und Sklaven abgeschätzt worden zu
+sein scheint (exactio capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von
+Kilikien; φόρος επί τή γή καί τοίς σώμασιν, App. Pun. 135, für Africa).
+Nach dieser Norm wurde von den Gemeindebehörden unter Oberaufsicht des
+römischen Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23)
+festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen
+Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata επικεφάλια Cic. Att. 5, I6);
+wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward
+ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur
+Einziehung übertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; ωνάς
+omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floß den
+Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon zu
+senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte
+Geldbetrag nach Rom abgeführt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar
+erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umständen, entweder
+einen Teil des Ertrags der Steuer für sich oder setzte aus eigenem
+Vermögen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch
+Publikanen lag lediglich darin, daß dort die Gemeindebehörde der
+Kontribuablen, hier römische Privatunternehmer den Vermittler machten.
+
+———————————————————————————-
+
+Hierauf waren die ordentlichen Lasten der römischen Steuerpflichtigen
+beschränkt, wobei übrigens nicht übersehen werden darf, daß die
+Erhebungskosten höchst beträchtlich waren und die Kontribuablen
+unverhältnismäßig mehr zahlten, als die römische Regierung empfing.
+Denn wenn das System der Steuereinziehung durch Mittelsmänner,
+namentlich durch Generalpächter, schon an sich von allen das
+verschwenderischste ist, so ward in Rom noch durch die geringe Teilung
+der Pachtungen und die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame
+Konkurrenz aufs äußerste erschwert.
+
+Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen noch erstlich die
+Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militärverwaltung trug von Rechts
+wegen die römische Gemeinde. Sie versah die Kommandanten jeder Provinz
+mit den Transportmitteln und allen sonstigen Bedürfnissen; sie
+besoldete und versorgte die römischen Soldaten in der Provinz. Nur Dach
+und Fach, Holz, Heu und ähnliche Gegenstände hatten die
+Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich zu gewähren;
+ja die freien Städte waren sogar auch von der Wintereinquartierung -
+feste Standlager kannte man noch nicht - regelmäßig befreit. Wenn der
+Statthalter also Getreide, Schiffe, Sklaven zu deren Bemannung,
+Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte, so stand es ihm zwar im
+Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in Friedenszeiten frei,
+solche Lieferungen nach Ermessen und Bedürfnis von den
+Untertanengemeinden oder den souveränen Klientelstaaten einzufordern,
+allein dieselben wurden, gleich der römischen Grundsteuer, rechtlich
+als Käufe oder Vorschüsse behandelt und der Wert von der römischen
+Staatskasse sogleich oder später ersetzt. Aber dennoch wurden, wenn
+nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch praktisch, diese
+Requisitionen eine der drückendsten Belastungen der Provinzialen; um so
+mehr, als die Entschädigungsziffer regelmäßig von der Regierung oder
+gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es begegnen wohl
+einzelne gesetzliche Beschränkungen dieses gefährlichen
+Requisitionsrechts der römischen Oberbeamten - so die schon erwähnte
+Vorschrift, daß in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen
+nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfür der Preis
+nicht einseitig ausgemacht werden dürfte; die Bestimmung eines
+Maximalquantums des von dem Statthalter für seine und seines Gefolges
+Bedürfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgängige Anordnung einer
+festbestimmten und hochgegriffenen Vergütung für das Getreide, das
+wenigstens in Sizilien häufig für die Bedürfnisse der Hauptstadt
+eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der
+Druck jener Requisitionen auf die Ökonomie der Gemeinden und der
+einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs
+beseitigt. In außerordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich
+unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die
+Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der
+der erzwungenen freiwilligen Beiträge erfolgten, die Vergütung also
+ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die
+kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste gegen
+Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen
+vierzigfachen (für den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio
+fünfundsiebzigfachen Sold zu gewähren, außerdem Kleidung und Tisch
+nebst dem Recht, nach Belieben Gäste einzuladen; so schrieb derselbe
+Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und
+Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natürlich keine Rede war.
+
+Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. Sie
+müssen verhältnismäßig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da die
+Verwaltungskosten, die Instandhaltung der öffentlichen Gebäude,
+überhaupt alle Zivilausgaben von den städtischen Budgets getragen
+wurden und die römische Regierung lediglich das Militärwesen aus ihrer
+Kasse zu bestreiten übernahm. Sogar von diesem Militärbudget aber
+wurden noch beträchtliche Posten auf die Gemeinden abgewälzt - so die
+Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militärstraßen, die
+der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu einem großen
+Teil die Ausgaben für das Heerwesen, insofern die Wehrmannschaft der
+Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten ihrer Gemeinden
+innerhalb ihrer Provinz regelmäßig zum Dienst herangezogen wurden und
+auch außerhalb derselben Thraker in Afrika, Afrikaner in Italien und so
+weiter an jedem beliebigen Ort immer häufiger anfingen, mitverwendet zu
+werden. Wenn nur die Provinzen, nicht aber Italien direkte Abgaben an
+die Regierung entrichtete, so war dies wo nicht politisch, doch
+finanziell billig, solange als Italien die Lasten und Kosten des
+Militärwesens allein trug; seit dies aber aufgegeben ward, waren die
+Provinzialen auch finanziell entschieden überlastet.
+
+————————————————————————-
+
+4 Beispielsweise entrichtete in Judäa die Stadt Joppe 26075 römische
+Scheffel Korn, die übrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfürsten;
+wozu dann noch der Tempelschoß und die für die Römer bestimmte
+sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem römischen
+Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermögen erhoben.
+
+————————————————————————-
+
+Endlich ist das große Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch
+das die römischen Beamten und Steuerpächter in der mannigfaltigsten
+Weise die Steuerlast der Provinzen steigerten. Man mochte jedes
+Geschenk, das der Statthalter nahm, gesetzlich als erpreßtes Gut
+behandeln, und selbst das Recht zu kaufen ihm durch Gesetz beschränken,
+seine öffentliche Tätigkeit bot ihm, wenn er unrecht tun wollte,
+dennoch der Handhaben mehr als genug. Die Einquartierung der Truppen;
+die freie Wohnung der Beamten und des Schwarmes von Adjutanten
+senatorischen oder Ritterranges, von Schreibern, Gerichtsdienern,
+Herolden, Ärzten und Pfaffen; das den Staatsboten zukommende Recht
+unentgeltlicher Beförderung; die Approbierung und der Transport der
+schuldigen Naturallieferungen; vor allem die Zwangsverkäufe und die
+Requisitionen gaben allen Beamten Gelegenheit, aus den Provinzen
+fürstliche Vermögen heimzubringen; und das Stehlen ward immer
+allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung sich als null erwies
+und die der Kapitalistengerichte sogar als gefährlich allein für den
+ehrlichen Beamten. Die durch die Häufigkeit der Klagen über
+Beamtenerpressung in den Provinzen veranlaßte Einrichtung einer
+stehenden Kommission für dergleichen Fälle im Jahre 605 (149) und die
+rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden
+Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die
+immer wachsende Höhe des Übels.
+
+Unter all diesen Verhältnissen konnte selbst eine der Anlage nach
+mäßige Besteuerung effektiv äußerst drückend werden, und daß sie dies
+war, ist außer Zweifel, wenngleich der ökonomische Druck, den die
+italischen Kaufleute und Bankiers auf die Provinzen übten, noch weit
+schwerer auf denselben gelastet haben mag als die Besteuerung mit allen
+daran hängenden Mißbräuchen.
+
+Fassen wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen
+zog, nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den
+wir jetzt damit verbinden, sondern vielmehr überwiegend eine den
+attischen Tributen vergleichbare Hebung, womit der führende Staat die
+Kosten des von demselben übernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus
+erklärt sich auch die auffallende Geringfügigkeit des Roh- wie des
+Reinertrags. Es findet sich eine Angabe, wonach die römische Einnahme,
+vermutlich mit Ausschluß der italischen Einkünfte und des von den
+Zehntpächtern in Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum
+Jahr 691 (63) nicht mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill.
+Taler); also nur zwei Drittel der Summe, die der König von Ägypten
+jährlich aus seinem Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das
+Verhältnis befremden. Die Ptolemäer beuteten das Niltal aus wie große
+Plantagenbesitzer und zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen
+monopolisierten Handelsverkehr mit dem Orient; das römische Ärar war
+nicht viel mehr als die Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz
+geeinigten Gemeinden. Der Reinertrag war wahrscheinlich verhältnismäßig
+noch geringer. Einen ansehnlichen Überschuß lieferten wohl nur
+Sizilien, wo das karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem
+Asia, seit Gaius Gracchus, um seine Getreideverteilung möglich zu
+machen, daselbst die Bodenkonfiskation und die allgemeine
+Domanialbesteuerung durchgesetzt hatte; nach vielfältigen Zeugnissen
+ruhten die römischen Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von
+Asia. Die Versicherung klingt ganz glaublich, daß die übrigen Provinzen
+durchschnittlich ungefähr so viel kosteten als sie einbrachten; ja
+diejenigen, welche eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide
+Spanien, das Jenseitige Gallien, Makedonien, mögen oft mehr gekostet
+als getragen haben. Im ganzen blieb dem römischen Ärar allerdings in
+gewöhnlichen Zeiten ein Überschuß, welcher es möglich machte, die
+Staats- und Stadtbauten reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig
+aufzusammeln; aber auch die für diese Beträge vorkommenden Ziffern,
+zusammengehalten mit dem weiten Gebiet der römischen Herrschaft,
+sprechen für die Geringfügigkeit des Reinertrags der römischen Steuern.
+In gewissem Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verständige
+Grundsatz: die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu
+behandeln, ebenwie die römisch-italische so auch noch die provinziale
+Finanzverfassung beherrscht. Was die römische Gemeinde von ihren
+überseeischen Untertanen erhob, ward der Regel nach auch für die
+militärische Sicherung der überseeischen Besitzungen wieder verausgabt;
+und wenn diese römischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer
+trafen als die ältere Besteuerung, daß sie großenteils im Ausland
+verausgabt wurden, so schloß dagegen die Ersetzung der vielen kleinen
+Herren und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte
+Militärverwaltung eine sehr ansehnliche ökonomische Ersparnis ein. Aber
+freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in der
+Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstört und
+durchlöchert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich
+gestattete. Der hieronisch-karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging
+weit hinaus über den Betrag eines jährlichen Kriegsbeitrags. Mit Recht
+ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, daß es der römischen
+Bürgerschaft übel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zöllner der
+Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzölle war mit dem Grundsatz
+der uneigennützigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Höhe der
+Zollsätze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das
+Gefühl des hier zugefügten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehört wohl
+schon dieser Zeit an, daß der Name des Zöllners den östlichen
+Völkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Räubers
+ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den römischen
+Namen besonders im Osten widerwärtig und gehässig zu machen. Als dann
+aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich
+in Rom die populäre nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden
+für ein Recht erklärt, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine
+Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum
+verwandelt, das vollständige Exploitierungssystem nicht bloß
+eingeführt, sondern mit unverschämter Offenherzigkeit rechtlich
+motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, daß dabei
+eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und Asia
+das härteste Los traf.
+
+Einen ungefähren Messer des römischen Finanzstandes dieser Zeit
+gewähren in Ermangelung bestimmter Angaben noch am ersten die
+öffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser Epoche wurden
+dieselben in größtem Umfange betrieben, und vor allem die
+Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefördert worden. In
+Italien schloß sich an die große, vermutlich schon ältere Südchaussee,
+die als Verlängerung der Appischen von Rom über Capua, Beneventum,
+Venusia nach den Häfen von Tarent und Brundisium lief, eine
+Seitenstraße an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des
+Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostküste, wo bisher nur die
+Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Straße
+chaussiert gewesen war, wurde die Küstenstraße südwärts bis nach
+Brundisium, nordwärts über Hatria am Po bis nach Aquileia verlängert
+und wenigstens das Stück von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten
+Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden großen
+etrurischen Chausseen, die Küsten- oder Aurelische Straße von Rom nach
+Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, und
+die über Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia geführte
+Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, dürften als
+römische Staatschausseen erst dieser Zeit angehören. Um Rom selbst
+bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Brücke (Ponte
+Molle), auf der die Flaminische Straße unweit Rom den Tiber
+überschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in
+Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende
+Flaminisch-Ämilische Kunststraße gehabt hatte, wurde im Jahre 606 (148)
+die große Postumische Straße gebaut, die von Genua über Dertona, wo
+wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegründet ward, weiter über
+Placentia, wo sie die Flaminisch-Ämilische Straße aufnahm, Cremona und
+Verona nach Aquileia führte und also das Tyrrhenische und das
+Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die im Jahre 645 (109)
+durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung zwischen Luna und
+Genua hinzukam, welche die Postumische Straße unmittelbar mit Rom
+verknüpfte. In einer anderen Weise war Gaius Gracchus für das italische
+Wegewesen tätig. Er sicherte die Instandhaltung der großen Landstraßen,
+indem er bei der Ackerverteilung längs derselben Grundstücke anwies,
+auf denen die Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last
+haftete; auf ihn ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission
+scheint, wie die Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu
+bezeichnen, so auch die der Errichtung von Meilensteinen zurückzugehen;
+er sorgte endlich für gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau
+zu fördern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in
+dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen:
+die Domitische Straße stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg
+von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gründung von Aquae
+Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische
+führten von den Hauptplätzen an der Ostküste des Adriatischen Meeres,
+jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland
+hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im
+Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Straßennetz führte von
+der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an die
+Reichsgrenze - alles Anlagen, über deren Entstehung in der
+trümmerhaften Überlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden ist,
+die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der römischen
+Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien
+unzweifelhaft in Zusammenhang standen und für die Zentralisierung des
+Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte
+von der größten Bedeutung geworden sind.
+
+Wie für die Straßen war man wenigstens in Italien auch für die großen
+Entsumpfungsarbeiten tätig. So ward im Jahre 594 (160) die
+Trockenlegung der Pomptinischen Sümpfe, die Lebensfrage für
+Mittelitalien, mit großem Kraftaufwand und wenigstens vorübergehendem
+Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109) in Verbindung mit den
+norditalischen Chausseebauten zugleich die Entsumpfung der Niederungen
+zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt. Endlich tat die Regierung
+viel für die zur Gesundheit und Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso
+unentbehrlichen wie kostspieligen römischen Wasserleitungen. Nicht bloß
+wurden die beiden seit den Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits
+bestehenden, die Appische und die Anioleitung, im Jahre 610 (144) von
+Grund aus repariert, sondern auch zwei neue Leitungen angelegt: im
+Jahre 610 (144) die Marcische, die an Güte und Fülle des Wassers auch
+später unübertroffen blieb, und neunzehn Jahre nachher die sogenannte
+Laue. Welche Operationen die römische Staatskasse, ohne vom
+Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels reiner Barzahlung auszuführen
+vermochte, zeigt nichts deutlicher als die Art, wie die Marcische
+Leitung zustande kam: die dazu erforderliche Summe von 180 Mill.
+Sesterzen (in Gold 13½ Mill. Taler) ward innerhalb dreier Jahre
+disponibel gemacht und verwandt. Es läßt dies schließen auf eine sehr
+ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch schon im Anfang
+dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und ohne Zweifel beständig
+im Steigen war.
+
+Alle diese Tatsachen zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im
+allgemeinen günstigen Stand der römischen Finanzen dieser Zeit
+schließen. Nur darf auch in finanzieller Hinsicht nicht übersehen
+werden, daß die Regierung während der ersten zwei Drittel dieses
+Zeitabschnitts zwar glänzende und großartige Bauten ausführte, aber
+dafür andere wenigstens ebenso notwendige Ausgaben zu machen unterließ.
+Wie ungenügend sie für das Militärwesen sorgte, ist bereits
+hervorgehoben worden: in den Grenzlandschaften, ja im Potal plünderten
+die Barbaren, im Innern hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien
+die Räuberbanden. Die Flotte gar ward völlig vernachlässigt; römische
+Kriegsschiffe gab es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die
+Untertanenstädte bauen und erhalten ließ, reichten nicht aus, so daß
+man nicht bloß schlechterdings keinen Seekrieg zu führen, sondern nicht
+einmal den Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst
+unterblieben eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich
+die Flußbauten wurden seltsam vernachlässigt. Immer noch besaß die
+Hauptstadt keine andere Brücke über den Tiber als den uralten hölzernen
+Steg, der über die Tiberinsel nach dem Ianiculum führte; immer noch
+ließ man den Tiber jährlich die Straßen unter Wasser setzen und Häuser,
+ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne etwas für die
+Uferbefestigung zu tun; immer mehr ließ man, wie gewaltig auch der
+überseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Reede
+von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den günstigsten
+Verhältnissen und in einer Epoche vierzigjährigen Friedens nach außen
+und innen solche Pflichten versäumt, kann leicht Steuern schwinden
+lassen und dennoch einen jährlichen Überschuß der Einnahme über die
+Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen; aber eine derartige
+Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen ihrer nur scheinbar
+glänzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben Vorwürfe der
+Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten
+Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet gegen das
+senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden mußten.
+
+Weit schlimmer gestalteten sich natürlich die finanziellen
+Verhältnisse, als die Stürme der Revolution hereinbrachen. Die neue
+und, auch bloß finanziell betrachtet, höchst drückende Belastung, die
+dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung
+erwuchs, den hauptstädtischen Bürgern das Getreide zu Schleuderpreisen
+zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu
+eröffneten Einnahmequellen zunächst wieder ausgeglichen.
+Nichtsdestoweniger scheinen die öffentlichen Bauten seitdem fast
+gänzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die
+erweislichermaßen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus
+angelegten öffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit nach
+632 (122) kaum andere genannt als die Brücken-, Straßen und
+Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645 (109)
+anordnete. Es muß dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der
+Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge
+des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer
+mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in
+der Angabe, daß der römische Reservefonds seinen höchsten Stand im
+Jahre 663 (91) erreichte. Der fürchterliche Insurrektions- und
+Revolutionssturm in Verbindung mit dem fünfjährigen Ausbleiben der
+kleinasiatischen Gefälle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg
+wieder den römischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben
+dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den
+Unterschied der Zeiten, als daß im Hannibalischen Krieg erst im zehnten
+Kriegsjahre, als die Bürgerschaft den Steuern fast erlag, der
+Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von Haus
+aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei
+Feldzügen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man
+lieber die öffentlichen Plätze in der Hauptstadt versteigerte und die
+Tempelschätze angriff, als eine Steuer auf die Bürger ausschrieb. Indes
+der Sturm, so arg er war, ging vorüber; Sulla stellte, freilich unter
+ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen Revolutionären
+aufgebürdeten ökonomischen Opfern, die Ordnung in den Finanzen wieder
+her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, die asiatischen
+Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem Gemeinwesen
+wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden ökonomischen Zustand, als
+die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen Einnahmen
+blieben.
+
+In der Privatökonomie dieser Zeit tritt kaum ein neues Moment hervor;
+die früher dargelegten Vorzüge und Nachteile der sozialen Verhältnisse
+Italiens werden nicht verändert, sondern nur weiter und schärfer
+entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir bereits früher die
+steigende römische Kapitalmacht den mittleren und kleinen Grundbesitz
+in Italien sowohl wie in den Provinzen allmählich verzehren, wie die
+Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah nicht bloß zu ohne
+zu wehren, sondern förderte noch die schädliche Bodenteilung durch
+einzelne Maßregeln, vor allem durch das zu Gunsten der großen
+italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot der
+transalpinischen Wein- und Ölproduktion 5. Zwar wirkten sowohl die
+Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der
+Konservativen energisch dem übel entgegen: indem die beiden Gracchen
+die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie
+dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten in
+Italien ansiedelte, ergänzte er wenigstens einen Teil der von der
+Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft
+gerissenen Lücken; allein dem durch stetigen Abfluß sich leerenden
+Gefäß ist nicht durch Einschöpfen auch beträchtlicher Massen, sondern
+nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche
+vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar
+geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem
+Auskaufen durch die römischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen
+waren ja bloß Menschen und keine Partei. Die Folge war, daß mehr und
+mehr auch die außeritalische Bodenrente nach Rom floß. Übrigens war die
+Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst in einzelnen
+Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits durchaus
+überwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und rationellen
+Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher Blüte
+gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die
+Eröffnung gezwungener Märkte in einem Teil der Provinzen, teils das zum
+Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot der
+ausländischen Weine in Italien auch künstlich förderten, erzielte sehr
+bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben dem
+Thasier und Chier genannt zu werden, und der “Opimische Wein” vom Jahre
+633 (121), der römische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem der
+letzte Krug geleert war.
+
+—————————————————————-
+
+5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor Varro
+lebenden römischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5)
+zusammenhängen, daß der Wein- und Ölbau sich beständig weiter nach
+Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluß wegen Übersetzung der Magonischen
+Bücher gehört hierher.
+
+——————————————————————-
+
+Von Gewerben und Fabrikation ist nichts zu sagen, als daß die italische
+Nation in dieser Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivität
+verharrte. Man zerstörte wohl die korinthischen Fabriken, die
+Depositare so mancher wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um
+selbst ähnliche Fabriken zu gründen, sondern um zu Schwindelpreisen
+zusammenzukaufen, was die griechischen Häuser an korinthischen Ton-
+oder Kupfergefäßen und ähnlichen “alten Arbeiten” bewahrten. Was von
+Gewerken noch einigermaßen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem
+Bauwesen zusammenhängenden, trug für das Gemeinwesen deshalb kaum einen
+Nutzen, weil auch hier bei jeder größeren Unternehmung die
+Sklavenwirtschaft sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die
+Anlage der Marcischen Wasserleitung in der Art erfolgte, daß die
+Regierung mit 3000 Meistern zugleich Bau- und Lieferungsverträge
+abschloß, von denen dann jeder mit seiner Sklavenschar die übernommene
+Arbeit beschaffte.
+
+Die glänzendste oder vielmehr die allein glänzende Seite der römischen
+Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze
+stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein großer,
+vielleicht der größte Teil der römischen Staatseinnahmen in die Taschen
+der römischen Kapitalisten floß. Der Geldverkehr ferner war im ganzen
+Umfang des römischen Staats von den Römern monopolisiert; jeder in
+Gallien umgesetzte Pfennig, heißt es in einer bald nach dem Ende dieser
+Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Bücher der römischen
+Kaufleute, und so war es ohne Zweifel überall. Wie das Zusammenwirken
+der rohen ökonomischen Zustände und der rücksichtslosen Ausnutzung der
+politischen Übermacht zu Gunsten der Privatinteressen eines jeden
+vermögenden Römers eine wucherliche Zinswirtschaft allgemein machte,
+zeigt zum Beispiel die Behandlung der von Sulla der Provinz Asia 670
+(84) auferlegten Kriegssteuer, die die römischen Kapitalisten
+vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und nichtgezahlten Zinsen binnen
+vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres ursprünglichen Betrags an. Die
+Gemeinden mußten ihre öffentlichen Gebäude, ihre Kunstwerke und
+Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen Kinder verkaufen, um dem
+römischen Gläubiger gerecht zu werden; es war nichts Seltenes, daß der
+Schuldner nicht bloß der moralischen Tortur unterworfen, sondern
+geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu kam endlich der
+Großhandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr beträchtlich. Jene
+bestand vornehmlich in Wein und Öl, womit Italien neben Griechenland
+fast ausschließlich - die Weinproduktion in der massaliotischen und
+turdetanischen Landschaft kann damals nur gering gewesen sein - das
+gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer Wein ging in bedeutenden
+Quantitäten nach den Balearischen Inseln und Keltiberien, nach Africa,
+das nur Acker- und Weideland war, nach Narbo und in das innere Gallien.
+Bedeutender noch war die Einfuhr nach Italien, wo damals aller Luxus
+sich konzentrierte und die meisten Luxusartikel, Speisen, Getränke,
+Stoffe, Schmuck, Bücher, Hausgerät, Kunstwerke, über See eingeführt
+wurden. Vor allem aber der Sklavenhandel nahm infolge der stets
+steigenden Nachfrage der römischen Kaufleute einen Aufschwung,
+dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch nicht gekannt hatte und der
+mit dem Aufblühen der Piraterie im engsten Zusammenhang steht; alle
+Länder und alle Nationen wurden dafür in Kontribution gesetzt, die
+Hauptfangplätze aber waren Syrien und das innere Kleinasien. In Italien
+konzentrierte die überseeische Einfuhr sich vorzugsweise in den beiden
+großen Emporien am Tyrrhenischen Meer, Ostia und Puteoli. Nach Ostia,
+dessen Reede wenig taugte, das aber, als der nächste Hafen an Rom, für
+weniger werthafte Waren der geeignetste Stapelplatz war, zog sich die
+für die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr, dagegen der Luxushandel mit
+dem Osten überwiegend nach Puteoli, das durch seinen guten Hafen für
+Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl und in der mehr und mehr mit
+Landhäusern sich füllenden Gegend von Baiae den Kaufleuten einen dem
+hauptstädtischen wenig nachstehenden Markt in nächster Nähe darbot.
+Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr durch Korinth und nach dessen
+Vernichtung durch Delos vermittelt, wie denn in diesem Sinne Puteoli
+bei Lucilius das italische “Klein-Delos” heißt; nach der Katastrophe
+aber, die Delos im Mithradatischen Kriege betraf, und von der es sich
+nicht wieder erholt hat, knüpften die Puteolaner direkte
+Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an und entwickelte damit
+ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten überseeischen
+Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloß der Gewinn, der bei der
+italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den Italikern
+zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel mit den
+Massalioten, und überhaupt leidet es keinen Zweifel, daß die überall
+fluktuierend oder ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den
+besten Teil aller Spekulationen für sich nahm.
+
+Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den
+hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der
+politischen ebenbürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der
+römischen Kapitalisten. In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente
+fast des ganzen Italiens und der besten Stücke des Provinzialgebiets,
+die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der
+Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung
+ein sehr beträchtlicher Teil der römischen Staatseinkünfte. Die immer
+zunehmende Anhäufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des
+Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler) war
+jetzt ein mäßiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein anständiges
+Rittervermögen; das Vermögen des reichsten Mannes der Gracchischen
+Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 Mill.
+Sesterzen (7½Mill. Taler) geschätzt. Es ist kein Wunder, wenn dieser
+Kapitalistenstand die äußere Politik vorwiegend bestimmt, wenn er aus
+Handelsrivalität Karthago und Korinth zerstört, wie einst die Etrusker
+Alalia, die Syrakusier Caere zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz
+die Gründung von Narbo aufrecht erhält. Es ist ebenfalls kein Wunder,
+wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der
+Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht. Es
+ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die
+Spitze empörter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft
+daran erinnert, daß aus dem eleganten Bordell der Übergang zu der
+Räuberhöhle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder
+finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein ökonomischen, sondern der
+politischen Übermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten
+politischen Krise ungefähr in derselben Art schwankt wie unser sehr
+ähnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg
+der italisch-asiatischen Bewegungen 664f. (90) über den römischen
+Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und der
+Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstücke und der
+Gesellschaftsparten können wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; wohl
+aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer
+Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen
+Gläubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren
+aus dem Senat zu stoßen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla,
+die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionäre
+Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natürlich in den Provinzen
+allgemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische
+Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im
+Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen
+italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos
+waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und die
+Angabe, daß hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf
+Mithradates’ Befehl getötet wurden. In Afrika waren der Italiker so
+viele, daß sogar die numidische Stadt Cirta hauptsächlich durch sie
+gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heißt es, war
+angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien finden sich,
+vielleicht nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst
+ist dagegen der Stand der freien Bevölkerung in dieser Epoche ohne
+Zweifel im ganzen zurückgegangen. Allerdings haben die Bürgerkriege
+hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und
+freilich wenig zuverlässigen Angaben 100000 bis 150000 Köpfe von der
+römischen Bürgerschaft, 300000 von der italischen Bevölkerung überhaupt
+weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der ökonomische Ruin
+des Mittelstandes und die maßlose Ausdehnung der kaufmännischen
+Emigration, die einen großen Teil der italischen Jugend während ihrer
+kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlaßte. Einen Ersatz sehr
+zweifelhaften Wertes gewährte dafür die freie parasitische
+hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als königliche oder
+Gemeindediplomaten, als Ärzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente,
+Schmarotzer und in den tausendfachen Ämtern der Industrieritter- und
+Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Händler und Schiffer namentlich in
+Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das
+unverhältnismäßige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die
+italische Bürgerschaft zählte nach der Schätzung des Jahres 684 (70)
+910000 waffenfähige Männer, wobei, um den Betrag der freien Bevölkerung
+auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schätzung zufällig
+übergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den Alpen und dem
+Po und die in Italien domizilierten Ausländer, hinzu-, die auswärts
+domizilierten römischen Bürger dagegen abzurechnen sind. Es wird
+demnach kaum möglich sein, die freie Bevölkerung der Halbinsel höher
+als auf 6 bis 7 Mill. Köpfe anzusetzen. Wenn die damalige
+Gesamtbevölkerung derselben der gegenwärtigen gleichkam, so hätte man
+danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Köpfen anzunehmen. Es
+bedarf indes solcher trüglichen Berechnungen nicht, um die gefährliche
+Spannung dieser Verhältnisse anschaulich zu machen; laut genug reden
+die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der
+Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an
+die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit
+sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords,
+seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders und
+Pächter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven
+verwandelt, so wird man ein ungefähres Bild der damaligen Bevölkerung
+der italischen Halbinsel gewinnen.
+
+Wie im klaren Spiegel liegen die ökonomischen Verhältnisse dieser
+Epoche noch heute uns vor in dem römischen Münzwesen. Die Behandlung
+desselben zeigt durchaus den einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit
+standen Gold und Silber als allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so daß
+zwar zum Zweck allgemeiner Kassebilanzen ein festes Wertverhältnis
+zwischen beiden Metallen gesetzlich normiert war, aber doch regelmäßig
+es nicht freistand, ein Metall für das andere zu geben, sondern je nach
+dem Inhalt der Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf
+diesem Wege wurden die großen Übelstände vermieden, die sonst an die
+Aufstellung eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knüpfen; die
+starken Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der
+Entdeckung der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal
+in Italien um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt
+auf die Silbermünze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der
+Sache, daß, je mehr der überseeische Verkehr sich ausdehnte, desto
+entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat, was
+denn auch die Angaben über die Staatskassenbestände und die
+Staatskassengeschäfte bestätigen; aber die Regierung ließ sich dadurch
+nicht bewegen, das Gold auch in die Münze einzuführen. Die in der Not
+des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man längst wieder fallen
+lassen; die wenigen Goldstücke, die Sulla als Regent schlug, sind kaum
+mehr gewesen als Gelegenheitsmünze für seine Triumphalgeschenke. Nach
+wie vor zirkulierte als wirkliche Münze ausschließlich das Silber; das
+Gold ward, mochte es nun, wie gewöhnlich, in Barren umlaufen oder
+ausländisches oder allenfalls auch inländisches Gepräge tragen,
+lediglich nach dem Gewicht genommen. Dennoch standen Gold und Silber
+als Verkehrsmittel gleich, und die betrügliche Legierung des Goldes
+wurde gleich der Prägung falscher Silbermünzen rechtlich als
+Münzvergehen betrachtet. Man erreichte hierdurch den unermeßlichen
+Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel selbst die Möglichkeit der
+Münzdefraude und Münzveruntreuung abzuschneiden. übrigens war die
+Münzprägung ebenso reichlich wie musterhaft. Nachdem im Hannibalischen
+Kriege das Silberstück von 1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war,
+ist dasselbe mehr als drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich
+schwer und gleich fein geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die
+Kupfermünze wurde um den Anfang dieser Periode völlig zur Scheidemünze
+und hörte auf, wie früher, im Großverkehr gebraucht zu werden; aus
+diesem Grunde wurde etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der
+As nicht mehr geschlagen und die Kupferprägung beschränkt auf die im
+Silber nicht füglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3
+Pfennig) und darunter. Die Münzsorten waren nach einem einfachen
+Prinzip geordnet und in der damals kleinsten Münze gewöhnlicher
+Prägung, dem Quadrans (1½ Pfennig), hinabgeführt bis an die Grenze der
+fühlbaren Werte. Es war ein Münzsystem, das an prinzipieller
+Verständigkeit der Grundlagen wie an eisern strenger Durchführung
+derselben im Altertum einzig dasteht und auch in der neueren Zeit nur
+selten erreicht worden ist. Doch hat auch dies seinen wunden Fleck.
+Nach einer im ganzen Altertum gemeinen, in ihrer höchsten Entwicklung
+in Karthago auftretenden Sitte gab auch die römische Regierung mit den
+guten silbernen Denaren zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus,
+welche gleich jenen genommen werden mußten und nichts waren als ein
+unserem Papiergeld analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung
+auf die Staatskasse, insofern auch diese nicht befugt war, die
+plattierten Stücke zurückzuweisen. Eine offizielle Falschmünzerei war
+dies so wenig wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz
+offen betrieb: Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel für
+seine Kornspenden zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf
+je sieben silberne, neu aus der Münze hervorgehende Denare; allein
+nichtsdestoweniger bot diese Maßregel nicht bloß der privaten
+Falschmünzerei eine bedenkliche Handhabe, sondern sie ließ auch das
+Publikum absichtlich darüber im ungewissen, ob es Silber- oder
+Zeichengeld empfange und in welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf
+sei. In der bedrängten Zeit des Bürgerkrieges und der großen
+finanziellen Krise scheint man der Planierung sich so über die Gebühr
+bedient zu haben, daß zu der Finanzkrise eine Münzkrise sich gesellte
+und die Masse der falschen und faktisch entwerteten Stücke den Verkehr
+höchst unsicher machte. Deshalb wurde während des Cinnanischen
+Regiments von den Prätoren und Tribunen, zunächst von Marcus Marius
+Gratidianus, die Einlösung des sämtlichen Zeichengeldes durch
+Silbergeld verfügt und zu dem Ende ein Probierbüro eingerichtet.
+Inwieweit die Aufrufung durchgeführt ward, ist nicht überliefert; die
+Zeichengeldprägung selbst blieb bestehen.
+
+Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemäßheit der grundsätzlichen
+Beseitigung der Goldmünze die Goldprägung nirgends, auch in den
+Klientelstaaten nicht gestattet; so daß die Goldprägung in dieser Zeit
+nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei den
+Kelten nordwärts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich
+auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates
+Eupator Goldmünzen schlugen. Auch die Silberprägung zeigt die Regierung
+sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, vornehmlich im
+Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische Gold- und
+Silbermünze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im Umlauf
+geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen weder
+auf karthagischen noch auf römischen Fuß, und sicher hat sehr bald nach
+der Besitzergreifung der Römer auch in dem Verkehr beider Landschaften
+der von Italien eingeführte Denar das Übergewicht erhalten. In Spanien
+und Sizilien, die früher an Rom gekommen sind und überhaupt eine
+mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter römischer Herrschaft in
+Silber geprägt, ja in dem ersteren Lande die Silberprägung erst durch
+die Römer und auf römischen Fuß ins Leben gerufen worden; aber es sind
+gute Gründe vorhanden für die Annahme, daß auch in diesen beiden
+Landschaften wenigstens seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts die
+provinziale und städtische Prägung sich auf die kupferne Scheidemünze
+hat beschränken müssen. Nur im Narbonesischen Gallien konnte der
+altverbündeten und ansehnlichen Freistadt Massalia das Recht der
+Silberprägung nicht entzogen werden; und dasselbe gilt vermutlich von
+den illyrischen Griechenstädten Apollonia und Dyrrhachion. Indes
+beschränkte man doch diesen Gemeinden indirekt ihr Münzrecht dadurch,
+daß der Dreivierteldenar, der nach Anordnung der römischen Regierung
+dort wie hier geprägt ward und der unter dem Namen des Victoriatus in
+das römische Münzsystem aufgenommen worden war, um die Mitte des 7.
+Jahrhunderts in diesem beseitigt ward; wovon die Folge sein mußte, daß
+das massaliotische und illyrische Courant aus Oberitalien verdrängt
+wurde und außer seinem einheimischen Gebiete nur noch etwa in den
+Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb. So weit war man also
+bereits in dieser Epoche, daß in der gesamten Westhälfte des römischen
+Staates der Denarfuß ausschließlich herrschte: denn Italien, Sizilien -
+von dem es für den Anfang der nächsten Epoche ausdrücklich bezeugt ist,
+daß daselbst kein anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien,
+Afrika brauchten ausschließlich römisches Silbergeld, und das in
+Spanien noch umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermünze der
+Massalioten und Illyriker war wenigstens auf Denarfuß geschlagen.
+Anders war es im Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit münzenden
+Staaten und die Masse der umlaufenden Landesmünze sehr ansehnlich war,
+drang der Denar nicht in größerem Umfang ein, wenn er auch vielleicht
+gesetzlich gangbar erklärt ward: vielmehr blieb hier entweder der
+bisherige Münzfuß, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn
+auch teilweise mit Hinzufügung der Namen von römischen Beamten zu dem
+der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiß
+wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter
+römischer Autorität ein den Verhältnissen entsprechender eigentümlicher
+Münzfuß neu eingeführt, wie denn bei der Einrichtung der Provinz Asia
+derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus, von der
+römischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den
+Bezirkshauptstädten daselbst unter römischer Oberaufsicht geschlagen
+ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und des
+orientalischen Münzwesens ist von der größten geschichtlichen Bedeutung
+geworden: die Romanisierung der unterworfenen Länder hat in der Annahme
+der römischen Münze einen ihrer wichtigsten Hebel gefunden, und es ist
+kein Zufall, daß dasjenige, was wir in dieser Epoche als Gebiet des
+Denars bezeichnet haben, späterhin zu der lateinischen, dagegen das
+Gebiet der Drachme späterhin zu der griechischen Reichshälfte geworden
+ist. Noch heutigentags stellt jenes Gebiet im wesentlichen den
+Inbegriff der romanischen Kultur dar, während dieses dagegen aus der
+europäischen Zivilisation sich ausgeschieden hat.
+
+Wie bei solchen ökonomischen Zuständen die sozialen Verhältnisse sich
+gestalten mußten, ist im allgemeinen leicht zu ermessen, die Steigerung
+aber des Raffinements, der Preise, des Ekels und der Leere im
+besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch lehrreich. Verschwendung
+und sinnlicher Genuß war die Losung überall, bei den Parvenus so gut
+wie bei den Liciniern und Metellern; nicht der feine Luxus gedieh, der
+die Blüte der Zivilisation ist, sondern derjenige, der in der
+verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens und Alexandreias
+sich entwickelt hatte, der alles Schöne und Bedeutende zur Dekoration
+entadelte und auf den Genuß studierte mit einer mühseligen Pedanterie,
+einer zopfigen Tüftelei, die ihn dem sinnlich wie dem geistig frischen
+Menschen gleich ekelhaft macht. Was die Volksfeste anlangt, so wurde,
+es scheint um die Mitte dieses Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus
+Aufidius beantragten Bürgerschluß die in der catonischen Zeit
+untersagte Einfuhr überseeischer Bestien förmlich wieder gestattet,
+wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften Betrieb kamen und ein
+Hauptstück der Bürgerfeste wurden. Um 651 (103) erschienen in der
+römischen Arena zuerst mehrere Löwen, 655 (99) die ersten Elefanten;
+661 (93) ließ Sulla als Prätor schon hundert Löwen auftreten. Dasselbe
+gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die Bilder großer
+Schlachten öffentlich ausgestellt hatten, so fingen die Enkel an,
+dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen Haupt- und
+Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu verspotten.
+Welche Summen dafür und für die Begräbnisfeierlichkeiten überhaupt
+aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius Lepidus
+(Konsul 567, 579 187, 175; † 592 152) abnehmen; derselbe befahl seinen
+Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepränge, sondern
+in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste bestehe, auf
+seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 Taler) zu
+verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das
+prachtvolle und namentlich wegen der alten Bäume des Gartens berühmte
+Stadthaus des Redners Crassus († 663 91) ward mit den Bäumen auf 6
+Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Hälfte geschätzt,
+während der Wert eines gewöhnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000
+Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise
+der Luxusgrundstücke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen Villa,
+die Cornelia, die Mutter der Gracchen, für 75000 Sesterzen (5700
+Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreißigfachen
+Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben
+machten Baiae und überhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum
+Eldorado des vornehmen Müßiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es
+keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knöchelspiel, um Nüsse ging,
+wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen
+erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhüllten, und
+seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Männern die alten
+wollenen Röcke zu verdrängen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit
+ausländischen Parfümerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich die
+Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses
+vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis
+100000 Sesterzen (7600 Taler) - für einen ausgesuchten Koch; man baute
+mit Rücksicht darauf und versah namentlich die Landhäuser an der Küste
+mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit
+frisch auf die Tafel liefern zu können; man nannte es schon ein elendes
+Diner, wenn das Geflügel ganz und nicht bloß die erlesenen Stücke den
+Gästen vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den
+einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloß zu kosten; man bezog für
+schweres Geld ausländische Delikatessen und griechischen Wein, der bei
+jeder anständigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden
+mußte. Vor allem bei der Tafel glänzte die Schar der Luxussklaven, die
+Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden oder
+gemäldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike
+Bronzegerät, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunächst richteten
+sich die Luxusgesetze, die häufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89,
+82) und ausführlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und
+Weine wurden darin gänzlich untersagt, für andere nach Gewicht und
+Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantität des silbernen
+Tafelgeschirrs gesetzlich beschränkt, endlich allgemeine Maximalbeträge
+der Kosten der gewöhnlichen und der Festtagsmahlzeit vorgeschrieben,
+zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17½ Groschen und 5½ Taler), 673
+(81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und 17 Taler). Zur
+Steuer der Wahrheit muß leider hinzugefügt werden, daß von allen
+vornehmen Römern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die
+Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen;
+auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates den
+Küchenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Mühe, einen Augenblick
+noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus im Silbergerät
+zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes Tafelgeschirr mit
+Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses eine Ausnahme; die
+karthagischen Gesandtschaften spotteten darüber, daß sie in jedem
+Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne Tafelgerät
+wiedergefunden hätten. Noch Scipio Aemilianus besaß nicht mehr als 32
+Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe Quintus Fabius
+(Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000 Taler), Marcus
+Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund (250000 Taler); in
+Sullas Zeit zählte man in der Hauptstadt bereits gegen 150
+hundertpfündige silberne Prachtschüsseln, von denen manche ihren
+Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfür
+verschwendeten Summen zu ermessen, muß man sich erinnern, daß auch die
+Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn für
+ausgezeichnetes Silbergerät Gaius Gracchus den fünfzehn-, Lucius
+Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der
+letztere für ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000
+Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhältnismäßig überall.
+
+Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen
+Ackergesetze, die zuerst darauf eine Prämie setzten. Die Scheidung,
+einst in Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereignis; wenn
+bei der ältesten römischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so
+hätte man den jetzigen vornehmen Römern vorschlagen mögen, um zu der
+Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzuführen. Selbst ein
+Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Häuslichkeit
+und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen
+war, schärfte als Zensor 623 (131) den Bürgern die Pflicht, im
+Ehestande zu leben, in der Art ein, daß er denselben bezeichnete als
+eine drückende, aber von den Patrioten pflichtmäßig zu übernehmende
+öffentliche Last. 7
+
+———————————————————-
+
+6 In dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er für das
+Erdgeschoß 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen Miete
+(Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewöhnlichen Kapitalzinses
+kapitalisiert, ungefähr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine
+wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstädtischer Mietzins von 6000
+Sesterzen (460 Taler) für das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird
+(Vell. 1, 10), so müssen dabei besondere Umstände obgewaltet haben.
+
+7 “Wenn wir könnten, ihr Bürger”, hieß es in seiner Rede, würden wir
+freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so
+eingerichtet hat, daß weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne die
+Frauen überhaupt sich leben läßt, so ziemt es sich auf dauernde
+Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben.”
+
+———————————————————
+
+Allerdings gab es Ausnahmen. Die landstädtischen Kreise, namentlich die
+der größeren Gutsbesitzer, hatten die alte ehrenwerte latinische
+Nationalsitte treuer bewahrt. In der Hauptstadt aber war die catonische
+Opposition zur Phrase geworden; die moderne Richtung herrschte souverän
+und, wenn auch einzelne fest und fein organisierte Naturen, wie Scipio
+Aemilianus, römische Sitte mit attischer Bildung zu vereinigen wußten,
+war doch bei der großen Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit
+geistiger und sittlicher Verderbnis. Den Rückschlag dieser sozialen
+Übelstände auf die politischen Verhältnisse darf man niemals aus den
+Augen verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen will. Es
+war nicht gleichgültig, daß von den beiden vornehmen Männern, die im
+Jahre 662 (92) als oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der
+eine dem andern öffentlich vorrückte, daß er einer Muräne, dem Stolz
+seines Fischteichs, bei ihrem Tode Tränen nachgeweint habe, und dieser
+wieder jenem, daß er drei Frauen begraben und um keine eine Träne
+geweint habe. Es war nicht gleichgültig, daß im Jahre 593 (161) auf
+offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen
+Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin in
+dem Kreise seiner Zechbrüder findet. “Sie spielen Hasard, fein
+parfümiert, die Mätressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt,
+lassen sie den Bedienten kommen und heißen ihn auf der Dingstätte sich
+umhören, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer für und wer gegen den
+neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafür, welche
+dagegen gestimmt hätten. Endlich gehen sie selbst auf den
+Gerichtsplatz, eben früh genug, um sich den Prozeß nicht selbst auf den
+Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgäßchen eine Gelegenheit,
+die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll Wein
+geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstätte und geben den
+Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der
+Geschworene heißt die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie er
+zurückkommt, erklärt er alles gehört zu haben und fordert die Urkunden.
+Ersieht hinein in die Schriften; kaum hält er vor Wein die Augen auf.
+Wie er sich dann zurückzieht, das Urteil auszufüllen, läßt er zu seinen
+Zechbrüdern sich vernehmen: ‘Was gehen mich die langweiligen Leute an?
+Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Süßen mit griechischem Wein
+trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel und einen guten
+Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?’” Die den Redner
+hörten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, daß dergleichen
+Dinge belacht wurden?
+
+
+
+
+KAPITEL XII.
+Nationalität, Religion, Erziehung
+
+
+In dem großen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des weiten Umfangs
+des Römischen Reiches erscheinen die sekundären Nationen in dieser Zeit
+im Zurückweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste unter allen,
+die phönikische, empfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde,
+an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die
+ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien und
+Samnium, wurden nicht bloß von den schwersten Schlägen der Sullanischen
+Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung Italiens
+nötigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr die lateinische Sprache und
+Weise auf und drückte die alten Landessprachen herab zu rasch
+verkümmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen Umfange
+des römischen Staates eine Nationalität als befugt, mit der römischen
+und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie
+intensiv die latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie
+seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem Italiker
+zu vollem römischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott römische
+Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der
+transpadanischen Landschaft seitdem das römische Recht mit Beseitigung
+aller anderen Stadt- und Landrechte ausschließlich gilt: so ist damals
+die römische Sprache auch die allgemeine Geschäfts- und bald
+gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der
+ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie
+beschränkte sich schon nicht mehr auf diese natürlichen Grenzen. Die in
+Italien zusammenströmende Kapitalmasse, der Reichtum seiner Produkte,
+die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner Kaufleute fand
+keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel; hierdurch und durch
+den öffentlichen Dienst wurden die Italiker massenweise in die
+Provinzen geführt. Ihre privilegierte Stellung daselbst privilegierte
+auch die römische Sprache und das römische Recht, selbst wo nicht bloß
+Römer miteinander verkehrten; überall standen die Italiker zusammen als
+festgeschlossene und organisierte Massen, die Soldaten in ihren
+Legionen, die Kaufleute jeder größeren Stadt als eigene Korporationen,
+die in dem einzelnen provinzialen Gerichtssprengel domizilierten oder
+verweilenden römischen Bürger als “Kreise” (conventus civium Romanorum)
+mit ihrer eigenen Geschworenenliste und gewissermaßen mit
+Gemeindeverfassung; und wenn auch diese provinzialen Römer regelmäßig
+früher oder später nach Italien zurückgingen, so bildete sich dennoch
+allmählich aus ihnen der Stamm einer festen, teils römischen, teils an
+die römische sich anlehnenden Mischbevölkerung der Provinzen. Daß in
+Spanien, wo das römische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene
+Provinzialstädte italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616
+(133), später Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits
+erwähnt. Wenn das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der
+Vaccäer zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten
+und widerwärtigsten Aufenthaltsorten für den gebildeten Italiker
+genannt wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine,
+daß schon um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und
+sonst an der Küste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In
+bewußter Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die
+Provinzen des römischen Staats durch die italische Emigration zu
+kolonisieren, das heißt zu romanisieren, und legte Hand an die
+Ausführung desselben; und obgleich die konservative Opposition gegen
+den kühnen Entwurf sich auflehnte, die gemachten Anfänge größtenteils
+zerstörte und die Fortführung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo
+erhalten, schon an sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen
+Sprachgebiets und noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines
+großen Gedankens, der Grundstein eines gewaltigen künftigen Baues. Der
+antike Gallizismus, ja das heutige Franzosentum sind von dort
+ausgegangen und in ihrem letzten Grunde Schöpfungen des Gaius Gracchus.
+Aber die latinische Nationalität erfüllte nicht bloß die italischen
+Grenzen und fing an sie zu überschreiten, sondern sie gelangte auch in
+sich zu tieferer geistiger Begründung. Wir finden sie im Zuge, eine
+klassische Literatur, einen eigenen höheren Unterricht sich zu
+schaffen; und wenn man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und
+der hellenischen Bildung sich versucht fühlen kann, die schwächliche
+italische Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch für die
+geschichtliche Entwicklung zunächst weit weniger darauf an, wie die
+lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als
+darauf, daß sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die
+gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das
+Wort des Dichters auch hier anwenden, daß der lebendige Tagelöhner mehr
+ist als der tote Achill.
+
+Wie rasch und ungestüm aber die lateinische Sprache und Nationalität
+vorwärts dringt, sie erkennt zugleich die hellenische an als durchaus
+gleich, ja früher und besser berechtigt und tritt mit dieser überall in
+das engste Bündnis oder durchdringt sich mit ihr zu gemeinschaftlicher
+Entwicklung. Die italische Revolution, die sonst alle nichtlatinischen
+Nationalitäten auf der Halbinsel nivellierte, rührte nicht an die
+Griechenstädte Tarent, Rhegion, Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia,
+obwohl jetzt umschlossen von römischem Gebiet, fortwährend eine
+griechische Stadt und eben als solche fest verbunden mit Rom. Mit der
+vollständigen Latinisierung Italiens ging die steigende Hellenisierung
+Hand in Hand. In den höheren Schichten der italischen Gesellschaft
+wurde die griechische Bildung zum integrierenden Bestandteil der
+eigenen. Der Konsul des Jahres 623 (131), der Oberpontifex Publius
+Crassus, erregte des Staunen selbst der geborenen Griechen, da er als
+Statthalter von Asia seine gerichtlichen Entscheidungen, wie der Fall
+es erforderte, bald in gewöhnlichem Griechisch abgab, bald in einem der
+vier zu Schriftsprachen gewordenen Dialekte. Und wenn die italische
+Literatur und Kunst längst unverwandt nach Osten blickten, so begann
+jetzt auch die hellenische das Antlitz nach Westen zu wenden. Nicht
+bloß die griechischen Städte in Italien blieben fortwährend zu regem
+geistigen Verkehr mit Griechenland, Kleinasien, Ägypten und gönnten den
+dort gefeierten griechischen Poeten und Schauspielern auch bei sich den
+gleichen Verdienst und die gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem
+von dem Zerstörer Korinths bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen
+Beispiel, die gymnastischen und musischen Spiele der Griechen:
+Wettkämpfe im Ringen sowie im Musizieren, Spielen, Rezitieren und
+Deklamieren in Aufnahme ^1. Die griechischen Literaten schlugen schon
+ihre Fäden bis in die vornehme römische Gesellschaft, vor allem in den
+Scipionischen Kreis, dessen hervorragende griechische Mitglieder, der
+Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios, bereits mehr der
+römischen als der griechischen Entwicklungsgeschichte angehören. Aber
+auch in anderen, minderhochstehenden Zirkeln begegnen ähnliche
+Beziehungen. Wir gedenken eines anderen Zeitgenossen Scipios, des
+Philosophen Kleitomachos, weil in seinem Leben zugleich die gewaltige
+Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener
+Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Karneades und später dessen
+Nachfolger in seiner Professur, verkehrte er von Athen aus mit den
+gebildetsten Männern Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem
+Dichter Lucilius, und widmete teils dem römischen Konsul, der die
+Belagerung Karthagos eröffnete, Lucius Censorinus, ein
+wissenschaftliches Werk, teils seinen als Sklaven nach Italien
+geführten Mitbürgern eine philosophische Trostschrift. Hatten namhafte
+griechische Literaten bisher wohl vorübergehend als Gesandte, Verbannte
+oder sonstwie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt
+schon an, dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon genannte
+Panätios in Scipios Hause lebte, und der Hexametermacher Archias von
+Antiocheia im Jahre 652 (102) sich in Rom niederließ und von der
+Improvisierkunst und von Heldengedichten auf römische Konsulare sich
+anständig ernährte. Sogar Gaius Marius, der schwerlich von seinem
+Carmen eine Zeile verstand und überhaupt zum Mäzen möglichst übel sich
+schickte, konnte nicht umhin, den Verskünstler zu patronisieren.
+Während also das geistige und literarische Leben wenn nicht die
+reineren, doch die vornehmeren Elemente der beiden Nationen miteinander
+in Verbindung brachte, flossen andererseits durch das massenhafte
+Eindringen der kleinasiatischen und syrischen Sklavenscharen und durch
+die kaufmännische Einwanderung aus dem griechischen und
+halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit orientalischen und
+überhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten Schichten des
+Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und gaben auch
+diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung Ciceros, daß neue
+Sprache und neue Weise zuerst in den Seestädten aufkommt, dürfte
+zunächst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium
+sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte zuerst
+Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand.
+
+—————————————————————————-
+
+^1 Daß vor 608 (146) keine “griechischen Spiele” in Rom gegeben seien
+(Tac. ann. 14, 21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische
+“Künstler” (τεχνίται) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische
+Flötenspieler, Tragöden und Faustkämpfer auf (Polyb. 30, 13).
+
+—————————————————————————
+
+Das unmittelbare Resultat dieser vollständigen Revolution in den
+Nationalitätsverhältnissen war allerdings nichts weniger als
+erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phönikern, Juden,
+Ägyptern, die Provinzen von Römern; die scharf ausgeprägten
+Volkstümlichkeiten rieben sich überall aneinander und verschliffen sich
+zusehends; es schien nichts übrigbleiben zu sollen als der allgemeine
+Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an Ausdehnung
+gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo der
+Mittelstand am frühesten und vollständigsten verschwand und nichts
+übrig blieb als die großen Herren und die Bettler, beide in gleichem
+Maße Kosmopoliten. Cicero versichert, daß um 660 (190) die allgemeine
+Bildung in den launischen Städten höher gestanden habe als in Rom; dies
+bestätigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, gesundeste
+und eigentümlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komödie und die
+Lucilische Satire, mit größerem Recht latinisch heißen als römisch. Daß
+der italische Hellenismus der unteren Schichten in der Tat nichts war
+als ein zugleich mit allen Auswüchsen der Kultur und mit oberflächlich
+übertünchter Barbarei behafteter widerwärtiger Kosmopolitismus,
+versteht sich von selbst; aber auch für die bessere Gesellschaft blieb
+der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf die Dauer maßgebend.
+Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich für das griechische
+Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff sie statt zu der
+klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und frivolsten
+Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen Sinn das
+römische Wesen zu gestalten, begnügte man sich mit Entlehnung
+desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist möglichst wenig in
+Tätigkeit setzte. In diesem Sinn äußerte der arpinatische Gutsbesitzer
+Marcus Cicero, der Vater des Redners, daß der Römer, wie der syrische
+Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch verstehe.
+
+Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze Zeit,
+aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Völkerkreis, den wir
+die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der
+äußerlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter
+der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen
+ruhenden Bildung. Über den Trümmern der Völkerschaften zweiten Ranges
+vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen
+stillschweigend der große geschichtliche Kompromiß; die griechische und
+die lateinische Nationalität schließen miteinander Frieden. Auf dem
+Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die
+Römer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem
+Latein eine freilich beschränkte und unvollständige Gleichstellung mit
+dem Griechischen eingeräumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den
+fremden Gesandten, vor dem römischen Senat ohne Dolmetscher griechisch
+zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das römische Gemeinwesen in
+einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte Erbe des Thrones
+und der Gedanken Alexanders des Großen im Westen aufstehen wird,
+zugleich ein Römer und ein Grieche.
+
+Was schon der Überblick der nationalen Verhältnisse also zeigt, die
+Unterdrückung der sekundären und die gegenseitige Durchdringung der
+beiden primären Nationalitäten, das ist im Gebiete der Religion, der
+Volkserziehung, der Literatur und der Kunst noch im einzelnen genauer
+darzulegen.
+
+Die römische Religion war mit dem römischen Gemeinwesen und dem
+römischen Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die
+fromme Widerspiegelung der römischen Bürgerwelt, daß die politische und
+soziale Revolution notwendigerweise auch das Religionsgebäude über den
+Haufen warf. Der alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über
+seinen Trümmern erheben sich, wie über den Trümmern des politischen
+Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der
+Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der
+Aberglaube, das Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings
+gehen die Anfänge von beiden, wie ja auch die Anfänge der
+politisch-sozialen Revolution, bereits in die vorige Epoche zurück.
+Schon damals rüttelte die hellenische Bildung der höheren Kreise im
+stillen an dem Glauben der Väter; schon Ennius bürgerte die
+Allegorisierung und Historisierung der hellenischen Religion in Italien
+ein; schon der Senat, der Hannibal bezwang, mußte die Übersiedlung des
+kleinasiatischen Kybelekults nach Rom gutheißen und gegen anderen noch
+schlimmeren Aberglauben, namentlich das bakchische Muckertum, aufs
+ernstlichste einschreiten. Indes wie überhaupt in der vorhergehenden
+Periode die Revolution mehr in den Gemütern sich vorbereitete als
+äußerlich sich vollzog, so ist auch die religiöse Umwälzung im
+wesentlichen dort erst das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit.
+
+Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anlehnende Richtung
+zu verfolgen. Die hellenische Nation, weit früher als die italische
+erblüht und abgeblüht, hatte längst die Epoche des Glaubens durchmessen
+und seitdem sich ausschließlich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation
+und Reflexion; seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur
+noch Philosophie. Aber auch die philosophische Tätigkeit des
+hellenischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die
+Epoche der produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in
+dem Stadium angekommen, wo nicht bloß keine wahrhaft neuen Systeme mehr
+entstehen, sondern wo auch die Fassungskraft für die vollkommensten der
+älteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmäßige und bald
+scholastische Überlieferung der unvollkommneren Philosopheme der
+Vorfahren sich beschränkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie,
+statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht
+und ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten,
+schlägt. Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefährlich, ist,
+verdünnt und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwässert
+reichten die gleichzeitigen Griechen ihn den Römern, und diese
+verstanden weder ihn zurückzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern
+auf die toten Meister zurückzugehen. Platon und Aristoteles, um von den
+vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluß auf
+die römische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern
+genannt, ihre faßlicheren Schriften auch wohl gelesen und übersetzt
+wurden. So wurden denn die Römer in der Philosophie nichts als
+schlechter Lehrer schlechtere Schüler. Außer der
+historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen
+auflöste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit
+lebender Wohltäter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube
+Götter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind
+hauptsächlich drei Philosophenschulen für Italien von Bedeutung
+geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros († 484 270) und des
+Zenon († 491 263) und die skeptische des Arkesilas († 513 241) und
+Karneades (541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus,
+die Stoa und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche
+von der Unmöglichkeit des überzeugten Wissens ausging und an dessen
+Stelle nur ein für das praktische Bedürfnis ausreichendes vorläufiges
+Meinen als möglich zugab, bewegte sich hauptsächlich polemisch, indem
+sie jeden Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen
+Dogmatismus in den Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern
+ungefähr auf einer Linie mit der älteren Sophistik, nur daß
+begreiflicherweise die Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades
+und die Seinen mehr gegen ihre philosophischen Kollegen ankämpften.
+Dagegen trafen Epikuros und Zenon überein sowohl in dem Ziel einer
+rationellen Erklärung des Wesens der Dinge als auch in der
+physiologischen, von dem Begriff der Materie ausgehenden Methode.
+Auseinander gingen sie, insofern Epikuros, der Atomenlehre Demokrits
+folgend, das Urwesen als starre Materie faßt und diese nur durch
+mechanische Verschiedenheiten in die Mannigfaltigkeit der Dinge
+überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend an den Ephesier Herakleitos,
+schon in den Urstoff eine dynamische Gegensätzlichkeit und eine auf-
+und niederwogende Bewegung hineinlegt; woraus denn die weiteren
+Unterschiede sich ableiten: daß im epikureischen System die Götter
+gleichsam nicht vorhanden und höchstens der Traum der Träume sind, die
+stoischen Götter die ewig rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne,
+als Gott mächtig über den Körper, die Erde, die Natur; daß Epikuros
+nicht, wohl aber Zenon eine Weltregierung und eine persönliche
+Unsterblichkeit der Seele anerkennt; daß das Ziel des menschlichen
+Strebens nach Epikuros ist das unbedingte, weder von körperlichem
+Begehren noch von geistigem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen
+nach Zenon die durch das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und
+Körpers immer gesteigerte und zu dem Einklang mit der ewig streitenden
+und ewig friedlichen Natur aufstrebende menschliche Tätigkeit. In einem
+Punkte aber stimmten der Religion gegenüber alle diese Schulen
+zusammen: daß der Glaube als solcher nichts sei und notwendig ersetzt
+werden müsse durch die Reflexion, mochte diese übrigens mit Bewußtsein
+darauf verzichten, zu einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie,
+oder die Vorstellungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule
+Epikurs, oder dieselben teils motiviert festhalten, teils modifizieren,
+wie die Stoiker taten.
+
+Es war danach nur folgerichtig, daß die erste Berührung der
+hellenischen Philosophie mit der römischen, ebenso glaubensfesten als
+antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die römische
+Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen
+sowohl die Befehdung wie die Begründung sich zu verbitten, die beide
+ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der römische Staat, der in der
+Religion instinktmäßig sich selber angegriffen fühlte, verhielt sich
+billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der
+anrückenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren
+auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch
+gleich das erste größere Debüt der Philosophie in Rom eine förmliche
+Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlaßt durch die
+Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor
+dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie,
+darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten
+(599 155). Die Wahl war insofern zweckmäßig, als der ganz schandbare
+Handel jeder Rechtfertigung im gewöhnlichen Verstand spottete; dagegen
+paßte es vollkommen für den Fall, wenn Karneades durch Rede und
+Gegenrede bewies, daß sich gerade ebenso viele und ebenso
+nachdrückliche Gründe zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen ließen
+wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form
+dartat, daß man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne,
+Oropos herauszugeben und von den Römern, sich wieder zu beschränken auf
+ihre alten Strohhütten am Palatin. Die der griechischen Sprache
+mächtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und
+emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen;
+aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er
+nicht bloß die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhöflich
+genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern
+auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst
+verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und dessen
+Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast
+höhnisches Eingeständnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen
+reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der römischen Jugend
+nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische
+Vorträge zu hören. Man gewöhnte sich, die Philosophie zuerst wenigstens
+als notwendiges Übel zu dulden, bald auch für die in ihrer Naivität
+nicht mehr haltbare römische Religion in der fremden Weisheitslehre
+eine Stütze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinierte, aber dafür
+doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des
+Volksglaubens anständigerweise einigermaßen festzuhalten. Indes diese
+Stütze konnte weder der Euhemerismus sein noch das System des Karneades
+oder des Epikuros. Die Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu
+schroff entgegen, indem sie die Götter geradezu für Menschen erklärte;
+Karneades zog gar ihre Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen
+wenigstens jeden Einfluß auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen
+diesen Systemen und der römischen Religion war ein Bündnis unmöglich;
+sie waren und blieben verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es für
+Bürgerpflicht erklärt, dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem
+Gottesdienst zu nahe trete; und von den in seinen Gesprächen
+auftretenden Akademikern und Epikureern muß jener sich entschuldigen,
+daß er als Philosoph zwar ein Jünger des Karneades, aber als Bürger und
+Pontifex ein rechtgläubiger Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei,
+der Epikureer sogar schließlich sich gefangen geben und sich bekehren.
+Keines dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte
+Begreiflichkeit des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft
+auf die Römer geübt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms
+nur zu tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und
+altersschwachen Historisierung der Fabel; auf die römische Religion
+aber blieb er deshalb ohne wesentlichen Einfluß, weil diese von Haus
+aus nur allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in
+Hellas möglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu
+schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen,
+die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und überdies die langen
+Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe
+Schuttlagen geistiger Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den
+Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem
+römischen, so durchaus auf Tätigkeit gerichteten Wesen tüchtig und brav
+war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und die
+Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die
+Polizei fortgefahren hat, ihm am längsten und ernstlichsten den Krieg
+zu machen. Indes dieser römische Epikureismus war nicht so sehr ein
+philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem
+- sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der
+gedankenlose Sinnesgenuß für die gute Gesellschaft sich maskierte; wie
+denn einer der frühesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, in
+Lucilius’ Gedichten figuriert als der Prototyp des übel
+hellenisierenden Römers.
+
+Gar anders stand und wirkte in Italien die stoische Philosophie. Im
+geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloß sie an die
+Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem Glauben zu
+akkommodieren überhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit seinen
+Göttern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsätzlich fest, als
+er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die
+wissenschaftliche Rücksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Fällen sich
+ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk
+als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war
+ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war
+wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der
+Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros
+ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen
+Menschen. Diese Philosophie paßte in der Tat besser nach Rom als in die
+eigene Heimat. Der Tadel des frommen Gläubigen, daß der Gott des
+Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus
+einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland
+einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche
+Purifizierung, wie sie der stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den
+besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven
+Zeit dürftige plastische Kraft der Römer hatte nicht mehr erzeugt als
+eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhüllung der
+ursprünglichen Anschauung oder des ursprünglichen Begriffes, woraus die
+Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zürnen, wenn sie sich
+plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; Minerva war
+auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supranaturalische
+stoische und die allegorische römische Theologie fielen in ihrem
+Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der Philosoph einzelne
+Sätze der Priesterlehre als zweifelhaft oder als falsch bezeichnen
+mußte, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die Vergötterungslehre
+verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als die Geister
+ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Götterbild nicht als
+Repräsentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens
+nicht die Art der Anhänger Zenons, gegen diese Irrlehren anzukämpfen
+und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie überall der
+Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht, auch in ihren Schwächen. Auch
+die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und auf die
+rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne der
+Römer, zumal der Römer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die Väter in
+unbefangener Weise Zucht und gute Sitte übten, sondern deren naive
+Sittlichkeit auflösten in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter
+Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz überdies dringend eine
+methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die Fähigkeit zu
+besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So inkorporierte diese
+Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem
+Boden akklimatisiertes Gewächs sich durchaus dem römischen
+Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den
+verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge reichen ohne Zweifel weiter
+zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren Schichten der römischen
+Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis, der sich um
+Scipio Aemilianus gruppierte. Panätios von Rhodos, der Lehrmeister
+Scipios und aller ihm nahestehender Männer in der stoischen Philosophie
+und beständig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein gewöhnlicher
+Begleiter, verstand es, das System geistreichen Männern nahe zu
+bringen, dessen spekulative Seite zurücktreten zu lassen und die Dürre
+der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus einigermaßen zu
+mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der älteren Philosophen,
+unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen Sokrates vorzugsweise
+liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die namhaftesten Staatsmänner
+und Gelehrten, unter anderen die Begründer der wissenschaftlichen
+Philologie und der wissenschaftlichen Jurisprudenz, Stilo und Quintus
+Scaevola. Der schulmäßige Schematismus, der in diesen
+Fachwissenschaften seitdem wenigstens äußerlich herrscht und namentlich
+anknüpft an eine wunderliche, scharadenhaft geistlose
+Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa. Aber unendlich wichtiger ist
+die aus der Verschmelzung der stoischen Philosophie und der römischen
+Religion hervorgehende neue Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das
+spekulative Element, von Haus aus in dem Zenonischen System wenig
+energisch ausgeprägt und schon weiter abgeschwächt, als dasselbe in Rom
+Eingang fand, nachdem bereits ein Jahrhundert hindurch die griechischen
+Schulmeister sich beflissen hatten, diese Philosophie in die
+Knabenköpfe hinein und damit den Geist aus ihr hinauszutreiben, trat
+völlig zurück in Rom, wo niemand spekulierte als der Wechsler; es war
+wenig mehr die Rede von der idealen Entwicklung des in der Seele des
+Menschen waltenden Gottes oder göttlichen Weltgesetzes. Die stoischen
+Philosophen zeigten sich nicht unempfänglich für die recht einträgliche
+Auszeichnung, ihr System zur halboffiziellen römischen
+Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und erwiesen sich überhaupt
+geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen Prinzipien hätte
+erwarten sollen. Ihre Lehre von den Göttern und vom Staat zeigte bald
+eine seltsame Familienähnlichkeit mit den realen Institutionen ihrer
+Brotherren; statt über den kosmopolitischen Philosophenstaat stellten
+sie Betrachtungen an über die weise Ordnung des römischen
+Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie Panätios, die
+göttliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als denkbar, aber
+ungewiß dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar entschieden verworfen
+hatten, so verfochten schon seine nächsten Nachfolger jene
+Offenbarungslehre, das heißt die römische Auguraldisziplin, so steif
+und fest wie jeden anderen Schulsatz und machten sogar der Astrologie
+höchst unphilosophische Zugeständnisse. Das Hauptstück des Systems ward
+immer mehr die kasuistische Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen
+Tugendstolz entgegen, bei welchem die Römer dieser Zeit in der vielfach
+demütigenden Berührung mit den Griechen Entschädigung suchten, und
+formulierte den angemessenen Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie
+jede wohlerzogene Moral, mit herzerstarrender Rigorosität im ganzen die
+höflichste Nachsicht im einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen
+Resultate werden kaum viel höher anzuschlagen sein als daß, wie gesagt,
+in zwei oder drei vornehmen Häusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen
+ward.
+
+—————————————————————-
+
+2 Ein ergötzliches Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13)
+nachlesen.
+
+—————————————————————-
+
+Dieser neuen Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere
+Seite ist die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das
+bewußte Festhalten der als irrationell erkannten Sätze des
+Volksglaubens aus äußeren Zweckmäßigkeitsgründen ist. Schon einer der
+hervorragendsten Männer des Scipionischen Kreises, der Grieche
+Polybios, spricht es unverhohlen aus, daß das wunderliche und
+schwerfällige römische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen
+erfunden sei, die, da die Vernunft nichts über sie vermöge, mit Zeichen
+und Wundern beherrscht werden müsse, während verständige Leute
+allerdings der Religion nicht bedürften. Ohne Zweifel teilten Polybios’
+römische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie auch nicht
+in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion sich
+entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus können in der
+Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunächst denkt, etwas anderes
+gesehen haben als eine politische Institution; doch war der
+Nationalsinn in ihnen zu mächtig und das Anstandsgefühl zu fein, als
+daß sie mit solchen bedenklichen Erörterungen öffentlich hätten
+auftreten mögen. Aber schon in der folgenden Generation trug der
+Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens
+in seiner mündlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Sätze vor, daß
+es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmäßige philosophische
+und eine nichtverstandesmäßige traditionelle, daß jene sich nicht eigne
+zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu wissen
+unnütz oder sogar schädlich sei, daß demnach die überlieferte
+Staatsreligion bleiben müsse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung
+desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die
+römische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der
+Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des Staats, wie der
+Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte, die Götter
+neu zu machen, würde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und
+den Teilen der Weltseele prinzipmäßig entsprechender zu machen und zu
+benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Götterbilder 3
+und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese
+Einrichtungen einmal beständen, so müsse jeder gute Bürger sie kennen
+und befolgen und dazu tun, daß der “gemeine Mann” die Götter vielmehr
+höher achten als geringschätzen lerne. Daß der gemeine Mann, zu dessen
+Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt
+verschmähte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von selbst und
+wird weiterhin sich zeigen. So war denn die römische Hochkirche fertig,
+eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und eine glaubenslose
+Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion für eine politische
+Institution erklärte, desto entschiedener betrachteten die politischen
+Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff und
+Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Maße der Fall war mit
+der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu den Priesterkollegien.
+Die alte und natürliche Übung, die Bürgerversammlung zu entlassen, wenn
+ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Händen der römischen Augurn
+sich zu einem weitläufigen System verschiedener Himmelszeichen und
+daran sich knüpfender Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten
+Dezennien dieser Epoche ward sogar durch das Älische und das Fufische
+Gesetz geradezu verordnet, daß jede Volksversammlung auseinanderzugehen
+genötigt sei, wenn es einem höheren Beamten einfalle, nach
+Gewitterzeichen am Himmel zu schauen; und die römische Oligarchie war
+stolz auf den schlauen Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Lüge
+jedem Volksbeschluß den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu können.
+Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf gegen die alte Übung,
+daß die vier höchsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich
+selber ergänzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf
+die Stellen selbst, wie sie für die Vorstandschaften dieser Kollegien
+schon früher eingeführt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste
+dieser Körperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darüber sich
+zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren und
+zum Beispiel der Regierung mit religiösen Kassationsgründen politischer
+Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit ward ein
+Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145) schlug der
+Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis für die Verwerfung
+des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104) ging sodann der
+Vorschlag durch mit der früher schon bei der Wahl der Vorstände
+gemachten Beschränkungen zum Besten bedenklicher Gewissen, daß nicht
+die ganze Bürgerschaft, sondern nur der kleinere Teil der Bezirke zu
+wählen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in vollem
+Umfang wieder her. Mit dieser Fürsorge der Konservativen für die reine
+Landesreligion vertrug es natürlich sich aufs beste, daß eben in den
+vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben ward. Die
+praktische Seite des römischen Priestertums war die priesterliche
+Küche; die Augural- und Pontifikalschmäuse waren gleichsam die
+offiziellen Silberblicke eines römischen Feinschmeckerlebens und manche
+derselben machten Epoche in der Geschichte der Gastronomie, wie zum
+Beispiel die Antrittsmahlzeit des Augurs Quintus Hortensius die
+Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr brauchbar ward auch die Religion
+befunden, um den Skandal pikanter zu machen. Es war ein
+Lieblingsvergnügen vornehmer junger Herren, zur Nachtzeit auf den
+Straßen die Götterbilder zu schänden oder zu verstümmeln. Gewöhnliche
+Liebeshändel waren längst gemein und Verhältnisse mit Ehefrauen fingen
+an es zu werden; aber ein Verhältnis zu einer Vestalin war so pikant
+wie in der Welt des Decamerone die Nonnenliebschaft und das
+Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge Handel des Jahres 640 (114), in
+welchem drei Vestalinnen, Töchter der vornehmsten Familien, und deren
+Liebhaber, junge Männer gleichfalls aus den besten Häusern, zuerst vor
+dem Pontifikalkollegium und, da dies die Sache zu vertuschen suchte,
+vor einem durch eigenen Volksschluß eingesetzten außerordentlichen
+Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung gezogen und sämtlich zum Tode
+verurteilt wurden. Solchen Skandal nun konnten freilich gesetzte Leute
+nicht billigen; aber dagegen war nichts einzuwenden, daß man die
+positive Religion im vertrauten Kreise albern fand: die Augurn konnten,
+wenn einer den andern fungieren sah, sich einander ins Gesicht lachen,
+unbeschadet ihrer religiösen Pflichten. Man gewinnt die bescheidene
+Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich lieb, wenn man die krasse
+Unverschämtheit der römischen Priester und Leviten damit vergleicht.
+Ganz unbefangen ward die offizielle Religion behandelt als ein hohles,
+nur für die politischen Maschinisten noch brauchbares Gerüste; in
+dieser Eigenschaft konnte es mit seinen zahllosen Winkeln und
+Falltüren, wie es fiel, jeder Partei dienen und hat einer jeden
+gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in der
+Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; aber auch die
+Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen ein Institut,
+das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete dasselbe im
+ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes in den eigenen
+übergehen könne.
+
+—————————————————————————————-
+
+3 Auch in Varros Satire ‘Die Aboriginer’ wurde in spöttischer Weise
+dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit
+dem Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach
+Götterpuppen und Götterbilderchen.
+
+—————————————————————————————-
+
+Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst
+stehen die verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und
+pflegte und denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht
+abgesprochen werden kann. Sie begegnen überall, bei den vornehmen Damen
+und Herren wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem
+Lanzknecht, in Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie
+hoch hinauf dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg
+eine syrische Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur
+Überwindung der Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser
+zwar sie mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und namentlich
+Marius’ eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier,
+wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumführte, bis
+die Teutonen geschlagen waren. Die Führer der verschiedensten Parteien
+im Bürgerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben
+an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat maßte während desselben in den
+Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer
+verrückten Prophetin gemäß Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren
+der römisch-hellenischen Religion, wie für das im Steigen begriffene
+Bedürfnis der Menge nach stärkeren religiösen Stimulantien ist es
+bezeichnend, daß der Aberglaube nicht mehr, wie in den
+Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion; selbst die
+etruskische Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in erster Linie
+erscheinen die in den heißen Landschaften des Orients gezeitigten
+Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen
+kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevölkerung, teils durch
+die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit
+dem Osten. Die Macht dieser fremdländischen Religion tritt sehr scharf
+hervor in den Aufständen der sizilischen, größtenteils aus Syrien
+herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen;
+die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen
+großenteils Götternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der
+geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig
+verehrten Mütter. Ähnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich seitdem
+die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen Häfen
+gingen: Ostia und Puteoli wurden die großen Stapelplätze wie für die
+syrischen Salben und die ägyptische Leinwand so auch für den Glauben
+des Ostens. Überall ist mit der Völker- auch die Religionsmengung
+beständig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war der populärste der
+der pessinuntischen Göttermutter, der mit seinem Eunuchenzölibat, mit
+den Schmäusen, der Musik, den Bettelprozessionen und dem ganzen
+sinnlichen Gepränge der Menge imponierte; die Hauskollekten wurden
+bereits als eine ökonomische Last empfunden. In der gefährlichsten Zeit
+des Kimbrischen Krieges erschien der Hohepriester Battakes von Pessinus
+in eigener Person in Rom, um die Interessen des dortigen, angeblich
+entweihten Tempels seiner Göttin zu vertreten, redete im besonderen
+Auftrag der Göttermutter zum römischen Volk und tat auch verschiedene
+Wunder. Die verständigen Leute ärgerten sich, aber die Weiber und die
+große Menge ließen es sich nicht nehmen, dem Propheten beim Abzug in
+hellen Haufen das Geleit zu geben. Gelübde, nach dem Osten zu
+wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie denn selbst Marius
+also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja es gaben schon
+(zuerst 653 101) römische Bürger sich zu dem Eunuchenpriestertum her.
+Aber weit populärer noch waren natürlich die unerlaubten und
+Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldäische
+Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem
+marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die
+Sternguckerei und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem
+traumseligen Heimatland. Schon 615 (139) wies der römische
+Fremdenprätor die sämtlichen “Chaldäer” an, binnen zehn Tagen Rom und
+Italien zu räumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden,
+welche zu ihrem Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso
+hatte Scipio das Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen
+Industrierittern jeder Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte später (657
+97) sah man sogar sich genötigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der
+wilde Kult der kappadokischen Ma oder, wie die Römer sie nannten, der
+Bellona, welcher bei den festlichen Aufzügen die Priester das eigene
+Blut zum Opfer verspritzten, und die düstere ägyptische Götterverehrung
+beginnen sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im
+Traume, und von den späteren römischen Isis- und Osirisgemeinden
+führten die ältesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit
+zurück. Man war irre geworden, nicht bloß an dem alten Glauben, sondern
+auch an sich selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fünfzigjährigen
+Revolution, das instinktmäßige Gefühl, daß der Bürgerkrieg noch
+keineswegs am Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die trübe
+Beklommenheit der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Höhe
+und versenkte sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in
+die drohenden Verhängnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe
+gegen das Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden
+wähnte. Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen
+politischen, ökonomischen, sittlichen, religiösen Zerfahrenheit den ihm
+genehmen Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als
+wären Riesenbäume über Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wußte
+woher und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue
+Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemüter.
+
+In ähnlicher Weise wie auf dem religiösen Gebiet vollendete sich die in
+der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und
+Bildung. Wie der Grundgedanke des römischen Wesens, die bürgerliche
+Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem
+Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist früher dargestellt worden. Schon
+zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit
+verbreitet und gab es eine eigene römische Bildung; allein man war doch
+mit beiden nicht über die Anfänge hinausgelangt. Was man unter
+römisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefähr verstand,
+zeigt Catos ‘Encyklopädie’; es ist wenig mehr als die Formulierung des
+alten römischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen
+hellenischen Bildung verglichen, dürftig genug. Auf wie niedriger Stufe
+noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in Rom
+durchgängig stand, läßt aus den Äußerungen bei Polybios sich abnehmen,
+welcher in dieser einen Hinsicht gegenüber der verständigen privaten
+und öffentlichen Fürsorge seiner Landsleute die sträfliche
+Gleichgültigkeit der Römer tadelnd hervorhebt - in den dieser
+Gleichgültigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der bürgerlichen
+Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu finden
+vermocht.
+
+Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben der aufgeklärte
+stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte auch in der
+Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine besondere
+Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten Überreste
+der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht überflüssig sein, auf
+die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des griechischen wie
+des höheren lateinischen, einen Blick zu werfen.
+
+Es ist eine wundersame Fügung, daß derselbe Mann, der politisch die
+hellenische Nation definitiv überwand, Lucius Aemilius Paullus,
+zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation
+vollständig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen
+geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war
+ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im
+Sinn, hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung
+genug, um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die
+unbezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden in
+seiner Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an dem fremden
+Mann einen ernsteren und innigeren Gläubigen gefunden, als irgendeiner
+war von den klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein
+Epigramm auf Homeros oder Pheidias, aber er ließ seine Kinder einführen
+in die Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu
+vernachlässigen, soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen
+für die physische Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach
+römischen Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch Unterweisung
+in der bei den Griechen fast kunstmäßig entwickelten Jagd, und
+steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daß nicht mehr bloß
+die Sprache um des Sprechens willen gelernt und geübt, sondern nach
+griechischer Art der Gesamtstoff allgemeiner höherer Bildung an die
+Sprache geknüpft und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die
+Kenntnis der griechischen Literatur mit der zu deren Verständnis
+nötigen mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und
+Philosophie. Die Bibliothek des Königs Perseus war das einzige Stück,
+das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute für sich nahm, um sie
+seinen Söhnen zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden
+sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner
+Kinder. Daß die Zeit vorüber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem
+Hellenismus gegenüber bloß ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato
+empfunden; die Besseren mochten jetzt ahnen, daß der edle Kern
+römischer Art durch den ganzen Hellenismus weniger gefährdet werde als
+durch dessen Verstümmelung und Mißbildung: die Masse der höheren
+Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise mit. An
+griechischen Schulmeistern war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt
+strömten sie scharenweise, und nicht bloß als Sprach-, sondern als
+Lehrer der Literatur und Bildung überhaupt, nach dem neu eröffneten
+ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und
+Lehrer der Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sklaven
+waren, regelmäßig wie Bediente 4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend
+in den Palästen Roms; man raffinierte darauf, und es findet sich, daß
+für einen griechischen Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen
+(15200 Taler) gezahlt worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der
+Hauptstadt eine Anzahl besonderer Lehranstalten für griechische
+Deklamationsübung. Schon begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter
+diesen römischen Lehrern: des Philosophen Panätios ward bereits
+gedacht; der angesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien,
+Aristarchs Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 585 (169) in Rom
+ein Publikum für die Vorlesung und sprachliche und sachliche
+Erläuterung der Homerischen Gedichte. Zwar stieß diese neue Weise des
+Jugendunterrichts, revolutionär und antinational wie sie war, zum Teil
+auf den Widerstand der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die
+Behörden 593 (161) gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb,
+zumal bei dem steten Wechsel der römischen Oberbeamten, wie alle
+ähnlichen Befehle ohne nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato
+Tode ward in seinem Sinne wohl noch öfters geklagt, aber nicht mehr
+gehandelt. Der höhere Unterricht im Griechischen und in den
+griechischen Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein
+wesentlicher Teil der italischen Bildung.
+
+———————————————————————————
+
+4 Cicero sagt, daß er seinen gelehrten Sklaven Dionysios
+rücksichtsvoller behandelt habe als Scipio den Panätios; und in
+gleichem Sinne hieß es bei Lucilius:
+
+Nützlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel und Zeltdach
+
+Als der Philosoph.
+
+———————————————————————————-
+
+Aber ihm zur Seite entwickelte sich ein höherer lateinischer
+Unterricht. Es ist in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der
+lateinische Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an
+die Stelle der Zwölf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die
+lateinische Odyssee getreten war und nun der römische Knabe an dieser
+Übersetzung, wie der griechische an dem Original, die Kunde und den
+Vortrag der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach-
+und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch
+wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende
+Knaben und Jünglinge lehrten, es nicht verschmähten, neben der
+griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das
+die Anfänge eines höheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch ein
+solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht
+überschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht
+bloß lateinische Schulbücher, sondern eine lateinische Literatur gab
+und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in
+einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und
+die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der höheren
+Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen
+Sprachmeistern ließ nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt
+durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Römer
+die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius’ ‘Punischen Krieg’,
+Ennius’ ‘Chronik’, späterhin auch Lucilius’ Gedichte zuerst einem
+erlesenen Kreis, dann öffentlich an fest bestimmten Tagen und unter
+großem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen
+Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vorträge,
+die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar
+kein förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel,
+die Jugend in das Verständnis und den Vortrag der klassischen
+lateinischen Literatur einzuführen.
+
+Ähnlich ging es mit der Bildung der lateinischen Rede. Die vornehme
+römische Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen
+Reden öffentlich aufzutreten angehalten ward, wird es an Redeübungen
+nie haben fehlen lassen; indes erst in dieser Epoche und infolge der
+neuen exklusiven Bildung entstand eine eigentliche Redekunst. Als der
+erste römische Sachwalter, der Sprache und Stoff kunstmäßig behandelte,
+wird Marcus Lepidus Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden
+berühmten Advokaten der marianischen Zeit, der männliche und lebhafte
+Marcus Antonius (611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius
+Crassus (614-663 140-91), waren schon vollständig Kunstredner. Die
+Übungen der Jugend im Sprechen stiegen natürlich an Umfang und
+Bedeutung, aber blieben doch, eben wie die lateinischen
+Literaturübungen, wesentlich darauf beschränkt, daß der Anfänger an den
+Meister der Kunst persönlich sich anschloß und durch sein Beispiel und
+seine Lehre sich ausbildete.
+
+Förmliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in
+lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius
+Praeconinus von Lanuvium, der “Griffelmann” (Stilo) genannt, ein
+angesehener, streng konservativ gesinnter römischer Ritter, der mit
+einem auserlesenen Kreise jüngerer Männer - darunter Varro und Cicero -
+den Plautus und ähnliches las, auch wohl Entwürfe zu Reden mit den
+Verfassern durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab.
+Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmäßiger Schulmeister war Stilo
+nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom die
+Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund der
+aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote
+stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmäßige höhere
+Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren
+lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten
+Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen
+Anstalten erteilt. Daß Geist und Methode durchaus den griechischen
+Literatur- und Sprachübungen abgeborgt wurden, versteht sich von
+selbst; und auch die Schüler bestanden wie bei diesen aus Jünglingen,
+nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, wie
+der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die
+lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-,
+Staats- und Gerichtsreden kunstmäßige Anleitung gegeben ward. Die erste
+römische Literaturschule eröffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius
+Nicanor Postumus, die erste besondere Schule für lateinische Rhetorik
+um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den
+lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser
+neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten
+Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und
+lateinischer Rede, wie sie früher von hochgestellten Kennern und
+Meistern erteilt worden war, hatte den Griechen gegenüber eine gewisse
+Selbständigkeit sich bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister
+der Rede standen wohl unter dem Einfluß des Hellenismus, aber nicht
+unbedingt unter dem der griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik;
+namentlich die letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie
+der gesunde Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die
+griechische Behauptung, daß die Fähigkeit, über Dinge, die der Redner
+verstand und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache zu
+seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden
+könne. Dem tüchtigen praktischen Advokaten mußte das gänzlich dem Leben
+entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren für den Anfänger
+schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten
+und durch das Leben gereiften Manne dünkte die griechische Rhetorik
+schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging die
+Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäßig entwickelten
+Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der
+Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen,
+und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern,
+zunächst wohl als Übungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so
+war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede
+noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen
+lateinischen Rhetorschulen aber wurden die römischen Jungen zu Männern
+und Staatsrednern dadurch gebildet, daß sie paarweise den bei der
+Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus
+der Ermordung seines Waffengefährten anklagten und dagegen ihn
+verteidigten; daß sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in
+Schutz nahmen; daß sie vielleicht auch dem Hannibal nachträglich mit
+einem guten Rat darüber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung nach
+Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht zu
+ergreifen. Es ist begreiflich, daß gegen diese widerwärtigen und
+verderblichen Wortmühlen noch einmal die catonische Opposition sich
+regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erließen eine Warnung an Lehrer
+und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Übungen
+hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewußt hätten; und
+der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der erste
+Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natürlich sprach
+die Kassandra vergebens; lateinische Deklamierübungen über die
+gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil
+des römischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die
+Knaben zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und
+jede ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken.
+
+Als Gesamtergebnis aber dieser modernen römischen Erziehung entwickelte
+sich der neue Begriff der sogenannten “Menschlichkeit”, der Humanität,
+welche bestand teils in der mehr oder minder oberflächlich angeeigneten
+musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten
+oder nachgestümperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanität
+sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch
+römischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in sich,
+ebenwie unsere eng verwandte “allgemeine Bildung”, einen national
+kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die
+Revolution, die die Stände schied und die Völker verschmolz.
+
+
+
+
+KAPITEL XIII.
+Literatur und Kunst
+
+
+Das sechste Jahrhundert ist, politisch wie literarisch, eine frische
+und große Zeit. Zwar begegnet auf dem schriftstellerischen Gebiet so
+wenig wie auf dem politischen ein Mann ersten Ranges; Naevius, Ennius,
+Plautus, Cato, begabte und lebendige Schriftsteller von scharf
+ausgeprägter Individualität, sind nicht im höchsten Sinn schöpferische
+Talente; aber nichtsdestoweniger fühlt man dem Schwung, der Rührigkeit,
+der Keckheit ihrer dramatischen, epischen, historischen Versuche es an,
+daß sie ruhen auf den Riesenkämpfen der Punischen Kriege. Es ist vieles
+nur künstlich verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt,
+Kunstform und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales
+barock ineinandergefügt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des
+schulmäßigen Urspungs nicht und ist unselbständig und unvollkommen;
+aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo
+nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und die
+Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser
+Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefühl der im
+Kriege gestählten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an
+Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Maß des eigenen
+Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das
+vermochte man nicht weiterzuführen, als teils die dumpfe Schwüle der
+heraufziehenden revolutionären Gewitter die Luft zu erfüllen begann,
+teils den Einsichtigeren allmählich die Augen aufgingen über die
+unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und
+über die sehr bescheidene künstlerische Begabung der eigenen Nation.
+Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der
+Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte
+und empfängliche Gemüter. Die gesteigerte hellenische Bildung des
+siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen
+naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Blütenkeime mit dem
+Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der älteren
+Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunächst und
+hauptsächlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich
+schloß und dessen hervorragendste Glieder unter der römischen vornehmen
+Welt außer Scipio dessen älterer Freund und Berater Gaius Laelius
+(Konsul 614 140) und Scipios jüngere Genossen, Lucius Furius Philus
+(Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von
+Korinth, unter den römischen und griechischen Literaten der Komiker
+Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber
+Polybios, der Philosoph Panätios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon und
+Menandros geläufig waren, dem konnte der römische Homer nicht
+imponieren und noch weniger die schlechten Übersetzungen Euripideischer
+Tragödien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu liefern
+fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterländische Chronik
+patriotische Rücksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius
+sehr spitzige Pfeile gegen “die traurigen Figuren aus den geschraubten
+Expositionen des Pacuvius”; und ähnliche strenge, aber nicht ungerechte
+Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, “die einen
+Freibrief zu haben scheinen, schwülstig zu reden und unlogisch zu
+schließen”, begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser
+Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte
+die Achseln über die Interpolationen, mit denen der derbe römische
+Volkswitz die eleganten Komödien des Philemon und des Diphilos
+staffiert hatte. Halb lächelnd, halb neidisch wandte man sich ab von
+den unzulänglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise
+erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblätter aus
+seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, ließ
+man in Poesie und Prosa die höheren Kunstgattungen wesentlich fallen
+und beschränkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich
+einsichtig zu erfreuen. Die Produktivität dieser Epoche bewegt sich
+vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren Komödie,
+der poetischen Miszelle, der politischen Broschüre, den
+Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im
+Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis
+von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits
+ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der höheren Gesellschaft
+und das vulgäre des gemeinen Mannes. “Reine Sprache” verheißen die
+Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der
+Lucilischen Satire; und ebendamit hängt es zusammen, daß die
+griechische Schriftstellerei der Römer jetzt entschieden zurücktritt.
+Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es
+begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulängliche, weit häufiger in
+ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher
+oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des
+Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfälschten Latein.
+Desgleichen steigt die literarische Tätigkeit in der öffentlichen
+Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser
+Periode galt, wenn auch nicht die Veröffentlichung rezitativer Poesien,
+doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstücken als nicht schicklich
+für den vornehmen Römer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren
+Stücken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit
+goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhältnisse sich völlig
+verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, daß
+auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung
+Anspruch machen durfte, deren Höhe den Makel entfernte. Damit wurde die
+Bühnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch
+Männer aus den höchsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar
+(Ädil 664 90, † 667 87) für die römische Bühne tätig und stolz darauf,
+in der römischen “Dichtergilde” neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen.
+Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist hin im
+Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, die den
+Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr
+entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der späteren wieder - die
+Epigonen der Hannibalskämpfer sind korrekt, aber matt.
+
+Betrachten wir zuerst die römische Bühnenliteratur und die Bühne
+selbst. Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitäten auf; die
+Tragödiendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der vorigen,
+nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschätzung dieses
+Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im
+Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen
+Tragödie (praetexta), der Schöpfung des Naevius, begegnen wir nur noch
+bei dem gleich zu erwähnenden Pacuvius, einem Spätling der Ennianischen
+Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern griechischer
+Tragödie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. Marcus
+Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in seinen
+früheren Jahren im Rom vom Malen, erst im höheren Alter vom
+Trauerspieldichten lebte, gehört seinen Jahren wie seiner Art nach mehr
+dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische
+Tätigkeit in dieses fällt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines
+Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach
+höherem Schwunge strebend als sein Vorgänger, galt er günstigen
+Kunstkritikern später als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils;
+in den auf uns gekommenen Bruchstücken fehlt es indes nicht an Belegen,
+die Ciceros sprachlichen und Lucilius’ ästhetischen Tadel des Dichters
+rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines
+Vorgängers, seine Dichtweise schwülstig und tüftelnd ^1. Es finden sich
+Spuren, daß er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion gab;
+aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen Richtung
+zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklärung predigenden
+Dramen und schöpfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei Euripides -
+von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie des Ennius
+kann in dem jüngeren Dichter keine Ader gewesen sein.
+
+————————————————————————-
+
+^1 So hieß es im ‘Paulus’, einem Originalstück, wahrscheinlich in der
+Beschreibung des Passes von Pythion (2, 296):
+
+Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est.
+
+Wo kaum
+
+Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang.
+
+Und in einem andern Stück wird den Zuhörern angesonnen, folgende
+Beschreibung zu verstehen:
+
+Vierfüßig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh,
+
+Niedrig, kurzköpfig, schlangenhalsig, starr zu schaun,
+
+Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton.
+
+Worauf dieselben natürlich erwidern:
+
+Mit dichtverzäuntem Worte schilderst du uns ab,
+
+Was ratend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut;
+
+Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht.
+
+Es erfolgt nun das Geständnis, daß die Schildkröte gemeint ist.
+übrigens fehlten solche Rätselreden auch bei den attischen
+Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der Mittleren Komödie oft
+und derb mitgenommen wurden.
+
+———————————————————————————
+
+Lesbarere und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragödie
+lieferte des Pacuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines
+Freigelassenen Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), außer
+Pacuvius der einzige namhafte tragische Dichter des siebenten
+Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch literarhistorisch und
+grammatisch tätiger Schriftsteller, bemüht, statt der kruden Weise
+seiner Vorgänger größere Reinheit in Sprache und Stil in die
+lateinische Tragödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und
+Inkorrektheit von den Männern der strengen Observanz, wie Lucilius,
+nachdrücklich getadelt.
+
+Weit größere Tätigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem
+Gebiete des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen
+die gangbare und volksmäßige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte
+Reaktion. Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der
+geschichtlich interessantesten Erscheinungen in der römischen
+Literatur. Geboren im phönikischen Afrika, in früher Jugend als Sklave
+nach Rom gebracht und dort in die griechische Bildung der Zeit
+eingeführt, schien er von Haus aus dazu berufen, der neuattischen
+Komödie ihren kosmopolitischen Charakter zurückzugeben, den sie in der
+Zustutzung für das römische Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer
+Genossen derben Händen einigermaßen eingebüßt hatte. Schon in der Wahl
+und der Verwendung der Musterstücke zeigt sich der Gegensatz zwischen
+ihm und demjenigen seiner Vorgänger, den wir jetzt allein mit ihm
+vergleichen können. Plautus wählt seine Stücke aus dem ganzen Kreise
+der neueren attischen Komödie und verschmäht die keckeren und
+populäreren Lustspieldichter, wie zum Beispiel den Philemon, durchaus
+nicht; Terenz hält sich fast ausschließlich an Menandros, den
+zierlichsten, feinsten und züchtigsten unter allen Poeten der neueren
+Komödie. Die Weise, mehrere griechische Stücke zu einem lateinischen
+zusammenzuarbeiten, wird von Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage
+der Sache für den römischen Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war,
+aber mit unvergleichlich mehr Geschicklichkeit und Sorgsamkeit
+gehandhabt. Der Plautinische Dialog entfernte sich ohne Zweifel sehr
+häufig von seinen Mustern; Terenz rühmt sich des wörtlichen Anschlusses
+seiner Nachbildungen an die Originale, wobei freilich nicht an eine
+wörtliche Übersetzung in unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht
+selten rohe, aber immer drastische Auftragung römischer Lokaltöne auf
+den griechischen Grund, wie Plautus sie liebte, wird vollständig und
+absichtlich verbannt, nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein
+Sprichwort, kaum eine Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel
+werden durch griechische ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in
+der künstlerischen Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die
+Schauspieler die ihnen gebührenden Masken zurück und wird für eine
+sorgfältigere Inszenierung Sorge getragen, so daß nicht mehr wie bei
+Plautus alles, was dahin und nicht dahin gehört, auf der Straße
+vorzugehen braucht. Plautus schürzt und löst den Knoten leichtsinnig
+und lose, aber seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit
+minder drastisch, trägt überall, nicht selten auf Kosten der Spannung,
+der Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdrücklich gegen die
+allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe
+seiner Vorgänger, zum Beispiel gegen die allegorischen Träume 3.
+Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft,
+immer für die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz
+behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfältigen und oft
+vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den ‘Brüdern’ die
+beiden Alten, der bequeme städtische Lebemann und der vielgeplackte,
+durchaus nicht parfümierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast
+bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe,
+Terenz im guten bürgerlichen Haushalt. Die rüpelhafte Plautinische
+Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den
+obligaten Wirten dazu, die säbelrasselnden Landsknechte, die ganz
+besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren
+Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum
+Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen,
+unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen
+regelmäßig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein Mädchenwirt
+ausgeplündert oder ein junger Mensch ins Bordell geführt, so geschieht
+es in moralischer Absicht, etwa aus brüderlicher Liebe oder um den
+Knaben vom Besuch schlichter Häuser abzuschrecken. In den Plautinischen
+Stücken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen das Haus:
+überall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergötzung aller
+zeitweilig emanzipierten und einer liebenswürdigen Begrüßung daheim
+nicht völlig versicherten Eheleute. In den Terenzischen Komödien
+herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere
+Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmäßig
+schließen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womöglich mit zweien
+- ebenwie von Menandros gerühmt wird, daß er jede Verführung durch eine
+Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose Leben, die
+bei Menandros so häufig sind, werden von seinem römischen Bearbeiter
+nur mit charakteristischer Schüchternheit wiederholt 4, dagegen der
+Verliebte in seiner Pein, der zärtliche Ehemann am Kindbett, die
+liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im ‘Verschnittenen’ und im
+‘Mädchen von Andros’ gar anmutig geschildert; ja in der
+‘Schwiegermutter’ erscheint sogar am Schluß als rettender Engel ein
+tugendhaftes Freudenmädchen, ebenfalls eine echt Menandrische Figur,
+die das römische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei Plautus
+sind die Väter durchaus nur dazu da, um von den Söhnen gefoppt und
+geprellt zu werden; bei Terenz wird im ‘Selbstquäler’ der verlorene
+Sohn durch väterliche Weisheit gebessert und, wie er überhaupt voll
+trefflicher Pädagogik ist, geht in dem vorzüglichsten seiner Stücke,
+den ‘Brüdern’, die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen
+Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu
+finden. Plautus schreibt für den großen Haufen und führt gottlose und
+spöttische Reden im Munde, soweit die Bühnenzensur es irgend gestattet;
+Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu gefallen und,
+wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den raschen, oft
+lärmenden Dialog, und es gehört zu seinen Stücken das lebhafte
+Körperspiel der Schauspieler; Terenz beschränkte sich auf “ruhiges
+Gespräch”. Plautus’ Sprache fließt über von burlesken Wendungen und
+Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen Neubildungen,
+aristophanischen Wörterverklitterungen, spaßhaft entlehnten
+griechischen Schlagwörtern. Dergleichen Capricci kennt Terenz nicht:
+sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmaß, und die Pointen sind
+zierliche epigrammatische und sentenziöse Wendungen. Kein Lustspiel des
+Terenz ist dem Plautinischen gegenüber, weder in poetischer noch in
+sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von Originalität kann
+bei beiden nicht, aber wo möglich noch weniger bei Terenz, die Rede
+sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung wird wenigstens
+aufgewogen dadurch, daß der jüngere Dichter wohl die Vergnüglichkeit,
+aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben verstand, so daß die dem
+Menander nachgedichteten Lustspiels des Plautus, wie der ‘Stichus’, die
+Kästchenkomödie, ‘Die beiden Backchis’, wahrscheinlich weit mehr von
+dem sprudelnden Zauber des Originals bewahren als die Komödien des
+“halbierten Menander”. Ebensowenig wie in dem Übergang vom Rohen zum
+Matten der Ästhetiker, kann der Sittenrichter in dem Übergang von der
+Plautinischen Zote und Indifferenz zu der Terenzischen
+Akkommodierungsmoral einen Fortschritt erkennen. Aber ein sprachlicher
+Fortschritt fand allerdings statt. Die elegante Sprache war der Stolz
+des Dichters, und ihrem unnachahmlichen Reiz vor allem verdankte er es,
+daß die feinsten Kunstrichter der Folgezeit, wie Cicero, Caesar,
+Quintilian, unter allen römischen Dichtern der republikanischen Zeit
+ihm den Preis zuerkannten. Insofern ist es auch wohl gerechtfertigt, in
+der römischen Literatur, deren wesentlicher Kern ja nicht die
+Entwicklung der lateinischen Poesie, sondern die der lateinischen
+Sprache ist, von den Terenzischen Lustspielen als der ersten
+künstlerisch reinen Nachbildung hellenischer Kunstwerke eine neue Ära
+zu datieren. Im entschiedensten literarischen Krieg brach die moderne
+Komödie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise hatte in dem römischen
+Bürgerstand Wurzel gefaßt; die Terenzischen Lustspiele stießen auf den
+lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum, das ihre “matte Sprache”,
+ihren “schwachen Stil” unleidlich fand. Der, wie es scheint, ziemlich
+empfindliche Dichter antwortete in den eigentlich keineswegs hierzu
+bestimmten Prologen mit Antikritiken voll defensiver und offensiver
+Polemik und provozierte von der Menge, die aus seiner ‘Schwiegermutter’
+zweimal weggelaufen war, um einer Fechter- und Seiltänzerbande
+zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen Welt. Er erklärte,
+nur nach dem Beifall der “Guten” zu streben, wobei freilich die
+Andeutung nicht fehlt, daß es durchaus nicht anständig sei, Kunstwerke
+zu mißachten, die den Beifall der “Wenigen” erhalten hätten. Er ließ
+die Rede sich gefallen oder begünstigte sie sogar, daß vornehme Leute
+ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der Tat unterstützten 5.
+In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur herrschte die
+Oligarchie und verdrängte die kunstmäßige Komödie der Exklusiven das
+volkstümliche Lustspiel: wir finden, daß um 620 (134) die Plautinischen
+Stücke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so bezeichnender,
+als nach dem frühen Tode des Terenz durchaus kein hervorstechendes
+Talent weiter auf diesem Gebiet tätig war; über die Komödien des
+Turpilius († 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder fast ganz
+verschollene Lückenbüßer urteilte schon am Ende dieser Periode ein
+Kenner, daß die neuen Komödien noch viel schlechter seien als die
+schlechten neuen Pfennige.
+
+Daß wahrscheinlich bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der
+griechisch-römischen Komödie (palliata) die nationale (togata)
+hinzugetreten war als Abbild zwar nicht des spezifischen
+hauptstädtischen, aber doch des Tuns und Treibens im latinischen Land,
+ist früher gezeigt worden. Natürlich bemächtigte die Terenzische Schule
+rasch sich auch dieser Gattung; es war ganz in ihrem Sinn, die
+griechische Komödie einerseits in getreuer Übersetzung, andererseits in
+rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der Hauptvertreter
+dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um 660 90). Die Bruchstücke,
+die uns von ihm vorliegen, geben keinen bestimmten Eindruck, aber sie
+widersprechen auch nicht dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn
+bemerken. Seine zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach
+durchaus dem griechischen Intrigenstück nachgebildet, nur daß sie, wie
+bei der Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfielen.
+Auch im einzelnen borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils
+aus der älteren Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltönen aber,
+die bei dem Schöpfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt
+hervortreten, begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten
+sich sehr allgemein und mögen wohl durchgängig Nachbildungen bestimmter
+griechischer Komödien nur mit verändertem Kostüm sein. Ein feiner
+Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische
+Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz;
+auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schauspiel näherte,
+die polizeimäßige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein.
+Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren ihn
+hinreichend das Urteil der Späteren, daß er die Toga trage wie
+Menandros sie als Italiker getragen haben würde, und seine eigene
+Äußerung, daß ihm Terenz über alle andern Dichter gehe.
+
+—————————————————————-
+
+2 Vielleicht die einzige Ausnahme ist im ‘Mädchen von Andros’ (4, 5)
+die Antwort auf die Frage, wie es gehe:
+
+Nun,
+
+Wie wir können, heißt’s ja, da, wie wir möchten, es nicht geht,
+
+mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen Sprichwort
+nachgebildete Zeile des Caecilius:
+
+Geht’s nicht so, wie du magst, so lebe wie du kannst.
+
+Das Lustspiel ist das älteste der Terenzischen und ward auf Empfehlung
+des Caecilius von dem Theatervorstand zur Aufführung gebracht. Der
+leise Dank ist bezeichnend.
+
+3 Ein Seitenstück zu der von Hunden gehetzten, weinend einen jungen
+Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm. prol. 4)
+verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen Allegorie
+von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen dürfen. Schließlich
+gehen auch dergleichen Auswüchse auf die Euripideische Rhetorik zurück
+(z. B. Eur. Hek. 90).
+
+4 Micio in den ‘Brüdern’ (I, 1) preist sein Lebenslos und namentlich
+auch, daß er nie eine Frau gehabt, “was jene (die Griechen) für ein
+Glück halten”.
+
+5 Im Prolog des ‘Selbstquälers’ läßt er von seinen Rezensenten sich
+vorwerfen:
+
+Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie,
+
+Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang;
+
+und in dem späteren (594 160) zu den ‘Brüdern’ heißt es:
+
+Denn wenn Mißgünstige sagen, daß vornehme Herrn
+
+Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück,
+
+So rechnet dies, was herber Tadel jenen scheint,
+
+Der Dichter zum Ruhm sich: daß den Männern er gefällt,
+
+Die euch und allem Volke wohlgefällig sind,
+
+Die in Kriegsläuften seinerzeit mit Rat und Tat
+
+Hilfreich erprobt ihr all’ und ohne Übermut.
+
+Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, daß hier
+Laelius und Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Szenen
+die von denselben herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des
+armen Dichters mit seinen vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und
+fand es unverzeihlich, daß dieselben für die Verbesserung seiner
+ökonomischen Lage gar nichts getan hätten. Allein die sagenbildende
+Kraft ist bekanntlich nirgends mächtiger als in der
+Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon besonnene römische
+Kritiker haben es erkannt, daß diese Zeilen unmöglich auf den damals
+25jährigen Scipio und auf seinen nicht viel älteren Freund Laelius
+gehen können. Verständiger wenigstens dachten andere an die vornehmen
+Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und Marcus Popillius (Konsul 581
+173) und den gelehrten Kunstfreund und Mathematiker Lucius Sulpicius
+Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch dies offenbar nur Vermutung. Daß
+Terenz dem Scipionischen Hause nahe stand, ist übrigens nicht zu
+bezweifeln; es ist bezeichnend, daß die erste Aufführung der ‘Brüder’
+und die zweite der ‘Schwiegermutter’ stattfand bei den
+Begräbnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die dessen Söhne Scipio
+und Fabius ausrichteten.
+
+6 Dabei haben vermutlich auch äußerliche Umstände mitgewirkt. Nachdem
+infolge des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das
+römische Bürgerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die
+Szene eines Lustspiels in eine solche zu verlegen, und mußte der
+Dichter sich entweder allgemein halten oder untergegangene oder
+ausländische Orte auswählen. Gewiß hat auch dieser Umstand, der selbst
+bei der Aufführung der älteren Lustspiele in Betracht kam, auf das
+Nationallustspiel ungünstig eingewirkt.
+
+—————————————————————-
+
+Neu trat in dieser Epoche in das Gebiet der lateinischen Literatur die
+Posse ein. Sie selbst war uralt; lange bevor Rom stand, mögen Latiums
+lustige Gesellen bei festlichen Gelegenheiten in den ein für allemal
+feststehenden Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen
+Hintergrund erhielten diese Späße an dem lateinischen Schildburg, wozu
+man die im Hannibalischen Kriege zerstörte und damit der Komik
+preisgegebene ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward für
+diese Aufführungen der Name der “Oskischen Spiele” oder “Spiele von
+Atella” üblich 7. Aber mit der Bühne 8 und mit der Literatur hatten
+diese Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es
+ihnen beliebte aufgeführt, und die Texte nicht geschrieben oder doch
+nicht veröffentlicht. Erst in dieser Periode überwies man das
+Atellanenstück an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, ähnlich
+wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den
+Tragödien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische
+Tätigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die römische Kunstposse ganz
+selbständig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht
+verwandte unteritalische zu ihr den Anstoß gegeben hat ^10, läßt sich
+nicht mehr entscheiden; daß die einzelnen Stücke durchgängig
+Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiß. Als Begründer dieser neuen
+Literaturgattung trat in der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts
+^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben
+dessen Stücken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich
+beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Trümmer und die Berichte
+der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze,
+regelmäßig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der tollen und
+locker geknüpften Fabel beruhte als auf der drastischen Abkonterfeiung
+einzelner Stände und Situationen. Gern wurden Festtage und öffentliche
+Akte komisch geschildert: ‘Die Hochzeit’, ‘Der erste März’, ‘Pantalon
+Wahlkandidat’; ebenso fremde Nationalitäten: die transalpinischen
+Gallier, die Syrer; vor allem häufig erschienen auf den Brettern die
+einzelnen Gewerbe: der Küster, der Wahrsager, der Vogelschauer, der
+Arzt, der Zöllner, der Maler, Fischer, Bäcker gingen über die Bühne;
+die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die Walker, die in der
+römischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider gespielt zu haben
+scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen städtischen Leben sein Recht
+geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden und Freuden nach
+allen Seiten dargestellt - von der Fülle dieses ländlichen Repertoires
+geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen Titel, wie zum Beispiel
+‘Die Kuh’, ‘Der Esel’, ‘Das Zicklein’, ‘Die Sau’, ‘Das Schwein’, ‘Das
+kranke Schwein, ‘Der Bauer, ‘Der Landmann, ‘Pantalon Landmann, ‘Der
+Rinderknecht, ‘Die Winzer, ‘Der Feigensammler’, ‘Das Holzmachen’, ‘Das
+Behacken, ‘Der Hühnerhof’. Immer noch waren es in diesen Stücken die
+stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen Dieners, des guten
+Alten, des weisen Mannes, die das Publikum ergötzten; namentlich der
+erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell dieser Posse, der gefräßige,
+unflätige ausstaffiert häßliche und dabei ewig verliebte Maccus, immer
+im Begriff, über seine eigenen Füße zu fallen, von allen mit Hohn und
+mit Prügeln bedacht und endlich am Schluß der regelmäßige Sündenbock -
+die Titel ‘Pulcinell Soldat, ‘Pulcinell Wirt’, ‘Jungfer Pulcinell’,
+‘Pulcinell in der Verbannung, ‘Die beiden Pulcinelle’ mögen dem
+gutgelaunten Leser eine Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der
+römischen Mummenschanz herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit
+sie geschrieben wurden, den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich
+fügten und in den Versmaßen zum Beispiel der griechischen Bühne sich
+anschlossen, so hielten sie doch sich natürlicherweise bei weitem
+latinischer und volkstümlicher als selbst das nationale Lustspiel; in
+die griechische Welt begab sich die Posse nur in der Form der
+travestierten Tragödie ^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius
+und überhaupt nicht sehr häufig kultiviert worden zu sein. Die Posse
+dieses Dichters wagte sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch
+wenigstens bis zu dem menschlichsten der Götter, dem Hercules; er
+schrieb einen ‘Hercules Auctionator’. Daß der Ton nicht der feinste
+war, versteht sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkörnige
+Bauernzoten, Kinder schreckende und gelegentlich fressende Gespenster
+gehörten hier einmal mit dazu, und persönliche Anzüglichkeiten, sogar
+mit Nennung der Namen, schlüpften nicht selten durch. Aber es fehlte
+auch nicht an lebendiger Schilderung, an grotesken Einfällen,
+schlagenden Späßen, kernigen Sprüchen, und die Harlekinade gewann sich
+rasch eine nicht unansehnliche Stellung im Bühnenleben der Hauptstadt
+und selbst in der Literatur.
+
+——————————————————
+
+7 Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von
+Irrtümern. Das arge Versehen griechischer Berichterstatter, daß diese
+Possen in Rom in oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit
+Recht jetzt allgemein verworfen; allein es stellt bei genauerer
+Betrachtung sich nicht minder als unmöglich heraus diese, in der Mitte
+des latinischen Stadt- und Landlebens stehenden Stücke überhaupt auf
+das national oskische Wesen zu beziehen. Die Benennung des
+“Atellanischen Spiels” erklärt sich auf eine andere Weise. Die
+latinische Posse mit ihren festen Rollen und stehenden Späßen bedurfte
+einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt sucht überall sich ein
+Schildburg. Natürlich konnte bei der römischen Bühnenpolizei keine der
+römischen oder auch nur mit Rom verbündeten latinischen Gemeinden dazu
+genommen werden, obwohl die togatae in diese zu verlegen gestattet war.
+Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre 543 (211) rechtlich
+vernichtet ward, tatsächlich aber als ein von römischen Bauern
+bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder Beziehung. Zur
+Gewißheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung, daß einzelne
+dieser Possen auch in anderen überhaupt oder doch rechtlich nicht mehr
+existierenden Gemeinden des lateinisch redenden Gebiets spielen: so des
+Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi und seine Quinquatria
+in Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa Pometia, während
+keine bestehende Gemeinde ähnlich gemißhandelt wird. Die wirkliche
+Heimat dieser Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schauplatz die
+latinisierte Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie nichts
+zu tun. Daß ein Stück des Naevius († nach 550 200) in Ermangelung
+eigentlicher Schauspieler von “Atellanenspielern” aufgeführt ward und
+deshalb personata hieß (Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem
+Fall; die Benennung “Atellanenspieler” wird hier proleptisch stehen,
+und man könnte sogar danach vermuten, daß sie früher “Maskenspieler”
+(personati) hießen.
+
+Ganz in gleicher Weise erklären sich endlich auch die “Lieder von
+Fescennium”, die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Römer
+gehören und in der südetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert
+wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu
+dürfen als die Atellanen zur oskischen. Daß Fescennium in historischer
+Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, läßt sich allerdings nicht
+unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des
+Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im höchsten Grade
+wahrscheinlich.
+
+8 Die enge und ursprüngliche Verbindung, in die namentlich Livius die
+Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser sich entwickelnden
+Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar. Zwischen dem
+Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied ungefähr ebenso
+groß wie heutzutage zwischen dem, der auf die Bühne und dem, der auf
+den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das bis auf Terenz
+keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf der
+Charaktermaske beruhte, besteht ein ursprünglicher, in keiner Weise
+auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem
+Flötenstücke, das anfangs ohne alle Rezitation bloß auf Gesang und Tanz
+sich beschränkte, sodann einen Text (satura), endlich durch Andronicus
+ein der griechischen Schaubühne entlehntes Libretto erhielt, worin die
+alten Flötenlieder ungefähr die Stelle des griechischen Chors
+einnahmen. Mit der Dilettantenposse berührt sich dieser
+Entwicklungsgang in den früheren Stadien nirgends.
+
+9 In der Kaiserzeit ward die Atellane durch Schauspieler von Profession
+dargestellt (Friedländer in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit,
+wo diese anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht überliefert,
+kann aber kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die
+Atellane unter die regelmäßigen Bühnenspiele eintrat, das heißt die
+vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im
+Widerspruch, daß noch zu Livius’ (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im
+Gegensatz der übrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn
+damit, daß Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane
+mitaufzuführen anfingen, ist noch gar nicht gesagt, daß dieselbe nicht
+mehr, zum Beispiel in den Landstädten, von unbezahlten Dilettanten
+aufgeführt ward und das Privilegium also fortwährend anwendbar blieb.
+
+^10 Es verdient Beachtung, daß die griechische Posse nicht bloß
+vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer
+Stücke (zum Beispiel unter denen des Sopatros ‘Das Linsengericht,
+‘Bakchis’ Freier, ‘Des Mystakos Lohnlakai, ‘Die Gelehrtem, ‘Der
+Physiolog’) lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muß diese
+Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen in
+und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien
+bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, führt
+schon einen römischen Namen und schrieb eine Posse ‘Saturnus’.
+
+^11 Nach Eusebius blühte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn
+Zeitgenossen des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius
+(611-667 143-87). Die erste Ansetzung dürfte um ein Menschenalter zu
+spät sein; die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt
+in seinen ‘Malern’ noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen
+auch schon die Mimen, welche die Atellanen von der Bühne verdrängten.
+
+^12 Lustig genug mochte sie auch hier sein. So hieß es in Novius’
+‘Phönissen’:
+
+Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot!
+
+ganz wie Menanders ‘falscher Herakles’ auftritt.
+
+———————————————————————
+
+Was endlich die Entwicklung des Bühnenwesens anlangt, so sind wir nicht
+imstande, im einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, daß das
+allgemeine Interesse an den Bühnenspielen beständig im Steigen war und
+dieselben immer häufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloß ward
+jetzt wohl kaum ein ordentliches oder außerordentliches Volksfest ohne
+Bühnenspiele begangen, auch in den Landstädten und Privathäusern wurden
+Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewöhnlich. Zwar
+entbehrte, während wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser
+Zeit ein steinernes Theater besaß, die Hauptstadt eines solchen noch
+immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599
+(185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es
+war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, daß man
+aus Respekt vor den Sitten der Väter die Erbauung eines stehenden
+Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reißend
+zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden ließ, um
+Brettergerüste für dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die
+Bühneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung
+und die Wiedereinführung der Masken um die Zeit des Terenz hängt wohl
+ohne Zweifel damit zusammen, daß die Einrichtung und Instandhaltung der
+Bühne und des Bühnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse
+übernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die
+Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609
+145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art
+akustisch gebautes und mit Sitzplätzen versehenes Theater aufgeschlagen
+und überhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch
+von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer Stücke,
+von lebhafter Parteinahme des Publikums für und gegen die
+Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede.
+Dekorationen und Maschinerie wurden verbessert: kunstmäßig gemalte
+Kulissen und hörbare Theaterdonner kamen unter der Ädilität des Gaius
+Claudius Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre später (675 79) unter
+der Ädilität der Brüder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung der
+Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche
+gehört der größte römische Schauspieler an, der Freigelassene Quintus
+Roscius († um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen hindurch
+der Schmuck und Stolz der römischen Bühne ^16, Sullas Freund und gern
+gesehener Tischgenosse, auf den noch später zurückzukommen sein wird.
+
+———————————————————————-
+
+^13 Bisher hatte der Spielgeber die Bühne und den szenischen Apparat
+aus der ihm überwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand
+setzen müssen und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden
+sein. Im Jahre 580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der
+Bühne für die Spiele der Ädilen und Prätoren besonders in Verding (Liv.
+41, 27); daß der Bühnenapparat jetzt nicht mehr bloß für einmal
+angeschafft ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben
+geführt haben.
+
+^14 Die Berücksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen
+folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Über die Sitzplätze hat F. W. Ritschl,
+Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX)
+gesprochen; doch dürften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen,
+welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen gehabt
+haben. Wahrscheinlich gehen übrigens zunächst auf diese epochemachenden
+Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte des Horaz, daß
+“das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm”.
+
+^15 Die Kulissen des Pulcher müssen ordentlich gemalt gewesen sein, da
+die Vögel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu
+setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die
+Donnermaschinerie darin bestanden, daß Nägel und Steine in einem
+kupfernen Kessel geschüttelt wurden; erst Pulcher stellte einen
+besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem
+“Claudischen Donner” (Festus v. Claudiana p. 57).
+
+^16 Unter den wenigen, aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten
+findet
+
+sich folgendes Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler:
+
+ Constiteram, exorientem Auroram forte salutans,
+
+ Cum subito a laeva Roscius exoritur.
+
+ Pace mihi liceat, caelestes, dicere vestra:
+
+ Mortalis visust pulchrior esse deo.
+
+ Jüngsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn:
+
+ Da zur Linken mir, schau! plötzlich geht Roscius auf.
+
+ Zürnet, ihr Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe:
+
+ Schöner fürwahr als der Gott deuchte der Sterbliche mir.
+
+Der Verfasser dieses griechisch gehaltenen und von griechischem
+Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms ist kein geringerer Mann als
+der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius Catulus, Konsul 652 (102).
+
+—————————————————————
+
+In der rezitativen Poesie fällt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf,
+das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur
+entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar
+zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur
+vorübergehendem Erfolg. Aus der gegenwärtigen Epoche ist kaum etwas zu
+nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu übersetzen und
+einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbücher, wie des Hostius
+‘Histrischer Krieg’ und des Aulus Furius (um 650 100) ‘Jahrbücher
+(vielleicht) des Gallischen Krieges’, die allem Anschein nach
+unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des
+Histrischen Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehört hatte. Auch
+in der didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein
+hervorragender Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative
+Dichtkunst dieser Epoche aufzuweisen hat, gehören dem Gebiete der
+sogenannten Satura an, derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe
+oder der Broschüre jede Form zuläßt und jeden Inhalt aufnimmt, darum
+auch aller eigentlichen Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der
+Individualität eines jeden Dichters sich individualisiert und nicht
+bloß auf der Grenze von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur
+Hälfte außerhalb der eigentlichen Literatur steht. Die launigen
+poetischen Episteln, die einer der jüngeren Männer des Scipionischen
+Kreises, Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus
+dem Lager von Korinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden
+noch ein Jahrhundert später gern gelesen; und es mögen dergleichen
+nicht zur Veröffentlichung bestimmte poetische Scherze aus dem reichen
+geselligen und geistigen Leben der besseren Zirkel Roms damals
+zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der Literatur ist Gaius
+Lucilius (606-651 148-103), einer angesehenen Familie der latinischen
+Kolonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein Glied des Scipionischen
+Kreises. Auch seine Gedichte sind gleichsam offene Briefe an das
+Publikum, ihr Inhalt, wie ein geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das
+ganze Leben des gebildeten unabhängigen Mannes, der den Vorgängen auf
+der politischen Schaubühne vom Parkett und gelegentlich von den
+Kulissen aus zusieht, der mit den Besten seiner Zeit verkehrt als mit
+seinesgleichen, der Literatur und Wissenschaft mit Anteil und Einsicht
+verfolgt, ohne doch selbst für einen Dichter oder Gelehrten gelten zu
+wollen, und der endlich für alles, was im Guten und Bösen ihm begegnet,
+für politische Erfahrungen und Erwartungen, für Sprachbemerkungen und
+Kunsturteile, für eigene Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie für
+vernommene Anekdoten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch,
+kapriziös, durchaus individuell hat die Lucilische Poesie doch eine
+scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz,
+literarisch sowohl wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas
+von der Auflehnung der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das
+Selbstgefühl des rein redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im
+Gegensatz gegen das große Babel der Sprachmengerei und
+Sittenverderbnis. Die Richtung des Scipionischen Kreises auf
+literarische, namentlich sprachliche Korrektheit findet kritisch ihren
+vollendetsten und geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete
+gleich sein erstes Buch dem Begründer der römischen Philologie, Lucius
+Stilo, und bezeichnete als das Publikum, für das er schrieb, nicht die
+gebildeten Kreise reiner und mustergültiger Rede, sondern die
+Tarentiner, die Brettier, die Siculer, das heißt die Halbgriechen
+Italiens, deren Lateinisch allerdings eines Korrektivs wohl bedürfen
+mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäftigen sich mit der
+Feststellung der lateinischen Orthographie und Prosodie, mit der
+Bekämpfung pränestinischer, sabinischer, etruskischer Provinzialismen,
+mit der Ausmerzung gangbarer Solözismen, woneben der Dichter aber
+keineswegs vergißt, den geistlos schematischen Isokrateischen Wort- und
+Phrasenpurismus zu verhöhnen ^17 und selbst dem Freunde Scipio die
+exklusive Feinheit seiner Rede in recht ernsthaften Scherzen
+vorzurücken ^18. Aber weit ernstlicher noch als das reine einfache
+Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat- und im öffentlichen
+Leben. Seine Stellung begünstigte ihn hierbei in eigener Art. Obwohl
+durch Herkunft, Vermögen und Bildung den vornehmen Römern seiner Zeit
+gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen Hauses in der Hauptstadt,
+war er doch nicht römischer Bürger, sondern latinischer; selbst sein
+Verhältnis zu Scipio, unter dem er in seiner ersten Jugend den
+Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen Hause er häufig
+verkehrte, mag damit zusammenhängen, daß Scipio in vielfachen
+Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen Fehden der
+Zeit ihr Patron war. Die öffentliche Laufbahn war ihm hierdurch
+verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmähte er - er mochte
+nicht, wie er einmal sagt, “aufhören, Lucilius zu sein, um asiatischer
+Steuerpächter zu werden”. So stand er in der schwülen Zeit der
+Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden
+Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palästen und Villen der
+römischen Großen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten in
+den Wogen des politischen Koterien- und Parteikampfes und doch nicht
+unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; ähnlich wie Béranger, an den
+gar vieles in Lucilius’ politischer und poetischer Stellung erinnert.
+Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwüstlichem gesunden
+Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem
+Witz hinein in das öffentliche Leben.
+
+Jetzt aber am Fest- und Werkeltag
+
+Den ganzen lieben langen Tag
+
+Auf dem Markte von früh bis Spat
+
+Drängen die Bürger und die sich vom Rat
+
+Und weichen und wanken nicht von der Statt.
+
+Ein Handwerk einzig und allein
+
+Betreiben alle insgemein,
+
+Den andern zu prellen mit Verstand,
+
+Im Lügen zu haben die Vorderhand
+
+Und zu werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt.
+
+All’ untereinandern belauern sie sich,
+
+Als läge jeder mit jedem im Krieg ^19.
+
+—————————————————————————————-
+
+^17 Quam lepide λέξεις, compostae ut tesserulae omnes
+
+Arte pavimento atque emblemate vermiculato!
+
+Ei, die niedliche Phrasenfabrik!
+
+Gefügt so zierlich Stück für Stück,
+
+Wie die Stifte im bunten Mosaik.
+
+^18 Der Dichter rät ihm:
+
+Quo facetior videare et scire plus quam ceteri,
+
+Daß du gebildeter als die andern heißest und ein feinerer Mann,
+
+- nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen.
+
+^19 Nunc vero a mane ad noctem, festo atque profesto
+
+Toto itidem pariterque die populusque patresque
+
+Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam.
+
+Uni se atque eidem studio omnes dedere et arti:
+
+Verba dare ut acute possint, pugnare dolose,
+
+Blanditia certare, bonun simulare virum se,
+
+Insidias facere ut si hostes sint omnibus omnes.
+
+——————————————————————————————
+
+Die Erläuterungen zu diesem unerschöpflichen Text griffen schonungslos,
+ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die
+Übelstände der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen
+Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eröffnung seiner
+Satiren war eine große Debatte des olympischen Göttersenats über die
+Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen
+sich zu erfreuen. Körperschaften, Stände, Individuen wurden überall
+einzeln mit Namen genannt; die der römischen Bühne verschlossene Poesie
+der politischen Polemik ist das rechte Element und der Lebenshauch der
+Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf uns gekommenen
+Trümmern noch entzückenden Macht des schlagendsten und bilderreichsten
+Witzes “gleichwie mit gezogenem Schwerte” auf den Feind eindringen und
+ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Übergewicht und dem stolzen
+Freiheitsgefühl des Dichters von Suessa, liegt der Grund, weshalb der
+feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der römischen Poesie
+die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller Überlegenheit im
+Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem älteren Poeten weicht als
+“seinem Besseren”. Die Sprache ist die des griechisch und lateinisch
+durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen läßt; ein Poet wie
+Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach Tisch wieder
+zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp zu sein;
+unnützige Weitläufigkeit, schluderige Wiederholung derselben Wendung,
+arge Nachlässigkeiten begegnen. häufig; das erste Wort, lateinisch oder
+griechisch, ist immer das beste. Ähnlich sind die Maße, namentlich der
+sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man die Worte umstellt,
+sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde kein Mensch merken, daß er
+etwas anderes vor sich habe als einfache Prosa; der Wirkung nach lassen
+sie sich nur mit unseren Knüttelversen vergleichen 20. Die Terenzischen
+und die Lucilischen Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und
+verhalten sich wie die sorgsam gepflegte und gefeilte literarische
+Arbeit zu dem mit fliegender Feder geschriebenen Brief. Aber die
+unvergleichlich höhere geistige Begabung und freiere Lebensanschauung,
+die der Ritter von Suessa vor dem afrikanischen Sklaven voraus hatte,
+machten seinen Erfolg ebenso rasch und glänzend, wie der des Terenz
+mühsam und zweifelhaft gewesen war; Lucilius war sofort der Liebling
+der Nation und auch er konnte wie Béranger von seinen Gedichten sagen,
+“daß sie allein unter allen vom Volke gelesen würden”. Die ungemeine
+Popularität der Lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein
+bemerkenswertes Ereignis; man sieht daraus, daß die Literatur schon
+eine Macht war, und ohne Zweifel würden wir die Spuren derselben, wenn
+eine eingehende Geschichte dieser Zeit sich erhalten hätte, darin
+mehrfach antreffen. Die Folgezeit hat das Urteil der Zeitgenossen nur
+bestätigt; die antialexandrinisch gesinnten römischen Kunstrichter
+sprachen dem Lucilius den ersten Rang unter allen lateinischen Dichtern
+zu. Soweit die Satire überhaupt als eigene Kunstform angesehen werden
+kann, hat Lucilius sie erschaffen und in ihr die einzige Kunstgattung,
+welche den Römern eigentümlich und von ihnen auf die Nachwelt vererbt
+worden ist.
+
+————————————————————-
+
+20 Folgendes längere Bruchstück ist charakteristisch für die
+stilistische und metrische Behandlung, deren Lotterigkeit sich in
+deutschen Hexametern unmöglich wiedergeben läßt:
+
+Virtus, Albine, est pretium persolvere verum
+
+Queis in versamur, queis vivimu’ rebu potesse;
+
+Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res;
+
+Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum,
+
+Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;
+
+Virtus quaerendae rei finem scire modumque;
+
+Virtus divitiis pretium persolvere posse;
+
+Virtus id dare quod re ipsa debetur honori,
+
+Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum.
+
+Contra defensorem hominum morumque bonorum,
+
+Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;
+
+Commoda praeterea patriae sibi prima putare,
+
+Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra.
+
+Tugend ist zahlen den rechten Preis
+
+Zu können nach ihrer Art und Weis
+
+Für jede Sach’ in unserm Kreis;
+
+Tugend, zu wissen, was jedes Ding
+
+Mit sich für den Menschen bring’;
+
+Tugend, zu wissen, was nützlich und recht,
+
+Was gut und übel, unnütz und schlecht;
+
+Tugend, wenn man dem Erwerb und Fleiß
+
+Zu setzen die rechte Grenze weiß
+
+Und dem Reichtum den rechten Preis;
+
+Tugend, dem Rang zu geben sein Recht,
+
+Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht,
+
+Freund Menschen und Sitten gut und recht;
+
+Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu,
+
+Zu ihnen zu halten in Lieb’ und Treu;
+
+Immer zu sehen am ersten Teil
+
+Auf des Vaterlandes Heil,
+
+Sodann auf das, was den Eltern frommt,
+
+Und drittens der eigene Vorteil kommt.
+
+——————————————————————————
+
+Von der an den Alexandrinismus anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser
+Epoche noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen
+Epigrammen übersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht
+ihrer selbst wegen, aber wohl als der erste Vorbote der jüngeren
+Literaturepoche Roms Erwähnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig
+bekannten und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden
+Dichtern gehören hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius
+Manlius, ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der
+letztere scheint manche der bei den Griechen landläufigen
+geographischen Märchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die
+Fabeln von der Europa und von dem Wundervogel Phönix zuerst bei den
+Römern in Umlauf gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten
+war, auf seinen Reisen in Dodona jenen merkwürdigen Dreifuß zu
+entdecken und abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer
+Wanderung in das Land der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu
+lesen war - ein Fund, den die römischen Geschichtsbücher nicht
+versäumten, andächtig zu registrieren.
+
+Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen bezeichnet
+durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt noch nach
+seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen
+Entwicklung angehört, der aber zuerst oder vielmehr allein die
+Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung
+gebracht hat und dem alle späteren Geschlechter und auch wir das Beste
+verdanken, was wir von der römischen Entwicklung wissen. Polybios (ca.
+546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achäischen
+Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den
+Zug der Römer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später,
+vielfach namentlich während des Dritten Makedonischen Krieges, von
+seinen Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften
+verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigeführten Krise
+wurde er mit den anderen achäischen Geiseln nach Italien abgeführt, wo
+er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und durch
+die Söhne des Paullus in die vornehmen hauptstädtischen Kreise
+eingeführt ward. Die Rücksendung der achäischen Geiseln führte ihn in
+die Heimat zurück, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen
+seiner Eidgenossenschaft und den Römern machte. Bei der Zerstörung von
+Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwärtig. Er schien vom
+Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung
+deutlicher zu erfassen, als die damaligen Römer selbst es vermochten.
+Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein
+römischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschätzt und
+gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und überhaupt den ersten
+Männern Roms, sah er die Ströme, die so lange getrennt geflossen waren,
+zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der
+Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der römischen Macht
+und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte
+Hellene, der mit ernster Überzeugung auf die Weltanschauung des
+Scipionischen Kreises einging und die Überlegenheit des Hellenismus auf
+dem geistigen, des Römertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen
+anerkannte, über die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte
+und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und
+verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer
+Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem
+ehrenwerten, aber unhaltbaren achäischen Lokalpatriotismus gehuldigt
+haben, so vertrat er in seinen späteren Jahren, in deutlicher Einsicht
+der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des
+engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine höchst verständige und ohne
+Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und stolze
+Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen
+hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich
+persönlich völlig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen,
+stellte er an den Senat den Antrag, daß er den Entlassenen, jedem in
+seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch förmlich verbriefen möge,
+worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus
+noch einmal in die Höhle des Polyphemos zurückkehre, um sich von dem
+Riesen Hut und Gürtel auszubitten. Sein Verhältnis zu den römischen
+Großen hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art,
+wie er der hohen Protektion sich unterwirft und sich berühmt, nähert
+sich doch einigermaßen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben
+Geist, den seine praktische, atmet auch seine literarische Tätigkeit.
+Es war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der
+Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten
+Punischen Krieg bis zur Zerstörung von Karthago und Korinth faßt sein
+Werk die Schicksale der sämtlichen Kulturstaaten, das heißt
+Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Ägyptens, Karthagos
+und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die römische
+Schutzherrschaft im ursächlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet
+er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmäßigkeit der römischen
+Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausführung steht diese
+Geschichtschreibung in scharfem und bewußtem Gegensatz gegen die
+gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische
+Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem
+Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen
+geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung
+beschränkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein
+individuellen und doch auch nicht über die Anfänge der Forschung wie
+der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf
+Ammenmärchen, teils auf Notizenbündel. Die Griechen hatten eine
+Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt;
+aber der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und
+Staat so vollständig abhanden gekommen, daß es keinem der zahllosen
+Historiker gelang, der Spur der großen attischen Meister im Geiste und
+in der Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der
+Zeitgeschichte weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung
+war entweder rein äußerliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der
+Phrasen- und Lügenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die
+Feilheit und die Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung
+der Zeit. Bei den Römern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt-
+oder Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit
+Recht erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern
+stehend wie den Römern, überschritt diese kümmerlichen Schranken,
+behandelte den römischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab
+zwar nicht eine universale, aber doch eine von den Lokalstaaten
+losgelöste und den im Werden begriffenen römisch-griechischen Staat
+erfassende Geschichte. Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so
+vollständig wie Polybios alle Vorzüge eines Quellenschriftstellers in
+sich vereinigt. Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich
+und jeden Augenblick gegenwärtig; und durchaus haftet der Blick auf dem
+wirklich geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der
+wertlosen Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der
+Länder und Völker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen
+Verhältnisse, all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem
+Annalisten entschlüpfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr
+aufnageln lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkümmertes Recht. In
+der Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine
+Umsicht und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht
+wiedererscheinen; er benutzt die Urkunden, berücksichtigt umfassend die
+Literatur der verschiedenen Nationen, macht von seiner günstigen
+Stellung zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und
+Augenzeugen den ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmäßig das
+ganze Gebiet der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Küste des
+Atlantischen Ozeans 21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen
+großen Dingen hat er kein Interesse für diesen oder gegen jenen Staat,
+für diesen oder gegen jenen Mann, sondern einzig und allein für den
+wesentlichen Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhältnis
+der Ursachen und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloß die erste, sondern
+die einzige Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzählung
+endlich ist musterhaft vollständig, einfach und klar. Aber alle diese
+ungemeinen Vorzüge machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber
+ersten Ranges. Polybios faßt seine literarische Aufgabe, wie er seine
+praktische faßte, mit großartigem Verstand, aber auch nur mit dem
+Verstande. Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der
+Freiheit, ist ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als wäre
+sie ein mechanisches. Nur das Ganze gilt für ihn, in der Natur wie im
+Staat; das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar
+sie auch erscheinen mögen, sind doch eigentlich nichts als einzelne
+Momente, geringe Räder in dem höchst künstlichen Mechanismus, den man
+den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer
+geschaffen zur Darstellung der Geschichte des römischen Volkes, welches
+in der Tat das einzige Problem gelöst hat, sich zu beispielloser
+innerer und äußerer Größe zu erheben ohne auch nur einen im höchsten
+Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen Grundlagen mit
+wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich entwickelt. Aber
+das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder Volksgeschichte und
+wurde auch in der römischen von Polybios nicht ungestraft verkannt.
+Polybios’ Behandlung aller Fragen, in denen Recht, Ehre, Religion zur
+Sprache kommen, ist nicht bloß platt, sondern auch gründlich falsch.
+Dasselbe gilt überall, wo eine genetische Konstruktion erfordert wird;
+die rein mechanischen Erklärungsversuche, die Polybios an deren Stelle
+setzt, sind mitunter geradezu zum Verzweifeln, wie es denn kaum eine
+törichtere politische Spekulation gibt, als die vortreffliche
+Verfassung Roms aus einer verständigen Mischung monarchischer,
+aristokratischer und demokratischer Elemente her- und aus der
+Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms abzuleiten. Die
+Auffassung der Verhältnisse ist überall bis zum Erschrecken nüchtern
+und phantasielos, die geringschätzige und superkluge Art, die
+religiösen Dinge zu behandeln, geradezu widerwärtig. Die Darstellung,
+in bewußter Opposition gegen die übliche, künstlerisch stilisierte
+griechische Historiographie gehalten, ist wohl richtig und deutlich,
+aber dünn und matt, öfter als billig in polemische Exkurse oder in
+memoirenhafte, nicht selten recht selbstgefällige Schilderung der
+eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein oppositioneller Zug geht durch
+die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte seine Schrift zunächst für
+die Römer und fand doch auch hier nur einen sehr kleinen Kreis, der ihn
+verstand; er fühlte es, daß er den Römern ein Fremder, seinen
+Landsleuten ein Abtrünniger blieb und daß er mit seiner großartigen
+Auffassung der Verhältnisse mehr der Zukunft als der Gegenwart
+angehörte. Darum blieb er nicht frei von einer gewissen Verstimmtheit
+und persönlichen Bitterkeit, die in seiner Polemik gegen die flüchtigen
+oder gar feilen griechischen und die unkritischen römischen Historiker
+öfters zänkisch und kleinlich auftritt und aus dem Geschichtschreiber-
+in den Rezensententon fällt. Polybios ist kein liebenswürdiger
+Schriftsteller; aber wie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit mehr ist als
+alle Zier und Zierlichkeit, so ist vielleicht kein Schriftsteller des
+Altertums zu nennen, dem wir so viele ernstliche Belehrung verdanken
+wie ihm. Seine Bücher sind wie die Sonne auf diesem Gebiet; wo sie
+anfangen, da heben sich die Nebelschleier, die noch die Samnitischen
+und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo sie endigen, beginnt eine
+neue, womöglich noch lästigere Dämmerung.
+
+—————————————————————
+
+21 Dergleichen gelehrte Reisen waren übrigens bei den Griechen dieser
+Zeit nichts Seltenes. So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand,
+der das ganze Mittelländische Meer durchschifft hat:
+
+Warum geh’ ich nicht
+
+nach Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will?
+
+————————————————————
+
+In einem seltsamen Gegensatz zu dieser großartigen Auffassung und
+Behandlung der römischen Geschichte durch einen Ausländer steht die
+gleichzeitige einheimische Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser
+Periode begegnen noch einige griechisch geschriebene Chroniken, wie die
+schon erwähnte des Aulus Postumius (Konsul 603 151), voll übler
+Pragmatik, und die des Gaius Acilius (schloß in hohem Alter um 612
+142); doch gewann unter dem Einfluß teils des catonischen Patriotismus,
+teils der feineren Bildung des Scipionischen Kreises die lateinische
+Sprache auf diesem Gebiet so entschieden die Vorhand, daß nicht bloß
+unter den jüngeren Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch
+geschriebene vorkommt 22, sondern auch die älteren griechischen
+Chroniken ins Lateinische übersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in
+diesen Übersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch
+geschriebenen Chroniken dieser Epoche außer dem Gebrauch der
+Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und
+ausführlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius
+Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des
+Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul
+632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in
+achtzig Büchern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein
+auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und
+veröffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluß gab,
+als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhörten,
+doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten
+nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbücher,
+mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankündigen,
+waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen
+geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen-
+wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Maße, wie ihre
+Ausführlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends
+Wahrheit ohne Dichtung, und es wäre sehr töricht, mit Naevius und
+Pictor zu rechten, daß sie es nicht anders gemacht als Hekatäos und
+Saxo Grammaticus; aber die späteren Versuche, aus solchen Nebelwolken
+Häuser zu bauen, stellen auch die geprüfteste Geduld auf eine harte
+Probe. Keine Lücke der Überlieferung klafft so tief, daß diese glatte
+und platte Lüge sie nicht mit spielender Leichtigkeit überkleisterte.
+Ohne Anstoß werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen,
+Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins
+rückwärts geführt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr,
+Monat und Tag König Romulus gen Himmel gefahren ist und wie König
+Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai
+187 (567) über die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im
+besten Einklang, daß man in den römischen Docks den Gläubigen das
+Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war,
+ja sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte,
+wohl eingepökelt im römischen Vestatempel konservierte. Mit dem Lügemut
+eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die
+langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren großen
+Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller
+poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn
+wir zum Beispiel bei Piso lesen, daß Romulus sich gehütet habe, dann zu
+pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; daß die Tarpeia
+die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um die Feinde
+ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verständiger Zeitgenossen
+über diese ganze Schreiberei nicht befremden, “daß das nicht heiße
+Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten erzählen”. Weit
+vorzüglicher waren einzelne Werke über die Geschichte der jüngsten
+Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte des
+Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und
+des wenig jüngeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner Zeit.
+Hier fand sich wenigstens schätzbares Material und ernster
+Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark
+manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und
+Bruchstücken zu schließen, keines dieser Bücher weder in markiger Form
+noch in Originalität an die “Ursprungsgeschichten” Catos, der leider
+auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen Schule
+gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, die
+untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der
+historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon
+zeichneten die ersten Staatsmänner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so
+Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105),
+Quintus Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint
+keine dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt für
+die Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der
+Cornelia, der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die
+musterhaft reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als
+die erste in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste
+literarische Produktion einer römischen Frau. Die Redeschriftstellerei
+bewahrte in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrückten Stempel;
+Advokatenplädoyers wurden noch nicht als literarische Produktion
+angesehen, und was von Reden veröffentlicht ward, waren politische
+Pamphlete. Während der revolutionären Bewegung nahm diese
+Broschürenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse
+ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes’
+Philippiken und Couriers fliegende Blätter, durch die bedeutende
+Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen
+bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des
+Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstücke des trefflichsten
+Latein wie des edelsten Vaterlandsgefühls; so die sprudelnden Reden des
+Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern - die
+Schilderung des senatorischen Geschworenen ward früher mitgeteilt - das
+nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen
+Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen
+Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhängnis dieser hohen
+Natur im treuen Spiegelbild bewahrten.
+
+———————————————————————-
+
+22 Die einzige wirkliche Ausnahme, soweit wir wissen, ist die
+griechische Geschichte des Gnaeus Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5,
+38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90) blühte. Die griechischen Memoiren
+des Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105) sind kaum als Ausnahme
+anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil zu Smyrna schrieb.
+
+———————————————————————-
+
+In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen
+Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150)
+veröffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen
+übliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom
+zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte
+Szenerie des Gesprächs der Abhandlung eine künstlerische, halb
+dramatische Form zu geben. Indes die späteren Gelehrten, schon der
+Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, ließen sowohl in den
+allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese
+mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert der
+Wissenschaft als solcher und das in Rom überwiegende stoffliche
+Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen
+Abwerfen der Fessel künstlerischer Form. Im einzelnen ist von den
+allgemein humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der
+Philologie, der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen
+worden, als dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewöhnlichen
+römischen Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen
+Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen
+Gebiet blüht die lateinische Philologie fröhlich auf, im engen Anschluß
+an die längst sicher gegründete philologische Behandlung der
+griechischen Literatur. Es ward bereits erwähnt, daß um den Anfang
+dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und
+Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, daß nicht bloß der
+Scipionische Kreis überhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang,
+sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius und
+Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik
+beschäftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der
+historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich
+werden die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie
+die des Hemina ‘über die Zensoren’, des Tuditanus ‘über die Beamten’
+schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind
+die Bücher über die Ämter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus
+Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung für politische
+Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefaßten Didaskalien
+des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des
+lateinischen Dramas. Indes jene Anfänge einer wissenschaftlichen
+Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches
+Gepräge und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der
+Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen
+dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz
+verweisen dürfen. Derjenige Römer, der die lateinische Sprach- und
+Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister
+wissenschaftlich begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er
+zuerst ging zurück auf die ältesten Sprachdenkmäler und kommentierte
+die Saliarischen Litaneien und das römische Stadtrecht. Er wandte der
+Komödie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu und
+stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten
+Plautinischen Stücke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfänge
+einer jeden einzelnen Erscheinung des römischen Lebens und Verkehrs
+geschichtlich zu bestimmen und für jede den “Erfinder” zu ermitteln,
+und zog zugleich die gesamte annalistische Überlieferung in den Kreis
+seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen ward,
+zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des
+bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius
+und der Geschichtsbücher des Antipater; und auch für die Zukunft hat
+dieser erste römische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt,
+indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf seinen
+Schüler Varro vererbte.
+
+——————————————————————————-
+
+23 Die Behauptung zum Beispiel, daß die Quästoren in der Königszeit von
+der Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher
+falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn trägt.
+
+———————————————————————————-
+
+Mehr untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische
+Tätigkeit auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts
+zu tun als Hand- und Übungsbücher nach dem Muster der griechischen
+Kompendien des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn
+freilich die Schulmeister, teils um des Bedürfnisses, teils um der
+Eitelkeit und des Geldes willen, nicht fehlen ließen. Von einem
+unbekannten Verfasser, der nach der damaligen Weise zugleich
+lateinische Literatur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide
+schrieb, ist uns ein solches, unter Sullas Diktatur abgefaßtes Handbuch
+der Redekunst erhalten; eine nicht bloß durch die knappe, klare und
+sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die
+verhältnismäßige Selbständigkeit den griechischen Mustern gegenüber
+bemerkenswerte Lehrschrift. Obwohl in der Methode gänzlich abhängig von
+den Griechen, weist der Römer doch bestimmt und sogar schroff alles das
+ab, “was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig
+damit die Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine”. Der bitterste
+Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese “geschwätzige
+Wissenschaft der Redeunkunst”, deren vollendeter Meister, vor lauter
+Angst, sich zweideutig auszudrücken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen
+Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird
+durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der
+Verfasser vor der Viellehrerei und schärft die goldene Regel ein, daß
+der Schüler von dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst
+zu helfen; ebenso ernstlich erkennt er es an, daß die Schule Neben-,
+das Leben die Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbständig
+gewählten Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die
+während der letzten Dezennien in der römischen Advokatenwelt Aufsehen
+gemacht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, daß die Opposition gegen
+die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Aufkommen einer
+eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren
+Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der römischen
+Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen
+theoretisch und praktisch eine höhere Würde und eine größere
+Brauchbarkeit sichert.
+
+Die Philosophie endlich ist in der Literatur noch nicht vertreten, da
+weder sich aus innerem Bedürfnis eine nationalrömische Philosophie
+entwickelte noch äußere Umstände eine lateinische philosophische
+Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit als dieser Zeit angehörig
+sind nicht einmal lateinische Übersetzungen populärer philosophischer
+Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie trieb, las und disputierte
+griechisch.
+
+In den Fachwissenschaften ist die Tätigkeit gering. So gut man auch in
+Rom verstand zu ackern und zu rechnen, so fand doch die physikalische
+und mathematische Forschung dort keinen Boden. Die Folgen der
+vernachlässigten Theorie zeigen sich praktisch in dem niedrigen Stande
+der Arzneikunde und einesteils der militärischen Wissenschaften. Unter
+allen Fachwissenschaften blüht nur die Jurisprudenz. Wir können ihre
+innerliche Entwicklung nicht chronologisch genau verfolgen; im ganzen
+trat das Sakralrecht mehr und mehr zurück und stand am Ende dieser
+Periode ungefähr wie heutzutage das kanonische; die feinere und tiefere
+Rechtsauffassung dagegen, welche an die Stelle der äußerlichen
+Kennzeichen die innerlich wirksamen Momente setzt, zum Beispiel die
+Entwicklung der Begriffe der böswilligen und der fahrlässigen
+Verschuldung, des vorläufig schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit
+der Zwölf Tafeln noch nicht, wohl aber in der ciceronischen Zeit
+vorhanden und mag der gegenwärtigen Epoche ihre wesentliche Ausbildung
+verdanken. Die Rückwirkung der politischen Verhältnisse auf die
+Rechtsentwicklung ist schon mehrfach angedeutet worden; sie war nicht
+immer vorteilhaft. Durch die Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der
+Hundertmänner zum Beispiel trat auch in dem Vermögensrecht ein
+Geschworenenkollegium auf, das gleich den Kriminalbehörden, statt das
+Gesetz einfach anzuwenden, sich über dasselbe stellte und mit der
+sogenannten Billigkeit die rechtlichen Institutionen untergrub; wovon
+unter anderm eine Folge die unvernünftige Satzung war, daß es jedem,
+den ein Verwandter im Testament übergangen hat, freisteht, auf
+Kassierung des Testaments vor dem Gerichtshof anzutragen, und das
+Gericht nach Ermessen entscheidet. Bestimmter läßt die Entwicklung der
+juristischen Literatur sich erkennen. Sie hatte bisher auf
+Formulariensammlungen und Worterklärungen zu den Gesetzen sich
+beschränkt; in dieser Periode bildete sich zunächst eine
+Gutachtenliteratur, die ungefähr unseren heutigen
+Präjudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die längst nicht mehr
+bloß von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern von jedem, der
+Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt wurden, und an
+die schon rationelle und polemische Erörterungen und die der
+Rechtswissenschaft eigentümlichen stehenden Kontroversen sich
+anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an,
+aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah
+dies zuerst von dem jüngeren Cato († um 600 150) und von Marcus Brutus
+(etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint,
+nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich
+systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der
+Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, † 672 95, 82), in
+dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das höchste Priestertum
+erblich war. Seine achtzehn Bücher ‘vom Landrecht, welche das positive
+juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Präjudikate
+und die Autoritäten teils aus den älteren Sammlungen, teils aus der
+mündlichen Überlieferung in möglichster Vollständigkeit zusammenfaßten,
+sind der Ausgangspunkt und das Muster der ausführlichen römischen
+Rechtssysteme geworden; ebenso wurde seine resümierende Schrift
+‘Definitionen’ (όρος) die Grundlage der juristischen Kompendien und
+namentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwicklung natürlich im
+wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor sich ging, so hat doch
+die Bekanntschaft mit dem philosophisch-praktischen Schematismus der
+Griechen im allgemeinen unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen
+Behandlung der Rechtswissenschaft den Anstoß gegeben, wie denn der
+griechische Einfluß bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel
+hervortritt. Daß in einzelnen mehr äußerlichen Dingen die römische
+Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt.
+
+———————————————————————-
+
+24 Catos Buch führte wohl den Titel ‘De iuris disciplina’ (Gell. 13,
+20), das des Brutus den ‘De iure civili’ (Cic. Cluent. 51, 141; De
+orat. 2, 55, 223); daß es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt
+Cicero (De orat. 2, 33, 142).
+
+———————————————————————-
+
+Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der
+Architektur, Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische
+Wohlgefallen immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Übung ging
+eher rück- als vorwärts. Immer gewöhnlicher ward es bei dem Aufenthalt
+in griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofür
+namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien
+670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte
+sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Gerät hatte man
+angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloß
+griechische Bildsäulen, sondern auch griechische Gemälde zu schätzen.
+Das erste im Rom öffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des
+Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen
+Beute zurücknahm, weil König Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler)
+darauf bot. Die Bauten wurden glänzender, und namentlich kam der
+überseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in
+Gebrauch - die italischen Marmorbrüche waren noch nicht in Betrieb. Der
+prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Säulengang, den der
+Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf dem
+Marsfelde anlegte, schloß den ersten Marmortempel ein, den die
+Hauptstadt sah; bald folgten ähnliche Anlagen auf dem Kapitol durch
+Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus
+Octavius (Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsäulen geschmückte
+Privathaus war das des Redners Lucius Crassus († 663 91) auf dem
+Palatin. Aber wo man plündern und kaufen konnte, statt selber zu
+schaffen, da geschah es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis für die
+römische Architektur, daß sie schon anfing, die Säulen der alten
+griechischen Tempel zu verwenden, wie zum Beispiel das römische Kapitol
+durch Sulla mit denen des Zeustempels in Athen geschmückt ward. Was
+dennoch in Rom gearbeitet ward, ging aus den Händen von Fremden hervor;
+die wenigen römischen Künstler dieser Zeit, die namentlich erwähnt
+werden, sind ohne Ausnahme eingewanderte italische oder überseeische
+Griechen: so der Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der
+unter anderm die römischen Docks wiederherstellte und für Quintus
+Metellus (Konsul 611 143) den Tempel des Jupiter Stator in der von
+diesem angelegten Halle, für Decimus Brutus (Konsul 616 138) den
+Marstempel im Flaminischen Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um
+665 89) aus Großgriechenland, der für römische Tempel Götterbilder aus
+Elfenbein lieferte; der Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der
+verschrieben ward, um die Bilder für den Triumph des Lucius Paullus
+(587 168) zu malen. Es ist bezeichnend, daß die Münzen dieser Epoche im
+Vergleich mit denen der vorigen zwar eine größere Mannigfaltigkeit der
+Typen, aber im Stempelschnitt eher einen Rück- als einen Fortschritt
+zeigen.
+
+Endlich Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas über nach
+Rom, einzig, um daselbst zur Erhöhung des dekorativen Luxus verwandt zu
+werden. Solche fremdländischen Künste waren allerdings nicht neu in
+Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische
+Flötenbläser und Tänzer auftreten lassen und die Freigelassenen und die
+niedrigste Klasse des römischen Volkes auch bisher schon mit diesem
+Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, daß griechische Tänze und
+musikalische Aufführungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel
+wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner
+Reden sie voll Unwillen schildert, in der über fünfhundert Knaben und
+Mädchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Würden
+durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig
+ehrbaren Kastagnettentänzen, zu entsprechenden Gesängen und zum
+Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es auch
+- nicht so sehr, daß ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius
+Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Bälle
+fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen löste, als daß
+vornehme junge Römer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre
+Jockeykünste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem
+Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle
+musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen
+einfachen Flöte von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein
+Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Übelstände durch
+solche Verbote, als daß es durch scharfe und folgerichtige Anwendung
+ihnen abzuhelfen auch nur versucht hätte.
+
+Werfen wir schließlich einen Blick zurück auf das Gesamtbild, das die
+Literatur und die Kunst Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den
+Anfang der ciceronischen Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch
+hier in Vergleich mit der vorhergehenden Epoche dem entschiedensten
+Sinken der Produktivität. Die höheren Gattungen der Literatur sind
+abgestorben oder im Verkümmern, so das Epos, das Trauerspiel, die
+Geschichte. Was gedeiht, sind die untergeordneten Arten, die
+Übersetzung und die Nachbildung des Intrigenstücks, die Posse, die
+poetische und prosaische Broschüre; in diesem letzten, von der vollen
+Windsbraut der Revolution durchrasten Gebiet der Literatur begegnen wir
+den beiden größten literarischen Talenten dieser Epoche, dem Gaius
+Gracchus und dem Gaius Lucilius, die beide über eine Menge mehr oder
+minder mittelmäßiger Schriftsteller emporragen, wie in einer ähnlichen
+Epoche der französischen Literatur über eine Unzahl anspruchsvoller
+Nullitäten Courier und Béranger. Ebenso ist in den bildenden und
+zeichnenden Künsten die immer schwache Produktivität jetzt völlig null.
+Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst- und Literaturgenuß; wie die
+Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet die ihren Vätern
+angefallenen Erbschaften einziehen und ausnutzen, so finden wir sie
+auch hier als fleißige Schauspielbesucher, als Literaturfreunde, als
+Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die achtungswerteste Seite
+dieser Tätigkeit ist die gelehrte Forschung, die vor allem in der
+Rechtswissenschaft und in der Sprach- und Sachphilologie eigene
+geistige Anstrengung offenbart. Mit der Begründung dieser
+Wissenschaften, welche recht eigentlich in die gegenwärtige Epoche
+fällt, und zugleich mit den ersten geringen Anfängen der Nachdichtung
+der alexandrinischen Treibhauspoesie kündigt bereits die Epoche des
+römischen Alexandrinismus sich an. Alles, was diese Epoche geschaffen
+hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer als die Schöpfungen des
+sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht sahen die Literaten und
+Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre Vorgänger wie auf stümperhafte
+Anfänger herab. Aber wenn sie die Mangelhaftigkeit jener
+Anfängerarbeiten belächelten oder beschalten, so mochten doch auch eben
+die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, daß die Jugendzeit der
+Nation vorüber war, und vielleicht diesen oder jenen doch wieder im
+stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht beschleichen, den lieblichen
+Irrtum der Jugend abermals zu irren.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
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+of this license, apply to copying and distributing Project
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+States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
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+the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
+without further opportunities to fix the problem.
+
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+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
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+
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+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
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+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
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+
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