diff options
| -rw-r--r-- | .gitattributes | 3 | ||||
| -rw-r--r-- | 3063-0.txt | 19133 | ||||
| -rw-r--r-- | 3063-0.zip | bin | 0 -> 474907 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 3063-h.zip | bin | 0 -> 476730 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 3063-h/3063-h.htm | 19060 | ||||
| -rw-r--r-- | 3063.txt | 17930 | ||||
| -rw-r--r-- | 3063.zip | bin | 0 -> 468224 bytes | |||
| -rw-r--r-- | LICENSE.txt | 11 | ||||
| -rw-r--r-- | README.md | 2 | ||||
| -rw-r--r-- | old/3063-0.txt | bin | 0 -> 2420874 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/3063.txt | 17930 | ||||
| -rw-r--r-- | old/4momm10.zip | bin | 0 -> 468355 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/4momm10h.zip | bin | 0 -> 464485 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/4momm10u.zip | bin | 0 -> 556071 bytes |
14 files changed, 74069 insertions, 0 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/3063-0.txt b/3063-0.txt new file mode 100644 index 0000000..76cf4b0 --- /dev/null +++ b/3063-0.txt @@ -0,0 +1,19133 @@ +The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen + +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most +other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Römische Geschichte Book 4 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3063] +[Most recently updated: January 15, 2020] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + + + + +Römische Geschichte + +Viertes Buch +Die Revolution + +von Theodor Mommsen + +The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some +(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a +modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek +words, nor is there any differentiation between the different accents of +ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. + +Contents + + Viertes Buch—Die Revolution + KAPITEL I. Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit + KAPITEL II. Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus + KAPITEL III. Die Revolution und Gaius Gracchus + KAPITEL IV. Die Restaurationsherrschaft + KAPITEL V. Die Völker des Nordens + KAPITEL VI. Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus + KAPITEL VII. Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution + KAPITEL VIII. Der Osten und König Mithradates + KAPITEL IX. Cinna und Sulla + KAPITEL X. Die Sullanische Verfassung + KAPITEL XI. Das Gemeinwesen und seine Ökonomie + KAPITEL XII. Nationalität, Religion, Erziehung + KAPITEL XIII. Literatur und Kunst + + + + +Viertes Buch +Die Revolution + + +“Aber sie treiben’s toll; +Ich fürcht’, es breche”. +Nicht jeden Wochenschluß +Macht Gott die Zeche. + +Goethe + + + + +KAPITEL I. +Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit + + +Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit +Roms eine Tatsache, die von den Säulen des Hercules bis zu den +Mündungen des Nil und des Orontes nicht bloß feststand, sondern +gleichsam als das letzte Wort des Verhängnisses auf den Völkern lastete +mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu +lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben oder in +hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem +ernsten Leser es als ihr Recht fordern dürfte, sie durch gute und böse +Tage, durch Frühlings- und Winterlandschaft zu begleiten, so möchte der +Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu +entziehen, diesem Kampf der Übermacht mit der Ohnmacht sowohl in den +schon zum Römischen Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den +noch nach Klientelrecht beherrschten afrikanischen, hellenischen, +asiatischen Gebieten in seinen mannigfaltigen und doch eintönigen +Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend und untergeordnet auch die +einzelnen Kämpfe erscheinen mögen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung +kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die +italischen Verhältnisse dieser Zeit werden erst verständlich durch die +Einsicht in den Rückschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat +traf. + +Außer in den naturgemäß als Nebenländer Italiens anzusehenden Gebieten, +wo übrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollständig +unterworfen waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und +Korsen fortwährend Gelegenheit zu “Dorftriumphen” lieferten, bestand +eine förmliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den +beiden spanischen Provinzen, die den größeren östlichen und südlichen +Teil der Pyrenäischen Halbinsel umfaßten. Es ist schon früher versucht +worden, die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, +Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt durcheinander; +gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die +verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische +Kultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse +phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden +Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken +zahlreich beschäftigten Italiker und durch die starke stehende +Besatzung gefördert ward. In dieser Hinsicht erwähnenswert sind die +römische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie +Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste überseeische +Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica +wurde von dem älteren Scipio, noch ehe er Spanien verließ (548 206), +für seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen +gegründet, wahrscheinlich indes nicht als Bürgergemeinde, sondern nur +als Marktort ^1; Carteias Gründung fällt in das Jahr 583 (171) und ward +veranlaßt durch die Menge der von römischen Soldaten mit spanischen +Sklavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, +tatsächlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen +freigesprochen und in Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia +als latinische Kolonie konstituiert wurden. Beinahe dreißig Jahre nach +der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, +576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestört +die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszügen gegen +die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse +traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Führung eines Häuptlings Punicus +fielen die Lusitaner ein in das römische Gebiet, schlugen die beiden +gegen sie vereinigten römischen Statthalter und töteten ihnen eine +große Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen +Duero) wurden hierdurch bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche +Sache zu machen; so verstärkt vermochten diese ihre Streifzüge bis an +das Mittelländische Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der +Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) +zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug, um die +Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschließen, was seit 559 (195) +nicht geschehen war, und ließ sogar zur Beschleunigung der +Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der +gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es war dies die Ursache, weshalb +der Amtsantritt der Konsuln vom 15. März sich auf den 1. Januar +verschob und damit derjenige Jahresanfang sich feststellte, dessen wir +noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul Quintus Fulvius +Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem Statthalter des +Jenseitigen Spaniens, dem Prätor Lucius Mummius, und den jetzt nach +Punicus’ Fall von seinem Nachfolger Kaesarus geführten Lusitanern am +rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das +Glück war anfangs den Römern günstig; das lusitanische Heer ward +zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch +ermüdet, teils in der Unordnung des Nachsetzens sich auflösend, wurden +sie von den schon besiegten Gegnern schließlich vollständig geschlagen +und büßten zu dem feindlichen Lager das eigene sowie an Toten 9000 Mann +ein. Weit und breit loderte jetzt die Kriegsflamme auf. Die Lusitaner +am linken Ufer des Tajo warfen sich unter Anführung des Kaukaenus auf +die den Römern untertänigen Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre +Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner die dem +Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als +Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gärungsstoff. Zwei kleine, +den mächtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte +Völkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten +beschlossen, in eine ihrer Städte, Segeda, sich zusammenzusiedeln. +Während sie mit dem Mauerbau beschäftigt waren, ward ihnen dieser +römischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den +unterworfenen Gemeinden jede eigenmächtige Städtegründung verböten, und +zugleich die vertragsmäßig schuldige, aber seit längerer Zeit nicht +verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden Befehlen +weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um Erweiterung, +nicht um Gründung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht bloß +suspendiert, sondern von den Römern erlassen seien. Darüber erschien +Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken +Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich +befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt nicht vollständig; +die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein die entschlossensten +flüchteten mit Weib und Kind zu den mächtigen Arevakern und forderten +sie auf, mit ihnen gegen die Römer gemeinschaftliche Sache zu machen. +Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner über Mummius, +gingen darauf ein und wählten einen der flüchtigen Segedaner, Karus, zu +ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Führer +eine Leiche, aber das römische Heer geschlagen und bei 6000 römische +Bürger getötet - der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien, +blieb seitdem den Römern in schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall +ihres Feldherrn die Arevaker, sich in ihre festeste Stadt Numantia +(Garray, eine Legua nördlich von Soria am Duero) zurückzuziehen, wohin +Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es zu einem +zweiten Treffen, in welchem die Römer anfänglich durch ihre Elefanten +die Spanier in die Stadt zurückdrängten, aber dabei infolge der +Verwundung eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die +abermals ausrückenden Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser +und andere Unfälle, wie die Vernichtung eines zur Herbeirufung von +Zuzugmannschaft ausgesandten römischen Reiterkorps, gestalteten die +Angelegenheiten der Römer in der diesseitigen Provinz so ungünstig, daß +die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorräte der Römer sich +befanden, zum Feinde übertrat und die Arevaker daran denken konnten, +freilich ohne Erfolg, den Römern den Frieden zu diktieren. Einigermaßen +wurden indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius +in der südlichen Provinz erfocht. So geschwächt auch durch die +erlittene Niederlage sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit +demselben den unvorsichtig sich zerstreuenden Lusitanern am rechten +Tajoufer eine Niederlage beizubringen und, übergehend auf das linke, wo +die Lusitaner das ganze römische Gebiet überrannt, ja bis nach Afrika +gestreift hatten, die südliche Provinz von den Feinden zu säubern. In +die nördliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat außer +beträchtlichen Verstärkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle +des unfähigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon +als Prätor 586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei +Konsulaten sein Feldherrntalent bewährt hatte. Seine geschickte Führung +und mehr noch seine Milde änderte die Lage der Dinge schnell: Okilis +ergab sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der +Hoffnung bestärkt, daß ihnen gegen eine mäßige Buße Friede gewährt +werden würde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach +Rom. Marcellus konnte sich nach der südlichen Provinz begeben, wo die +Vettonen und Lusitaner sich dem Prätor Marcus Atilius zwar botmäßig +erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner +Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die römischen +Verbündeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung +wieder her, und während er in Corduba überwinterte, ruhten auf der +ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom über den Frieden +mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend für die inneren +Verhältnisse Spaniens, daß vornehmlich die Sendlinge der bei den +Arevakern bestehenden römischen Partei die Verwerfung der +Friedensvorschläge in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, daß, +wenn man die römisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die +Wahl bleibe, entweder jährlich einen Konsul mit entsprechendem Heer +nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrückliches Exempel zu +statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne +entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des +Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genötigt, im folgenden +Frühjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen. +Indes sei es nun, wie behauptet wird, daß er den Ruhm, den Krieg +beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht gönnte, +sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, daß er gleich Gracchus in +der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften +Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des römischen +Feldherrn mit den einflußreichsten Männern der Arevaker kam unter den +Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den +Römern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung zu +Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmäßigen +Rechte wiedereingesetzt wurden. + +———————————————————- + +^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et +conciliabulum civium Romanorum hieß; ähnlich ist später Aquae Sextiae +in Gallien entstanden. Die Entstehung überseeischer Bürgergemeinden +beginnt erst später mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwürdig, +daß in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte. + +———————————————————— + +Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere +eintraf, fand er den Krieg, den zu führen er gekommen war, bereits +durch förmlichen Friedensschluß beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und +vor allem Geld aus Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafür +gab es Rat. Auf eigene Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der +Arevaker, die Vaccäer, an, eine noch unabhängige keltiberische Nation, +die mit den Römern im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der +Spanier, was sie denn gefehlt hätten, war die Antwort: der Überfall der +Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von Segovia); und als die +erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu +haben meinte, rückten römische Truppen in sie ein und knechteten oder +mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser +Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben +soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Dörfer und +Ortschaften leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die +Hauptstadt der Vaccäer, Pallantia (Palencia), dem römischen Heere ihre +Tore. Die Habsucht hatte in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine +Gemeinde fand sich, die mit dem treubrüchigen Feldherrn eine +Kapitulation hätte abschließen mögen, und die allgemeine Flucht der +Bewohner machte nicht bloß die Beute karg, sondern auch das längere +Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmöglich. Vor +Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio +Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des +Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts +mehr galt, die Bewohner zum Abschluß eines Vertrages zu bestimmen, +infolgedessen das römische Heer gegen Lieferung von Vieh und +Kleidungsstücken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia mußte wegen +Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das römische Heer ward +auf dem Rückmarsch von den Vaccäern bis zum Duero verfolgt. Lucullus +begab sich darauf nach der südlichen Provinz, wo der Prätor Servius +Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte +schlagen lassen; beide überwinterten nicht fern voneinander, Lucullus +im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im +folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus +errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile über sie. Galba +richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Stämmen am rechten +Ufer des Tajo einen Vertrag abschloß und sie in bessere Wohnsitze +überzusiedeln verhieß, worauf die Barbaren, die der gehofften Äcker +wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen +geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggeführt, teils +niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit, +Grausamkeit und Habgier Krieg geführt worden wie von diesen beiden +Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schätze +der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den +Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr, +wenige Monate vor seinem Tode, vor der Bürgerschaft zur Verantwortung +zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein +heimgebrachtes Gold erwiesen dem römischen Volke seine Unschuld. + +Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien +erreicht hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des +Dritten Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, daß man die +spanischen Angelegenheiten zunächst wieder den gewöhnlichen +Statthaltern überließ. So verwüsteten denn die Lusitaner, durch Galbas +Treulosigkeit mehr erbittert als gedemütigt, unaufhörlich das reiche +turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der römische Statthalter Gaius +Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloß, sondern drängte +auch den ganzen Haufen auf einen Hügel zusammen, wo derselbe +rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie +abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie +einst als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden +Tiere und Räuber, so jetzt in ernsteren Kämpfen ein gefürchteter +Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Überfall Galbas +zufällig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf römisches +Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhieß, wenn sie ihm folgen +wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer übertrug ihm den +Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in +einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten +Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und +zuverlässigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug +der Seinigen deckte. Die Römer, denen es an leichter Kavallerie fehlte, +wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur +Verfolgung zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch +mit seinem Haufen das ganze römische Heer aufgehalten hatte, verschwand +auch er plötzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz +zu. Der römische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt +gelegten Hinterhalt, in dem er die Hälfte seines Heeres verlor und +selber gefangen und getötet ward; kaum rettete der Rest der Truppen +sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom +Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstärkung der +geschlagenen Römer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch +auf dem Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so +unumschränkt, daß die Römer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. +Viriathus, jetzt als Herr und König der sämtlichen Lusitaner anerkannt, +verstand es, das volle Gewicht seiner fürstlichen Stellung mit dem +schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied +ihn von dem gemeinen Soldaten; von der reichgeschmückten Hochzeitstafel +seines Schwiegervaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand +er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt zu +haben, hob seine Braut auf das Roß und ritt mit ihr zurück in seine +Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch +jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem +treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber +daran, daß er es in Mäßigkeit und in Mühsal jedem der Seinigen +zuvortat, nie anders als in voller Rüstung schlief und in der Schlacht +allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen +Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit +erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation +meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der +Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im +nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die nächsten Jahre +seiner Feldherrnschaft. Den Prätor Gaius Plautius (608/09 146) wußte +er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hinüber auf das rechte +Tajoufer zu locken und ihn dort so nachdrücklich zu schlagen, daß der +römische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging - später +ward dafür gegen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde +vor dem Volk erhoben und er genötigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen +wurde das Heer des Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz +- Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und +weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen +erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen +Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmückt waren; bestürzt +und beschämt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkönigs. Zwar +übernahm jetzt ein zuverlässiger Offizier die Führung des Spanischen +Krieges, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus +Fabius Maximus Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben +von Makedonien und Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den +verhaßten Spanischen Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die +beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht +viel minder unzuverlässig als das alte, gänzlich demoralisierte +spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die Lusitaner +günstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des +Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna südöstlich von +Sevilla) zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und +nahm erst im folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine +Truppen kampffähig geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die +Überlegenheit zu behaupten vermochte und nach glücklichen Waffentaten +nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an Maximus’ Stelle der +feige und ungeschickte Prätor Quinctius den Befehl übernahm, erlitten +die Römer wiederum eine Niederlage über die andere und schloß ihr +Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, während +Viriathus’ Scharen die südliche Provinz überschwemmten (611 143). Sein +Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus +Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der +Halbinsel gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, +allein nach einer Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem mühsam +abgeschlagenen Sturm auf das römische Lager sah er sich genötigt, auf +das römische Gebiet zurückzuweichen. Viriathus folgte ihm in die +Provinz; da aber seine Truppen nach dem Brauch spanischer +Insurgentenheere plötzlich sich verliefen, mußte auch er nach +Lusitanien zurückkehren (612 142). Im nächsten Jahre (613 141) ergriff +Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und +Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrückend, eine Menge +Ortschaften. Eine große Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die +Führer - es waren deren gegen 500 - wurden hingerichtet, den aus +römischem Gebiet zum Feinde Übergegangenen die Hände abgehauen, die +übrige Masse in die Sklaverei verkauft. Aber der Spanische Krieg +bewährte auch hier seine tückische Unbeständigkeit. Das römische Heer +ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane von +Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedrängt, wo es +gänzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnügte sich, +wie einst der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Pässen, mit +Servilianus einen Frieden abzuschließen, worin die Gemeinde der +Lusitaner als souverän und Viriathus als König derselben anerkannt +ward. Die Macht der Römer war nicht mehr gestiegen als das nationale +Ehrgefühl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des lästigen +Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die +Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und +Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit +wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu +heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmächtigen und +bald ihm den offenen, unbeschönigten Bruch des gegebenen Treuworts +wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog +das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus +vermied den Kampf mit der Übermacht und entzog sich durch geschickte +Bewegungen dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) +nicht bloß Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der +nördlichen Provinz inzwischen verfügbar gewordene Heer unter Marcus +Popillius in Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder +Bedingung. Er ward geheißen, alle aus dem römischen Gebiet zu ihm +übergetretenen Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die +Römer auszuliefern; es geschah, und die Römer ließen dieselben +hinrichten oder ihnen die Hände abhauen. Allein es war damit nicht +genug; nicht auf einmal pflegten die Römer den Unterworfenen +anzukündigen, was über sie verhängt war. Ein Befehl nach dem andern, +und immer der folgende unerträglicher als die vorhergehenden, erging an +die Lusitaner, und schließlich ward sogar die Auslieferung der Waffen +von ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals +seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs +neue zum Schwert, aber zu spät. Sein Schwanken hatte in seiner nächsten +Umgebung die Keime des Verrats gesät; drei seiner Vertrauten, Audas, +Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Möglichkeit, jetzt +noch zu siegen, erwirkten von dem König die Erlaubnis, noch einmal mit +Caepio Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, und benutzten sie, um gegen +Zusicherung persönlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben +des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurückgekehrt in das +Lager, versicherten sie den König des günstigsten Erfolgs ihrer +Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem +Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier +ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele +fochten; höher noch dadurch, daß sie den Kampf nicht aufgaben, sondern +an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn +ernannten. Kühn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Römern +Sagunt zu entreißen; allein der neue Feldherr besaß weder seines +Vorgängers weise Mäßigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition +scheiterte völlig, und auf der Rückkehr ward das Heer bei dem Übergang +über den Baetis angegriffen und genötigt, sich unbedingt zu ergeben. +Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von Eingeborenen +als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen. + +————————————————————- + +2 Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es +steht fest, daß Viriathus’ Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert +(App. Hisp. 61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und daß er 615 (130) umkam +(Diod. Vat. p. 110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht +(App. Hisp. 63), zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fünfzehn (Liv. +54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre +(Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige +Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus’ Auftreten sowohl bei Diodor (p. +591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die +Zerstörung von Korinth angeknüpft wird. Von den römischen Statthaltern, +mit denen sich Viriathus schlug, gehören ohne Zweifel mehrere der +nördlichen Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht +ausschließlich in der südlichen tätig war (Liv. 52); man darf also +nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl der Jahre seiner +Feldherrnschaft berechnen. + +———————————————————- + +Während die südliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner +heimgesucht ward, war nicht ohne deren Zutun in der nördlichen bei den +keltiberischen Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg +ausgebrochen. Viriathus’ glänzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144) +die Arevaker, gleichfalls gegen die Römer sich zu erheben, und es war +dies die Ursache, weshalb der zur Ablösung des Maximus Aemilianus nach +Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius Metellus nicht nach der +südlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer sich wandte. Auch +gegen sie bewährte er, namentlich während der Belagerung der für +unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tüchtigkeit, die er +bei der Überwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte; +nach zweijähriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die nördliche +Provinz zum Gehorsam zurückgebracht. Nur die beiden Städte Termantia +und Numantia hatten noch den Römern die Tore nicht geöffnet; auch mit +diesen aber war die Kapitulation fast schon abgeschlossen und der +größte Teil der Bedingungen von den Spaniern erfüllt. Als es jedoch zur +Ablieferung der Waffen kam, ergriff auch sie eben wie den Viriathus +jener echt spanische Stolz auf den Besitz des wohlgeführten Schwertes, +und es ward beschlossen, unter dem kühnen Megaravicus den Krieg +fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen +Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius übernahm, war viermal so +stark als die gesamte waffenfähige Bevölkerung von Numantia. Allein der +völlig kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Städte +so harte Niederlagen (613, 614 141, 140), daß er endlich es vorzog, den +Frieden, den er nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu +erwirken. Mit Termantia muß ein definitives Abkommen getroffen sein; +auch den Numantinern sandte der römische Feldherr ihre Gefangenen +zurück und forderte die Gemeinde unter dem geheimen Versprechen +günstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade zu ergeben. +Die Numantiner, des Krieges müde, gingen darauf ein, und der Feldherr +beschränkte in der Tat seine Forderungen auf das möglichst geringe Maß. +Gefangene, Überläufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene +Geldsumme größtenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue +Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die +Last des Oberbefehls auf fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um +sich der in Rom seiner wartenden Verantwortung für den nach römischen +Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht +etwa bloß zu brechen, sondern zu verleugnen und, als die Numantiner +kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen Offizieren ins +Gesicht den Abschluß des Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die +Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; während +dort darüber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und +beschäftigte sich Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die +Katastrophe des Viriathus beschleunigen half, und mit einem Streifzug +gegen die den Numantinern benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat +die Entscheidung kam, lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man +beteiligte sich also von Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. +Mit ungeschwächtem Mut und erhöhter Erbitterung nahmen die Numantiner +den Kampf wieder auf; Laenas focht unglücklich gegen sie und nicht +minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die +Katastrophe führten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als +die schlaffe und elende Kriegszucht der römischen Feldherrn und die +Folge derselben, die von Jahr zu Jahr üppiger wuchernde Liederlichkeit, +Zuchtlosigkeit und Feigheit der römischen Soldaten. Das bloße, überdies +falsche Gerücht, daß die Kantabrer und Vaccäer zum Entsatz von Numantia +heranrückten, bewog das römische Heer, ungeheißen in der Nacht das +Lager zu räumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior +angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch +in Kenntnis gesetzt, drängten der fliehenden Armee nach und umzingelten +sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich +durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen +Frieden zu schließen. Mehr als der Konsul, der persönlich ein +Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius +Gracchus, der als Quästor im Heere diente, durch sein von dem Vater, +dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den +Keltiberern, daß die Numantiner sich mit einem billigen, von allen +Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genügen ließen. Allein der +Senat rief nicht bloß den Feldherrn sofort zurück, sondern ließ auch +nach langer Beratung bei der Bürgerschaft darauf antragen, den Vertrag +zu behandeln wie einst den caudinischen, das heißt, ihm die +Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafür auf +diejenigen abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen +hätten dies sämtliche Offiziere sein müssen, die den Vertrag beschworen +hatten; allein Gracchus und die übrigen wurden durch ihre Verbindungen +gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der höchsten +Aristokratie angehörte, ward bestimmt, für eigene und fremde Schuld zu +büßen. Seiner Insignien entkleidet, ward der römische Konsular zu den +feindlichen Vorposten geführt, und da die Numantiner ihn anzunehmen +verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig +anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Hände +auf den Rücken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia, +Freunden und Feinden ein klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus’ +Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus, +schien die bittere Lehre völlig verloren. Während die Verhandlungen +über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter +nichtigen Vorwänden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie +Volk der Vaccäer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der +jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluß +befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er, +unter dem Vorwand, daß die Umstände inzwischen sich geändert hätten, +die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade so schlecht wie als +Bürger; nachdem er so lange vor der großen und festen Stadt gelegen +hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen +war, mußte er mit Zurücklassung aller Verwundeten und Kranken den +Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Hälfte +seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh +abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene römische +Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Dafür ward denn dem +hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbuße auferlegt. +Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius +Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu führen, und +da sie eben gar nichts taten, kamen sie glücklich ohne Niederlage heim. +Selbst die römische Regierung fing endlich an einzusehen, daß man so +nicht länger fortfahren könne; man entschloß sich, die Bezwingung der +kleinen spanischen Landstadt außerordentlicherweise dem ersten +Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu übertragen. Die Geldmittel zur +Kriegführung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit +zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar +geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die Furcht, der +souveränen Bürgerschaft lästig zu werden, zusammengewirkt haben mögen. +Indes begleitete ihn freiwillig eine große Anzahl von Freunden und +Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor einigen +Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestützt auf +diese zuverlässige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward, +begann Scipio das tief zerrüttete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor +allen Dingen mußte der Troß das Lager räumen - es fanden sich bis 2000 +Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten -, und da +der Soldat zum Fechten unbrauchbar war, mußte er wenigstens schanzen +und marschieren. Den ersten Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit +den Numantinern; er begnügte sich, die Vorräte in der Umgegend zu +vernichten und die Vaccäer, die den Numantinern Korn verkauften, zu +züchtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst +gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; außer dem +numidischen Kontingent von Reitern, Fußsoldaten und zwölf Elefanten +unter Anführung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen +Zuzügen waren es vier Legionen, überhaupt eine Heermasse von 60000 +Mann, die eine Stadt mit einer waffenfähigen Bürgerschaft von höchstens +8000 Köpfen einschloß. Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf +an; allein Scipio, wohl erkennend, daß die vieljährige Zuchtlosigkeit +nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, +und wo es dennoch bei den Ausfällen der Belagerten dazu kam, +rechtfertigte die feige, kaum durch das persönliche Erscheinen des +Feldherrn gehemmte Flucht der Legionäre diese Taktik nur zu sehr. Nie +hat ein Feldherr seine Soldaten verächtlicher behandelt als Scipio die +numantinische Armee; und nicht bloß mit bitteren Reden, sondern vor +allem durch die Tat bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal +führten die Römer, wo es nur auf sie ankam, das Schwert zu brauchen, +den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings um die ganze Stadtmauer von +reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang ward eine doppelt so +ausgedehnte, mit Mauern, Türmen und Gräben versehene zwiefache +Umwallungslinie aufgeführt und auch der Duerofluß, auf dem den +Belagerten anfangs noch durch kühne Schiffer und Taucher einige Vorräte +zugekommen waren, endlich abgesperrt. So mußte die Stadt, die zu +stürmen man nicht wagte, wohl durch Hunger erdrückt werden, um so mehr, +als es der Bürgerschaft nicht möglich gewesen war, sich während des +letzten Sommers zu verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel +an allem. Einer ihrer kühnsten Männer, Retogenes, schlug sich mit +wenigen Begleitern durch die feindlichen Linien durch, und seine +rührende Bitte, die Stammesgenossen nicht hilflos untergehen zu lassen, +war wenigstens in einer der Arevakerstädte, in Lutia, von großer +Wirkung. Bevor aber die Bürger von Lutia sich entschieden hatten, +erschien Scipio, benachrichtigt von den römisch Gesinnten in der Stadt, +mit Übermacht vor ihren Mauern und zwang die Behörden, ihm die Führer +der Bewegung, vierhundert der trefflichsten Jünglinge, auszuliefern, +denen sämtlich auf Befehl des römischen Feldherrn die Hände abgehauen +wurden. Die Numantiner, also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an +Scipio, um über die Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen +Mann an, der Tapferen zu schonen; allein als die rückkehrenden Boten +meldeten, daß Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der +wütenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloß, bis Hunger und +Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das römische +Hauptquartier eine zweite Botschaft, daß die Stadt jetzt bereit sei, +auf Gnade und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Bürgerschaft +angewiesen wurde, am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie +um einige Tage Frist, um denjenigen Bürgern, die den Untergang der +Freiheit nicht zu überleben beschlossen hätten, Zeit zum Sterben zu +gestatten. Sie ward ihnen gewährt, und nicht wenige benutzten sie. +Endlich erschien der elende Rest vor den Toren. Scipio las fünfzig der +Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe aufzuführen; die übrigen +wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, +ihr Gebiet unter die Nachbarstädte verteilt. Das geschah im Herbst 621 +(133), fünfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl übernommen hatte. + +Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition +gegen Rom in der Wurzel getroffen; militärische Spaziergänge und +Geldbußen reichten aus, um die römische Oberherrschaft im ganzen +diesseitigen Spanien zur Anerkennung zu bringen. + +Auch im jenseitigen ward durch die Überwindung der Lusitaner die +römische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius +Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen +Lusitaner an in der Nähe von Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia +(Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung (616 138); er durchzog +ferner (616-618 138-136) in verschiedenen Richtungen die iberische +Westküste und gelangte zuerst von den Römern an das Gestade des +Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Männern und Frauen, +hartnäckig verteidigten Städte der dort wohnenden Lusitaner wurden +durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhängigen Callaeker nach +einer großen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der +römischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der Vaccäer, Lusitaner +und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordküste die ganze Halbinsel +wenigstens dem Namen nach den Römern untertan. Eine senatorische +Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio das +neugewonnene Provinzialgebiet römisch zu ordnen, und Scipio tat, was er +konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner Vorgänger +zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle +Mißhandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit +hatte ansehen müssen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt +zurückzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum für Spanien +eine leidlichere Zeit. Die Unterdrückung des Seeraubes, der auf den +Balearen gefährliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus Caecilius +Metellus’ Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem Aufblühen +des spanischen Handels ungemein förderlich, und auch sonst waren die +fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst +unübertroffenen Bevölkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie +zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevölkerung auf der +Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in +den Städten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen +Inseln. Trotz mancher schwerer Mißstände bewahrte die römische +Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit und +zunächst Tiberius Gracchus ihr aufgeprägt hatten. Das römische +Grenzgebiet zwar hatte von den Überfällen der halb oder gar nicht +bezwungenen Stämme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei +den Lusitanern namentlich tat die ärmere Jugend regelmäßig sich in +Räuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute +oder die Nachbarn, weshalb noch in viel späterer Zeit die einzeln +gelegenen Bauernhöfe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im +Notfall verteidigungsfähig waren; und es gelang den Römern nicht, +diesem Räuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugänglichen +lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege +nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder +leidlich tüchtige Statthalter mit den gewöhnlichen Mitteln +niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der +Grenzdistrikte war Spanien unter allen römischen Gebieten das +blühendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die +Mittelsmänner waren daselbst unbekannt, die Bevölkerung zahlreich und +die Landschaft reich an Korn und Vieh. + +In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller +Souveränität und tatsächlicher Untertänigkeit befanden sich die +afrikanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche durch die +Kriege der Römer gegen Karthago, Makedonien und Syrien und deren +Konsequenzen in den Kreis der römischen Hegemonie gezogen worden waren. +Der unabhängige Staat bezahlt den Preis seiner Selbständigkeit nicht zu +teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt, wenn es sein +muß; der Staat, der die Selbständigkeit eingebüßt hat, mag wenigstens +einen Ersatz darin finden, daß der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor +seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder +Selbständigkeit noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und +Numidien tatsächlich ein ewiger Grenzkrieg. In Ägypten hatte zwar der +römische Schiedsspruch den Sukzessionsstreit der beiden Brüder +Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein +die neuen Herren von Ägypten und von Kyrene führten nichtsdestoweniger +Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloß die meisten +Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch +Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der +Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache +und schwere Kriege geführt zwischen den Attaliden und den Galatern, +zwischen den Attaliden und den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos +und Kreta. Ebenso glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen +zwerghaften Fehden, und selbst das sonst so ruhige makedonische Land +verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokratischen +Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, daß +die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen +ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten hätten einsehen +müssen, daß der Staat, der nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg +führen kann und daß, da der Besitzstand und die Machtstellung all +dieser Staaten tatsächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei +jeder Differenz nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Güte +sich zu vergleichen oder die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn +die achäische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe +gemahnt ward und ernstlich über deren Absendung beratschlagte (601 +153), so war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der +Führer der römisch gesinnten Partei damals aufstellte, daß es den +Achäern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Römer Krieg zu führen, +drückte, freilich mit übelklingender Schärfe, die einfache Wahrheit +aus, daß die Souveränität der Dependenzstaaten eben nur eine formelle +war und jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin +führen mußte, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer +als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu +richten. Es ist für den Menschen wie für den Staat keine leichte +Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des +Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft +aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen +Überlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu nötigen. Der römische +Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestürmt, +griff der Senat beständig ein in den Gang der afrikanischen, +hellenischen, asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten, allein in einer +so unsteten und schlaffen Weise, daß durch diese Schlichtungsversuche +die Verwirrung gewöhnlich nur noch ärger ward. Es war die Zeit der +Kommissionen. Beständig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago und +Alexandreia, an die achäische Tagsatzung und die Höfe der +vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten, +und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und +gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, daß Kypros, +welches der Senat dem Kyrenäischen Reich zugeschieden hatte, +nichtsdestoweniger bei Ägypten blieb; daß ein syrischer Prinz den Thron +seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Römern +zugesprochen erhalten zu haben, während in der Tat ihm derselbe vom +Senate ausdrücklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von +Rom entkommen war; ja daß die offenkundige Ermordung eines römischen +Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment +von Syrien führte, gänzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wußten zwar +sehr wohl, daß sie nicht imstande seien, den römischen Legionen zu +widerstehen; aber sie wußten nicht minder, wie wenig der Senat geneigt +war, den Bürgern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu +erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der +Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment +brachte die Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die +der Ordnung. Für die Römer selbst aber war diese Lage der Dinge +insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermaßen +preisgab. Ohne daß Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern +vermochte, konnten hier, gestützt auf die außerhalb des Bereiches der +römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen +die schwachen römischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer +für Rom gefährlichen und früher oder später mit ihm rivalisierenden +Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermaßen der +überall zerspaltene und nirgends einer großartigen staatlichen +Entwicklung günstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch +erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, daß +in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des +Augustus noch nicht am Euphrat standen. + +Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das +einzig mögliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in +römische Ämter, was um so eher geschehen konnte, als ja die römische +Provinzialverfassung wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand +des römischen Vogts zusammenfaßte und Verwaltung und Gerichte in der +Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was +von der alten politischen Selbständigkeit überhaupt noch lebensfähig +war, sich in der Form der Gemeindefreiheit bewahren ließ. Zu verkennen +war die Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es +fragte sich nur, ob der Senat dieselbe verzögern und verkümmern, oder +ob er den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen +und energisch durchzuführen. + +Blicken wir zunächst auf Afrika. Die von den Römern in Libyen +gegründete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des +Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. Während jenes unter +Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte, +befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch die bloßen Folgen +des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es +auf der Höhe seiner politischen Macht gewesen war. Die Römer sahen mit +übelverhehlter, neidischer Furcht die, wie es schien, unverwüstliche +Blüte der alten Nebenbuhlerin; hatten sie bisher den beständig +fortgesetzten Übergriffen Massinissas gegenüber derselben jeden +ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu Gunsten +des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreißig Jahren +zwischen der Stadt und dem König schwebende Streit über den Besitz der +Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des +karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von römischen +Kommissarien dahin entschieden, daß die Karthager die noch in ihrem +Besitz verbliebenen emporitanischen Städte zu räumen und als +Entschädigung für die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente +(860000 Taler) an den König zu zahlen hätten. Die Folge war, daß +Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der +Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der großen +Felder am Bagradas, bemächtigte; den Karthagern blieb nichts übrig, als +abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozeß anhängig zu machen. Nach +langem und ohne Zweifel absichtlichem Zögern erschien in Afrika eine +zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne +genaue vorgängige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu +fällenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten, +sondern auf eingehender Erörterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten +die Kommissare ohne weiteres wieder zurück nach Rom. Die Rechtsfrage +zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die +Sendung führte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser +Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der +einflußreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen +Kriege noch von dem vollen Pönerhaß und der vollen Pönerfurcht +durchdrungen. Betroffen und mißgünstig hatte dieser mit eigenen Augen +den blühenden Zustand der Erbfeinde Roms, die üppige Landschaft und die +wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorräte in den Zeughäusern und +das reiche Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen +zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner +ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem +Ergebnis, daß Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom +Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese +Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer +der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmerlichen +Politik mit großem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse +vor einer Kaufstadt, deren phönikische Bewohner mehr und mehr der +kriegerischen Künste und Gedanken sich entwöhnten, und die vollkommene +Verträglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der +politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine +römische Provinzialstadt wäre ausführbar, ja, verglichen mit dem +gegenwärtigen Zustand, den Phönikern selbst vielleicht nicht +unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, +sondern den Untergang der verhaßten Stadt. Seine Politik fand, wie es +scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmännern, die geneigt waren, +die überseeischen Gebiete in unmittelbare Abhängigkeit von Rom zu +bringen, teils und vor allem an dem mächtigen Einfluß der römischen +Bankiers und Großhändler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld- +und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen mußte. Die Majorität +beschloß, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten +forderte die Rücksicht auf die öffentliche Meinung - den Krieg mit +Karthago oder vielmehr die Zerstörung der Stadt zu bewirken. + +Die gewünschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden +Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Römer brachten in +Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Führer der +Patriotenpartei, welche, ähnlich der achäischen, zwar nicht daran +dachte, gegen die römische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens +die den Karthagern vertragsmäßig zustehenden Rechte gegen Massinissa, +wenn nötig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die +Patrioten ließen vierzig der entschiedensten Anhänger Massinissas aus +der Stadt verbannen und das Volk schwören, ihnen unter keiner Bedingung +je die Rückkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen +die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein +starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154). +Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu rüsten, sondern sich +wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch +der Römer zu unterwerfen; und so konnte man römischerseits mit einigem +Schein behaupten, daß die karthagischen Rüstungen gegen die Römer +gerichtet sein müßten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und +Vernichtung der Flottenvorräte dringen. Der karthagische Rat wollte +einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausführung des +Beschlusses, und die römischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago +überbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen +Sohn Gulussa nach Rom, um über die fortdauernden Vorbereitungen +Karthagos für den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und die +Kriegserklärung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine +Gesandtschaft von zehn Männern es bestätigt hatte, daß in Karthago in +der Tat gerüstet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte +Kriegserklärung, die Cato begehrte, beschloß aber in geheimer Sitzung, +daß der Krieg erklärt sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu +verstehen würden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu +verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen. +Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter +Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurückgesandt. Da die +Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern +einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und +auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. Indes +Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der +gewöhnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren zu +nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein +Theaterkönig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war +der eitle und schwerfällige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen +in einer Bedrängnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und +Hannibals Arm nicht mehr hätten abwenden können. Vor den Augen des +Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, an +Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische +Elefanten zuzuführen, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge +herab “wie Zeus vom Ida” der Schlacht zuschaute, lieferten die +Karthager und die Numidier sich ein großes Treffen, in welchem jene, +obwohl durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen +zugeführte numidische Reiter verstärkt und an Zahl dem Feinde +überlegen, dennoch den kürzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten +sich die Karthager gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und +Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag +zustande zu bringen; allein an der Weigerung der karthagischen +Patrioten, die Überläufer auszuliefern, scheiterte das +Friedensgeschäft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen +des Gegners, wurde genötigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte: +Auslieferung der Überläufer, Rückkehr der Verbannten, Abgabe der +Waffen, Abzug unter dem Joch, Zahlung von jährlich 100 Talenten (155000 +Talern) für die nächsten fünfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde +von den Numidiern nicht gehalten, sondern der entwaffnete Rest des +karthagischen Heeres auf der Heimkehr von ihnen zusammengehauen. + +Die Römer, die sich wohl gehütet hatten, den Krieg selbst durch zeitige +Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wünschten: einen +brauchbaren Kriegsgrund - denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht +gegen römische Bundesgenossen noch außerhalb der eigenen Grenzen Krieg +zu führen, waren jetzt allerdings von den Karthagern übertreten worden +- und einen bereits im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die +italischen Kontingente nach Rom gemahnt und die Schiffe +zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die Kriegserklärung da sein. +Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag abzuwenden. Die +Führer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum Tode +verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die +Verantwortung zu wälzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der +zweiten Stadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht +hatten, ihre Gemeinde den Römern völlig zu eigen zu geben - mit dieser +zuvorkommenden Unterwürfigkeit verglichen, schien es fast Trotz, daß +die Karthager sich begnügt hatten, die Hinrichtung ihrer angesehensten +Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat erklärte, daß die +Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage, +was denn genügen werde, hieß es, das sei den Karthagern ja bekannt. +Freilich konnte man es wissen, was die Römer wollten; allein es schien +doch wieder unmöglich zu glauben, daß nun wirklich für die liebe +Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen +karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreißig und mit unbeschränkter +Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklärt +(Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch +versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollständige Unterwerfung zu +beschwören. Der Senat beschied sie, daß Rom bereit sei, der +karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr +Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantieren, wofern sie +den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in +Lilybäon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen +und die weiteren Befehle erfüllen würden, die ihnen die Konsuln nach +ihrer Instruktion würden zugehen lassen. Man hat den Bescheid +zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende +Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daß alles, was man nur +begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und +daß keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu +sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat +verfuhr mit furchtbarer Härte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab +er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich +kein Staatsmann, der die haltlose städtische Menge entweder zum vollen +Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht hätte. Als +man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die erträgliche +Geiselforderung vernahm, fügte man zunächst sich dieser und hoffte +weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heiße, sich +der Willkür eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln +sandten die Geiseln von Lilybäon zurück nach Rom und beschieden die +karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne +Widerstand geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel +verabfolgt. Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von +Karthago erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten +die Konsuln zunächst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der +Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten, +gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch +die Flucht entronnenen Hasdrubal beschützen solle, ward ihnen erwidert, +daß dies die Sorge der Römer sein werde. Gehorsam erschien demnach der +Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen +Kriegsvorräten der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz +befindlichen Waffen - man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000 volle +Rüstungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob +sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eröffnete dem Rat, daß in +Gemäßheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt +zerstört werden müsse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst +wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom +Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fürchterliche Befehl +rüttelte in den Phönikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder +wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander +und später die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die +Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen +vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und +Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der +Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empörung +der kaufmännischen und seefahrenden Bevölkerung. Von Hoffnung und +Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne +Frage auch jetzt sich zu fügen - aber die Stimme der wenigen, welche +mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf +des Fährmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in +ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff, +welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils +die unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt +heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten ließ, teils +die zufällig in der Stadt verweilenden Italiker zerriß, um wenigstens +an diesen die Rache vorwegzunehmen für die Vernichtung der Heimat. Man +beschloß nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies +von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen +entblößten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal, +den Tochtersohn Massinissas, übertragen, die Sklaven sämtlich frei +erklärt. Das Emigrantenheer unter dem flüchtigen Hasdrubal, das mit +Ausnahme der von den Römern besetzten Städte an der Ostküste, +Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, das +ganze karthagische Gebiet innehatte und für die Verteidigung eine +unschätzbare Stütze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in +dieser höchsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt +phönikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der +Demut versteckend, den Feind zu täuschen. Es ging eine Botschaft an die +Konsuln, um dreißigtägigen Waffenstillstand zur Absendung einer +Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wußten wohl, daß die +Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewähren wollten +noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestärkt in der +natürlichen Voraussetzung, daß nach dem ersten Ausbruch der +Verzweiflung die gänzlich wehrlose Stadt sich fügen werde, und +verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt, +um Wurfgeschütze und Rüstungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne +Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen +gezimmert und gehämmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die +öffentlichen Gebäude niedergerissen; um die für die Wurfgeschütze +unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar; +in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Männer wieder +bewehrt. Daß dies alles geschehen konnte, ohne daß die wenige Meilen +entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten +wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja +dämonischen Volkshaß getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des +Wartens müde, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloß mit Leitern +die nackten Mauern ersteigen zu können meinten, fanden sie mit Staunen +und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekrönt und die große +volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu besetzen +gehofft hatte, fähig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu +verteidigen. + +Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie durch die +Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner. +In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, östlich Kap +Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach Osten eine +Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und nur gegen +Westen mit dem Festland zusammenhängt. Diese Landspitze, an der +schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im +ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in +den beiden Höhen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen +die Fläche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem südlichen, mit der Höhe +von Sidi bu Said abschließenden Teil derselben lag die Stadt Karthago. +Der ziemlich steile Abfall jener Höhe gegen den Golf und dessen +zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt +natürliche Festigkeit, und es genügte hier eine einfache Umwallung. +Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen +Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst +vermochte. Sie bestand, wie die kürzlich aufgedeckten, mit der +Beschreibung des Polybios genau übereinstimmenden Überreste gezeigt +haben, aus einer Außenmauer von 6½ Fuß Dicke und an diese hinterwärts, +wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren +Kasematten, welche durch einen 6 Fuß breiten bedeckten Gang von der +Außenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuß breiten Vorder- +und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 Fuß hatten 4. +Dieser ungeheure, durchaus aus mächtigen Quadern zusammengefügte Wall +erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die mächtigen vier +Stockwerke hohen Türme ungerechnet, zu einer Höhe von 45 Fuß 5 und +gewährte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung und +Futtermagazine für 300 Elefanten, in dem oberen Pferdeställe, Magazin- +und Kasernenräume 6. Der Burghügel, die Byrsa (syrisch birtha = Burg), +ein verhältnismäßig bedeutender Fels von 188 Fuß Höhe und an der +Unterfläche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten 7, griff in +diese Mauer an ihrem südlichen Ende ein, ähnlich wie die Felswand des +Kapitols in den römischen Stadtwall. Die obere Fläche desselben trug +den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen ruhenden Tempel +des Heilgottes. Die Südseite der Stadt bespülte teils der seichte +Tunesische See im Südwesten, den eine von der karthagischen Halbinsel +südwärts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast gänzlich von +dem Golfe schied, teils im Südosten der offene Golf. An dieser letzten +Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk von +Menschenhand: der äußere oder der Handelshafen, ein längliches, die +schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuß +breiter Mündung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen, +und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das +Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den äußeren +gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa +ostwärts sich wendend, die Landzunge und den Außenhafen aus-, dagegen +den Kriegshafen einschloß, so daß die Einfahrt in den letzteren gleich +einem Tor verschließbar gedacht werden muß. Unweit des Kriegshafens lag +der Marktplatz, der durch drei enge Straßen mit der nach der Stadtseite +offenen Burg verbunden war. Nördlich von und außerhalb der eigentlichen +Stadt hatte der ziemlich beträchtliche, schon zu jener Zeit großenteils +mit Landhäusern und wohlbewässerten Gärten gefüllte Raum der heutigen +El Mersa, damals Magalia genannt, eine eigene, an die Stadtmauer sich +anlehnende Umwallung. Auf der gegenüberliegenden Spitze der Halbinsel, +dem Dschebel-Khawi bei dem heutigen Dorfe Qamart, lag die Gräberstadt. +Diese drei, die Alt-, die Vor- und die Gräberstadt, füllten zusammen +die ganze Breite der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus +und waren nur zugänglich auf den beiden Hauptstraßen nach Utica und +Tunes über jene schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer +geschlossen war, aber doch für die unter dem Schutze der Hauptstadt und +wieder zu deren Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste +Stellung darbot. + +—————————————————————- + +3 Der Zug der Küste ist im Laufe der Jahrhunderte so verändert worden, +daß man an der alten Stätte die ehemaligen Lokalverhältnisse nur +unvollkommen wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap +Kartadschena, auch von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu +Said genannt, die in den Golf hineinragende östliche Spitze der +Halbinsel und ihr höchster 393 Fuß über dem Meere gelegener Punkt. + +4 Die von C. E. Beulé (Fouilles à Carthage. Paris 1861) mitgeteilten +Tiefmaße sind in Metern und in griechischen Fuß (1 = 0,309): + +Außenmauer + +2 Meter = 6½ Fuß + +Korridor + +9 Meter = 6 Fuß + +Vordermauer der Kasematten + +1 Meter = 3¼Fuß + +Kasemattensäle + +4,2 Meter = 14 Fuß + +Hintermauer der Kasematten + +1 Meter = 3¼Fuß + +Gesamttiefe der Mauer + +10,1 Meter = 33 Fuß + +oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1½ +Fuß), während Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die +eine andere, minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu +haben scheinen, die Mauertiefe auf 30 Fuß ansetzen. Die dreifache Mauer +Appians, über die bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche +Vorstellung verbreitet war, ist die Außenmauer, die Vorder- und die +Hintermauer der Kasematten. Daß dies Zusammentreffen nicht zufällig ist +und wir hier in der Tat die Überreste der berühmten karthagischen Mauer +vor uns haben, wird jedem einleuchten; N. Davis’ Einwürfe (Carthage and +her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, daß gegen die wesentlichen +Ergebnisse Beulés auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. +Nur muß man festhalten, daß die alten Berichterstatter die Angaben, um +die es sich handelt, sämtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern +von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Südseite +des Burghügels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu +stimmt, daß die Ausgrabungen auf dem Burghügel gegen Osten, Norden und +Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Südseite eben +jene großartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden, +dieselben als Überreste einer besonderen, von der Stadtmauer +verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen in +entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen +Stadtmauer liegt 56 Fuß unter dem heutigen Boden - werden vermutlich +längs der ganzen Landseite gleiche oder doch ähnliche Fundamente zu +Tage fördern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt +Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von +Haus aus schwächer gewesen oder früh vernachlässigt worden ist. Wie +lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch +ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren +Futtermagazine und vielleicht noch andere Räumlichkeiten sowie die Tore +in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche +Längenentwicklung. Daß die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa +einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten +Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117; +Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich. + +5 So rechnet Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung +der Zinnen, die Höhe auf 40 Ellen oder 60 Fuß. Der erhaltene Überrest +ist noch 12-16 Fuß (4-5 Meter) hoch. + +6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen hufeisenförmigen Säle haben +eine Tiefe von 14, eine Breite von 11 griechischen Fuß; die Weite der +Eingänge wird nicht angegeben. Ob diese Maße und die Verhältnisse des +Korridors ausreichen, um in ihnen Elefantenställe zu erkennen, bleibt +durch genauere Ermittlung festzustellen. Die Zwischenmauern, die die +Säle voneinander scheiden, haben die Dicke von 1,1 Meter = 3½ Fuß. + +7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich 2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt +haben wird - 16 Stadien sind ungefähr 3000 Meter. Der Burghügel, auf +dem jetzt die Kirche des hl. Ludwig steht, mißt oben etwa 1400, auf der +halben Höhe etwa 2600 Meter im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf +den unteren Umfang wird jene Angabe recht gut auskommen. + +8 Sie trägt jetzt das Fort Goletta. + +9 Daß dieses phönikische Wort das kreisförmig ausgegrabene Bassin +bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der +die Griechen dasselbe verwenden. Es paßt also nur auf den inneren Hafen +Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es +eigentlich für die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones p. +37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den viereckigen +Vorhafen des Kothon als Teil desselben. + +———————————————————- + +Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde +noch dadurch erschwert, daß teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst +und des noch immer 800 Ortschaften umfassenden und von der +Emigrantenpartei größtenteils beherrschten Gebietes, teils die +zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Stämme der ganz oder halb +freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die +Verteidigung der Stadt zu beschränken, sondern zugleich ein zahlreiches +Heer im Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der +Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von +den Belagerern nicht außer acht gelassen werden durfte. + +Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu lösen, +als sie nun doch sich genötigt sahen, die Belagerung regelrecht zu +beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein +Lager der Burgmauer gegenüber, während Lucius Censorinus mit der Flotte +an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die Operationen +begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an dem andern +Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den zum +Holzfällen für den Maschinenbau ausgeschickten römischen Soldaten ihre +Arbeit erschwerte und namentlich der tüchtige Reiterführer Himilkon +Phameas den Römern viele Leute tötete. Indes stellte Censorinus auf der +Landzunge zwei große Sturmböcke her und brach mit ihnen Bresche an +dieser schwächsten Stelle der Mauer; der Sturm indes mußte, da es Abend +geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten, +einen großen Teil der Bresche zu füllen und durch einen Ausfall die +römischen Maschinen so zu beschädigen, daß sie am nächsten Tage nicht +weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die Römer den Sturm; allein sie +fanden die Bresche und die nächsten Mauerabschnitte und Häuser stark +besetzt und gingen so unvorsichtig vor, daß sie mit starkem Verlust +zurückgeschlagen wurden und noch weit größere Nachteile erlitten haben +würden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den Ausgang des +tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern +zusammengehalten und mit ihnen die Flüchtenden aufgenommen hätte. Noch +viel weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. +So zog die Belagerung sich in die Länge. Die durch die Sommerhitze im +Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des fähigeren Feldherrn +Censorinus, endlich die Verstimmung und Untätigkeit Massinissas, der +begreiflicherweise die Römer sehr ungern die längst begehrte Beute für +sich selber nehmen sah, und der bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod +des neunzigjährigen Königs brachten die Offensivoperationen der Römer +völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die +karthagischen Brander und ihr Lager gegen die nächtlichen Überfälle zu +schützen und durch Anlegung eines Hafenkastells und Streifzüge in die +Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen +Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die +erste hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast +mit einer förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für +den Feldherrn wie für das Heer verlief, so glänzend tat der +Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem +Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager, mit einigen +Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend, ihn +zum Umkehren nötigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach +dem Flußübergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das +Verderben des Heeres geworden wäre, durch einen verwegenen +Seitenangriff dem rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon +verloren gegebene Abteilung durch seinen aufopfernden Heldenmut. +Während die übrigen Offiziere, der Konsul vor allem, durch ihre +Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Städte und Parteiführer +zurückschreckten, gelang es Scipio, einen der tüchtigsten von diesen, +Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Übertritt zu bestimmen. Endlich, +nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter +dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das +Reich geteilt hatte, führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen +Reiterführer dem römischen Heer zu und half damit dem bisher +empfindlich gefühlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und +doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte +als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den Neid, und im Lager +wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen. Selbst Cato, +der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor +seinem Tode - er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch +seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfüllt gesehen zu haben - +auf den jungen Offizier und seine unfähigen Kameraden die Homerische +Zeile an: “Einzig er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten +^10.” + +——————————————————————- + +^10 Οιος πέπυται, τοί δέ σκιαί αίσσουσιν. + +——————————————————————- + +Über diese Vorgänge war der Jahresschluß und damit der Kommandowechsel +herangekommen: ziemlich spät erschien der Konsul Lucius Piso (606 148) +und übernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den +der Flotte. Indes, hatten die Vorgänger wenig geleistet, so geschah nun +gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Überwindung der +Armee Hasdrubals beschäftigte Piso sich damit, die kleinen phönikischen +Seestädte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel +Clupea ihn zurückschlug und er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den +ganzen Sommer davor verloren hatte und das Belagerungsgerät ihm zweimal +verbrannt worden war, schimpflich abziehen mußte. Neapolis ward zwar +genommen; aber die Plünderung der Stadt gegen das gegebene Ehrenwort +war auch dem Fortgang der römischen Waffen nicht sonderlich günstig. +Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit +800 Pferden zu ihnen über; karthagische Gesandte konnten es versuchen, +mit den Königen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen +Philippos von Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die +inneren Zerwürfnisse - Hasdrubal der Emigrant verdächtigte den +gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt befehligte, wegen seiner +Verwandtschaft mit Massinissa und ließ ihn im Rathause erschlagen - als +die Tätigkeit der Römer verhinderten eine für Karthago noch günstigere +Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem besorglichen Stand der +afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der +außerordentlichen Maßregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den +libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst für +diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Ädilität, um die er eben +sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit +das Konsulat und durch besonderen Beschluß die Führung des +Afrikanischen Krieges zu übertragen. Er traf (607 147) in Utica in +einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der römische Admiral +Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der Belagerung der +Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten Bezirk weit +entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugänglichen Seite +der Außenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche +Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die +Außenstadt eindringen zu können. In der Tat waren die Angreifer schon +einen Augenblick innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war +der Lagertroß in der Hoffnung auf Beute in Masse herbeigeströmt, als +sie wieder auf die Klippe zurückgedrängt wurden und ohne Zufuhr und +fast abgeschnitten in der größten Gefahr schwebten. So fand Scipio die +Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte er die mitgebrachte +Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, +und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu +behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr +sich in das Lager Pisos, um das Heer zu übernehmen und nach Karthago +zurückzuführen. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, +um ihr Lager unmittelbar an die Stadt zu rücken und den Angriff auf die +Besatzung der Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien +Scipio mit dem Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten +abermals Beistand zu leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher +die Belagerung. Vor allen Dingen säuberte Scipio das Lager von der +Masse des Trosses und der Marketender und zog die erschlafften Zügel +der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen auch die militärischen +Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem nächtlichen Angriff auf +die Außenstadt gelangten von einem Turme aus, der den Mauern an Höhe +gleich vor denselben stand, die Römer auf die Zinnen und öffneten ein +Pförtchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben die +Außenstadt und das Lager vor den Toren auf und übertrugen den +Oberbefehl über die auf 30000 Mann sich belaufende städtische Besatzung +an Hasdrubal. Der neue Kommandant bewies seine Energie zuvörderst +dadurch, daß er sämtliche römische Gefangenen auf die Mauerzinnen +bringen und sie vor den Augen des Belagerungsheeres nach grausamen +Martern in die Tiefe stürzen ließ; und als hierüber Stimmen des Tadels +sich erhoben, wurde auch gegen die Bürger die Schreckensherrschaft +eingeführt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt auf sich +selber beschränkt hatte, ihr den Verkehr nach außen hin völlig +abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdrücken, +durch den die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhängt, +und schlug hier trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu +stören, ein großes, diesen Rücken in seiner ganzen Breite schließendes +Lager, das die Stadt nach der Landseite hin vollständig absperrte. +Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kühne +Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils Schiffe des Bithyas, der +von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus jeden günstigen Fahrwind +benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu bringen; wie auch daselbst +die Bürgerschaft schon litt, die Besatzung war noch hinreichend +versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und Golf in +den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuß Breite, um damit die +Hafenmündung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen +dieses anfangs von den Karthagern als unausführbar verspotteten +Unternehmens offenbar ward. Aber eine Überraschung machte die andere +wett. Während die römischen Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch +im karthagischen Hafen zwei Monate lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne +daß selbst die Überläufer zu sagen wußten, was die Belagerten +beabsichtigten. Plötzlich, als eben die Römer mit der Verbauung des +Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fünfzig +karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kähne hinaus in den +Golf -die Karthager hatten, während die Feinde die alte Hafenmündung +gegen Süden sperrten, durch einen in östlicher Richtung gezogenen Kanal +sich einen neuen Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres +an dieser Stelle unmöglich gesperrt werden konnte. Hätten die +Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu begnügen, sofort sich mit +Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und völlig unvorbereitete +römische Flotte gestürzt, so war diese verloren; als sie am dritten +Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Römer +gerüstet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rückfahrt aber +stopften sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der +Hafenmündung, daß der dadurch entstandene Schaden einer Niederlage +gleichkam. Scipio richtete nun seine Angriffe auf den äußeren Hafenkai, +welcher außerhalb der Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem +angelegten Erdwall notdürftig geschützt war. Die Maschinen wurden auf +der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit +beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen +durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die +Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, daß Scipio seine +eigenen Reiter auf sie einhauen lassen mußte, und zerstörten die +Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie Zeit, die Bresche zu schließen. +Scipio stellte indes die Maschinen wieder her und schoß die Holztürme +der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und damit den Außenhafen in +seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Höhe gleichkommender Wall +wurde hier aufgeführt, und es war jetzt endlich die Stadt von der Land- +wie von der Seeseite vollständig abgesperrt, da man nur durch den +äußeren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollständig zu +sichern, ließ Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes +befehligte, von Gaius Laelius angreifen; durch eine glückliche +Kriegslist ward es erobert und die ganze dort versammelte zahllose +Menschenmasse getötet oder gefangen. Darüber war der Winter +herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem Hunger +und den Seuchen überlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar +die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet +hatten, während Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, +zeigte sich, so wie im Frühling 608 (146) das römische Heer zum Angriff +gegen die innere Stadt überging. Hasdrubal ließ den Außenhafen anzünden +und machte sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm +abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter aufwärts die von der +ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu übersteigen und +so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber +der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den +kleinen Hafen anstoßenden Markt und drangen in den drei schmalen, von +diesem nach der Burg zu führenden Straßen langsam vor - langsam, denn +von den gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Häusern mußte eines +nach dem andern erstürmt werden; auf den Dächern oder auf über die +Straße gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser +festungsähnlichen Gebäude in das benachbarte oder gegenüberstehende vor +und stieß nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, +schreckliche für die Bewohner der Stadt und auch für die Angreifer voll +Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf +den sich Hasdrubal und die noch übrige Mannschaft zurückgezogen hatten. +Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten +Straßen anzuzünden und den Schutt zu planieren, bei welcher +Veranlassung eine Menge in den Häusern versteckter kampfunfähiger +Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg +zusammengedrängte Rest der Bevölkerung um Gnade. Das nackte Leben ward +ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Männer und +25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevölkerung. Einzig +die römischen Überläufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal +mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel +des Heilgottes geworfen: für sie, für die desertierten Soldaten wie für +den Mörder der römischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber als +nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den Tempel +anzündeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu sehen; +einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefällig um sein Leben. Es +ward ihm gewährt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter +den übrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Füßen Scipios +erblickte, schwoll ihr das stolze Herz über diese Schändung der teuren +untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd, +seines Lebens sorglich zu schonen, stürzte sie erst die Söhne und dann +sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager +wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des Volkes schämten im +stillen sich der neuesten Großtat der Nation. Die Gefangenen wurden +größtenteils zu Sklaven verkauft; einzelne ließ man im Kerker +verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als römische +Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das +bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk, +ward den Soldaten zur Plünderung preisgegeben; von den Tempelschätzen +ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den sizilischen Städten +weggeführte Beute diesen zurückgestellt, wie zum Beispiel der Stier des +Phalaris den Akragantinern; das übrige, fiel an den römischen Staat. + +Indes noch stand die Stadt zum bei weitem größten Teil. Es ist +glaublich, daß Scipio die Erhaltung derselben wünschte; wenigstens +richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio +Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der Vernunft und der Ehre +geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat befahl dem Feldherrn, +die Stadt Karthago und die Außenstadt Magalia dem Boden gleich zu +machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit Karthago +gehalten; sodann über den Boden Karthagos den Pflug zu führen, um der +Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und +Boden auf ewige Zeiten zu verwünschen, also daß weder Haus noch +Kornfeld je dort entstehen möge. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn +Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Überreste der +karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit +einer vier bis fünf Fuß tiefen, von halb verkohlten Holzstücken, +Eisentrümmern und Schleuderkugeln erfüllten Aschenlage. Wo die +fleißigen Phöniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt +hatten, weideten fortan römische Sklaven die Herden ihrer fernen +Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser +Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und +statt der Siegesfreude erfaßte den Sieger selber die Ahnung der solcher +Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung. + +Es blieb noch übrig, für die künftige Organisation der Landschaft die +Einrichtungen zu treffen. Die frühere Weise, mit den gewonnenen +überseeischen Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht +ferner beliebt. Micipsa und seine Brüder behielten im wesentlichen ihr +bisheriges Gebiet mit Einschluß der kürzlich am Bagradas und in Emporia +den Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genährte Hoffnung, +Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward für immer vereitelt; dafür +verehrte ihnen der Senat die karthagischen Büchersammlungen. Die +karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das +heißt der schmale, Sizilien zunächst gegenüberliegende Küstenstrich von +Afrika, vom Tuscafluß (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena +gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnenland, wo die +übergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwährend weiter +beschränkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Königen gehörten, +blieb den Numidiern, was sie besaßen. Allein die sorgfältige +Regulierung der Grenze zwischen der römischen Provinz und dem auf drei +Seiten dieselbe einschließenden numidischen Königreich zeugte davon, +daß Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago +verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, +andererseits darauf hinzudeuten schien, daß Rom die gegenwärtig +abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die +Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer Statthalter, +dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmäßigen Grenzverteidigung bedurfte +dieselbe nicht, da das verbündete Numidische Reich sie überall von den +Bewohnern der Wüste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im +ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf +seiten der Römer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestädte +Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die +Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistädte; +dasselbe Recht empfing die neugegründete Gemeinde der Überläufer. Das +Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten +Striches, und das der übrigen zerstörten Ortschaften ward römisches +Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die übrigen +Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und +ihre städtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre +Verfassung bis auf weitere Anordnung der römischen Regierung vorläufig +als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden für die +Nutzung des römisch gewordenen Bodens jährlich nach Rom eine ein für +allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits +mittels einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen +wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstörung +der ersten Handelsstadt des Westens waren die römischen Kaufleute, +welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica strömten +und von dort aus nicht bloß die römische Provinz, sondern auch die bis +dahin ihnen verschlossenen numidischen und gätulischen Landschaften +auszubeuten begannen. + +Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe +der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit +des römischen Senats das alte Königreich zerstückelt hatte, konnten in +sich und untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande +zuging, zeigt ein einzelner, zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo +der gesamte Regierungsrat einer dieser Eidgenossenschaften auf +Anstiften eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die +Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch die nach +griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden +Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151), +vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien plötzlich +in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des +Königs Perseus, welchem er auffallend glich, und der syrischen Laodike. +Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier +behauptete er die sicheren Beweise seiner hohen Abstammung erhalten zu +haben. Mit diesen hatte er, nach einem vergeblichen Versuch, in seinem +Heimatland sich geltend zu machen, sich an seiner Mutter Bruder, König +Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich in der Tat einige +Männer, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben und den +König bestürmten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich +wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf +Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Prätendenten +festnahm und den Römern zuschickte. Indes der Senat achtete des +Menschen so wenig, daß er ihn in einer italischen Stadt konfinierte, +ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war er nach Milet +entflohen, wo die städtischen Behörden ihn abermals aufgriffen und bei +römischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen machen +sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt +versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glück; und wunderbarerweise +fand er hier Anerkennung und Unterstützung, nicht bloß bei den +thrakischen Barbarenfürsten Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester, +und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. Mit thrakischer +Unterstützung drang der sogenannte Philipp in Makedonien ein, und +obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald einen Sieg über +das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des Strymon und +darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von ganz +Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzählung klang und so +entschieden es feststand, daß der echte Philippos Perseus’ Sohn +achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger +als ein makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker +Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der Königsherrschaft zu +sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitätsfrage sich rasch abzufinden +und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den +Thessalern, daß der Prätendent in ihr Gebiet eingerückt sei; der +römische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, daß das erste ernste +Wort dem törichten Beginnen ein Ende machen werde, vom Senat ohne +Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, mußte die achäische und +pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achäern Thessalien gegen +die Übermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Prätor +Juventius mit einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen +Streitmacht die Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging +fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum größten Teil in die Gewalt +des falschen Philippos, der sein Regiment hier und in Makedonien in +grausamer und übermütiger Weise handhabte. Endlich betrat ein stärkeres +römisches. Heer unter Quintus Caecilius Metellus den Kampfplatz und +drang, unterstützt durch die pergamenische Flotte, in Makedonien ein. +Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier die Oberhand; +allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen Heer +ein, und der Fehler des Prätendenten, sein Heer zu teilen und die eine +Hälfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Römern einen +leichten und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos flüchtete nach +Thrakien zu dem Häuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach +einem zweiten Sieg seine Auslieferung erlangte. + +Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Prätendenten +nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt +gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor, +den Makedoniern den Schatten von Selbständigkeit zu nehmen, den die +Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das Reich +Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine römische +Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, daß die römische +Regierung ihr System geändert und das Klientel- durch das +Untertanenverhältnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die +Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen +Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag +empfunden. Die früher nach den ersten römischen Siegen von Makedonien +abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Häfen +Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen +Beamtensprengel gehört hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien +vereinigt, so daß dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im +Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel +die Schutzherrlichkeit, die Rom über das eigentliche Griechenland in +Anspruch nahm, von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So +erhielt Makedonien die Einigkeit zurück und auch ungefähr wieder die +Grenzen, wie es sie in seiner blühendsten Zeit gehabt; aber es war +nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine einige Provinz, mit +kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher Organisation, +jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch +wohl auf den Landesmünzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als +Steuer blieb die alte mäßige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, +eine Summe von 100 Talenten (155000 Talern), die in festen Beträgen auf +die einzelnen Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner +alten ruhmreichen Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach +der Besiegung des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher +Perseussohn, Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion +auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quästor +Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Mühe Herr und verfolgte den +fliehenden Prätendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist +auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der +zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so große Dinge vollbracht +hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, +als daß sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation +der Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zählen. + +Fortan waren es die Römer, denen die Verteidigung der makedonischen +Nord- und Ostgrenzen, das heißt der Grenze der hellenischen +Zivilisation gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit +unzulänglichen Streitkräften und im ganzen nicht mit der gebührenden +Energie geführt; doch ist zunächst für diesen militärischen Zweck die +große Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios’ +Zeit von den beiden Haupthäfen an der Westküste, Apollonia und +Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, später noch +weiter bis an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die +natürliche Basis teils für die Züge gegen die unruhigen Dalmater, teils +für die zahlreichen Expeditionen gegen die nordwärts der griechischen +Halbinsel ansässigen illyrischen, keltischen und thrakischen Stämme, +die später in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein +werden. + +—————————————————————- + +^11 Als Handelsstraße zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als +diejenige nämlich, in deren Mitte die kerkyräischen Weinkrüge den +thasischen und lesbischen begegnen, kennt diese Straße schon der +Verfasser der pseudo-aristotelischen Schrift ‘Von den merkwürdigen +Dingen’. Auch heute noch läuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung +von Durazzo, die Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von +Ochrida (Lychnitis) durchschneidend, über Monastir nach Saloniki. + +————————————————————— + +Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst +der herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten +wohl der Ansicht sein, daß daselbst die Nachwehen des Perseischen +Krieges im Verschwinden und die Verhältnisse überhaupt auf dem Wege zum +Besseren seien. Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden +Partei, Lykiskos der Ätoler, Mnasippos der Böoter, Chrematas der +Akarnane, der schandbare Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Römer +ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes +Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten +Gegensätze verblaßt waren. Der römische Senat meinte die Zeit des +allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entließ im Jahre 604 +(150) die noch übrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten +achäischen Patrioten, deren Freigebung die achäische Tagsatzung nicht +aufgehört hatte zu fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den +Römern mit all ihrem Philhellenentum gelungen war, den hellenischen +Patriotismus innerlich zu versöhnen, offenbarte sich in nichts so +deutlich wie in der Stellung der Griechen zu den Attaliden. König +Eumenes II. war als Römerfreund in Griechenland im höchsten Grade +verhaßt gewesen; kaum aber war zwischen ihm und den Römern eine +Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland plötzlich populär ward; +wie früher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den +Erlöser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen +aber stieg in der sich selbst überlassenen hellenischen Kleinstaaterei +zusehends die soziale Zerrüttung. Das Land verödete, nicht durch Krieg +und Pest, sondern durch die immer weiter um sich greifende Abneigung +der höheren Stände, mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafür strömte +wie bisher das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend +nach Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die +Gemeinden versanken in immer tiefere Verschuldung und in ökonomische +Ehr- und die daranhängende Kreditlosigkeit; einzelne Städte, namentlich +Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum +Räuberhandwerk und plünderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere +Hader in den Bünden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den +gezwungenen Mitgliedern der Achäischen Eidgenossenschaft, war +keineswegs beigelegt. Wenn die Römer, wie es scheint, glaubten, was sie +wünschten, und der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so +sollten sie bald erfahren, daß die jüngere Generation in Hellas um +nichts besser und um nichts klüger als die ältere war. Die Gelegenheit, +um mit den Römern Händel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune. + +Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der +zeitige Vorstand der Achäischen Eidgenossenschaft, Diäos, auf der +Tagsatzung die Behauptung hin, daß die den Lakedaemoniern als Glied der +Achäischen Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die +Befreiung von der achäischen Kriminaljurisdiktion und das Recht, +Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den +Römern gewährleistet seien. Es war eine freche Lüge; allein die +Tagsatzung glaubte natürlich, was sie wünschte, und da sich die Achäer +bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand +wahrzumachen, gaben die schwächeren Spartaner vorläufig nach, oder +vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achäern begehrt ward, +verließen die Stadt, um als Kläger vor dem römischen Senat aufzutreten. +Der Senat antwortete wie gewöhnlich, daß er eine Kommission zur +Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses Bescheides +berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide falsch, daß +der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achäer, die wegen der +soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen +Philippos sich mehr als je in bundesgenössischer Gleichheit und +politischer Gewichtigkeit fühlten, rückten im Jahre 606 (148) unter +ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von +Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende römische +Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu +erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner +fielen, und Sparta hätte genommen werden können, wenn Damokritos nicht +als Offizier ebenso untüchtig gewesen wäre wie als Staatsmann. Er ward +abgesetzt, und sein Nachfolger Diäos, der Anstifter all dieses Unfugs, +setzte den Krieg eifrig fort, während er gleichzeitig den gefürchteten +Kommandanten von Makedonien der vollen Botmäßigkeit der Achäischen +Eidgenossenschaft versichern ließ. Darüber erschien die lange erwartete +römische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die +Waffen und die achäische Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um +ihre Eröffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter und +unerfreulicher Art. Die Römer hatten sich entschlossen, die +unnatürliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die achäischen +Staaten wiederaufzuheben und überhaupt gegen die Achäer durchzugreifen. +Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die ätolische Stadt +Pleuron aus ihrem Bund entlassen müssen; jetzt wurden sie angewiesen +auf sämtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte +Erwerbungen, das heißt auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im +Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder +auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurückzuführen. Wie +dies die achäischen Abgeordneten vernahmen, stürmten sie sofort auf den +Markt, ohne die Römer auch nur auszuhören, und teilten die römischen +Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der regierte Pöbel +einhellig beschloß, zu allervörderst sämtliche in Korinth anwesende +Lakedämonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglück über sie gebracht +habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der tumultuarischsten Weise, +so daß Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende +Einsperrungsgründe erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der +römischen Gesandten, um die dorthin geflüchteten Lakedaemonier +festzunehmen, und es fielen gegen die Römer harte Reden, obgleich man +an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim +und führten bittere, selbst übertriebene Beschwerde im Senat; dennoch +beschränkte sich dieser mit derselben Mäßigung, die all seine Maßregeln +gegen die Griechen bezeichnet, zunächst auf Vorstellungen. In der +mildesten Form und der Genugtuung für die erlittenen Beleidigungen kaum +erwähnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der Tagsatzung in +Aegion (Frühling 607 147) die Befehle der Römer. Aber die Leiter der +Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg +Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der höheren +Politik wohlbewanderte Leute daraus bloß den Schluß, daß die römischen +Angelegenheiten gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen +müßten, und fuhren fort, die Römer zugleich zu prellen und zu +beleidigen. Caesar ward ersucht, zur Ausgleichung der Sache eine +Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden Teile in Tegea zu +veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die lakedämonischen +Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achäer gewartet hatten, +erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, daß lediglich die +allgemeine Volksversammlung der Achäer in dieser Sache kompetent sei +und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heißt in sechs Monaten, +erledigt werden könne. Caesar ging darauf nach Rom zurück; die nächste +Volksversammlung der Achäer aber erklärte auf Kritolaos’ Antrag +förmlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen +Versuch, den Zwist in Güte beizulegen, und schickte Gesandte nach +Korinth; allein die lärmende Ekklesia, größtenteils bestehend aus dem +Pöbel der reichen Handels- und Fabrikstadt, übertobte die Stimme der +römischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbühne zu verlassen. +Kritolaos’ Erklärung, daß man die Römer wohl zu Freunden, aber nicht zu +Herren wünsche, ward mit unsäglichem Jubel aufgenommen, und als die +Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schützte der +Pöbel den Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwörter von dem +Landesverrat der Reichen und der notwendigen Militärdiktatur sowie die +geheimnisvollen Winke über die nahe bevorstehende Schilderhebung +unzähliger Völker und Könige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung +beseelt war, zeigten die beiden Beschlüsse, daß bis zum hergestellten +Frieden alle Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. +Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die +Thebaner und Böoter nämlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu +Anfang des Jahres 608 (146) rückten die Achäer in Thessalien ein, um +Herakleia am Öta, das in Gemäßheit des Senatsbeschlusses sich von der +Achäischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu +bringen. Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu +senden beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach übernahm +es Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schützen. Als +dem achäisch-thebanischen Heer das Anrücken der Römer gemeldet ward, +war von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es +wohl gelingen möchte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; +eiligst machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die +Stellung bei den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte +die Verfolgung und erreichte und schlug das griechische Heer bei +Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und Toten war +beträchtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine +Kunde vernommen. Die Trümmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen +Trupps in den hellenischen Landschaften umher und baten überall umsonst +um Aufnahme; die Abteilung von Paträ ward in Phokis, das arkadische +Elitenkorps bei Chäroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde +geräumt, und von dem Achäerheer und der in Masse flüchtenden +Bürgerschaft von Theben gelangte nur ein geringer Teil in den +Peloponnes. Metellus suchte durch die möglichste Milde die Griechen zum +Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl zum +Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; +seine wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des +Volkes, sondern an der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten +Führer. Diäos, der nach Kritolaos’ Fall wieder den Oberbefehl +übernommen hatte, berief alle Waffenfähigen auf den Isthmos und befahl, +12000 in Griechenland geborene Sklaven in das Heer einzustellen; die +Reichen wurden zu Vorschüssen angehalten und unter den +Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der +Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeräumt. +Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achäische +Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief +sich, sowie sie die römischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf +dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul +Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im römischen Hauptquartier +eintraf und das Kommando übernahm. Inzwischen boten die Achäer, +ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen +römischen Vorposten, der römischen um das Doppelte überlegenen Armee +bei Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Römer zögerten +nicht sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achäischen Reiter in +Masse aus vor der sechsfach stärkeren römischen Reiterei; die Hopliten +standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des römischen Elitenkorps +auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu +Ende. Diäos floh in seine Heimat, tötete sein Weib und nahm selber +Gift; die Städte unterwarfen sich sämtlich ohne Gegenwehr, und sogar +das unbezwingliche Korinth, in das einzurücken Mummius drei Tage +zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich +von den Römern besetzt. + +Die neue Regelung der griechischen Verhältnisse ward in Gemeinschaft +mit einer Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius übertragen, +der sich in dem eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken +erwarb. Zwar war es, gelind gesagt, eine Torheit, daß er seiner Kriegs- +und Siegestaten wegen den Namen des “Achaikers” annahm und dem Hercules +Sieger dankerfüllt einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies +er, der nicht in aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption +aufgewachsen, sondern ein “neuer Mann” und verhältnismäßig unbemittelt +war, sich gerecht und mild. Es ist eine rednerische Übertreibung, daß +von den Achäern bloß Diäos, von den Böotern bloß Pytheas umgekommen +seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward +aber doch in den Strafgerichten Maß gehalten. Den Antrag, die Statuen +des Begründers der achäischen Patriotenpartei, des Philopömen, +umzustürzen, wies Mummius zurück; die den Gemeinden auferlegten +Geldbußen wurden nicht für die römische Kasse, sondern für die +geschädigten griechischen Städte bestimmt, größtenteils auch später +erlassen und das Vermögen derjenigen Hochverräter, die Eltern oder +Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen +überwiesen. Nur die Kunstschätze wurden aus Korinth, Thespiä und +anderen Städten weggeführt und teils in der Hauptstadt, teils in den +Landstädten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stücke auch den +isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der +definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die +Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte, +die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achäische, als solche +aufgelöst, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, daß niemand +in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben dürfe, der +Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus +versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt +und in jeder Gemeinde einem aus den Vermögenden gebildeten Rat das +Regiment in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, +nach Rom zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie sämtlich dem +Statthalter von Makedonien in der Art untergeordnet, daß diesem als +oberstem Militärchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine +Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur +Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen +Gemeinden die “Freiheit”, das heißt eine, freilich durch die römische +Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle Souveränität, welche +das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und +Gerichtsbarkeit in sich schloß ^13. Einige Jahre später ward sogar +nicht bloß ein Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet, +sondern auch die drückende Beschränkung in der Veräußerung des +Grundbesitzes beseitigt. + +———————————————————— + +^12 Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in +Spanien sind noch mehrere mit Mummius’ Namen bezeichnete Basen bekannt, +die einst solche Beutegaben trugen. + +^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) römische Provinz +geworden sei oder nicht, läuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit +hinaus. Daß die griechischen Gemeinden durchgängig “frei” blieben (CIG +1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist +ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, daß Griechenland +damals von den Römern “in Besitz genommen ward” (Tac. arm. 14, 21; 1. +Makk. 8, 9,10); daß von da an jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom +entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die kleine Insel +Gyaros zum Beispiel jährlich 150 Drachmen (Strab. 10, 485); daß die +“Ruten und Beile” des römischen Statthalters fortan auch in +Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, 55) +und derselbe die Oberaufsicht über die Stadtverfassungen (CIG 1543) +sowie in gewissen Fällen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim. +2) fortan ebenso übte wie bis dahin der römische Senat; daß endlich die +makedonische Provinzialära auch in Griechenland im Gebrauch war. +Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein +anderer als derjenige, welcher überhaupt in der Stellung der freien +Städte liegt, welche bald als außerhalb der Provinz stehend (z. B. +Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. +B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der römische +Domanialbesitz in Griechenland beschränkte sich zwar auf den +Korinthischen Acker und etwa einige Stücke von Euböa (CIG 5879) und +eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte +dennoch, wenn man auf das tatsächlich zwischen den griechischen +Gemeinden und dem makedonischen Statthalter bestehende Verhältnis +sieht, ebenso wie Massalia zur Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz +Makedonien, auch Griechenland zu der makedonischen Provinz gerechnet +werden. Es finden sich sogar noch viel weitergehende Fälle: Das +Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter Bürger- oder +latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in der +caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschließlich aus +Bürgergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhören, Provinzen +zu sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der römischen provincia +hervor; sie ist zunächst nichts als das “Kommando” und alle +Verwaltungs- und Jurisdiktionstätigkeit des Kommandanten sind +ursprünglich Nebengeschäfte und Korollarien seiner militärischen +Stellung. + +Andererseits muß dagegen, wenn man die formelle Souveränität der freien +Gemeinden ins Auge faßt, zugestanden werden, daß durch die Ereignisse +des Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht +änderte: es waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, daß +statt der Achäischen Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden +Achaias als tributäre Klientelstaaten neben Rom standen und daß seit +Einrichtung der römischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt +der hauptstädtischen Behörden die Oberaufsicht über die griechischen +Klientelstaaten übernahm. Man kann demnach, je nachdem die tatsächliche +oder die formelle Auffassung überwiegt, Griechenland als Teil des +Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes wird der +ersteren Auffassung mit Recht das Übergewicht eingeräumt. + +——————————————————————- + +Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und +Korinth. Es läßt sich nichts dawider erinnern, daß die ersten beiden +entwaffnet und durch Niederreißung ihrer Mauern in offene Flecken +umgewandelt wurden; dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstörung +der ersten Handelsstadt Griechenlands, des blühenden Korinth, ein +düsterer Schandfleck in den Jahrbüchern Roms. Auf ausdrücklichen Befehl +des Senats wurden die korinthischen Bürger aufgegriffen, und was dabei +nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa +bloß ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe +nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war, +sondern dem Boden gleichgemacht und in den üblichen Bannformen jeder +Wiederanbau der öden Stätte untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an +Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten des +isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, größtenteils aber zu +römischem Gemeinland erklärt. Also erlosch der “Augapfel von Hellas”, +der letzte köstliche Schmuck des einst so städtereichen griechischen +Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so +muß die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser +Zeit selbst unumwunden eingestanden, daß an dem Kriege selbst nicht die +Römer die Schuld trugen, sondern daß die unkluge Treubrüchigkeit und +die schwächliche Tollkühnheit der Griechen die römische Intervention +erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveränität der Bünde und alles +damit verknüpften unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glück +für das Land und das Regiment des römischen Oberfeldherrn von +Makedonien, wieviel es auch zu wünschen übrig ließ, immer noch bei +weitem besser als die bisherige Wirr- und Mißregierung der griechischen +Eidgenossenschaften und der römischen Kommissionen. Der Peloponnes +hörte auf, die große Söldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und +begreiflich, daß überhaupt mit dem unmittelbaren römischen Regiment +Sicherheit und. Wohlstand einigermaßen zurückkehrten. Das +Themistokleische Epigramm, daß der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde +von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den +Untergang der griechischen Selbständigkeit. Die ungemeine Nachsicht, +welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht +in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben +Behörden gegen die Spanier und die Phöniker zusammenhält; Barbaren +grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie später Kaiser +Traianus hielten es auch die Römer dieser Zeit “für hart und +barbarisch, Athen und Sparta den noch übrigen Schatten von Freiheit zu +entreißen”. Um so schärfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde +die empörende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der +numantinischen Katastrophe gemißbilligte Behandlung von Korinth, welche +durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Abgeordneten +ausgestoßenen Schmähreden auch nach römischem Völkerrecht nichts +weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor +aus der Brutalität eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius, +sondern war eine vom römischen Rat erwogene und beschlossene Maßregel. +Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei +erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie +anfängt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen +Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die römischen Großhändler bei +der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift +man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und +weshalb man nicht bloß die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch +die Ansiedlung an dieser für den Handel so überaus günstigen Stätte für +die Zukunft verbot. Für die auch in Hellas sehr zahlreichen römischen +Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos; +wichtiger aber für den römischen Großhandel ward Delos, das, schon seit +586 (168) römischer Freihafen, einen guten Teil der Geschäfte von +Rhodos an sich gezogen hatte und nun in ähnlicher Weise in die +korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für längere Zeit der +Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14. + +————————————————— + +^14 Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen +griechischen Bronze- und Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne +Unterschied “korinthisches” oder “delisches Kupfer” genannt werden. Die +Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den +Fabrikations-, sondern von den Exportplätzen hergenommen (Plin. nat. +34, 2, 9); womit natürlich nicht geleugnet wird, daß dergleichen Gefäße +auch in Korinth und Delos selbst fabriziert wurden. + +—————————————————— + +Unvollständiger als in der nur durch schmale Meere von Italien +getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft +entwickelte sich die römische Herrschaft in dem dritten entfernteren +Weltteil. + +In Vorderasien war durch die Zurückdrängung der Seleukiden das Reich +von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die +Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kühl genug, um auf +das Unmögliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und +strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der römischen Hegemonie +sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die +Römer es erlaubten, zu fördern und die Künste des Friedens zu pflegen. +Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms nicht. Im +Besitz der europäischen Küste der Propontis, der Westküste Kleinasiens +und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen und +kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Königen, von +denen Antiochos Epiphanes († 590 164) durch die Hilfe der Attaliden auf +den Thron gelangt war, hatte König Eumenes II. durch seine bei dem +immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher +erscheinende Macht selbst den Begründern derselben Bedenken eingeflößt; +es ist schon erzählt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem +Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine +diplomatische Künste zu demütigen und zu schwächen. Die an sich schon +schwierigen Verhältnisse der Herren von Pergamon zu den ganz und halb +freien Handelsstädten innerhalb ihres Reichs und zu den barbarischen +Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung der +Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, ob nach +dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushöhen in der pamphylischen +und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich +gehörten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller +Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Königen Eumenes Il. und +Attalos II. langjährigen und energischen Widerstand in den schwer +zugänglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche +eine Zeitlang unter Zulassung der Römer unter pergamenischer +Botmäßigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes ab und begannen im +Einverständnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem König Prusias von +Bithynien, um 587 (167) plötzlich gegen ihn Krieg. Der König hatte +keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und +Tapferkeit konnte nicht verhindern, daß sie die asiatische Miliz +schlugen und das Gebiet überschwemmten; wir kennen bereits die +eigentümliche Vermittlung, zu der die Römer auf Eumenes’ Bitte sich +herbeiließen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner +wohlgefüllten Kasse eine kampffähige Armee aufzustellen, trieb er auch +die wilden Scharen schnell zurück über die Grenze seines Reiches; und +obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnäckig fortgesetzten +Versuche, dort die Hände im Spiel zu behalten, durch römischen Einfluß +vereitelt wurden ^15, hinterließ er dennoch trotz aller offenen +Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Römer +gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in +ungeschmälertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos († 616 +138) wies den Versuch des Königs Pharnakes von Pontos, sich der +Vormundschaft über Eumenes’ unmündigen Sohn zu bemächtigen, mit +römischer Hilfe zurück und regierte anstatt seines Neffen wie Antigonos +Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tüchtig, fügsam, ein echter +Attalide, verstand er es, den argwöhnischen Senat von der Nichtigkeit +der früher gehegten Besorgnisse zu überzeugen. Die antirömische Partei +beschuldigte ihn, daß er sich dazu hergebe, das Land für die Römer zu +hüten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen +lasse; indes konnte er, des römischen Schutzes sicher, in die +syrischen, kappadokischen und bithynischen Thronstreitigkeiten +entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefährlichen bithynischen Krieg, +den König Prusias II., der Jäger genannt (572 ? - 605 182-149), ein +Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten Laster in sich +vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die römische Intervention - +freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert und eine +erste Mahnung der Römer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhöhnt +worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines +Mündels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle +des friedlichen und mäßigen Bürgerkönigtums ein asiatisches +Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, daß der König, um des +unbequemen Rats seiner väterlichen Freunde sich zu entledigen, sie im +Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen und Kinder von +seinen Lanzknechten niedermachen ließ; nebenher schrieb er Bücher über +den Gartenbau, zog Giftkräuter und bossierte in Wachs, bis ein +plötzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der +Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens für die +Klientelstaaten Roms gültigen Staatsrecht der letzte Regent +testamentarisch über die Sukzession verfügen. Ob der Gedanke, das Reich +den Römern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den wahnwitzigen +Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei +Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloß eine weitere Anerkennung +der tatsächlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden. +Das Testament lag vor ^16; die Römer traten die Erbschaft an und die +Frage über das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer +Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber auch in Asien +entzündete dies Königstestament den Bürgerkrieg. Im Vertrauen auf die +Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende Fremdherrschaft trat ein +natürlicher Sohn Eumenes’ II., Aristonikos in Leukä, einer kleinen +Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokäa, als Kronprätendent auf. Phokäa +und andere Städte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in dem +festen Anschluß an Rom die einzige Möglichkeit erkannten, ihre +Privilegien sich zu erhalten, zur See auf der Höhe von Kyme geschlagen, +mußte er in das Binnenland flüchten. Schon glaubte man ihn verschollen; +da erschien er plötzlich wieder an der Spitze der neuen “Bürger der +Sonnenstadt” ^17, das heißt der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen +Sklaven, bemächtigte, sich der lydischen Städte Thyateira und Apollonis +sowie eines Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen +thrakischer Lanzknechte unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. +Römische Truppen standen in Asien nicht; die asiatischen Freistädte und +die Kontingente der Klientelfürsten von Bithynien, Paphlagonien, +Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Prätendenten sich nicht +erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein +und gebot schon fast über das gesamte väterliche Reich, als am Ende des +Jahres 623 (131) ein römisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, +der Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer +der reichsten und zugleich einer der gebildetsten Männer Roms und als +Redner wie als Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den +Prätendenten in Leukä zu belagern, ließ aber während der Vorbereitungen +dazu von dem allzu gering geschätzten Gegner sich überraschen und +schlagen und ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den +Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu +stellen, gönnte er einem solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, +die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben +(Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit +ihm, wie es scheint, fiel König Ariarathes von Kappadokien. Indes ward +Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus’ Nachfolger +Marcus Perpenna überfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in +Stratonikeia belagert und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet. +Die Unterwerfung der letzten, noch Widerstand leistenden Städte und die +definitive Regulierung der Landschaft übernahm nach Perpennas +plötzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man verfuhr ähnlich wie im +karthagischen Gebiet. Der östliche Teil des Attalidenreichs ward den +Klientelkönigen überwiesen, um die Römer von dem Grenzschutz und damit +von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; +Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europäischen +Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; +das übrige Gebiet ward als neue römische Provinz eingerichtet, der +gleich der karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils +beigelegt ward, in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt +worden waren, wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde +behandelt wie Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste +kleinasiatische Staat eine römische Vogtei. + +———————————————————— + +^15 Mehrere vor kurzem (SB München, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene +Schreiben der Könige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von +Pessinus, welcher durchgängig Attis heißt (vgl. Polyb. 22, 20), +erläutern diese Verhältnisse sehr anschaulich. Das älteste derselben +und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des +Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiäos, also 590/91 der +Stadt (164/63), bietet dem Priester militärische Hilfe an, um den +(sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu +entreißen. Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den König +als Partei in der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen +Bruder Aiorix. Ohne Zweifel gehörten beide Handlungen des Eumenes zu +denjenigen, die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als +Versuche desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch +fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu stützen (Polyb. +31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines +Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geändert und die +Wünsche herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer +Zusammenkunft in Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter +Hilfe erhalten zu haben; nachher aber schreibt ihm der König, daß in +einem deswegen abgehaltenen Staatsrat, dem Athenäos (sicher der +bekannte Bruder des Königs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere +Verwandte (αναγκαίοι) beigewohnt hätten, nach langem Schwanken endlich +die Majorität dem Chloros dahin beigetreten sei, daß nichts geschehen +dürfe, ohne die Römer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg +erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem bösen +Verdacht aus, “den sie auch gegen den Bruder” (Eumenes II.) “gehegt +hätten”. + +^16 In demselben Testament gab der König seiner Stadt Pergamon die +“Freiheit”, das heißt die δημοκρατία, das städtische Selbstregiment. +Laut einer merkwürdigen, kürzlich dort gefundenen Urkunde (Römisches +Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloß nach Eröffnung des +Testaments, aber vor dessen Bestätigung durch die Römer der also +konstituierte Demos den bisher vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Klassen +der Bevölkerung, insbesondere den im Zensus aufgeführten Paröken und +den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das +städtische Bürgerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverständnis +in der gesamten Bevölkerung herbeizuführen. Offenbar wollte die +Bürgerschaft, indem sie die Römer vor die vollendete Tatsache dieser +umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der +römischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den +fremden Gebietern die Möglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten +innerhalb der Bevölkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu +benutzen. + +^17 Diese seltsamen “Heliopoliten” sind, nach der mir von einem Freunde +geäußerten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, daß die befreiten +Sklaven als Bürger einer umgenannten oder auch vielleicht für jetzt nur +gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem +in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing. + +—————————————————————————— + +Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Städte Vorderasiens, das +Königreich Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fürstentümer, +die lykische und die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistädte +Kyzikos und Rhodos blieben in ihren bisherigen beschränkten +Verhältnissen bestehen. + +Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem König Ariarathes V. +Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsächlich durch Hilfe der +Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstützten Bruder und +Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische +Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung +auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin +fast barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswüchse, +wie der Bakchosdienst und das wüste Treiben der wandernden +Schauspielertruppen, der sogenannten “Künstler”. Zum Lohn der Treue +gegen Rom, die dieser Fürst in dem Kampfe gegen den pergamenischen +Prätendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmündiger Erbe +Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem König von Pontos versuchte +Usurpation durch die Römer geschirmt, sondern ihm auch der südöstliche +Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der östlich daran +grenzenden, .in älterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft. + +Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte “Kappadokien am Meer” +oder kurzweg der “Meerstaat”, Pontos, zu steigender Ausdehnung und +Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte König +Pharnakes I. sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an, der +bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich +bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Könige Residenz +ward. Zwar hatten die durch diese Übergriffe gefährdeten +Nachbarstaaten, König Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen +ihn geführt (571-575 183-179) und unter römischer Vermittlung das +Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien zu räumen; +allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, daß Pharnakes sowie sein +Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120), treue +Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen +Aristonikos, nicht bloß jenseits des Halys sitzen geblieben sind, +sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit über die +paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter +dieser Voraussetzung ist es erklärlich, wie Mithradates, angeblich +wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat für +beträchtliche an den römischen Feldherrn gezahlte Summen, von demselben +nach Auflösung des Attalischen Reiches Großphrygien empfangen konnte. +Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das +:Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu +bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von Armenien um Enderes +und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien als abhängige Satrapie +umfaßt zu haben, während Groß -Armenien und Sophene eigene unabhängige +Reiche bildeten. + +Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das +Regiment führte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen +geschah, doch den Besitzstand im ganzen bestimmt, so blieben dagegen +die weiten Strecken jenseits des Taurus und des oberen Euphrat bis +hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber überlassen. Zwar der der +Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte Satz, daß der +Halys die Ostgrenze der römischen Klientel bilden solle, ward vom Senat +nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der +politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische; wenn +dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und +Kriegselefanten im Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das +syrische Heer auf Befehl des römischen Senats das halb gewonnene +Ägypten räumte, so lag da in die vollständige Anerkennung der Hegemonie +und der Klientel. Darum gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in +Syrien wie in Ägypten zur Beilegung an die römische Regierung. Dort +stritten nach Antiochos Epiphanes’ Tode (590 164) der als Geisel in Rom +lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, später Soter genannt, und +des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos +Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170) +gemeinschaftlich regierenden Brüdern der ältere Ptolemaeos Philometor +(573-608 146-131) durch den jüngeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den +Dicken († 637 117) aus dem Lande getrieben worden (590 164) und, um +seine Herstellung zu erwirken, persönlich in Rom erschienen. Beide +Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf diplomatischem Wege und +wesentlich nach Maßgabe des römischen Vorteils. In Syrien ward +Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios als +König anerkannt und mit der Führung der Vormundschaft über den +königlichen Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat +beauftragt, welcher, wie begreiflich, durchaus im römischen Interesse +regierte, die Kriegsflotte und das Elefantenheer dem Friedensvertrag +von 565 (189) gemäß reduzierte und im besten Zuge war, den +militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Ägypten ward nicht bloß +Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist +ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Ägyptens +zu schwächen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben +abgefunden. “Könige sind, wen die Römer wollen”, schrieb nicht lange +nachher ein jüdischer Mann, “und wen sie nicht wollen, den verjagen sie +von Land und Leuten”. Allein dies war für lange Zeit das letzte Mal, +daß der römische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen +Tüchtigkeit und Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit +Philippos, Antiochos und Perseus durchgängig bewährt hatte. Der +innerliche Verfall des Regiments wirkte am spätesten, aber wirkte doch +endlich auch zurück auf die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten. +Das Regiment ward unstet und unsicher; man ließ die eben erfaßten Zügel +erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent +von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurückgewiesene Prätendent +Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter dem dreisten +Vorgeben, daß der römische Senat ihn dazu bevollmächtigt habe, nach +Beseitigung des königlichen Knaben der Regierung seines väterlichen +Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Königen von Ägypten +und Kyrene Krieg aus über den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat +zuerst dem älteren, sodann dem jüngeren zugeschieden hatte, und im +Widerspruch mit der neuesten römischen Entscheidung blieb dieselbe +schließlich bei Ägypten. So wurde die römische Regierung, in der Fülle +ihrer Macht und während des tiefsten inneren und äußeren Friedens +daheim, von den ohnmächtigen Königen des Ostens mit ihren Dekreten +verhöhnt, ihr Name gemißbraucht, ihr Mündel und ihr Kommissar ermordet. +Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in ähnlicher Weise sich an +römischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem +Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und +Flotte die Mörder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit ließ +dem Gnaeus Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der +Väter es vorschrieb; aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward +Demetrios als König des Landes anerkannt - man war ja jetzt so mächtig, +daß es überflüssig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloß +Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Ägypten, +sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte +und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, ließ der Senat +auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgängen war der +römische Einfluß in diesen Landschaften tatsächlich gebrochen und +entwickelten sich die Verhältnisse daselbst zunächst ohne Zutun der +Römer; doch ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, +auch jetzt den näheren und selbst den ferneren Osten nicht völlig aus +den Augen zu verlieren. + +Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Ägypten der Status quo sich so +leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- und +jenseits des Euphrat während und zum Teil infolge dieser momentanen +Stockung der römischen Oberleitung die Völker und Staaten sich +wesentlich anders. Jenseits der großen iranischen Wüste hatten nicht +lange nach Alexander dem Großen am Indus das Reich von Palimbothra +unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der mächtige +baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und +der östlichsten Ausläufer hellenischer Zivilisation sich gebildet. +Westwärts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos +dem Großen zwar geschmälert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont +bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und +das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloß. Noch jener +König hatte seine Waffen bis jenseits der Wüste in das Gebiet der +Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat +angefangen sich aufzulösen. Nicht bloß Vorderasien war infolge der +Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gänzliche Lösung der +beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien +im Nordosten und der Landschaft Sophene im Südwesten, und ihre +Verwandlung in selbständige Königreiche aus syrischen +Lehnsfürstentümern, gehört dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte +namentlich Großarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen +Stellung. Vielleicht noch gefährlichere Wunden schlug dem Reiche seines +Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175-164) törichte +Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, daß sein Reich mehr einem +Länderbündel als einem Staate glich und daß die Verschiedenheiten der +Nationalitäten und der Religionen der Untertanen der Regierung die +wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan, +hellenisch-römische Weise und hellenisch-römischen Kultus überall in +seinem Lande einzuführen und seine Völker in politischer wie in +religiöser Hinsicht auszugleichen unter allen Umständen eine Torheit, +auch abgesehen davon, daß dieser karikierte Joseph II. persönlich einem +solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war und +durch Tempelplünderung im großartigsten Maßstab und die tollste +Ketzerverfolgung seine Reformen in der übelsten Weise einleitete. Die +eine Folge hiervon war, daß die Bewohner der Grenzprovinz gegen +Ägypten, die Juden, sonst bis zur Demütigkeit fügsame und äußerst +tätige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang +zur offenen Empörung gedrängt wurden (um 587 167). Die Sache kam an den +Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter mit +gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und +Seleukiden besorgte, überhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht +zwischen Syrien und Ägypten im Interesse Roms lag, so machte er keine +Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation +sofort anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom für die +Juden nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemühen; trotz der +Klausel des zwischen den Römern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, +die den Juden, im Fall sie angegriffen würden, den Beistand Roms +versprach, und trotz des an die Könige von Syrien und Ägypten +gerichteten Verbots, ihre Truppen durch das jüdische Land zu führen, +blieb es natürlich lediglich jenen selbst überlassen, der syrischen +Könige sich zu erwehren. Mehr als die Briefe ihrer mächtigen +Verbündeten tat für sie die tapfere und umsichtige Leitung des +Aufstandes durch das Heldengeschlecht der Makkabäer und die innere +Zerrissenheit des Syrischen Reiches: während des Haders zwischen den +syrischen Königen Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die +Autonomie und Steuerfreiheit förmlich zugestanden (612 142) und bald +darauf sogar das Haupt des Makkabäerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, +von der Nation wie von dem syrischen Großkönig als Hochpriester und +Fürst Israels förmlich anerkannt ^18 (615 139). + +————————————————————- + +^18 Von ihm rühren die Münzen her mit der Aufschrift “Shekel Israel” +und der Jahreszahl des “heiligen Jerusalem” oder “der Erlösung Sions”. +Die ähnlichen mit dem Namen Simons, des Fürsten (Nessi) Israel, gehören +nicht ihm, sondern dem Insurgentenführer Bar Kochba unter Hadrian. + +————————————————————— + +Folgenreicher noch als diese Insurrektion der Israeliten war die +gleichzeitig und wahrscheinlich aus gleicher Ursache entstandene +Bewegung in den östlichen Landschaften, wo Antiochos Epiphanes die +Tempel der persischen Götter nicht minder leerte wie den von Jerusalem +und dort den Anhängern des Ahuramazda und des Mithra es nicht besser +gemacht haben wird wie hier denen des Jehova. Wie in Judäa, nur in +weiterem Umfang und in großartigeren Verhältnissen, war das Ergebnis +eine Reaktion der einheimischen Weise und der einheimischen Religion +gegen den Hellenismus und die hellenischen Götter; die Träger dieser +Bewegung waren die Parther und aus ihr entsprang das große +Partherreich. Die “Parthwa” oder Parther, die als eine der zahllosen in +das große Perserreich aufgegangenen Völkerschaften früh, zuerst im +heutigen Khorasan südöstlich vom Kaspischen Meere begegnen, erscheinen +schon seit 500 (250) unter dem skythischen, das heißt turanischen +Fürstengeschlecht der Arsakiden als ein selbständiger Staat, der indes +erst ein Jahrhundert später aus seiner Dunkelheit hervortrat. Der +sechste Arsakes, Mithradates I. (579? - 618? 175-136), ist der +eigentliche Gründer der parthischen Großmacht. Ihm erlag das an sich +weit mächtigere, aber teils durch die Fehden mit den skythischen +Reiterscharen von Turan und mit den Staaten am Indus, teils durch +innere Wirren bereits in allen Fugen erschütterte Baktrische Reich. +Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften westlich von der +großen Wüste. Das Syrische Reich war eben damals, teils infolge der +verfehlten Hellenisierungsversuche des Antiochos Epiphanes, teils durch +die nach dessen Tode eintretenden Sukzessionswirren, aufs tiefste +zerrüttet und die inneren Provinzen im vollen Zuge, sich von Antiocheia +und der Küstenlandschaft abzulösen; in Kommagene zum Beispiel, der +nördlichsten Landschaft Syriens an der kappadokischen Grenze, machte +der Satrap Ptolemaeos, auf dem entgegengesetzten Ufer des Euphrat im +nördlichen Mesopotamien oder der Landschaft Osrhoene der Fürst von +Edessa, in der wichtigen Provinz Medien der Satrap Timarchos sich +unabhängig; ja der letztere ließ sich vom römischen Senat seine +Unabhängigkeit bestätigen und herrschte, gestützt auf das verbündete +Armenien, bis hinab nach Seleukeia am Tigris. Unordnungen dieser Art +waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, sowohl die Provinzen unter +ihren halb oder ganz unabhängigen Satrapen in ewigem Aufstand als auch +die Hauptstadt mit ihrem gleich dem römischen und dem alexandrinischen +zuchtlosen und widerspenstigen Pöbel. Die gesamte Meute der +Nachbarkönige, Ägypten, Armenien, Kappadokien, Pergamon, mengte +unaufhörlich sich in die Angelegenheiten Syriens und nährte die +Erbfolgestreitigkeiten, so daß der Bürgerkrieg und die faktische +Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr Prätendenten fast zur +stehenden Landplage ward. Die römische Schutzmacht, wenn sie die +Nachbarn nicht aufstiftete, sah untätig zu. Zu allem diesem drängte von +Osten her das neue Partherreich, nicht bloß mit seiner materiellen +Macht, sondern auch mit dem ganzen Übergewicht seiner nationalen +Sprache und Religion, seiner nationalen Heer- und Staatsverfassung auf +die Fremdlinge ein. Es ist hier noch nicht der Ort dies regenerierte +Kyrosreich zu schildern; es genügt im allgemeinen, daran zu erinnern, +daß, so mächtig auch in ihm noch der Hellenismus auftritt, dennoch der +parthische Staat, verglichen mit dem der Seleukiden, auf einer +nationalen und religiösen Reaktion beruht und die alte iranische +Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die orientalische +Lehnsverfassung, die Reiterei der Wüste und Pfeil und Bogen hier zuerst +dem Hellenismus wieder übermächtig entgegentraten. Die Lage der +Reichskönige diesem allem gegenüber war in der Tat beklagenswert. Das +Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt wie zum Beispiel +das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es nicht an +Tapferkeit und Fähigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder den +andern jener zahllosen Rebellen, Prätendenten und Intervenienten in +seine Schranken zurück; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an +einer festen Grundlage, daß sie dennoch der Anarchie nicht auch nur +vorübergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein +mußte. Die östlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschützten +oder gar aufrührerischen Satrapen gerieten unter parthische +Botmäßigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom +Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden +Seiten der großen Wüste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur +Arabischen Wüste, wiederum gleich dem Perserreich und all den älteren +asiatischen Großstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum +eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit +den Völkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische +Staat umfaßte außer der Küstenlandschaft höchstens noch Mesopotamien +und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerrüttung als seiner +Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Großstaaten. Wenn die +mehrfach drohende gänzliche Unterjochung des Landes durch die Parther +unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden, +noch weniger dem Einfluß Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den +vielfältigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem den +Einfällen der turanischen Steppenvölker in dessen östliche +Landschaften. + +Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im inneren Asien ist der +Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Völkerflut, die +bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem großen Alexander +ihren letzten und höchsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die Ebbe. +Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloß verloren, was in Baktrien +und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben +mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurück in das +seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. Der +römische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik +Alexanders und leitet damit jene rückläufige Bewegung ein, deren letzte +Ausläufer im Alhambra von Granada und in der Großen Moschee von +Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragä und Persepolis +bis zum Mittelmeer dem König von Antiochia gehorchte, erstreckte auch +Roms Macht sich bis an die Grenze der großen Wüste; der Partherstaat, +nicht weil er so gar mächtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt +fern von der Küste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in +die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den +Okzidentalen allein gehört und schien der Orient für diese nur zu sein, +was später Amerika und Australien für die Europäer wurden; mit +Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen +Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren. + +Es ist noch übrig, auf die maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen +Blick zu werfen, obwohl darüber sich kaum etwas anderes sagen läßt, als +daß es nirgends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, +Syriens Kriegsflotte vertragsmäßig zugrunde gerichtet, Ägyptens einst +so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwärtigen schlaffen Regenten +in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstädte +hatten wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genügten nicht einmal +für die im Mittelmeere so schwierige Unterdrückung des Seeraubs. Mit +Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der führenden Macht im Mittelmeer. +Wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin mit besonderer und +wohltätiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten +ihre Suprematie zunächst eingeführt hatten durch die zum allgemeinen +Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die +vollständige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den +furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene +Flotte besaß Rom nicht mehr; man begnügte sich, wenn es nötig schien, +von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestädten +Schiffe einzufordern. Die Folge war natürlich, daß das Flibustierwesen +sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrückung geschah +nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare +Macht der Römer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die +gegen die dalmatischen und ligurischen Küsten in dieser Epoche +gerichteten Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrückung des +Seeraubs in den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im +Jahre 631 (123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den +mauretanischen und den griechischen Gewässern blieb es den Anwohnern +und den Schiffern überlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die +andere Weise sich abzufinden, da die römische Politik daran festhielt +sich um diese entfernteren Gegenden so wenig wie irgend möglich zu +kümmern. Die zerrütteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich +selbst überlassenen Küstenstaaten wurden hierdurch natürlich zu +Freistätten der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien +nicht. Am ärgsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch +eine glückliche Lage und die Schwäche oder Schlaffheit der Großstaaten +des Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen +seine Unabhängigkeit bewahrt hatte; die römischen Kommissionen kamen +und gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch +weniger aus als selbst in Syrien und Ägypten. Fast schien es aber, als +habe das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen, +was herauskomme bei der hellenischen Unabhängigkeit. Es war ein +schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen war +ähnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wüste Demokratie, der +ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein +achtbarer Hellene selbst bezeugt es, daß allein auf Kreta nichts für +schimpflich gelte, was einträglich sei, und noch der Apostel Paulus +führt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: “Lügner sind +all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter.” Die ewigen Bürgerkriege +verwandelten trotz der römischen Friedensstiftungen auf der alten +“Insel der hundert Städte” eine blühende Ortschaft nach der andern in +Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Räuber die Heimat und +die Fremde, die Länder und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz für +die umliegenden Königreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht mehr +geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie denn +zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische +Korsarenflotte völlig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem +Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel +zugefügten Schlägen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine +letzten Kräfte in den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie +gegen die Kreter zu führen sich genötigt sah (um 600 150) und in denen +die Römer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es +scheint, ohne Erfolg. + +Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, für diese Flibustierwirtschaft +eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht bloß die Ohnmacht der +syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: der Usurpator Diodotos +Tryphon, der sich vom Sklaven zum König Syriens aufgeschwungen hatte +(608-615 146-139), förderte, um durch Korsarenhilfe seinen Thron zu +befestigen, in seinem Hauptsitz, dem Rauhen oder westlichen Kilikien, +mit allen Mitteln von oben herab die Piraterie. Der ungemein +gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich die +hauptsächlichsten Sklavenfänger und Sklavenhändler waren, verschaffte +ihnen bei dem kaufmännischen Publikum, sogar in Alexandreia, Rhodos und +Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die Regierungen wenigstens +durch Passivität sich beteiligten. Das Übel ward so ernsthaft, daß der +Senat um 611 (143) seinen besten Mann, Scipio Aemilianus, nach +Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was +sich dabei tun lasse. Allein diplomatische Vorstellungen der Römer +machten die schwachen Regierungen nicht stark; es gab keine andere +Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen Gewässern zu unterhalten, +wozu es wieder der römischen Regierung an Energie und Konsequenz +gebrach. So blieb eben alles beim alten, die Piratenflotte die einzige +ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der Menschenfang das einzige +daselbst blühende Gewerbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu, +die römischen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem +Sklavenmarkt mit den Piratenkapitänen als den bedeutendsten +Großhändlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem und +freundlichem Geschäftsverkehr. + +Wir haben die Umgestaltung der äußeren Verhältnisse Roms und der +römisch-hellenischen Welt überhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht +bei Pydna bis auf die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil +und zum Euphrat begleitet. Es war eine große und schwierige Aufgabe, +die Rom mit dem Regimente dieser römisch-hellenischen Welt übernahm; +sie ward nicht völlig verkannt, aber keineswegs gelöst. Die +Unhaltbarkeit des Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien +zu beschränken und außerhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen, +ward von den leitenden Männern der folgenden Generation wohl begriffen +und wohl die Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses +Klientelregiments eine die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare +Herrschaft Roms zu setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch +und gleichmäßig durchzuführen, wurden einzelne Landschaften eingezogen, +wo eben Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu führten, +wogegen der größere Teil des Klientelgebiets entweder in der +unerträglichen Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar, +wie namentlich Syrien, sich gänzlich dem Einfluß Roms entzog. Aber auch +das Regiment selbst ging mehr und mehr auf in einem schwächlichen und +kurzsichtigen Egoismus. Man begnügte sich von heute auf morgen zu +regieren und nur eben die laufenden Geschäfte notdürftig zu erledigen. +Man war gegen die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in +Karien dem Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines +Sturmbocks einen andern Balken als den verlangten sandte, ward der +Vorstand der Stadt deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein +schlechter Mann und ein streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die +Strenge da vermißt, wo sie an ihrem Platz gewesen wäre, wie gegen die +angrenzenden Barbaren und gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung +auf jede Oberleitung und jede Übersicht der Provinzialverhältnisse +Verzicht tat, gab sie dem jedesmaligen Vogt nicht bloß die Interessen +der Untertanen, sondern auch die des Staates vollständig preis. Die +spanischen Vorgänge, unbedeutend an sich, sind hierfür belehrend. Hier, +wo die Regierung weniger als in den übrigen Provinzen sich auf die +bloße Zuschauerrolle beschränken konnte, wurde nicht bloß von den +römischen Statthaltern das Völkerrecht geradezu mit Füßen getreten und +durch eine Wort- und Treulosigkeit sondergleichen, durch das +frevelhafteste Spiel mit Kapitulationen und Verträgen, durch +Niedermetzelung untertäniger Leute und Mordanstiftung gegen die +feindlichen Feldherren die römische Ehre dauernd im Kote geschleift, +sondern es ward auch gegen den ausgesprochenen Willen der römischen +Oberbehörde Krieg geführt und Friede geschlossen und aus unbedeutenden +Vorfällen; wie zum Beispiel dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine +seltene Vereinigung von Verkehrtheit und Verruchtheit eine für den +Staat verhängnisvolle Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, +ohne daß in Rom auch nur eine ernstliche Bestrafung deswegen verfügt +ward. Über die Besetzung der wichtigsten Stellen und die Behandlung der +bedeutendsten politischen Fragen entschieden nicht bloß die Sympathien +und Rivalitäten der verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand +selbst schon das Gold der auswärtigen Dynasten Eingang bei den +Ratsherren von Rom. Als der erste, der mit Erfolg versuchte, den +römischen Senat zu bestechen, wird Timarchos genannt, der Gesandte des +Königs Antiochos Epiphanes von Syrien († 590 164); bald wurde die +Beschenkung einflußreicher Senatoren durch auswärtige Könige so +gewöhnlich, daß es auffiel, als Scipio Aemilianus die im Lager vor +Numantia ihm von dem König von Syrien zugekommenen Gaben in die +Kriegskasse einwarf. Durchaus ließ man den alten Grundsatz fallen, daß +der Lohn der Herrschaft einzig die Herrschaft und die Herrschaft +ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie ein Recht und ein Vorteil +sei. So kam die neue Staatswirtschaft auf, welche von der Besteuerung +der Bürger absah und dagegen die Untertanenschaft als einen nutzbaren +Besitz der Gemeinde teils von Gemeinde wegen ausbeutete, teils der +Ausbeutung durch die Bürger überlieferte; nicht bloß wurde dem +rücksichtslosen Geldhunger des römischen Kaufmanns in der +Provinzialverwaltung mit frevelhafter Nachgiebigkeit Spielraum +gestattet, sondern es wurden sogar die ihm mißliebigen Handelsrivalen +durch die Heere des Staats aus dem Wege geräumt und die herrlichsten +Städte der Nachbarländer nicht der Barbarei der Herrschsucht, sondern +der weit scheußlicheren Barbarei der Spekulation geopfert. Durch den +Ruin der älteren, der Bürgerschaft allerdings schwere Opfer +auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten Ende doch nur auf +seinem militärischen Übergewicht ruhende Staat sich selber die Stütze +ab. Die Flotte ließ man ganz eingehen, das Landkriegswesen in der +unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung der asiatischen und +afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen abgewälzt und was man +nicht von sich abwälzen konnte, wie die italische, makedonische und +spanische Grenzverteidigung, in der elendesten Weise verwaltet. Die +besseren Klassen fingen an so sehr aus dem Heere zu verschwinden, daß +es schon schwer hielt, für die spanischen Heere die erforderliche +Anzahl von Offizieren aufzutreiben. Die immer steigende Abneigung +namentlich gegen den spanischen Kriegsdienst in Verbindung mit der von +den Beamten bei der Aushebung bewiesenen Parteilichkeit nötigten im +Jahre 602 (152) zum Aufgeben der alten Übung, die Auswahl der +erforderlichen Anzahl Soldaten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem +freien Ermessen der Offiziere zu überlassen, und zu deren Ersetzung +durch das Losen der sämtlichen Dienstpflichtigen - sicher nicht zum +Vorteil des militärischen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der +einzelnen Abteilungen. Die Behörden, statt mit Strenge durchzugreifen, +erstreckten die leidige Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal +ein Konsul für den spanischen Dienst pflichtmäßig strenge Aushebungen +veranstaltete, so machten die Tribune Gebrauch von ihrem +verfassungsmäßigen Recht, ihn zu verhaften (603, 616 151,138); und es +ward schon bemerkt, daß Scipios Ansuchen, ihm für den Numantinischen +Krieg die Aushebung zu gestatten, vom Senat geradezu abgeschlagen ward. +Schon erinnern denn auch die römischen Heere vor Karthago oder Numantia +an jene syrischen Armeen, in denen die Zahl der Bäcker, Köche, +Schauspieler und sonstigen Nichtkombattanten die der sogenannten +Soldaten um das Vierfache überstieg; schon geben die römischen Generale +ihren karthagischen Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und +werden die Kriege in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien +regelmäßig mit Niederlagen eröffnet; schon schweigt man still zu der +Ermordung des Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus’ Meuchelmord ein +Meisterwerk der römischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia +eine Großtat. Wie völlig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits +den Römern abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schärfe +die Bildsäule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser +selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen +ließ. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie +seine äußere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkämpfen gewonnene +Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal +behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu +bewahren; jenes hatte der römische Senat vermocht, an diesem ist er +gescheitert. + + + + +KAPITEL II. +Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus + + +Ein volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der +römische Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberfläche +bewegten Ruhe. Das Gebiet dehnte über die drei Weltteile sich aus; der +Glanz der römischen Macht und der Ruhm des römischen Namens waren in +dauerndem Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller +Reichtum strömten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und +geistigen Lebensgenusses schien dort beginnen zu müssen. Mit +Bewunderung erzählten sich die Orientalen dieser Zeit von der mächtigen +Republik des Westens, “die die Königreiche bezwang fern und nah, und +wer ihren Namen vernahm, der fürchtete sich; mit den Freunden und +Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war +bei den Römern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte +keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn +machten, auf den hörten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch +Zwietracht.” + +So schien es in der Ferne; in der Nähe sahen die Dinge anders aus. Das +Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein eigenes Werk zu +verderben. Nicht als wären die Söhne und Enkel der Besiegten von Cannae +und der Sieger von Zama so völlig aus der Art ihrer Väter und Großväter +geschlagen; es waren weniger andere Menschen, die jetzt im Senate +saßen, als eine andere Zeit. Wo eine geschlossene Zahl alter Familien +festgegründeten Reichtums und ererbter staatsmännischer Bedeutung das +Regiment führt, wird sie in den Zeiten der Gefahr eine ebenso +unvergleichlich zähe Folgerichtigkeit und heldenmütige Opferfähigkeit +entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe kurzsichtig, eigensüchtig und +schlaff regieren - zu dem einen wie dem andern liegen die Keime im +Wesen der Erblichkeit und der Kollegialität. Der Krankheitsstoff war +längst vorhanden, aber ihn zu entwickeln bedurfte es der Sonne des +Glückes. In Catos Frage, was aus Rom werden solle, wenn es keinen Staat +mehr zu fürchten haben werde, lag ein tiefer Sinn. Jetzt war man so +weit: jeder Nachbar, den man hätte fürchten mögen, war politisch +vernichtet, und von den Männern, welche unter der alten Ordnung der +Dinge, in der ernsten Schule des Hannibalischen Krieges erzogen waren +und aus denen der Nachklang jener gewaltigen Zeit bis in ihr spätestes +Alter noch widerhallte, rief der Tod einen nach dem andern ab, bis +endlich auch die Stimme des letzten von ihnen, des alten Cato, im +Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte. Eine jüngere Generation kam +an das Regiment, und ihre Politik war eine arge Antwort auf jene Frage +des alten Patrioten. Wie das Untertanenregiment und die äußere Politik +unter ihren Händen sich gestalteten, ist bereits dargelegt worden. +Womöglich noch mehr ließ man in den inneren Angelegenheiten das Schiff +vor dem Winde treiben; wenn man unter innerem Regiment mehr versteht +als die Erledigung der laufenden Geschäfte, so ward in dieser Zeit +überhaupt in Rom nicht regiert. Der einzige leitende Gedanke der +regierenden Korporation war die Erhaltung und womöglich Steigerung +ihrer usurpierten Privilegien. Nicht der Staat hatte für sein höchstes +Amt ein Anrecht auf den rechten und den besten Mann, sondern jedes +Glied der Kamaraderie ein angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz +der Standesgenossen noch durch Übergriffe der Ausgeschlossenen zu +verkürzendes Anrecht auf das höchste Staatsamt. Darum steckte die +Clique zu ihrem wichtigsten politischen Ziel sich die Beschränkung der +Wiederwahl zum Konsulat und die Ausschließung der “neuen Menschen”; es +gelang denn auch in der Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich +untersagt zu erhalten ^1 und auszureichen mit einem Regiment adliger +Nullitäten. Auch die Tatenlosigkeit der Regierung nach außen hin hängt +ohne Zweifel mit dieser gegen die Bürgerlichen ausschließenden und +gegen die einzelnen Standesglieder mißtrauischen Adelspolitik zusammen. +Man konnte gemeine Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den +lauteren Kreisen der Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem +man überhaupt es keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch würde dem +bestehenden Regiment der allgemeinen Mittelmäßigkeit selbst ein adliger +Eroberer Syriens oder Ägyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings +fehlte es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis +zu einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege. +Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst oder +gelegentlich durch außerordentliche Kommissionen über die +Provinzialbeamten ausübte, reichte anerkanntermaßen nicht aus; es war +eine für das ganze öffentliche Leben der römischen Gemeinde +folgenreiche Neuerung, daß im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius +Calpurnius Piso eine ständige Senatorenkommission (quaestio ordinaria) +niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die +vorgesetzten römischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen +Formen zu prüfen. Man suchte die Komitien von dem übermächtigen Einfluß +der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der römischen +Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen der +Bürgerschaft, welche zuerst für die Magistratswahlen durch das +Gabinische (615 139), dann für die Volksgerichte durch das Cassische +(617 137), endlich für die Abstimmung über Gesetzvorschläge durch das +Papirische Gesetz (623 131) eingeführt ward. In ähnlicher Weise wurden +bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluß angewiesen, +bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf +den bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu +verzichten. In diesen auf die Emanzipation der Wählerschaft von dem +regierenden Herrenstand gerichteten Maßregeln mochte die Partei, die +sie veranlaßte, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates +erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit +des gesetzlich höchsten Organs der römischen Gemeinde auch nicht das +mindeste geändert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging, +nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel +war die förmliche Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der +Bürgerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres Versammlungsplatzes +von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf den Marktplatz zuteil +ward (um 609 145). + +———————————————————— + +^1 Im Jahre 537 (217) wurde das die Wiederwahl zum Konsulat +beschränkende Gesetz auf die Dauer des Krieges in Italien (also bis 551 +203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach Marcellus’ Tode 546 (208) aber sind +Wiederwahlen zum Konsulat, wenn die abdizierenden Konsuln von 592 (162) +nicht mitgerechnet werden, überhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, +554, 560, 579, 585, 586, 591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, +168, 163, 158, 155, 152); also nicht öfter in diesen sechsundfünfzig +als zum Beispiel in den zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von +diesen, und eben die letzte, ist mit Verletzung des zehnjährigen +Intervalls erfolgt; und ohne Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus +Marcellus, Konsul 588 (166) und 599 (155), zum dritten Konsulat für 602 +(152), deren nähere Umstände wir nicht kennen, die Veranlassung der +gesetzlichen Untersagung der Wiederwahl zum Konsulat überhaupt (Liv. +ep. 56) geworden; zumal da dieser Antrag, als von Cato unterstützt (p. +55 Jordan), vor 605 (149) eingebracht worden sein muß. + +——————————————————- + +Aber diese Fehde der formalen Volkssouveränität gegen die tatsächlich +bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die +Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war in +den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig zu +spüren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die jährlichen +Gemeindewahlen zu den bürgerlichen Ämtern, namentlich zum Konsulat und +zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und den Brennpunkt des +politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen Fällen waren in +den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte politische +Prinzipien verkörpert; regelmäßig blieben dieselben rein persönliche +Fragen und war es für den Gang der Angelegenheiten gleichgültig, ob die +Majorität der Wahlkörper dem Cäcilier oder dem Cornelier zufiel. Man +entbehrte also dessen, was die Übelstände des Parteilebens alle +überträgt und vergütet, der freien und gemeinschaftlichen Bewegung der +Massen nach dem als zweckmäßig erkannten Ziel, und duldete sie dennoch +alle lediglich zum Frommen des kleinen Spiels der herrschenden +Koterien. + +Es war dem römischen Adligen verhältnismäßig leicht, die Ämterlaufbahn +als Quästor und Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des +Konsulats und der Zensur war auch ihm nur durch große und jahrelange +Anstrengungen möglich. Der Preise waren viele, aber der lohnenden +wenige; die Kämpfer liefen, wie ein römischer Dichter einmal sagt, wie +in einer an den Schranken weiten, allmählich mehr und mehr sich +verengenden Bahn. Das war recht, solange das Amt war, wie es hieß, eine +“Ehre”, und militärische, politische, juristische Kapazitäten +wetteifernd um die seltenen Kränze warben; jetzt aber hob die +tatsächliche Geschlossenheit der Nobilität den Nutzen der Konkurrenz +auf und ließ nur ihre Nachteile übrig. Mit wenigen Ausnahmen drängten +die den regierenden Familien angehörenden jungen Männer sich in die +politische Laufbahn, und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu +wirksameren Mitteln, als nützliche Tätigkeit für das gemeine Beste war. +Die erste Bedingung für die öffentliche Laufbahn wurden mächtige +Verbindungen; dieselbe begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in +den Vorzimmern der einflußreichen Männer. Was sonst nur Schutzbefohlene +und Freigelassene getan, daß sie ihrem Herrn am frühen Morgen +aufzuwarten kamen und öffentlich in seinem Gefolge erschienen, das +übertrug sich jetzt auf die neue vornehme Klientel. Aber auch der Pöbel +ist ein großer Herr und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel +fing an, es als sein Recht zu fordern, daß der künftige Konsul in jedem +Lumpen von der Gasse das souveräne Volk erkenne und ehre und jeder +Bewerber bei seinem “Umgang” (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei +Namen begrüße und ihm die Hand drücke. Bereitwillig ging die vornehme +Welt ein auf diesen entwürdigenden Ämterbettel. Der richtige Kandidat +kroch nicht bloß im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich +der Menge durch Liebäugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von +feinerer oder gröberer Qualität. Der Ruf nach Reformen und die +Demagogie wurden dazu vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und +beliebt zu machen; und sie wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die +Sache angriffen, sondern die Person. Es ward Sitte, daß die bartlosen +Jünglinge vornehmer Geburt, um sich glänzend in das öffentliche Leben +einzuführen, mit der unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften +Beredsamkeit die Rolle Catos weiterspielten und aus eigener +Machtvollkommenheit sich womöglich gegen einen recht hochstehenden und +recht unbeliebten Mann zu Anwälten des Staats aufwarfen; man ließ es +geschehen, daß das ernste Institut der Kriminaljustiz und der +politischen Polizei ein Mittel für den Ämterbewerb ward. Die +Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die Verheißung prachtvoller +Volkslustbarkeiten war längst die gleichsam gesetzliche Vorbedingung +zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen auch schon, wie das um 595 +(159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die Stimmen der Wähler geradezu +mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die schlimmste Folge des +dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie um die Gunst der Menge +war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und Schmeichlerrolle mit +derjenigen Stellung, welche der Regierung den Regierten gegenüber von +Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch aus einem Segen für das +Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, über Gut und Blut der Bürger +zum Besten des Vaterlandes nach Bedürfnis zu verfügen. Man ließ die +Bürgerschaft sich an den gefährlichen Gedanken gewöhnen, daß sie selbst +von der vorschußweisen Entrichtung direkter Abgaben gesetzlich befreit +sei - nach dem Kriege gegen Perseus ist kein Schoß mehr von der +Gemeinde gefordert worden. Man ließ lieber das Heerwesen verfallen, als +daß man die Bürger zu dem verhaßten überseeischen Dienst zwang; wie es +den einzelnen Beamten erging, die die Konskription nach der Strenge des +Gesetzes durchzuführen versuchten, ist schon gesagt worden. + +In verhängnisvoller Weise verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die +zwiefachen Mißstände einer ausgearteten Oligarchie und einer noch +unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfraß ergriffenen +Demokratie. Ihren Parteinamen nach, welche zuerst in dieser Periode +gehört werden, wollten die “Optimaten” den Willen der Besten, die +“Popularen” den der Gemeinde zur Geltung bringen; in der Tat gab es in +dem damaligen Rom weder eine wahre Aristokratie noch eine wahrhaft sich +selber bestimmende Gemeinde. Beide Parteien stritten gleichermaßen für +Schatten und zählten in ihren Reihen nur entweder Schwärmer oder +Heuchler. Beide waren von der politischen Fäulnis gleichmäßig ergriffen +und in der Tat beide gleich nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in +den Status quo gebannt, da weder hüben noch drüben ein politischer +Gedanke, geschweige denn ein politischer Plan sich fand, der über +diesen hinausgegangen wäre, und so vertrugen denn auch beide sich +miteinander so vollkommen, daß sie auf jeden Schritt sich in den +Mitteln wie in den Zwecken begegneten und der Wechsel der Partei mehr +ein Wechsel der politischen Taktik als der politischen Gesinnung war. +Das Gemeinwesen hätte ohne Zweifel gewonnen, wenn entweder die +Aristokratie statt der Bürgerschaftswahlen geradezu einen erblichen +Turnus eingeführt oder die Demokratie ein wirkliches Demagogenregiment +aus sich hervorgebracht hätte. Aber diese Optimaten und diese Popularen +des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die einen für die andern +viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und Leben zu bekriegen; sie +konnten nicht bloß nicht einander vernichten, sondern, wenn sie es +gekonnt hätten, hätten sie es nicht gewollt. Darüber wich denn freilich +politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer mehr aus den Fugen und +ging seiner völligen Auflösung entgegen. + +Es ging denn auch die Krise, durch welche die römische Revolution +eröffnet ward, nicht aus diesem dürftigen politischen Konflikt hervor, +sondern aus den ökonomischen und sozialen Verhältnissen, welche die +römische Regierung wie alles andere lediglich gehen ließ und welche +also Gelegenheit fanden, den seit langem gärenden Krankheitsstoff jetzt +ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit +uralter Zeit beruhte die römische Ökonomie auf den beiden ewig sich +suchenden und ewig hadernden Faktoren, der bäuerlichen und der +Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit +dem großen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen +Krieg geführt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und +demnächst des ganzen Gemeinwesens endigen zu müssen schien, aber ohne +eigentliche Entscheidung abgebrochen ward infolge der glücklichen +Kriege und der hierdurch möglich gemachten umfänglichen und großartigen +Domanialaufteilung. Es ward schon früher gezeigt, daß in derselben +Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter +veränderten Namen erneuerte, das unverhältnismäßig anschwellende +Kapital einen zweiten Sturm gegen die bäuerliche Wirtschaft +vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine +Bauer ruiniert worden durch Vorschüsse, die ihn tatsächlich zum Meier +seines Gläubigers herabdrückten; jetzt ward er erdrückt durch die +Konkurrenz des überseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man +schritt fort mit der Zeit; das Kapital führte gegen die Arbeit, das +heißt gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natürlich wie immer in +strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise, +daß der freie Mann der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus +mit rechtmäßig gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige +hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeitgemäßer Gestalt als +industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebnis war in +beiden Fällen das gleiche: die Entwertung der italischen Bauernstellen, +die Verdrängung der Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, +sodann in Italien durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung +auch dieser in Italien auf Viehzucht und auf Öl- und Weinbau; +schließlich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in +Italien durch Sklaven. Eben wie die Nobilität deshalb gefährlicher war +als das Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine +Verfassungsänderung sich beseitigen ließ, so war auch diese neue +Kapitalmacht darum gefährlicher als die des vierten und fünften +Jahrhunderts, weil gegen sie mit Änderungen des Landrechts nichts +auszurichten war. + +Ehe wir es versuchen, den Verlauf dieses zweiten großen Konflikts von +Arbeit und Kapital zu schildern, wird es notwendig, über das Wesen und +den Umfang der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. +Wir haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermaßen +unschuldigen Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit +seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er +bewirtschaften kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter +Verpflichtung zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermaßen als +Pächter über einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhältnisse +bestanden zwar zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch +in der Kaiserzeit die Regel -, allein als Ausnahmezustände bevorzugter +Landschaften und milde verwalteter Güter. Hier ist die Großwirtschaft +mit Sklaven gemeint, welche im römischen Staat wie einst im +karthagischen aus der Übermacht des Kapitals sich entwickelte. Während +für den Sklavenbestand der älteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und +die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese +Sklavenwirtschaft, völlig wie die amerikanische, auf systematisch +betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der +Sklaven wenig Rücksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevölkerung +beständig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den +Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten. +Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon +verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhört, daß der arme +Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward. Das +Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und +kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmäßigen Sklavenjäger und +Sklavenhändler, die Küsten Syriens und die griechischen Inseln +ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die römischen Zollpächter in den +Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter +ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang, +daß um 650 (100) der König von Bithynien sich unfähig erklärte, den +verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfähigen +Leute von den Zollpächtern weggeschleppt seien. Auf dem großen +Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhändler ihre Ware +an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu +10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft +gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven +geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot +überstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der römischen +Ökonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, daß +dieselbe wie überhaupt die gesamte Großwirtschaft des Altertums auf dem +Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf, ihr +Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte Mensch. +Durch Sklaven wurden großenteils die Handwerke betrieben, so daß der +Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der Steuerpachtgesellschaft +wurde die Erhebung der öffentlichen Gefälle in den untern Graden +regelmäßig beschafft. Ihre Hände besorgten den Grubenbau, die +Pechhütten und was derart sonst vorkommt; schon früh kam es auf, +Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden, deren Vorsteher +sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die Wein- und Olivenlese +wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut bewirkt, sondern +einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Hütung des Viehs ward +allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten, häufig berittenen +Hirtensklaven auf den großen Weidestrecken Italiens ist bereits gedacht +worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward bald auch in den +Provinzen ein beliebter Gegenstand der römischen Spekulation - so war +zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), als die römischen +Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise die Viehzucht im großen +zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit schlimmer noch war der +eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der Felder durch eine Herde +nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven, welche mit Fußschellen +an den Beinen unter Aufsehern des Tags die Feldarbeiten taten und +nachts in dem gemeinschaftlichen, häufig unterirdischen Arbeiterzwinger +zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirtschaft war aus dem Orient +nach Karthago gewandert und scheint durch die Karthager nach Sizilien +gelangt zu sein, wo, wahrscheinlich aus diesem Grunde, die +Plantagenwirtschaft früher und vollständiger als in irgendeinem anderen +Gebiet der römischen Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die +Leontinische Feldmark von etwa 30 000 Jugera urbaren Landes, die als +römische Domäne von den Zensoren verpachtet wurde, finden wir einige +Dezennien nach der Gracchenzeit geteilt unter nicht mehr als 84 +Pächter, von denen also durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und +unter denen nur ein einziger Leontiner, die übrigen fremde, meistens +römische Spekulanten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die +römischen Spekulanten hier in die Fußstapfen ihrer Vorgänger traten und +welche großartigen Geschäfte mit sizilischem Vieh und sizilischem +Sklavenkorn die römischen und nichtrömischen Spekulanten gemacht haben +werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel +bedeckten. Italien indes blieb von dieser schlimmsten Form der +Sklavenwirtschaft für jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in +Etrurien, wo die Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu +sein scheint und wo sie wenigstens vierzig Jahre später in +ausgedehntestem Umfange bestand, höchstwahrscheinlich schon jetzt es an +Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward doch die italische +Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch überwiegend durch freie Leute oder +doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Akkordierung größerer +Arbeiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der +Unterschied des italischen Sklavenwesens von dem sizilischen darin, daß +bei dem sizilischen Sklavenaufstand 619-622 (135-1 S2) allein die +Sklaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen Gemeinde sich +nicht beteiligten. + +————————————————————— + +2 Auch damals wurde es geltend gemacht, daß die Menschenrasse daselbst +durch besondere Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand +eigne. Schon Plautus (Trip. 542) preist “den Syrerschlag, der mehr +verträgt als ein andrer sonst”. + +3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses (ergastulum +von εργάζομαι nach Analogie von stabulum, operculum) deutet darauf, daß +diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen Sprachgebiets +und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit den Römern +zukam. + +————————————————————— + +Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller +Proletariate sich vor unsern Augen auftut, mag ergründen, wer den Blick +in solche Tiefen wagt; es ist leicht möglich, daß mit denen der +römischen Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein +Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft +selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen Staat +brachte und auf das Verhalten der Regierung denselben gegenüber. Daß +dies Proletariat weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch +geradezu von ihr beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es hätte dies +nur geschehen können durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen wären +als das Übel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr +für Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die +Staatsangehörigen bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei +abzuwenden, teils auf die möglichste Beschränkung des Proletariats +durch Hebung der freien Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die römische +Aristokratie diesen beiden Aufgaben nachkam. + +Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die allerorts ausbrechenden +Sklavenverschwörungen und Sklavenkriege. In Italien schienen die wüsten +Vorgänge, wie sie in den unmittelbaren Nachwehen des Hannibalischen +Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu erneuern; auf einmal mußte man +in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450, in Sinuessa gar 4000 Sklaven +aufgreifen und hinrichten lassen (621 133). Noch schlimmer stand es +begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem großen Sklavenmarkt zu +Delos und in den attischen Silbergruben hatte man um dieselbe Zeit die +aufständischen Sklaven mit den Waffen zu Paaren zu treiben. Der Krieg +gegen Aristonikos und seine kleinasiatischen “Sonnenstädter” war +wesentlich ein Krieg der Besitzenden gegen die empörten Sklaven. Am +ärgsten aber stand es natürlicherweise in dem gelobten Lande des +Plantagensystems, in Sizilien. Die Räuberwirtschaft war daselbst, zumal +im Binnenlande, längst ein stehendes Übel; sie fing an, sich zur +Insurrektion zu steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in +industrieller Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder +Pflanzer von Enna (Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen +erbitterten Feldsklaven überfallen und ermordet; worauf die wilde Schar +in die Stadt Enna strömte und dort derselbe Vorgang in größerem Maßstab +sich erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, +töteten oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon +ansehnlichen Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen +Apameia, der Feuer zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave +Eunus genannt, jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der König der +Syrer. Warum auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer +syrischer Knecht, der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia +selbst das königliche Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere +“Feldherr” des neuen Königs, der griechische Sklave Achäos, +durchstreifte die Insel, und nicht bloß die wilden Hirten strömten von +nah und fern unter die seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die +den Pflanzern alles Üble gönnten, machten mit den empörten Sklaven +gemeinschaftliche Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein +kilikischer Sklave, Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Räuber, +dem gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Häupter +miteinander sich vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren +Erfolgen zuletzt, den Prätor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner +größtenteils aus sizilischen Milizen bestehenden Armee gänzlich zu +schlagen und sein Lager zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel +in die Gewalt der Aufständischen, deren Zahl nach den mäßigsten Angaben +sich auf 70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer sahen sich +genötigt, drei Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und +konsularische Heere nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen +unentschiedenen, ja zum Teil unglücklichen Gefechten endlich mit der +Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand überwältigt war. Vor +der letzteren Stadt, in die sich die entschlossenste Mannschaft der +Insurgenten geworfen hatte, um sich in dieser unbezwinglichen Stellung +zu verteidigen, wie sich Männer verteidigen, die an Rettung wie an +Begnadigung verzweifeln, lagerten die Konsuln Lucius Calpurnius Piso +und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich mehr +durch den Hunger als durch die Waffen 4. + +————————————————————————- + +4 Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am +wenigsten jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen +des Konsuls von 621 (133): L. Piso L. f. cos. + +————————————————————————- + +Das waren die Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem +römischen Senat und dessen Beamten in Italien und den Provinzen +gehandhabt ward. Wenn die Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die +ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft +übersteigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhaltung desselben für +jedes größere Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. Es stände wohl um die +Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr +bereiteten, als wie sie auch droht von Bären und Wölfen; nur der +Ängsterling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschäfte macht, +prophezeit den Untergang der bürgerlichen Ordnung in Sklavenaufständen +oder Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe +der Bändigung der gedrückten Massen ward von der römischen Regierung +trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hilfsquellen des +Staats keineswegs genügt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwäche; aber +nicht ihrer Schwäche allein. Von Rechts wegen war der römische +Statthalter verpflichtet, die Landstraßen rein zu halten und die +aufgegriffenen Räuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu +lassen; natürlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht möglich ohne +Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch +mitunter, wenn die Straßen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter +eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht +zu verderben, wurden die gefangenen Räuber von der Behörde in der Regel +an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese Herren +waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie Kleider +begehrten, mit Prügel antworteten und mit der Frage, ob denn die +Reisenden nackt durch das Land zögen. Die Folge solcher Konnivenz war +denn, daß nach Überwältigung des Sklavenaufstandes der Konsul Publius +Rupilius alles, was lebend in seine Hände kam, es heißt über 20000 +Menschen, ans Kreuz schlagen ließ. Es war freilich nicht länger +möglich, das Kapital zu schonen. + +Unendlich schwerer zu gewinnende, freilich auch unendlich reichere +Früchte verhieß die Fürsorge der Regierung für Hebung der freien Arbeit +und folgeweise für Beschränkung des Sklavenproletariats. Leider geschah +in dieser Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen +Krise hatte man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der +Zahl seiner Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu +verwenden. Jetzt ward auf Veranlassung der Regierung eine punische +Schrift über den Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur +Plantagenwirtschaft nach karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der +italischen Spekulation ins Lateinische übersetzt -das erste und einzige +Beispiel einer von dem römischen Senat veranlaßten literarischen +Unternehmung! Dieselbe Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren +Angelegenheit oder vielmehr in der Lebensfrage für Rom, in dem +Kolonisierungssystem. Es bedurfte nicht der Weisheit, nur der +Erinnerung an den Verlauf der ersten sozialen Krise Roms, um zu +begreifen, daß gegen ein agrikoles Proletariat die einzige ernstliche +Abhilfe in einem umfassenden und regularisierten Emigrationssystem +bestand, wozu die äußeren Verhältnisse Roms die günstigste Gelegenheit +darboten. Bis gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der +Tat dem fortwährenden Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes +durch fortwährende Gründung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war +dies zwar keineswegs in dem Maße geschehen, wie es hätte geschehen +können und sollen; man hatte nicht bloß das seit alten Zeiten von +Privaten okkupierte Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere +Okkupationen neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige +Erwerbungen, wie namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der +Okkupation preisgegeben, aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, +sondern als nutzbare Domäne verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung +segensreich gewirkt, vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung +gegeben. Allein, nach der Gründung von Luna (577 177) findet sich, +außer der vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum +(Osimo) im Jahre 597 (157), von weiteren Landanweisungen auf lange +hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der +Boier und Apuaner außer den wenig lockenden ligurischen Tälern neues +Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land +zu verteilen als das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen +Antastung der Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm +war wie vor dreihundert Jahren. Das außerhalb Italien! gewonnene Gebiet +zur Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gründen +unzulässig; Italien sollte das herrschende Land bleiben und die +Scheidewand zwischen italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht +fallen. Wenn man nicht die Rücksichten der höheren Politik oder gar die +Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts +übrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und also +geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer +auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Äcker ohne +Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer gütlich abging +- eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, während er im Felde +stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stoßen und ihn mittels der Theorie +der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die +Gutsbesitzer fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der +Sklaven zu bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum +Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie +Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft +herabzudrücken. Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische +Sklavenkorn das italische von dem hauptstädtischen Markt zu verdrängen +und dasselbe auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte +die alte einheimische Aristokratie im Bunde mit den römischen +Kapitalisten schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, daß es dort +keinen freien Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt +laut gesagt werden, daß die Tiere ihr Lager hätten, den Bürgern aber +nichts geblieben sei als Luft und Sonnenschein und daß die, welche die +Herren der Welt hießen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den +Kommentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten der römischen +Bürgerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre 595 +(159) ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache +wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen +Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zählung 328000 +waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmäßiges Sinken, +indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607 (147) +auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfähige Bürger stellt - +ein erschreckendes Ergebnis für eine Zeit tiefen inneren und äußeren +Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich auf in +Pflanzer und Sklaven und konnte schließlich der römische Staat, wie es +bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt kaufen. + +So standen die äußeren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat +eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin man auch +das Auge wandte, fiel es auf Mißbräuche und Verfall; jedem einsichtigen +und wohlwollenden Mann mußte die Erwägung sich aufdrängen, ob denn hier +nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte an solchen in Rom nicht; +aber keiner schien mehr berufen zu dem großen Werk der politischen und +sozialen Reform als der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der +Adoptivenkel des großen Scipio, der dessen glorreichen Afrikanernamen +nicht bloß kraft Erb-, sondern auch kraft eigenen Rechtes trug, Publius +Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625 184-129). Gleich seinem +Vater war er ein maßvoller, durch und durch gesunder Mann, nie krank am +Körper und nie unsicher über den nächsten und notwendigen Entschluß. +Schon in seiner Jugend hatte er sich ferngehalten von dem gewöhnlichen +Treiben der politischen Anfänger, dem Antichambrieren in den Zimmern +der vornehmen Senatoren und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen +liebte er die Jagd - als Siebzehnjähriger hatte er, nachdem er den +Feldzug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht +hatte, als Belohnung dafür sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren +unberührten Wildhag der Könige von Makedonien erbeten - und vor allen +Dingen wandte er gern seine Muße auf wissenschaftlichen und +literarischen Genuß. Durch die Fürsorge seines Vaters war er früh in +diejenige echte griechische Bildung eingeführt worden, welche über das +geschmacklose Hellenisieren der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch +seine ernste und treffende Würdigung des Echten und des Schlechten in +dem griechischen Wesen und durch sein adliges Auftreten imponierte +dieser Römer den Höfen des Ostens, ja sogar den spottlustigen +Alexandrinern. Seinen Hellenismus erkannte man vor allem in der feinen +Ironie seiner Rede und in seinem klassisch reinen Latein. Obwohl nicht +eigentlich Schriftsteller, zeichnete er doch wie Cato seine politischen +Reden auf - sie wurden gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der +Mutter der Gracchen, von den späteren Literatoren als Meisterstücke +mustergültiger Prosa geschätzt - und zog mit Vorliebe die besseren +griechischen und römischen Literaten in seinen Kreis, welcher +plebejische Umgang ihm freilich nicht wenig verdacht ward von +denjenigen Kollegen im Senat, die auf ihre edle Geburt als einzige +Auszeichnung angewiesen waren. Ein sittlich fester und zuverlässiger +Mann, galt sein Wort bei Freund und Feind; er mied Bauten und +Spekulationen und lebte einfach; dafür handelte er in +Geldangelegenheiten nicht bloß ehrlich und uneigennützig, sondern auch +mit einer dem kaufmännischen Sinn seiner Zeitgenossen seltsam dünkenden +Zartheit und Liberalität. Er war ein tüchtiger Soldat und Offizier; aus +dem Afrikanischen Krieg brachte er den Ehrenkranz heim, der wegen +Rettung gefährdeter Bürger mit eigener Lebensgefahr erteilt zu werden +pflegte, und beendete den Krieg als Feldherr, den er als Offizier +begonnen hatte; an wirklich schwierigen Aufgaben sein Feldherrngeschick +zu erproben, boten die Umstände ihm keine Gelegenheit. Scipio war so +wenig wie sein Vater eine geniale Natur - davon zeugt schon seine +Vorliebe für Xenophon, den nüchternen Militär und korrekten +Schriftsteller -, aber ein rechter und echter Mann, der vor andern +berufen schien, dem beginnenden Verfall durch organische Reformen zu +wehren. Um so bezeichnender ist es, daß er es nicht versucht hat. Zwar +half er, wo und wie er konnte, Mißbräuche abstellen und verhindern und +arbeitete namentlich hin auf Verbesserung der Rechtspflege. +Hauptsächlich durch seinen Beistand vermochte Lucius Cassius, ein +tüchtiger Mann von altväterischer Strenge und Ehrenhaftigkeit, gegen +den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein Stimmgesetz +durchzubringen, welches für die noch immer den wichtigsten Teil der +Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime Abstimmung +einführte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht hatte mitmachen +mögen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der schuldigsten Männer +der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem Geiste hat er als +Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber und die Pfaffen zu +den Toren des Lagers hinausgejagt und das Soldatengesindel wieder +zurück gezwungen unter den eisernen Druck der alten Heereszucht, als +Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der glattkinnigen +Manschettenträger aufgeräumt und mit ernsten Worten die Bürgerschaft +ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Väter treulich zu halten. +Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es verkennen, daß die +Verschärfung der Rechtspflege und das vereinzelte Dazwischenfahren +nicht einmal Anfänge waren zur Heilung der organischen Übel, an denen +der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht gerührt. Gaius Laelius +(Konsul 614 140), Scipios älterer Freund und sein politischer +Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefaßt, die Einziehung des +unvergebenen, aber vorläufig okkupierten italischen Domaniallandes +vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends verfallenden +italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand von dem +Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff war, +und ward fortan “der Verständige” genannt. Auch Scipio dachte also. Er +war von der Größe des Übels völlig durchdrungen und griff, wo er nur +sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person +rücksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch überzeugt, daß +dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im +vierten und fünften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen +hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel +schlimmer als das Übel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner +Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befürwortung des +Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch +auch nicht genügte noch genügen wollte, während seines Lebens einsam, +nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der +Aristokratie, bald als Begünstiger der Reform. Bis auf seine Zeit +hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Götter +angerufen, dem Staat größere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der +Zensor Scipio betete, daß sie geneigen möchten, den Staat zu erhalten. +Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf. + +Aber wo der Mann verzagte, der zweimal das römische Heer aus tiefem +Verfall zum Siege geführt hatte, da getraute sich ein tatenloser +Jüngling, zum Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hieß Tiberius +Sempronius Gracchus (591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul +577, 591; Zensor 585 177, 163;169) war das rechte Musterbild eines +römischen Aristokraten. Die glänzende, nicht ohne Bedrückung der +abhängigen Gemeinden zuwege gebrachte Pracht seiner ädilizischen Spiele +hatte ihm schweren und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, während er +durch sein Einschreiten in dem leidigen Prozeß gegen die persönlich ihm +verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein +Standesgefühl, durch sein energisches Auftreten gegen die +Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betätigte +und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem +durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst und +zugleich in den Gemütern der unterworfenen Nation ein dauerndes +Gedächtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb. + +Seine Mutter Cornelia war die Tochter des Siegers von Zama, welcher +ebenjenes hochherzigen Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner +sich zum Schwiegersohn erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und +bedeutende Frau, die nach dem Tode ihres viel älteren Gemahls die Hand +des Königs von Ägypten zurückgewiesen hatte und im Andenken an den +Gemahl und den Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der ältere +von den beiden Söhnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur, +sanften Blicks und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher +bestimmt als zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und +Anschauungen gehörte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine +griechische und nationale Durchbildung er und seine Geschwister +teilten. Scipio Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner +Schwester Gemahl; unter ihm hatte Tiberius als Achtzehnjähriger die +Erstürmung Karthagos mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des +strengen Feldherrn und kriegerische Auszeichnungen erworben. Daß der +tüchtige junge Mann die Anschauungen über den Verfall des Staats an +Haupt und Gliedern, wie sie in diesem Kreise gangbar waren, die +Gedanken namentlich über die Hebung des italischen Bauernstandes mit +aller Lebendigkeit und allem Rigorismus der Jugend in sich aufnahm und +steigerte, ist begreiflich; waren es doch nicht bloß die jungen Leute, +denen das Zurückweichen des Laelius vor der Durchführung seiner +Reformideen nicht verständig erschien, sondern schwach. Appius +Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618 136), einer der +angesehensten Männer des Senats, tadelte mit all der gewaltsamen +Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier erblich war +und blieb, daß der Scipionische Kreis den Plan der Domänenaufteilung so +rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, wie es scheint, weil +er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die Zensur in persönliche +Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius Crassus Mucianus sich +aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und Rechtsgelehrter im +Senat wie in der Bürgerschaft allgemein verehrt. Sogar dessen Bruder +Publius Mucius Scaevola, der Begründer der wissenschaftlichen +Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht abgeneigt, und seine +Stimme war von um so größerem Gewicht, als er gewissermaßen außerhalb +der Parteien stand. Ähnlich dachte Quintus Metellus, der Überwinder +Makedoniens und der Achäer, mehr aber noch als seiner Kriegstaten +halber geachtet als ein Muster alter Zucht und Sitte in seinem +häuslichen wie in seinem öffentlichen Leben. Tiberius Gracchus stand +diesen Männern nahe, namentlich dem Appius, dessen Tochter er, und dem +Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib genommen hatte; es war +kein Wunder, daß der Gedanke sich in ihm regte, den Reformplan selber +wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer Stellung befinden werde, die +ihm verfassungsmäßig die Initiative gestatte. Persönliche Motive +mochten ihn hierin bestärken. Der Friedensvertrag, den Mancinus 617 +(147) mit den Numantinern abschloß, war wesentlich Gracchus’ Werk; daß +der Senat ihn kassiert hatte, daß der Feldherr deswegen den Feinden +ausgeliefert worden und Gracchus mit den übrigen höheren Offizieren dem +gleichen Schicksal nur durch die größere Gunst, deren er bei der +Bürgerschaft genoß, entgangen war, konnte den jungen rechtschaffenen +und stolzen Mann nicht milder stimmen gegen die herrschende +Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen er gern +philosophierte und politisierte, der Mytilenäer Diophanes, der Kymäer +Gaius Blossius, nährten in seiner Seele die Ideale, mit denen er sich +trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden, fehlte es +nicht an billigenden Stimmen, und mancher öffentliche Anschlag forderte +den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, der Rettung Italiens zu +gedenken. + +Am 10. Dezember 620 (134) übernahm Tiberius Gracchus das Volkstribunat. +Die entsetzlichen Folgen der bisherigen Mißregierung, der politische, +militärische, ökonomische, sittliche Verfall der Bürgerschaft lagen +eben damals nackt und bloß jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln +dieses Jahres focht der eine ohne Erfolg in Sizilien gegen die +aufständischen Sklaven und war der andere, Scipio Aemilianus, seit +Monaten beschäftigt, eine kleine spanische Landstadt nicht zu besiegen, +sondern zu erdrücken. Wenn es noch einer besonderen Aufforderung +bedurfte, um Gracchus’ Entschluß zur Tat werden zu lassen, sie lag in +diesen, jedes Patrioten Gemüt mit unnennbarer Angst erfüllenden +Zuständen. Sein Schwiegervater versprach Beistand mit Rat und Tat, man +durfte hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, der kurz +vorher zum Konsul für 621 (133) erwählt worden war. So beantragte +Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die Erlassung eines +Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine Erneuerung des +Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es sollten danach +die sämtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne Entgelt benutzten +Staatsländereien - die verpachteten, wie zum Beispiel das Gebiet von +Capua, berührte das Gesetz nicht - von Staats wegen eingezogen werden, +jedoch mit der Beschränkung, daß der einzelne Okkupant für sich 500 und +für jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu +bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten oder dafür Ersatz in +Land in Anspruch nehmen dürfen. Für etwaige, von den bisherigen +Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebäude und Pflanzungen, +scheint man Entschädigung bewilligt zu haben. Das also eingezogene +Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und diese teils +an Bürger, teils an italische Bundesgenossen verteilt werden, nicht als +freies Eigentum, sondern als unveräußerliche Erbpacht, deren Inhaber +das Land zum Feldbau zu benutzen und eine mäßige Rente an die +Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein Kollegium von drei +Männern, die als ordentliche und stehende Beamte der Gemeinde angesehen +und jährlich von der Volksversammlung gewählt wurden, ward mit dem +Einziehungs- und Aufteilungsgeschäft beauftragt, wozu später noch der +wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich festzustellen, was +Domanialland und was Privateigentum sei. Die Aufteilung war demnach +angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, bis daß die sehr +ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen Domänen reguliert +sein würden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz verglichen waren neu +in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel zu Gunsten der +beerbten Besitzer, teils die für die neuen Landstellen beantragte +Erbpachtgutsqualität und Unveräußerlichkeit, teils und vor allem die +regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in dem älteren Gesetz +hauptsächlich bewirkt hatte, daß dasselbe ohne nachhaltige praktische +Anwendung geblieben war. + +Den großen Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren +wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt, und +seit langem zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in +ernsthafter Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm +den Kampf auf in der für solche Fälle hergebrachten Weise, die +Ausschreitungen des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren. +Ein Kollege des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von +der Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich +überzeugter Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht +werden sollte; womit verfassungsmäßig der Antrag beseitigt war. +Gracchus sistierte nun seinerseits die Staatsgeschäfte und die +Rechtspflege und legte seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man +nahm es hin - es war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. +Gracchus, ratlos, brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung; +natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die +flehentliche Bitte seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die +Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwidern, daß darüber, wie +Italien gerettet werden könne, eben die Ansichten verschieden, sein +verfassungsmäßiges Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines +Veto sich zu bedienen, außer allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt +den Versuch, Gracchus einen leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei +Konsulare forderten ihn auf, die Angelegenheit in der Kurie +weiterzuverhandeln, und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte +in diesen Antrag hineinzulegen, daß der Senat damit die +Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; allein weder lag dies +darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der Sache nachzugeben; die +Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungsmäßigen Wege +waren erschöpft. In früheren Zeiten hatte man unter solchen +Verhältnissen es sich nicht verdrießen lassen, den gestellten Antrag +für dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem folgenden ihn +wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der Druck der +öffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man rascher. +Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf die Reform +überhaupt verzichten oder die Revolution beginnen mußte; er tat das +letztere, indem er mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daß +entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden müsse, und +diesem ansann, die Bürger darüber abstimmen zu lassen, welchen von +ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich natürlich, auf +diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die Interzession war eben +dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der Kollegen Raum zu +gewähren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Kollegen ab und +wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob nicht der +Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt habe; und +die Versammlung, längst gewohnt, zu allen an sie gebrachten Anträgen ja +zu sagen und größtenteils zusammengesetzt aus dem vom Lande +hereingeströmten und bei der Durchführung des Gesetzes persönlich +interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die +Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus’ Befehl durch die +Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter +allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten +Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des Gesetzes +nebst seinem erst zwanzigjährigen Bruder Gaius und seinem +Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die +Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie üblich an +den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu +erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24 +Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward +immer gehässiger und persönlicher. Das schwierige und verwickelte +Geschäft der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domänen trug den +Hader in jede Bürgergemeinde, ja selbst in die verbündeten italischen +Städte. Die Aristokratie hatte es kein Hehl, daß sie das Gesetz +vielleicht, weil sie müsse, sich gefallen lassen, der unberufene +Gesetzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die +Ankündigung des Quintus Pompeius, daß er den Gracchus an demselben +Tage, wo er das Tribunat niederlege, in Anklagestand versetzen werde, +war unter den Drohungen, die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem +nicht die schlimmste. Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine +persönliche Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr +ohne eine Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worüber er selbst +von dem der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere +Worte hören wußte. Überhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung +seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, daß +er erst am Anfang stand. Das “Volk” war ihm zu Dank verpflichtet; aber +er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte +als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich +blieb und durch andere und weitergreifende Vorschläge neue und immer +neue Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Ebendamals war durch +das Testament des letzten Königs von Pergamon den Römern Reich und +Vermögen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk, +den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung +des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte überhaupt, +gegen die bestehende Übung, der Bürgerschaft das Recht, über die neue +Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populäre Gesetze, über +Abkürzung der Dienstzeit, über Ausdehnung des Provokationsrechts, über +die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschließlich als +Zivilgeschworene zu fungieren, sogar über die Aufnahme der italischen +Bundesgenossen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet +haben; wie weit seine Entwürfe in der Tat gereicht haben, läßt sich +nicht entscheiden, gewiß ist nur, daß Gracchus seine einzige Rettung +darin sah, das Amt, das ihn schützte, von der Bürgerschaft auf ein +zweites Jahr verliehen zu erhalten, und daß er, um diese +verfassungswidrige Verlängerung zu bewirken, weitere Reformen in +Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen +zu retten, so wußte er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen +aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen +für das nächste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre Stimmen für +Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch schließlich +wenigstens insoweit durch, daß die Versammlung unverrichteter Sache +aufgelöst und die Entscheidung auf den folgenden Tag verschoben ward. +Für diesen setzte Gracchus alle Mittel in Bewegung, erlaubte und +unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im Trauergewand und empfahl ihm +seinen unmündigen Knaben; für den Fall, daß die Wahl abermals durch +Einspruch gestört werden würde, traf er Vorkehrungen, den Anhang der +Aristokratie mit Gewalt von dem Versammlungsplatz vor dem +Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam der zweite Wahltag heran; +die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden und wieder erfolgte der +Einspruch; der Auflauf begann. Die Bürger zerstreuten sich; die +Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der Kapitolinische Tempel ward +geschlossen; man erzählte sich in der Stadt, bald daß Tiberius die +sämtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald daß er ohne Wiederwahl sein +Amt fortzuführen entschlossen sei. Der Senat versammelte sich im Tempel +der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die erbittertsten Gegner des +Gracchus führten in der Sitzung das Wort; als Tiberius die Hand nach +der Stirn bewegte, um in dem wilden Getümmel dem Volke zu erkennen zu +geben, daß sein Leben bedroht sei, hieß es, er fordere schon die Leute +auf, sein Haupt mit der königlichen Binde zu schmücken. Der Konsul +Scaevola ward angegangen, den Hochverräter sofort töten zu lassen; als +der gemäßigte, der Reform an sich keineswegs abgeneigte Mann das ebenso +unsinnige wie barbarische Begehren unwillig zurückwies, rief der +Konsular Publius Scipio Nasica, ein harter und leidenschaftlicher +Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich zu bewaffnen, wie sie +könnten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten war zu den Wahlen fast +niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk wich scheu auseinander, +als es die vornehmen Männer mit Stuhlbeinen und Knütteln in den Händen +zornigen Auges heranstürmen sah; Gracchus versuchte, von wenigen +begleitet, zu entkommen. Aber er stürzte auf der Flucht am Abhang des +Kapitols und ward von einem der Wütenden - Publius Satureius und Lucius +Rufus stritten sich später um die Henkerehre - vor den Bildsäulen der +sieben Könige am Tempel der Treue durch einen Knüttelschlag auf die +Schläfe getötet; mit ihm dreihundert andere Männer, keiner durch +Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die Körper in den +Tiberfluß gestürzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche seines Bruders +zur Bestattung zu vergönnen. Solch einen Tag hatte Rom noch nicht +erlebt. Der mehr als hundertjährige Hader der Parteien während der +ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe geführt, wie +diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der +Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurück. Man +hatte nur die Wahl, eine große Zahl der zuverlässigsten Parteigenossen +der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf +die Gesamtheit zu übernehmen; das letztere geschah. Man hielt offiziell +daran fest, daß Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und +rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man +überwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus’ Mitschuldige +einer besonderen Kommission und ließ deren Vormann, den Konsul Publius +Popillius, dafür sorgen, daß durch Blutsentenzen gegen eine große +Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachträglich eine Art +rechtlichen Gepräges aufgedrückt ward (622 132). Nasica, gegen den vor +allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut +hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu +vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwänden nach Asien gesandt und bald +darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die +gemäßigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius +Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner; +Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte, +verteidigte sie später im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner +Rückkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich öffentlich +darüber zu erklären, ob er die Tötung seines Schwagers billige oder +nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, daß, wofern er nach +der Krone getrachtet habe, er mit Recht getötet worden sei. + +Versuchen wir über diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu +gelangen. Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefährlichen +Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gründung neuer +Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfügung stehenden +italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein +Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den +obwaltenden politischen und sozialen Verhältnissen zweckmäßig. Die +Aufteilung der Domänen ferner war an sich keine politische Parteifrage; +sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgeführt werden, ohne daß die +bestehende Verfassung geändert, das Regiment der Aristokratie irgend +erschüttert ward. Ebensowenig konnte hier von einer Rechtsverletzung +die Rede sein. Anerkanntermaßen war der Eigentümer des okkupierten +Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloß geduldeter Besitzer in +der Regel nicht einmal den gutgläubigen Eigentumsbesitz sich +zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte, stand ihm entgegen, daß +gegen den Staat nach römischem Landrecht die Verjährung nicht lief. Die +Domänenaufteilung war keine Aufhebung, sondern eine Ausübung des +Eigentums; über die formelle Rechtsbeständigkeit derselben waren alle +Juristen einig. Allein damit, daß die Domänenaufteilung weder der +bestehenden Verfassung Eintrag tat noch eine Rechtsverletzung in sich +schloß, war der Versuch, diese Rechtsansprüche des Staats jetzt +durchzuführen, politisch noch keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl +in unsern Tagen erinnert hat, wenn ein großer Grundherr rechtlich ihm +zustehende, aber tatsächlich seit langen Jahren nicht erhobene +Ansprüche plötzlich in ihrem ganzen Umfang geltend zu machen beginnt, +konnte mit gleichem und besserem Rechte auch gegen die Gracchische +Rogation eingewendet werden. Unleugbar hatten diese okkupierten Domänen +zum Teil seit dreihundert Jahren sich in erblichem Privatbesitz +befunden; das Bodeneigentum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt +leichter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert, +war an diesen Grundstücken so gut wie verschollen und die jetzigen +Inhaber durchgängig durch Kauf oder sonstigen lästigen Erwerb zu diesen +Besitzungen gelangt. Der Jurist mochte sagen was er wollte; den +Geschäftsleuten erschien die Maßregel als eine Expropriation der großen +Grundbesitzer zum Besten des agrikolen Proletariats; und in der Tat +konnte auch kein Staatsmann sie anders bezeichnen. Daß die leitenden +Männer der catonischen Epoche nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr +klar die Behandlung eines ähnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen +Falles. Das im Jahre 543 (211) zur Domäne geschlagene Gebiet von Capua +und den Nachbarstädten war in den folgenden unruhigen Zeiten +tatsächlich größtenteils in Privatbesitz übergegangen. In den letzten +Jahren des sechsten Jahrhunderts, wo man vielfältig, besonders durch +Catos Einfluß bestimmt, die Zügel des Regiments wieder straffer anzog, +beschloß die Bürgerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu +nehmen und zum Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172). +Dieser Besitz beruhte auf einer nicht durch vorgängige Aufforderung, +sondern höchstens durch Konnivenz der Behörden gerechtfertigten und +nirgends viel über ein Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; +dennoch wurden die Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des +Senats von dem Stadtprätor Publius Lentulus ausgeworfene +Entschädigungssumme aus dem Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger +bedenklich vielleicht, aber doch auch nicht unbedenklich war es, daß +für die neuen Landlose Erbpachtqualität und Unveräußerlichkeit +festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in bezug auf die +Verkehrsfreiheit hatten Rom groß gemacht, und es vertrug sich sehr +wenig mit dem Geist der römischen Institutionen, daß diese neuen Bauern +von oben herab angehalten wurden, ihr Grundstück in einer bestimmten +Weise zu bewirtschaften, und daß für dasselbe Retraktrechte und alle +der Verkehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmaßregeln +festgestellt wurden. + +———————————————————————- + +5 Die bisher nur aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) +teilweise bekannte Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des +Licinianus (p. 4) wesentlich vervollständigt. Die beiden Berichte sind +dahin zu vereinigen, daß Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm +festgesetzte Entschädigungssumme expropriierte, bei den wirklichen +Grundeigentümern aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren +nicht befugt war und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten. + +——————————————————————— + +Man wird einräumen, daß diese Einwürfe gegen das Sempronische +Ackergesetz nicht leicht wogen. Dennoch entscheiden sie nicht. Jene +tatsächliche Expropriation der Domänenbesitzer war sicher ein großes +Übel; aber sie war dennoch das einzige Mittel, um einem noch viel +größeren, ja den Staat geradezu vernichtenden, dem Untergang des +italischen Bauernstandes, wenigstens auf lange hinaus zu steuern. Darum +begreift man es wohl, warum die ausgezeichnetsten und patriotischsten +Männer auch der konservativen Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und +Scipio Aemilianus, die Domänenaufteilung an sich billigten und +wünschten. + +Aber wenn der Zweck des Tiberius Gracchus wohl der großen Majorität der +einsichtigen Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat +dagegen der Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und +patriotischen Mannes Billigung gefunden und finden können. Rom wurde um +diese Zeit regiert durch den Senat. Wer gegen die Majorität des Senats +eine Verwaltungsmaßregel durchsetzte, der machte Revolution. Es war +Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die +Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den +Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der +Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäßig beseitigte, die +tribunizische Interzession durch die mit unwürdiger Sophistik +gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloß für jetzt, sondern +für alle Folgezeit zerstörte. Indes nicht hierin liegt die sittliche +und politische Verkehrtheit von Gracchus’ Tun. Für die Geschichte gibt +es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat zum Kampf +aufruft gegen die andere, der ist gewiß ein Revolutionär, aber +vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswürdiger Staatsmann. Der +wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur zu +oft übersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen +Bürgerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das des +Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und +denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Männer nicht weniger +verschieden als die ehemalige römische Bürgerschaft, welche mit den +Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die +die Provinzen Asia und Africa einrichten ließ. Jene war eine städtische +Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein +großer Staat, dessen Angehörige in einer und derselben Urversammlung zu +vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso +klägliches wie lächerliches Resultat gab. Es rächte sich hier der +Grundfehler der Politie des Altertums, daß sie nie vollständig von der +städtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem +System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist. +Die souveräne Versammlung Roms war, was die souveräne Versammlung in +England sein würde, wenn statt der Abgeordneten die sämtlichen Wähler +Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von +allen Interessen und allen Leidenschaften wüst bewegte Masse, in der +die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die +Verhältnisse zu übersehen noch auch nur einen eigenen Entschluß zu +fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen +Ausnahmefällen abgesehen, unter dem Namen der Bürgerschaft ein paar +hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufällig +aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Bürgerschaft fand +sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen +Repräsentanten in der Regel ungefähr ebenso genügend vertreten wie in +den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repräsentierenden +dreißig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluß +nichts war als ein Beschluß desjenigen Magistrats, der die +Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und +Zenturienbeschluß in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige +obligate Jaherren legalisierter Beschluß des vorschlagenden Beamten. +Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man es +auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Bürger +erschienen, so war dagegen in den bloßen Volksversammlungen, den +Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte, +Ägypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes +bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht +abstimmen noch beschließen. Allein tatsächlich beherrschte dasselbe die +Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam etwas +darauf an, ob diese wüste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt ward, +schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner +auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen +anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner +Äußerung über den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da, sprach +er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt zu +schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, daß ich +die losgebunden fürchten werde, die ich in Ketten auf den Sklavenmarkt +geschickt habe? + +Daß man der verrosteten Maschine der Komitien sich für die Wahlen und +für die Gesetzgebung bediente, war schon übel genug. Aber wenn man +diesen Massen, zunächst den Komitien und faktisch auch den Kontionen, +Eingriffe in die Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur +Verhütung solcher Eingriffe aus den Händen wand; wenn man gar diese +sogenannte Bürgerschaft aus dem gemeinen Säckel sich selber Äcker samt +Zubehör dekretieren ließ; wenn man einem jeden, dem die Verhältnisse +und sein Einfluß beim Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf +einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen +Projekten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken, +so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht +bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten +in der vorigen Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen +nie an die Bürgerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat +verhandelt. Darum bezeichnen Gracchus’ Zeitgenossen, die Männer des +Scipionischen Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den +ersten Schritt auf jener verhängnisvollen Bahn, als den Anfang des +Verfalles der römischen Größe. Darum ließen dieselben den Urheber der +Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende +gleichsam einen Damm gegen künftige ähnliche Versuche, während sie doch +die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie +festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, daß +redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedrängt wurden, +den Übeltäter preiszugeben und die Frucht der Übeltat sich anzueignen. +Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne nicht +unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es ist +für ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, daß +dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische +Regiment war so durchaus verderblich, daß der Bürger, der den Senat ab- +und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem +Gemeinwesen mehr noch nützte, als er ihm schadete. Allein dieser kühne +Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich fähiger, +durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht +wußte, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den +Pöbel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis +die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam drängte in die +demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission, den +Eingriffen in das öffentliche Kassenwesen, den durch Not und +Verzweiflung erpreßten weiteren “Reformen”, der Leibwache von der Gasse +und den Straßengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt für +Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten +Geister der Revolution den unfähigen Beschwörer packten und +verschlangen. Die ehrlose Schlächterei, durch die er endigte, richtet +sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging; +allein die Märtyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus’ Namen +geschmückt hat, kam hier wie gewöhnlich an den unrechten Mann. Die +besten seiner Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus +die Katastrophe gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: “Also +verderb’ ein jeder, der ähnliche Werke vollführt hat!” Und als des +Tiberius jüngerer Bruder Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, +schrieb ihm die eigene Mutter: “Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein +Ende finden? Wo wird die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend +uns zu schämen, den Staat verwirrt und zerrüttet zu haben?” So sprach +nicht die besorgte Mutter, sondern die Tochter des Überwinders der +Karthager, die noch ein größeres Unglück kannte und erfuhr als den Tod +ihrer Kinder. + + + + +KAPITEL III. +Die Revolution und Gaius Gracchus + + +Tiberius Gracchus war tot; indes seine beiden Werke, die Landaufteilung +wie die Revolution, überlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen +Proletariat gegenüber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber +nicht diesen Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes +benutzen; durch den wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz +selbst weit mehr befestigt als erschüttert worden. Die reformistisch +gesinnte Partei der Aristokratie, welche die Domanialteilung offen +begünstigte, an ihrer Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623 +131) Zensor, und Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei +des Scipio Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war, +selbst im Senat für jetzt die Oberhand, und ausdrücklich wies ein +Senatsbeschluß die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach dem +Sempronischen Gesetz sollten dieselben jährlich von der Gemeinde +ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein +bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natürlich, daß die Wahl +wieder und wieder auf dieselben Männer fiel und eigentliche Neuwahlen +nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat für +Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders +Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und +auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschäft in +Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der tätigsten Führer +der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo. +Schon die Namen dieser Männer bürgen dafür, daß man das Geschäft der +Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer und +Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafür nicht an +Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius, +derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhänger des Tiberius Gracchus +leitete, verzeichnet auf einem öffentlichen Denkmal sich als “den +ersten, der auf den Domänen die Hirten aus- und dafür die Bauern +eingewiesen habe”, und auch sonst ist es überliefert, daß sich die +Aufteilung über ganz Italien erstreckte und überall in den bisherigen +Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch +Gründung neuer Gemeinden, sondern durch Verstärkung der bestehenden die +Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen Ackergesetzes. +Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser Aufteilungen bezeugen +die zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die Gracchischen +Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel +eine gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung +zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und Landaufteilungen ins +Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten aber reden die Zahlen +der Bürgerliste. Die Schätzung, die im Jahre 623 (131) veröffentlicht +ward und tatsächlich wohl Anfang 622 (132) stattfand, ergab nicht mehr +als 319000 waffenfähige Bürger, wogegen sechs Jahre später (629 125) +statt des bisherigen Sinkens sich die Ziffer auf 395000, also um 76000 +hebt - ohne allen Zweifel lediglich infolge dessen, was die +Teilungskommission für die römische Bürgerschaft tat. Ob dieselbe auch +bei den Italikern die Bauernstellen in demselben Verhältnis vermehrt +hat, läßt sich bezweifeln; auf alle Fälle war das, was sie erreichte, +ein großes und segensreiches Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab +ohne vielfache Verletzung achtbarer Interessen und bestehender Rechte. +Das Teilherrenamt, besetzt mit den entschiedensten Parteimännern und +durchaus Richter in eigener Sache, ging mit seinen Arbeiten +rücksichtslos und selbst tumultuarisch vor; öffentliche Anschläge +forderten jeden, der dazu imstande sei, auf über die Ausdehnung des +Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde +zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloß neue und alte +Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch +vielfältig wirkliches Privateigentum, über das der Inhaber sich nicht +genügend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie laut und +großenteils begründet auch die Klagen waren, der Senat ließ die +Aufteiler gewähren: es war einleuchtend, daß, wenn man einmal die +Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches rücksichtsloses +Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte +dies Gewährenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland war +nicht lediglich in den Händen römischer Bürger; große Strecken +desselben waren einzelnen bundesgenössischen Gemeinden durch Volks- +oder Senatsbeschlüsse zu ausschließlicher Benutzung zugewiesen, andere +Stücke von latinischen Bürgern erlaubter- oder unerlaubterweise +okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen +an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern +einfach okkupierten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder +vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschlüsse, ja selbst des +durch Gemeindebeschlüsse den italischen Gemeinden überwiesenen +Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum +verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private +nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder +Untertanengemeinden, daß Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht +einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt +verletzten römischen Bürger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich +mochten jene nicht besser begründet sein als diese; aber wenn es in +diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehörigen handelte, +so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es +politisch richtig sei, die militärisch so wichtigen und schon durch +zahlreiche rechtliche und faktische Zurücksetzungen Rom sehr +entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche +Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die +Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen, +die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern die +Reform gegen die Oligarchie geschützt hatte, und sie allein vermochte +jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu +setzen. Die Latiner wandten sich persönlich an den hervorragendsten +Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu +schützen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluß ^1 ward +im Jahre 625 (129) durch Volksschluß der Teilkommission die +Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was +Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die +Konsuln gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen +zukam. Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren +Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs +gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen +Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr, zum +illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschäft +unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber +da die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch +sie notgedrungen untätig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst +Männer wie Publius Mucius und Quintus Metellus mißbilligten Scipios +Zwischentreten. In anderen Kreisen begnügte man sich nicht mit der +Mißbilligung. Auf einen der nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag +über die Verhältnisse der Latiner angekündigt; am Morgen dieses Tages +ward er tot in seinem Bette gefunden. Daß der sechsundfünfzigjährige in +voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher +öffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede für den nächsten +Tag zu entwerfen, sich früher als gewöhnlich in sein Schlafgemach +zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist, +kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn +gerichteten Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand +den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner Zeit bei +nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie an den Tag gekommen, und es +ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch +überlieferten Gerüchte zu wiederholen noch den kindischen Versuch +anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur daß der +Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehört haben muß, ist +einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die +aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten +nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, daß ihre Führer, Gaius +Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozeß möchten +verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung +einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebensosehr +einen Gegner wie einen Verbündeten verlor, ließ nicht ungern die Sache +ruhen. Die Menge und die gemäßigten Männer standen entsetzt; keiner +mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten gegen die Reform +gemißbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd sich +abwandte und seinen vier Söhnen befahl, die Bahre des großen Gegners +zur Feuerstätte zu tragen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt; +verhüllten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht des Siegers von +Zama hinausgetragen, ohne daß jemand zuvor des Toten Antlitz hätte +sehen dürfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten mit der +Hülle des hohen Mannes zugleich die Spuren des Verbrechens. + +————————————————————————————— + +^1 Hierher gehört ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit +nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz über Quästionengerichte gemeint +ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut +triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep. +28; oben S. 95). + +————————————————————————————— + +Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio +Aemilianus, aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an völliger +Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm +gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere +Rolle zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Fähigkeiten +sich bewußt, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor +seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch +einer Rettung, in der klaren Einsicht, nur übel damit ärger zu machen, +in sich niederzukämpfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica +gutheißen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Mörder +verteidigen zu müssen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst +gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des +Sempronischen Gesetzes, dem die römische Bürgerschaft einen Zuwachs von +gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese +Domanialteilung hemmte, als sie genützt hatte, was sie nützen konnte. +Daß es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von +wohlmeinenden Männern bestritten; aber die Tatsache, daß auch Gaius +Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und +unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht +gar sehr dafür, daß Scipio im wesentlichen den richtigen Moment traf. +Beide Maßregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der +Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber +mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld +für sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort den +Tod von Mörderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer +nicht minder für Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern +gefallen wäre. + +Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die +revolutionäre Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine +konstituierte Vorstandschaft besaß, hatte schon bei Scipios Lebzeiten +hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplänkelt; namentlich +Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als +Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die +geheime Abstimmung in den Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt, +soweit es nicht bereits früher geschehen war, und sogar den +bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um +dasselbe Amt für das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also das +Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert war, +gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand +Scipios vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint nach +dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschränkenden Klauseln, +wieder ein- und durchgebracht 2. Die hauptsächliche Absicht der Partei +ging indes auf Reaktivierung des faktisch außer Tätigkeit gesetzten +Teilungsamts: unter den Führern ward der Plan ernstlich besprochen, die +Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben +entgegenstellten, durch Erteilung des Bürgerrechts an dieselben zu +beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu +begegnen, ließ der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius +Pennus die Ausweisung sämtlicher Nichtbürger aus der Hauptstadt +beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des +Gaius Gracchus, und der durch diese gehässige Maßregel hervorgerufenen +Gärung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus +Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul mit +dem Antrag, den Bürgern der Bundesgemeinden die Gewinnung der römischen +Bürgerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht gewonnen, +gegen Straferkenntnisse die Provokation an die römischen Komitien +einzuräumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte inzwischen die +Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius Gracchus +abwesend als Quästor in Sardinien - und scheiterte an dem Widerstand +nicht bloß des Senats, sondern auch der Bürgerschaft, die der +Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt +war. Flaccus verließ Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten zu +übernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den großen +Plänen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit aus der +üblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten +Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an der Grenze +von Latium und Kampanien am Hauptübergang über den Liris inmitten eines +großen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die zweite +Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewöhnliche +Wortführer für die sämtlichen latinischen Kolonien, begann infolge der +Zurückweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen Rom +- seit hundertfünfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen, nicht +durch auswärtige Mächte herbeigeführten Schilderhebung Italiens gegen +die römische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den Brand, ehe er +andere bundesgenössische Gemeinden ergriff, im Keime zu ersticken; +nicht durch die Überlegenheit der römischen Waffen, sondern durch den +Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward der +Prätor Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr +Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf +einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria +gegründet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die +umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare +Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose +Hochverratsprozesse verfolgten nicht bloß die Fregellaner, sondern auch +die Führer der Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der +Aristokratie als an dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen +erschien Gaius Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den +gefürchteten Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie +die übliche Ablösung unterließ und sodann, da er ohne hieran sich zu +kehren dennoch zurückkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen +Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die +Bürgerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh auf, +bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewöhnlich +zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631 +(123) ernannt. Der Krieg war also erklärt. Die demokratische Partei, +immer arm an leitenden Kapazitäten, hatte neun Jahre hindurch +notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu +Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als +Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Führerschaft +berufen war. + +—————————————————————————— + +2 Die Restriktion, daß die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn +es an anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht +schwer zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den älteren +Ordnungen anzugehören (Römisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473), +sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein. + +—————————————————————————— + +Gaius Gracchus (601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um +neun Jahre älteren Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem +Treiben abgewandt, ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er +hatte vor Numantia unter seinem Schwager und später in Sardinien mit +Auszeichnung gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an +Leidenschaft war er dem Tiberius entschieden überlegen. An der Klarheit +und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich später in dem Drang der +verschiedenartigsten, zur praktischen Durchführung seiner zahlreichen +Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen wußte, erkannte man die +echte staatsmännische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum +Tode getreuen Hingebung, mit der seine näheren Freunde an ihm hingen, +die Liebefähigkeit dieses adligen Gemütes. Der Energie seines Wollens +und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene +Zurückhaltung während der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht mit +geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in die +innerste Brust zurückgedrängte Erbitterung gegen die Partei, die das +Vaterland zerrüttet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch diese +furchtbare Leidenschaft seines Gemütes ist er der erste Redner +geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn +wahrscheinlich den ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen. +Noch unter den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind +manche selbst in diesem Zustande von herzerschütternder Mächtigkeit 3, +und wohl begreift man, daß, wer sie hörte oder auch nur las, +fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. Dennoch, +sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn selber der +Zorn, so daß dem glänzenden Sprecher die Rede trübe oder stockend floß. +Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und Leidens. In Gaius’ +Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, von jener etwas +sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren Gutmütigkeit, die +den politischen Gegner mit Bitten und Tränen umstimmen möchte; mit +voller Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach +dem Ziel der Rache. “Auch mir”, schrieb ihm seine Mutter, “scheint +nichts schöner und herrlicher, als dem Feinde zu vergelten, wofern dies +geschehen kann, ohne daß das Vaterland zugrunde geht. Ist aber dies +nicht möglich, da mögen unsere Feinde bestehen und bleiben, was. sie +sind, tausendmal lieber, als daß das Vaterland verderbe.” Cornelia +kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis war eben das Gegenteil. +Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung, Rache um jeden Preis, +mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darüber zugrunde gehen - die +Ahnung, daß das Verhängnis ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder, +trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem tödlich Verwundeten, der sich +auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch den Sohn, diese +tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus italienische Natur hat +die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, und sie hat recht daran +getan. + +———————————————————————————- + +3 So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen +Worte: “Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler +Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüßt habe und nun +niemand weiter übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius +Gracchus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu +lassen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und +ein Sprößling dieses Geschlechts übrig bleibe: so möchte wohl solches +mir von euch bereitwillig zugestanden werden.” + +——————————————————————————— + +Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativreform vor die +Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge +einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung, +als deren erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung +erscheint, daß es dem Volkstribun freistehen solle, sich für das +folgende Jahr wiederwählen zulassen. Wenn hiermit für das Volkshaupt +die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber schützenden Stellung +gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu +sichern, das heißt die hauptstädtische Menge - denn daß auf das nur von +Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlaß war, hatte +sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Führer zu +knüpfen. Hierzu diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen +Getreideverteilung. Schon früher war das dem Staat aus den +Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu Schleuderpreisen an +die Bürgerschaft abgegeben worden. Gracchus verfügte, daß fortan jedem +persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bürger monatlich eine +bestimmte Quantität - es scheint 5 Modii (5/6 preuß. Scheffel) -aus den +öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As +(2½ Groschen) oder noch nicht die Hälfte eines niedrigen +Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch Anlage der neuen +Sempronischen Speicher die öffentlichen Kornmagazine erweitert wurden. +Diese Verteilung, welche folgeweise die außerhalb der Hauptstadt +lebenden Bürger ausschloß und notwendig die ganze Masse des +Bürgerproletariats nach Rom ziehen mußte, sollte das hauptstädtische +Bürgerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie +abgehangen hatte, in die Klientel der Führer der Bewegungspartei +bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache +und eine feste Majorität in den Komitien gewähren. Zu mehrerer +Sicherheit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den +Zenturiatkomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf +Vermögensklassen in jedem Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, +abgeschafft; statt dessen sollten in Zukunft sämtliche Zenturien +durcheinander in einer jedesmal durch das Los festzustellenden +Reihenfolge stimmen. Wenn diese Bestimmungen wesentlich darauf +hinzielten, durch das hauptstädtische Proletariat dem neuen +Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die Hauptstadt und +damit über den Staat, die freieste Disposition über die Maschine der +Komitien und die Möglichkeit zu verschaffen, den Senat und die Beamten +nötigenfalls zu terrorisieren, so faßte doch der Gesetzgeber daneben +allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen Schäden mit Ernst +und Nachdruck an. Zwar die italische Domänenfrage war in gewissem Sinne +abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und selbst das Teilungsamt +bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius durchgebrachte Ackergesetz +kann nichts neu festgesetzt haben als die Zurückgabe der verlorenen +Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Daß hiermit nur das Prinzip gerettet +werden sollte und die Ackerverteilung wenn überhaupt, doch nur in sehr +beschränktem Umfang wiederaufgenommen ward, zeigt die Bürgerliste, die +für die Jahre 629 (125) und 639 (115) genau dieselbe Kopfzahl ergibt. +Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb nicht weiter, weil das von +römischen Bürgern in Besitz genommene Domanialland wesentlich bereits +verteilt war, die Frage aber wegen der von den Latinern benutzten +Domänen nur in Verbindung mit der sehr schwierigen über die Ausdehnung +des Bürgerrechts wiederaufgenommen werden durfte. Dagegen tat er einen +wichtigen Schritt hinaus über das Ackergesetz des Tiberius, indem er +die Gründung von Kolonien in Italien, namentlich in Tarent und vor +allem in Capua, beantragte, also auch das von Gemeinde wegen +verpachtete, bisher von der Aufteilung ausgeschlossene Domanialland zur +Verteilung mitheranzog, und zwar nicht zur Verteilung nach dem +bisherigen, die Gründung neuer Gemeinden ausschließenden Verfahren, +sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne Zweifel sollten auch diese +Kolonien die Revolution, der sie ihre Existenz verdankten, dauernd +verteidigen helfen. Bedeutender und folgenreicher noch war es, daß +Gaius Gracchus zuerst dazu schritt, das italische Proletariat in den +überseeischen Gebieten des Staats zu versorgen, indem er an die Stätte, +wo Karthago gestanden, 6000 vielleicht nicht bloß aus den römischen +Bürgern, sondern auch aus den italischen Bundesgenossen erwählte +Kolonisten sendete und der neuen Stadt Iunonia das Recht einer +römischen Bürgerkolonie verlieh. Die Anlage war wichtig, aber wichtiger +noch das damit hingestellte Prinzip der überseeischen Emigration, womit +für das italische Proletariat ein bleibender Abzugskanal und in der Tat +eine mehr als provisorische Hilfe eröffnet, freilich aber auch der +Grundsatz des bisherigen Staatsrechts aufgegeben ward, Italien als das +ausschließlich regierende, das Provinzialgebiet als das ausschließlich +regierte Land zu betrachten. + +Zu diesen auf die große Frage hinsichtlich des Proletariats unmittelbar +bezüglichen Maßregeln kam eine Reihe von Verfügungen, die hervorgingen +aus der allgemeinen Tendenz, gegenüber der altväterischen Strenge der +bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemäßere Grundsätze zur +Geltung zu bringen. Hierher gehören die Milderungen im Militärwesen. +Hinsichtlich der Länge der Dienstzeit bestand nach altem Recht keine +andere Grenze, als daß kein Bürger vor vollendetem siebzehnten und nach +vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum ordentlichen Felddienst +pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung Spaniens der Dienst +anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich verfügt zu sein, +daß, wer sechs Jahre hintereinander im Felde gestanden, dadurch +zunächst ein Recht erhalte auf den Abschied, wenngleich dieser vor der +Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht schützte; später, vielleicht um +den Anfang dieses Jahrhunderts, kam der Satz auf, daß zwanzigjähriger +Dienst zu Fuß oder zehnjähriger zu Roß überhaupt vom weiteren +Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte die vermutlich öfter +gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Bürger vor dem begonnenen +achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und beschränkte auch, wie es +scheint, die zur vollen Befreiung von der Militärpflicht erforderliche +Zahl von Feldzügen; überdies wurde den Soldaten die Kleidung, deren +Betrag ihnen bisher am Solde gekürzt worden war, fortan vom Staat +unentgeltlich geliefert. + +———————————————————————- + +4 So möchte die Angabe Appians (Hisp. 78), daß sechsjähriger Dienst +berechtige, den Abschied zu fordern, auszugleichen sein mit der +bekannteren des Polybios (6, 19), über welche Marquardt (Handbuch, Bd. +6, S. 381) richtig urteilt. Die Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, +läßt sich nicht weiter bestimmen, als daß die erste wahrscheinlich +schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die Gracchen, S. 231), die zweite +sicher schon zu Polybios’ Zeit bestand. Daß Gracchus die Zahl der +gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint aus Asconius (Corn. p. +68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio fr. 83; 7 Bekker. + +——————————————————————- + +Hierher gehört ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung +hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch +noch mehr, als es schon geschehen war, zu beschränken, die zum Teil +selbst in der Militärgerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit +Einführung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, über den +Bürger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhängen außer +nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Bürgers bald nach der +Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn, +Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen +beschränkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu +suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das +Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhängen oder vielmehr zu +bestätigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschränkt, daß +Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am häufigsten zu +Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und überhaupt Mord, der +Bürgerschaft entzog und an ständige Kommissionsgerichte überwies, +welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns +gesprengt werden konnten und von denen nicht bloß keine Appellation an +die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig wie die der +althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde +unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, namentlich bei den +eigentlich politischen Prozessen, zwar auch längst Regel, daß der +Angeklagte auf freiem Fuß prozessiert und ihm gestattet ward, durch +Aufgebung seines Bürgerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten; +denn die Vermögensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den +Exilierten noch treffen. Allein vorgängige Verhaftung und vollständige +Exekution blieben hier wenigstens rechtlich möglich und wurden selbst +gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius +Hostilius Tubulus, Prätor 612 (142), der wegen eines schweren +Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des +Exilrechts festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem +Zivilprozeß hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich +von Haus aus Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und +höchstens auf Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig +befundenen Mann gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur +förmlichen Strafe. Auch dieses unfreiwillige Exil ließ gleich dem +freiwilligen dem Verbannten das Vermögen, soweit es nicht zur +Befriedigung der Ersatzforderungen und in Geldbußen daraufging. + +Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus zwar nichts geneuert; doch +behaupten sehr achtbare Zeugen, daß er den verschuldeten Leuten auf +Minderung oder Erlaß der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn +es richtig ist, gleichfalls diesen radikal populären Maßregeln +beizuzählen ist. + +Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine +materielle Verbesserung ihrer Lage teils erwartete, teils empfing, +arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl +erkennend, wie unsicher jede bloß auf das Proletariat gebaute +Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war er vor allem darauf bedacht, +die Aristokratie zu spalten und einen Teil derselben in sein Interesse +zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die +Aristokratie der Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus +erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei wesentlich ungleichen +Massen, die man einigermaßen der Lords- und der Cityaristokratie +Englands vergleichen kann. Die eine umfaßte den tatsächlich +geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien, die der +unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre ungeheuren +Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille +Gesellschafter bei den großen Assoziationen verwerteten. Den Kern der +zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschäftsführer +dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Groß- und Geldgeschäfte +im ganzen Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Es ist schon +dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des +sechsten Jahrhunderts allmählich der senatorischen Aristokratie an die +Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschließung der Senatoren von dem +kaufmännischen Betrieb durch den von dem Vorläufer der Gracchen Gaius +Flaminius veranlaßten Claudischen Volksschluß, eine äußere Scheidewand +zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In der +gegenwärtigen Epoche beginnt die kaufmännische Aristokratie unter dem +Namen der “Ritterschaft” einen entscheidenden Einfluß auch in +politischen Angelegenheiten zu üben. Diese Bezeichnung, die +ursprünglich nur der diensttuenden Bürgerreiterei zukam, übertrug sich +allmählich, wenigstens im gewöhnlichen Sprachgebrauch, auf alle +diejenigen, die als Besitzer eines Vermögens von mindestens 400000 +Sesterzen zum Roßdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff +also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme römische +Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die +Inkompatibilität des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes +gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfähigen +ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im großen und ganzen +genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die +Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat +eingetretenen, namentlich also die jüngeren Glieder der senatorischen +Familien nicht aufhörten, als Ritter zu dienen und also zu heißen, ja +die eigentliche Bürgerreiterei, das heißt die achtzehn Ritterzenturien, +infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren, fortfuhren, +vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich zu ergänzen. + +Dieser Stand der Ritter, das heißt wesentlich der vermögenden +Kaufleute, berührte vielfältig sich unsanft mit dem regierenden Senat. +Es war eine natürliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und +den Männern, denen mit dem Gelde der Rang gekommen war. Die regierenden +Herren, vor allem die besseren von ihnen, standen der Spekulation +ebenso fern, wie die politischen Fragen und Koteriefehden den Männern +der materiellen Interessen gleichgültig waren. Jene und diese waren +namentlich in den Provinzen schon öfter hart zusammengestoßen; denn +wenn auch im allgemeinen die Provinzialen weit mehr Grund hatten, sich +über die Parteilichkeit der römischen Beamten zu beschweren als die +römischen Kapitalisten, so ließen doch die regierenden Herren vom Senat +sich nicht dazu herbei, den Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten +der Geldmänner auf Kosten der Untertanen so durchaus und unbedingt die +Hand zu leihen, wie es von jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht +gegen einen gemeinschaftlichen Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen +war, klaffte zwischen der Adels- und Geldaristokratie ein tief gehender +Riß; und geschickter als sein Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das +Bündnis gesprengt war und die Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. +Daß die äußeren Vorrechte, durch die späterhin die Männer von +Ritterzensus von der übrigen Menge sich unterschieden - der goldene +Fingerreif statt des gewöhnlichen eisernen oder kupfernen und der +abgesonderte und bessere Platz bei den Bürgerfesten -, der Ritterschaft +zuerst von Gaius Gracchus verliehen worden sind, ist nicht gewiß, aber +nicht unwahrscheinlich. Denn aufgekommen sind sie auf jeden Fall um +diese Zeit, und wie die Erstreckung dieser bisher im wesentlichen +senatorischen Privilegien auf den von ihm emporgehobenen Ritterstand +ganz in Gracchus’ Art ist, so war es auch recht eigentlich sein Zweck, +der Ritterschaft den Stempel eines zwischen der senatorischen +Aristokratie und der gemeinen Menge in der Mitte stehenden, ebenfalls +geschlossenen und privilegierten Standes aufzudrücken; und ebendies +haben jene Standesabzeichen, wie gering sie an sich auch waren und wie +viele Ritterfähige auch ihrer sich nicht bedienen mochten, mehr +gefördert als manche an sich weit wichtigere Verordnung. Indes die +Partei der materiellen. Interessen, wenn sie dergleichen Ehren auch +keineswegs verschmäht, ist doch dafür allein nicht zu haben. Gracchus +erkannte es wohl, daß sie zwar dem Meistbietenden von Rechts wegen +zufällt, aber es auch eines hohen und reellen Gebotes bedurfte; und so +bot er ihr die asiatischen Gefälle und die Geschworenengerichte. + +Das System der römischen Finanzverwaltung, sowohl die indirekten +Steuern wie auch die Domanialgefälle durch Mittelsmänner zu erheben, +gewährte an sich schon dem römischen Kapitalistenstand auf Kosten der +Steuerpflichtigen die ausgedehntesten Vorteile. Die direkten Abgaben +indes bestanden entweder, wie in den meisten Ämtern, in festen, von den +Gemeinden zu entrichtenden Geldsummen, was die Dazwischenkunft +römischer Kapitalisten von selber ausschloß, oder, wie in Sizilien und +Sardinien, in einem Bodenzehnten, dessen Erhebung für jede einzelne +Gemeinde in den Provinzen selbst verpachtet ward und wobei also +regelmäßig die vermögenden Provinzialen, und sehr häufig die +zehntpflichtigen Gemeinden selbst, den Zehnten ihrer Distrikte +pachteten und dadurch die gefährlichen römischen Mittelsmänner von sich +abwehrten. Als sechs Jahre zuvor die Provinz Asia an die Römer gefallen +war, hatte der Senat sie im wesentlichen nach dem ersten System +einrichten lassen. Gaius Gracchus 5 stieß diese Verfügung durch einen +Volksschluß um und belastete nicht bloß die bis dahin fast steuerfreie +Provinz mit den ausgedehntesten indirekten und direkten Abgaben, +namentlich dem Bodenzehnten, sondern er verfügte auch, daß diese +Hebungen für die gesamte Provinz und in Rom verpachtet werden sollten - +eine Bestimmung, die die Beteiligung der Provinzialen tatsächlich +ausschloß und die in der Mittelsmännerschaft für Zehnten, Hutgeld und +Zölle der Provinz Asia eine Kapitalistenassoziation von kolossaler +Ausdehnung ins Leben rief. Charakteristisch für Gracchus’ Bestreben, +den Kapitalistenstand vom Senat unabhängig zu machen, ist dabei noch +die Bestimmung, daß der völlige oder teilweise Erlaß der Pachtsumme +nicht mehr, wie bisher, vom Senat nach Ermessen bewilligt werden, +sondern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle. +Wenn hier dem Kaufmannsstand eine Goldgrube eröffnet und in den +Mitgliedern der neuen Gesellschaft ein selbst der Regierung +imponierender Kern der hohen Finanz, ein “Senat der Kaufmannschaft” +konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den +Geschworenengerichten eine bestimmte öffentliche Tätigkeit zugewiesen. +Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die +Bürgerschaft gehörte, war bei den Römern von Haus aus sehr eng und +ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten +Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die +Zivilsachen, wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils +stehenden, teils außerordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher +waren jene und diese ausschließlich aus dem Senat genommen worden; +Gracchus überwies sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den +ständigen und nichtständigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an +den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der +Ritterzenturien aus den sämtlichen ritterfähigen Individuen jährlich +neu formieren ließ und die Senatoren geradezu, die jungen Männer der +senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze +von den Gerichten ausschloß 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die +Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Männer gelenkt ward, die in +den großen kaufmännischen Assoziationen namentlich der asiatischen und +sonstigen Steuerpächter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein +sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen; +und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietäten in +ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des +also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war, +daß, während bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die +Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Bürgerschaft als +legislative Behörde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren, +jetzt die Geldaristokratie nicht bloß auf der soliden Basis der +materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse +sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende +Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast +ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute +gegen den Adel mußten fortan in den Wahrsprüchen der Geschworenen einen +nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den +Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator +nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Großhändlern und +Bankiers die Entscheidung zu erwarten über seine bürgerliche Existenz. +Die Fehden zwischen den römischen Kapitalisten und den römischen +Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den +bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der +Reichen war nicht bloß gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt, +daß der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand. + +——————————————————————————- + +5 Daß er und nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt +jetzt Fronto in den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, +10; Cic. rep. 3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6. + +6 Die zunächst durch diese Veränderung des Richterpersonals veranlaßte +neue Gerichtsordnung für die ständige Kommission wegen Erpressungen +besitzen wir noch zum großen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des +Servilischen oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes. + +————————————————————————- + +Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, +ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden +Aristokratie. Den Senat stürzen hieß einerseits durch gesetzliche +Neuerungen eine wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch +Maßregeln mehr persönlicher und transitorischer Art die bestehende +Aristokratie zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die +Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschließlich zugestanden; Gracchus +nahm sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen +durch Komitialgesetze, das heißt tatsächlich durch tribunizische +Machtsprüche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den +Senat möglichst beschränkte, teils selbst in der umfassendsten Weise +die Geschäfte an sich zog. Die Maßregeln der ersten Gattung sind schon +erwähnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu +fragen, über die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den +öffentlichen Finanzen eine dauernde und drückende Last aufbürdete, über +die Domänen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats- und +Volks-, sondern allein nach Volksschluß aussandte, über die +Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene +Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstieß und eine durchaus andere +an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden +Geschäften des Senats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen +Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der +bisher dabei geübte indirekte Druck auf die höchsten Beamten dadurch +beschränkt, daß der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen +festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewählt seien. Mit +beispielloser Tätigkeit endlich konzentrierte Gaius die +verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschäfte in seiner +Person: Er selbst überwachte die Getreideverteilung, erlas die +Geschworenen, gründete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden +Amtes persönlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloß die +Bauverträge ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die +Konsulwahlen - kurz er gewöhnte das Volk daran, daß in allen Dingen ein +Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung +des senatorischen Kollegiums durch sein kräftiges und gewandtes +persönliches Regiment. + +Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die +senatorische Gerichtsallmacht. Daß er die Senatoren als Geschworene +beseitigte, ward schon gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, +die der Senat als oberste Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmefällen +gestattete. Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem +erneuerten Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung außerordentlicher +Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluß, wie diejenige gewesen +war, welche nach seines Bruders Ermordung über dessen Anhänger zu +Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Maßregeln ist, daß der Senat +die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das +Staatshaupt ihm zu lassen für gut befand. Indes diese konstitutiven +Maßregeln genügten nicht; auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie +wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein bloßer Akt der Rache war es, +daß dem zuletzt erwähnten Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt und +dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen erfolgtem +Tode der Haß der Demokraten hauptsächlich traf, Publius Popillius, +genötigt ward, das Land zu meiden. Merkwürdigerweise ging dieser Antrag +nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der Bezirksversammlung durch +- ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch +der Einfluß der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches, +aber weit minder zu rechtfertigendes Dekret, den gegen Marcus Octavius +gerichteten Antrag, daß, wer durch Volksschluß sein Amt verloren habe, +auf immer unfähig sein solle, einen öffentlichen Posten zu bekleiden, +nahm Gaius zurück auf Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die +Schande, durch die Legalisierung einer notorischen +Verfassungsverletzung das Recht offen zu verhöhnen und an einem +Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius gesprochen und nur der +Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie verstand, gemäß gehandelt +hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von ganz anderer Wichtigkeit als +diese Maßregeln war Gaius’ freilich wohl schwerlich zur Ausführung +gelangter Plan, den Senat durch 300 neue Mitglieder, das heißt ungefähr +ebenso viele als er bisher hatte, zu verstärken und diese aus dem +Ritterstand durch Komitien wählen zu lassen - eine Pairskreierung im +umfassendsten Stil, die den Senat in die vollständigste Abhängigkeit +von dem Staatsoberhaupt gebracht haben würde. + +———————————————————————— + +7 Dies und das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur dürften identisch +sein. + +———————————————————————— + +Dies ist die Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und +während der beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in +ihren wesentlichsten Punkten durchgeführt hat, soweit wir sehen, ohne +auf irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stoßen und ohne zur +Erreichung seiner Zwecke Gewalt anwenden zu müssen. Die Reihenfolge, in +der die Maßregeln durchgebracht sind, läßt in der zerrütteten +Überlieferung sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende +Frage müssen wir die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, +daß uns mit dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da +über die Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius +keineswegs wie sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und +weiter gedrängt ward, sondern offenbar einen wohl überlegten, +umfassenden Plan in einer Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen +vollständig realisierte. + +Daß nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmütige Leute in alter +und neuer Zeit gemeint haben, die römische Republik auf neue +demokratische Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der +Form eines durch stehende Wiederwahl lebenslänglich und durch +unbedingte Beherrschung der formell souveränen Komitien absolut +gemachten Amtes, eines unumschränkten Volkstribunats auf Lebenszeit, +anstatt der Republik die Tyrannis, das heißt nach heutigem +Sprachgebrauch die nicht feudalistische und nicht theokratische, die +napoleonisch absolute Monarchie einführen wollte, das offenbart die +Sempronische Verfassung selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der +Augen hat und haben will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte +deutlich und deutlicher seine Werke es sagen, den Sturz des +Senatsregiments bezweckte, was blieb in einem Gemeinwesen, das über die +Urversammlungen hinaus und für das der Parlamentarismus nicht vorhanden +war, nach dem Sturz des aristokratischen Regiments für eine andere +politische Ordnung möglich als die Tyrannis? Träumer, wie sein +Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit +heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war +ein Staatsmann, und wenn auch die Formulierung, die der große Mann für +sein großes Werk bei sich selber aufstellte, uns nicht überliefert und +in sehr verschiedener Weise denkbar ist, so wußte er doch +unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die beabsichtigte Usurpation der +monarchischen Gewalt sich verkennen läßt, so wenig wird, wer die +Verhältnisse übersieht, den Gracchus deswegen tadeln. Eine absolute +Monarchie ist ein großes Unglück für die Nation, aber ein minderes als +eine absolute Oligarchie; und wer der Nation statt des größeren das +kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am +wenigsten eine so leidenschaftlich ernste und allem Gemeinen so +fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichtsdestoweniger darf +sie es nicht verschweigen, daß durch die ganze Gesetzgebung desselben +eine Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das +gemeine Beste bezweckt, andererseits den persönlichen Zwecken, ja der +persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war ernstlich bemüht, +für die sozialen Schäden eine Abhilfe zu finden und dem einreißenden +Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich durch seine +Getreideverteilungen, die für alles arbeitsscheue hungernde +Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein +hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich +groß. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des +Senats und deckte namentlich den skandalösen Schacher, den Manius +Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit +schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben +Mannes Werk, daß der souveräne Pöbel der Hauptstadt für seine +Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren ließ. +Gracchus mißbilligte lebhaft die schändliche Ausplünderung der +Provinzen und veranlaßte nicht bloß, daß in einzelnen Fällen mit +heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der +durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio +Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein +ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch überlieferte er +zugleich durch die Einführung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen +mit gebundenen Händen der Partei der materiellen Interessen und damit +einer noch rücksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen +war, und führte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die +nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind +und menschlich heißen konnte - beides, weil er teils der Partei der +Geldmänner, teils für seine Getreideverteilungen und die sonstigen den +Finanzen neu aufgebürdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen +bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und eine +geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmäßige Anordnungen +bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem auf einer +fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter Usurpationen; +dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete Staat, soweit +irgend möglich, zwar nicht über die politischen Parteien, aber doch +außerhalb derselben zu stellen bemüht sein wird, absichtlich mitten in +den Strudel der Revolution. Allerdings fällt die Schuld dieser +Zwiespältigkeit in Gaius Gracchus’ Tendenzen zu einem sehr großen Teil +mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich hier an der Schwelle +der Tyrannis entwickelt sich das verhängnisvolle sittlich-politische +Dilemma, daß derselbe Mann zugleich, man möchte sagen, als +Räuberhauptmann sich behaupten und als der erste Bürger den Staat +leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon +bedenkliche Opfer haben bringen müssen. Indes ganz läßt sich Gaius +Gracchus’ Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklären; es wirkt +daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die glühende Rache, die, +den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das +Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er über seine +Geschworenenordnung und ähnliche auf die Spaltung der Aristokratie +abzweckende Maßregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den +Markt geworfen, damit die Bürger - die vornehmen, versteht sich - mit +ihnen sich untereinander zerfleischen möchten. Er war ein politischer +Brandstifter; nicht bloß die hundertjährige Revolution, die von ihm +datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des Gaius +Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes +entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten +hauptstädtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden +von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollständig +demoralisiert, teils seiner Macht sich bewußt ward und mit seinen bald +pinselhaften, bald bübischen Ansprüchen und seiner Fratze von +Volkssouveränität ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem +römischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und +doch - dieser größte der politischen Verbrecher ist auch wieder der +Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der +römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Gaius Gracchus. +Von ihm rührt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten +Kriegsrechts begründete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser +praktischen Anwendung doch dem älteren Staatsrecht fremde Satz her, daß +aller Grund und Boden der untertänigen Gemeinden als Privateigentum des +Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunächst benutzt ward, um dem +Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden beliebig zu besteuern, wie +es in Asien, oder auch zur Anlegung von Kolonien zu verwenden, wie es +in Afrika geschah, und der späterhin ein fundamentaler Rechtssatz der +Kaiserzeit ward. Von ihm rührt die Taktik der Demagogen und Tyrannen +her, auf die materiellen Interessen sich stützend die regierende +Aristokratie zu sprengen, überhaupt aber durch eine strenge und +zweckmäßige Administration anstatt des bisherigen Mißregiments die +Verfassungsänderung nachträglich zu legitimieren. Auf ihn gehen vor +allem zurück die Anfänge einer Ausgleichung zwischen Rom und den +Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie unvermeidlich mit sich +bringen mußte; der Versuch, das durch die italische Rivalität zerstörte +Karthago wiederaufzubauen und überhaupt der italischen Emigration den +Weg in die Provinzen zu eröffnen, ist das erste Glied in der langen +Kette dieser folgen- und segensreichen Entwicklung. Es sind in diesem +seltenen Mann und in dieser wunderbaren politischen Konstellation Recht +und Schuld, Glück und Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier +sich wohl ziemen mag, was der Geschichte nur selten ziemt, mit dem +Urteil zu verstummen. + +—————————————————————- + +8 Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der +Einziehung des Attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von +Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren durch +Mehrgebot erstanden ward, bezieht sich ein noch vorhandenes längeres +Redebruchstück des Gracchus. Er bemerkt darin, daß von den Senatoren +keiner umsonst sich um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere, und +fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede stehende Gesetz (über die +Verleihung Phrygiens an König Mithradates) teile der Senat sich in drei +Klassen: solcher, die dafür seien, solcher, die dagegen seien, und +solcher, die stillschwiegen - die ersten seien bestochen von König +Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien +die feinsten, denn diese ließen sich von den Gesandten beider Könige +bezahlen und jede Partei glauben, daß in ihrem Interesse geschwiegen +werde. + +———————————————————————————— + +Als Gracchus die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich +vollendet hatte, legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. +Noch schwankte die Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. +Wie die Führer der demokratischen Partei darüber dachten, hatte sich +sattsam gezeigt; sie wünschten natürlich die möglichste Ausdehnung des +römischen Bürgerrechts, nicht bloß, um die von den Latinern okkupierten +Domänen zur Verteilung bringen zu können, sondern vor allem, um mit der +ungeheuren Masse der Neubürger ihre Klientel zu verstärken, um die +Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten +Wählerschaft immer vollständiger in ihre Gewalt zu bringen, überhaupt +um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der +republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor. +Allein hier stießen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und +vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, was +sie verstand und nicht verstand, ihr souveränes Ja gab; aus dem +einfachen Grunde, daß diesen Leuten das römische Bürgerrecht sozusagen +wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei sehr +handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz und +gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionäre zu vermehren. Die +Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus +entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, +der eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden +Fraktion der Bürgerschaft als auch des ungeduldigen Drängens der +Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte +Gracchus, wahrscheinlich durch übernommene Verpflichtungen gegen die +Bundesgenossen gedrängt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit +Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das früher von ihm ohne Erfolg +beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat +übernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle +Bürger-, den übrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht der +Latiner zu gewähren. Allein der Antrag stieß auf die vereinigte +Opposition des Senats und des hauptstädtischen Pöbels; welcher Art +diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein +aus der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Bürgerschaft gegen +den Antrag hielt, zufällig erhaltenes Bruchstück. “So meint ihr also”, +sprach der Optimat, “wenn ihr den Latinern das Bürgerrecht erteilt, +eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch künftig in der +Bürgerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz +finden zu können? Glaubt ihr nicht vielmehr, daß jene Leute jeden Fleck +besetzen werden?” Bei der Bürgerschaft des fünften Jahrhunderts, die an +einem Tage allen Sabinern das Bürgerrecht verlieh, hätte ein solcher +Redner wohl mögen ausgezischt werden: die des siebenten fand seine +Gründe ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen Preis +der Assignation der latinischen Domänen weitaus zu niedrig. Schon daß +der Senat es durchsetzte, die sämtlichen Nichtbürger vor dem +entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu dürfen, zeigte +das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der +Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz +einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, daß Gracchus +nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des +Marcus Octavius zu bereiten. + +Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der dem Senat den Mut gab, den +Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen. Die Angriffsmittel waren +wesentlich dieselben, mit denen früher Gracchus selbst operiert hatte. +Gracchus’ Macht ruhte auf der Kaufmannschaft und dem Proletariat, +zunächst auf dem letzteren, das in diesem Kampf, in welchem +militärischer Rückhalt beiderseits nicht vorhanden war, gleichsam die +Rolle der Armee spielte. Es war einleuchtend, daß der Senat weder der +Kaufmannschaft noch dem Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen +mächtig genug war; jeder Versuch, die Getreidegesetze oder die neue +Geschworenenordnung anzugreifen, hätte, in etwas plumperer oder etwas +zivilisierterer Form, zu einem Straßenkrawall geführt, dem der Senat +völlig wehrlos gegenüberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, +daß Gracchus selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig +zusammengehalten wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und daß sowohl +die Männer der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche +Pöbel sein Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie +von Gaius Gracchus. Gracchus’ Institutionen standen, für den Augenblick +wenigstens, unerschütterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner +eigenen Oberhauptschaft. Die Schwäche dieser lag darin, daß in +Gracchus’ Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein +Treuverhältnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle +anderen Elemente der Lebensfähigkeit vorhanden waren, nur ein einziges +nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das +jeder Staat auf tönernen Füßen steht. In der Verwerfung des Antrags, +die Latiner in den Bürgerverband aufzunehmen, war es mit schneidender +Deutlichkeit zu Tage gekommen, daß die Menge in der Tat niemals für +Gracchus stimmte, sondern immer nur für sich; die Aristokratie entwarf +den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf +seinem eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von +selbst, daß der Senat dem Proletariat nicht bloß das gleiche bot, was +Gracchus ihm an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch +mehr. Im Auftrag des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus +vor, den Gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins zu erlassen +und ihre Landlose für freies und veräußerungsfähiges Eigentum zu +erklären; ferner, statt in den überseeischen, das Proletariat zu +versorgen in zwölf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu +deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer ernennen möge; nur +Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische +Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen +Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten, +wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes +Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint +nicht mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich +einzelne Verfügungen des Drusus, wie die Bestimmung, daß dem +latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von +dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt werden dürfen, die +allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner für andere Verluste +zu entschädigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die +Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das +Bestreben, das schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere +gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, die +Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die +italischen Domänen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn +man die gesamten, den Latinern überwiesenen konfiszierte -, das für +zwölf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Bürgerschaften +erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein möge, +endlich Drusus’ Erklärung, daß er mit der Ausführung seines Gesetzes +nichts zu tun haben wolle, so verwünscht gescheit, daß sie beinahe +herzlich albern war. Indes für das plumpe Wild, das man fangen wollte, +war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht +entscheidend, daß Gracchus, auf dessen persönlichen Einfluß alles +ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete und +sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch sein +heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Hände +arbeitete. Das “Volk” ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso +bereitwillig wie früher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem +neuesten Wohltäter wie üblich dadurch, daß es dem früheren einen +mäßigen Tritt versetzte und, als dieser sich für das Jahr 633 (121) zum +drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwählte; wobei +übrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher +beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach +die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter +Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloß im allgemeinen +gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius +der Mann, der als Prätor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die +Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am +wenigsten bedenklichen Häupter der strengen Adelspartei, ein Mann fest +entschlossen, den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu +beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hörte +Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius +sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nützlichste und die +unpopulärste Maßregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago. +Hatte man bisher die überseeischen Kolonien nur mittelbar durch die +lockenderen italischen angegriffen, so wühlten jetzt afrikanische +Hyänen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und die +römischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daß solches Wunder und +Zeichen ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der +gottverfluchten Stätte. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen +gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausführung der +Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung +derselben ernannten Männern eben damals die Kolonisten auslas, erschien +an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Bürgerschaft +berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu +bewirken. Gewalttätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern +nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes +hatte er nicht wehren können, daß ein großer Teil seiner Getreuen, der +Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den +Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der +ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Händel kaum zu vermeiden. +In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius +Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen +Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide +in der Hand, die “schlechten Bürger” an, die Halle zu räumen, und +schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger +Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstieß. Es entstand +ein furchtbarer Lärm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen +und die Urheberschaft der gotteslästerlichen Mordtat von sich +abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund +mehr, indem er, ohne dessen in dem Getümmel gewahr zu werden, einem +eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein +verschollenes Statut aus der Zeit des alten Ständehaders die schwerste +Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Maßregeln, +um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die +Vorgänge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand zu +unterdrücken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel am +Markte; mit dem frühesten Morgen füllte das Kapitol sich mit kretischen +Bogenschützen, Rathaus und Markt mit den Männern der Regierungspartei, +den Senatoren und der ihnen anhängigen Fraktion der Ritterschaft, +welche auf Geheiß des Konsuls sämtlich bewaffnet und jeder von zwei +bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner +von der Aristokratie; selbst der ehrwürdige, hochbejahrte und der +Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert +erschienen. Ein tüchtiger und in den spanischen Kriegen erprobter +Offizier, Decimus Brutus, übernahm das Kommando der bewaffneten Macht; +der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche des +Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam +überrascht, erschien in Masse an der Tür, um die Leiche in Augenschein +zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurück, um das weitere zu +beschließen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre +Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum +Straßenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu verschmähen schien, mit +dem Verhängnis zu kämpfen. Als man am andern Morgen die auf dem Kapitol +und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben beide +sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der +Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus +dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte sich im +Tempel der Diana, während er zugleich seinen jüngeren Sohn Quintus in +das feindliche Lager sandte, um womöglich einen Vergleich zu +vermitteln. Dieser kam zurück mit der Meldung, daß die Aristokratie +unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des Senats +an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen +Verletzung der tribunizischen Majestät sich zu verantworten. Gracchus +wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und +wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwächlichen +Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der +beiden vorgeladenen Führer bloß der junge Quintus Flaccus abermals sich +einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu stellen, +als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung; er ließ +den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den Aventin, +indem er zugleich in den Straßen ausrufen ließ, daß dem, der das Haupt +des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe +buchstäblich mit Gold aufwiegen werde, sowie daß sie jedem, der vor dem +Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit +gewährleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der +tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstürmte den +fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist +geringe Leute. Marcus Flaccus flüchtete mit seinem ältesten Sohn in ein +Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden. +Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva +zurückgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als +sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor, +womöglich sich für bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus ließ sich +bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu +entkommen; allein den Berg hinabeilend stürzte er und verstauchte sich +den Fuß. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden +Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin, +Publius Laetorius auf der Tiberbrücke, da wo einst Horatius Cocles +allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern +sich entgegen und ließen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur +von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer +des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man später die beiden Leichen; +es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber +den Tod gegeben. Die Köpfe der beiden gefallenen Führer wurden der +Regierung, wie befohlen, eingehändigt, auch dem Überbringer des Kopfes +des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene +Preis und darüber ausgezahlt, dagegen die Mörder des Flaccus, geringe +Leute, mit leeren Händen fortgeschickt. Die Körper der Getöteten wurden +in den Fluß geworfen, die Häuser der Führer zur Plünderung der Menge +preisgegeben. Gegen die Anhänger des Gracchus begann der Prozeßkrieg im +großartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker aufgeknüpft +worden sein, unter ihnen der achtzehnjährige Quintus Flaccus, der an +dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner Jugend und seiner +Liebenswürdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem Freiplatz unter dem +Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem Frieden von Camillus +geweihte Altar und andere, bei ähnlichen Veranlassungen errichtete +Heiligtümer der Eintracht sich befanden, wurden diese kleinen Kapellen +niedergerissen und aus dem Vermögen der getöteten oder verurteilten +Hochverräter, das bis auf die Mitgift ihrer Frauen hin konfisziert +ward, nach Beschluß des Senats von dem Konsul Lucius Opimius ein neuer +glänzender Tempel der Eintracht mit dazugehöriger Halle errichtet - +allerdings war es zeitgemäß, die Zeichen der alten Eintracht zu +beseitigen und eine neue zu inaugurieren über den Leichen der drei +Enkel des Siegers von Zama, die nun alle, zuerst Tiberius Gracchus, +dann Scipio Aemilianus, endlich der jüngste und gewaltigste von ihnen, +Gaius Gracchus, von der Revolution verschlungen worden waren. Der +Gracchen Andenken blieb offiziell geächtet; nicht einmal das +Trauergewand durfte Cornelia um den Tod ihres letzten Sohnes anlegen. +Allein die leidenschaftliche Anhänglichkeit, die gar viele im Leben für +die beiden edlen Brüder und vornehmlich für Gaius empfunden hatten, +zeigte sich in rührender Weise auch nach ihrem Tode in der fast +religiösen Verehrung, die die Menge ihrem Andenken und an den Stätten, +wo sie gefallen waren, allen polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz +fortfuhr zu zollen. + + + + +KAPITEL IV. +Die Restaurationsherrschaft + + +Das neue Gebäude, das Gaius Gracchus aufgeführt hatte, war mit seinem +Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie der seines Bruders zunächst +nichts als ein Akt der Rache; allein es war doch zugleich ein sehr +wesentlicher Schritt zur Restauration der alten Verfassung, daß aus der +Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu begründen, die Person +des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle um so mehr, weil nach +der Katastrophe des Gaius und dem gründlichen Opimischen Blutgericht im +Augenblick schlechterdings niemand vorhanden war, der, sei es durch +Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen Staatsoberhaupt, sei es durch +überwiegende Fähigkeit, auch nur zu einem Versuch, den erledigten Platz +einzunehmen, sich legitimiert gefühlt hätte. Gaius war ohne Kinder aus +der Welt gegangen, und auch Tiberius’ hinterlassener Knabe starb, bevor +er zu seinen Jahren kam; die ganze sogenannte Volkspartei war +buchstäblich ohne irgendeinen auch nur namhaft zu machenden Führer. Die +Gracchische Verfassung glich einer Festung ohne Kommandanten; Mauern +und Besatzung waren unversehrt, aber der Feldherr fehlte, und es war +niemand vorhanden, der an den leeren Platz sich hätte setzen mögen als +eben die gestürzte Regierung. + +So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus’ erblosem Abgang stellte das +Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war +dies um so natürlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich +formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden +Ausnahmehandlungen tatsächlich zunichte gemacht worden war. Dennoch +würde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter +sehen wollte als ein Zurückgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit +Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist +immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte +Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu +gerüstet in dem Heerzeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat den +Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so +fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stücken mit der Verfassung der +Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner +Zeit wo nicht ganz zu beseitigen, doch gründlich zu reinigen von den +der regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fürs +erste reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius +Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfügungen aus der +Verbannung zurück (633 121) und machte den Gracchanern den Prozeßkrieg; +wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius nach +Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu +bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist für +den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die +Aristokratie an Gesinnungstüchtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst +Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und noch +kürzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine +Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Überläufer; als gegen ihn von +den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, ließ +ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden +Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So +erwiesen die Männer der Reaktion in Personenfragen sich als lautere +Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der +Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung griff +die Reaktion zunächst nicht an und schonte nicht bloß die +Kaufmannschaft und das hauptstädtische Proletariat, sondern huldigte, +wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner +diesen Mächten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener, +als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloß, weil +die Gracchische Revolution in den Gemütern der Zeitgenossen noch lange +nachzitterte und ihre Schöpfungen schützte: die Hegung und Pflegung +wenigstens der Pöbelinteressen vertrug sich in der Tat aufs +vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es ward +dabei nichts weiter geopfert als bloß das gemeine Beste. Alle +diejenigen Maßregeln, die von Gaius Gracchus zur Förderung des +öffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich +begreiflicherweise auch den unpopulärsten Teil seiner Gesetzgebung, +ließ die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich +angegriffen wie der großartigste seiner Entwürfe: der Plan, zunächst +die römische Bürgerschaft und Italien, sodann Italien und die Provinzen +rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied zwischen bloß +herrschenden und zehrenden und bloß dienenden und arbeitenden +Staatsangehörigen weggeräumt ward, zugleich durch die umfassendste und +systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, die soziale Frage +zu lösen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen grämlichen +Eigensinn der Altersschwäche drängte die restaurierte Oligarchie den +Grundsatz der abgelebten Geschlechter, daß Italien das herrschende Land +und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben müsse, der Gegenwart +aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus war die Zurückweisung +der italischen Bundesgenossen eine vollendete Tatsache und war gegen +den großen Gedanken der überseeischen Kolonisation ein sehr ernsthafter +Angriff gerichtet worden, der die nächste Ursache zu Gracchus’ +Untergang geworden war. Nach seinem Tode wurde der Plan der +Wiederherstellung Karthagos mit leichter Mühe von der Regierungspartei +beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon verteilten Landlose +den Empfängern geblieben sind. Zwar daß der demokratischen Partei auf +einem andern Punkte eine ähnliche Gründung gelang, konnte sie nicht +wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der Alpen, welche Marcus +Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre 636 (118) die Kolonie +Narbo (Narbonne) begründet, die älteste überseeische Bürgerstadt im +Römischen Reiche, welche trotz vielfacher Anfechtungen der +Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung derselben vom Senat +gestellten Antrags dennoch, geschützt wahrscheinlich durch die +beteiligten kaufmännischen Interessen, dauernden Bestand gehabt hat. +Indes abgesehen von dieser, in ihrer Vereinzelung nicht sehr +bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung, die Landanweisung +außerhalb Italiens durchgängig zu verhindern. + +In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die +italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und, +soweit sie bereits zur Ausführung gekommen waren, wieder aufgelöst; nur +die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, daß die neue +Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite trat. +Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domänen bereits +verteilt war, blieb den Empfängern; die darauf von Gracchus im +Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschränkungen, Erbzins und +Veräußerungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen die +noch nach Okkupationsrecht besessenen Domänen, welche außer dem von den +Latinern genutzten Domanialland zum größten Teil bestanden haben werden +in dem gemäß des Gracchischen Maximum den Inhabern gebliebenen +Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten definitiv +zuzuwenden und auch die Möglichkeit künftiger Aufteilung abzuschneiden. +Freilich waren es zunächst diese Ländereien, aus denen die 36000 von +Drusus verheißenen neuen Bauernhufen hätten gebildet werden sollen; +allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter dem Monde diese +Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands belegen sein +möchten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen Dienst +getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine Kolonie von +Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus +zurückgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats +der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre +635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester +Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstädtischen Pöbel zugute kam - +es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward: +noch weitergehende Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der +Getreidespenden, wehrte der verständige Volkstribun Gaius Marius ab. +Acht Jahre später (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch +einen neuen Volksschluß ^1 das okkupierte Domanialland geradezu +umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen +Okkupanten. Man fügte hinzu, daß in Zukunft Domanialland überhaupt +nicht okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine +Weide offenstehen solle; für den letzteren Fall ward durch Feststellung +eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stück Groß- und fünfzig Stück +Kleinvieh dafür gesorgt, daß nicht der große Herdenbesitzer den kleinen +tatsächlich ausschließe - verständige Bestimmungen, in denen die +Schädlichkeit des übrigen längst aufgegebenen Okkupationssystems +nachträglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst +getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine +Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die römische Aristokratie +also für sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in ihren +Händen war, sich in Eigentum umwandeln ließ, beschwichtigte sie +zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, daß sie denselben an +dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie +genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh, +aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran +ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der üblen Lage, daß in den +wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der +hauptstädtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene mit +der römischen Regierung eine Art Bündnis eingingen und gegen die +ausschweifenden Absichten mancher römischen Demagogen bei dem Senat +Schutz suchten und fanden. + +———————————————————————————— + +^1 Er ist großenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit +dreihundert Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen +Ackergesetzes. + +———————————————————————————— + +Während also die restaurierte Regierung es sich angelegen sein ließ, +die Keime zum Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden +waren, gründlich auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen +von Gracchus erweckten feindlichen Mächten gegenüber vollständig +ohnmächtig. Das hauptstädtische Proletariat blieb bestehen in +anerkannter Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand +ließ der Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwärtig auch dieses +Joch eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es +waren unwürdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden +nicht, daß sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das +Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die +verfassungsmäßigen Beschränkungen des Stimmrechts der Freigelassenen +einschärfte, war für lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der +senatorischen Regierung, ihren Pöbeltyrannen wieder zu bändigen. Der +Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einführung +der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurückgabe der Prozesse an +senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wünschte, aber +auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domänen zu +verschleudern, sondern einem einflußreichen Stande gegenüber eine +Maßregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation +der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl +aber trugen diese Maßregeln dazu bei, das niemals aufrichtige +Einverständnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und +dem Proletariat noch ferner zu trüben. Beide wußten sehr genau, daß der +Senat alle Zugeständnisse nur aus Angst und widerwillig gewährte; weder +durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsrücksichten an die Herrschaft +des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit, jedem anderen +Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot, dieselben +Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine +Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte +die Restauration weiter mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen +Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der +Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloß auf den gleichen Basen wie +die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch +schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Pöbel im Bunde +zweckmäßige Institutionen umstieß, aber den Gassenbanden wie den +kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen machtlos. Sie saß auf +dem erledigten Thron mit bösem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den +Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfähig, auch nur +planmäßig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen außer, wo der +eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die +eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der +kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein unübertroffenes +Ideal der Mißregierung. + +—————————————————————————— + +2 Das zeigt, wie bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend +gemacht, daß bei Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats +genannt werde; allein teils beweist dies nicht genug, teils paßt, was +daselbst erzählt wird, schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres +648 (106), und es muß hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder +in den berichteten Tatsachen. + +—————————————————————————- + +Es konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem +und sittlichem Verfall, vor allem aber die höchsten Stände. Die +Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht überreich an +Talenten und die Bänke des Senats vollgedrängt von feigem und +verlottertem adligen Gesindel; indes es saßen doch in demselben auch +Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus, +Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und fähige Männer, und +wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, daß der Senat in +der Unrechtfertigkeit ein gewisses Maß und ein gewisses Dekorum in dem +Mißregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestürzt und sodann +wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der +Restauration. Hatte die Aristokratie früher regiert schlecht und recht +und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fühlbare Opposition, so +hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den +Abgrund gezeigt, der vor ihren Füßen klaffte. War es ein Wunder, daß +fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment +der altadligen Herrenpartei bezeichnete? daß die Regierenden noch +unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die +nichtregierende Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? daß +die Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des +Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Söhne und +(wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer +einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen +berufene Leute, innerhalb fünfzehn Jahren (631-645 123-109) sämtlich +zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten, +von den Schwiegersöhnen und so weiter zu schweigen? daß, je gewalt- und +grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war, er +desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder +Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? daß die Regierenden und die +Regierten nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien glichen, daß in +ihrem Krieg kein Völkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich, +daß, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese +restaurierte es mit Skorpionen züchtigte. Sie kam zurück; aber sie kam +weder klüger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der römischen +Aristokratie so vollständig an staatsmännischen und militärischen +Kapazitäten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der +Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafür ist der +Koryphäe der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus. +Der Sohn hochadliger, aber unvermögender Eltern und darum genötigt, +Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich +auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann +des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und +verewigte seinen Namen nicht bloß als Redner und Schriftsteller, +sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem +Jahrhundert ausgeführten Staatsbauten. Indes wenn man näher zusieht, +laufen seine vielgefeierten Großtaten darauf hinaus, daß er als +Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit +seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefähr ebenso ernsthafte Siege +über den revolutionären Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent +indes darin bestand, ganz ebenso zugänglich und bestechlich zu sein wie +jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den +Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und +vor allem durch seine vornehme und ehrwürdige Erscheinung vor dem +Publikum den Fabricius zu agieren. In militärischer Hinsicht finden +sich zwar einige ehrenvolle Ausnahmen tüchtiger Offiziere aus den +höchsten Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, daß die +vornehmen Herren, wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten, +schleunigst aus den griechischen Kriegshandbüchern und den römischen +Annalen zusammenlasen, was nötig war, um einen militärischen Diskurs zu +führen und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando +einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Fähigkeit und erprobter +Bescheidenheit übergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor +der Senat einer Versammlung von Königen glich, so spielten diese ihre +Nachfahren nicht übel die Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser +restaurierten Adligen hielt völlig die Waage ihre politische und +sittliche Nichtswürdigkeit. Wenn nicht die religiösen Zustände, auf die +zurückzukommen sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser Zeit ein +treues Spiegelbild böten und ebenso die äußere Geschichte in dieser +Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des römischen Adels als einen +ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so würden die entsetzlichsten +Verbrechen, die in den höchsten Kreisen Roms Schlag auf Schlag zum +Vorschein kamen, allein denselben hinreichend charakterisieren. + +Die Verwaltung war nach innen und nach außen, was sie sein konnte unter +einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens griff mit +erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie das +Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen, und +in ihrem neuen Übermut das Austreiben derselben immer häufiger sich +selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die Regentropfen im +Meer. Wie mit der politischen die ökonomische Oligarchie mindestens +Schritt hielt, zeigt die Äußerung, die ein gemäßigt demokratischer +Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) tat, daß es in der ganzen +Bürgerschaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den praktischen +Kommentar dazu lieferten abermals die Sklavenaufstände, welche in den +ersten Jahren des Kimbrischen Krieges alljährlich in Italien +ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii. Diese letzte +Zusammenrottung war schon so bedeutend, daß gegen sie der städtische +Prätor mit seiner Legion hatte marschieren müssen und dennoch nicht +durch Waffengewalt, sondern nur durch tückischen Verrat der +Insurrektion Herr geworden war. Auch das war eine bedenkliche +Erscheinung, daß an der Spitze derselben kein Sklave gestanden hatte, +sondern der römische Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem +wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven frei und sich zu +ihrem König zu erklären (650 104). Wie gefährlich die Anhäufung der +Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien, beweisen die +Vorsichtsmaßregeln hinsichtlich der Goldwäschereien von Victumulae, die +seit 611 (143) für Rechnung der römischen Regierung betrieben wurden: +die Pächter wurden zuerst verpflichtet, nicht über 5000 Arbeiter +anzustellen, später der Betrieb durch Senatsbeschluß gänzlich +eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwärtigen war in der Tat +alles zu fürchten, wenn, wie dies sehr möglich war, ein Heer von +Transalpinern in Italien eindrang und die großenteils stammverwandten +Sklaven zu den Waffen rief. + +Verhältnismäßig mehr noch litten die Provinzen. Man versuche sich +vorzustellen, wie es in Ostindien aussehen würde, wenn die englische +Aristokratie wäre, was in jener Zeit die römische war, und man wird +eine Vorstellung der Lage von Sizilien und Asia haben. Die +Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft die Kontrolle der Beamten +übertrug, nötigte diese, gewissermaßen gemeinschaftliche Sache mit +jener zu machen und durch unbedingte Nachgiebigkeit gegen die +Kapitalisten in den Provinzen sich unbeschränkte Plünderungsfreiheit +und Schutz vor der Anklage zu erkaufen. Neben diesen offiziell und +halboffiziell angestellten Räubern plünderten Land- und Seepiraten die +sämtlichen Landschaften des Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen +Gewässern trieben die Flibustier es so arg, daß selbst die römische +Regierung sich genötigt sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den +Schiffen der abhängigen Kaufstädte gebildete Flotte unter dem mit +prokonsularischer Gewalt bekleideten Prätor Marcus Antonius nach +Kilikien zu entsenden. Diese brachte nicht bloß eine Anzahl +Korsarenschiffe auf und nahm einige Felsennester aus, sondern die Römer +richteten hier sich sogar für die Dauer ein und besetzten zur +Unterdrückung des Seeraubs in dem Hauptsitz desselben, dem rauhen oder +westlichen Kilikien, feste militärische Positionen, was der Anfang war +zur Einrichtung der seitdem unter den römischen Ämtern erscheinenden +Provinz Kilikien 3. Die Absicht war löblich und der Plan an sich +zweckmäßig entworfen; nur bewies leider der Fortbestand und die +Steigerung des Korsarenunwesens in den asiatischen Gewässern und +speziell in Kilikien, mit wie unzulänglichen Mitteln man von der neu +genommenen Stellung aus die Piraterie bekämpfte. + +——————————————————————————- + +3 Vielfältig wird angenommen, daß die Einrichtung der Provinz Kilikien +erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676 +f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla (App. +Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus +Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach +nichts übrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652 +(102) zu setzen. Hierfür spricht ferner, daß in dieser Zeit die Züge +der Römer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen, +ligurischen, dalmatischen, regelmäßig gerichtet erscheinen auf +Besetzung der Küstenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natürlich, denn +da die Römer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel, dem +Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Küsten. Übrigens ist +daran zu erinnern, daß der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz +der Landschaft in sich schließt, sondern an sich nichts ist als ein +selbständiges militärisches Kommando; es ist sehr möglich, daß die +Römer zunächst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station +für Schiffe und Mannschaft. + +Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den Krieg gegen Tigranes bei dem +Syrischen Reich (App. Syr. 48); die ehemals zu Kilikien gerechneten +Landschaften nördlich des Tauros, das sogenannte kappadokische Kilikien +und Kataonien gehörten jenes seit der Auflösung des Attalischen Reiches +(Iust. 37, 1; oben S. 62), dieses wohl schon seit dem Frieden mit +Antiochos zu Kappadokien. + +—————————————————————————— + +Aber nirgends kam die Ohnmacht und die Verkehrtheit der römischen +Provinzialverwaltung in so nackter Blöße zu Tage wie in den +Insurrektionen des Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der +Aristokratie zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein +schienen. Jene aus Aufständen zu Kriegen anschwellenden +Schilderhebungen der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134) +als eine und vielleicht die nächste Ursache der Gracchischen Revolution +aufgetreten waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger +Einförmigkeit. Wieder gärte es wie dreißig Jahre zuvor in der gesamten +Sklavenschaft im Römischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen +ward schon gedacht. In den attischen Silberbergwerken standen die +Grubenarbeiter auf, besetzten das Vorgebirge Sunion und plünderten +längere Zeit hindurch von dort aus die Umgegend; an anderen Orten +zeigten sich ähnliche Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz +dieser fürchterlichen Vorgänge Sizilien mit seinen Plantagen und den +dort zusammenströmenden kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist +charakteristisch für die Größe des Übels, daß ein Versuch der +Regierung, den schlimmsten Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu +steuern, die nächste Ursache der neuen Insurrektion ward. Daß die +freien Proletarier in Sizilien wenig besser daran waren als die +Sklavenschaft, hatte schon ihr Verhalten zu dem ersten Aufstand +gezeigt; nach der Besiegung desselben nahmen die römischen Spekulanten +ihre Revanche und steckten die freien Provinzialen massenweise unter +die Sklavenschaften ein. Infolge einer hiergegen im Jahre 650 (204) vom +Senat erlassenen scharfen Verfügung setzte der damalige Statthalter von +Sizilien, Publius Licinius Nerva, in Syrakus ein Freiheitsgericht +nieder, das in der Tat mit Ernst durchgriff; in kurzer Zeit war in +achthundert Prozessen gegen die Sklavenbesitzer entschieden und die +Zahl der anhängig gemachten Sachen immer noch im Steigen. Die +erschreckten Plantagenbesitzer stürmten nach Syrakus, um von dem +römischen Statthalter die Sistierung solcher unerhörten Rechtspflege zu +erzwingen; Nerva war schwach genug, sich terrorisieren zu lassen und +die prozeßbittenden Unfreien mit barschen Worten anzuweisen, daß sie +sich des lästigen Verlangens von Recht und Gerechtigkeit zu begeben und +augenblicklich zu denen zurückzukehren hätten, die sich ihre Herren +nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt dessen sich zusammen und +gingen in die Berge. Der Statthalter war auf militärische Maßregeln +nicht gefaßt und selbst der elende Landsturm der Insel nicht sogleich +zur Hand; weshalb er ein Bündnis abschloß mit einem der bekanntesten +Räuberhauptleute auf der Insel und durch das Versprechen eigener +Begnadigung ihn bewog, die aufständischen Sklaven durch Verrat den +Römern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward man also Herr. +Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang es, dafür eine +Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu schlagen, und +dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie vor allem +bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergerät der gefallenen und +flüchtigen Gegner gab die erste Grundlage für ihre militärische +Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende +angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren +Vorgängern, sich nicht unwürdig, von Königen regiert zu werden wie ihre +Landsleute daheim und - den Lumpenkönig der Heimat bis auf den Namen +parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als König +Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), wo diese +Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den Händen +der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Städte schon von +ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen und +italischen Scharen der römische Statthalter das Sklavenheer vor +Morgantia überfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die +Sklaven, obwohl überrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam, +wich der Landsturm der Insel nicht bloß beim ersten Anprall, sondern, +da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen +ließen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit, +ihren Abschied zu nehmen, und das römische Heer lief vollständig +auseinander. Hätten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den +Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren; +sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmäßig die Freiheit +geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt +retten, worauf sodann der römische Statthalter das den Sklaven von den +Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich +erzwungen von Rechts wegen kassierte. + +Während also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um +sich griff, brach ein zweiter aus auf der Westküste. An der Spitze +stand hier Athenion. Er war, eben wie Kleon, einst ein gefürchteter +Räuberhauptmann in seiner Heimat Kilikien gewesen und von dort als +Sklave nach Sizilien geführt worden. Ganz wie seine Vorgänger +versicherte er sich der Gemüter der Griechen und Syrer vor allem durch +Prophezeiungen und anderen erbaulichen Schwindel; aber kriegskundig und +einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht, wie die übrigen Führer, die +ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, sondern bildete aus den +kriegstüchtigen Mannschaften ein organisiertes Heer, während er die +Masse zu friedlicher Beschäftigung anwies. Bei der strengen Mannszucht, +die in seinen Truppen jedes Schwanken und jede unbotmäßige Regung +niederhielt, und der milden Behandlung der friedlichen Landbewohner und +selbst der Gefangenen errang er rasche und große Erfolge. Die Hoffnung, +daß die beiden Führer sich veruneinigen würden, schlug den Römern auch +diesmal fehl; freiwillig fügte sich Athenion dem weit minder fähigen +König Tryphon und erhielt damit die Einigkeit unter den Insurgenten. +Bald herrschten diese so gut wie unumschränkt auf dem platten Lande, wo +die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven +hielten; die römischen Behörden waren nicht imstande, gegen sie das +Feld zu nehmen, und mußten sich begnügen, mit dem sizilischen und dem +eiligst herangezogenen afrikanischen Landsturm die Städte zu schützen, +welche sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die +Rechtspflege stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das +Faustrecht. Da kein Ackerbürger sich mehr vor das Tor, kein Landmann +sich in die Stadt wagte, brach die fürchterlichste Hungersnot herein, +und die städtische Bevölkerung dieser sonst Italien ernährenden Insel +mußte von den römischen Behörden mit Getreidesendungen unterstützt +werden. Dazu drohten überall im Innern die Verschwörungen der +Stadtsklaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst +Messana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So schwer es der +Regierung fiel, während des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite +Armee ins Feld zu stellen, sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 +(103) ein Heer von 14000 Römern und Italikern, umgerechnet die +überseeischen Milizen, unter dem Prätor Lucius Lucullus nach der Insel +zu entsenden. Das vereinigte Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb +Sciacca und nahm die Schlacht an, die Lucullus anbot. Die bessere +militärische Organisation gab den Römern den Sieg: Athenion blieb für +tot auf der Walstatt, Tryphon mußte sich in die Bergfestung Triokala +werfen; die Insurgenten berieten ernstlich, ob es möglich sei, den +Kampf länger fortzusetzen. Indes die Partei, die entschlossen war, +auszuharren bis auf den letzten Mann, behielt die Oberhand; Athenion, +der in wunderbarer Weise gerettet worden war, trat wieder unter die +Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor allem aber tat Lucullus +unbegreiflicherweise nicht das geringste, um seinen Sieg zu verfolgen, +ja er soll absichtlich die Armee desorganisiert und sein Feldgerät +verbrannt haben, um die gänzliche Erfolglosigkeit seiner Amtsführung zu +bedecken und von seinem Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu +werden. Mag dies wahr sein oder nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius +(652 102) erlangte nicht bessere Resultate, und beide Generale sind +später ihrer Amtsführung wegen kriminell belangt und verurteilt worden, +was freilich auch durchaus kein sicherer Beweis für ihre Schuld ist. +Athenion, der nach Tryphons Tode (652 102) den Oberbefehl allein +übernommen hatte, stand siegreich an der Spitze eines ansehnlichen +Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius Aquillius, der das Jahr zuvor +unter Marius im Teutonenkriege sich ausgezeichnet hatte, als Konsul und +Statthalter die Führung des Krieges übernahm. Nach zweijährigen harten +Kämpfen - Aquillius soll mit Athenion persönlich gefochten und ihn im +Zweikampf getötet haben - schlug der römische Feldherr endlich die +verzweifelte Gegenwehr nieder und überwand die Insurgenten in ihren +letzten Schlupfwinkeln durch Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde +das Waffentragen untersagt und der Friede zog wieder auf ihr ein, das +heißt die neuen Peiniger wurden abgelöst von den altgewohnten; wie denn +namentlich der Sieger selbst unter den zahlreichen und energischen +Räuberbeamten dieser Zeit eine hervorragende Stelle einnimmt. Für wen +es aber noch eines Beweises bedurfte, wie das Regiment der +restaurierten Aristokratie im Innern beschaffen war, den konnte man auf +die Entstehung wie auf die Führung dieses zweiten fünfjährigen +Sizilischen Sklavenkrieges verweisen. + +Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der römischen +Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen +hervor. Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung +auch nur der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, +gewachsen war, so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, +wie man jetzt in Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um +dieselbe Zeit, wo der Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor +den Augen der erstaunten Welt das Schauspiel aufgeführt, daß gegen die +gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien und Asien mit einem +Schlag ihres schweren Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender +Klientelfürst nicht mittels Waffen, sondern mittels der Erbärmlichkeit +ihrer regierenden Herren eine vierzehnjährige Usurpation und +Insurrektion durchzuführen vermochte. + +Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich aus bis an die +Große Syrte, so daß es einerseits grenzte an das Mauretanische Reich +von Tingis (das heutige Marokko), andererseits an Kyrene und Ägypten, +und den schmalen Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich, +südlich und östlich umschloß; es umfaßte außer den alten Besitzungen +der numidischen Häuptlinge den bei weitem größten Teil desjenigen +Gebiets, welches Karthago in den Zeiten seiner Blüte in Afrika besessen +hatte, darunter mehrere bedeutende altphönikische Städte wie Hippo +regius (Bona) und Groß-Leptis (Lebidah), überhaupt den größten und +besten Teil des reichen nordafrikanischen Küstenlandes. Nächst Ägypten +war ohne Frage Numidien der ansehnlichste unter allen römischen +Klientelstaaten. Nach Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter +dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die +väterliche Herrschaft in der Art geteilt, daß der erstgeborene die +Residenz und die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die +Gerichtsbarkeit übernahm. Jetzt regierte nach dem Tode seiner beiden +Brüder wieder allein Massinissas ältester Sohn Micipsa 4, ein +schwacher, friedlicher Greis, der lieber als mit Staatsangelegenheiten +sich mit dem Studium der griechischen Philosophie beschäftigte. Da +seine Söhne noch nicht erwachsen waren, führte tatsächlich die Zügel +der Regierung ein illegitimer Neffe des Königs, der Prinz Jugurtha. +Jugurtha war kein unwürdiger Enkel Massinissas. Er war ein schöner Mann +und ein gewandter und mutiger Reiter und Jäger; seine Landsleute +hielten den klaren und einsichtigen Verwalter in hohen Ehren, und seine +militärische Brauchbarkeit hatte er als Führer des numidischen +Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen erwiesen. Seine Stellung +im Königreich und der Einfluß, dessen er durch seine zahlreichen +Freunde und Kriegskameraden bei der römischen Regierung genoß, ließen +es König Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu adoptieren (634 120) und in +seinem Testament zu verordnen, daß des Königs beide älteste leibliche +Söhne Adherbal und Hiempsal und sein Adoptivsohn Jugurtha selbdritt, +ebenso wie er selbst mit seinen beiden Brüdern, zu gesamter Hand das +Reich erben und regieren sollten. Zu größerer Sicherheit wurde diese +Verfügung unter die Garantie der römischen Regierung gestellt. Bald +nachher, im Jahre 636 (118) starb König Micipsa. Das Testament trat in +Kraft; allein die beiden Söhne Micipsas, mehr noch als der schwache +ältere Bruder der heftige Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den +sie als Eindringling in die legitime Erbfolge ansahen, so heftig +zusammen, daß der Gedanke an eine Gesamtregierung der drei Könige +aufgegeben werden mußte. Man versuchte eine Realteilung durchzuführen; +allein die hadernden Könige vermochten über die Landes- und +Schatzquoten sich nicht zu einigen, und die Schutzmacht, der hier von +Rechts wegen das entscheidende Wort zustand, bekümmerte wie gewöhnlich +um diese Angelegenheit sich nicht. Es kam zum Bruch; Adherbal und +Hiempsal mochten das Testament des Vaters als erschlichen bezeichnen +und Jugurthas Miterbrecht überhaupt bestreiten, wogegen Jugurtha +auftrat als Prätendent auf das gesamte Königreich. Noch während der +Verhandlungen über die Teilung ward Hiempsal durch gedungene +Meuchelmörder aus dem Wege geschafft; zwischen Adherbal und Jugurtha +kam es zum Bürgerkriege, in dem ganz Numidien Partei nahm. Mit seinen +minder zahlreichen, aber besser geübten und besser geführten Truppen +siegte Jugurtha und bemächtigte sich des gesamten Reichsgebiets unter +den grausamsten Verfolgungen gegen die seinem Vetter anhängenden +Häupter. Adherbal rettete sich nach der römischen Provinz und ging von +da nach Rom, um dort Klage zu führen. Jugurtha hatte es erwartet und +sich darauf eingerichtet, der drohenden Intervention zu begegnen. Er +hatte im Lager von Numantia noch mehr von Rom kennengelernt als die +römische Taktik: der numidische Prinz, eingeführt in die Kreise der +römischen Aristokraten, war zugleich eingeweiht worden in die römischen +Koterieintrigen und hatte an der Quelle studiert, was man römischen +Adligen zumuten könne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, +hatte er illoyale Unterhandlungen über die numidische Erbfolge mit +vornehmen römischen Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich +erinnern müssen, daß es fremden Prinzen anständiger sei, mit dem +römischen Staat als mit einzelnen römischen Bürgern Freundschaft zu +halten. Jugurthas Gesandte erschienen in Rom, nicht bloß mit Worten +ausgerüstet; daß sie die richtigen diplomatischen Überzeugungsmittel +gewählt hatten, bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von +Adherbals gutem Recht überzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich +davon, daß Hiempsal seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen +umgebracht worden und daß der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha +sei, sondern Adherbal. Selbst die leitenden Männer im Senat erschraken +vor dem Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der +Senat überging das Geschehene mit Stillschweigen und verfügte, daß die +beiden überlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen +erhalten und zur Verhütung neuen Haders die Teilung durch eine +Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular +Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der +Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn für seinen +Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission +stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und +nicht zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta +(Constantine) mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an +Adherbal, allein eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwüsten +bestehende östliche Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare +und bevölkerte Westhälfte (das spätere Sitifensische und Cäsariensische +Mauretanien) zu teil. + +——————————————————————— + +4 Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender: + + +——————————————————————— + +Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege +der Verteidigung Adherbal um seine Hälfte bringen zu können, reizte +Jugurtha denselben zum Kriege; indes da der schwache Mann, durch die +gemachten Erfahrungen gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet +ungehindert brandschatzen ließ und sich begnügte, in Rom Beschwerde zu +führen, begann Jugurtha, ungeduldig über diese Weitläufigkeiten, auch +ohne Vorwand den Krieg. In der Gegend des heutigen Philippeville ward +Adherbal vollständig geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt +Cirta. Während die Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen +mit den in Cirta zahlreich ansässigen und bei der Verteidigung der +Stadt lebhafter als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern +täglich sich herumschlugen, erschien die von dem römischen Senat auf +Adherbals erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natürlich junge +unerfahrene Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewöhnlichen +Staatssendungen regelmäßig verwandte. Die Gesandten verlangten, daß +Jugurtha sie als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die +Stadt einlasse, überhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung +annehme. Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen +schleunigst heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Väter der +Stadt zu berichten. Die Väter hörten den Bericht an und ließen ihre +Landsleute in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. +Erst als im fünften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch +die Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des +Königs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte +derselbe sich auf und faßte wirklich einen Beschluß - nicht etwa den +Krieg zu erklären, wie die Minorität es verlangte, sondern eine neue +Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus +an der Spitze, dem großen Bezwinger der Taurisker und der +Freigelassenen, dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen bloßes +Erscheinen genügen werde, den ungehorsamen König auf andere Gedanken zu +bringen. In der Tat erschien Jugurtha, wie geheißen, in Utica, um mit +Scaurus zu verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich +die Konferenz geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat +erreicht. Die Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklärt zu haben, nach +Rom zurück und der König wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal +sah sich aufs Äußerste gebracht und verzweifelte an der römischen +Unterstützung; die Italiker in Cirta, der Belagerung müde und für ihre +eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem römischen +Namen, drängten überdies zur Übergabe. So kapitulierte die Stadt. +Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern +hinzurichten, die sämtliche erwachsene männliche Bevölkerung der Stadt +aber, Afrikaner wie Italiker, über die Klinge springen zu lassen (642 +112). + +Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Italien. Die Minorität des +Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten einmütig diese +Regierung, für die die Ehre und das Interesse des Landes nichts zu sein +schienen als verkäufliche Artikel; am lautesten die Kaufmannschaft, die +durch die Hinopferung der römischen und italischen Kaufleute in Cirta +am nächsten getroffen worden war. Die Majorität des Senats sträubte +sich zwar auch jetzt noch; sie appellierte an die Standesinteressen der +Aristokratie und setzte alle Hebel der kollegialischen +Geschäftsverschleppung in Bewegung, um den lieben Frieden noch ferner +zu bewahren. Indes als der für 643 (111) gewählte Volkstribun Gaius +Memmius, ein tätiger und beredter Mann, sofort nach Antritt seines +Amtes den Handel öffentlich zur Sprache brachte und die schlimmsten +Sünder zu gerichtlicher Verantwortung ziehen zu wollen drohte, ließ der +Senat es geschehen, daß der Krieg an Jugurtha erklärt ward (642/43 +112/11). Es schien ernst zu werden. Jugurthas Gesandte wurden, ohne +vorgelassen zu sein, aus Italien ausgewiesen; der neue Konsul Lucius +Calpurnius Bestia, der, unter seinen Standesgenossen wenigstens, durch +Einsicht und Tätigkeit sich auszeichnete, betrieb die Rüstungen mit +Energie; Marcus Scaurus selbst übernahm eine Befehlshaberstelle in der +afrikanischen Armee; in kurzer Zeit stand ein römisches Heer auf +afrikanischem Boden und rückte, am Bagradas (Medscherda) +hinaufmarschierend, ein in das Numidische Königreich, wo die vor dem +Sitz der königlichen Macht entlegensten Städte, wie Groß-Leptis, +bereits freiwillig ihre Unterwerfung einsandten, während König Bocchus +von Mauretanien, obwohl seine Tochter mit Jugurtha vermählt war, doch +den Römern Freundschaft und Bündnis antrug. Jugurtha selbst verlor den +Mut und sandte Boten in das römische Hauptquartier, um Waffenstillstand +zu erbitten. Das Ende des Kampfes schien nahe und kam noch schneller, +als man dachte. Der Vertrag mit König Bocchus scheiterte daran, daß der +König, unbekannt mit den römischen Sitten, diesen den Römern +vorteilhaften Vertrag umsonst abschließen zu können gemeint und deshalb +versäumt hatte, seinen Boten den marktgängigen Preis römischer +Bündnisse mitzugeben. Jugurtha kannte allerdings die römischen +Institutionen besser und hatte nicht versäumt, seine +Waffenstillstandsanträge durch die gehörigen Begleitgelder zu +unterstützen; indes auch er hatte sich getäuscht. Nach den ersten +Verhandlungen ergab es sich, daß im römischen Hauptquartier nicht bloß +der Waffenstillstand feil sei, sondern auch der Friede. Die königliche +Schatzkammer war noch von Massinissas Zeiten her wohl gefüllt; rasch +war man handelseinig. Der Vertrag ward abgeschlossen, nachdem der Form +halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt und nach einer unordentlichen +und möglichst summarischen Verhandlung dessen Zustimmung erwirkt worden +war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade und Ungnade; der Sieger aber +übte Gnade und gab dem König sein Reich ungeschmälert zurück gegen eine +mäßige Buße und die Auslieferung der römischen Oberläufer und der +Kriegselefanten (643 111), welche letztere der König großenteils später +wiedereinhandelte durch Verträge mit den einzelnen römischen +Platzkommandanten und Offizieren. + +Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt +wußte, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war zu +haben, nur um einen höheren als den gemeinen senatorischen +Durchschnittspreis. Die Rechtsbeständigkeit des Friedens ward im Senat +ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklärte, daß der König, wenn er +wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern könne, in +Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen möge, um hinsichtlich +der durchaus irregulären Friedensverhandlungen durch Vernehmung der +beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fügte +sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der König nicht +als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich +sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der König in der Tat in +Rom und stellte sich zum Verhör vor dem versammelten Volke, das mühsam +bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Mörder der +cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreißen. Allein kaum +hatte Gaius Memmius die erste Frage an den König gerichtet, als einer +seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Könige befahl zu +schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold mächtiger als der +Wille des souveränen Volkes und seiner höchsten Beamten. Inzwischen +gingen im Senat die Verhandlungen über die Gültigkeit des soeben +abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius +Albinus nahm eifrig Partei für den Antrag, denselben zu kassieren, in +der Aussicht, daß dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde. +Dies veranlaßte einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva, +seine Ansprüche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat +geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Königs +Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen +Auftrag, meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafür der +Prozeß gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, +unter den Augen der römischen Regierung verübte Verbrechen bewirkte +wenigstens so viel, daß der Senat nun den Frieden kassierte und den +König aus der Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also +wieder an, und der Konsul Spurius Albinus übernahm den Oberbefehl (644 +110). Allein das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten +hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen politischen und +militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloß von Disziplin war +die Rede nicht mehr und die Plünderung der numidischen Ortschaften, ja +des römischen Provinzialgebiets während der Waffenruhe das +Hauptgeschäft der römischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch +nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche +Einverständnisse angeknüpft mit dem Feinde. Daß ein solches Heer im +Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch +diesmal vom römischen Obergeneral die Untätigkeit kaufte, wie dies +später gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er +wahrlich ein übriges. Spurius Albinus also begnügte sich damit, nichts +zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch den +Oberbefehl übernahm, der ebenso tolldreiste als unfähige Aulus +Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kühnen +Handstreich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der +schwer zugänglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (später +Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und +erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und +aussichtslos, und als der König, der eine Zeitlang mit seinen Truppen +vor der Stadt gestanden, in die Wüste ging, zog der römische Feldherr +es vor, ihn zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch +einen nächtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und +Jugurthas Einverständnisse in der römischen Armee zusammenwirkten, +eroberten die Numidier das römische Lager und trieben die großenteils +waffenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht vor +sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug des +römischen Heeres unter dem Joch, sofortige Räumung des ganzen +numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten +Bündnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Römern angenommen +wurden (Anfang 645 109). + +Dies war denn doch zu arg. Während die Afrikaner jubelten und die +plötzlich eröffnende Aussicht auf den kaum noch für möglich gehaltenen +Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche Stämme der freien und halbfreien +Wüstenbewohner unter die Fahnen des siegreichen Königs führte, brauste +in Italien die öffentliche Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene +wie verderbliche Regierungsaristokratie und brach los in einem +Prozeßsturm, der, genährt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft, +eine Reihe von Opfern aus den höchsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf +den Antrag des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der +schüchternen Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine +außerordentliche Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des +in der numidischen Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und +ihre Wahlsprüche sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius +Bestia und Spurius Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der +ersten afrikanischen Kommission und nebenbei den Henker des Gaius +Gracchus, außerdem zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und +unschuldige Männer der Regierungspartei in die Verbannung. Daß indes +diese Prozesse einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger +der am meisten kompromittierten Personen die aufgeregte öffentliche +Meinung namentlich der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und daß +dabei von einer Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose +Regiment selbst nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr +deutlich die Tatsache, daß an den schuldigsten unter den Schuldigen, an +den klugen und mächtigen Scaurus nicht bloß niemand sich wagte, sondern +daß er eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu +einem der Vorstände der außerordentlichen Hochverratskommission erwählt +ward. Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in +ihre Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat überlassen, +dem numidischen Skandal in der für die Aristokratie möglichst gelinden +Weise ein Ende zu machen; denn daß dies an der Zeit war, mochte wohl +selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen. + +Der Senat kassierte zunächst auch den zweiten Friedensvertrag - den +Oberbefehlshaber, der ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie +dies noch vor dreißig Jahren geschehen war, schien nach den neuen +Begriffen von der Heiligkeit der Verträge nicht ferner nötig -, und die +Erneuerung des Krieges ward diesmal allen Ernstes beschlossen. Man +übergab den Oberbefehl in Afrika zwar wie natürlich einem Aristokraten, +aber noch einem der wenigen vornehmen Männer, die militärisch und +sittlich der Aufgabe gewachsen waren. Die Wahl fiel auf Quintus +Metellus. Er war wie die ganze mächtige Familie, der er angehörte, +seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloser Aristokrat, als +Beamter ein Mann, der es zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des +Staats Meuchelmörder zu dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, +vermutlich als unpraktische Donquichotterie verlacht haben würde, aber +doch ein unbeugsamer, weder der Furcht noch der Bestechung zugänglicher +Verwalter und ein einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser +Hinsicht war er auch von seinen Standesvorurteilen so weit frei, daß er +sich zu seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, +sondern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen +seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veränderten und +verbesserten Exerzierreglements in militärischen Kreisen geschätzt +ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen +Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen fähigen Offizieren +begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul +und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so +zerrütteten Zustand antraf, daß die Generale bisher nicht gewagt +hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu führen und sie niemand +fürchterlich war als den unglücklichen Bewohnern der römischen Provinz. +Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Frühling des Jahres 646 +(108) 5 führte Metellus sie über die numidische Grenze. Wie Jugurtha +der veränderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich verloren und +machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte +Vergleichsanträge, indem er schließlich nichts weiter begehrte, als daß +man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und +vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als +mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen +Klientelfürsten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den +Römern genügen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg über Albinus als der +Erlöser Libyens von der Herrschaft der verhaßten Fremden; rücksichtslos +und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die römische Regierung war, +konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in seiner Heimat den +Krieg entzünden; die Ruhe war nicht eher gesichert und die Entfernung +der afrikanischen Armee nicht eher möglich, als wenn König Jugurtha +nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende Antworten auf die +Anträge des Königs; insgeheim stiftete er die Boten desselben auf, +ihren Herrn lebend oder tot an die Römer auszuliefern. Indes wenn der +römische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem Gebiet des +Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister; Jugurtha +durchschaute den Plan und rüstete sich, da er nicht anders konnte, zur +verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des völlig öden Gebirgszugs, über den +der Weg der Römer in das Innere führte, erstreckte sich in der Breite +von vier deutschen Meilen bis zu dem dem Gebirgszug parallel laufenden +Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis auf die unmittelbare +Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war und nur durch einen +mit niedrigem Gestrüpp bedeckten Hügelrücken in der Quere durchsetzt +ward. Auf diesem Hügelrücken erwartete Jugurtha das römische Heer. +Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein Teil der Infanterie +und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Rücken auslief gegen den +Fluß, die andere, der Kern des Fußvolks und die gesamte Reiterei, höher +hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch das Gestrüpp. Aus dem +Gebirge debouchierend, erblickten die Römer den Feind in einer ihre +rechte Flanke vollständig beherrschenden Stellung und hatten, da sie +auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmöglich verweilen konnten +und den Fluß notwendig erreichen mußten, die schwierige Aufgabe zu +lösen, durch die vier Meilen breite, ganz offene Ebene, unter den Augen +der feindlichen Reiter und selber ohne leichte Kavallerie, an den Strom +zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement unter Rufus in gerader +Richtung an den Fluß, um daselbst ein Lager zu schlagen; die Hauptmasse +marschierte aus den Debouchés des Gebirges in schräger Richtung durch +die Ebene auf den Hügelrücken zu, um den Feind von demselben +herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene drohte das Verderben +des Heeres zu werden, denn während numidische Infanterie im Rücken der +Römer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese sie räumten, sah sich die +römische Angriffskolonne auf allen Seiten von den feindlichen Reitern +umschwärmt, die von dem Hügelrücken herab angriffen. Das stete +Anprallen der feindlichen Schwärme hinderte den Vormarsch, und die +Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter Detailgefechte +aufzulösen; während gleichzeitig Bomilkar mit seiner Abteilung das +Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer bedrängten +römischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang es Metellus und +Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuß des Hügelrückens zu +erreichen; und das numidische Fußvolk, das die Höhen verteidigte, lief +trotz der Überzahl und der günstigen Stellung fast ohne Widerstand +davon, als die Legionäre im Sturmschritt den Berg hinauf angriffen. +Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fußvolk gegen Rufus; es ward +bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten in dem +durchschnittenen Terrain alle getötet oder gefangen. Spät am Abend +trafen die beiden römischen Heerhaufen, jeder für sich Sieger und jeder +besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden Walplätzen +zusammen. Es war eine Schlacht, die für Jugurthas ungemeines +militärisches Talent ebenso zeugte wie für die unverwüstliche +Tüchtigkeit der römischen Infanterie, welche allein die strategische +Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha sandte nach der +Schlacht einen großen Teil seiner Truppen heim und beschränkte sich auf +den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit Gewandtheit leitete. Die +beiden römischen Kolonnen, die eine von Metellus geführt, die andere +von Marius, der, obwohl von Geburt und Rang der geringste, seit der +Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die erste Stelle einnahm, +durchzogen das numidische Gebiet, besetzten die Städte und machten, wo +eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig geöffnet hatte, die erwachsene +männliche Bevölkerung nieder. Allein die ansehnlichste unter den +Städten im östlichen Binnenland, Zama, leistete den Römern ernsthaften +Widerstand, den der König nachdrücklich unterstützte. Sogar ein +Überfall des römischen Lagers gelang ihm, und die Römer sahen sich +endlich genötigt, die Belagerung aufzuheben und in das Winterquartier +zu gehen. Der leichteren Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, +unter Zurücklassung von Besatzungen in den eroberten Städten, in die +römische Provinz und benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen +anzuknüpfen, indem er sich geneigt zeigte, dem König einen erträglichen +Frieden zu bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits +hatte er sich anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja +sogar seine Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000 +römische Überläufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber +wurde des Königs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit +Unrecht besorgte, daß, wenn es zum Frieden käme, Jugurtha ihn als den +Mörder des Massiva den römischen Gerichten überliefern werde, von +Metellus gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit für jenen +Mord und großer Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den König den +Römern lebendig oder tot in die Hände zu liefern. Indes weder jene +offizielle Verhandlung noch diese Intrige führte zu dem gewünschten +Resultat. Als Metellus mit dem Ansinnen herausrückte, daß der König +persönlich sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die +Unterhandlungen ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und +derselbe festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein +für diese diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Römer hatten +allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu +bemächtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder +weiterführen noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war, +beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Römern +besetzten Städten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte +römische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit +Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher später wegen +Einverständnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, läßt sich +nicht sagen, von dem römischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und +hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage nach +dem Abfall überrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts +preisgegeben; allein wenn die Gemüter der leicht erreichbaren und +verhältnismäßig fügsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, wie +mochte es da aussehen weiter landeinwärts und bei den schweifenden +Stämmen der Wüste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm +den doppelten Brudermörder gern übersahen über dem Retter und Rächer +der Nation. Zwanzig Jahre nachher mußte ein numidisches Korps, das für +die Römer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurückgesandt +werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man +mag daraus schließen, was er selber über die Seinen vermochte. Wie war +ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten +Eigentümlichkeiten der Bevölkerung und des Bodens einem Führer, der +sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den +Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine +Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit neuer +Gewalt wiederzuerwecken? + +———————————————————————— + +5 In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von +Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg +ging im Sommer 649 (105) zu Ende (c. 114); wenn also Marius seine +Kriegführung als Konsul 647 (107) begann, so führte er dort das +Kommando in drei Kampagnen. Allein die Erzählung schildert nur zwei, +und mit Recht. Denn eben wie Metellus allem Anschein nach zwar schon +645 (109) nach Afrika ging, aber, da er spät eintraf (c. 37, 44) und +die Reorganisation des Heeres Zeit kostete (c. 44), seine Operationen +erst im folgenden Jahr begann, trat auch Marius, der gleichfalls in +Italien längere Zeit sich mit Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), +entweder als Konsul 647 (107) spät im Jahre und nach beendigtem Feldzug +oder auch erst als Prokonsul 648 (106) den Oberbefehl an; so daß also +die beiden Feldzüge des Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius +648, 649 (106, 105) fallen. Dazu paßt, daß Metellus erst im Jahre 648 +(106) triumphierte (Eph. epigr. IV, S. 257). Dazu paßt ferner, daß die +Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhältnis, in +dem sie zu Marius’ Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das +Jahr 646 (108) gesetzt werden müssen. Von Ungenauigkeiten ist der +Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar +noch 649 (105) bei ihm Konsul genannt wird. + +Die Verlängerung des Kommandos des Metellus, die Sallustius (62, 10) +berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie steht, nur beziehen +auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf Grund des +Sempronischen Gesetzes die Provinzen der für 647 (107) zu wählenden +Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere Provinzen +und ließ also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluß stieß das 72, +7 erwähnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten Handschriften +beider Familien lückenhaft überlieferten Worte sed Paulo …. decreverat: +ea res frustra fuit müssen entweder die den Konsuln vom Senat +bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante uti +consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat - +oder, nach der Ergänzung der Vulgathandschriften: sed Paulo [ante +senatus Metello Numidiam] decreverat. + +6 Jetzt Bedschah an der Medscherda. + +———————————————————— + +Als Metellus im Jahre 647 (107) wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha +ihm nirgends stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit +entfernten Punkt; es schien, als würde man ebenso leicht Herr werden +über die Löwen wie über diese Reiter der Wüste. Eine Schlacht ward +geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen +hatte, war schwer zu sagen. Der König war verschwunden in die +unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am +Saum der großen Wüste, lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7; +dorthin hatte Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen +Schätzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst +abzuwarten. Metellus wagte es, durch eine Einöde, wo das Wasser auf +zehn deutsche Meilen in Schläuchen mitgeführt werden mußte, dem König +zu folgen; Thala ward erreicht und fiel nach vierzigtägiger Belagerung; +allein nicht bloß vernichteten die römischen Überläufer mit dem +Gebäude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, +zugleich den wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam, +der König Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen. +Numidien zwar war so gut wie ganz in den Händen der Römer; aber statt +daß man damit am Ziele gestanden hätte, schien der Krieg nur über ein +immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Süden begannen die freien +gätulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen +die Römer. Im Westen schien König Bocchus von Mauretanien, dessen +Freundschaft die Römer in früherer Zeit verschmäht hatten, jetzt nicht +abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie gemeinschaftliche Sache +zu machen: er nahm ihn nicht bloß bei sich auf, sondern rückte auch, +mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas Haufen vereinigend, +in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man +begann zu unterhandeln; es war klar, daß er mit Jugurthas Person den +eigentlichen Kampfpreis für Rom in Händen hielt. Was er aber +beabsichtigte, ob den Römern den Schwiegersohn teuer zu verkaufen oder +mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen, +wußten weder die Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst +nicht; derselbe beeilte sich auch keineswegs, aus seiner zweideutigen +Stellung herauszutreten. Darüber verließ Metellus die Provinz, die er +durch Volksbeschluß genötigt worden war, seinem ehemaligen +Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius abzutreten und dieser +übernahm für den nächsten Feldzug 648 (106) den Oberbefehl. Er +verdankte ihn gewissermaßen einer Revolution. Im Vertrauen auf die von +ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm zuteil gewordenen +Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um das Konsulat +aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmäßige wie +sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tüchtigen, durchaus +nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so würde dabei +nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen Geschlechts +in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde der nicht adlige Mann, +der die höchste Gemeinwürde für sich begehrte, von der ganzen +regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und Revolutionär geschmäht - +vollkommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriziern +behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechtsgrund -, der +tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus verhöhnt - Marius möge +mit seiner Kandidatur warten, hieß es, bis Metellus’ Sohn, ein +bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne - und kaum im letzten +Augenblick aufs ungnädigste entlassen, um für das Jahr 647 (107), als +Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. Hier vergalt er +das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem er vor der +gaffenden Menge die Kriegführung und Verwaltung des Metellus in Afrika +in einer ebenso unmilitärischen wie schmählich unbilligen Weise +kritisierte, ja sogar es nicht verschmähte, dem lieben, ewig von +geheimen, höchst unerhörten und höchst unzweifelhaften Konspirationen +der vornehmen Herren munkelnden Pöbel das platte Märchen aufzutischen, +daß Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie möglich +Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies vollkommen +ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der Regierung +mißwollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte Kaufmannschaft, +verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, die +Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde +nicht bloß mit ungeheurer Majorität zum Konsul gewählt, sondern ihm +auch, während sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die +Entscheidung über die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat +zustand, unter Umstoßung der vom Senat getroffenen Verfügung, die den +Metellus an seiner Stelle ließ, durch Beschluß der souveränen Komitien +der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg übertragen. Demgemäß trat er im +Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus’ Stelle und führte das Kommando +in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die zuversichtliche +Verheißung, es besser zu machen als sein Vorgänger und den Jugurtha an +Händen und Füßen gebunden schleunigst nach Rom abzuliefern, war +leichter gegeben als erfüllt. Marius schlug sich herum mit den +Gätulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Städte; er +unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im äußersten Südosten des +Königreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch überbot, nahm +die Stadt durch Kapitulation und ließ trotz des Vertrages alle +erwachsenen Männer darin töten - freilich das einzige Mittel, den +Wiederabfall der fernliegenden Wüstenstadt zu verhüten; er griff ein am +Fluß Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied, +belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte, +und erstürmte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der +Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kühner +Kletterer glücklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloß darauf +angekommen wäre, durch dreiste Razzias das Heer abzuhärten und dem +Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus’ Zug in die Wüste durch +eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man +diese Kriegführung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, +worauf alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge +behalten hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei völlig beiseite +gesetzt. Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie +der des Metellus nach Thala ein zweckmäßiges Wagnis; die Expedition +aber an den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet +streifte, war geradezu zweckwidrig. König Bocchus, in dessen Hand es +lag, den Krieg zu einem für die Römer günstigen Ausgang zu bringen oder +ihn ins Endlose zu verlängern, schloß jetzt mit Jugurtha einen Vertrag +ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber +versprach, den Schwiegersohn gegen Rom tätig zu unterstützen. Das +römische Heer, das vom Fluß Molochath wieder zurückkehrte, sah sich +eines Abends plötzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer und +numidischer Reiterei; man mußte fechten, wo und wie die Abteilungen +eben standen, ohne daß eine eigentliche Schlachtordnung und ein +leitendes Kommando sich hätten durchführen lassen, und sich glücklich +schätzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit +entfernten Hügeln vorläufig für die Nacht in Sicherheit zu bringen. +Indes die arge Nachlässigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner +entriß ihnen die Folgen desselben; sie ließen sich von den während der +Nacht einigermaßen wiedergeordneten römischen Truppen beim grauenden +Morgen im tiefen Schlafe überfallen und wurden glücklich zerstreut. +Darauf setzte das römische Heer in besserer Ordnung und mit größerer +Vorsicht den Rückzug fort; allein noch einmal wurde es auf demselben +von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in großer +Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die ihm +gegenüberstehenden Reiterhaufen auseinanderstäubte und von deren +Verfolgung rasch zurückkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus +warf, da wo sie persönlich das römische Fußvolk im Rücken bedrängten. +Also ward auch dieser Angriff glücklich abgeschlagen; Marius brachte +sein Heer zurück nach Cirta und nahm daselbst das Winterquartier +(648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich begreiflich, daß man +römischerseits um die Freundschaft des Königs Bocchus, die man anfangs +verschmäht, sodann wenigstens nicht eben gesucht hatte, jetzt, nachdem +er den Krieg begonnen hatte, anfing sich aufs eifrigste zu bemühen, +wobei es den Römern zustatten kam, daß von mauretanischer Seite keine +förmliche Kriegserklärung stattgefunden hatte. Nicht ungern trat König +Bocchus zurück in seine alte zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit +Jugurtha aufzulösen oder diesen zu entlassen, ließ er mit dem römischen +Feldherrn sich ein auf Verhandlungen über die Bedingungen eines +Bündnisses mit Rom. Als man einig geworden war oder zu sein schien, +erbat sich der König, daß Marius zum Abschluß des Vertrages und zur +Übernahme des königlichen Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden +möge, der dem König bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo +er als Gesandter des Senats am mauretanischen Hofe erschienen war, +teils durch Empfehlungen der nach Rom bestimmten mauretanischen +Gesandten, denen Sulla unterwegs Dienste geleistet hatte. Marius war in +einer unbequemen Lage. Lehnte er die Zumutung ab, so führte dies +wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie an, so gab er seinen adligsten +und tapfersten Offizier einem mehr als unzuverlässigen Mann in die +Hände, der, wie männiglich bekannt, mit den Römern und mit Jugurtha +doppeltes Spiel spielte, und der fast den Plan entworfen zu haben +schien, an Jugurtha und Sulla sich vorläufig nach beiden Seiten hin +Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg zu Ende zu bringen, +überwog jede andere Rücksicht, und Sulla verstand sich zu der +bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er auf, +geleitet von König Bocchus’ Sohn Volux, und seine Entschlossenheit +wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager +des Jugurtha führte. Er wies die kleinmütigen Fluchtvorschläge seiner +Begleiter zurück und zog, des Königs Sohn an der Seite, unverletzt +durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewährte der kecke Offizier +in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich, +ernstlich eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem +Vorgeben, daß alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er +von dem eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein +Gefolge niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der große +Verräter durch den Verrat seiner Nächsten. Gefesselt brachte Lucius +Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das +römische Hauptquartier; damit war nach siebenjähriger Dauer der Krieg +zu Ende. Der Sieg ging zunächst auf den Namen des Marius; seinem +Triumphalwagen schritt in königlichem Schmuck und in Fesseln König +Jugurtha mit seinen beiden Söhnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar +650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wüste +wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefängnis, dem alten +Brunnenhaus am Kapitol, dem “eisigen Badgemach”, wie der Afrikaner es +nannte, als er die Schwelle überschritt, um daselbst sei es erdrosselt +zu werden, sei es umzukommen durch Kälte und Hunger. Allein es ließ +sich nicht leugnen, daß Marius an den wirklichen Erfolgen den +geringsten Anteil hatte, daß Numidiens Eroberung bis an den Saum der +Wüste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war +und zwischen beiden Marius eine für einen ehrgeizigen Emporkömmling +einigermaßen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern, +daß sein Vorgänger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er +brauste zornig auf, als König Bocchus später ein goldnes Bildwerk auf +dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla +darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler +die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in +Schatten, vor allem Sullas glänzender Zug in die Wüste, der seinen Mut, +seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht über die +Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur +Anerkennung gebracht hatte. An sich wäre auf diese militärischen +Rivalitäten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen +Parteikampf eingegriffen hätten; wenn nicht die Opposition durch Marius +den senatorischen General verdrängt gehabt, nicht die Regierungspartei +Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die +militärischen Koryphäen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen +hätte - wir werden auf die verhängnisvollen Folgen dieser Verhetzungen +in der Darstellung der inneren Geschichte zurückzukommen haben. + +————————————————- + +7 Die Örtlichkeit ist nicht wiedergefunden. Die frühere Annahme, daß +Thelepte (bei Feriana, nördlich von Capsa) gemeint sei, ist willkürlich +und die Identifikation mit einer auch heute Thala genannten Örtlichkeit +östlich von Capsa auch nicht gehörig begründet. + +———————————————— + +Im übrigen verlief diese Insurrektion des numidischen Klientelstaats, +ohne weder in den allgemeinen politischen Verhältnissen noch auch nur +in denen der afrikanischen Provinz eine merkliche Veränderung +hervorzubringen. Abweichend von der sonst in dieser Zeit befolgten +Politik ward Numidien nicht in eine römische Provinz umgewandelt; +offenbar deshalb, weil das Land nicht ohne eine die Grenzen gegen die +Wilden der Wüste deckende Armee zu behaupten und man keineswegs gemeint +war, in Afrika ein stehendes Heer zu unterhalten. Man begnügte sich +deshalb, die westlichste Landschaft Numidiens, wahrscheinlich den +Strich vom Fluß Molochath bis zum Hafen von Saldae (Bougie) - das +spätere Mauretanien von Caesarea (Provinz Algier) - zu dem Reich des +Bocchus zu schlagen und das darum verkleinerte Königreich Numidien auf +den letzten noch lebenden legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an +Körper und Geist schwachen Halbbruder Gauda, zu übertragen, welcher +bereits im Jahre 646 (108) auf Veranlassung des Marius seine Ansprüche +bei dem Senat geltend gemacht hatte 8. Zugleich wurden die gätulischen +Stämme im inneren Afrika als freie Bundesgenossen unter die mit den +Römern in Vertrag stehenden unabhängigen Nationen aufgenommen. + +———————————————————————————————— + +8 Sallusts politisches Genregemälde des jugurthinischen Krieges, in der +sonst völlig verblaßten und verwaschenen Tradition dieser Epoche das +einzige in frischen Farben übriggebliebene Bild, schließt mit Jugurthas +Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht +historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhängenden +Bericht über die Behandlung des Numidischen Reiches. Daß Gauda +Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr. +79, 4 Bekk.) an und bestätigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli +630), die ihn König und Vater Hiempsals II. nennt. Daß im Westen die +zwischen Numidien einer- und dem römischen Afrika und Kyrene +andererseits bestehenden Grenzverhältnisse unverändert blieben, zeigt +Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spätere +Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird +auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, daß Bocchus’ Reich +bedeutend vergrößert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhängt, daß +Mauretanien, ursprünglich beschränkt auf die Landschaft von Tingis +(Marokko), in späterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von +Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Hälfte der +Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Römern vergrößert +ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann 708 (46) +nach Auflösung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich die +Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei der zweiten +Vergrößerung hinzugekommen. + +——————————————————————————————— + +Wichtiger als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die +politischen Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der +Jugurthinischen Insurrektion, obgleich auch diese häufig zu hoch +angeschlagen worden sind. Allerdings waren darin alle Schäden des +Regiments in unverhüllter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt +nicht bloß notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, daß +den regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das +Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der +Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei +seiner Abreise von Rom äußerte, wenn er nur Geld genug hätte, mache er +sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze äußere +und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel teuflischer +Erbärmlichkeit. Für uns verschiebt der Zufall, daß uns der Krieg in +Afrika durch bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen +gleichzeitigen militärischen und politischen Ereignisse, die richtige +Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthüllungen eben +nichts, als was jedermann längst wußte und jeder unerschrockene Patriot +längst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Daß man für die nur durch +ihre Unfähigkeit aufgewogene Niederträchtigkeit der restaurierten +Senatsregierung jetzt einige neue, noch stärkere und noch +unwiderleglichere Beweise in die Hände bekam, hätte dennoch von +Wichtigkeit sein können, wenn es eine Opposition und eine öffentliche +Meinung gegeben hätte, mit denen die Regierung genötigt gewesen wäre +sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die +Regierung prostituiert als die vollständige Nichtigkeit der Opposition +offenbart. Es war nicht möglich, schlechter zu regieren als die +Restauration in den Jahren 637-645 (117-109) es tat, nicht möglich, +wehrloser und verlorener dazustehen, als der römische Senat im Jahre +645 (109) stand; hätte es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben, das +heißt eine Partei, die eine prinzipielle Abänderung der Verfassung +wünschte und betrieb, so mußte diese notwendig jetzt wenigstens einen +Versuch machen, den restaurierten Senat zu stürzen. Er erfolgte nicht; +man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die +Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute +in die Verbannung. Damit stand es also fest, daß die sogenannte +Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte; +daß es in Rom schlechterdings nur zwei mögliche Regierungsformen gab, +die Tyrannis und die Oligarchie; daß, solange es zufällig an einer +Persönlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug war, +um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste Mißwirtschaft +höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefährdete; +daß dagegen, sowie ein solcher Prätendent auftrat, nichts leichter war, +als die morschen kurulischen Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht +war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so +völlig unmotiviert war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus’ Niederlage +die Kurie gestürmt hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der +Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem Numidischen +Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Führung, geschweige denn von +Gefahr für das Gemeinwesen wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr +die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen +Offizier, das auszuführen, womit einst der ältere Africanus der +Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten militärischen +Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu +verschaffen. Die öffentliche Meinung, nichtig in den Händen der +sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe in der Hand +des künftigen Königs von Rom. Es soll damit nicht gesagt werden, daß +Marius beabsichtigte, den Prätendenten zu spielen, am wenigsten damals +schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem Volke warb; aber +mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, es war +augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen +Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder, +was ungefähr dasselbe war, wenn jeder populäre Offizier imstande war, +in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges +neues Element trat in diesen vorläufigen Krisen auf; es war das +Hineinziehen der militärischen Männer und der militärischen Macht in +die politische Revolution. Ob Marius’ Auftreten unmittelbar die +Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die +Tyrannis zu verdrängen, oder ob dasselbe, wie so manches Ähnliche, als +vereinzelter Eingriff in die Prärogative der Regierung ohne weitere +Folgen vorübergehen werde, ließ sich noch nicht bestimmen; wohl aber +war es vorauszusehen, daß, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis zur +Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie Gaius +Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die +gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei +der Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher +geforderten Vermögensqualifikation absah und auch dem ärmsten Bürger, +wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die +Legion gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen +Rücksichten veranstaltet worden sein; allein darum war es +nichtsdestoweniger ein folgenreiches politisches Ereignis, daß das Heer +nicht mehr, wie ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in +der jüngsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet +ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die +nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die +Aristokratie herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschränkt wie im +Jahre 620 (134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten +sich gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das +Schwert aufgegangen. + + + + +KAPITEL V. +Die Völker des Nordens + + +Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die römische +Gemeinde die drei großen von dem nördlichen Kontinent in das Mittelmeer +hineinragenden Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich +innerhalb derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den +Ligurischen Apenninen und Alpentälern, in den Gebirgen Makedoniens und +Thrakiens die ganz- oder halbfreien Völkerschaften fort, der schlaffen +römischen Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung +zwischen Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in +der oberflächlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits +der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die großen Stromgebiete +der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich außerhalb des +politischen Gesichtskreises der Römer. Es ist hier darzustellen, was +römischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu +sichern und zu arrondieren und wie zugleich die großen Völkermassen, +die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, +anfingen, an die Tore der nördlichen Gebirge zu pochen und die +griechisch-römische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, daß sie +mit Unrecht meine, die Erde für sich allein zu besitzen. + +Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Westalpen und den +Pyrenäen ins Auge. Die Römer beherrschten diesen Teil der Küste des +Mittelmeers seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der +ältesten, treuesten und mächtigsten der von Rom abhängigen +bundesgenössischen Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe +(Agde) und Rhode (Rosas), östlich Tauroention (Ciotat), Olbia +(Hyères?), Antipolis (Antibes) und Nikäa (Nizza), die Küstenfahrt wie +den Landweg von den Pyrenäen zu den Alpen sicherten und deren +merkantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland +hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes +gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten ward im Jahre 600 (154) von +den Römern teils auf Ansuchen der Massalioten, teils im eigenen +Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil verlustvollen +Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten fortan +stehende Geiseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist +nicht unwahrscheinlich, daß um diese Zeit zugleich in dem ganzen von +Massalia abhängigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des +massaliotischen daselbst aufblühende Wein- und Ölbau im Interesse der +italischen Gutsbesitzer und Kaufleute untersagt ward ^1. Einen +ähnlichen Charakter finanzieller Spekulation trägt der Krieg, der wegen +der Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Gegend von +Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora Baltea) von den Römern +unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143) gegen die Salasser +geführt ward. Die große Ausdehnung dieser Wäschereien, welche den +Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Äcker +entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete +Intervention der Römer hervor; der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie +alle übrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, führte +endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des +Goldbezirkes an das römische Ärar. Einige Jahrzehnte später (654 100) +ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie Eporedia (Ivrea) +angelegt, hauptsächlich wohl, um durch sie den westlichen wie durch +Aquileia den östlichen Alpenpaß zu beherrschen. Einen ernsteren +Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius +Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629 +(125) in dieser Gegend den Oberbefehl übernahm. Er zuerst betrat die +Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen +Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche +Hegemonie eingebüßt und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte, +der effektiv führende Gau in dem Gebiet von den Pyrenäen bis zum Rhein +und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner 2, und es erscheint +danach nicht gerade übertrieben, daß er bis 180000 Mann ins Feld zu +stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst die Häduer (um +Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; während in dem +nordöstlichen Gallien die Könige der Suessionen (um Soissons) den bis +nach Britannien hinüber sich erstreckenden Völkerbund der Belgen unter +ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit +wußten viel zu erzählen von der prachtvollen Hofhaltung des +Arvernerkönigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glänzenden +Clangefolge, den Jägern mit der gekoppelten Meute und der wandernden +Sängerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Städte seines +Reiches fuhr, das Gold mit vollen Händen auswerfend unter die Menge, +vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen +erfreuend - die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem +Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder +des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel +Camachos. In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen +arvernischen Goldmünzen dieser Zeit dafür, daß der Arvernergau zu +ungemeinem Reichtum und einer verhältnismäßig hoch gesteigerten +Zivilisation gediehen war. Flaccus’ Angriff traf indes zunächst nicht +auf die Arverner, sondern auf die kleineren Stämme in dem Gebiet +zwischen den Alpen und der Rhone, wo die ursprünglich ligurischen +Einwohner mit nachgerückten keltischen Scharen sich vermischt hatten +und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevölkerung +entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glück gegen die Salyer +oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen +ihre nördlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drôme), +ebenso sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen +die Allobrogen, einen mächtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der +Isère, der auf die Bitte des landflüchtigen Königs der Salyer, +Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, aber +in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes +nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkönig auszuliefern, drang +Calvinus’ Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet +ein (632 122). Bis dahin hatte der führende keltische Stamm dem +Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkönig +Betuhus, jenes Luerius’ Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen +Schutzverhältnisses wegen, in dem die östlichen Gaue zu ihm stehen +mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die +Römer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet +anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurückweisung zur Folge +hatte, daß er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe +erschien; wogegen wieder die Häduer Partei ergriffen für die Römer. +Auch die Römer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der +Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in +Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der +südlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluß der Isère in +die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die +über die Herrschaft im südlichen Gallien entschied. König Betuitus, wie +er die zahllosen Haufen der abhängigen Clans auf der über die Rhone +geschlagenen Schiffbrücke an sich vorüberziehen und gegen sie die +dreimal schwächeren Römer sich aufstellen sah, soll ausgerufen haben, +daß dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres zu +sättigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht +dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbrücke unter +der Masse der Flüchtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des +größten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen +ferner Beistand zu leisten der Arvernerkönig sich unfähig erklärte und +denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen +sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker genannt, nach +Italien zurückging und die nicht mehr ferne Beendigung des arvernischen +Krieges dem Ahenobarbus überließ. Dieser, auf König Betuitus persönlich +erbittert, weil er die Allobrogen veranlaßt habe, sich dem Maximus und +nicht ihm zu ergeben, bemächtigte sich in treuloser Weise der Person +des Königs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des +Treuworts zwar mißbilligte, aber nicht bloß den verratenen Mann +festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus, +gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu +sein, daß der fast schon beendigte arvernische Krieg noch einmal +aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluß der +Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die Waffen kam. +Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal hauptsächlich +die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer zerstreuten. Hierauf +bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war in dem +Keltenland wiederhergestellt 3. + +————————————————————— + +^1 Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129) +sagen läßt (rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden +kommen lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung +möglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich +nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; +ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; +Poseid. fr. 25 Müller; Strab. 4, 179). Die starke Ausfuhr von Öl und +Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der +Stadt ist bekannt. + +2 In der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht +weit von Clermont. + +3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator +und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge +führen Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestätigt teils +dadurch, daß Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. 7, +50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die +Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloß Maximus vor Ahenobarbus +triumphierte, sondern auch jener über die Allobrogen und den +Arvernerkönig, dieser nur über die Arverner. Es ist einleuchtend, daß +die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner früher stattgefunden haben +muß als die gegen die Arverner allein. + +———————————————————————— + +Das Ergebnis dieser militärischen Operationen war die Einrichtung einer +neuen römischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenäen. Die +sämtlichen Völkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von +den Römern abhängig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, +vermutlich schon jetzt den Römern tributär. In der Landschaft zwischen +der Rhone und den Pyrenäen behielten die Arverner zwar die Freiheit und +wurden nicht den Römern zinspflichtig; allein sie hatten den +südlichsten Teil ihres mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich +südlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der +Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Römer abzutreten. Da der +nächste Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung +zwischen Spanien und Italien war, so wurde unmittelbar nach der +Besetzung gesorgt für die Chaussierung des Küstenweges. Zu diesem Ende +wurde von den Alpen zur Rhone der Küstenstrich in der Breite von 1/5 +bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von +Seestationen an dieser Küste besaßen, überwiesen mit der Verpflichtung, +die Straße in gehörigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu +den Pyrenäen die Römer selbst eine Militärchaussee anlegten, die von +ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Straße erhielt. Wie +gewöhnlich verband mit dem Straßenbau sich die Anlage neuer Festungen. +Im östlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die +Kelten geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend +wie die zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; +hier entstand eine römische Ortschaft, die “Bäder des Sextius”, Aquae +Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Römer in Narbo sich +an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluß Atax (Aude) in +geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekatäos nennt und die schon +vor ihrer Besetzung durch die Römer als lebhafter an dem britannischen +Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae +erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen +Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die +Kelten gegründet, ward als “Marsstadt” römische Bürgerkolonie und der +gewöhnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen +Keltenprovinz oder, wie sie noch häufiger genannt wird, der Provinz +Narbo. + +———————————————————————————- + +4 Aquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell +(Strab. 4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. +Kopenhagen 1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen +Orten - so ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes +gewesen als ein keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes +römisches Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft. + +———————————————————————————- + +Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen +Gebietserwerbungen veranlaßte, wollte offenbar sich hier ein neues und +unermeßliches Gebiet für ihre Kolonisationspläne eröffnen, das +dieselben Vorzüge darbot wie Sizilien und Afrika und leichter den +Eingeborenen entrissen werden konnte als die sizilischen und libyschen +Äcker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte +freilich auch hier sich fühlbar in der Beschränkung der Eroberungen und +mehr noch der Stadtgründungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem +Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht völlig vereitelt. Das +gewonnene Gebiet und mehr noch die Gründung von Narbo, welcher +Ansiedelung der Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu +bereiten suchte, blieben als unfertige, aber den künftigen Nachfolger +des Gracchus an die Fortsetzung des Baus mahnende Ansätze stehen. +Offenbar schützte die römische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit +Massalia in dem gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren +vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten. + +Eine ähnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten +von Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlässigt, aber noch +unvollkommener als jene gelöst. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) +kam die Istrische Halbinsel in den Besitz der Römer; in Epirus und dem +ehemaligen Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits +geraume Zeit früher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins +Binnenland hinein, und selbst an der Küste beherrschten sie kaum dem +Namen nach den unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der +in seinen wildverschlungenen, weder von Flußtälern noch von +Küstenebenen unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten +Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger +Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als zusammenknüpft. Um +die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloß sich hier die +Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren +wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu reicher +Kulturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine +Münze und teilte den Acker, ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen, +von acht zu acht Jahren neu auf unter die gemeinsässigen Leute. Land- +und Seeraub waren die einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese +Völkerschaften hatten in früheren Zeiten in einem losen +Abhängigkeitsverhältnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren +insofern mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die +Königin Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem +Regierungsantritt des Königs Genthios hatten sie sich losgemacht und +waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das südliche Illyrien in den +Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von Rom dauernd +abhängig machte. Die Römer überließen die wenig lockende Landschaft +gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, namentlich +der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dalmatern wohnten, und +der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen +Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer +zu leiden hatten, nötigten die römische Regierung, an diese eine +Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort zurückbrachte, daß +die Dalmater um die Römer weder bisher sich gekümmert hätten noch +künftig kümmern würden, im Jahre 598 (156) ein Heer unter dem Konsul +Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein, +ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet. Erst sein +Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die große und feste +Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und +sich bekannte als den Römern untertänig. Indes war die arme und nur +oberflächlich unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als +eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnügte sich, wie man es schon +für die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, sie von Italien aus +mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen; wobei es +wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre 608 (146) die +Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche Grenze nördlich +von Skodra festgestellt worden war 5. + +———————————————————————— + +5 3, 49. Die Pirusten in den Tälern des Drin gehörten zur Provinz +Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caes. +Gall. 5, 1). + +———————————————————————— + +Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar +abhängige Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Völkern im +Nordosten größere Bedeutung, indem sie den Römern die Verpflichtung +auferlegte, die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die +angrenzenden barbarischen Stämme zu verteidigen; und in ähnlicher Weise +ging nicht lange darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum +Reich der Attaliden gehörigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von +Gallipoli) die bisher den Königen von Pergamon obliegende +Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schützen, +gleichfalls auf die Römer über. Von der zwiefachen Basis aus, die das +Potal und die makedonische Landschaft darboten, konnten die Römer jetzt +ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und +der nördlichen Gebirge wenigstens insoweit sich bemächtigen, als die +Sicherheit der südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen +Gegenden war damals die mächtigste Nation das große Keltenvolk, welches +der einheimischen Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean +sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpenkette in das Potal und +nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau +ergossen hatte. Von ihren Stämmen saßen auf beiden Ufern des Oberrheins +die mächtigen, reichen und, da sie mit den Römern nirgends sich +unmittelbar berührten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden +Helvetier, die damals vom Genfer See bis zum Main sich erstreckend die +heutige Schweiz, Schwaben und Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit +ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Bayern und Böhmen +gewesen sein mögen 6. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem anderen +Keltenstamm, der in der Steiermark und Kärnten unter dem Namen der +Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der +Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nördlich von +Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die schon damals in +dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in +dieser Zeit die Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage +gekommenen reichen Goldlager, bis die Eingeborenen sie ausschlossen und +dies Kalifornien der damaligen Zeit für sich allein nahmen. Diese zu +beiden Seiten der Alpen sich ergießenden keltischen Schwärme hatten +nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und Hügelland besetzt; die +eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der Etsch und des +unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Händen der früher dort +einheimischen Bevölkerung geblieben, welche, ohne daß über ihre +Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen wäre, unter +dem Namen der Räter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten +dem der Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daß an +diesem letzten Punkt die beiden großen Keltenströme fast sich berühren +und nur ein schmaler Streif eingeborener Bevölkerung die keltischen +Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die +Euganeer und Veneter waren längst friedliche Untertanen der Römer; +dagegen die eigentlichen Alpenvölker waren nicht bloß noch frei, +sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmäßig Streifzüge in +die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnügten zu +brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit +fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze männliche +Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten - vermutlich die +tatsächliche Antwort auf die römischen Razzias in den Alpentälern. Wie +gefährlich diese rätischen Einfälle waren, zeigt, daß einer derselben +um das Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. +Wenn bereits diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen +und nichtkeltischen Stämme vielfach sich gemischt haben mögen, so ist +die Völkermengung, wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise +eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in +den westlicheren, die hohen Gebirge als natürliche Scheidewände dienen. +Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren letzter reiner Überrest +die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgängig wenigstens im +Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische +Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst an +die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen +im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng saßen, ein +ursprünglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm. +An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe +Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland +dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor +allem mächtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den +Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren +Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die +führende Nation, die weit und breit nach Mösien, Thrakien und +Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen +Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war +das feste Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save. +Die Völker, die damals in Ungarn, Siebenbürgen, Rumänien, Bulgarien +saßen, blieben für jetzt noch außerhalb des Gesichtskreises der Römer; +nur mit den Thrakern berührte man sich an der Ostgrenze Makedoniens in +den Rhodopegebirgen. + +—————————————————————- + +6 “Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), +dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier”, sagt Tacitus (Germ. 28), +“weiterhin die Boier.” Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, +daß die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den +Herkynischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis +zum Böhmerwald. Wenn Caesar sie “jenseits des Rheines” versetzt (Gall. +1, 5), so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von +helvetischen Verhältnissen ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft +nordöstlich vom Bodensee meinen; womit vollkommen übereinstimmt, daß +Strabon die ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend +bezeichnet, nur daß er nicht ganz genau als Anwohner des Bodensees die +Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst festsetzten, nachdem +die Boier diese Striche geräumt hatten. Aus diesen ihren Sitzen waren +die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Stämmen schon vor +Poseidonios’ Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben +irrten zu Caesars Zeit in Kärnten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen +von da zu den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer +Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten +vernichtet ward, die Landschaft aber, die sogenannte “boische Einöde”, +den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Völker bewahrte. Vgl. 2, +193 A. + +————————————————————— + +Es wäre für eine kräftigere Regierung, als die damalige römische es +war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen +Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; +was unter den Auspizien der Restaurationsregierung für den wichtigen +Zweck geschah, genügt auch den mäßigsten Anforderungen nicht. An +Expeditionen gegen die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; +im Jahre 636 (118) ward triumphiert über die Stöner, die in den Bergen +oberhalb Verona gesessen haben dürften; im Jahre 659 (95) ließ der +Konsul Lucius Crassus die Alpentäler weit und breit durchstöbern und +die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben +genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem +Rednerruhm den Siegerlorbeer paaren zu können. Allein da man es bei +derartigen Razzias bewenden ließ, die die Eingeborenen nur erbitterten, +ohne sie unschädlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen +Überlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der +Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war. + +Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um +die Nachbarn bekümmert zu haben; kaum daß im Jahre 651 (103) Gefechte +mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Mädern in den +Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwähnt werden. + +Ernstlichere Kämpfe fanden statt im illyrischen Land, wo über die +unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der +Adriatischen See beständig Beschwerde geführt ward; und an der völlig +offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck +eines Römers so weit ging als die römischen Schwerter und Speere +reichten, ruhten die Kämpfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619 +(135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyäer oder Vardäer und die +Pleräer oder Paralier, eine dalmatische Völkerschaft in dem Litoral +nördlich der Narentamündung, die nicht aufhörte, auf dem Meer und an +der gegenüberliegenden Küste Unfug zu treiben; auf Geheiß der Römer +siedelten sie von der Küste weg im Binnenland, der heutigen +Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkümmerten aber +in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward von +Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die +vermutlich mit den angegriffenen Küstenbewohnern gemeinschaftliche +Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demütigte der Konsul +Tuditanus in Verbindung mit dem tüchtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger +der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfänglich +eine Niederlage erlitten, schließlich die römischen Waffen tief nach +Dalmatien hinein bis an den Kerkafluß, 25 deutsche Meilen abwärts von +Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom +in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre später (635 +119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den +Skordiskern. Während gegen diese der Konsul Lucius Cotta kämpfte und +dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater +sein Kollege, der ältere Bruder des Besiegten von Numidien, Lucius +Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, überwand sie und überwinterte +in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz der +Römer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in +diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee fällt, die von +Salona in östlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da +weiter landeinwärts führte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges +trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius +Scaurus, gegen die Taurisker 7; er überstieg, der erste unter den +Römern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten Senkung zwischen +Triest und Laibach und schloß mit den Tauriskern Gastfreundschaft, +wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward, ohne daß +doch die Römer, wie eine förmliche Unterwerfung dies nach sich gezogen +haben würde, in die Völkerbewegungen nordwärts der Alpen hineingezogen +worden wären. + +——————————————————————————————————— + +7 Galli Karni heißen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn +so ist statt des überlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei +Victor. + +———————————————————————————————————- + +Von den fast verschollenen Kämpfen mit den Skordiskern ist durch einen +kürzlich in der Nähe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen +Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung +deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel in +diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos +(unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten +gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quästor Marcus Annius mit +seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermaßen Herr geworden +war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem König +der Mäder (am oberen Strymon) Tipas in noch größeren Massen abermals +ein, und mit Mühe erwehrten sich die Römer der andringenden Barbaren 8. +Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, daß es nötig wurde, +konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre darauf +wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den +serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern überfallen und sein Heer +vollständig aufgerieben, während er selbst mit wenigen schimpflich +entfloh; mühsam schirmte der Prätor Marcus Didius die römische Grenze. +Glücklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642 +113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste römische +Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647 +110-107), der die Waffen längs der Morawa ^10 trug und die Skordisker +nachdrücklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher, +im Bunde wieder mit den Mädern und den Dardanern, in das römische +Gebiet und plünderten sogar das delphische Heiligtum; erst da machte +Lucius Scipio dem zweiunddreißigjährigen Skordiskerkrieg ein Ende und +trieb den Rest hinüber auf das linke Ufer der Donau ^11. Seitdem +beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem +Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die erste +Rolle zu spielen. + +———————————————————————— + +8 Der Quästor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete +(Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der +Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist +sonst nicht bekannt; der Prätor Sex. Pompeius, dessen Fall darin +erwähnt wird, kann kein anderer sein als der Großvater des Pompeius, +mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde +werden bezeichnet als Γαλατών έθνος. Es wird hervorgehoben, daß Annius +aus Schonung gegen die Provinzialen es unterließ, ihre Kontingente +aufzubieten und mit den römischen Truppen allein die Barbaren +zurücktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine +faktisch stehende römische Besatzung erfordert. + +9 Ist Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien +gegangen (CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. +Berlin 1854, S. 167), so muß auch er dort einen Mißerfolg erlitten +haben, da Cicero (Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio +imperio, consulari quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin +triumpharit; denn die für diese Epoche vollständige Triumphalliste +kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des +Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106). + +^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von +Minucius besiegte Völkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein +Fehler von Florus sein, daß er statt des Margos (Morawa) den Hebros +(die Maritza) nennt. + +^11 Von dieser Vernichtung der Skordisker, während die Mäder und +Dardaner zum Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und +in der Tat sind seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. +Wenn die schließliche Überwältigung im 32. Jahr από τής πρώτης εις +Κελτούς πείρας stattgefunden hat, so scheint dies von einem +zweiunddreißigjährigen Krieg zwischen den Römern und den Skordiskern +verstanden werden zu müssen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach +der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) fällt und von dem +die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil +sind. Daß die Überwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen +Bürgerkriege, also wohl spätestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus +Appians Erzählung hervor. Sie fällt zwischen 650 (104) und 656 (98), +wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das +Triumphalverzeichnis vollständig; indes ist es möglich, daß es aus +irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht +bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 +(83), da dieser infolge der cinnanisch-marianischen Wirren füglich +verspätet zum Konsulat gelangt sein kann. + +————————————————————————- + +Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten. +Schon seit längerer Zeit irrte ein “unstetes Volk” an dem nördlichen +Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen +Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heißt die Chempho, die +Kämpen oder, wie ihre Feinde übersetzten, die Räuber, welche Benennung +indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum Volksnamen +geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stießen unter den Kelten +zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Böhmen. +Genaueres über die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die +Zeitgenossen aufzuzeichnen versäumt ^12 und kann auch durch keine +Mutmaßung ergänzt werden, da die derzeitigen Zustände nördlich von +Böhmen und dem Main und östlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich +vollständig entziehen. Dagegen dafür, daß die Kimbrer und nicht minder +der ihnen später sich anschließende gleichartige Schwarm der Teutonen +ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehören, der die Römer +sie anfänglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen die +bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger +Stämme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurückgebliebener Reste, +der Kimbrer im heutigen Dänemark, der Teutonen im nordöstlichen +Deutschland in der Nähe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des +Großen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels +gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen +Völkertafel unter den Ingävonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars, +der zuerst die Römer den Unterschied der Deutschen und der Kelten +kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen gesehen +haben muß, den Deutschen beizählt; endlich die Völkernamen selbst und +die Angaben über ihre Körperbildung und ihr sonstiges Wesen, die zwar +auf die Nordländer überhaupt, aber doch vorwiegend auf die Deutschen +passen. Andererseits ist es begreiflich, daß ein solcher Schwarm, +nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und +auf seinen Zügen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden +Waffenbruder, der sich anschloß, willkommen geheißen hatte, eine Menge +keltischer Elemente in sich schloß; so daß es nicht befremdet, wenn +Männer keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder wenn die +Römer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu +kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Römer noch +nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht +ein “heiliger Lenz” in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern +ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog, +eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der überall bei den noch +nicht völlig seßhaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere +Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den +Kelten durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das +Haus, wo unter dem übergespannten Lederdach neben dem Gerät Platz sich +fand für die Frau und die Kinder und selbst für den Haushund. Die +Südländer sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit +den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen +Frauen, die den Männern an Größe und Stärke wenig nachgaben, die Kinder +mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die flachsköpfigen +Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war wesentlich das +der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die italischen, +barhäuptig und bloß mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit +kupfernen, oft reichgeschmückten Helmen und mit einer eigentümlichen +Wurfwaffe, der Materis; daneben war das große Schwert geblieben und der +lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. +An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen +überlegen. Die Schlachtordnung war wie früher eine rohe, angeblich +ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied +in gefährlichen Gefechten nicht selten die metallenen Leibgürtel mit +Stricken zusammenknüpfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward +häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und womöglich der +längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und überhaupt der +Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausgemacht, +auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum +Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten +Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche Gebärden und ein +entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und +die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel +nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem +Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes würdig war -, +allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste +Bestialität und verhieß auch wohl im voraus den Schlachtgöttern, +darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben würde. Dann +wurden die Geräte zerschlagen, die Pferde getötet, die Gefangenen +aufgeknüpft oder nur aufbehalten, um den Göttern geopfert zu werden. Es +waren die Priesterinnen, greise Frauen in weißen linnenen Gewändern und +unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen und +aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder Verbrechers +die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner Brauch der +nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie viel +deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise, +nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und +leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen +werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein +ungeheures Knäuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern deutscher +Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht +unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten ähnlich +belastet und ähnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein +übers Meer fahren; ihre schwerfällige Wagenburg mit der Gewandtheit, +die ein langes Wanderleben gibt, hinüberführend über Ströme und +Gebirge, gefährlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und +die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch +vordringend, bald plötzlich stockend oder seitwärts und rückwärts sich +wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie +verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in der +sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten hätte, das +wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man später anfing, die Kette +zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den +Kreis der antiken Zivilisation berührt hat, ein Glied ist, war die +unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen. + +——————————————————————————— + +^12 Denn der Bericht, daß an den Küsten der Nordsee durch Sturmfluten +große Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung +der Kimbrer veranlaßt worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns +nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, märchenhaft, allein ob er auf +Überlieferung oder Vermutung sich gründet, ist doch nicht zu +entscheiden. + +——————————————————————————— + +Dies heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der +Donau, namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Süden +vorzudringen, durchbrach diese Schranke infolge der von den Römern +gegen die Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, daß die +Donaukelten die kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die +vordringenden Legionen, oder daß jene durch den Angriff der Römer +verhindert wurden, ihre Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch +das Gebiet der Skordisker einrückend in das Tauriskerland, näherten sie +im Jahre 641 (113) sich den Krainer Alpenpässen, zu deren Deckung der +Konsul Gnaeus Papirius Carbo auf den Höhen unweit Aquileia sich +aufstellte. Hier hatten siebzig Jahre zuvor keltische Stämme sich +diesseits der Alpen anzusiedeln versucht, aber auf Geheiß der Römer den +schon okkupierten Boden ohne Widerstand geräumt; auch jetzt erwies die +Furcht der transalpinischen Völker vor dem römischen Namen sich +mächtig. Die Kimbrer griffen nicht an; ja sie fügten sich, als Carbo +sie das Gebiet der Gastfreunde Roms, der Taurisker, räumen hieß, wozu +der Vertrag mit diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den +Führern, die ihnen Carbo gegeben hatte, um sie über die Grenze zu +geleiten. Allein diese Führer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in +einen Hinterhalt zu locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es +unweit Noreia im heutigen Kärnten zum Kampf, in dem die Verratenen über +den Verräter siegten und ihm beträchtlichen Verlust beibrachten; nur +ein Unwetter, das die Kämpfenden trennte, verhinderte die vollständige +Vernichtung der römischen Armee. Die Kimbrer hätten sogleich ihren +Angriff gegen Italien richten können; sie zogen es vor, sich westwärts +zu wenden. Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als +durch Gewalt der Waffen eröffneten sie sich den Weg auf das linke +Rheinufer und über den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos +Niederlage abermals in nächster Nähe das römische Gebiet. Die +Rheingrenze und das zunächst gefährdete Gebiet der Allobrogen zu +decken, erschien 645 (109) im südlichen Gallien ein römisches Heer +unter Marcus Iunius Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen, +wo sie friedlich sich niederlassen könnten - eine Bitte, die sich +allerdings nicht gewähren ließ. Der Konsul griff statt aller Antwort +sie an; er ward vollständig geschlagen und das römische Lager erobert. +Die neuen Aushebungen, welche durch diesen Unfall veranlaßt wurden, +stießen bereits auf so große Schwierigkeit, daß der Senat deshalb die +Aufhebung der vermutlich von Gaius Gracchus herrührenden, die +Verpflichtung zum Kriegsdienst der Zeit nach einschränkenden Gesetze +bewirkte. Indes die Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Römer zu +verfolgen, sandten an den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von +Land zu wiederholen, und beschäftigten sich inzwischen, wie es scheint, +mit der Unterwerfung der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor +den Deutschen die römische Provinz und die neue römische Armee für den +Augenblick Ruhe; dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland +selbst. Die Helvetier, die in den steten Kämpfen mit ihren +nordöstlichen Nachbarn viel zu leiden hatten, fühlten durch das +Beispiel der Kimbrer sich gereizt, gleichfalls im westlichen Gallien +sich ruhigere und fruchtbarere Sitze zu suchen, und hatten vielleicht +schon, als die Kimbrerscharen durch ihr Land zogen, sich dazu mit ihnen +verbündet; jetzt überschritten unter Divicos Führung die Mannschaften +der Tougener (unbekannter Lage) und der Tigoriner (am See von Murten) +den Jura ^13 und gelangten bis in das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen +an der Garonne). Das römische Heer unter dem Konsul Lucius Cassius +Longinus, auf das sie hier stießen, ließ sich von den Helvetiern in +einen Hinterhalt locken, wobei der Feldherr selber und sein Legat, der +Konsular Lucius Piso, mit dem größten Teil der Soldaten ihren Tod +fanden; der interimistische Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich +in das Lager gerettet hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug +unter dem Joch gegen Auslieferung der Hälfte der Habe, die die Truppen +mit sich führten, und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich +standen die Dinge für die Römer, daß in ihrer eigenen Provinz eine der +wichtigsten Städte, Tolosa, sich gegen sie erhob und die römische +Besatzung in Fesseln schlug. + +——————————————————- + +^13 Die gewöhnliche Annahme, daß die Tougener und Tigoriner mit den +Kimbrern zugleich in Gallien eingerückt seien, läßt sich auf Strabon 7, +293 nicht stützen und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der +Helvetier. Die Überlieferung über diesen Krieg ist übrigens in einer +Weise trümmerhaft, daß eine zusammenhängende Geschichtserzählung, +völlig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf +ungefähre Richtigkeit. + +——————————————————— + +Indes da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und +auch die Helvetier vorläufig die römische Provinz nicht weiter +belästigten, hatte der neue römische Oberfeldherr Quintus Servilius +Caepio volle Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu +bemächtigen und das alte und berühmte Heiligtum des Keltischen Apollon +von den darin aufgehäuften ungeheuren Schätzen mit Muße zu leeren - ein +erwünschter Gewinn für die bedrängte Staatskasse, nur daß leider die +Gold- und Silberfässer auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der +schwachen Bedeckung durch einen Räuberhaufen abgenommen wurden und +spurlos verschwanden; wie es hieß, waren die Anstifter dieses +Überfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen +beschränkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive +und hütete mit drei starken Heeren die römische Provinz, bis es den +Kimbrern gefallen würde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre +649 (105) unter ihrem König Boiorix, diesmal ernstlich denkend an einen +Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der +Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter +ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular +Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward völlig +geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier +gebracht, wo der kimbrische König, erzürnt über die stolze Warnung des +gefangenen Römers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen, +ihn niederstieß. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer über +die Rhone zu führen; widerwillig sich fügend erschien dieser endlich +bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze +römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüberstand und ihm durch ihre +ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, daß die Kimbrer anfingen zu +unterhandeln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfnis. +Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Konsul seinem +stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten +prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen übergeordnet; allein +dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und +gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie +vor sein selbständiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des +römischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persönliche +Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, +erweiterte nur den Riß. Als Caepio den Maximus mit den Boten der +Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer +Unterwerfung allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein +sich schleunigst auf den Feind. Er ward völlig vernichtet, so daß auch +das Lager dem Feinde in die Hände fiel (6. Oktober 649 105); und sein +Untergang zog die nicht minder vollständige Niederlage der zweiten +römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische Soldaten und halb +soviel von dem ungeheuren und unbehilflichen Troß gefallen, nur zehn +Mann entkommen sein - so viel ist gewiß, daß es nur wenigen von den +beiden Heeren gelang, sich zu retten, da die Römer mit dem Fluß im +Rücken gefochten hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und +moralisch den Tag von Cannae weit überbot. Die Niederlagen des Carbo, +des Silanus, des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen +Eindruck vorübergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit +Unfällen zu eröffnen; die Unüberwindlichkeit der römischen Waffen stand +so unerschütterlich fest, daß es überflüssig schien, die ziemlich +zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das +den unverteidigten Alpenpässen in erschreckender Weise sich nähernde +Kimbrerheer, die sowohl in der römischen Landschaft jenseits der Alpen +als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt ausbrechende +Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus +diesen Träumen. Man gedachte wieder der nie völlig vergessenen +Keltenstürme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des +Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich ältester Erinnerung +und frischester Angst kam der Gallierschreck über Italien; im ganzen +Okzident schien man es inne zu werden, daß die Römerherrschaft anfange +zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch +Senatsbeschluß die Trauerzeit abgekürzt ^14. Die neuen Werbungen +stellten den drückendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfähigen +Italiker mußten schwören, Italien nicht zu verlassen; die Kapitäne der +in den italischen Häfen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen +dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was +hätte kommen mögen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg +durch die Alpenpforten in Italien eingerückt wären. Indes sie +überschwemmten zunächst das Gebiet der Arverner, die mühsam in ihren +Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der +Belagerung müde, nicht nach Italien, sondern westwärts gegen die +Pyrenäen. + +——————————————————————— + +^14 Hierher gehört ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122. + +——————————————————————— + +Wenn der erstarrte Organismus der römischen Politik noch aus sich +selber zu einer heilsamen Krise gelangen konnte, so mußte sie jetzt +eintreten, wo durch einen der wunderbaren Glücksfälle, an denen die +Geschichte Roms so reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle +Energie und allen Patriotismus in der Bürgerschaft aufzurütteln, und +doch nicht so plötzlich hereinbrach, daß diesen Kräften kein Raum +geblieben wäre, sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur +ebendieselben Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den +afrikanischen Niederlagen eingetreten waren. In der Tat waren die +afrikanischen und die gallischen Unfälle wesentlich gleicher Art. Es +mag sein, daß zunächst jene mehr der Oligarchie im ganzen, diese mehr +einzelnen Beamten zur Last fielen; allein die öffentliche Meinung +erkannte mit Recht in beiden vor allen Dingen den Bankrott der +Regierung, welche in fortschreitender Entwicklung zuerst die Ehre des +Staats und jetzt bereits dessen Existenz in Frage stellte. Man täuschte +sich damals so wenig wie jetzt über den wahren Sitz des Übels, allein +jetzt so wenig wie damals brachte man es auch nur zu einem Versuch, an +der rechten Stelle zu bessern. Man sah es wohl, daß das System die +Schuld trug; aber man blieb auch diesmal dabei stehen, einzelne +Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud freilich über den +Häuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich mit um so viel +schwereren Schlägen, als die Katastrophe von 649 (105) die von 645 +(109) an Umfang und Gefährlichkeit übertraf. Das instinktmäßig sichere +Gefühl des Publikums, daß es gegen die Oligarchie kein Mittel gebe als +die Tyrannis, zeigte sich wiederum, indem dasselbe bereitwillig einging +auf jeden Versuch namhafter Offiziere, der Regierung die Hand zu +zwingen und unter dieser oder jener Form das oligarchische Regiment +durch eine Diktatur zu stürzen. + +Zunächst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten; +mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunächst durch seine +Unbotmäßigkeit herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich +gegründeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosanischen +Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn entwickelte, +wesentlich auch das bei, daß er als Konsul einen Versuch gewagt hatte, +den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreißen. Um seinetwillen +ward der alte ehrwürdige Grundsatz, auch im schlechtesten Gefäß die +Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, während gegen den Urheber +des cannensischen Unglückstages der Tadel in die stille Brust +verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio durch +Volksbeschluß des Prokonsulats entsetzt und - was seit den Krisen, in +denen das Königtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen war - sein +Vermögen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht lange nachher +wurde derselbe durch einen zweiten Bürgerschluß aus dem Senat gestoßen +(650 104). Aber dies genügte nicht; man wollte mehr Opfer und vor allem +Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter Volkstribune, an +ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius Norbanus, +beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen +Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen; +trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der +Todesstrafe für politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die +Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil über ihn zu fällen +und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch +tribunizische Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die +einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt +und bei dem heftigen Auflauf die ersten Männer des Senats durch +Steinwürfe verletzt. Die Untersuchung war nicht zu verhindern und der +Prozeßkrieg ging im Jahre 651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; +Caepio selbst, sein Kollege im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und +zahlreiche andere angesehene Männer wurden verurteilt; mit Mühe gelang +es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner +eigenen bürgerlichen Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben +zu retten ^15. + +————————————————————— + +^15 Die Amtsentsetzung des Prokonsuls Caepio, mit der die +Vermögenseinziehung verbunden war (Liv. ep. 67), ward wahrscheinlich +unmittelbar nach der Schlacht von Arausio (6. Oktober 649 105) von der +Volksversammlung ausgesprochen. Daß zwischen der Absetzung und der +eigentlichen Katastrophe einige Zeit verstrich, zeigt deutlich der im +Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio gemünzte Antrag, daß +Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat nach sich ziehen solle +(Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus (p. 10: Cn. Manilius ob +eandem causam quam et Caepio L. Saturnini rogatione e civitate est cito +[?] eiectus; wodurch die Andeutung bei Cicero (De orat. 2, 28,125) klar +wird, lehren jetzt, daß ein von Lucius Appuleius Saturninus +vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe herbeigeführt hat. Es ist dies +offenbar kein anderes als das Appuleische Gesetz über die geschmälerte +Majestät des römischen Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201) +oder, wie der Inhalt desselben schon früher (Bd. 2, S. 193 der ersten +Auflage [Orig.]) bestimmt ward, Saturninus’ Antrag auf Niedersetzung +einer außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der während der +kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverrätereien. Die +Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3, +30, 74) entsprang in ganz ähnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz, +wie die dort weiter genannten Spezialgerichte über eine ärgerliche +Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die über die +Vorgänge mit den Vestalinnen aus dem Peducäischen von 641 (113), die +über den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110). Die +Vergleichung dieser Fälle lehrt auch, daß von dergleichen +Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen an +Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn +anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird, +der das Verfahren gegen Caepio veranlaßte und dafür später zur +Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200. +part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn +der Antrag ging, wie gewöhnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet. +Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits +tot war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung +zu üben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten +und schließlichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewöhnliche, +sehr unüberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), zehn +Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits früher +zurückgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, daß Crassus als +Konsul, also 659 (95) für Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er +aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus +wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius +Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Früher wurde für diese +zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, daß sie +aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken +zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros. +hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum +zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden +sich nicht, aber die sehr überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht für +das erstere Jahr, teils weil dies den Unglücksfällen in Gallien näher +steht, teils weil in den ziemlich ausführlichen Berichten über +Saturninus’ zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen +diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Daß die infolge +der Urteilssprüche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den +Staatsschatz zurückgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat +für seine Kolonisationspläne in Anspruch genommen werden (Vir. ill. 73, +5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht entscheidend +und kann überdies leicht durch Verwechslung von dem ersten +afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus +übertragen worden sein. + +Daß späterhin, als Norbanus belangt ward, dies eben auf Grund des von +ihm mitveranlaßten Gesetzes geschah, ist eine dem römischen politischen +Prozeß dieser Zeit gewöhnliche Ironie (Cic. Brut. 89, 305) und darf +etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als sei das Appuleische Gesetz +schon, wie das spätere Cornelische, ein allgemeines Hochverratsgesetz +gewesen. + +———————————————————————— + +Wichtiger als diese Maßregel der Rache war die Frage, wie der +gefährliche Krieg jenseits der Alpen ferner geführt und zunächst, wem +darin die Oberfeldherrnschaft übertragen werden sollte. Bei +unbefangener Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu +treffen. Rom war zwar im Vergleich mit früheren Zeiten an militärischen +Notabilitäten nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in +Gallien, Marcus Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den +Donauländern, Quintus Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in +Afrika mit Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht +darum, einen Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren +des Nordens gegenüber die oft erprobte Überlegenheit römischer Waffen +und römischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines +genialen, sondern nur eines strengen und tüchtigen Kriegsmanns +bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher möglich war +als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung +war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische +Krieg gezeigt hatte, in der öffentlichen Meinung so vollständig +bankrott, daß ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn +weichen mußten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem +Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich +an die Spitze der Geschäfte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, daß, +was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich +wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus +Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat +mehr als einmal zu übernehmen verbot, auf als Bewerber um das höchste +Staatsamt und nicht bloß ward er, während er noch in Afrika an der +Spitze des dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der +Oberbefehl in dem Gallischen Krieg übergeben, sondern es ward ihm auch +fünf Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das +Konsulat übertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter +Hohn gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen +Torheit und Kurzsichtigkeit bewährten exklusiven Geist der Nobilität, +aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhört und in der Tat +mit dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich +war. Namentlich in dem römischen Militärwesen, dessen im Afrikanischen +Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Bürgerwehr in eine Söldnerschar +Marius während seines fünfjährigen, durch die Not der Zeit mehr noch +als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschränkten Oberkommandos +fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser +inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen +Generals für alle Zeit sichtbar geblieben. + +Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits +der Alpen, gefolgt von einer Anzahl erprobter Offiziere, unter denen +der kühne Fänger des Jugurtha, Lucius Sulla, bald sich abermals +hervortat, und von zahlreichen Scharen italischer und +bundesgenössischer Soldaten. Zunächst fand er den Feind, gegen den er +geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, die bei Arausio +gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, nachdem sie +die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, über die Pyrenäen +gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den tapferen Bewohnern +der Nordküste und des Binnenlandes herum; es schien, als wollten die +Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei ihrem ersten +Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius volle Zeit, +einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam zurückzubringen, +die schwankende Treue der untertänigen gallischen und ligurischen Gaue +wieder zu befestigen und innerhalb wie außerhalb der römischen Provinz +von den gleich den Römern durch die Kimbrer gefährdeten Bundesgenossen, +wie zum Beispiel von den Massalioten, den Allobrogen, den Sequanern, +Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits durch strenge Mannszucht +und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe das ihm +anvertraute Heer zu disziplinieren und durch Märsche und ausgedehnte +Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung eines später den Massalioten +überwiesenen Rhonekanals zur leichteren Herbeischaffung der von Italien +dem Heer nachgesandten Transporte - die Soldaten für die ernstere +Kriegsarbeit tüchtig zu machen. Auch er verhielt sich in strenger +Defensive und überschritt nicht die Grenzen der römischen Provinz. +Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651 (103), flutete der +Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen Widerstand der +eingeborenen Völkerschaften, namentlich der Keltiberer sich gebrochen +hatte, wieder zurück über die Pyrenäen und von da, wie es scheint, am +Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen Männern sich +unterwarf, von den Pyrenäen bis zur Seine. Erst hier, an der +Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen sie auf +ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, während sie im Gebiet +der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher Zuzug. +Nicht bloß drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner und +Tougener, welche früher an der Garonne gegen die Römer gefochten +hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern, +sondern es stießen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter +ihrem König Teutobod, welche durch uns nicht überlieferte Fügungen aus +ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen waren ^16. +Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen Widerstand +der Belgen nicht zu überwältigen. Die Führer entschlossen sich daher, +mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals beratenen Zug +nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit dem bisher +zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier +zurückgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus +denen später nach mancherlei Irrfahrten die Völkerschaft der Aduatuker +an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen +Verpflegung auf den Alpenstraßen, sei es aus anderen Gründen, die +Massen lösten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine, +die Kimbrer und Tigoriner, über den Rhein zurück und durch die schon im +Jahre 641 (113) erkundeten Pässe der Ostalpen, der andere, die +neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von +Arausio bewährte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das römische +Gallien und die Westpässe nach Italien eindringen sollte. Diese zweite +Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die +Rhone überschritt und am linken Ufer derselben mit den Römern den Kampf +nach fast dreijähriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in +einem wohlgewählten und wohlverproviantierten Lager am Einfluß der +Isère in die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals +gangbaren Heerstraßen nach Italien, die über den Kleinen Bernhard und +die an der Küste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen +das Lager an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte +der Sturm der Barbaren um die römischen Verschanzungen, aber der wilde +Mut scheiterte an der Überlegenheit der Römer im Festungskrieg und an +der Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich +die dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fürbaß +nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran +vorüber, ein Beweis mehr noch für die Schwerfälligkeit ihres Trosses +als für ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr ließ es geschehen ohne +anzugreifen; daß er durch den höhnischen Zuruf der Feinde, ob die Römer +nicht Aufträge hätten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren ließ, ist +begreiflich, aber daß er dies verwegene Vorbeidefilieren der +feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten römischen Masse nicht +benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten +vertraute. Als der Zug vorüber war, brach auch er sein Lager ab und +folgte dem Feinde auf dem Fuß, in strenger Ordnung und Nacht für Nacht +sich sorgfältig verschanzend. Die Teutonen, die der Küstenstraße +zustrebten, gelangten längs der Rhone hinabmarschierend bis in die +Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschöpfen +stießen hier die leichten ligurischen Truppen der Römer mit der +feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald +allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Römer und verfolgten den +weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glückliche +Zusammenstoß erhöhte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am dritten +Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze das +römische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. Die +Teutonen, längst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten +sofort den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und +langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein +die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen +und ein blinder Lärm in ihrem Rücken, wo ein Haufen römischer Troßbuben +aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte, +entschied vollends die Auflösung der schwankenden Reihen. Der ganze +Schwarm ward gesprengt und, wie begreiflich in dem fremden Lande, +entweder getötet oder gefangen; unter den Gefangenen war der König +Teutobod, unter den Toten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt +mit der Behandlung, die ihnen als Sklavinnen bevorstand, teils auf +ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr sich hatten niedermachen +lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem sie umsonst gebeten, sie +dem Dienst der Götter und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen, +sich selber den Tod gegeben hatten (Sommer 652 102). + +———————————————————————- + +^16 Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhältnismäßig +zuverlässigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen +ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und +bei Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die +Teutonen schon früher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der +Schlacht von Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind +verbunden die Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem +Zug der Kimbrer in die römische Provinz und nach Italien nur die +Expedition von 652 (102) gemeint sein kann. + +——————————————————————— + +So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon +standen deren Waffenbrüder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern +verbündet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in das +obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpaß +überschritten und waren von da durch die Täler der Eisack und Etsch +hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus +Lutatius Catulus die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht völlig +kundig und fürchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut, +in die Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken +Ufer der Etsch sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug auf das +rechte durch Anlegung einer Brücke sich gesichert. Allein als nun die +Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein +panischer Schreck das römische Heer und Legionäre und Reiter liefen +davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die nächste +Anhöhe, die Sicherheit zu gewähren schien. Mit genauer Not brachte +Catulus wenigstens den größten Teil seines Heeres durch eine Kriegslist +wieder an den Fluß und über die Brücke zurück, ehe es den Feinden, die +den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Bäume und Balken gegen +die Brücke hinabtreiben ließen, gelang, diese zu zerstören und damit +dem Heer den Rückzug abzuschneiden. Eine Legion indes hatte der +Feldherr auf dem anderen Ufer zurücklassen müssen und bereits wollte +der feige Tribun, der sie führte, kapitulieren, als der Rottenführer +Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieß und mitten durch die Feinde +auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich durchschlug. So war +das Heer und einigermaßen selbst die Waffenehre gerettet; allein die +Folgen der versäumten Besetzung der Pässe und des übereilten Rückzugs +waren dennoch sehr empfindlich. Catulus mußte auf das rechte Ufer des +Po sich zurückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Alpen +in der Gewalt der Kimbrer lassen, so daß man die Verbindung mit +Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im Sommer 652 (102), +um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und den Römern bei Aquae +Sextiae zur Entscheidung kam. Hätten die Kimbrer ihren Angriff +ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr bedrängte Lage +geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, blieben sie auch +diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die ungewohnten +Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen reichlichen +Speisen und Getränke sie einluden, es sich vorläufig wohl sein zu +lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit, ihnen mit vereinigten Kräften +in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische +General sonst wohl getan haben würde, den unterbrochenen Eroberungsplan +des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt +wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das siegreiche +Heer an den Po geführt und nach kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo +er den ihm angetragenen Triumph bis nach völliger Überwindung der +Barbaren zurückwies, traf auch Marius selbst bei den vereinigten Armeen +ein. Im Frühjahr 653 (101) überschritten sie, 50000 Mann stark, unter +dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum den Po und zogen +gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flußaufwärts marschiert zu sein +scheinen, um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten. +Unterhalb Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po ^17, ebenda, +wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte, +trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer wünschten die Schlacht +und sandten, ihrer Landessitte gemäß, zu den Römern, Zeit und Ort dazu +auszumachen: Marius willfahrte ihnen und nannte den nächsten Tag - es +war der 30. Juli 653 (101) - und das Raudische Feld, eine weite Ebene, +auf der die überlegene römische Reiterei einen vorteilhaften Spielraum +fand. Hier stieß man auf den Feind, erwartet und doch überraschend; +denn in dem dichten Morgennebel fand sich die kimbrische Reiterei im +Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es vermutete, und ward +von ihr zurückgeworfen auf das Fußvolk, das eben zum Kampfe sich +ordnete. Mit geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und +die Kimbrer vernichtet. Glücklich mochte heißen, wer den Tod in der +Schlacht fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix; +glücklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an sich +selbst legten oder gar auf dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen +mußten, der dem einzelnen Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des +schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, +die auf den Vorbergen der Alpen zurückgeblieben waren, um den Kimbrern +später zu folgen, verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in +ihre Heimat. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der +Donau bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert +hatte, ruhte unter der Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der +verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schuldigkeit +getan; das heimatlose Volk der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht +mehr. + +————————————————————————- + +^17 Man hat nicht wohl getan, von der Überlieferung abweichend das +Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daß +zwischen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein +ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und daß Catulus +nach ausdrücklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer +zurückgewichen war. Auch die Angaben, daß am Po (Hier. chron. a. Abr.) +und daß da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am +Tanaro, die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide ungenau, +doch viel eher nach Vercellae als nach Verona. + +—————————————————————————- + +Über den Leichen haderten die politischen Parteien Roms ihren +kümmerlichen Hader weiter, ohne um das große Kapitel der Weltgeschichte +sich zu bekümmern, davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, +ohne auch nur Raum zu geben dem reinen Gefühl, daß an diesem Tage Roms +Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die +Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloß politische Gegner, +sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg der beiden vorjährigen +Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum +widerwärtigsten Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, daß das +Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe und daß von +seinen Leuten einunddreißig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen +eingebracht seien - seine Soldaten führten sogar die Abgeordneten der +Stadt Parma durch die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, daß Marius +tausend geschlagen habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger +galt Marius als der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; +nicht bloß, weil er kraft seines höheren Ranges an dem entscheidenden +Tage den Oberbefehl geführt hatte und an militärischer Begabung und +Erfahrung seinem Kollegen ohne Zweifel weit überlegen war, sondern vor +allem, weil der zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur möglich +geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der +damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den +Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius’ +Namen knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein +feiner und gescheiter Mann, ein so anmutiger Sprecher, daß der Wohllaut +seiner Worte fast wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher +Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher +Kunstkenner und Kunstrichter; aber er war nichts weniger als ein Mann +des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber +des groben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke auf den Schild +gehoben war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese +Schlachten waren nicht bloß Niederlagen der Kimbrer und Teutonen, +sondern auch Niederlagen der Regierung; es knüpften daran sich noch +ganz andere Hoffnungen als die, daß man wieder ungestört jenseits der +Alpen Geldgeschäfte machen oder diesseits den Acker bauen könne. +Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus’ blutende Leiche +den Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regiment der +restaurierten Oligarchie ertragen und verwünscht; immer noch war dem +Gracchus kein Rächer, seinem angefangenen Bau kein zweiter Meister +erstanden. Es haßten und hofften viele, viele von den schlechtesten und +viele von den besten Bürgern des Staats; war der Mann, der diese Rache +und diese Wünsche zu erfüllen verstand, endlich gefunden in dem Sohn +des Tagelöhners von Arpinum? Stand man wirklich an der Schwelle der +neuen, vielgefürchteten und vielersehnten zweiten Revolution? + + + + +KAPITEL VI. +Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus + + +Gaius Marius ward, eines armen Tagelöhners Sohn, geboren im Jahre 599 +(155) in dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das später als +Cereatae Marianae Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen +“Mariusheimat” (Casamare) trägt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so +dürftigen Verhältnissen, daß sie ihm selbst zu den Gemeindeämtern von +Arpinum den Zugang zu verschließen schienen; er lernte früh, was er +später noch als Feldherr übte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und +Winterkälte ertragen und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter +es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und hatte in der +schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier +emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals +dreiundzwanzigjährig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die +saubere Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine +Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war +heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und kriegerischen Abzeichen und mit +dem lebhaften Wunsch, in der rühmlich betretenen Laufbahn sich einen +Namen zu machen; allein unter den damaligen Verhältnissen konnte zu den +politischen Ämtern, die allein zu höheren Militärstellen führten, auch +der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermögen und ohne +Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glückliche +Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Mädchen aus dem +altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter großen +Anstrengungen und nach vielfachen Mißerfolgen im Jahre 639 (115) bis +zur Prätur, in welcher er als Statthalter des jenseitigen Spaniens +seine militärische Tüchtigkeit aufs neue zu bewähren Gelegenheit fand. +Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im Jahre 647 (107) das +Konsulat übernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den +Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglückstag von Arausio +zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal +vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den +Annalen der Republik beispielloser Erneuerung des Konsulats, die +Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen überwand und +vernichtete, ist bereits erzählt worden. In seinem Kriegsamt hatte er +sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen Mann, der +unparteiisch Recht sprach, über die Beute mit seltener Ehrlichkeit und +Uneigennützigkeit verfügte und durchaus unbestechlich war; als einen +geschickten Organisator, der die einigermaßen eingerostete Maschine des +römischen Heerwesens wieder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als +einen fähigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter +Laune erhielt und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe +gewann, dem Feinde aber kühn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit +ihm schlug. Eine militärische Kapazität im eminenten Sinn war er, +soweit wir urteilen können, nicht; allein die sehr achtungswerten +Eigenschaften, die er besaß, genügten unter den damals bestehenden +Verhältnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, +und auf diesen gestützt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise +eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er paßte +darum nicht besser in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und +laut, sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich +und nicht wohlerzogene und parfümierte Kollegen. Daß er abergläubisch +war wie ein echter Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes +Konsulat sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunächst +durch die Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen +ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin +Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich +unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen +Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft. +Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar +löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man +denken von einem der verfassungsmäßigen Etikette so unkundigen Konsul, +daß er im Triumphalkostüm im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotüre +ihm an. Er war nicht bloß - nach aristokratischer Terminologie - ein +armer Mann, sondern, was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter +Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart war er +nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in späteren Jahren; +Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten Koch. +Ebenso übel war es, daß der Konsular nur Lateinisch verstand und die +griechische Konversation sich verbitten mußte; daß er bei den +griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war +vermutlich nicht der einzige -, aber daß er sich zu seiner Langenweile +bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die +Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen +Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das +wie diese selber zu verachten er denn doch nicht über sich vermochte. +Nicht viel weniger wie außerhalb der Gesellschaft stand Marius +außerhalb der Parteien. Die Maßregeln, die er in seinem Volkstribunat +(635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der +Stimmtäfelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden +Betrügereien und die Verhinderung ausschweifender Anträge auf Spenden +an das Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den +der demokratischen, sondern zeigen nur, daß ihm Unrechtfertigkeit und +Unvernunft verhaßt waren; und wie hätte auch ein Mann wie dieser, Bauer +von Geburt und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionär sein +können? Die Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar später in das +Lager der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier +auf den Schild gehoben zunächst als Feldherr der Opposition und +demnächst vielleicht bestimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war +dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhältnisse und des +allgemeinen Bedürfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein +eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48 +(107/06) kaum vorübergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt. +Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie über +die Kimbrer so über die Teutonen, nach Rom zurück, um den verschobenen +Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann in Rom und +doch zugleich politischer Anfänger. Es war unwidersprechlich +ausgemacht, nicht bloß daß Marius Rom gerettet habe, sondern daß er der +einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein Name war auf allen +Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem Volk war +er populär wie keiner vor oder nach ihm, populär durch seine Tugenden +wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit +nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieß der Menge der +dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm +Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf +mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von +Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu +Erdteil verglich und sich für seinen Gebrauch einen Becher - keinen von +den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen fertigen ließ. Es war +ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung +des Volkes, die wohl einen Mann von kälterem Blut und gereifterer +politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius’ Werk schien +seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer als die Barbaren +lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms, +dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu, Rom zum +zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das +hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so +schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern +der Feinde gegenüber eine weit festere Haltung als gegen die +klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an. +Hoffnungen binden. Seine militärische und politische Stellung war von +der Art, daß, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht +brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht täuschen, +seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der +Mißverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten steuern und dem +Restaurationsregiment ein Ende machen mußte, und wenn er nur die +inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besaß, so konnte er dessen, +was zum Volksführer ihm abging, allerdings entraten. + +Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten +Armee. Bis auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der +Servianischen Verfassung, die Aushebung lediglich auf die vermögenden +Bürger zu beschränken und die Unterschiede der Waffengattungen allein +nach den Vermögensklassen zu ordnen, wohl schon manches nachlassen +müssen: es war das zum Eintritt in das Bürgerheer verpflichtende +Minimalvermögen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden auf +4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die älteren sechs in den +Waffengattungen unterschiedenen Vermögensklassen beschränkt worden auf +drei, indem man zwar wie nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus +den vermögendsten, die Leichtbewaffneten aus den ärmsten +Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche +Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermögen, sondern nach +dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und +Triarier ordnet. Man hatte ferner schon längst die italischen +Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maße zum Kriegsdienst +mitherangezogen, indes auch hier, ganz wie bei der römischen +Bürgerschaft, die Militärpflicht vorzugsweise auf die besitzenden +Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das römische Militärwesen bis +auf Marius im wesentlichen auf jener uralten Bürgerwehrordnung. Allein +für die veränderten Verhältnisse paßte dieselbe nicht mehr. Die +besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und +mehr sich zurück, teils schwand der römische und italische Mittelstand +überhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die beträchtlichen +Streitmittel der außeritalischen Bundesgenossen und Untertanen +verfügbar geworden, andererseits bot das italische Proletariat, richtig +verwandt, ein militärisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die +Bürgerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden +sollte, war im Felddienst schon vor Marius tatsächlich eingegangen. Als +wirklicher Heerkörper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen +Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren höhnischen +Hochmut und ihre Unbotmäßigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen +beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher +Gewissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg +erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn +und fremde Prinzen; von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich +die Ergänzung der Legionen mit gehörig qualifizierten Pflichtigen schon +im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig, so daß Anstrengungen, wie sie +nach der Schlacht von Arausio nötig waren, unter Einhaltung der +bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht wohl in der Tat +materiell unausführbar gewesen sein würden. Andererseits wurden schon +vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie, +die außeritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die +leichte afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fußvolk der +bebenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer größerer +Anzahl auch außerhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren +mitverwendet; und zugleich drängten sich, während an qualifizierten +Bürgerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten ärmeren Bürger +ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des +arbeitslosen oder arbeitsscheuen Bürgergesindels und bei den +ansehnlichen Vorteilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die +Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts +als eine notwendige Konsequenz der politischen und sozialen Umwandlung +des Staats, daß man im Militärwesen überging von dem System des +Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die +leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der Untertanen +bildete, wie denn für den kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien +Zuzug angesagt ward, für die Linieninfanterie aber zwar die bisherige +Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen +Bürger den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst +Marius 647 (107) tat. + +Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die +gleichfalls auf Marius zurückgeht. Die römische Weise aristokratischer +Gliederung hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die +vier Treffen der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier +oder, wie man auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und +dritten Linie hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach +Vermögens- oder Dienstalter und großenteils auch verschiedene +Bewaffnung, jedes seinen ein für allemal bestimmten Platz in der +Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militärischen Rang und sein +eigenes Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt über +den Haufen. Wer überhaupt als Legionär zugelassen ward, bedurfte keiner +weiteren Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; über die +Einordnung entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle +Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle +Rekruten gleichmäßig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen +die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des +Gepäcks und ähnlichen Dingen von Marius herrühren und ein rühmliches +Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des +Kriegshandwerks und seiner Fürsorge für die Soldaten; vor allem aber +das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius +Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist +bezeichnend, daß dasselbe die militärische Ausbildung des einzelnen +Mannes beträchtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in +den damaligen Fechterschulen übliche Ausbildung der künftigen +Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gänzlich andere. An +die Stelle der 30 Fähnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes +zu zwei Zügen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30 +Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten, +traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu +sechs, oft auch nur zu fünf Zügen von je 100 Mann; so daß, obgleich +gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200 +Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf +5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb +bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkörper +gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn überlassen, die +Kohorten, über die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu +verteilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer +der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen +Legionsteile, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roß, der Eber, die +bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren +Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafür traten die +Fähnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der +gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der +Legion jede Spur der bisherigen bürgerlichen und aristokratischen +Gliederung verschwand und unter den Legionären fortan nur noch rein +soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon einige +Jahrzehnte früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte +Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des +Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den +bundesgenössischen Kontingenten die persönliche Bedeckung des Feldherrn +gebildet; römische Legionäre oder gar freiwillig sich erbietende +Mannschaften zum persönlichen Dienst bei dem selben zu verwenden, +widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen Gemeinwesens. Aber +als der Numantinische Krieg ein beispiellos demoralisiertes Heer +großgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward, dem wüsten +Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen +können, völlig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm +wenigstens gewährt, außer einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die +abhängigen Könige und Freistädte des Auslandes zur Verfügung stellten, +aus freiwilligen römischen Bürgern eine persönliche +Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese Kohorte, teils aus +den besseren Ständen, teils aus der niederen persönlichen Klientel des +Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die des +Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem +(praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoß +höheren Sold und größeres Ansehen. + +Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint +allerdings wesentlich aus rein militärischen Motiven hervorgegangen und +überhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines +berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände gebotene +Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es ist +wahrscheinlich, daß die Einführung des inländischen Werbesystems durch +Marius ebenso den Staat militärisch vom Untergang gerettet hat, wie +manches Jahrhundert später Arbogast und Stilicho durch Einführung des +ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. +Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich +eine vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfassung +ruhte zumeist darauf, daß der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor +allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich +bildete. Hierzu mußte schon das neue Exerzierreglement führen mit +seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward +allmählich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch +beschränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst, besonders in +Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit +sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches arbiträres +Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und +glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil +der beweglichen Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu +heischen. Wenn der ausgehobene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst +nichts sah als eine für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im +Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt für den ihm aus dem +Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der +geworbene Proletarier nicht bloß für den Augenblick allein angewiesen +auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft mußte er, den nach der +Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm, +wünschen, zunächst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu +verlassen als mit Begründung seiner bürgerlichen Existenz. Seine +einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, +seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als +Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten +italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das +Bürgerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, +rechtfertigte er später sich damit, daß er im Lärm der Schlacht die +Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in +wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in +verfassungswidrigem Begehren sich begegneten, wer mochte dafür stehen, +daß alsdann nicht noch andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht +würden vernommen werden? Man hatte das stehende Heer, den +Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen Verfassung, so +standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der künftigen +Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um +den Palatinischen Hügel kreisten, da riefen sie dem Königtum; der neue +Adler, den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der +Kaiser. + +Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß Marius einging auf die +glänzenden Aussichten, die seine militärische und politische Stellung +ihm eröffnete. Es war eine trübe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber +man ward des Friedens nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem +ersten gewaltigen Anprall der Nordländer auf Rom, wo nach überstandener +Krise im frischen Gefühl der Genesung alle Kräfte sich neu geregt, wo +sie in üppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt +hatten. Alle Welt fühlte, daß, mochten auch tüchtige Feldherren noch +aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen +darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der +restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fühlte auch, daß die Zeit +nicht mehr war, wo in solchen Fällen die Bürgerschaft sich selber half, +und daß nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer +blieb. Wie tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen +Jünglinge, welche der Revolution das Tor geöffnet hatten, +zurückgebliebene Lücke empfand, freilich auch wie kindisch sie nach +jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn des +Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden +Gracchen ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig +seines usurpierten Namens wegen vom Volke für 655 (99) zum Tribun +gewählt ward. In demselben Sinne jubelte die Menge dem Gaius Marius +entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, schien er der rechte +Mann; war er doch der erste Feldherr und der populärste Name seiner +Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch seine von dem +Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats, empfohlen +- wie hätte nicht das Volk, wie hätte er selbst nicht sich dafür halten +sollen! Die öffentliche Meinung war so entschieden wie möglich +oppositionell; es ist bezeichnend dafür, daß die Besetzung der in den +höchsten geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die +Bürgerschaft anstatt durch die Kollegien selbst, die die Regierung noch +im Jahre 609 (145) durch Anregung der religiösen Bedenken in den +Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des +Gnaeus Domitius durchging, ohne daß der Senat es hätte wagen können, +sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an einem +Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein +praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden. + +Zur Durchführung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius +konnte die Oligarchie zu stürzen versuchen als Imperator an der Spitze +der Armee oder auf dem für konstitutionelle Änderungen verfassungsmäßig +bezeichneten Weg; dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der +Vorgang des Gracchus. Es ist sehr begreiflich, daß er den ersteren Weg +nicht betrat, vielleicht nicht einmal die Möglichkeit dachte, ihn zu +betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhaßt +und verachtet, daß Marius gegen ihn kaum einer anderen Stütze als +seiner ungeheuren Popularität zu bedürfen, nötigenfalls aber trotz der +Auflösung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen +harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, daß Marius, +im Hinblick auf Gracchus’ leichten und scheinbar fast vollständigen +Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit überlegenen +Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjährigen, mit dem nach +komplizierter Hierarchie geordneten Staatskörper und der +mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen +Verfassung für weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer tiefer +in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius +wahrscheinlich tat, mochte erwägen, daß das Heer, obwohl im Übergang +begriffen von der Bürgerwehr zur Söldnerschar, doch während dieses +Übergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines +Staatsstreiches sich schickte und daß ein Versuch, die widerstrebenden +Elemente durch militärische Mittel zu beseitigen, die +Widerstandsfähigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben würde. +Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, mußte auf den +ersten Blick überflüssig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man +war eben am Anfang der Krise und die Gegensätze von ihrem letzten, +kürzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt. + +Marius entließ also der bestehenden Ordnung gemäß nach dem Triumph sein +Heer und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, +vermittels der Übernahme der verfassungsmäßigen Staatsämter die +Oberhauptschaft im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit +angewiesen auf die sogenannte Volkspartei und in deren damaligen +Führern um so mehr seine Bundesgenossen, als der siegreiche General die +zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus +nicht besaß. So gelangte die demokratische Partei nach langer +Nichtigkeit plötzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem +langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich +verschlechtert. Wohl war das Mißvergnügen über das senatorische +Regiment jetzt nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen, +die den Gracchen ihre treuesten Anhänger zugeführt hatten, war +inzwischen als Illusion erkannt worden und die Ahnung inzwischen +manchem aufgegangen, daß diese Gracchische Agitation auf ein Ziel +hinausliefe, wohin ein sehr großer Teil der Mißvergnügten keineswegs zu +folgen willig war; wie denn überhaupt in dem zwanzigjährigen Hetzen und +Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen +Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des +Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn +die demokratische Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus +gewesen, so standen die Führer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter +ihrer Partei, als Gaius Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. +Es lag dies in der Natur der Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es +wagte, wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, +konnten die Führer nur Lückenbüßer sein: entweder politische Anfänger, +die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als +sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder +minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der Regierungspartei +bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluß nichts +zu verlieren, an Ehre gewöhnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, +und die aus persönlicher Erbitterung oder auch aus bloßer Lust am +Lärmschlagen sich ein Geschäft daraus machten, die Regierung zu hindern +und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius +Memmius und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen +der Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnächst als eifrige +Regierungsmänner verwerteten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei +aber um diese Zeit waren Männer der zweiten Gattung: sowohl Gaius +Servilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein +gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester +Straßenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner +drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer Genosse Lucius +Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein +feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von +gemein eigennützigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quästor die in +üblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluß des +Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als +um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der +Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der +herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zuzuwenden. Diese +Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition +gedrängt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit +Zinsen. Ein ärgerlicher Handel hatte damals den anderen gedrängt. Er +hatte die von den Gesandten des Königs Mithradates in Rom bewirkten +Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat +aufs höchste kompromittierenden Enthüllungen hätten fast dem kühnen +Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens +Quintus Metellus, als derselbe sich für 652 (102) um die Zensur bewarb, +einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, +bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergießen befreiten; des Zensors +Metellus Vergeltung, die schimpfliche Ausstoßung des Saturninus wie des +Glaucia aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des +Senatorenverzeichnisses, war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem +Metellus zugegebenen Kollegen. Er hauptsächlich hatte jenes +Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen trotz des heftigsten +Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die lebhaft +bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul für 652 (102) +durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des +Senats und der tätigste und beredteste Führer der Volkspartei seit +Gaius Gracchus, freilich auch gewalttätig und rücksichtslos wie keiner +vor ihm, immer bereit, in die Straße hinabzusteigen und statt mit +Worten den Gegner mit Knütteln zu widerlegen. + +Solcher Art waren die beiden Führer der sogenannten Popularpartei, die +mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es +war natürlich; die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch +schon bei Marius’ früheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs +entschiedenste und erfolgreichste für ihn Partei genommen. Sie wurden +sich dahin einig, daß für 654 (100) Marius um das sechste Konsulat, +Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia um die Prätur sich bewerben +sollten, um im Besitz dieser Ämter die beabsichtigte Staatsumwälzung +durchzuführen. Der Senat ließ die Ernennung des minder gefährlichen +Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um Marius’ und Saturninus’ +Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem in Quintus Metellus einen +entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die Seite zu setzen. +Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und unerlaubte, in +Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die gefährliche +Verschwörung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmähte es nicht, +Stimmenbettel, es heißt sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in +den tribunizischen Wahlen neun Männer von der Liste der +Regierungspartei proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits +einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert +schien, ward dieser von einem wüsten Haufen, der vorzugsweise aus +entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, angefallen und +erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich auf die +gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewählt als Konsul, Glaucia +als Prätor, Saturninus als Volkstribun für 654 (109): nicht Quintus +Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus, +erhielt die zweite Konsulstelle; die verbündeten Männer konnten daran +gehen, ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633 +(121) unterbrochene Werk zu vollenden. + +Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln +er sie verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach +außen zu brechen, also teils die vom Senat völlig abhängig gewordene +Beamtengewalt in ihre ursprünglichen souveränen Rechte +wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus der regierenden wieder in +eine beratende Behörde umzuwandeln, teils der aristokratischen +Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden Bürger-, der +italischen Bundesgenossen- und der Untertanenschaft durch allmähliche +Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment +unverträglichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen +die drei verbündeten Männer wieder auf in den Kolonialgesetzen, die +Saturninus als Volkstribun teils schon früher (651 103) eingebracht +hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte ^1. Schon in jenem Jahre war +zunächst zu Gunsten der Marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloß, +sondern, wie es scheint, auch der italischen Bundesgenossen, die +unterbrochene Verteilung des karthagischen Gebiets wieder aufgenommen +und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem +fünffachen Maß eines gewöhnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz +Africa zugesichert worden. Jetzt ward für die römisch-italische +Emigration nicht bloß das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland +in weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der +rechtlichen Fiktion, daß den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das +gesamte von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles +Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseits der Alpen. Zur Leitung +der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa nötig erscheinenden +weiteren Maßregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber +von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden +Tempelschätze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen Landempfänger +bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloß die Eroberungspläne +jenseits der Alpen und die transalpinischen und überseeischen +Kolonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen +hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die +Italiker neben den Römern zur Emigration zuließ und doch ohne Zweifel +die sämtlichen neuen Gemeinden als Bürgerkolonien einzurichten +vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer durchzubringenden und +doch unmöglich auf die Länge abzuweisenden Ansprüche der Italiker auf +Gleichstellung mit den Römern zu befriedigen. Zunächst aber wurde, wenn +das Gesetz durchging und Marius zur selbständigen Ausführung dieser +ungeheuren Eroberungs- und Aufteilungspläne berufen ward, tatsächlich +derselbe bis zur Realisierung jener Pläne oder vielmehr, bei der +Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens +Monarch von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so +Marius das Konsulat alljährlich sich erneuern zu lassen gedachte. +überhaupt ist bei der sonstigen Übereinstimmung der für den jüngeren +Gracchus und für Marius entworfenen politischen Stellungen in allen +wesentlichen Stücken oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem +landanweisenden Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, daß +jener eine rein bürgerliche, dieser daneben eine militärische Stellung +einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs +allein aus den persönlichen Verhältnissen hervorging, unter denen die +beiden Männer an die Spitze des Staates getreten waren. + +———————————————————————- + +^1 Es ist nicht möglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was +dem zweiten Tribunat des Saturninus angehört; um so weniger, als +derselbe in beiden offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. +Das afrikanische Ackergesetz setzt die Schrift ‘De viris illustribus’ +(73, 1) mit Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der +erst kurz vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das +zweite Ackergesetz gehört unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das +Majestäts- und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651 +(103), dieses in 654 (100) gesetzt worden. + +——————————————————————— + +Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich +vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch +welche man den voraussichtlich hartnäckigen Widerstand der +Regierungspartei zu brechen gedachte. Gaius Gracchus hatte seine +Schlachten geschlagen mit dem Kapitalistenstand und dem Proletariat. +Seine Nachfolger versäumten zwar nicht, auch diesen entgegenzukommen. +Den Rittern ließ man nicht bloß die Gerichte, sondern ihre +Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine +verschärfte Ordnung für die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende +Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den +Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte, +teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus’ Antrag +niedergesetzte Spezialgericht über die während der kimbrischen Bewegung +in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen. +Zum Frommen des hauptstädtischen Proletariats ferner ward der bisher +bei den Getreideverteilungen für den römischen Scheffel zu entrichtende +Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine bloße +Rekognitionsgebühr von 5/6 As. Indes obwohl man das Bündnis mit den +Rittern und dem hauptstädtischen Proletariat nicht verschmähte, so +ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbündeten wesentlich +nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen +Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so +ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der +vorwiegend militärische Charakter hervor, der hauptsächlich diesen +Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet. + +Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stießen +bei der Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man +bewies im Senat mit schlagenden Zahlen, daß jenes die öffentlichen +Kassen bankrott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man +erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus +ließ weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an, +daß ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach +altem Glauben die Götter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen; +Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich +ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner der Hagel +folgen. Endlich trieb der städtische Quästor Quintus Caepio, vermutlich +der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und gleich +seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen +ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die +derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach +Rom geströmt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die +städtischen Haufen, und so gelang es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld +die Abstimmung über die Appuleischen Gesetze zu Ende zu führen. Der +Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob der Senat der Klausel +des Gesetzes genügen werde, daß binnen fünf Tagen nach dessen +Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf +getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten +diesen Eid die sämtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus +Metellus, der es vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen +Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüchtigsten Mann +unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus dem Staate scheiden. + +———————————————————— + +2 Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 648 (106) +Konsul, der jüngere 651 (103) oder 654 (100) Quästor, also jener um +oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; daß +jener starb, ohne Söhne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht +nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 (90) und der ältere, der im +Exil zu Smyrna sein Leben beschloß, kann gar wohl ihn überlebt haben. + +————————————————————- + +Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mußte schon jetzt das +Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens +lag wesentlich in der ungeschickten Allianz eines politisch unfähigen +Feldherrn und eines fähigen, aber rücksichtslos heftigen, und mehr von +Leidenschaft als von staatsmännischen Zwecken erfüllten Demagogen von +der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur +noch um Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es +sich sehr bald, daß der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war +als eine Inkapazität; daß sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den +Adligen an Titeln erreichen und womöglich überbieten möchte, nicht aber +der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft +fühlt; daß jedes Unternehmen, welches auf seine politische +Persönlichkeit gebaut war, auch unter den sonst günstigsten +Verhältnissen notwendig an ihm selber scheitern mußte. + +Er wußte weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu bändigen. +Die Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon +ansehnlich genug; denn nicht bloß die Regierungspartei in Masse gehörte +dazu, sondern auch der große Teil der Bürgerschaft, der mit +eifersüchtigen Blicken den Italikern gegenüber über seinen +Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die Dinge nahmen, +wurde noch die gesamte begüterte Klasse zu der Regierung +hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und +Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fuße mit der +Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Pöbels dem +Senat einmal Schach zu bieten, aber Straßenaufläufe und arge +Gewalttätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus’ erstem Tribunat +hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumgeschlagen; +die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun für 654 (100) +stieß, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war. Es wäre +Marius’ Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser Genossen sich +nur mit Maßen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daß sie nicht +bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da +er das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen +gewann, als handle es sich nicht darum, einen intelligenten und +kräftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so +schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der +materiellen Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen, sich +wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus, wohl erkennend, daß +mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden kann, vor +allen Dingen bemüht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine +Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die +Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versöhnen. + +Aber noch rascher als die Versöhnung der Feinde führte den Ruin des +Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern +Marius’ mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief. +Während die entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von +seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig +leidend, gleich als ob der politische Führer nicht ebenso wie der +militärische, wenn es zum Hauptangriff geht, überall und vor allen +einstehen müßte mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor +den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reißaus. Als +seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht +billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht +erreichen ließ, versuchte er in der üblichen Weise +politisch-moralischer Konfusionäre sich von der Teilnahme an jenen +Verbrechen reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich +zunutze zu machen. Es gibt ein Geschichtchen, daß der General einst in +zwei verschiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem +Saturninus und den Seinen, in dem anderen mit den Abgeordneten der +Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe, dort über das +Losschlagen gegen dem Senat, hier über das Einschreiten gegen die +Revolte, und daß er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der +Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei +- ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie +nur irgendein Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die +zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs +Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze geforderten Eid der +bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler halber selbst zu +verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor, wofern die +Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, der den Eid +selber aufhob, und den natürlich sämtliche Senatoren in ihren Schwur +gleichfalls aufnahmen, so daß durch diese Weise der Beeidigung die +Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in +Frage gestellt ward. + +Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten +Feldherrn entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht +deswegen die Revolution unternommen und dem Marius die +Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm verleugnen und +aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spaßhafte Volksmann, bisher den +Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen Beredsamkeit +überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm wand, +keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit +beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um +allein das von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten +und der ihm darin bestimmten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren +Saturninus und Glaucia in der Lage, das für Marius begonnene Geschäft +auf eigene Rechnung fortzuführen. Indes die beiden Demagogen waren so +kompromittiert, daß sie nicht zurückkonnten und nur die Wahl hatten, +ihre Ämter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und damit ihren +erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder nun +selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fühlten +nicht tragen zu können. Sie entschlossen sich zu dem letzteren; +Saturninus wollte für 655 (99) abermals um das Volkstribunat als +Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl Prätor und erst nach zwei Jahren +wahlfähig zum Konsulat, um dieses sich bewerben. In der Tat wurden die +tribunizischen Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius’ +Versuch, den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das +Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem gefeierten Mann zu beweisen, +was seine Popularität jetzt noch wert war; die Menge sprengte die Tür +des Gefängnisses, in dem Gracchus eingesperrt saß, trug ihn im Triumph +durch die Straßen und wählte ihn mit großer Majorität zu ihrem Tribun. +Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im +vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in +die Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius +Memmius, derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt +hatte, wurde von einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knütteln +erschlagen. Aber die Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes +Ereignis der Art gewartet, um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte +den Konsul Gaius Marius auf, einzuschreiten, und dieser gab in der Tat +sich dazu her, das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für +sie zu führen versprochen hatte, nun für die konservative Partei zu +ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen +aus den öffentlichen Gebäuden ausgerüstet und militärisch geordnet; der +Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein +greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Straßenlärm +überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie mußte +nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefängnisse und +rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heißt +es wenigstens - den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem +Tage, wo die neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. +Dezember 654 (100), kam es auf dem Großen Markte zur Schlacht, der +ersten, die, seit Rom stand, innerhalb der Mauern der Hauptstadt +geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft. +Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedrängt auf das Kapitol, wo +man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nötigte, sich zu +ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen +ehemaligen Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut +rief Saturninus der Menge zu, daß alles, was er beantragt, im +Einverständnis mit dem Konsul geschehen sei; selbst einem schlechteren +Mann, als Marius war, mußte grauen vor der ehrlosen Rolle, die er an +diesem Tage spielte. Indes er war längst nicht mehr Herr der Dinge. +Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des Rathauses am +Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte +die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit +den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck +gefunden und gleichfalls getötet. Ohne Urteil und Recht starben an +diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes. ein Prätor, ein Quästor, +zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten +Familien angehöriger Männer. Trotz der schweren und blutigen +Verschuldungen, die die Häupter auf sich geladen hatten, durfte man +dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer +im Stich läßt und sie nötigt, im verzweifelten Kampf zwecklos +unterzugehen. + +Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten, +nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem 10. +Dezember. Es war das wenigste, daß man sich einiger unbequemer Schreier +entledigt hatte, die jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag +ersetzt werden konnten; schwerer fiel ins Gewicht, daß der einzige +Mann, der damals imstande war, der Regierung gefährlich zu werden, sich +selber öffentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, daß +die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das +Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das +Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhältnisse, +teils und vor allem die grobe Bauernfaust seines unfähigen Nachtreters +hatten wieder aufgelöst, was unter Gaius Gracchus’ gewandter Hand sich +zusammenfügte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung +oder Glück der Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung +ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach +jener Katastrophe einnahm - nur um so kläglicher, weil man nicht anders +konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor +denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf +demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn +bei der Besetzung der Ämter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht +einmal wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in +den Osten, wie er sagte, um ein Gelübde dort zu lösen, in der Tat, um +nicht von der triumphierenden Rückkehr seines Todfeindes, des Quintus +Metellus, Zeuge zu sein; man ließ ihn gehen. Er kam wieder zurück und +öffnete sein Haus; seine Säle standen leer. Immer hoffte er, daß es +wieder Kämpfe und Schlachten geben und man seines erprobten Armes +abermals bedürfen werde; er dachte sich im Osten, wo die Römer +allerdings Ursache genug gehabt hätten, energisch zu intervenieren, +Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl +wie jeder andere seiner Wünsche; es blieb tiefer Friede. Und dabei fraß +der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je öfter er +getäuscht ward, immer tiefer sich ein in sein Gemüt; abergläubisch wie +er war, nährte er in seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben +Konsulate verheißen hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es +geschehen möge, daß dies Wort seine Erfüllung und er seine Rache +bekomme, während er allen, nur sich selbst nicht, unbedeutend und +unschädlich erschien. + +Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefährlichen Mannes war die +tiefe Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die +Schilderhebung des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen +zurückließ. Mit der rücksichtslosesten Härte verurteilten die +Rittergerichte jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich +bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als wegen seines +Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause +gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das +Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. +Sogar für ältere, von den Popularen der Aristokratien zugefügte Unbill +wurde nun nicht ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten +Genugtuung gefordert. Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in +Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular Quintus Caepio ins Elend +getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund seines eigenen +Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die +Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig, +sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio +ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch zuletzt für +Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung an sich +nicht geneigter als früher, so erschien doch nun, seit man sich, wenn +auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen Pöbelherrschaft +befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende +Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und +staatsverderberisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem noch elenderen +und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen +relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Strömung, daß die Menge +einen Volkstribun zerriß, der es gewagt hatte, die Rückkehr des Quintus +Metellus zu verzögern, und daß die Demokraten anfingen, ihr Heil zu +suchen in dem Bündnis mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum +Beispiel des verhaßten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar +in dem Bündnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen schon +flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im stillen zum Krieg +rüstete gegen Rom. + +Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich +günstig. Die römischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf +den Bundesgenossenkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren tätig. +Ernstlich gestritten wurde nur in Spanien, wo während der letzten für +Rom so schweren Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich +reit ungewohnter Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten; hier +stellten in dem Jahre 656-661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der +nördlichen und der Konsul Publius Crassus in der südlichen Provinz mit +Tapferkeit und Glück nicht bloß das Obergewicht der römischen Waffen +wieder her, sondern schleiften auch die wiederspenstigen Städte und +versetzten, wo es nötig schien, die Bevölkerung der festen Bergstädte +in die Ebenen. Daß um dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder +des ein Menschenalter hindurch vernachlässigten Ostens gedachte und +energischer, als seit langem erhört war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien +auftrat, wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn +der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begründet, so +populär gewesen. Konsularische Gesetze lösten die tribunizischen, +Freiheitsbeschränkungen die Fortschrittsmaßregeln ab. Die Kassierung +der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die überseeischen +Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen +Ansiedelung auf der wüsten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus +Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel stärker +war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin +bestand, nachts auf den Straßen die Götterbilder zu zerschlagen, das +Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte, +konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand +kassieren, ohne daß jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte; +den Urheber straften, wie schon erwähnt ward, die Ritter in ihren +Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln +eingebrachtes Gesetz die übliche vierundzwanzigtägige Frist zwischen +Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot, +mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag +zusammenzufassen; wodurch die unvernünftige Ausdehnung der +legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschränkt und offenbare +Überrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. +Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Gracchische Verfassung, die +den Sturz ihres Urhebers überdauert hatte, jetzt, seit die Menge und +die Geldaristokratie nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten +schwankte. Wie diese Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der +Aristokratie, so schien die Zwiespältigkeit der Opposition sie zu Falle +bringen zu müssen. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das +unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem +Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende +Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt +wiedereinzusetzen. + +Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die +Verwaltung der Provinzen, die hauptsächliche Grundlage des +senatorischen Regiments, war von den Geschworenengerichten, namentlich +von der Kommission wegen Erpressungen, in dem Maße abhängig geworden, +daß der Statthalter die Provinz nicht mehr für den Senat, sondern für +den Kapitalisten- und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie +bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn +es um Maßregeln gegen die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich +ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht +freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschränken. Einzelne derartige +Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder +an, sich zu fühlen und eben ihre besten Männer hielten sich +verpflichtet, der entsetzlichen Mißwirtschaft in den Provinzen +wenigstens für ihre Person entgegenzutreten. Am entschlossensten tat +dies Quintus Mucius Scaevola, gleich seinem Vater Publius Oberpontifex +und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste Jurist und einer der +vorzüglichsten Männer seiner Zeit. Als prätorischer Statthalter (um 656 +98) von Asia, der reichsten und gemißhandeltsten unter allen Provinzen, +statuierte er in Gemeinschaft mit seinem älteren, als Offizier, Jurist +und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius +Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen +Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen +zu machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloß die römischen +Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen, vollen +Geldersatz zu leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und +rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden +wurden, ließ er diese, taub gegen alle Bestechungsanträge, ans Kreuz +schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte +sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, daß sie +sich die Verwaltungsgrundsätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten; +allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und +vielvermögenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine +Gefährten vor Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten +derselben, seinen Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und +anerkannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt +war. Die Anklage, daß dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen +zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen +Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines +gewissen Apicius; allein man ließ dennoch die willkommene Gelegenheit, +den Konsular zu demütigen, nicht vorübergehen, und da dieser, die +falsche Beredsamkeit, die Trauergewänder, die Tränen verschmähend, sich +kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveränen Kapitalisten +die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt +und sein mäßiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter +Entschädigungsansprüche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die +angeblich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von +sämtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit seines +Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Muße die ihm noch übrigen +Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der ärgste, aber +keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher +Mißbrauch der Justiz gegen Männer fleckenlosen Wandels, aber neuen +Adels erbitterte es die senatorische Partei, daß der reinste Adel nicht +mehr genügte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war +Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, seit +zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus +Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach +aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig +war. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmäßig +betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter +schützte mehr vor den frevelhaftesten und gefährlichsten Angriffen. Die +Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre +schlimmste Geißel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur +seine Mitthebe gewähren ließ und sich nicht weigerte, einen Teil der +erpreßten Summen den Geschworenen zufließen zu lassen; aber jeder +Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht und +Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die +römische Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem +kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das +Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In +furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus’ ahnungsvolles Wort, daß +mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich +selber zerfleischen werde. + +Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der +Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, daß das Regieren nicht bloß +Rechte, sondern auch Pflichten in sich schließt, ja wer nur noch +edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich empfand, mußte sich auflehnen +gegen diese erdrückende und entehrende politische Kontrolle, die jede +Möglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von vornherein abschnitt. Die +skandalöse Verurteilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung, +den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus, der im Jahre +663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an sich +gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreißig Jahre zuvor +zunächst den Gaius Gracchus gestürzt und später auch als Offizier durch +die Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war +Drusus, gleich seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese +seine Gesinnung bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsächlich +bewährt. Er gehörte den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer +eines kolossalen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein echter +Aristokrat - ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte, mit den +Ehrenzeichen seiner Ämter sich zu behängen, aber auf dem Totenbette es +aussprach, daß nicht bald ein Bürger wiederkommen werde, der ihm gleich +sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daß der Adel verpflichtet, die +Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten +Leidenschaft seines Gemütes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit +und Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er +bei den geringen Leuten, denen seine Tür und sein Beutel immer +offenstanden, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner +Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters von Gewicht im +Senat wie auf dem Markte. Auch stand er nicht allein. Marcus Scaurus +hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung in dem Prozeß wegen +Erpressungen den Drusus öffentlich aufzufordern, Hand zu legen an die +Reform der Geschworenenordnung; er sowie der berühmte Redner Lucius +Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die +Miturheber seiner Anträge. Indes die Masse der regierenden Aristokratie +dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat +nicht an entschiedenen Anhängern der Kapitalistenpartei, unter denen +namentlich sich bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius +Philippus, der wie früher die Sache der Demokratie, so jetzt die des +Ritterstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene und +rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche Feindschaft +gegen Drusus und Scaurus zu dieser Opposition bestimmte. Allein +gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die feige und faule +Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber allein geplündert +hätte, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die +Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes +gegen die übermütigen Kapitalisten zu übernehmen, es viel billiger und +bequemer fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch +einen Fußfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. +Nur der Erfolg konnte zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse +mit fortzureißen, ohne die es nun einmal nicht möglich war, zum Ziele +zu gelangen. + +Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Bürgern vom +Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurückzugeben, welcher +zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt +werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genügen; zur +Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich +schuldig gemacht hätten oder schuldig machen würden, sollte eine eigene +Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der nächste Zweck +erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu berauben +und sie für die verübte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes +Drusus’ Anträge und Absichten beschränkten sich hierauf keineswegs; +seine Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaßregeln, sondern ein +umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die +Getreideverteilung zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die +dauernde Emission einer verhältnismäßigen Zahl von kupfernen +plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte noch +unverteilte italische Ackerland, also namentlich die Kampanische +Domäne, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von +Bürgerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen +Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das +römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von +aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstützen und +ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus’ Verfassung +beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches +Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daß, wie die Tyrannis gegen +die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf +das besoldete und gewissermaßen organisierte Proletariat; hatte die +Regierung früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als +ein unvermeidliches Übel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe, +wenigstens für den Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu +gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, daß der bessere Teil der +Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius +Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen +Reformmaßregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu berühren, nur darauf +abzweckten, die alten Schäden des Staats auszuheilen. In der +Emigrations- und Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen +wie die Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte +auf dem freien Schalten über die Provinzen und durch jedes dauernde +militärische Kommando gefährdet ward; die Gedanken, Italien und die +Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen +mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und +selbst die kampanischen Domänen so wie Sizilien konnte der Senat recht +wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch die +Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, daß man +künftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, daß +alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung +gebracht ward und für künftige Demagogen, nach Drusus’ eigenem +Ausdruck, nichts zu verteilen übrig blieb als der Gassenkot und das +Morgenrot. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch +sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Familien, ziemlich +einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen Bürgerverband +gehörte; und daher mußten wohl beiderseits die reformierenden Männer +sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmäßige und rechtzeitige +Erstreckung des Bürgerrechts die Gefahr abzuwenden, daß die +Insurrektion von Fregellae in größerem Maßstab wiederkehre, nebenher +auch an den zahl- und einflußreichen Italikern sich Bundesgenossen für +ihre Pläne suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und +Absichten der beiden großen politischen Parteien sich schieden, so +vielfach berührten sich in den Operationsmitteln und in den +reformistischen Tendenzen die besten Männer aus beiden Lagern; und wie +Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des Tiberius Gracchus +wie unter den Förderern seiner Reformbestrebungen genannt werden kann, +so war auch Drusus der Nachfolger und Schüler nicht minder als der +Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen +jugendlichen Reformatoren waren sich ähnlicher, als es auf den ersten +Blick schien und auch persönlich beide nicht unwert, über dem trüben +Nebel des befangenen Parteitreibens in reineren und höheren +Anschauungen sich mit dem Kern ihrer patriotischen Bestrebungen zu +begegnen. + +Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen +Gesetze, von denen übrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, +den bedenklichen Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das römische +Bürgerrecht zu verleihen, vorläufig zurückhielt und zunächst nur das +Geschworenen-, Acker- und Getreidegesetz vorlegte. Die +Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und würde bei der +Unentschlossenheit des größten Teils der Aristokratie und der +Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des +Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung +gekommen wäre. Drusus faßte deshalb seine sämtlichen Anträge in einen +einzigen zusammen; und indem also alle bei den Getreide- und +Landverteilungen interessierten Bürger genötigt wurden, auch für das +Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und durch die +Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten +großen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest +zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen - freilich erst, nachdem +Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhörte zu widerstreben, hatte +verhaften und durch den Büttel in den Kerker abführen lassen. Das Volk +feierte den Tribun als seinen Wohltäter und empfing ihn im Theater mit +Aufstehen und Beifallklatschen; allein die Abstimmung hatte den Kampf +nicht so sehr entschieden als auf einen anderen Boden verlegt, da die +Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als dem Gesetz von 656 (98) +zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der Hauptgegner des +Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus diesem +Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die +Majorität des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den +Antrag zurück. Der Konsul erklärte darauf auf offenem Markte, daß mit +einem solchen Senat zu regieren nicht möglich sei und er sich nach +einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu +beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen berufen, sprach nach +stürmischen Verhandlungen gegen den Konsul ein Tadels- und +Mißtrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem großen +Teil der Majorität die Angst vor der Revolution zu regen, mit der +sowohl Philippus als ein großer Teil der Kapitalisten zu drohen schien. +Andere Umstände kamen hinzu. Einer der tätigsten und angesehensten +unter Drusus’ Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb +plötzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung (September 663 91). Die +von Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er anfangs +nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt hatte, wurden allmählich +ruchbar, und in das wütende Geschrei über Landesverrat, das die Gegner +erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten Männer der +Regierungspartei mit ein; selbst die edelmütige Warnung, die er dem +Konsul Philippus zukommen ließ, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg +vor den von den Italikern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente +nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er +in die unter den Italikern gärenden Verschwörungen verwickelt war. +Immer heftiger drängte Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes; +immer lauer ward die Majorität in der Verteidigung desselben. Bald +erschien die Rückkehr zu den früheren Verhältnissen der großen Menge +der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg, +und der Kassationsbeschluß wegen formeller Mängel erfolgte. Drusus, +nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu +erinnern, daß der Senat also selbst die verhaßten Rittergerichte +wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluß +durch Interzession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die +Kapitalistenpartei war vollständig abgeschlagen, und willig oder +unwillig fügte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe +Finanz begnügte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends +auf seinem Hausflur die wie gewöhnlich ihn begleitende Menge eben +verabschieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters +zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen und so sicher, daß er +wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Täter war in der +Abenddämmerung verschwunden, ohne daß jemand ihn erkannt hatte, und +eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte +derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die +Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und +grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte, +war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine +tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwäche der +Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu +reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein +Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stürzen, +die Emigration zu organisieren, den drohenden Bürgerkrieg abzuwenden; +er sah noch selbst die Kaufleute unumschränkter regieren als je, sah +alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewußtsein, daß +seid jäher Tod das Signal zu dem fürchterlichsten Bürgerkrieg sein +werde, der je das schöne italische Land verheert hat. + + + + +KAPITEL VII. +Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution + + +Seitdem mit Pyrrhos’ Überwindung der letzte Krieg, den die Italiker für +ihre Unabhängigkeit geführt hatten, zu Ende gegangen war, das heißt +seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das römische Prinzipat in +Italien bestanden, ohne daß es selbst unter den gefährlichsten +Verhältnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt hätte. +Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die +Nachfolger des großen Alexander und der Achämeniden versucht, die +italische Nation zum Kampf aufzurütteln gegen die übermächtige +Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am +Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepaß und am Sipylos +erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die +Untertänigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung +indessen hatte sich wohl verändert, aber eher verschlechtert als +verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen +nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer +durch ganz Italien infolge der unverständigen römischen +Korngesetzgebung litt, so gediehen dafür die größeren Gutsherren und +mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker +hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen +denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die römischen +Bürger und also die materiellen Vorteile des politischen Übergewichts +der Römer großenteils auch ihnen zugute kamen. Überhaupt waren die +wirtschaftlichen und sozialen Zustände Italiens nicht zunächst abhängig +von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise +bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der +freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentäler, in +denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberührt sich erhalten +hatte - ähnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den +verschiedenen römischen Bürgerdistrikten nachweisen läßt. Dagegen die +politische Zurücksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl fand +ein förmlicher unverhüllter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen nicht +statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der Souveränität +den italischen Gemeinden vertragsmäßig zustand, wurde von der römischen +Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die römische +Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser +gestellten Gemeinden verbrieften römischen Domänen machte, hatte nicht +bloß die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom ernstlich +bekämpft, sondern auch die römische Opposition selbst sehr bald +aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde +zustanden und zustehen mußten, die oberste Leitung des Kriegswesens und +die Oberaufsicht über die gesamte Verwaltung, wurden in einer Weise +ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen +geradezu für rechtlose Untertanen erklärt hätte. Die zahlreichen +Milderungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, welche im +Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen +sämtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein; +von der wichtigsten, der Abschaffung der standrechtlichen +Hinrichtungen, ist dies gewiß und der Eindruck leicht zu ermessen, +wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene latinische +Offiziere nach Urteil des römischen Kriegsrats enthauptet wurden, dem +letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht zustand, an die +bürgerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In welchem Verhältnis +die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen +werden sollten, war vertragsmäßig wie billig unbestimmt geblieben; +allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl +Soldaten gestellt hatten, wurden jetzt, obwohl das +Bevölkerungsverhältnis wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nachteil +der Bürgerschaft sich verändert hatte, die Forderungen an die +Bundesgenossen allmählich unverhältnismäßig gesteigert, so daß man +ihnen teils den schwereren und kostbareren Dienst vorzugsweise +aufbürdete, teils jetzt regelmäßig auf einen Bürger zwei Bundesgenossen +aushob. Ähnlich wie die militärische Oberleitung wurde die bürgerliche +Oberaufsicht, welche mit Einschluß der davon kaum zu trennenden +obersten Administrativjurisdiktion die römische Regierung stets und mit +Recht über die abhängigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte, +in einer Weise ausgedehnt, daß die Italiker fast nicht minder als die +Provinzialen sich der Willkür eines jeden der zahllosen römischen +Beamten schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der +angesehensten Bundesstädte, hatte ein Konsul den Bürgermeister der +Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruten stäupen lassen, weil +seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu baden verlangte, die +Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten +und ihr das Bad nicht sauber erschienen war. Ähnliche Auftritte waren +in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten +und wichtigen latinischen Kolonie Cales vorgefallen. In der latinischen +Kolonie Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassierenden +jungen, amtlosen römischen Diplomaten wegen eines Spaßes, den er sich +über dessen Sänfte erlaubt hatte, angehalten, niedergeworfen und mit +dem Tragriemen der Sänfte zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfälle +wird um die Zeit des fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; +es leidet keinen Zweifel, daß ähnliche Unrechtfertigkeiten häufig +vorkamen und ebensowenig, daß eine ernstliche Genugtuung für solche +Missetaten nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht +ungestraft verletzte Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des +römischen Bürgers einigermaßen schützte. Es konnte nicht fehlen, daß +infolge dieser Behandlung der Italiker seitens der römischen Regierung +die Spannung, welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen +und den sonstigen italischen Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte, +wenn nicht verschwand, so doch nachließ. Die Zwingburgen Roms und die +durch die Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt +unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran +erinnern, daß sie beide in gleicher Weise “den Beilen unterworfen” +seien; die Vögte und die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der +gemeinsame Haß gegen den gemeinsamen Zwingherrn. + +Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundesgenossen aus +einem leidlichen Abhängigkeitsverhältnis umgeschlagen war in die +drückendste Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf +Erlangung besseren Rechts genommen worden. Schon mit der Unterwerfung +Italiens hatte die römische Bürgerschaft sich abgeschlossen und die +Erteilung des Bürgerrechts an ganze Gemeinden vollständig aufgegeben, +die an einzelne Personen sehr beschränkt. Jetzt ging man noch einen +Schritt weiter: bei Gelegenheit der die Erstreckung des römischen +Bürgerrechts auf ganz Italien bezweckenden Agitation in den Jahren 628, +632 (126, 122) griff man das Übersiedlungsrecht selbst an und wies +geradezu die sämtlichen in Rom sich aufhaltenden Nichtbürger durch +Volks- und Senatbeschluß aus der Hauptstadt aus - eine ebenso durch +ihre Illiberalität gehässige wie durch die vielfach dabei verletzten +Privatinteressen gefährliche Maßregel. Kurz, wenn die italischen +Bundesgenossen zu den Römern früher gestanden hatten teils als +bevormundete Brüder, mehr beschützt als beherrscht und nicht zu ewiger +Unmündigkeit bestimmt, teils als leidlich gehaltene und der Hoffnung +auf die Freilassung nicht völlig beraubte Knechte, so standen sie jetzt +sämtlich ungefähr in gleicher Untertänigkeit und gleicher +Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und Beilen ihrer Zwingherren und +durften höchstens als bevorrechtete Knechte sich es herausnehmen, die +von den Herren empfangenen Fußtritte an die armen Provinzialen +weiterzugeben. + +Es liegt in der Natur solcher Zerwürfnisse, daß sie anfangs, +zurückgehalten durch das Gefühl der nationalen Einheit und die +Erinnerung gemeinschaftlich überdauerter Gefahr, leise und gleichsam +bescheiden auftreten, bis allmählich der Riß sich erweitert und +zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich ihre Macht ist, und den +Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht als ihre Furcht, das +unverhohlene Gewaltverhältnis sich offenbart. Bis zu der Empörung und +Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die gleichsam offiziell +den veränderten Charakter der römischen Herrschaft konstatierte, trug +die Gärung unter den Italikern nicht eigentlich einen revolutionären +Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung hatte allmählich sich +gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte, nur um, je bestimmter es +auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu werden. Sehr bald konnte man +erkennen, daß eine gutwillige Gewährung nicht zu hoffen sei, und der +Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird nicht gefehlt haben; allein +Roms damalige Stellung ließ den Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu +machen, kaum aufkommen. Obwohl das Zahlenverhältnis der Bürger und +Nichtbürger in Italien sich nicht gehörig ermitteln läßt, so kann es +doch als ausgemacht gelten, daß die Zahl der Bürger nicht sehr viel +geringer war als die der italischen Bundesgenossen und auf ungefähr +400000 waffenfähige Bürger mindestens 500000, wahrscheinlich 600000 +Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei einem solchen Verhältnis die +Bürgerschaft einig und kein nennenswerter äußerer Feind vorhanden war, +konnte die in eine Unzahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden +zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse +mit Rom verknüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem +gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäßiger Klugheit +es der Regierung nicht fehlen, die schwierigen und grollenden +Untertanenschaften teils durch die kompakte Masse der Bürgerschaft, +teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel, die die Provinzen +darboten, teils eine Gemeinde durch die andere zu beherrschen. Darum +verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution Rom zu +erschüttern begann; sowie aber diese ausgebrochen war, griffen auch sie +ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine +oder die andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten +gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der +Senatspartei und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich +überzeugen müssen, daß zwar die besten Männer beider Parteien die +Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, daß aber +diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich wenig +vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu +verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die begabtesten, +energischsten, gefeiertsten Staatsmänner Roms in demselben Augenblick, +wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von ihren eigenen +Anhängern verlassen gefunden hatten und deshalb gestürzt worden waren. +In all den Wechselfällen der dreißigjährigen Revolution und +Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, aber +wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige +Engherzigkeit saß ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgänge +hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die +Berücksichtigung ihrer Ansprüche von Rom erwarteten. Solange sich die +Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten +und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte +man sich noch dem Glauben überlassen, als sei die Oligarchie nur den +Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als +sei noch eine Möglichkeit vorhanden, daß der intelligentere Staat die +mit dem Wesen der Oligarchie verträgliche und dem Senat heilsame +Maßregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in +denen der Senat wieder fast unumschränkt regierte, hatten über die +Absichten auch der römischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit +verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) +ein konsularisches Gesetz, das den Nichtbürgern aufs strengste +untersagte, des Bürgerrechts sich anzumaßen, und die Kontravenienten +mit Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine große +Anzahl der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am +meisten interessierten Personen aus den Reihen der Römer in die der +Italiker zurückwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und +staatsmännischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit +jener berühmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas +vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die nächste Ursache des +Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, daß die Urheber dieses +Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten +gehörten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein +verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum +Rechtsgelehrten und vom Verhängnis zum Staatsmann bestimmte Quintus +Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schädliche +Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den +zwischen Römern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzündet hat, +und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des Drusus +und überhaupt einer der gemäßigtsten und einsichtigsten Optimaten. +Inmitten der heftigen Gärung, die dies Gesetz und die daraus +entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien +den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus +Drusus. Was fast unmöglich gedünkt hatte, daß ein Konservativer die +reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die +Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch +eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen, +zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen hin +und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer, all +seine zuverlässige Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu +setzen. Ober wirklich, wie erzählt wird, sich an die Spitze eines +Geheimbundes gestellt hat, dessen Fäden durch ganz Italien liefen und +dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen für +Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber +wenn er auch nicht zu so gefährlichen und in der Tat für einen +römischen Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so +ist es doch sicher nicht bei allgemeinen Verheißungen geblieben und +sind, wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen +Namen hin bedenkliche Verbindungen geknüpft worden. Jubelnd vernahm man +in Italien, daß Drusus unter Zustimmung der großen Mehrheit des Senats +seine ersten Anträge durchgesetzt habe; mit noch größerem Jubel +feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des +plötzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus’ weitere Absichten +sich enthüllten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das +Hauptgesetz einzubringen; er mußte verschieben, mußte zögern, mußte +bald zurückweichen. Man vernahm, daß die Majorität des Senats unsicher +werde und von ihrem Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief +durch die Gemeinden Italiens die Kunde, daß das durchgebrachte Gesetz +kassiert sei, daß die Kapitalisten unumschränkter schalteten als je, +daß der Tribun von Mörderhand getroffen, daß er tot sei (Herbst 663 +91). + +——————————————————————————- + +^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70) +entnommen; waffenfähige Bürger zählte man in jenem Jahr 394336, in +diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Müller, welchen Satz Clinton und +dessen Ausschreiber fälschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen; +nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Köpfe +gezählt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zählungsziffer, +die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Köpfe ergab, +ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise +der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in +der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst die +Sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen, +höchstens gedeckt haben können, so darf der Überschuß von reichlich +500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte +Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indes ist es möglich +und sogar wahrscheinlich, daß in diesen verhängnisvollen Jahren der +Gesamtstand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging; rechnet man +das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfähige, was nicht übertrieben +erscheint, so kommen für die Zeit des Bundesgenossenkrieges in Italien +auf zwei Bürger drei Nichtbürger. + +2 Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: +“Ich schwöre bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der römischen +Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei +der nährenden Erde und bei den göttlichen Gründern und Mehrern (den +Penaten) der Stadt Rom, daß mir Freund sein soll und Feind sein soll, +wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen daß ich weder meines +eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will, +außer insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn +ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will ich +Rom achten als meine Heimat und Drusus als den größten meiner +Wohltäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbürger, als +ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl, schwöre ich +falsch, so gehe es mir übel!” + +Indes wird man Wohltun, diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er +rührt entweder her aus den gegen Drusus von Philippus gehaltenen Reden +(worauf die sinnlose, von dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte +Überschrift ‘Eid des Philippus’ zu führen scheint) oder im besten Fall +aus den später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen +Kriminalprozeßakten; und auch bei der letzteren Annahme bleibt es +fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inkulpaten heraus- oder in sie +hineininquiriert ward. + +———————————————————- + +Die letzte Hoffnung, durch Vertrag die Aufnahme in den römischen +Bürgerverband zu erlangen, ward den Italikern mit Marcus Drusus zu +Grabe getragen. Wozu dieser konservative und energische Mann unter den +günstigsten Verhältnissen seine eigene Partei nicht hatte bestimmen +können, dazu war überhaupt auf dem Wege der Güte nicht zu gelangen. Den +Italikern blieb nur die Wahl, entweder geduldig sich zu fügen oder den +Versuch, der vor fünfunddreißig Jahren durch die Zerstörung von +Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal und womöglich mit +gesamter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu +vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit +Rom zu erzwingen. Es war dieser letztere Entschluß freilich ein +Entschluß der Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung +der einzelnen Stadtgemeinden gegen die römische Regierung gar leicht +noch hoffnungsloser erscheinen als der Aufstand der amerikanischen +Pflanzstädte gegen das Britische Imperium; allem Anschein nach konnte +die römische Regierung mit mäßiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser +zweiten Schilderhebung das Schicksal der früheren bereiten. Allein war +es etwa minder ein Entschluß der Verzweiflung, wenn man stillsaß und +die Dinge über sich kommen ließ? Wenn man sich erinnerte, wie die Römer +ungereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu +erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen Stadt mit +Drusus in einem Einverständnis gestanden hatten oder haben sollten - +beides war hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu +gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und füglich als Hochverrat +zu qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, +ja allen, die nur der Teilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb +keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter +das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, daß für eine allgemeine +Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwärtige Augenblick noch +verhältnismäßig günstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau +darüber unterrichtet, inwieweit die Römer die Sprengung der größeren +italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hatten; es ist indes nicht +unwahrscheinlich, daß die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die +Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch +bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf bloße Fest- und +Opfergemeinschaft zurückgeführten Gemeindebünden zusammenstanden. Immer +fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbänden einen +Stützpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Römer ebendarum dazu +schreiten würden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner, an +dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches oder +gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und gewährte +für die politische Organisation des Aufstandes einen wichtigen Anhalt, +während die militärische daran anknüpfen konnte, daß jede Bundesstadt +ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten besaß. Andrerseits war man +in Rom auf nichts ernstlich gefaßt. Man vernahm wohl davon, daß +unruhige Bewegungen in Italien stattfänden und die bundesgenössischen +Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr unterhielten; aber +statt schleunigst die Bürger unter die Waffen zu rufen, begnügte das +regierende Kollegium sich damit, in herkömmlicher Art die Beamten zur +Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um etwas Genaueres zu +erfahren. Die Hauptstadt war so völlig unverteidigt, daß ein +entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, einer von +den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen haben soll, +an der Spitze einer Schar zuverlässiger, unter den Gewändern Schwerter +führender Männer sich in dieselbe einzuschleichen und sich ihrer durch +einen Handstreich zu bemächtigen. Ein Aufstand bereitete also sich vor; +Verträge wurden geschlossen, die Rüstungen still und tätig betrieben, +bis endlich, wie gewöhnlich noch etwas früher, als die leitenden Männer +beabsichtigt hatten, durch einen Zufall die Insurrektion zum Ausbruch +kam. Der römische Prätor mit prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius, +durch seine Kundschafter davon benachrichtigt, daß die Stadt Asculum +(Ascoli) in den Abruzzen an die Nachbargemeinden Geiseln sende, begab +sich mit seinem Legaten Fonteius und wenigem Gefolge dorthin und +richtete an die eben zur Feier der großen Spiele im Theater versammelte +Menge eine donnernde Drohrede. Der Anblick der nur zu bekannten Beile, +die Verkündigung der nur zu ernst gemeinten Drohungen warf den Funken +in den seit Jahrhunderten aufgehäuften Zunder des erbitterten Hasses; +die römischen Beamten wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen +und sofort, gleich als gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede +Brücke der Versöhnung abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit +geschlossen, die sämtlichen in Asculum verweilenden Römer niedergemacht +und ihre Habe geplündert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die +Empörung durch die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche +Volk der Marser in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen +Eidgenossenschaften in den Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, +Frentanern und Vestinern; der schon genannte tapfere und kluge Quintus +Silo war hier die Seele der Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den +Römern förmlich abgesagt, wonach späterhin dem Krieg der Name des +marsischen blieb. Dem gegebenen Beispiel folgten die samnitischen und +überhaupt die Masse der Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab +nach Kalabrien und Apulien, so daß bald in ganz Mittel- und Süditalien +gegen Rom gerüstet ward. Die Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu +Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern zusammengehalten hatten +gegen Drusus. Es ist bezeichnend, daß in diesen Landschaften seit alten +Zeiten die Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand +gänzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der +Bauernstand sich reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst +in Italien; der Bauern- und überhaupt der Mittelstand also war es, aus +dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die munizipale +Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit der hauptsächlichen +Regierung. Danach ist es auch leicht erklärlich, daß in den +aufständischen Distrikten einzelne Gemeinden und in den aufständischen +Gemeinden Minoritäten festhielten an dem römischen Bündnis; wie zum +Beispiel die Vestinerstadt Pinna für Rom eine schwere Belagerung +aushielt und ein im Hirpinerland gebildetes Loyalistenkorps unter +Minatus Magius von Aeclanum die römischen Operationen in Kampanien +unterstützte. Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten +bundesgenössischen Gemeinden, in Kampanien, Nola und Nuceria, und die +griechischen Seestädte Neapolis und Rhegion, desgleichen wenigstens die +meisten latinischen Kolonien, wie zum Beispiel Alba und Aesernia - +ebenwie im Hannibalischen Kriege die latinischen und die griechischen +Städte im ganzen für die sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten. +Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die aristokratische +Gliederung gegründet und mit geschickter Abstufung der Abhängigkeiten +die schlechter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts, +innerhalb jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die +Munizipalaristokratie in Untertänigkeit gehalten. Erst jetzt, unter dem +unvergleichlich schlechten Regiment der Oligarchie, erprobte es sich +vollständig, wie fest und gewaltig die Staatsmänner des vierten und +fünften Jahrhunderts ihre Werksteine ineinandergefügt hatten; auch +diese Sturmflut hielt der vielfach erschütterte Bau noch aus. Freilich +war damit, daß die besser gestellten Städte nicht auf den ersten Stoß +von Rom ließen, noch keineswegs gesagt, daß sie auch jetzt, wie im +Hannibalischen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen +ausdauern würden, ohne in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die +Feuerprobe war noch nicht überstanden. + +Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei große Heerlager +auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, noch gar viel an einer +allgemeinen Schilderhebung der italischen Bundesgenossenschaft; dennoch +hatte die Insurrektion schon eine vielleicht die Hoffnungen der Führer +selbst übertreffende Ausdehnung gewonnen, und die Insurgenten konnten +ohne Übermut daran denken, der römischen Regierung ein billiges +Abkommen anzubieten. Sie sandten Boten nach Rom und machten sich +anheischig, gegen Aufnahme in den Bürgerverband die Waffen +niederzulegen; es war vergebens. Der Gemeinsinn, der so lange in Rom +vermißt worden war, schien plötzlich wiedergekehrt zu sein, nun es sich +darum handelte, einem gerechten und jetzt auch mit ansehnlicher Macht +unterstützten Begehren der Untertanen mit starrer Borniertheit in den +Weg zu treten. Die nächste Folge der italischen Insurrektion war, +ähnlich wie nach den Niederlagen, die die Regierungspolitik in Afrika +und Gallien erlitten hatte, die Eröffnung eines Prozeßkrieges, mittels +dessen die Richteraristokratie Rache nahm an denjenigen Männern der +Regierung, in denen man, mit Recht oder Unrecht, die nächste Ursache +dieses Unheils sah. Auf den Antrag des Tribuns Quintus Varius ward +trotz des Widerstandes der Optimaten und trotz der tribunizischen +Interzession eine besondere Hochverratskommission, natürlich aus dem +mit offener Gewalt für diesen Antrag kämpfenden Ritterstand, +niedergesetzt zur Untersuchung der von Drusus angezettelten und, wie in +Italien so auch in Rom, weitverzweigten Verschwörung, aus der die +Insurrektion hervorgegangen war und die jetzt, da halb Italien in +Waffen stand, der gesamten erbitterten und erschreckten Bürgerschaft +als unzweifelhafter Landesverrat erschien. Die Urteile dieser +Kommission räumten stark auf in den Reihen der senatorischen +Vermittlungspartei; unter andern namhaften Männern ward Drusus’ genauer +Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die Verbannung gesandt, +und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem gleichen Schicksal. +Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus geneigten Senatoren ging +soweit, daß bald nachher der Konsul Lupus aus dem Lager an den Senat +berichtete über die Verbindungen, die zwischen den Optimaten in seinem +Lager und dem Feinde beständig unterhalten würden; ein Verdacht, der +sich freilich bald durch das Aufgreifen marsischer Spione als +unbegründet auswies. Insofern konnte der König Mithradates nicht mit +Unrecht sagen, daß der Hader der Faktionen ärger als der +Bundesgenossenkrieg selbst den römischen Staat zerrüttete. Zunächst +indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der Terrorismus, den +die Hochverratskommission übte, wenigstens einen Schein her von +Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen; die fähigen Offiziere +aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius +Sulla, Freunde des Drusus wie Publius Sulpicius Rufus, stellten sich +der Regierung zur Verfügung; die Getreideverteilungen wurden, wie es +scheint, um diese Zeit durch Volksbeschluß wesentlich beschränkt, um +die finanziellen Kräfte des Staates für den Krieg zusammenzuhalten, was +um so notwendiger wir, als bei der drohenden Stellung des Königs +Mithradates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand geraten +und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes versiegen +konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochverratskommission +nach Beschluß des Senats vorläufig ihre Tätigkeit ein; alle Geschäfte +stockten und man dachte an nichts als an Aushebung von Soldaten und +Anfertigung von Waffen. + +Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehenden +schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die +schwierigere Aufgabe zu lösen, sich während des Kampfes politisch zu +organisieren. In dem inmitten der marsischen, samnitischen, +marrucinischen und vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten +Landschaften belegenen Gebiete der Päligner, in der schönen Ebene an +dem Pescarafluß ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder +zur Stadt Italia, deren Bürgerrecht den Bürgern sämtlicher insurgierter +Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Größe Markt und +Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern erhielt den +Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des +Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bürgerschaft aus den +Männern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwölf Prätoren, die +ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Prätoren die höchste Amtsgewalt in +Krieg und Frieden .übernahmen. Die lateinische Sprache, die damals +schon bei den Marsern und Picentern die landübliche war, blieb in +offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im +südlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider +bediente man sich abwechselnd auf den Silbermünzen, die man nach +römischen Mustern und nach römischem Fuß auf den Namen des neuen +italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten +von Rom ausgeübte Münzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus +diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst +versteht, daß die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von +den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu +unterwerfen und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht +daraus auch hervor, daß ihre Verfassung nichts war als ein reiner +Abklatsch der römischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei +den italischen Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: +eine Stadtordnung statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen +von gleicher Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die römischen +Komitien es waren, mit einem regierenden Kollegium, das dieselben +Elemente der Oligarchie in sich trug wie der römische Senat, mit einer +in gleicher Art durch eine Vielzahl konkurrierender höchster Beamten +ausgeübten Exekutive - es geht diese Nachbildung bis in das kleinste +Detail hinab, wie zum Beispiel der Konsul- oder Prätortitel des +höchstkommandierenden Magistrats auch von den Feldherren der Italiker +nach einem Siege vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es ändert +sich eben nichts als der Name, ganz wie auf den Münzen der Insurgenten +dasselbe Götterbild erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern +Italia lautet. Nur darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich +dies Insurgenten-Rom von dem ursprünglichen, daß das letztere denn doch +eine städtische Entwicklung gehabt und seine unnatürliche +Zwischenstellung zwischen Stadt und Staat wenigstens auf natürlichem +Wege sich gebildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als +der Kongreßplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die +Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt gestempelt +wurden. Bezeichnend aber ist es, daß hier, wo die plötzliche +Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen +politischen Einheit den Gedanken einer Repräsentativverfassung im +modernen Sinn so nahelegte, doch von einer solchen keine Spur, ja das +Gegenteil sich zeigt 3 und nur die kommunale Organisation in einer noch +widersinnigeren Weise als bisher reproduziert wird. Vielleicht nirgends +zeigt es sich so deutlich wie hier, daß dem Altertum die freie +Verfassung unzertrennlich ist von dem Auftreten des souveränen Volkes +in eigener Person in den Urversammlungen oder von der Stadt, und daß +der große Grundgedanke des heutigen republikanisch-konstitutionellen +Staates: die Volkssouveränität auszudrücken durch eine +Repräsentantenversammlung, dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein +Unding wäre, ganz und vollkommen modern ist. Selbst die italische +Staatenbildung, obwohl sie in den gewissermaßen repräsentativen Senaten +und in dem Zurücktreten der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich +nähert, hat doch weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu +überschreiten vermocht. + +—————————————————————————- + +3 Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und +Strabon (5, 4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie +denn zum Beispiel der letztere ausdrücklich sagt, daß die Bürgerschaft +die Beamten wählte. Daß der Senat von Italia in anderer Weise gebildet +werden und andere Kompetenz haben sollte als der römische, ist wohl +behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten +Zusammensetzung natürlich für eine einigermaßen gleichmäßige Vertretung +der insurgierten Städte gesorgt haben; allein daß die Senatoren von +Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, ist nirgends +überliefert. Ebensowenig schließt der Auftrag an den Senat, die +Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den Beamten und die +Ratifikation durch die Volksversammlung aus. + +————————————————————————- + +So begann wenige Monate nach Drusus’ Tode im Winter 663/64 (91/90) der +Kampf, wie eine der Insurgentenmünzen ihn darstellt, des sabellinischen +Stiers gegen die römische Wölfin. Beiderseits rüstete man eifrig; in +Italia wurden große Vorräte an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehäuft; in +Rom bezog man aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die +erforderlichen Vorräte und setzte für alle Fälle die lange +vernachlässigten Mauern in Verteidigungszustand. Die Streitkräfte waren +einigermaßen gleich gewogen. Die Römer füllten die Lücken in den +italischen Kontingenten teils durch gesteigerte Aushebung aus der +Bürgerschaft und aus den schon fast ganz romanisierten Bewohnern der +Keltenlandschaften diesseits der Alpen, von denen allein bei der +kampanischen Armee 10000 dienten 4, teils durch die Zuzüge der Numidier +und anderer überseeischer Nationen, und brachten mit Hilfe der +griechischen und kleinasiatischen Freistädte eine Kriegsflotte zusammen +5. Beiderseits wurden, ohne die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 +Soldaten mobil gemacht 6 und an Tüchtigkeit der Mannschaft, an +Kriegstaktik und Bewaffnung standen die Italiker hinter den Römern in +nichts zurück. Die Führung des Krieges war für die Insurgenten wie für +die Römer deswegen sehr schwierig, weil das aufständische Gebiet sehr +ausgedehnt und eine große Zahl zu Rom haltender Festungen in demselben +zerstreut war; so daß einerseits die Insurgenten sich genötigt sahen, +einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer +ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden, andrerseits die Römer nicht +wohl anders konnten, als die nirgends recht zentralisierte Insurrektion +in allen insurgierten Landschaften zu bekämpfen. Militärisch zerfiel +das insurgierte Land in zwei Hälften: in der nördlichen, die von +Picenum und den Abruzzen bis an die kampanische Nordgrenze reichte und +die lateinisch redenden Distrikte umfaßte, übernahmen italischerseits +der Marser Quintus Silo, römischerseits Publius Rutilius Lupus, beide +als Konsuln, den Oberbefehl; in der südlichen, welche Kampanien, +Samnium und überhaupt die sabellisch redenden Landschaften in sich +schloß, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius +Mutilus, als römischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden +Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf +Unterbefehlshaber zur Seite, so daß ein jeder von diesen in einem +bestimmten Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die +konsularischen Heere aber die Bestimmung hatten, freier zu agieren und +die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offiziere, wie +zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden im Spanischen +Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und Publius Crassus, stellten +für diese Posten den Konsuln sich zur Verfügung; und wenn man auf +Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, +so bewies doch der Erfolg, daß ihre Führer den römischen militärisch in +nichts nachstanden. + +—————————————————————————- + +4 Die Schleuderbleie von Asculum beweisen, daß auch im Heere des Strabo +die Gallier sehr zahlreich waren. + +5 Wir haben noch einen römischen Senatsbeschluß vom 22. Mai 676 (78), +welcher dreien griechischen Schiffskapitänen von Karystos, Klazomenä +und Miletos für die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90) +geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile +zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, daß von Herakleia am +Schwarzen Meer für den Italischen Krieg zwei Trieren aufgeboten und +dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben heimgekehrt seien. + +6 Daß diese Angaben Appians nicht übertrieben ist, beweisen die +Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen die fünfzehnte Legion +nennen. + +—————————————————————————— + +Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen +auf seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit +auf. Es fällt auf, daß weder die Römer ihre Truppen zusammennahmen, um +einen überlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszuführen, noch die +Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzurücken und sich auf die +feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen +Verhältnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders +hätte handeln können und inwieweit die Schlaffheit der römischen +Regierung einer- und die lose Verbindung der föderierten Gemeinden +andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegführung beigetragen +haben. Es ist begreiflich, daß bei diesem System es wohl zu Siegen und +Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgültigen Erledigung; +nicht minder aber auch, saß von einem solchen Krieg, der in eine Reihe +von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald kombiniert +operierender Korps sich auflöste, aus unserer beispiellos trümmerhaften +Überlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen läßt. + +Der erste Sturm traf selbstverständlich die in den insurgierten +Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore +schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf +sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im +Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier trafen +sie auf den entschlossensten Widerstand. Ähnliche Kämpfe mögen im +Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria, Benevent, Nola, +Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere sich an den +Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem die Südarmee +unter Caesar in der größtenteils noch zu Rom haltenden kampanischen +Landschaft sich im Frühjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit seinem für +die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die bedeutenderen +Bundesstädte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur Offensive +überzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus +Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu +kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter +Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurückgewiesen, und die +wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den Insurgenten, denen sie +die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den Abfall dieser +Stadt, die auf der Heerstraße von Kampanien nach Samnium lag, war +Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung sah +sich jetzt ausschließlich auf den Mut und die Ausdauer ihrer +Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte +ein Streifzug, den Sulla mit derselben kühnen Verschlagenheit wie vor +Jahren den Zug zu Bocchus glücklich zu Ende führte, den bedrängten +Aeserninern für einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach +hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die äußerste +Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius +Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genötigt, sich in Grumentum +einzuschließen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und +die südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst +überlassen müssen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an der +Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrückte, übergab die +Bürgerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die römische +Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus’ Befehl hingerichtet, die +Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger +Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis +zum Vesuv den Römern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum +erklärten sich für die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet +nördlich vom Vesuv vorrücken und mit seiner samnitisch-lucanischen +Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in großer Zahl bei Caesars +Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus überzugehen oder +vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Übergabe von +Venusia den Samniten in die Hände gefallen war und nun im königlichen +Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so daß Caesar sich genötigt +sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat zurückzuschicken. +Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das römische Lager; allein er ward +abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem Abzug die römische +Reiterei in den Rücken gefallen war, ließen bei 6000 Tote auf dem +Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege +die Römer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und +in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder an sich zu heben. +Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee bei einem +Flußübergang von Marius Egnatius angegriffen und so nachdrücklich +geschlagen, daß sie bis Teanum zurückweichen und dort wieder +organisiert werden mußte; indes gelang es den Anstrengungen des tätigen +Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in +kriegsfähigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder +einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische +Hauptarmee unter Mutilus fortfuhr zu belagern. + +Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo +der Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in +gefährlicher Nähe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbständiges Korps +unter Gnaeus Pompeius Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf +Firmum und Falerio gestützt, Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse +dagegen der römischen Nordarmee stellte unter dem Konsul Lupus sich auf +an der Grenze des latinischen und des marsischen Gebietes, wo an der +Valerischen und der Salarischen Chaussee der Feind der Hauptstadt am +nächsten stand; der kleine Fluß Tolenus (Turano), der zwischen Tibur +und Alba die Valerische Straße schneidet und bei Rieti in den Velino +fällt, schied die beiden Heere. Ungeduldig drängte der Konsul Lupus zur +Entscheidung und überhörte den unbequemen Rat des Marius, die des +Dienstes ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu üben. Zunächst +ward ihm die 10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollständig +geschlagen. Der Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines +Kommandos und vereinigte den Rest des Korps mit dem unter Marius’ +Befehl stehenden, ließ sich aber dadurch nicht abhalten, die Offensive +zu ergreifen und in zwei teils von ihm selbst, teils von Marius +geführten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander geschlagenen +Brücken den Tolenus zu überschreiten. Ihnen gegenüber stand Publius +Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo +Marius den Bach überschritt, allein ehe der Übergang stattfand, sich +mit Hinterlassung der bloßen Lagerposten von dort weggezogen und weiter +flußaufwärts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das +römische Korps unter Lupus unvermutet während des Übergehens angriff +und es teils niedermachte, teils in den Fluß sprengte (11. Juni 664 +90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein +Ersatz heißen, daß Marius, Scatos Abmarsch endlich gewahrend, über den +Fluß gegangen war und nicht ohne Verlust der Feinde deren Lager besetzt +hatte. Doch zwang dieser Flußübergang und gleichzeitig von dem +Feldherrn Servius Sulpicius über die Paeligner erfochtener Sieg die +Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurückzunehmen, und Marius, +welcher nach Beschluß des Senats als Höchstkommandierender an Lupus’ +Stelle trat, verhinderte wenigstens, daß der Feind weitere Erfolge +errang. Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur +Seite gesetzt ward, weniger wegen eines glücklich von ihm bestandenen +Gefechtes, als weil er den damals in Rom tonangebenden Rittern durch +seine heftige Opposition gegen Drusus sich empfohlen hatte, ließ sich +von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein Heer verraten zu wollen, in +einen Hinterhalt locken und ward mit einem großen Teil seiner +Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen. Marius, nach +Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch +seinen zähen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu +benutzen, und drang allmählich tief in das marsische Gebiet ein. Die +Schlacht versagte er lange; als er endlich sie lieferte, überwand er +seinen stürmischen Gegner, der unter anderen Toten den Hauptmann der +Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt zurückließ. In einem zweiten +Treffen wirkten Marius’ Heer und das zur Südarmee gehörige Korps des +Sulla zusammen, um den Marsern eine noch empfindlichere Niederlage +beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre dieses Tages aber +blieb dem jüngeren Offizier, denn Marius hatte zwar die Schlacht +geliefert und gewonnen, aber Sulla den Flüchtigen den Rückzug verlegt +und sie aufgerieben. + +Während also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten +ward, hatte auch das picenische Korps unter Strabo unglücklich und +glücklich gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus +Asculum, Publius Vettius Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten +Kräften dasselbe angegriffen, es geschlagen und gezwungen, sich nach +Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo belagert hielt, während +Iudacilius in Apulien einrückte und Canusium, Venusia und die sonstigen +dort noch zu Rom haltenden Städte zum Anschluß an die Aufständischen +bestimmte. Allein auf der römischen Seite bekam Servius Sulpicius durch +seinen Sieg über die Paeligner freie Hand, um in Picenum einzurücken +und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, während von vorn Strabo +ihn angriff, von Sulpicius in den Rücken gefaßt und sein Lager in Brand +gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in +aufgelöster Flucht nach Asculum. So vollständig hatte im Picenischen +die Lage der Dinge sich geändert, daß wie vorher die Römer auf Firmum, +so jetzt die Italiker auf Asculum sich beschränkt sahen und der Krieg +also sich abermals in eine Belagerung verwandelte. + +Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und +vielgeteilten Kriegen im südlichen und mittleren Italien noch ein +dritter in der nördlichen Landschaft gekommen, indem die für Rom so +gefährliche Lage der Dinge nach den ersten Kriegsmonaten einen großen +Teil der umbrischen und einzelne etruskische Gemeinden veranlaßt hatte, +sich für die Insurrektion zu erklären, so daß es nötig geworden war, +gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den Lucius +Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stießen die Römer auf einen weit +minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land +und behaupteten das entschiedenste Übergewicht im Felde. + +So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militärisch wie politisch +trübe Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend. +Militärisch waren beide Armeen der Römer, die marsische wie die +kampanische, durch schwere Niederlagen geschwächt und entmutigt, die +Nordarmee genötigt, vor allem auf die Deckung der Hauptstadt bedacht zu +sein, die Südarmee bei Neapel in ihren Kommunikationen ernstlich +bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit aus dem marsischen +oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und Neapel sich +festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine +Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die +Insurrektion während dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin +Boden gewonnen, der Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der +festen und großen latinischen Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische +Aufstand waren bedenkliche Zeichen, daß die römische Symmachie in ihren +innersten Fugen wanke und nicht imstande sei, diese letzte Probe +auszuhalten. Schon hatte man der Bürgerschaft das Äußerste zugemutet, +schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen Küste zu +bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Bürgermiliz eingereiht, schon +von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer +gefordert; es war nicht möglich, die Sehne des Bogens noch schärfer +anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der +Bürgerschaft war unglaublich gedrückt. Nach der Schlacht am Tolenus, +als der Konsul und die zahlreichen mit ihm gefallenen namhaften Bürger +von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als Leichen +zurückgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum +Zeichen der öffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von +sich legten, als von der Regierung an die hauptstädtischen Bewohner der +Befehl erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der +Verzweiflung überlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die +schlimmste Entmutigung gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von +Strabo im Picenischen erfochtenen Siegen; auf die Meldung des ersteren +hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock wieder mit dem Bürgerkleid +vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt; +aber es war doch nicht zweifelhaft, daß im ganzen die Römer in diesem +Waffengang den kürzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus +dem Senat wie aus der Bürgerschaft der Geist entwichen, der sie einst +durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege +getragen hatte. Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen +trotzigen Übermut wie damals, aber man wußte ihn nicht wie damals damit +zu endigen; der starre Eigensinn, die zähe Konsequenz hatten einer +schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht. Schon nach dem ersten +Kriegsjahr wurde die äußere und innere Politik plötzlich eine andere +und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel, daß man damit das +Klügste tat, was sich tun ließ; aber nicht weil man, durch die +unmittelbare Gewalt der Waffen genötigt, nicht umhin konnte, sich +nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, sondern weil das, worum +gestritten ward, die Verewigung des politischen Vorranges der Römer vor +den übrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber mehr schädlich als +förderlich war. Es trifft im öffentlichen Leben wohl, daß ein Fehler +den anderen ausgleicht; hier machte, was der Eigensinn verschuldet +hatte, die Feigheit gewissermaßen wieder gut. Das Jahr 664 (90) hatte +begonnen mit der schroffsten Zurückweisung des von den Insurgenten +angebotenen Vergleichs und mit der Eröffnung eines Prozeßkrieges, in +welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger des patriotischen +Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die im +Verdacht standen, der Mäßigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das +Wort geredet zu haben. Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius +Silvanus, der am 10. Dezember desselben Jahres sein Amt antrat, ein +Gesetz durch, das die Hochverratskommission den +Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien, nicht +ständisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen +Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, daß diese Kommission aus +einer Geißel der Moderierten zu einer Geißel der Ultras ward und sie +unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die öffentliche +Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des +Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die +Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische +Palinodie war die veränderte Richtung, die man in der Politik gegen die +Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom +zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen müssen; Rom +war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war +derselbe nur möglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die +Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich +erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstören, war die Fehde +zu erbittert geworden, als daß man in Rom es über sich gewonnen hätte, +ihnen die verlangten Zugeständnisse zu machen; und hätte man es getan, +sie wären vielleicht jetzt von der anderen Seite zurückgewiesen worden. +Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen Gemeinden die +ursprünglichen Forderungen unter gewissen Einschränkungen gewährt +wurden, so ward damit teils der Schein freiwilliger Nachgiebigkeit +gerettet, teils die sonst unvermeidliche Konsolidierung der +Konföderation verhindert und damit der Weg zu ihrer Überwindung +gebahnt. So taten denn die Pforten des römischen Bürgertums, die der +Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt plötzlich sich auf, +als die Schwerter daran pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz, +sondern selbst für die Aufgenommenen in widerwilliger und kränkender +Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7 durchgebrachtes Gesetz +verlieh das römische Bürgerrecht den Bürgern aller derjenigen +italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht Rom offen abgesagt +hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius Silvanus und Gaius +Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbürgerten und domizilierten +Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein +solle, durch Anmeldung bei einem römischen Beamten das römische +Bürgerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubürger, ähnlich den +Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daß von den +fünfunddreißig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelassenen nur in +vier, eingeschrieben werden konnten; ob die Beschränkung persönlich +oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht mit Sicherheit zu +entscheiden. Diese Maßregel bezog sich zunächst auf das eigentliche +Italien, das nördlich damals noch wenig über Ancona und Florenz +hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, das zwar +rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in der +Kolonisierung längst als Teil Italiens galt, wurden sämtliche +latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im übrigen +war hier diesseits des Po der größte Teil des Bodens nach Auflösung der +alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen Schema +organisiert, stand aber doch im Eigentum römischer, meist in +Marktflecken (fora) zusammenwohnender Bürger. Die nicht zahlreichen +bundesgenössischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna, +sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge +eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes +nach italischer Stadtverfassung organisiert, so daß die hierzu sich +nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den +Alpentälern, einzelnen Städten als abhängige und zinspflichtige Dörfer +zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem +römischen Bürgertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion, +daß sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, +welche bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden +hatten. Italien endigte also damals tatsächlich am Po, während die +transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, nördlich +vom Po, gab es außer Cremona, Eporedia und Aquileia keine Bürger- oder +latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Stämme hier +keineswegs, wie südlich vom Po, verdrängt worden. Die Abschaffung der +keltischen Gau- und die Einführung der italischen Stadtverfassung +bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war +dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des +gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals +Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen +Herren. + +————————————————————— + +7 Das Julische Gesetz muß in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) +erlassen sein, da während der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; +das Plautische ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen +Anträge, unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember +664 (90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden. + +————————————————————- + +So ansehnlich diese Zugeständnisse waren, wenn man sie vergleicht mit +der seit mehr als hundertfünfzig Jahren festgehaltenen starren +Abgeschlossenheit der römischen Bürgerschaft, so schlossen sie doch +nichts weniger als eine Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten +ein, sondern sollten teils die schwankenden und mit dem Abfall +drohenden Gemeinden festhalten, teils möglichst viele Überläufer aus +den feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze, +namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung +gekommen sind, läßt sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der +Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen +anzugeben vermögen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, daß die bisher +latinischen Gemeinden, sowohl die Überreste der alten latinischen +Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die +latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten +übergegangenen, dadurch eintraten in den römischen Bürgerverband. +Außerdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen Bundesstädte +in Etrurien und besonders in Süditalien, wie Nuceria und Neapolis. Daß +einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden über die Annahme des +Bürgerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug, seinen +bisherigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Landdienst und +ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies Domanialnutzungen +garantierte, gegen das beschränkte Neubürgerrecht hinzugeben, ist +begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstände wegen +geschlossenen Vergleichen herzuleiten, daß diese Stadt, sowie auch +Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in Italien, +selbst nach dem Eintritt in den Bürgerverband ihre bisherige +Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle +unverändert beibehalten haben. Auf alle Fälle ward infolge dieser +Gesetze der römische Bürgerverband außerordentlich erweitert durch das +Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge +bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, außerdem die +Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung des besten +bundesgenössischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft +auf das volle Bürgerrecht beliehen. + +Gestützt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen +die Römer mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufständischen +Distrikte. Man hatte von den bestehenden politischen Institutionen so +viel niedergerissen, als notwendig schien, um die Ausbreitung des +Brandes zu hindern; die Insurrektion griff fortan wenigstens nicht +weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im +Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische Gesetz als +durch den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt. +In den ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten +Polandschaft eröffneten sich reiche und jetzt zuverlässige +Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der Bürgerschaft selbst konnte +man daran gehen, den jetzt isolierten Brand zu bewältigen. Die beiden +bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach Rom zurück, Caesar als +erwählter Zensor, Marius, weil man seine Kriegführung als unsicher und +langsam tadelte und den sechsundsechzigjährigen Mann für altersschwach +erklärte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegründet; Marius +bewies, indem er täglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens +seine körperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in +dem letzten Feldzug im ganzen die alte Tüchtigkeit bewährt zu haben; +aber glänzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen +Bankrott sich hätte in der öffentlichen Meinung rehabilitieren können, +hatte er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem +bitteren Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstände zu dem alten +Eisen geworfen. An Marius’ Stelle trat bei der marsischen Armee der +Konsul dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in +Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der +Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge +des vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als +Konsul, das mit so großem Erfolg von ihm geführte Kommando im +picenischen Gebiet. + +So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die +Insurgenten eröffneten durch den kühnen, an den großartigen Gang der +Samnitischen Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen +von 15000 Mann der in Norditalien gärenden Insurrektion zu Hilfe nach +Etrurien zu senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren +hatte, verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollständig; nur wenige +gelangten zurück in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit +den römischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat +Cato das marsische Gebiet und drang unter glücklichen Gefechten in +demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem +Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschließliche Oberleitung +der Operationen in Mittelitalien auf Strabo überging. Dieser +beschäftigte sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, +teils mit der Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen +Landschaften. Zum Entsatz seiner bedrängten Heimatstadt erschien vor +Asculum Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die +belagernde Armee an, während gleichzeitig die ausfallende Besatzung +sich auf die römischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000 +Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Römern, +doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in +die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war +langwierig 8 durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte +Verteidigung der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die +schreckliche Kriegserklärung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius +endlich nach mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation +herankommen sah, ließ er die Häupter der römisch gesinnten Fraktion der +Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den +Tod. So wurden die Tore geöffnet und die römischen Exekutionen lösten +die italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Bürger wurden +hingerichtet, die übrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, sämtliches +Hab und Gut von Staats wegen eingezogen. Während der Belagerung und +nach dem Fall von Asculum durchzogen zahlreiche römische Korps die +benachbarten aufständischen Landschaften und bewogen eine nach der +anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner fügten sich, nachdem Servius +Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich geschlagen hatte. In +Apulien drang der Prätor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae +und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius +Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die +Römer zurückdrängte, gelang es dem römischen Feldherrn bei dem Übergang +über den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres +mußte in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer drangen +wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz +Apulien. Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen +der Insurrektion, stellten die Römer ihre Herrschaft wieder her; die +Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus +Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666 +88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die +bescheidene pälignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen +Senats flüchteten auf samnitisches Gebiet. + +——————————————————————— + +8 Schleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit +Verwünschungen der “entlaufenen Sklaven” - demnach römische - oder mit +der Aufschrift entweder: “triff die Picenter” oder “triff den Pompeius” +-jene römische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch +jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli. + +——————————————————————- + +Die römische Südarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, +hatte gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das +vom Feind besetzte südliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst +erobert und zerstört (30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, +der indes, es scheint bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Länger +widerstand Pompeii. Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam +herbei, der Stadt Entsatz zu bringen, allein er ward von Sulla +zurückgewiesen, und als er, durch Keltenscharen verstärkt, seinen +Versuch wiederholte, hauptsächlich durch den Wankelmut dieser +unzuverlässigen Gesellen so vollständig geschlagen, daß sein Lager +erobert und er selbst mit dem größten Teil der Seinigen auf der Flucht +nach Nola zu niedergehauen ward. Das dankbare römische Heer verlieh +seinem Feldherrn den Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach +Lagerbrauch der Soldat geschmückt wurde, der durch seine Tüchtigkeit +eine Abteilung seiner Kameraden gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung +Nolas und den anderen von den Samniten noch besetzten kampanischen +Städte sich aufzuhalten, rückte Sulla sofort in das innere Land ein, wo +der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche Eroberung und +fürchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in der +ganzen hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der +lucanische Zuzug herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung +setzte, und Sulla konnte ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der +samnitischen Eidgenossenschaft. Der Paß, wo die samnitische Landwehr +unter Mutilus ihn erwartete, wurde umgangen, die samnitische Armee im +Rücken angegriffen und geschlagen; das Lager ging verloren, der +Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rückte vor die +Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch +einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren. +Erst die vorgerückte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende. + +Es war der vollständigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so +siegreich, so vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665 +(89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so überall geschlagen, so völlig +hoffnungslos ging sie aus demselben hervor. Ganz Norditalien war +beruhigt. In Mittelitalien waren beide Küsten völlig in römischer +Gewalt, die Abruzzen fast vollständig, Apulien bis auf Venusia, +Kampanien bis auf Nola in den Händen der Römer und durch die Besetzung +des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den beiden +einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der +samnitischen und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet +glich einer erlöschenden ungeheuren Brandstätte; überall traf das Auge +auf Asche und Trümmer und verglimmende Brände, hie und da loderte noch +zwischen den Ruinen die Flamme empor, aber man war des Feuers überall +Meister und nirgends drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, daß wir +die Ursachen dieses plötzlichen Umschwunges in der oberflächlichen +Überlieferung nicht mehr genügend erkennen. So unzweifelhaft Strabos +und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich die energischere +Konzentrierung der römischen Streitkräfte, die raschere Offensive +wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch neben den militärischen +auch politische Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der +Insurgentenmacht im Spiel gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus +und Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die +Reihen der Feinde zu tragen, erfüllt haben, es mag, wie so oft, unter +die lose verknüpften aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der +Zwietracht gefallen sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf +eine sicher unter heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Auflösung +der Italia -, daß die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers +Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und +nach der Kapitulation der Marser landflüchtig zu dem Nachbarvolk +gegangen war, jetzt sich eine andere, rein landschaftliche Organisation +gaben und, nachdem die “Italia” überwunden war, es unternahmen, als +“Safinen” oder Samniten den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste +Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen +Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuß und +1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000 +Sklaven verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter +als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach +zweihundertjähriger Pause die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das +entschlossene Bauernvolk abermals, ganz wie im fünften Jahrhundert, +nachdem die italische Konföderation gescheitert war, noch einen Versuch +machen, seine landschaftliche Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom +zu ertrotzen. Allein dieser Entschluß der tapfersten Verzweiflung +änderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in +Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die +Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende. + +—————————————————————————— + +9 Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in +oskischer Schrift angehören; denn solange die Italia von den +Insurgenten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne +Macht Münzen mit dem eigenen Namen schlagen. + +—————————————————————————— + +Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die +asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit +gemacht hatten, an König Mithradates von Pontos den Krieg zu erklären +und für das nächste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine +konsularische Armee nach Kleinasien zu bestimmen. Wäre dieser Krieg ein +Jahr früher zum Ausbruch gekommen, so hätte die gleichzeitige Empörung +des halben Italiens und der wichtigsten Provinz dem römischen Staat +eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der +italischen Insurrektion das wunderbare Glück Roms sich abermals bewährt +hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem daß er mit +dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich +bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Übermut die +Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von +der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die +Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen +überseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander führte; die Staatskasse +war nach zwei Kriegsjahren bereits vollständig erschöpft, die Bildung +einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum +ausführbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der seit +alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plätze an die +Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2½ Mill. Taler) gelöst wurden, +lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht +gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach +Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im südlichen +Italien es ihr gestatten würde sich zu entfernen; war bei den +Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee +voraussichtlich bald geschehen konnte. + +So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter günstigen Aussichten für +Rom. Strabo dämpfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen +geleistet ward. In Apulien machte Cosconius’ Nachfolger Quintus +Metellus Pius, der Sohn des Überwinders von Numidien und an energisch +konservativer Gesinnung wie an militärischer Begabung seinem Vater +nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende durch die Einnahme von Venusia, +wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden. In Samnium gelang zwar +Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer Schlacht, die er +dem römischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Römer, +und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die +Samniten auf der Walstatt ließen, war auch Silo. In Kampanien wurden +die kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von +Sulla ihnen entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der +römische Feldherr Aulus Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; +allein nachdem er bei einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen +war, herrschte der Insurgentenführer Lamponius mit den Seinen wiederum +fast ungestört in der weiten und öden lucanisch-brettischen Landschaft. +Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions zu bemächtigen, den indes +der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner +Unfälle näherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die +Unterwerfung von Samnium, die Möglichkeit, ansehnliche Streitkräfte für +Asien verfügbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung +der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion +unvermutet Luft machte. + +Rom war in fürchterlicher Gärung. Drusus’ Angriff auf die +Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter jäher Sturz, +sodann der zweischneidige Varische Prozeßkrieg hatten die bitterste +Zwietracht gesät zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen +den Gemäßigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der +Nachgiebigkeit vollständig recht gegeben: was sie beantragt hatte, +freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen +zugestehen müssen; allein die Art, wie dies Zugeständnis erfolgt war, +trug eben wie die frühere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und +kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche +Recht zu gewähren, hatte man die Zurücksetzung nur anders formuliert. +Man hatte eine große Anzahl italischer Gemeinden in den römischen +Bürgerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem +ehrenrührigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbürger ungefähr wie +die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die +Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugeständnis des +latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem +ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, sämtlichen +wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloß das Bürgerrecht +vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den Aufstand +vernichteten Verträge ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, höchstens +im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert ^10. Die +Zurücksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie bei der +damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und die +scheinheilige Fürsorge der Regierung für die unbefleckte Reinheit der +Wählerschaft jedem Unbefangenen lächerlich erscheinen mußte; all jene +Beschränkungen aber waren insofern gefährlich, als sie jeden Demagogen +dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder gerechten +Forderungen der Neubürger sowohl wie der vom Bürgerrecht +ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen. +Wenn somit die heller sehende Aristokratie diese halben und +mißgünstigen Konzessionen ebenso unzulänglich finden mußte wie die +Neubürger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermißte sie ferner +schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vorzüglichen Männer, +die die Varische Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die +zurückzurufen deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch +Volks-, sondern durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren; +denn sowenig man Bedenken trug, einen Volksschluß auch richterlicher +Natur durch einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation +eines Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren +Aristokratie als ein sehr gefährliches Beispiel. So waren weder die +Ultras noch die Gemäßigten mit dem Ausgang der italischen Krise +zufrieden. Aber von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten +Mannes, der mit erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen +und daraus unfreiwillig zurückgekommen war, mit dem Bewußtsein, neue +Dienste geleistet und dafür neue schwerste Kränkungen empfangen zu +haben, mit dem bitteren Gefühle, von den Feinden nicht mehr gefürchtet, +sondern geringgeschätzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen, +der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von +den Neubürgern und den Ausgeschlossenen: unfähig und unbehilflich wie +er sich erwiesen hatte, war doch sein populärer Name in der Hand eines +Demagogen ein furchtbares Werkzeug. + +——————————————————————— + +^10 Dediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), +omnibus [ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV … +cobortes miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis +populis a senatu civltas data est) in teilweise schärferer Fassung +wiedererscheint. Dediticii sind nach römischem Staatsrecht diejenigen +peregrinischen Freien (Gaius inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die +den Römern untertan geworden und zu keinem Bündnis zugelassen worden +sind. Sie behalten nicht bloß Leben, Freiheit und Eigentum, sondern +können auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert sein. +Απόλιδες, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, +19, 17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii +gleichgestellten Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur +mißbräuchlich und bei besseren Schriftstellern selten geradezu +dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) +ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani. Aber die dediticii +sind dennoch dem römischen Staate gegenüber insofern rechtlos, als nach +römischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb. +21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdrücklich oder +stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen +Widerruf zugestanden werden (App. Hisp. 44), der römische Staat also, +was er auch gleich oder später über seine Deditizier verhängen mag, +niemals gegen sie eine Rechtsverletzung begehen kann. Diese +Rechtlosigkeit hört erst auf durch Abschließung eines Bündnisvertrages +(Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio und foedus als staatsrechtlich +sich ausschließende Gegenstände (Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13, +16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch der den Juristen +geläufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die +Latiner sind eben die Föderierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, +54). + +Nach dem älteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht +zahlreichen, infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Verträge +verlustig erklärten Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem +Plautischen Gesetz von 664/65 (90/89) schloß die Bezeichnung: qui +foederatis civitatibus adscripti fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich +alle Italiker ein. Da nun aber unter den dediticii, die 667 (87) +nachträglich das Bürgerrecht empfingen, doch nicht füglich bloß die +Brettier und Picenter verstanden sein können, so wird man annehmen +dürfen, daß alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und +nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Bürgerrecht erworben +hatten, als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, daß ihre durch +die Insurrektion von selbst kassierten Verträge (darum qui foederati +fuerunt in der angeführten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung +nicht rechtlich erneuert wurden. + +——————————————————————- + +Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch +fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militärischen +Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das +Heer in sich trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit +während des demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden +waffenfähigen Mann ohne Unterschied zum Dienst zuzulassen nötigte und +der vor allem unmittelbar in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt +die politische Propaganda trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem +Erschlaffen aller Bande der militärischen Hierarchie. Während der +Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des Sullanischen +Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen +Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten, +mit Steinen und Knütteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla +begnügte sich, die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor +dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang auszulöschen. Die Urheber +dieser Tat waren die Flottensoldaten, von jeher die am mindesten +achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpöbel +ausgehobene Abteilung der Legionäre dem gegebenen Beispiel. Angestiftet +von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, vergriff sie sich an +dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem Tode; +Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als Cato dann +bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen +Offiziere, namentlich der jüngere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit +Unrecht ist nicht auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet. + +Zu dieser beginnenden politischen und militärischen kam die vielleicht +noch entsetzlichere ökonomische Krise, die im Verfolg des +Bundesgenossenkrieges und der asiatischen Unruhen über die römischen +Geldmänner hereingebrochen war. Die Schuldner, unfähig, auch nur die +Zinsen zu erschwingen, und dennoch von ihren Gläubigern unerbittlich +gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gerichtsvorstand, dem Stadtprätor +Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen zu +können, teils die alten verschollenen Zinsgesetze wieder hervorgesucht +und nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den vierfachen Betrag +der dem Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt. +Asellio gab sich dazu her, das tatsächlich bestehende Recht durch +dessen Buchstaben zu beugen, und instruierte in gewöhnlicher Weise die +verlangten Zinsklagen; worauf die verletzten Gläubiger unter Leitung +des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammentaten und +den Prätor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, +vor dem Tempel der Eintracht überfielen und erschlugen - eine +Freveltat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665 +89). Andererseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, daß der +leidenden Menge nicht anders geholfen werden könne als durch “neue +Rechnungsbücher”, das heißt durch gesetzliche Vernichtung der +Forderungen sämtlicher Gläubiger an sämtliche Schuldner. Es war genau +wieder wie während des Ständestreits: wieder machten die Kapitalisten +im Bunde mit der befangenen Aristokratie der gedrückten Menge und der +zur Mäßigung des starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und +den Prozeß; wieder stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den +der verzweifelte Schuldner den Gläubiger mit sich hinabreißt; nur war +seitdem an die Stelle der einfach bürgerlichen und sittlichen Ordnung +einer großen Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler +Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit +dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Mißverhältnisse breiter, +schroffer, in grauenhafter Weise großartiger geworden. Indem der +Bundesgenossenkrieg all die gärenden politischen und sozialen Elemente +in der Bürgerschaft gegeneinander rüttelte, legte er den Grund zu einer +neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall. + +Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88) +bei der Bürgerschaft die Anträge stellte, jeden Senator, der über 2000 +Denare (600 Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklären; +den durch unfreie Geschworenengerichte verurteilten Bürgern die +Rückkehr in die Heimat freizugeben; die Neubürger durch sämtliche +Distrikte zu verteilen und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in +allen Distrikten zu gestatten. Es waren Vorschläge, die aus dem Munde +dieses Mannes zum Teil wenigstens überraschten. Publius Sulpicius Rufus +(geboren 630 124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner +adligen Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten +Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den +Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme, die +lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebärden, die üppige +Fülle seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht überzeugten. +Seiner Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des +Senats, und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage +des der Regierungspartei tödlich verhaßten Norbanus gewesen. Unter den +Konservativen gehörte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus. Was +ihn zunächst veranlaßte, sich für das Jahr 666 (88) um das +Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel +abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, daß auch er, wie +die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionär +verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionär geworden zu sein und +keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus +beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen +Prozeßsturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des +Crassus und Drusus, sich berufen gefühlt haben, das Werk des Drusus zu +vollenden und die noch bestehenden Zurücksetzungen der Neubürger +schließlich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus +seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwähnt, die das +gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er +durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des +Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluß zu +kassieren; und als der gewesene Ädil Gaius Caesar verfassungswidrig +sich mit Überspringung der Prätur um das Konsulat für 667 (87) bewarb, +wie es heißt in der Absicht, sich später die Führung des Asiatischen +Krieges übertragen zu lassen, trat, entschlossener und schärfer als +irgendein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus +also forderte er von sich wie von andern zunächst und vor allem die +Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie +Drusus das Unverträgliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte, +an sich verständige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der +Altbürgerschaft auf gütlichem Wege niemals zu erlangende +Verfassungsänderung in strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch +mit der mächtigen Familie der Iulier, unter denen namentlich der Bruder +des Gaius, der Konsular Lucius Caesar, im Senat sehr einflußreich war, +und mit der derselben anhängenden Fraktion der Aristokratie hat ohne +Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den zornmütigen Mann durch +persönliche Erbitterung über die ursprüngliche Absicht hinausgeführt. +Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Anträge ist doch von der +Art, daß sie keineswegs die Persönlichkeit und die bisherige +Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der +Neubürger mit den Altbürgern war nichts als die teilweise +Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen Anträge zu Gunsten der +Italiker und wie diese nur die Erfüllung der Vorschriften einer +gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die Varischen Geschworenen +Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des +Geschworenenwahrspruchs, für den Sulpicius eben noch selbst mit der Tat +eingestanden war, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen +Parteigenossen des Antragstellers, den gemäßigten Konservativen, +zugute, und es läßt sich von dem stürmischen Mann recht wohl begreifen, +daß er bei seinem ersten Auftreten eine solche Maßregel entschieden +bekämpfte und dann, ergrimmt über den Widerstand, auf den er traf, sie +selber beantragte. Die Maßregel gegen die Überschuldung der Senatoren +war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Bloßlegung der trotz alles +äußeren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden +Familien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar +peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen Interesse der +Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein +mußte, alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, +ihre Passiva rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in +der Überschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigeführten +Abhängigkeit von den reichen Kollegen seinen hauptsächlichen Halt fand, +durch die Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedämpft +ward - womit natürlich nicht geleugnet werden soll, daß Rufus eine den +Senat so schroff und gehässig prostituierende Säuberung der Kurie, wie +er sie vorschlug, ohne seine persönlichen Zerwürfnisse mit den +herrschenden Koteriehäuptern sicher niemals beantragt haben würde. +Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte +unzweifelhaft zunächst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse +zu machen; an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der +aristokratischen Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, +die Freigelassenen zum Militärdienst mit hinzuzuziehen, war ihre +Forderung des Stimmrechts insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und +Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber +kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob +in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Möglichkeit, +mit den Komitien zu regieren, ward für die Oligarchie eher gesteigert +als gemindert durch die unbeschränkte Zulassung der Freigelassenen, +welche ja zu einem sehr großen Teil von den regierenden Familien +persönlich und ökonomisch abhängig waren und richtig verwandt eben ein +Mittel für die Regierung abgeben konnten, die Wahlen gründlicher noch +als bisher zu beherrschen. Wider die Tendenzen der reformistisch +gesinnten Aristokratie lief diese Maßregel allerdings wie jede andere +politische Begünstigung des Proletariats; allein sie war auch für Rufus +schwerlich etwas anderes, als was das Getreidegesetz für Drusus gewesen +war: ein Mittel, um das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit +dessen Hilfe den Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft +gemeinnützigen Reformen zu brechen. Es ließ sich leicht voraussehen, +daß dieser nicht gering sein, daß die bornierte Aristokratie und die +bornierte Bourgeoisie ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem +Ausbruch der Insurrektion jetzt nach ihrer Überwindung betätigen, daß +die große Majorität aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten +Gefahr gemachten halben Zugeständnisse im stillen oder auch laut als +unzeitige Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich +leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus’ Beispiel hatte gezeigt, was +dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen auf +die Senatsmajorität durchzusetzen unternahm; es war vollkommen +erklärlich, daß sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten +in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu +realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Mühe, durch den +Köder der Geschworenengerichte den Senat für sich zu gewinnen. Besseren +Rückhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem +bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus +3000 gedungenen Leuten und einem “Gegensenat” von 600 jungen Männern +aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Straßen und auf dem Markte +erschien. Seine Anträge stießen denn auch auf den entschiedensten +Widerstand bei der Majorität des Senats, welche zunächst, um Zeit zu +gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius +Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, außerordentliche +religiöse Festlichkeiten anzuordnen, während deren die +Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen +Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius, +der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand +und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla +soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daß Marius ihm sein Haus +öffnete. Man mußte nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die +angekündigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Anträge +gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch +keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die +Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem +Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht +übersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des +Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische +Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt +für den Augenblick gewichen war, nicht bloß mit der Senatsmajorität in +vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die +Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner +Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knüttelmänner oder die +wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren, +lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, daß der +Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der +Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurückkehren werde, um den +konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen über den Haufen zu +werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wünschte den Krieg gegen +Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstädtischen +politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und seiner +unübertroffenen politischen Nonchalance hat es große +Wahrscheinlichkeit, daß er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, +keineswegs beabsichtigte und daß er, wenn man ihn hätte gewähren +lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch +beschäftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien +eingeschifft haben würde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius +entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den +Oberbefehl abzunehmen, und ließ zu diesem Ende mit Marius sich ein, +dessen Name noch immer hinreichend populär war, um einen Antrag, den +Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen, der Menge +plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militärische Stellung und +Kapazität für den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stütze werden +konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfähigen als +rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu +stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen und ebensowenig die arge +Abnormität, einem Privatmann ein außerordentliches Oberkommando durch +Volksschluß zu übertragen; aber eben Marius’ erprobte staatsmännische +Unfähigkeit gab eine Art Garantie dafür, daß er die Verfassung nicht +ernstlich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius’ eigene +Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte, +daß dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht kamen. Daß der +abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als +Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem +Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg gelüstete sein Herz seit +vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gründlich +abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt auf Antrag des +Sulpicius durch Beschluß des Volkes Gaius Marius mit außerordentlicher +höchster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der +kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates, +und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei Volkstribune +in das Lager von Nola abgesandt. + +Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen +war, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu führen, so war es Sulla. +Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem größten Erfolge auf demselben +Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte mehr als irgendein anderer Mann +beigetragen zur Überwältigung der gefährlichen italischen Insurrektion; +ihm als Konsul des Jahres, in welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch +kam, war in der hergebrachten Weise und mit voller Zustimmung seines +ihm befreundeten und verschwägerten Kollegen das Kommando in demselben +übertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen +Verhältnissen übernommenen Oberbefehl nach Beschluß der souveränen +Bürgerschaft von Rom abzugeben an einen alten militärischen und +politischen Antagonisten, in dessen Händen die Armee, niemand mochte +sagen zu welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, mißbraucht werden +konnte. Sulla war weder gutmütig genug, um freiwillig einem solchen +Befehl Folge zu leisten, noch abhängig genug, um es zu müssen. Sein +Heer war, teils infolge der von Marius herrührenden Umgestaltungen des +Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere und +militärisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem Führer +unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente +Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer +Kopf, dem die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen war, der +Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle +Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit +halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als +Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es +waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von +Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen +anzudeuten, daß der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, +sondern andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien führen werde. Die +höheren Offiziere, immer noch mehr Bürger als Militärs, hielten sich +zurück, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die +Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach früheren Erfahrungen in Asien +einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten +auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen +und von allen Seiten erscholl der Zuruf, daß der Feldherr sie auf Rom +zu führen möge. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs seinen +Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen +Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden +Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der +Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersäulen sich aufstellen an der +Tiberbrücke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei +Legionen in Reih’ und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten +Mauerring überschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt +hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren +innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne daß ein römisches +Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen hätte; jetzt geschah es, +zunächst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier +berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrückenden Legionen gingen +vor bis auf die Höhe des Esquilin; als die von den Dächern +heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und +sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel und, +mit Brandpfeilen und Anzündung der Häuser drohend, brachen die Legionen +sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. Maria +Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius +zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden Kolonnen +durch die Überzahl zurück. Aber von den Toren kam denselben +Verstärkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der +Suburastraße die Verteidiger zu umgehen; sie mußten zurück. Am Tempel +der Tellus, wo der Esquilin anfängt sich gegen den Großen Marktplatz zu +senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor Senat +und Ritter und die gesamte Bürgerschaft, den Legionen sich +entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Bürgern in +Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie +gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die +Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu +bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Führern +nichts übrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen; +nach wenigen Stunden war Sulla unumschränkter Herr von Rom. Diese Nacht +brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Großen Marktplatz der +Hauptstadt. + +Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Fehden hatte es +zur vollen Evidenz gebracht, sowohl daß die politischen Kämpfe auf dem +Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die +Entscheidung gibt, als auch daß die Gewalt des Knüttels nichts ist +gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen, +die das Schwert zuerst gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle +Wort des Evangeliums über den, der zuerst das Schwert erhebt, +seinerzeit sich erfüllt hat. Für jetzt triumphierte sie vollständig und +durfte ihren Sieg nach Belieben selber formulieren. Von selbst verstand +es sich, daß die Sulpicischen Gesetze als von Rechts wegen nichtig +bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhänger hatten +sich geflüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat als +Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius +Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht +und das an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf +dem Markt auf ebenderselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er +selbst noch wenige Tage zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft +gestanden hatte. Die anderen Geächteten wurden verfolgt; auch dem alten +Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. Wie der Feldherr auch die +Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette von +Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo der Retter des +Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae +und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse +seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um +nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an Vorräten +zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glück in +die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach sich +anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuß, oft vom Hunger +gepeinigt, in die Nähe der römischen Kolonie Minturnae an der Mündung +des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden Reiter; +mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes +Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die ängstlichen +Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, während Marius am +Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Gürtel in +den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen, +fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehörde von +Minturnae. Er ward ins Gefängnis gelegt und der Stadtbüttel, ein +kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche +erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das Beil +entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn +anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu töten. Als man +dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, daß der +Retter Roms größere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die +Knechtschaft, als bei den Mitbürgern, denen er die Freiheit gebracht +hatte; sie lösten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und +sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des +Sulpicius fanden in diesen Gewässern sich allmählich zusammen; sie +liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die römischen +Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurück. So entrannen sie +nach Numidien, dessen öde Stranddünen ihnen einen Zufluchtsort für den +Winter gewährten. Allein der König Hiempsal II., den sie zu gewinnen +hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben hatte, mit +ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um sie sicher zu +machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu bemächtigen. Mit +genauer Not entrannen die Flüchtlinge seinen Reitern und fanden +vorläufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina (Kerkena) an der +tunesischen Küste. Wir wissen es nicht, ob Sulla seinem Glücksstern +auch dafür dankte, daß es ihm erspart blieb, den Kimbrersieger töten zu +lassen; wenigstens scheint es nicht, daß die minturnensischen Beamten +bestraft worden sind. + +Um die vorhandenen Übelstände zu beseitigen und künftige Umwälzungen zu +verhüten, veranlaßte Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. +Für die bedrängten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als daß +man die Vorschriften über das Zinsmaximum einschärfte ^11; außerdem +wurde die Ausführung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den +Schlachten und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr +zusammengeschwundene Senat ward ergänzt durch die Aufnahme von 300 +neuen Senatoren, deren Auswahl natürlich im optimatischen Interesse +getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der +legislatorischen Initiative wesentliche Änderungen vorgenommen. Die +alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der die +erste Steuerklasse mit einem Vermögen von 100000 Sesterzen (7600 +Talern) oder darüber allein fast die Hälfte der Stimmen inne hatte, +trat wieder an die Stelle der im Jahre 513 (241) eingeführten, das +Übergewicht der ersten Klasse mildernden Ordnungen. Tatsächlich ward +damit für die Wahl der Konsuln, Prätoren und Zensoren ein Zensus +eingeführt, der die nicht Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache +nach ausschloß. Die legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen +dadurch beschränkt, daß jeder Antrag fortan von ihnen zunächst dem +Senat vorgelegt werden mußte und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, +an das Volk gelangen konnte. + +———————————————————————— + +^11 Klar ist es nicht, was das “Zwölftelgesetz’, der Konsuln Sulla und +Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste +Annahme bleibt aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) +zu sehen, so daß der höchste erlaubte Zinsfuß wieder 1/12 des Kapitals +für das zehnmonatliche oder 10 Prozent für das zwölfmonatliche Jahr +ward. + +————————————————————————- + +Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen +Verfügungen desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der +Verfassungspartei aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz +eigentümlichen Charakter. Sulla wagte es, ohne die Bürgerschaft oder +Geschworene zu fragen, über zwölf der angesehensten Männer, darunter +fungierende Beamte und den berühmtesten General seiner Zeit, das +Todesurteil zu verhängen und öffentlich zu diesen Ächtungen sich zu +bekennen, eine Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die +selbst von sehr konservativen Männern, wie zum Beispiel von Quintus +Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb +Jahrhunderten bestehende Wahlordnung umzustoßen und den seit langem +verschollenen und verfemten Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, +das Recht der Legislation seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten +und den Komitien, tatsächlich zu entziehen und es auf eine Behörde zu +übertragen, die zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser +Hinsicht besessen hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu können. +Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geübt, mit +so rücksichtsloser Kühnheit an den Fundamenten der Verfassung gerüttelt +und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf die +Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen +Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom +beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, +in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, +überwunden zu sein, gleichsam als ein Verbrechen büßen. Wer sich +erinnert an die prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende +Partei nach dem Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, +der fühlt sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der +Offenheit und der relativen Mäßigung zu erteilen, indem er einmal ohne +viel Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die +geschlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte; zweitens +die Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenigstens das widerliche +Wüten gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine ähnliche Mäßigung +zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich +der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste, +brachte in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist +derselben in Einklang. Die römische Legislation, wo jeder Konsul, +Prätor oder Tribun jede beliebige Maßregel bei der Bürgerschaft +beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus +aus unvernünftig gewesen und mit der steigenden Nullität der Komitien +es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat +sich das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmäßig den ohne +solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte durch +politische oder religiöse Interzession. Diese Dämme hatte die +Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System +an, seine Konsequenzen vollständig und jedem mutwilligen Buben den +Umsturz des Staats in formell legaler Weise möglich zu machen. Was war +unter solchen Umständen natürlicher, notwendiger, im rechten Sinne +konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des +Senats jetzt förmlich und ausdrücklich anzuerkennen? Etwas Ähnliches +gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die ältere Verfassung ruhte +durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die +Bevorzugung der Vermögenden nur beschränkt. Aber seit diesem Jahr war +eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhöhung +des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie +änderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben +treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schändlichen Stimmenkauf samt +allem, was daran hing, in der möglichst milden Form zu wehren +wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der +Schuldner, die Wiederaufnahme der Kolonisationspläne gaben den redenden +Beweis, daß Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius’ +leidenschaftlichen Anträgen beizupflichten, doch eben wie er und wie +Drusus, wie überhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den +materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht übersehen werden +darf, daß er diese Maßregel nach dem Siege und durchaus freiwillig +beantragte. Wenn man hiermit verbindet, daß Sulla die hauptsächlichen +Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen ließ und weder an den +Rittergerichten noch an den Kornverteilungen rüttelte, so wird man das +Urteil gerechtfertigt finden, daß die Sullanische Ordnung von 666 (86) +an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo +wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment +zunächst Gefahr drohenden überlieferten Satzungen zeitgemäß änderte, +teils den vorhandenen sozialen Übeln nach Kräften abzuhelfen suchte, +soweit beides sich tun ließ, ohne die tieferliegenden Schäden zu +berühren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus in +Verbindung mit einem lebendigen Gefühl für den inneren Gehalt der +bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und löbliche Absichten +bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse +Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel +guter Wille dazu gehörte, um zu glauben, daß die Feststellung des +Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhältnissen aufhelfen und daß das +Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die künftige Demagogie +widerstandsfähiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und +die Religion. + +In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald +neue Wolken auf. Die asiatischen Verhältnisse nahmen einen immer +drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, daß die +Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzögert +hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf +keinen Fall länger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils in +den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewählt würden, teils +besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen +Insurrektion beschäftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf +die Oligarchie in Italien zurückzulassen. Allein in den +Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten +Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng +optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur +entschiedensten Opposition gehörte. Vermutlich war es hauptsächlich die +Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes +vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklärung hin, daß es +ihn freue, die Bürger von ihrer verfassungsmäßigen Wahlfreiheit +Gebrauch machen zu sehen, und begnügte sich, beiden Konsuln den Schwur +abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den +Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische +größten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla ließ durch +Volksschluß das Kommando über jene auf seinen treuergebenen Kollegen +Quintus Rufus übertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in +möglichst schonender Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der +Ritterpartei angehörte und seine passive Haltung während der +Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt +hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und übernahm an Strabos Stelle den +Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten +erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum abgegebene +Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiß ist es, daß er +ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die +Früchte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten +strafte. Für Sulla war Rufus’ Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft +eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando +abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich +einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedrängt, endlich nach Asien +abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat, +andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen; +es war dem blödesten Auge klar, daß ein neuer Sturm gegen ihn und seine +Partei sich vorbereitete und daß die Gegner seine Entfernung wünschten. +Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu +treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen +Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach +einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich - ob mehr +aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht werden +- für die letztere Alternative, übergab das in Samnium zurückbleibende +Korps dem zuverlässigen und kriegskundigen Quintus Metellus Pius, der +an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl in Unteritalien +übernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem Proprätor Appius +Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen Legionen +nach dem hellenischen Osten sich ein. + + + + +KAPITEL VIII. +Der Osten und König Mithradates + + +Die atemlose Spannung, in welcher die Revolution mit ihrem ewig sich +erneuernden Feuerlärm und Löschruf die römische Regierung erhielt, war +die Ursache, daß dieselbe die Provinzialverhältnisse überhaupt aus den +Augen verlor, am meisten aber die des asiatischen Ostens, dessen ferne +und unkriegerische Nationen nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien +und die transalpinischen Nachbarn der Beachtung der Regierung sich +aufdrängten. Nach der Einziehung des Attalischen Königreiches, die mit +dem Ausbruch der Revolution zusammenfällt, ist ein volles Menschenalter +hindurch kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den +orientalischen Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die +maßlose Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Römern abgedrungenen +Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache +nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station +für eine kleine römische Heer- und Flottenabteilung in den östlichen +Gewässern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100) +die Restaurationsregierung einigermaßen konsolidiert hatte, begann die +römische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige +Aufmerksamkeit zuzuwenden. + +In vieler Hinsicht waren die Verhältnisse noch, wie wir dreißig Jahre +zuvor sie verließen. Das Reich Ägypten mit seinen beiden Nebenländern +Kyrene und Kypros löste mit dem Tode Euergetes II. (637 117) teils +rechtlich, teils tatsächlich sich auf. Kyrene kam an den natürlichen +Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und trennte sich auf immer von dem +Hauptland. Um die Herrschaft in diesem haderten die Witwe des letzten +Königs, Kleopatra († 665 89), und dessen beide Söhne Soter II. Lathyros +(† 673 81) und Alexander I. († 666 88), was die Ursache ward, daß auch +Kypros auf längere Zeit von Ägypten sich schied. Die Römer griffen in +die Wirren nicht ein; ja als ihnen im Jahre 658 (96) das Kyrenische +Reich durch das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen +sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überließen doch die +Landschaft im wesentlichen sich selbst, indem sie die griechischen +Städte des Reiches, Kyrene, Ptolemais, Berenike, zu Freistädten +erklärten und denselben sogar die Nutzung der königlichen Domänen +überwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von Africa über dieses +Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr eine bloß nominelle +als die des Statthalters von Makedonien über die hellenischen +Freistädte. Die Folgen dieser Maßregel, die ohne Zweifel nicht aus dem +Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit +der römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die +unter gleichen Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bürgerkriege +und Usurpation zerrissen die Landschaft so, daß, als dort zufällig im +Jahre 668 (86) ein höherer römischer Offizier erschien, die Einwohner +ihn dringend ersuchten, ihre Verhältnisse zu ordnen und ein dauerhaftes +Regiment bei ihnen zu begründen. + +Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am +wenigsten besser geworden. Während des zwanzigjährigen Erbfolgekrieges +der beiden Halbbrüder Antiochos Grypos († 658 96) und Antiochos von +Kyzikos († 659 95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Söhne +forterbte, ward das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen +Namen, in dem die kilikischen Seekönige, die Araberscheichs der +syrischen Wüste, die Fürsten der Juden und die Magistrate der größeren +Städte in der Regel mehr zu sagen hatten als die Träger des Diadems. +Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Römer sich fest und ging +das wichtige Mesopotamien definitiv über an die Parther. + +Die Monarchie der Arsakiden hatte, hauptsächlich infolge der Einfälle +turanischer Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise +durchzumachen gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der +Große (630 ? - 667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine +überwiegende Stellung in Innerasien zurückgegeben, die Skythen +zurückgeschlagen und gegen Syrien und Armenien die Grenze des Reiches +vorgeschoben, allein gegen das Ende seines Lebens lähmten neue Unruhen +sein Regiment; und während die Großen des Reiches, ja der eigene Bruder +Orodes gegen den König sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn +stürzte und töten ließ, erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien. +Dieses Land, das seit seiner Selbständigkeitserklärung in die +nordöstliche Hälfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der +Artaxiaden, und die südwestliche oder Sophene, das Reich der +Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes +(regierte seit 660 94) zum erstenmal zu einem Königreich vereinigt, und +teils diese Machtverdoppelung, teils die Schwäche der parthischen +Herrschaft machten es dem neuen König von ganz Armenien möglich, nicht +bloß aus der Klientel der Parther sich zu lösen und die früher an sie +abgetretenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das +Oberkönigtum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Seleukiden +und von diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an Armenien zu +bringen. + +In Kleinasien endlich bestand die Länderteilung, wie sie nach der +Auflösung des Attalischen Reiches unter römischer Einwirkung +festgestellt worden war, noch wesentlich ungeändert. In dem Zustande +der Klientelstaaten, der Königreiche Bithynien, Kappadokien, Pontus, +der Fürstentümer Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen +Städtebünde und Freistädte, war eine äußerliche Änderung zunächst nicht +wahrzunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der römischen +Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Teils durch +die bei jedem tyrannischen Regiment naturgemäß eintretende stetige +Steigerung des Druckes, teils durch die mittelbare Einwirkung der +römischen Revolution - man erinnere sich an die Einziehung des +Bodeneigentums in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die +römischen Zehnten und Zölle und an die Menschenjagden, die die Zöllner +daselbst nebenbei betrieben - lastete die schon von Haus aus schwer +erträgliche römische Herrschaft in einer Weise auf Asien, daß weder die +Königskrone noch die Bauernhütte daselbst mehr sicher war vor +Konfiskation, daß jeder Halm für den römischen Zehntherrn zu wachsen, +jedes Kind freier Eltern für die römischen Sklavenzwinger geboren zu +werden schien. Zwar ertrug der Asiate in seiner unerschöpflichen +Passivität auch diese Qual; allein es waren nicht Geduld und +Überlegung, die ihn ruhig tragen hießen, sondern der eigentümlich +orientalische Mangel der Initiative, und es konnten in diesen +friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare, +schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat, +der es verstand, das Zeichen zu geben. + +Es regierte damals im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem +Beinamen Eupator (geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht +von väterlicher Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios +Hystaspes’ Sohn, im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, +Mithradates I., zurückführte, von mütterlicher den Alexandriden und +Seleukiden entstammte. Nach dem frühen Tode seines Vaters Mithradates +Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel, war er um 634 (120) als +elfjähriger Knabe König genannt worden; allein das Diadem brachte ihm +nur Not und Gefahr. Die Vormünder, ja, wie es scheint, die eigene, +durch des Vaters Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem +königlichen Knaben nach dem Leben; es wird erzählt, daß er, um den +Dolchen seiner gesetzlichen Beschützer sich zu entziehen, freiwillig in +das Elend gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht für Nacht die +Ruhestätte wechselnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein +heimatloses Jägerleben geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger +Mann. Wenngleich unsere Berichte über ihn im wesentlichen auf +schriftliche Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurückgehen, so hat +nichtsdestoweniger die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den +mächtigen König früh geschmückt mit manchen der Züge ihrer Simson und +Rustem; aber auch diese gehören zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone +zum Charakter der höchsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes +erscheinen in beiden Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht +getrübt noch wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem +riesengroßen Leibe des Königs Mithradates paßten, erregten das Staunen +der Asiaten und mehr noch der Italiker. Als Läufer überholte er das +schnellste Wild; als Reiter bändigte er das wilde Roß und vermochte mit +gewechselten Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurückzulegen; +als Wagenlenker fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen +Preis - freilich war es gefährlich, in solchem Spiel dem König +obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde +herab, ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen +- er veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die für +den derbsten Esser und für den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - +und nicht minder in den Freuden des Harems, wie unter anderm die +zügellosen Billets seiner griechischen Mätressen bewiesen, die sich +unter seinen Papieren fanden. Seine geistigen Bedürfnisse befriedigte +er im wüstesten Aberglauben -Traumdeuterei und das griechische +Mysterienwesen füllten nicht wenige der Stunden des Königs aus - und in +einer rohen Aneignung der hellenischen Zivilisation. Er liebte +griechische Kunst und Musik, das heißt er sammelte Pretiosen, reiches +Gerät, alte persische und griechische Prachtstücke - sein Ringkabinett +war berühmt -, hatte stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, +Poeten in seiner Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den +Preisen für Esser und Trinker auch welche aus für den drolligsten +Spaßmacher und den besten Sänger. So war der Mensch; der Sultan +entsprach ihm. Im Orient, wo das Verhältnis des Herrschers und der +Beherrschten mehr den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes +trägt, ist der Untertan hündisch treu und hündisch falsch, der +Herrscher grausam und mißtrauisch. In beiden ist Mithradates kaum +übertroffen worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger +Haft wegen wirklicher oder angeblicher Verräterei seine Mutter, sein +Bruder, seine ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und ebenso +viele seiner Töchter. Vielleicht noch empörender ist es, daß sich unter +seinen geheimen Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen +mehrere seiner vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt +sultanisch, daß er späterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophäen +zu entziehen, seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und +seinen ganzen Harem töten ließ und den Frauen nur die Wahl der Todesart +freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er +als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte und versuchte, seinen +Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen. Verrat und Mord hatte er von früh +auf von jedermann und zumeist von den Nächsten erwarten und gegen +jedermann und zumeist gegen die Nächsten üben gelernt, wovon denn die +notwendige und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, daß all +seine Unternehmungen schließlich mißlangen durch die Treulosigkeit +seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Züge von hochherziger +Gerechtigkeit; wenn er Verräter bestrafte, schonte er in der Regel +diejenigen, welche nur durch ihr persönliches Verhältnis zu dem +Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfälle +von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in der +Tat auszeichnet unter der großen Anzahl gleichartiger Sultane, ist +seine grenzenlose Rührigkeit. Eines schönen Morgens war er aus seiner +Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so daß man ihn +bereits verloren gab; als er zurückkam, hatte er unerkannt ganz +Vorderasien durchwandert und Land und Leute überall militärisch +erkundet. Von gleicher Art ist es, daß er nicht bloß überhaupt ein +redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, über +die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines +Dolmetschers zu bedürfen - ein bezeichnender Zug für den regsamen +Herrscher des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter trägt seine +ganze Regententätigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren +Verwaltung schweigt unsere Überlieferung leider durchaus -, geht sie +auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schätzen, im +Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen früheren Jahren +gewöhnlich nicht der König selbst, sondern irgendein griechischer +Condottiere gegen den Feind führt, in dem Bestreben, neue Satrapien zu +den alten zu fügen; von höheren Elementen, Förderung der Zivilisation, +ernstlicher Führerschaft der nationalen Opposition, eigenartiger +Genialität finden sich, in unserer Überlieferung wenigstens, bei +Mithradates keine bewußten Spuren, und wir haben keinen Grund, auch nur +mit den großen Regenten der Osmanen, wie Muhamed II. und Suleiman +waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der hellenischen Bildung, +die ihm nicht viel besser sitzt als seinen Kappadokiern die römische +Rüstung, ist er durchaus ein Orientale gemeinen Schlags, roh, voll +sinnlichster Begehrlichkeit, abergläubisch, grausam, treu- und +rücksichtslos, aber so kräftig organisiert, so gewaltig physisch +begabt, daß sein trotziges Umsichschlagen, sein unverwüstlicher +Widerstandsmut häufig wie Talent, zuweilen sogar wie Genie aussieht. +Wenn man auch in Anschlag bringt, daß während der Agonie der Republik +es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in den Zeiten Scipios +oder Traians, und daß nur die Verschlingung der asiatischen Ereignisse +mit den inneren Bewegungen Italiens es Mithradates möglich machte, +doppelt so lange als Jugurtha den Römern zu widerstehen, so bleibt es +darum doch nicht minder wahr, daß bis auf die Partherkriege er der +einzige Feind ist, der im Osten den Römern ernstlich zu schaffen +gemacht, und daß er gegen sie sich gewehrt hat wie gegen den Jäger der +Löwe der Wüste. Aber mehr als solchen naturkräftigen Widerstand sind +wir nach dem, was vorliegt, auch nicht berechtigt, in ihm zu erkennen. + +Indes wie man immer über die Individualität des Königs urteilen möge, +seine geschichtliche Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die +Mithradatischen Kriege sind zugleich die letzte Regung der politischen +Opposition von Hellas gegen Rom und der Anfang einer auf sehr +verschiedenen und weit tieferen Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen +die römische Suprematie, der nationalen Reaktion der Asiaten gegen die +Okzidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch sein Reich ein +orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herrschend am Hofe und +überhaupt unter den Vornehmen, die Religion der Landesbewohner wie die +offizielle des Hofes vorwiegend der alte Nationalkult; der Hellenismus +daselbst war wenig verschieden von dem Hellenismus der armenischen +Tigraniden und der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die +kleinasiatischen Griechen einen kurzen Augenblick für ihre politischen +Träume an diesem König einen Halt zu finden meinen; in der Tat ward in +seinen Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als worüber auf den +Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung fiel. Es war nach +langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem ungeheuren Zweikampf des +Westens und des Ostens, welcher von den Kämpfen bei Marathon auf die +heutige Generation sich vererbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso +nach Jahrtausenden zählen mag wie seine Vergangenheit. + +So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun des kappadokischen Königs +das fremdartige und unhellenische Wesen hervortritt, so schwierig ist +es, das hier obwaltende nationale Element bestimmt anzugeben, und kaum +wird es je gelingen, in dieser Hinsicht über Allgemeinheiten hinaus und +zu einer wirklichen Anschauung zu gelangen. In dem ganzen Kreis der +antiken Zivilisation gibt es keinen Bezirk, in welchem so zahlreiche, +so verschiedenartige, so seit fernster Zeit mannigfaltig verschlungene +Stämme neben- und durcheinander geschoben und wo demzufolge die +Verhältnisse der Nationalitäten weniger klar wären wie in Kleinasien. +Die semitische Bevölkerung setzt sich von Syrien her in +ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien fort, und es scheint ihr +ferner auch an der Ostküste in der karischen lydischen Landschaft der +Grundstock der Bevölkerung anzugehören, während die nordwestliche +Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten der europäischen Thraker, +eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und die Nordküste sind +vorwiegend von indogermanischen, am nächsten den iranischen verwandten +Völkerschaften erfüllt. Von der armenischen und der phrygischen Sprache +^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen höchstwahrscheinlich, daß +sie zunächst an das Zend grenzten; und wenn von den Mysern angegeben +wird, daß bei ihnen lydische und phrygische Sprache sich begegneten, so +bezeichnet dies eben eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen +vergleichbare Mischbevölkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien +sich ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so +mangelt es, trotz der gerade hier in Fülle vorhandenen Überreste +einheimischer Sprache und Schrift, bis jetzt über dieselbe noch an +gesicherten Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, daß diese +Stämme eher den Indogermanen als den Semiten zuzuzählen sind. Wie dann +überall dieses Völkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer +Kaufstädte, sodann der durch das kriegerische wie das geistige +Übergewicht der griechischen Nation ins Leben gerufene Hellenismus +gelegt hat, ist in seinen Umrissen bereits früher auseinandergesetzt +worden. + +————————————————————— + +^1 Die als phrygisch angeführten Wörter Βαγαίος = Zeus und der alte +Königsname Μάνις sind unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = +Gott und das deutsche Mannus, indisch Manus zurückgeführt worden. Chr. +Lassen in: ZDMG, 10, 1888, S. 329f. + +————————————————————— + +In diesen Gebieten herrschte König Mithradates und zwar zunächst in +Kappadokien am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen +Landschaft, da wo, am nordöstlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu +und mit diesem in steter Berührung, sich die iranische Nationalität +vermutlich minder gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet +hatte. Nicht einmal der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit +Ausnahme der Küste, wo mehrere ursprünglich griechische Ansiedlungen +bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze Trapezus, Amisos +und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats und die +blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr +primitiven Zustand. Nicht als hätte es wüst gelegen; vielmehr wie die +pontische Landschaft noch heute eine der lachendsten der Erde ist, in +der Getreidefelder mit Wäldern von wilden Obstbäumen wechseln, war sie +ohne Zweifel auch zu Mithradates’ Zeit wohl bebaut und verhältnismäßig +auch bevölkert. Allein eigentliche Städte gab es daselbst kaum, sondern +nur Burgen, die den Ackerleuten als Zufluchtsstätten und dem König als +Schatzkammern zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie +denn allein in Kleinarmenien fünfundsiebzig solcher kleiner königlicher +Kastelle gezählt wurden. Wir finden nicht, daß Mithradates wesentlich +dazu getan hätte, das städtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen; +und wie er gestellt war, in tatsächlicher, wenn auch vielleicht ihm +selbst nicht völlig bewußter Reaktion gegen den Hellenismus, begreift +sich dies wohl. Um so tätiger erscheint er, gleichfalls in ganz +orientalischer Weise, bemüht, sein Reich, das schon nicht klein war, +wenn auch der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500 deutsche Meilen +angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer +wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine +Flotten und seine Botschafter tätig. Nirgends aber bot sich ihm ein so +freier und so weiter Spielraum wie an den östlichen und den nördlichen +Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustände hier einen +Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder +vielmehr unmöglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu +geben. An dem östlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast +unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen +ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und +Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen +Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. +Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nördlichen +Landschaften 2. Die weiten hügel- und waldlosen Steppen, die sich +nördlich vom Schwarzen Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See +hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der +zwischen dem Klima von Stockholm und von dem von Madeira schwankenden +Temperaturdifferenz und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 +Monaten und länger anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, +für den Ackerbau und überhaupt für feste Ansiedlung wenig geeignet und +waren dies immer, wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen +Verhältnisse vermutlich etwas weniger ungünstig standen, als dies +heutzutage der Fall ist 3. Die verschiedenen Stämme, die der +Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem Gebot +der Natur und führten und führen zum Teil noch jetzt ein wanderndes +Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinder- oder häufiger noch mit ihren +Roßherden Wohn- und Weideplätze wechselten und ihr Gerät auf +Wagenhäusern sich nachführten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise +richtete sich hiernach: die Bewohner dieser Steppen fochten großenteils +beritten und immer aufgelöst, mit Helm und Panzer von Leder und +lederüberzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und +Bogen - die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprünglich hier +ansässigen Skythen, die mongolischer Rasse und in Sitte und +Körpergestalt den heutigen Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein +scheinen, hatten sich, von Osten nach Westen vorrückend, sarmatische +Stämme nachgeschoben, Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich +für slawischer Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen, +welche man ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und +persischen sich verwandt zeigen und vielleicht jene Völker vielmehr dem +großen Zendstamme angehört haben. In entgegengesetzter Richtung +fluteten thrakische Schwärme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr +gelangten; dazwischen drängten sich, wahrscheinlich als Ausläufer der +großen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht +berührt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst die +Bastarner, an der Donaumündung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat +bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fürsten und +Ältesten für sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz standen +die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen +Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an +diesen Gestaden gegründet worden waren, teils als Emporien, teils als +Stationen für den wichtigen Fischfang und selbst für den Ackerbau, für +welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des Schwarzen +Meeres im Altertum minder ungünstige Verhältnisse darbot, als dies +heutzutage der Fall ist; für die Benutzung des Bodens zahlten hier die +Hellenen, wie die Phöniker in Libyen, den einheimischen Herren Schoß +und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die Freistadt +Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in der +Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften +Verhältnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer +Bürger in mäßigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der +gegenüberliegenden Seite der Halbinsel an der Straße von dem Schwarzen +in das Asowsche Meer Pantikapäon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297) +Roms regiert von erblichen Bürgermeistern, später bosporanische Könige +genannt, den Archäanaktiden, Spartokiden und Pärisaden. Der Getreidebau +und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell zur Blüte +gebracht. Ihr Gebiet umfaßte in der Mithradatischen Zeit noch die +kleinere Osthälfte der Krim mit Einschluß der Stadt Theodosia und auf +dem gegenüberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt Phanagoria und +die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten die Herren von +Pantikapäon zu Lande die Völker an der Ostküste des Asowschen Meeres +und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze Meer +beherrscht; allein Pantikapäon war nicht mehr, was es gewesen war. +Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den +traurigen Rückgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten Zeit +ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der +führenden Macht erfüllte, die allerdings auch den Athenern durch ihren +Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz +der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich +selbst überlassen. Die griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt, +ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, +und Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche +mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische +Verpflichtung überging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen +bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten völlig das Gebot +des Vorteils wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos +vollendeten die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen +Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren +gegenüber gibt uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmündung +bei Očakov), die nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt +zu sein scheint. Die Bürgerschaft muß dem Barbarenkönig nicht bloß +jährlichen Zins an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er +vor der Stadt lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, +in ähnlicher Weise auch geringere Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen +Schwarm der Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr übel, +wenn die Gabe zu geringfügig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott, +und man muß die Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen drängen +draußen vor den Toren sich die Stämme der Wilden: das Gebiet wird +verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das ärgste +ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um +vor dem Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der +ummauerten Stadt sich zu bemächtigen, so daß zahlreiche Bürger dieselbe +verlassen und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben. + +——————————————————————- + +2 Sie sind hier zusammengefaßt, da sie freilich zum Teil erst zwischen +den ersten und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten +Krieg mit Rom fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; +Eutr. 5, 5) und eine Erzählung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal +schlechterdings nicht durchführen läßt. Auch das neu gefundene Dekret +von Chersonesos hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluß gegeben. Danach +ist Diophantos zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden; +aber daß die zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluß des +römischen Senats zu Gunsten der skythischen Fürsten in Verbindung +steht, erhellt aus der Urkunde nicht und ist nicht einmal +wahrscheinlich. + +3 Es hat viele Wahrscheinlichkeit, daß die ungemeine Trockenheit, die +vornehmlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden +überhaupt erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der +Wälder des mittleren und südlichen Rußland, die ehemals bis zu einem +gewissen Grad die Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind +schützten. + +——————————————————————- + +Diese Zustände fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den +Kamm des Kaukasus überschreitend hinabstieg in die Täler des Kuban und +Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich +zeigte. Kein Wunder, daß auch hier überall, wie es schon in Dioskurias +geschehen war, die Hellenen den pontischen König mit offenen Armen +empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch gerüsteten +Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier versäumt +hatte. Den Herren von Pantikapäon waren ebendamals die +Tributforderungen zu unerschwinglicher Höhe gesteigert worden; die +Stadt Chersonesos sah sich von dem König der auf der Halbinsel +hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fünfzig Söhnen hart bedrängt; +gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit +hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht +umsonst. Mithradates’ tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos und +seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvölkern +fertig. Neoptolemos schlug sie in der Straße von Pantikapäon teils zu +Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die +Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmäßig angelegte Festungen +der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie sie +später heißen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den +Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor +seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen +Waffen 4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem +pontischen verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl +griechischer Handelsstädte gegründetes Königreich, das Bosporanische +genannt, das die heutige Krim mit der gegenüberliegenden asiatischen +Landspitze umfaßte und jährlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000 +Scheffel Getreide in die königlichen Kassen und Magazine lieferte. Die +Steppenvölker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumündung +traten wenigstens zum großen Teil in Klientel oder in Vertrag mit dem +pontischen König und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch +wenigstens einen unerschöpflichen Werbeplatz für seine Armeen. + +——————————————————————————— + +4 Das kürzlich aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos für +diesen Diophantos (SIG 252) bestätigt die Überlieferung durchaus. Es +zeigt uns die Stadt in nächster Nähe - den Hafen von Balaklava müssen +die Taurer, Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, +bedrängt teils von den Taurern an der Südküste der Krim, teils und vor +allem von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das +angrenzende Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der +Feldherr des Königs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt +Luft macht die Taurer niederschlägt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg +(wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den +westlichen und den östlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im +Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfürsten Saumakos +überwältigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich sie +mit den Reuxinalern - so heißen hier, wo sie zuerst auftreten, die +späteren Roxolaner - in der großen Feldschlacht besiegt, deren auch die +schriftliche Überlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der +Griechenstadt unter den König scheint nicht stattgefunden zu haben; +Mithradates erscheint nur als schützender Bundesgenosse, der gegen die +als unbesiegbar geltenden (τούς ανυποστάτους δοκούντασ ειμεν) Skythen +für die Griechenstadt die Schlachten schlägt, welche wahrscheinlich zu +ihm ungefähr in dem Verhältnis gestanden hat wie Massalia und Athen zu +Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (υπάκοιοι) des +Mithradates. + +———————————————————————————- + +Während also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der +König zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als die +Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhängigen +Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die +enge Verbindung, in die er mit dem König von Großarmenien trat. Er gab +dem Tigranes nicht bloß seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern +er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstützung Tigranes sich der +Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es +scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein, +daß Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und +die Küsten des Schwarzen Meeres zu besetzen übernahmen unter Zusage +gegenseitiger Unterstützung, und ohne Zweifel war es der tätigere und +fähigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Rücken +zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zu sichern. + +In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke auf das +binnenländische Paphlagonien - die Küste gehörte seit langem zum +Poptischen Reich - und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man +pontischerseits Ansprüche als durch Testament des letzten der +Pylämeniden vermacht an den König Mithradates Euergetes; wogegen +freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das Land selbst +protestierten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen +Herrscher nicht vergessen, daß dies Land und Kappadokien am Meer einst +zusammengehört hatten, und trugen sich fortwährend mit Reunionsideen. +Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König +Nikomedes von Bithynien, mit dem er das Land teilte. Als der Senat +dagegen Einspruch erhob, fügte sich Mithradates demselben, während +Nikomedes einen seiner Söhne mit dem Namen Pylämenes ausstattete und +unter diesem Titel die Landschaft an sich behielt. Noch schlimmere Wege +ging die Politik der Verbündeten in Kappadokien. König Ariarathes VI. +ward ermordet durch Gordios, es hieß im Auftrage, jedenfalls im +Interesse des Schwagers, des Ariarathes Mithradates Eupator; sein +junger Sohn Ariarathes wußte den Übergriffen des Königs von Bithynien +nur zu begegnen vermittels der zweideutigen Hilfe seines Oheims, für +welche dieser dann ihm ansann, dem flüchtig gewordenen Mörder seines +Vaters die Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierüber zum +Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich +gegenüberstanden, begehrte der Oheim zuvor eine Zusammenkunft mit dem +Neffen und stieß dabei den unbewaffneten Jüngling mit eigener Hand +nieder. Gordios, der Mörder des Vaters, übernahm hierauf im Auftrage +Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige Bevölkerung sich +gegen ihn erhob und den jüngeren Sohn des letzten Königs zur Herrschaft +berief, vermochte dieser doch Mithradats überlegenen Streitkräften +keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem +Volke auf den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen König um so +mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch. +Als nomineller Regent ward, ebenwie in Bithynien geschehen war, ein +falscher Ariarathes proklamiert, unter dessen Namen Gordios als +Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. Gewaltiger als seit langem +ein einheimischer Monarch herrschte König Mithradates am nördlichen wie +am südlichen Gestade des Schwarzen Meeres und weit in das innere +Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des Königs für den Krieg zu Lande +und zu Wasser schienen unermeßlich. Sein Werbeplatz reichte von der +Donaumündung bis zum Kaukasus und dem Kaspischen Meer; Thraker, +Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien) +drängten sich unter seine Fahne; vor allem rekrutierte er seine +Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern. Für die Flotte lieferte ihm +die kolchische Satrapie außer Flachs, Hanf, Pech und Wachs das +trefflichste, vom Kaukasus herabgeflößte Bauholz; Steuermänner und +Offiziere wurden in Phönikien und Syrien gedungen. In Kappadokien, hieß +es, sei der König eingerückt mit 600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000 +Mann zu Fuß; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch nicht +aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer +römischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pontische +Flotte, gestützt auf Sinope und die Häfen der Krim, das Schwarze Meer +ausschließlich. + +———————————————————————— + +5 Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu +bestimmen. Um 640 (114) etwa scheint Mithradates Eupator tatsächlich +die Regierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fand 662 (92) +statt (Liv. ep. 70), womit die Berechnung der Mithradatischen Kriege +auf einen Zeitraum von dreißig Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt +(Plin. nat. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen +und kappadokischen Sukzessionshändel, mit denen die von Mithradates, +wie es scheint, in Saturninus’ erstem Tribunat 651 (103) in Rom +versuchte Bestechung (Diod. 631) wahrscheinlich schon zusammenhängt. +Marius, der 655 (99) Rom verließ und nicht lange im Osten verweilte, +traf Mithradates schon in Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen +seiner Übergriffe (Cic. Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war +also damals schon ermordet. + +——————————————————————— + +Daß der römische Senat seine allgemeine Politik, die mehr oder minder +von ihm abhängigen Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen +geltend machte, beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem +plötzlichen Tode Mithradates V. Dem unmündigen Knaben, der ihm folgte, +wurde das dem Vater für seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos +oder vielmehr für sein gutes Geld verliehene Großphrygien genommen und +diese Landschaft dem unmittelbar römischen Gebiet hinzugefügt 6. Aber +nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe +Senat gegen dessen allseitige Übergriffe und gegen diese imposante +Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjährigen +Zeitraum ausfüllt, völlige Passivität. Er ließ es geschehen, daß einer +seiner Klientelstaaten sich militärisch zu einer Großmacht entwickelte, +die über hunderttausend Bewaffnete gebot; daß er in die engste +Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die Spitze +der innerasiatischen Staaten gestellten Großkönig des Ostens; daß er +die benachbarten asiatischen Königreiche und Fürstentümer unter +Vorwänden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und +weit entfernte Schutzmacht klangen; daß er endlich sogar in Europa sich +festsetzte und als König auf der Taurischen Halbinsel, als Schutzherr +fast bis an die makedonisch-thrakische Grenze gebot. Wohl ward über +diese Verhältnisse im Senat verhandelt; aber wenn das hohe Kollegium +sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schließlich dabei +beruhigte, daß Nikomedes sich auf seinen falschen Pylämenes berief, so +war dasselbe offenbar nicht so sehr getäuscht als dankbar für jeden +Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte. Inzwischen +wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die Fürsten +der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdrängt hatte, +wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der +traditionellen Maximen der römischen Politik gedachte, mußte sich +erinnern, daß einst unter so ganz anderen Verhältnissen der Übergang +des Königs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen +Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg +geworden war, und mußte begreifen, daß die Besetzung des taurischen +durch den pontischen König jetzt noch viel weniger geduldet werden +konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Königreichs +Kappadokien, wegen welcher überdies Nikomedes von Bithymen, der auch +seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in +Besitz zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten +den seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die +römische Regierung zur Intervention zu drängen. Der Senat beschloß, daß +Mithradates die skythischen Fürsten wiedereinzusetzen habe - so weit +war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen +Politik gedrängt, daß man jetzt, statt die Hellenen gegen die Barbaren, +umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute unterstützen mußte. +Paphlagonien wurde abhängig erklärt und der falsche Pylämenes des +Nikomedes angewiesen, das Land zu räumen. Ebenso sollte der falsche +Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen und, da die +Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, durch freie +Volkswahl ihm wiederum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen +energisch genug; nur war es übel, daß man, statt ein Heer zu senden, +den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit der Handvoll Leute, die +er daselbst gegen die Räuber und Piraten kommandierte, anwies, in +Kappadokien zu intervenieren. Zum Glück vertrat im Osten die Erinnerung +an die ehemalige Energie der Römer besser ihr Interesse als ihr +gegenwärtiges Regiment und ergänzte die Energie und Gewandtheit des +Statthalters, was der Senat an beiden vermissen ließ. Mithradates hielt +sich zurück und begnügte sich, den Großkönig Tigranes von Armenien, der +den Römern gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu +veranlassen, Truppen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine +Mannschaft und die Zuzüge der asiatischen Bundesgenossen zusammen, +überstieg den Taurus und schlug den Statthalter Gordios samt seinen +armenischen Hilfstruppen aus Kappadokien hinaus. Dies wirkte. +Mithradates gab in allen Stücken nach; Gordios mußte die Schuld der +kappadokischen Wirren auf sich nehmen und der falsche Ariarathes +verschwand; die Königswahl, die der pontische Anhang vergebens auf +Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den angesehenen Kappadokier +Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner Expedition in die Gegend des +Euphrat gelangte, in dessen Wellen damals zuerst römische Feldzeichen +sich spiegelten, fand bei dieser Gelegenheit auch die erste Berührung +statt zwischen den Römern und den Parthern, welche letztere infolge der +Spannung zwischen ihnen und Tigranes Ursache hatten, den Römern sich zu +nähern. Beiderseits schien man zu fühlen, daß etwas darauf ankam bei +dieser ersten Berührung der beiden Großmächte des Westens und des +Ostens, dem Anspruch auf die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben; +aber Sulla, kecker als der parthische Bote, nahm und behauptete in der +Zusammenkunft den Ehrenplatz zwischen dem König von Kappadokien und dem +parthischen Abgesandten. Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte +Sullas Ruhm sich durch diese vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der +parthische Gesandte büßte später seinem Herrn dafür mit dem Kopfe. +Indes für den Augenblick hatte diese Berührung keine weitere Folge. +Nikomedes unterließ es im Vertrauen auf die Gunst der Römer, +Paphlagonien zu räumen; aber die gegen Mithradates gefaßten +Senatsbeschlüsse wurden ferner vollzogen, die Wiederherstellung der +skythischen Häuptlinge von ihm wenigstens zugesagt; der frühere Status +quo im Osten schien wiederhergestellt (662 92). + +———————————————————————- + +6 Ein vor kurzem in dem Dorfe Aresli südlich von Synnada gefundener +Senatsbeschluß vom Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus +Romanus usus sit, S. 51) bestätigt sämtliche, von dem König bis zu +seinem Tode getroffenen Anordnungen und zeigt also, daß Großphrygien +nach dem Tode des Vaters nicht bloß dem Sohn genommen ward, was auch +Appian berichtet, sondern damit geradezu unter römische Botmäßigkeit +kam. + +————————————————————————- + +So hieß es; in der Tat war von einer ernstlichen Zurückführung der +früheren Ordnung der Dinge wenig zu verspüren. Kaum hatte Sulla Asien +verlassen, als König Tigranes von Großarmenien über den neuen König von +Kappadokien, Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle +den pontischen Prätendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, +wo nach dem Tode des alten Königs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn +Nikomedes III. Philopator vom Volk und vom römischen Senat als +rechtmäßiger König anerkannt worden war. trat dessen jüngerer Bruder +Sokrates als Kronprätendent auf und bemächtigte sich der Herrschaft. Es +war klar, daß der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der +bithynischen Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich +jeder offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wußte, daß Tigranes +nur handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit +pontischen Truppen eingerückt und des rechtmäßigen Königs Leben durch +Mithradates’ Meuchelmörder bedroht. In der Krim gar und den +benachbarten Landschaften dachte der pontische König nicht daran +zurückzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter. + +Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und Nikomedes +persönlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur +Unterstützung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular +Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg +erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer +Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten +und namentlich den Mithradates an, nötigenfalls mit gewaffneter Hand +Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische +Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen +römischen Korps, über das der Statthalter der Provinz Asia verfügte, +und des Aufgebots der Phryger und der Galater; König Nikomedes und +König Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne; +Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewähren, unter +verschiedenen Vorwänden, allein er leistete nicht bloß den Römern +keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Prätendent Sokrates +wurde sogar auf sein Geheiß getötet (664 90). + +Es war eine sonderbare Verwicklung. Mithradates war vollkommen +überzeugt, gegen die Römer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu +können und es nicht zum offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen +lassen zu dürfen. Wäre er nicht also entschlossen gewesen, so fand sich +kein günstigerer Augenblick, den Kampf zu beginnen, als der +gegenwärtige: eben damals, als Aquillius in Bithymen und Kappadokien +einrückte, stand die italische Insurrektion auf dem Höhepunkt ihrer +Macht und konnte selbst den Schwachen Mut machen, gegen Rom sich zu +erklären; dennoch ließ Mithradates das Jahr 664 (90) ungenutzt +verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er so zäh wie rührig +seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung +der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der Eroberung war +allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue, daß Mithradates +nicht zu den Staatsmännern rechter Art gehörte und weder zum Kampf zu +rüsten wußte wie König Philippos noch sich zu fügen wie König Attalos, +sondern in echter Sultansart ewig hin- und hergezogen ward zwischen +begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefühl seiner eigenen Schwäche. +Aber auch so läßt sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich +erinnert, daß Mithradates in zwanzigjähriger Erfahrung die damalige +römische Politik kennengelernt hatte. Er wußte sehr genau, daß die +römische Regierung nichts weniger als kriegslustig war, ja daß sie, im +Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder berühmte General ihrer +Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung an den Kimbrischen Krieg +und Marius, den Krieg womöglich noch mehr fürchtete als er selbst. +Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, in einer Weise +aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch egoistische +Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlaß zur +Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er vermied sorgfältig den +offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu versetzt hätte. +Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius; +er hoffte unzweifelhaft darauf, daß nicht immer energische Feldherren +ihm gegenüberstehen, daß auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus +und Albinus treffen würde. Es muß zugestanden werden, daß diese +Hoffnung nicht unverständig war, obwohl freilich eben Jugurthas +Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt es war, die Bestechung +eines römischen Heerführers und die Korruption einer römischen Armee +mit der Überwindung des römischen Volkes zu verwechseln. So standen die +Dinge zwischen Frieden und Krieg und ließen ganz dazu an, noch lange +sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber dies zuzulassen war +Aquillius’ Absicht nicht, und da er seine Regierung nicht zwingen +konnte, Mithradates den Krieg zu erklären, so bediente er sich dazu des +Königs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des römischen Feldherrn +gegeben und überdies noch für die abgelaufenen Kriegskosten und die dem +Feldherrn persönlich zugesicherten Summen sein Schuldner, konnte sich +dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg zu beginnen, nicht +entziehen. Die bithynische Kriegserklärung erfolgte; aber selbst als +Nikomedes’ Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten, seine Truppen +in die pontischen Grenzdistrikte einrückten und die Gegend von Amastris +brandschatzten, blieb Mithradates noch unerschüttert bei seiner +Friedenspolitik; statt die Bithyner über die Grenze zu werfen, führte +er Klage bei der römischen Gesandtschaft und bat dieselbe, entweder +vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung gestatten zu wollen. Allein +er ward von Aquillius dahin beschieden, daß er unter allen Umständen +sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war +deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet; +man ließ das Schlachtopfer von der römischen Meute überfallen und +verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch Mithradates erachtete +sich verloren, ebenwie die Karthager es getan hatten; aber wenn die +Phöniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat dagegen der König von +Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und Schiffe zusammen - +“Wehrt nicht”, so soll er gesagt haben, “auch wer unterliegen muß, +dennoch sich gegen den Räuber?” Sein Sohn Ariobarzanes erhielt Befehl, +in Kappadokien einzurücken; es ging noch einmal eine Botschaft an die +römischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, wozu die Notwehr den König +gezwungen habe, und eine letzte Erklärung von ihnen zu fordern. Sie +lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der römische Senat noch +König Mithradates noch König Nikomedes den Bruch gewollt hatten, +Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80). + +Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und +militärischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor +allen Dingen knüpfte er das Bündnis mit König Tigranes von Armenien +fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das in +Vorderasien einrücken und Grund und Boden daselbst für König +Mithradates, die bewegliche Habe für König Tigranes in Besitz nehmen +sollte. Der parthische König, verletzt durch das stolze Verhalten +Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als +Bundesgenosse der Römer auf. Den Griechen war der König bemüht, sich in +der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der griechischen +Nation gegen die römische Fremdherrschaft darzustellen. Pontische +Gesandte gingen an den König von Ägypten und an den letzten Überrest +des freien Griechenlands, den kretensischen Städtebund, und beschworen +sie, für die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt im letzten +Augenblick einzustehen für die Rettung der hellenischen Nationalität; +es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich, und zahlreiche +Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man hoffte auf die +sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten Schutzstaaten, +Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die Empörung der +Provinzen, vor allem des maßlos gedrückten Vorderasiens. Man arbeitete +an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der Insurgierung +Makedoniens. Die schon vorher blühende Piraterie wurde jetzt als +willkommene Bundesgenossin überall entfesselt, und mit furchtbarer +Raschheit erfüllten bald Korsarengeschwader, pontische Kaper sich +nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung und Freude +die Kunde von den Gärungen innerhalb der römischen Bürgerschaft und von +der zwar überwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrückten +italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes mit den +Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde in +Asien ein römisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps gebildet, +dessen Kern römische und italische Flüchtlinge waren. Streitkräfte +gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen in Asien nicht +gesehen worden. Die Angaben, daß er, das armenische Hilfsheer +ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuß und 40 000 Reitern das Feld nahm, +daß 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen +nicht allzu übertrieben bei einem Kriegsherrn, der über die zahllosen +Steppenbewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die Brüder +Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige griechische +Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte es nicht an +tapferen todverachtenden Männern, und die gold- und silberblinkenden +Rüstungen und reichen Gewänder der Skythen und Meder mischten sich +lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen. Ein +einheitlicher militärischer Organismus freilich hielt diese +buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates +war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, +wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia +einer höheren militärischen Organisation unterlegen waren; immer aber +stand doch der Osten gegen die Römer in Waffen, während auch in der +westlichen Hälfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So +sehr es an sich für Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates +den Krieg zu erklären, so war doch gerade dieser Augenblick so übel +gewählt wie möglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr +wahrscheinlich, daß Manius Aquillius zunächst aus Rücksichten auf seine +eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben jetzt +herbeigeführt hat. Für den Augenblick hatte man in Asien keine anderen +Truppen zur Verfügung als die kleine römische Abteilung unter Lucius +Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der militärischen +und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge des +Insurrektionskrieges befand, konnte eine römische Armee im günstigsten +Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis dahin hatten +die römischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes hoffte man, +die römische Provinz decken und sich behaupten zu können, wo man stand: +das bithynische Heer unter König Nikomedes in seiner im vorigen Jahr +eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet zwischen Amastris und +Sinope, weiter rückwärts in der bithynischen, galatischen, +kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter Lucius Cassius, Manius +Aquillius, Quintus Oppius, während die bithynisch-römische Flotte +fortfuhr, den Bosporus zu sperren. + +Mit dem Beginn des Frühjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die +Offensive. An einem Nebenfluß des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen +Tesch köpri), stieß der pontische Vortrab, Reiterei und +Leichtbewaffnete, auf die bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz +ihrer sehr überlegenen Zahl im ersten Anlauf so vollständig +auseinander, daß das geschlagene Heer sich auflöste und Lager und +Kriegskasse den Siegern in die Hände fielen. Es waren hauptsächlich +Neoptolemos und Archelaos, denen der König diesen glänzenden Erfolg +verdankte. Die weiter zurückstehenden, noch viel schlechteren +asiatischen Milizen gaben hierauf sich überwunden, noch ehe sie mit dem +Feinde zusammenstießen; wo Mithradates’ Feldherren sich ihnen näherten, +stoben sie auseinander. Eine römische Abteilung ward in Kappadokien +geschlagen; Cassius suchte in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu +halten, allein er entließ ihn wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen +zu mögen, und warf sich mit seinen wenigen zuverlässigen Leuten in die +Ortschaften am oberen Mäander, namentlich nach Apameia; Oppius räumte +in gleicher Weise Pamphylien und schloß in dem phrygischen Laodikeia +sich ein; Aquillius ward im Zurückweichen am Sangarios im bithynischen +Gebiet eingeholt und so vollständig geschlagen, daß er sein Lager +verlor und sich in die römische Provinz nach Pergamon retten mußte; +bald war auch diese überschwemmt und Pergamon selbst in den Händen des +Königs, ebenso der Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach +jedem Sieg hatte Mithradates sämtliche Gefangene der kleinasiatischen +Miliz entlassen und nichts versäumt, die von Anfang an ihm zugewandten +nationalen Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis +zum Mäander mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich +erfuhr man, daß in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, daß der gegen +Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich +einzuschiffen, gegen Rom marschiert sei, daß die gefeiertsten römischen +Generale sich untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem +der Oberbefehl im Asiatischen Kriege gebühre. Rom schien eifrigst +bemüht, sich selber zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, daß, +wenngleich Minoritäten auch jetzt noch überall zu Rom hielten, doch die +große Masse der Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die +Asiaten vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es +ward üblich, den König, in dem wie in dem göttlichen Indersieger Asien +und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen +des neuen Dionysos. Die Städte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm +Boten entgegen, “den rettenden Gott” zu sich einzuladen, und festlich +gekleidet strömte die Bürgerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen. +Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden römischen Offiziere +gebunden an den König ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt +Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7. +Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine +Macht bekommt, entlud sich über den unglücklichen Urheber des Krieges. +Bald zu Fuß an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, bald +auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der +bejahrte Mann durch ganz Kleinasien geführt und, als endlich das arme +Schaustück wieder am königlichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl +des Königs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlaßt habe, +zu sättigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, daß er unter +Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, der +allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der +adligen Männer. Von Ephesos aus erließ König Mithradates an alle von +ihm abhängigen Statthalter und Städte den Befehl, an einem und +demselben Tage sämtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker, +Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters zu +töten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung +behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Vögeln zum Fraß +hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Hälfte an die Mörder, zur +Hälfte an den König abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit +Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, pünktlich +vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfünfzigtausend +wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit +kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle +Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu +entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische +Schergenwillfährigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das +vergleichungsweise edle Gefühl der Rache. Politisch war diese Maßregel +nicht bloß ohne jeden vernünftigen Zweck - denn der finanzielle ließ +auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten waren +selbst durch das Bewußtsein der ärgsten Blutschuld nicht zum +kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem sie +einerseits den römischen Senat, soweit er irgend noch der Energie fähig +war, zur ernstlichen Kriegführung zwang, andererseits nicht bloß die +Römer traf, sondern ebensogut des Königs natürliche Bundesgenossen, die +nichtrömischen Italiker. Es ist dieser ephesische Mordbefehl durchaus +nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden Rache, welcher nur +durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der Sultanismus +auftritt, einen falschen Schein von Großartigkeit erhält. + +—————————————————————————- + +7 Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf +fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithradates’ +Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab. + +—————————————————————————- + +Überhaupt ging des Königs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den +Krieg begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des +gefürchteten Sulla ließen ihn übergehen zu den hochfahrendsten +Hoffnungen. Er richtete sich häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des +römischen Statthalters, Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte +Reich von Sinope wurde als Statthalterschaft an des Königs Sohn +Mithradates zur Verwaltung übergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen +wurden organisiert als pontische Satrapien. Die Großen des Reichs und +des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und +sämtlichen Gemeinden nicht bloß die rückständigen Steuern erlassen, +sondern auch Steuerfreiheit auf fünf Jahre zugesichert - eine Maßregel, +die ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Römer, wenn der König +dadurch sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. + +Freilich füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die +unermeßlichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und anderen +Konfiskationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente +(1250000 Taler), welche die Juden dort deponiert hatten, von +Mithradates weggenommen wurden. Der nördliche Teil von Kleinasien und +die meisten dazu gehörigen Inseln waren in des Königs Gewalt; außer +einigen kleinen paphlagonischen Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, +der noch zu Rom hielt; das gesamte Ägäische Meer ward beherrscht von +seinen Flotten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von Karien und +Lykien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar +Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand +glücklich eine schwere Belagerung, bei welcher Mithradates’ tüchtigster +Offizier Archelaos geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der +Zufluchtsort der aus Asien entkommenen Römer, unter ihnen des +Statthalters Lucius Cassius, wurde von Mithradates zu Wasser und zu +Lande mit ungeheurer Übermacht angegriffen. Aber seine Seeleute, so +mutig sie unter den Augen des Königs ihre Pflicht taten, waren +ungeschickte Neulinge, und es kam vor, daß rhodische Geschwader +vielfach stärkere pontische überwanden und mit erbeuteten Schiffen +heimkehrten. Auch zu Lande rückte die Belagerung nicht vor; nachdem ein +Teil der Arbeiten zerstört worden war, gab Mithradates das Unternehmen +auf und die wichtige Insel sowie das gegenüberliegende Festland blieben +in den Händen der Römer. + +Aber nicht bloß die asiatische Provinz wurde, hauptsächlich infolge der +zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast +unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon +den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten +die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfälle mit +auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664, +665 (90, 89) überrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und +plünderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, daß damit +noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Prätendenten auf den +makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen. +Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern +unterhielt, war all diesen Vorgängen schwerlich fremd. Zwar erwehrte +sich der Prätor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten +dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, daß ihm +mächtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen +Erfolgen, den kühnen Entschluß gefaßt, wie Antiochos den Krieg um die +Herrschaft über Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und +zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein +Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte +Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische +Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstützpunkte der +pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, geführt von +Mithradates’ bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Ägäischen Meer, wo +kaum ein römisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des +römischen Handels in diesen Gewässern, ward besetzt und bei 20000 +Menschen, größtenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euböa erlitt +ein gleiches Schicksal; bald waren östlich vom Malfischen Vorgebirg +alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum Angriff auf das +Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische Flotte von Euböa +aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius Sura, der +tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit seiner +Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und besetzte +sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, daß der +Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier wirkte +Mithradates nicht bloß mit den Waffen, sondern zugleich mit der +nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser +Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks +ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Günstling +Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetäros, der durch die glänzende +Karriere, die er bei Hof gemacht, den Pöbel zu blenden und ihm mit +Aplomb zu versichern verstand, daß aus dem seit beiläufig sechzig +Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe für Mithradates schon +unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht, +daß die wenigen Verständigen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und +ein paar toll gewordene Literaten den Römern förmlich absagten. So ward +aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestützt auf seine +pontische Söldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus +dem Peiräeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen auf +dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen +Freistaaten ihnen zu: Achäer, Lakonen, Böoter, bis hinauf nach +Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstärkung +herangezogen hatte, rückte in Böotien ein, um dem belagerten Thespiä +Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chäroneia in dreitägigen +Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie führten zu keiner +Entscheidung und Sura mußte zurückgehen, als die pontischen +Verstärkungen aus dem Peloponnes sich näherten (Ende 666, Anfang 667 +88, 87). + +So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daß eine +Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, einen +Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals +bereits verloren und der König wies das Ansinnen zurück. + +Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu werden. +Kleinasien und Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in +Feindeshand; auf der See herrschte ohne Nebenbuhler die pontische +Flagge. Dazu kam die italische Insurrektion, die, im ganzen zu Boden +geschlagen, immer noch in weiten Gebieten Italiens unbestritten die +Herrschaft führte; dazu die kaum beschwichtigte Revolution, die jeden +Augenblick drohte, wiederum und furchtbarer emporzulodern; dazu endlich +die durch die inneren Unruhen in Italien und die ungeheuren Verluste +der asiatischen Kapitalisten hervorgerufene fürchterliche Handels- und +Geldkrise und der Mangel an zuverlässigen Truppen. Die Regierung hätte +dreier Armeen bedurft, um in Rom die Revolution niederzuhalten, in +Italien die Insurrektion völlig zu ersticken und in Asien Krieg zu +führen; sie hatte eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war +unter dem unzuverlässigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit +mehr. Die Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied +sich, wie wir sahen, für den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes, +man darf vielleicht sagen eine große patriotische Tat, daß in diesem +Konflikt des allgemeinen vaterländischen und des besonderen +Parteiinteresses das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der +Gefahren, die seine Entfernung aus Italien für seine Verfassung und für +seine Partei nach sich zog, dennoch im Frühling 667 (87) landete an der +Küste von Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst römische Oberfeldherrn +im Osten aufzutreten pflegten. Daß sein Heer von fünf Legionen oder +höchstens 30000 Mann 8 wenig stärker war als eine gewöhnliche +Konsulararmee, war das wenigste. Sonst hatte in den östlichen Kriegen +eine römische Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See +beherrscht; Sulla, gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des +Ägäischen Meeres wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. +Sonst hatte der Feldherr eine volle Kasse mit sich geführt und den +größten Teil seiner Bedürfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; +Sulla kam mit leeren Händen - denn die für den Feldzug von 666 (88) mit +Not flüssig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah +sich ausschließlich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der +Feldherr seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und +hatten dem Landesfeind gegenüber seit der Beendigung des Ständekampfes +die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter +Mithradates’ Feldzeichen fochten namhafte römische Männer, große +Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Bündnis zu treten, und es +war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das rühmliche +Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand +halten werde, solange er gegen den asiatischen König focht. Aber der +rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war +nicht gewohnt, vor Erledigung der nächsten Aufgabe um die ferneren +Gefahren sich zu bekümmern. Da seine an den König gerichteten +Friedensanträge, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des +Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rückte +er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Häfen bis nach Böotien +vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde, +Archelaos und Aristion, und bemächtigte sich nach diesem Siege fast +ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der +Festung Athen und des Peiräeus, wohin Aristion und Archelaos sich +geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen mißlang. Eine +römische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien und +streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte vor +Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euböa stehende +feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis +und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte +und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die +hellenischen Städte, wie immer von der nächsten Furcht regiert, +unterwarfen sich den Römern auf jede Bedingung und waren froh, wenn sie +mit Lieferungen von Vorräten und Mannschaft und mit Geldbußen schwerere +Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen in +Attika vonstatten. Sulla sah sich genötigt, in aller Form das schwere +Belagerungszeug zu rüsten, wozu die Bäume der Akademie und des Lykeion +das Holz liefern mußten. Archelaos leitete die Verteidigung ebenso +kräftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, schlug +also verstärkt die Angriffe der Römer mit überlegener Macht ab und +machte häufige und nicht selten glückliche Ausfälle. Zwar die zum +Entsatz herbeirückende pontische Armee des Dromichätes ward unter den +Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer +Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Römern +geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von +Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv +festgesetzt hatten, kam reichliche und regelmäßige Zufuhr zur See, die +Sulla nicht imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen +gingen zwar die Vorräte auf die Neige, doch konnte bei der Nähe der +beiden Festungen Archelaos mehrfache Versuche machen, +Getreidetransporte nach Athen zu werfen, die nicht alle mißlangen. So +verfloß in peinlicher Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie +die Jahreszeit es erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestüm auf den +Peiräeus; in der Tat gelang es, durch Geschütze und Minen einen Teil +der gewaltigen Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort +schritten die Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er +wiederholt ward, fanden sich hinter den eingestürzten Mauerteilen +halbmondförmige Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden +sich von drei Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla +hob darauf die Belagerung auf und begnügte sich mit einer Blockade. In +Athen waren inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die +Besatzung versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla +wies ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, daß er nicht als +Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte +Unterwerfung annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal +dann ihm bevorstand, damit zögerte, wurden die Leitern angelegt und die +kaum noch verteidigte Stadt erstürmt (1. März 668 86). Aristion warf +sich in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der römische +Feldherr ließ die Soldateska in der eroberten Stadt morden und plündern +und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls hinrichten; die Stadt +selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar +das wichtige Delos zurück und ward also noch einmal gerettet durch ihre +herrlichen Toten. + +—————————————————————————— + +8 Man muß sich erinnern, daß seit dem Bundesgenossenkrieg auf die +Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet ist, +mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem. + +——————————————————————————- + +Über den Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes +Sullas Lage blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als +ein Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt +vorwärtsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner +Anstrengungen, während Asien gänzlich sich selbst überlassen, die +Eroberung Makedoniens von Mithradates’ Statthaltern kürzlich durch die +Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich +immer deutlicher - war es nicht bloß unmöglich, die Verbindungen und +die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu +sichern, sondern auch nur den Peiräeus, geschweige denn Asien und die +Inseln wiederzugewinnen; und doch ließ sich nicht absehen, wie man zu +Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte +Sulla einen seiner fähigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius +Licinius Lucullus, in die östlichen Gewässer entsandt, um dort +womöglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von +den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief +Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote +aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten +Schiffen den Feind täuschend, gelangte er über Kreta und Kyrene nach +Alexandreia; allein der ägyptische Hof schlug die Bitte um +Unterstützung mit Kriegsschiffen ebenso höflich wie entschieden ab. +Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des +römischen Staats, der einst das Angebot der Könige von Ägypten, mit +ihrer ganzen Seemacht den Römern beizustehen, dankbar abzulehnen +vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmännern +schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedrängnis; +schon hatte Sulla die Schatzhäuser des Olympischen Zeus, des +Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren müssen, wofür +die Götter entschädigt wurden durch die zur Straße eingezogene +Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese +militärische und finanzielle Verlegenheit war der Rückschlag der +politischen Umwälzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame +Vollendung die ärgsten Befürchtungen weit hinter sich gelassen hatte. +Die Revolution führte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war +abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen +Konsul Lucius Valerius Flaccus übertragen worden, den man täglich in +Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an +Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was ließ +sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt +und geächtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der +Krieg gegen den zähen seemächtigen Gegner aussichtslos sich hinspann! + +König Mithradates übernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen Lage +zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem +seiner Generale mißbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind +fördersamst zu überwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes aus +Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu +bekämpfen; nur der plötzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am +Tisäischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals +rückgängig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86), +das in Thessalien stehende römische Korps vor sich hertreibend, mit +einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuß und 10000 Reitern an den +Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichätes. Auch Archelaos räumte +- es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch Befehle +seines Herrn - den Peiräeus erst teilweise, sodann ganz und stieß in +Böotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der Peiräeus mit +all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl zerstört worden +war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung, vor dem Eintreffen +des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu können. Vergeblich riet +Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die See und die +Küsten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst unter Dareios und +Antiochos, so stürzten auch jetzt die Massen der Orientalen, wie +geängstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und blindlings in den +Kampf; und törichter als je war dies hier angewandt, wo die Asiaten +vielleicht nur einige Monate hätten warten dürfen, um bei einer +Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben. In der +Ebene des Kephissos unweit Chäroneia im März 668 (86) trafen die Heere +aufeinander. Selbst mit Einschluß der aus Thessalien zurückgedrängten +Abteilung, der es geglückt war, ihre Verbindung mit der römischen +Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluß der griechischen +Kontingente fand sich das römische Heer einem dreifach stärkeren Feind +gegenüber und namentlich einer weit überlegenen und bei der +Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefährlichen Reiterei, gegen die +Sulla seine Flanken durch verschanzte Gräben zu decken nötig fand, +sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen +zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen +ließ. Als die Streitwagen den Kampf zu eröffnen heranrollten, zog sich +das erste Treffen der Römer hinter diese Pfahlreihe zurück; die Wagen, +an ihr abprallend und gescheucht durch die römischen Schleuderer und +Schützen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung +sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen +Flüchtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken +herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein +Fußvolk wieder zu ordnen; sie griff mit großem Feuer an und durchbrach +die römischen Reihen; allein die römische Infanterie formierte sich +rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie +anstürmenden Reitern mutig stand. Inzwischen führte Sulla selbst auf +dem rechten Flügel seine Reiterei in die entblößte Flanke des Feindes; +die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum Schlagen gekommen +zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die Reitermassen. Ein +allgemeiner Angriff des römischen Fußvolks, das durch die schwankende +Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft bekam, entschied den Sieg. +Die Schließung der Lagertore, die Archelaos anordnete, um die Flucht zu +hemmen, bewirkte nur, daß das Blutbad um so größer ward und, als die +Tore endlich sich auftaten, die Römer mit den Asiaten zugleich +eindrangen. Nicht den zwölften. Mann soll Archelaos nach Chalkis +gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den Euripos; den schmalen +Meeresarm zu überschreiten war er nicht imstande. + +Es war ein großer Sieg, aber die Resultate waren geringfügig, was wegen +des Mangels einer Flotte, teils weil der römische Sieger sich genötigt +sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunächst vor seinen Landsleuten +sich zu schützen. Die See war noch immer ausschließlich bedeckt von den +pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich vom Malfischen +Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von Chäroneia setzte +Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte einen Versuch, auf +dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen in der Tat Lucius +Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne unterwegs +durch Stürme und durch die im Adriatischen Meer kreuzenden feindlichen +Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen seine +Truppen in Thessalien; dorthin zunächst mußte Sulla sich wenden. Bei +Melitäa am nördlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide +römischen Heere sich gegenüber; ein Zusammenstoß schien unvermeidlich. +Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeugen, +daß Sullas Soldaten keineswegs geneigt war ihren siegreichen Führer an +den gänzlich unbekannten demokratischen Oberfeldherrn zu verraten, daß +vielmehr seine eigene Vorhut anfing, in das Sullanische Lager zu +desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner Hinsicht gewachsen +war, und brach auf gegen Norden, um durch Makedonien und Thrakien nach +Asien zu gelangen und dort durch Überwältigung Mithradats sich den Weg +zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Daß Sulla den schwächeren Gegner +ungehindert abziehen ließ und, statt ihm zu folgen, vielmehr zurück +nach Athen ging, wo er den Winter 668/69 (86/85) verweilt zu haben +scheint, ist militärisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man +annehmen, daß auch hier politische Beweggründe ihn leiteten und er +gemäßigt und + +Patriotisch genug dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den +Asiaten zu tun hatte, gern einen Sieg über die Landsleute zu vermeiden +und die erträglichste Lösung der leidigen Verwicklung darin zu finden, +wenn die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit +dem gemeinschaftlichen Feinde stritt. + +Mit dem Frühling 669 (85) gab es in Europa wieder neue Arbeit. +Mithradates, der in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte, +hatte eine, der bei Chäroneia aufgeriebenen an Zahl nicht viel +nachstehende Armee unter Dorylaos nach Euböa gesandt; von dort war +dieselbe in Verbindung mit den Überbleibseln der Armee des Archelaos +über den Euripos nach Böotien gegangen. Der pontische König, der in den +Siegen über die bithynische und die kappadokische Miliz den Maßstab +fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die ungünstige +Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon flüsterten die +Kreise der Höflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war +gegeben, mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und +nun unfehlbar die Römer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo +nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der +Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Römer und die +Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf +sich ungestüm auf das römische Fußvolk, das zu schwanken und zu weichen +begann; die Gefahr ward so dringend, daß Sulla ein Feldzeichen ergriff +und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind vorgehend mit +lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie +ihren Feldherrn im Stich gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei +Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und überwältigten +die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit leichter Mühe +geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der Asiaten umstellt +und erstürmt; der weitaus größte Teil derselben fiel oder kam in den +Kopaischen Sümpfen um; nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten +nach Euböa. Die böotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von +Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu büßen. Dem Einmarsch in +Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: Philippi ward besetzt, +Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig geräumt, überhaupt das +europäische Festland von den Feinden gesäubert. Am Ende des dritten +Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla Winterquartiere in Thessalien +beziehen, um im Frühjahr 670 (84) 9 den asiatischen Feldzug zu +beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in den thessalischen Häfen +Schiffe zu bauen. + +————————————————————- + +9 Die Chronologie dieser Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten +überhaupt, in einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur +Dämmerung zu zerstreuen vermag. Daß die Schlacht von Chäroneia, wenn +auch nicht an demselben Tage wie die Erstürmung von Athen (Paus. 1, +20), doch bald nachher, etwa im März 668 (86), stattfand, ist ziemlich +sicher. Daß die darauf folgende thessalische und die zweite böotische +Kampagne nicht bloß den Rest des Jahres 668 (86), sondern auch das +ganze Jahr 669 (85) in Anspruch nahmen, ist an sich wahrscheinlich und +wird es noch mehr dadurch, daß Sullas Unternehmungen in Asien nicht +genügen, um mehr als einen Feldzug auszufüllen. Auch scheint Licinianus +anzudeuten, daß Sulla für den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen +zurückging und hier die Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf +dann die Schlacht von Orchomenos erzählt wird. Darum ist der Übergang +Sullas nach Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden. + +—————————————————————— + +Inzwischen hatten auch die kleinasiatischen Verhältnisse sich +wesentlich geändert. Wenn König Mithradates einst aufgetreten war als +der Befreier der Hellenen, wenn er mit Förderung der städtischen +Unabhängigkeit und mit Steuererlassen seine Herrschaft eingeleitet +hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur zu rasch und nur zu bitter +die Enttäuschung gefolgt. Sehr bald war er in seinem wahren Charakter +hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei der römischen Vögte weit +überbietende Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar die geduldigen +Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff dagegen +wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen verliehen den +zugewandten Ortschaften die Selbständigkeit, den Insassen das +Bürgerrecht, den Schuldnern vollen Schuldenerlaß, den Besitzlosen +Äcker, den Sklaven die Freiheit; an 15000 solcher freigelassener +Sklaven fochten im Heer des Archelaos. Die fürchterlichsten Szenen +waren die Folge dieser von oben herab erfolgenden Umwälzung aller +bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten Kaufstädte, Smyrna, Kolophon, +Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den Vögten des Königs die Tore +oder brachten sie um und erklärten sich für Rom ^10. Dagegen ließ der +königliche Vogt Diodoros, ein namhafter Philosoph wie Aristion, von +anderer Schule, aber gleich brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei, +im Auftrag seines Herrn den gesamten Stadtrat von Adramytion +niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung zu Rom verdächtig schienen, +wurden zunächst um 2000 Talente (3150000 Taler) gebüßt und, da die +Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf Schiffe gesetzt und +gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen Sklaven, an die kolchische Küste +deportiert, während ihre Insel mit pontischen Kolonisten besetzt ward. +Die Häuptlinge der kleinasiatischen Kelten befahl der König sämtlich an +einem Tage mit ihren Weibern und Kindern umzubringen und Galatien in +eine pontische Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle +wurden auch entweder an Mithradates’ eigenem Hoflager oder im +galatischen Lande vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen stellten +sich an die Spitze ihrer kräftigen Stämme und schlugen den Statthalter +des Königs, Eumachos, aus ihren Grenzen hinaus. Daß diesen König die +Dolche der Mörder verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen +wurden als in solche Komplotte verwickelt von den königlichen +Untersuchungsgerichten zum Tode verurteilt. + +———————————————————————- + +^10 Es ist kürzlich (Waddington, Zusätze zu Lebas, 3, 136a) der +desfällige Beschluß der Bürgerschaft von Ephesos aufgefunden worden. +Sie seien, erklären die Bürger, in die Gewalt des “Königs von +Kappadokien” Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner +Streitkräfte und die Plötzlichkeit seines Angriffs; wie aber die +Gelegenheit dazu sich darbiete, erklärten sie “für die Herrschaft +(ηγεμονία) der Römer und die gemeine Freiheit” ihm den Krieg. + +——————————————————————— + +Wenn also der König durch dies selbstmörderische Wüten seine +derzeitigen Untertanen gegen sich unter die Waffen rief, so begannen +gleichzeitig die Römer auch in Asien, ihn zur See und zu Lande zu +drängen. Lucullus hatte, nachdem der Versuch, die ägyptische Flotte +gegen Mithradates vorzuführen, gescheitert war, sein Bemühen, sich +Kriegsschiffe zu verschaffen, in den syrischen Seestädten mit besserem +Erfolg wiederholt und seine werdende Flotte in den kyprischen, +pamphylischen und rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug +fand, zum Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es, mit überlegenen +Streitkräften sich zu messen und errang dennoch nicht unbedeutende +Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von ihm besetzt, +Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Feinden entrissen. + +Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und +Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge passierend, nach +Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den Feldherrn eine +Militärinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten die Beute +unterschlug; die Seele derselben war einer der höchsten Offiziere des +Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwörtlich geworden war für +den rechten Pöbelredner, Gaius Flavius Fimbria, welcher, nachdem er mit +seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt begonnene +Demagogengeschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem Heer +abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalchedon getötet; an +seine Stelle trat nach Beschluß der Soldaten Fimbria. Es versteht sich, +daß er seinen Leuten alles nachsah: in dem befreundeten Kyzikos zum +Beispiel ward der Bürgerschaft befohlen, ihre gesamte Habe an die +Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei +der angesehensten Bürger sogleich vorläufig hingerichtet. Allein +militärisch war der Wechsel des Oberbefehls dennoch ein Gewinn; Fimbria +war nicht wie Flaccus ein unfähiger General, sondern energisch und +talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos westlich von Brussa) schlug +er den jüngeren Mithradates, der als Statthalter der pontischen +Satrapie ihm entgegengezogen war, vollständig in einem nächtlichen +Überfall und öffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt +sonst der römischen Provinz, jetzt des pontischen Königs, Pergamon, von +wo er den König vertrieb und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten +Hafen Pitane zu retten, um dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien +Lucullus mit seiner Flotte in diesen Gewässern; Fimbria beschwor ihn, +durch seinen Beistand ihm die Gefangennehmung des Königs möglich zu +machen. Aber der Optimat war mächtiger in Lucullus als der Patriot; er +segelte weiter, und der König entkam nach Mytilene. Auch so war +Mithradates’ Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war +Europa verloren, Kleinasien gegen ihn teils im Aufstand begriffen, +teils von einem römischen Heer eingenommen und er selbst von diesem in +unmittelbarer Nähe bedroht. Die römische Flotte unter Lucullus hatte an +der Küste der troischen Landschaft in zwei glücklichen Seegefechten am +Vorgebirg Lekton und bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie +zog daselbst die inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien +erbauten Schiffe an sich und verbürgte in ihrer den Hellespont +beherrschenden Stellung dem Feldherrn der römischen Senatsarmee für das +nächste Frühjahr den sicheren und bequemen Übergang nach Asien. + +Mithradates versuchte zu unterhandeln. Unter anderen Verhältnissen zwar +hätte der Urheber des ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen +dürfen, zum Frieden mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren +Konvulsionen der römischen Republik, wo die herrschende Regierung den +gegen Mithradates ausgesandten Feldherrn in die Acht erklärt hatte und +daheim gegen seine Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wütete, +wo ein römischer General gegen den andern und doch wieder beide gegen +denselben Feind standen, hoffte er nicht bloß einen Frieden, sondern +einen günstigen Frieden erlangen zu können. Er hatte die Wahl, sich an +Sulla oder an Fimbria zu wenden; mit beiden ließ er unterhandeln, doch +scheint seine Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla +abzuschließen, der wenigstens in dem Horizont des Königs als seinem +Nebenbuhler entschieden überlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos +forderte nach Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den König +abzutreten und dafür die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei +in Rom zu gewärtigen. Aber Sulla, kühl und klar wie immer, wünschte +zwar wegen der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige +Erledigung der asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile +der kappadokischen Allianz für den ihm in Italien bevorstehenden Krieg +sehr niedrig an und war überhaupt viel zu sehr Römer, um in eine so +entehrende und so nachteilige Abtretung zu willigen. In den +Friedenskonferenzen, die im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der +böotischen Küste, Euböa gegenüber, stattfanden, weigerte er sich +bestimmt, auch nur einen Fußbreit Landes abzutreten, ging aber, der +alten römischen Sitte, die vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach +dem Siege nicht zu steigern, aus gutem Grunde getreu, über die früher +gestellten Bedingungen nicht hinaus. Er forderte die Rückgabe aller von +dem König gemachten und ihm noch nicht wiederentrissenen Eroberungen, +Kappadokiens, Paphlagoniens, Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der +Inseln, die Auslieferung der Gefangenen und Überläufer, die Übergabe +der achtzig Kriegsschiffe des Archelaos zur Verstärkung der immer noch +geringen römischen Flotte, endlich Sold und Verpflegung für das Heer +und Ersatz der Kriegskosten mit der sehr mäßigen Summe von 3000 +Talenten (4¾ Mill. Taler). Die nach dem Schwarzen Meer weggeführten +Chier sollten heimgesandt, den römisch gesinnten Makedoniern ihre +weggeführten Familien zurückgegeben, den mit Rom verbündeten Städten +eine Anzahl Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng +genommen gleichfalls mit in den Frieden hätte eingeschlossen werden +sollen, schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, +die seine Beiziehung machen mußte, keinem der kontrahierenden Teile +gelegen war. Der Besitzstand also, den der König vor dem Kriege gehabt +hatte, blieb ihm und es ward ihm keine ehrenkränkende Demütigung +angesonnen ^11. Archelaos, deutlich erkennend, daß verhältnismäßig +unerwartet viel erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloß auf +diese Bedingungen die Präliminarien und den Waffenstillstand ab und zog +die Truppen aus den Plätzen heraus, die die Asiaten noch in Europa +innehatten. Allein Mithradates verwarf den Frieden und begehrte +wenigstens, daß die Römer auf die Auslieferung der Kriegsschiffe +verzichten und ihm Paphlagonien einräumen wollten; indem er zugleich +geltend machte, daß Fimbria ihm weit günstigere Bedingungen zu gewähren +bereit sei. Sulla, beleidigt durch dies Gleichstellen seiner +Anerbietungen mit denen eines amtlosen Abenteurers und bei dem +äußersten Maß der Nachgiebigkeit bereits angelangt, brach die +Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit benutzt, um Makedonien +wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Mäder zu züchtigen, wobei er +zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich Asien näherte; denn +dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen, um mit Fimbria +abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien stehenden Legionen +sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont. Da endlich gelang +es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die widerstrebende +Einwilligung zu dem Traktat zu entreißen; wofür er später am +königlichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens scheel +angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so daß einige Zeit nachher +er sich genötigt sah, das Land zu räumen und zu den Römern zu flüchten, +die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren überhäuften. Auch die +römischen Soldaten murrten; daß die gehoffte asiatische Kriegsbeute +ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der an sich wohl +gerechtfertigte Unwille, daß man den Barbarenfürsten, der +achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und über Italien und Asien +unsägliches Elend gebracht hatte, mit dem größten Teil der in Asien +zusammengeplünderten Schätze ungestraft abziehen ließ in seine Heimat. +Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, daß die politischen +Verwicklungen seine militärisch so einfache Aufgabe in peinlichster +Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen sich mit einem +solchen Frieden zu begnügen. Indes zeigt sich die Selbstverleugnung und +die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg geführt hat, nur aufs neue +in diesem Friedensschluß; denn der Krieg gegen einen Fürsten, dem fast +die ganze Küste des Schwarzen Meeres gehorchte und dessen Starrsinn +noch die letzten Verhandlungen deutlich offenbarten, nahm selbst im +günstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die Lage Italiens war von der +Art, daß es fast schon für Sulla zu spät schien, um mit den wenigen +Legionen, die er besaß, der dort regierenden Partei entgegenzutreten +^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es schlechterdings +notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der in Asien an der +Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe nicht, wie Sulla +jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu unterdrücken hoffte, +so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu Hilfe komme. Bei +Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von der Ratifikation +des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach Asien ging +weiter. Der König, hieß es, wünsche persönlich mit dem römischen +Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu vereinbaren; +vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand, um das Heer +nach Asien überzuführen und dort mit Fimbria ein Ende zu machen. So +überschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von Archelaos, den +Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in Dardanos mit +Mithradates zusammengetroffen war und mündlich den Vertrag +abgeschlossen hatte, ließ er den Marsch fortsetzen, bis er bei +Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an +demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an +Zahl, Zucht, Führung und Tüchtigkeit den Fimbrianern weit überlegen, +sahen mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und +deren unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern +wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten die +Soldaten sich, gegen ihre Mitbürger zu fechten, ja sogar den +geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Hände +abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria +erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnügte sich, +ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persönliche Rettung +zu eröffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme; +statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den +Barbaren zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des +Asklepios in sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem +Heer begaben sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie +bereitwillige Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle +Sullas. + +———————————————————————- + +^11 Die Angabe, daß Mithradates den Städten, die seine Partei ergriffen +hatten im Frieden Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint +schon nach dem Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich +und fehlt auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche +Abfassung des Friedensvertrages ward versäumt, was später zu vielen +Entstellungen benutzt ward. + +^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten Mithradatischen +Krieg. König Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khorene, +begnügte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im Persischen +(Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den +Partherkönig Arschagan, ihm die höchste Gewalt abzutreten, worauf er in +Persien sich einen Palast bauen und daselbst Münzen mit eigenem Bildnis +schlagen ließ und den Arschagan zum Unterkönig Persiens, seinen Sohn +Dicran (Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter +Ardaschama aber vermählte mit dem Großfürsten der Iberer Mihrdates +(Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und +Statthalters Alexanders über die besiegten Iberer, abstammte und in den +nördlichen Bergen sowie über das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm +darauf den König der Lydier Krösos gefangen, unterwarf das Festland +zwischen den beiden großen Meeren (Kleinasien) und ging über das Meer +mit unzähligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals +Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine +Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner +Leute. Nach Ardasches’ Tode rückte sein Nachfolger Dicran gegen die +Armee der Griechen (d. i. der Römer), die jetzt ihrerseits in das +armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel, +übergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag (Mazaka +in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen +Streitmacht und kehrte zurück nach Armenien. Viele Jahre später zeigte +man noch in den armenischen Städten Statuen griechischer Götter von +bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug. + +Man erkennt hier verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen +Kriegs ohne Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augenscheinlich +durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet und +namentlich durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen. Ganz +ebenso wird später der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt. Diese +orientalischen Nachrichten sind mit um so größerer Vorsicht +aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils die +Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des +fünften Jahrhunderts geläufiger Quellen darin mit den armenischen +Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der +Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des +Moses dafür ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere +okzidentalische Überlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der +orientalischen in diesem und in ähnlichen Fällen, wie zum Beispiel der +unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin führen, sie +noch stärker zu trüben. + +—————————————————————————- + +Sulla beschloß, diese beiden Legionen, denen er für den bevorstehenden +Krieg doch nicht traute, in Asien zurückzulassen, wo die entsetzliche +Krise noch lange in den einzelnen Städten und Landschaften +nachzitterte. Das Kommando über dieses Korps und die Statthalterschaft +im römischen Asien übergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius +Murena. Die revolutionären Maßregeln Mithradats, wie die Befreiung der +Sklaven und die Kassation der Forderungen, wurden natürlich aufgehoben; +eine Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt +durchgesetzt werden konnte. Die Städte des östlichen Grenzgebiets +unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit dem +Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner +Gerechtigkeit geübt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten +Anhänger Mithradats und die Urheber der an den Italikern verübten +Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mußten die +sämtlichen von den letzten fünf Jahren her rückständigen Zehnten und +Zölle sofort nach Abschätzung bar erlegen; außerdem hatten sie eine +Kriegsentschädigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten, +zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurückblieb. Es waren die +Maßregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man +sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so +fühlt man sich geneigt, dieselben als eine verhältnismäßig noch gelinde +Vergeltung zu betrachten. Daß die sonstigen Erpressungen nicht +ungewöhnlich drückend waren, beweist der Betrag der später im Triumph +aufgeführten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler +belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die +Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Mäander wurden reich +belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen +Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurück. Desgleichen wurden die Chier +für die ausgestandene Not, die Ilienser für die wahnsinnig grausame +Mißhandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknüpften +Verhandlungen zugefügt hatte, nach Möglichkeit durch Freibriefe und +Vergünstigungen entschädigt. Die Könige von Bithynien und Kappadokien +hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen König zusammengeführt +und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei +freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von +königlichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn +nannte, persönlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward +beauftragt, in den beiden von Mithradates geräumten Reichen die +Wiederherstellung der gesetzlichen Zustände zu überwachen. + +So war man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische König +wieder ein Klient der Römer und in Griechenland, Makedonien und +Kleinasien ein einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; +die Gebote des Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genüge, doch +zur Notdurft befriedigt. Sulla hatte nicht bloß als Soldat und Feldherr +glänzend sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstraße zwischen +kühnem Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen +Hindernissen durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie +Hannibal hatte er gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkräften, die +der erste Sieg ihm gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe +sich zu schicken. Nachdem er seine Soldaten durch die üppigen +Winterquartiere in dem reichen Vorderasien einigermaßen für ihre +ausgestandenen Strapazen entschädigt hatte, ging er im Frühjahr 671 +(83) auf 1600 Schiffen von Ephesos nach dem Peiräeus und von da auf dem +Landweg nach Paträ, wo die Schiffe wiederum bereit standen, um die +Truppen nach Brundisium zu führen. Ihm vorauf ging ein Bericht an den +Senat über seine Feldzüge in Griechenland und Asien, dessen Schreiber +von seiner Absetzung nichts zu wissen schien; es war die stumme +Ankündigung der bevorstehenden Restauration. + + + + +KAPITEL IX. +Cinna und Sulla + + +Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla bei seiner +Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 (87) Italien +zurückließ, sind früher dargelegt worden: die halb erstickte +Insurrektion, die Hauptarmee unter dem mehr als halb usurpierten +Kommando eines politisch sehr zweideutigen Generals, die Verwirrung und +die vielfach tätige Intrige in der Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie +durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Mäßigung vielfältige +Mißvergnügte gemacht. Die Kapitalisten, von den Schlägen der schwersten +Finanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten +der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des +Italischen und des Asiatischen Krieges, die sie nicht verhütet hatte. +Die Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht +bloß den Verlust ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte +mit der herrschenden Bürgerschaft, sondern auch den ihrer +althergebrachten Verträge und ihre neue völlig rechtlose +Untertanenstellung. Die Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls +unzufrieden mit den ihnen gemachten halben Zugeständnissen und die +Neubürger und Freigelassenen erbittert durch die Kassation der +Sulpicischen Gesetze. Der Stadtpöbel litt unter der allgemeinen +Bedrängnis und fand es unerlaubt, daß das Säbelregiment sich die +verfassungsmäßige Knüttelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen +lassen. Der hauptstädtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwälzung +Geächteten, der infolge der ungemeinen Mäßigung Sullas sehr zahlreich +geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur +Rückkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen +sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. Keine dieser +Verstimmungen war eigentlich von der Art, daß sie einen neuen +gewaltsamen Zusammenstoß der Parteien in nahe Aussicht stellte; +größtenteils waren sie zielloser und vorübergehender Art: aber sie alle +nährten das allgemeine Mißbehagen und hatten schon mehr oder minder +mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordversuchen +gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der Konsul- und +Tribunenwahlen für 667 (87). Der Name des Mannes, den die Mißvergnügten +an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cornelius Cinna, +war bis dahin kaum genannt worden, außer insofern er als Offizier im +Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; über die Persönlichkeit +desselben und seine ursprünglichen Absichten sind wir weniger +unterrichtet als über die irgendeines andern Parteiführers in der +römischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine andere, +als daß dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus +geleitete Gesell weitergehende politische Pläne von Haus aus gar nicht +gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, daß er gegen +ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern und der Koterie des Marius +verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich aus; wäre sie +aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger charakteristisch, daß +ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und Sulpicius +geäußert worden war, an Cinna haftete. In der Tat hat die Bewegung, an +deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit +sowohl der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer +Partei aus als von einer Anzahl Mißvergnügter ohne eigentlich +politische Zwecke und nennenswerten Rückhalt, die hauptsächlich die +Rückberufung der Verbannten in gesetzlicher oder ungesetzlicher Weise +durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint in die Verschwörung +nur nachträglich und nur deshalb hineingezogen zu sein, weil die +Intrige, die infolge der Beschränkung der tribunizischen Gewalt zur +Vorbringung ihrer Anträge einen Konsul brauchte, unter den +Konsularkandidaten für 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug ersah +und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie +erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige fähigere Köpfe, +so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische +Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus +Sertorius, einer der talentvollsten römischen Offiziere und in jeder +Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das +Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch diesen Hader in +die Reihen der Mißvergnügten geführt worden war, wohin er seiner Art +nach keineswegs gehörte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der Regierung +gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich +einzulassen. + +Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbündeten aus guten +Gründen sich still. Als indes der gefürchtete Prokonsul, nicht den +Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand der Dinge im +Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna, unterstützt von +der Majorität des Tribunenkollegiums, sofort die Gesetzentwürfe vor, +wodurch man übereingekommen war, gegen die Sullanische Restauration von +666 (88) teilweise zu reagieren; sie enthielten die politische +Gleichstellung der Neubürger und der Freigelassenen, wie Sulpicius sie +beantragt hatte, und die Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen +Revolution Geächteten in den vorigen Stand. In Masse strömten die +Neubürger nach der Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich +die Gegner einzuschüchtern und nötigenfalls zu zwingen. Aber auch die +Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul +gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen +Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung großenteils +bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten +Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbühne selbst die +Schwerter gezückt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttäter +Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Männer säuberten nicht +bloß die Heilige Straße und den Marktplatz, sondern wüteten auch, der +Befehle ihres milder gesinnten Führers nicht achtend, in grauenhafter +Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an +diesem “Octaviustag”, wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend +schätzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich +durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf +war ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es +blieb den Führern der Bewegung nichts übrig, als zu flüchten. Weiter +gegen die Häupter der Verschwörung, solange ihr Amtsjahr lief, zu +verfahren gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein +vermutlich mehr loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, daß die +Verbannung des Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden +Volkstribune dem Lande Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in +Gemäßheit zwar nicht der Verfassung, aber wohl dieses glücklich von den +Orakelbewahrern aufgefangenen Götterratschlags wurde durch Beschluß des +Senats der Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius +Cornelius Merula gewählt und gegen die flüchtigen Häupter die Acht +ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, daß die +Zahl der ausgetretenen Männer in Numidien um einige Köpfe sich +vermehrte. + +Ohne Zweifel wäre auch bei der Bewegung nichts weiter herausgekommen, +wenn nicht teils der Senat in seiner gewöhnlichen Schlaffheit es +unterlassen hätte, die Flüchtlinge rasch wenigstens zur Räumung +Italiens zu nötigen, teils diese in der Lage gewesen wären, zu ihren +Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubürger gewissermaßen +den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert erschienen sie in +Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden Neubürgergemeinden Latiums +und Kampaniens und forderten und erhielten überall zur Durchführung der +gemeinschaftlichen Sache Geld und Mannschaft. So unterstützt zeigten +sie sich bei der Belagerungsarmee von Nola. Die Heere dieser Zeit waren +demokratisch und revolutionär gesinnt, wo immer nicht der Feldherr +durch seine imponierende Persönlichkeit sie an sich selber fesselte; +die Reden der flüchtigen Beamten, die überdies zum Teil, wie namentlich +Cinna und Sertorius, aus den letzten Feldzügen in gutem Andenken bei +den Soldaten standen, machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige +Absetzung des popularen Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte +des souveränen Volkes wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren +machte das Gold des Konsuls oder vielmehr der Neubürger den +Verfassungsbruch deutlich. Das kampanische Heer erkannte den Cinna als +Konsul an und schwor ihm Mann für Mann den Eid der Treue; es ward der +Kern für die von den Neubürgern und selbst den bundesgenössischen +Gemeinden herbeiströmenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn +auch meistens aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die +Hauptstadt zu. Andere Schwärme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas +Einladung waren die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der +etruskischen Küste gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 +Bewaffnete, größtenteils Sklaven der Flüchtlinge und geworbene +numidische Reiter; aber Gaius Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem +hauptstädtischen Gesindel hatte Gemeinschaft machen wollen, ließ jetzt +die Zwinghäuser erbrechen, in denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre +Feldarbeiter zur Nachtzeit einschlossen, und die Waffen, die er diesen +bot, um sich die Freiheit zu erfechten, wurden nicht verschmäht. Durch +diese Mannschaft und die Zuzüge der Neubürger sowie der von allen +Seiten mit ihrem Anhang herbeiströmenden landflüchtigen Leute +verstärkt, zählte er bald 6000 Mann unter seinen Adlern und konnte +vierzig Schiffe bemannen, die sich vor die Tibermündung legten und auf +die nach Rom segelnden Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte +er sich dem “Konsul” Cinna zur Verfügung. Die Führer der kampanischen +Armee schwankten; die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten +ernstlich vor der allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch +seinen Namen an die Spitze der Bewegung geführt werden mußte und doch +notorisch ebenso jedes staatsmännischen Handelns unfähig wie von +wahnsinnigem Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese +Bedenklichkeiten nicht und bestätigte dem Marius den Oberbefehl in +Etrurien und zur See mit prokonsularischer Gewalt. + +So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt zusammen, und es konnte +nicht länger verschoben werden, zu ihrem Schutz die Regierungstruppen +heranzuziehen ^1. Aber die Streitkräfte des Metellus wurden in Samnium +und vor Nola durch die Italiker festgehalten; Strabo allein war +imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er erschien auch und schlug +sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner starken und krieggewohnten +Armee wäre er wohl imstande gewesen, die noch schwachen +Insurgentenhaufen rasch und völlig zu vernichten; allein dies schien +nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr ließ er es geschehen, daß +Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna mit seinem +Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer dem +Ianiculum gegenüber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenüber gegen +den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmählich auf drei +Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von +Kriegsschiffen, besetzte einen Küstenplatz nach dem andern, bis zuletzt +sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum +Vorspiel der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von +dem Feldherrn zu Mord und Plünderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt +schwebte, schon durch die bloße Hemmung des Verkehrs, in großer Gefahr; +auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in Verteidigungszustand +gesetzt und das Bürgeraufgebot auf das Ianiculum befehligt. Strabos +Untätigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen gleichmäßig Befremden +und Entrüstung. Der Verdacht, daß er mit Cinna insgeheim unterhandle, +lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegründet; ein ernstliches +Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und die +Unterstützung, die er dem Konsul Octavius gewährte, als Marius durch +Einverständnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das Ianiculum +eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die Insurgenten +mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es, daß er nichts +weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenführern anzuschließen +oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine Absicht gewesen zu +sein, der geängsteten hauptstädtischen Regierung und Bürgerschaft +seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis des Konsulats für +das nächste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des Regiments selber +in die Hände zu bekommen. Der Senat war indes nicht geneigt, um dem +einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme zu werfen, und +suchte sich anderweitig zu helfen. Den sämtlichen, an dem Aufstand der +Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die die Waffen +niedergelegt und infolgedessen ihr altes Bündnis eingebüßt hatten, +wurde durch Senatsbeschluß nachträglich das Bürgerrecht verliehen 2. Es +schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen, daß Rom in dem +Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines großen Zweckes, +sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt hatte: in der ersten +augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar tausend Soldaten mehr +auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was in dem +Bundesgenossenkrieg um so fürchterlich teuren Preis errungen worden +war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese +Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen +betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als höchstens zehntausend Mann. +Wichtiger noch wäre es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu einem +Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlässigen +Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu können. Allein die +Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten: +Rückgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen +und Überläufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Römern +entrissene Beute; Bewilligung des Bürgerrechts an die Samniten selbst +sowie an die zu ihnen übergetretenen Römer. Der Senat verwarf selbst in +dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch den +Metellus an, mit Zurücklassung einer kleinen Abteilung alle im +südlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach +Rom zu führen. Er gehorchte; aber die Folge war, daß die Samniten den +gegen sie zurückgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem +schwachen Haufen angriffen und schlugen, daß die nolanische Besatzung +ausrückte und die benachbarte, mit Rom verbündete Stadt Abella in Brand +steckte; daß ferner Cinna und Marius den Samniten alles bewilligten, +was sie begehrten - was lag ihnen an römischer Ehre! -und samnitischer +Zuzug die Reihen der Insurgenten verstärkte. Ein empfindlicher Verlust +war es auch, daß nach einem für die Regierungstruppen unglücklichen +Gefecht Ariminum von den Insurgenten besetzt und dadurch die wichtige +Verbindung zwischen Rom und dem Potal, von wo Mannschaft und Zufuhren +erwartet wurden, unterbrochen ward. Mangel und Hunger stellten sich +ein. Die große volkreiche, stark mit Truppen besetzte Stadt war nur +ungenügend mit Vorräten versehen; und namentlich Marius ließ es sich +angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr und mehr abzuschneiden. Schon +früher hatte er den Tiber durch eine Schiffbrücke gesperrt; jetzt +brachte er durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und anderen +Ortschaften die noch offenen Landverbindungswege in seine Gewalt und +kühlte zugleich vorläufig seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr +geleistet worden war, die gesamte Bürgerschaft mit Ausnahme derer, die +etwa die Stadt ihm verraten hatten, über die Klinge springen ließ. +Ansteckende Krankheiten waren die Folge der Not und räumten in den +dicht um die Hauptstadt zusammengedrängten Heermassen fürchterlich auf +von Strabos Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius +6000 Mann denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung +nicht; und ein glückliches Ereignis für sie war Strabos plötzlicher +Tod. Er starb an der Pest 3; die aus vielen Gründen gegen ihn +erbitterten Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften +ihn durch die Straßen. Was von seinen Truppen übrig war, vereinigte der +Konsul Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus’ Eintreffen und Strabos +Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens +gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum +Kampfe sich stellen. Allein die Gemüter der Regierungssoldaten waren +tief erschüttert; als Cinna ihnen gegenüber erschien, empfingen sie ihn +mit Zuruf, als wäre er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand es +geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die +Truppen in das Lager zurückzuführen. Die Optimaten selbst wurden +unsicher und unter sich uneins. Während eine Partei, an ihrer Spitze +der ehrenwerte, aber störrige und kurzsichtige Konsul Octavius, sich +beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der +kriegskundigere und verständigere Metellus einen Vergleich zustande zu +bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras +beider Parteien: Cinna hieß dem Marius ein Schwächling, Metellus dem +Octavius ein Verräter. Die Soldaten, ohnehin verstört und nicht ohne +Ursache der Führung des unerprobten Octavius mißtrauend, sannen +Metellus an, den Oberbefehl zu übernehmen, und begannen, da dieser sich +weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu +desertieren. Die Stimmung der Bürgerschaft wurde täglich gedrückter und +schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, daß den überlaufenden +Sklaven die Freiheit zugesichert sei, strömten dieselben scharenweise +aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, daß +der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten würden, die Freiheit +zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung +konnte es sich nicht verbergen, daß sie geschlagen war und daß nichts +übrig blieb, als mit den Führern der Bande womöglich ein Abkommen zu +treffen, wie der überwältigte Wanderer es trifft mit dem +Räuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie törichterweise +Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna während +dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so griff +das Überlaufen so sehr um sich, daß es nicht mehr möglich war, +irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach +dem in die Acht erklärten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte +hinzufügte, des Blutvergießens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, +aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius, +ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem +Schweigen. + +—————————————————— + +^1 Die ganze folgende Darstellung beruht wesentlich auf dem neu +aufgefundenen Bericht des Licinianus, der eine Anzahl früher +unbekannter Tatsachen mitteilt und vor allem die Folge und Verknüpfung +dieser Vorgänge deutlicher, als bisher möglich war, erkennen läßt. + +2 3, 258. Daß eine Bestätigung durch die Komitien nicht stattfand, geht +aus Cic. Phil. 12, 11, 27 hervor. Der Senat scheint sich der Form +bedient zu haben, die Frist des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach +zu verlängern, was ihm nach Herkommen freistand und tatsächlich +hinauslief auf Erteilung des Bürgerrechts an alle Italiker. + +3 Adflatus sidere wie Livius (nach Obsequens 56) sagt, heißt “von der +Pest ergriffen” (Petr. 2; Plin. nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht +“vom Blitz getroffen”, wie die Späteren es mißverstanden haben. + +————————————————————————- + +Die Tore der Hauptstadt öffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen +Legionen; aber Marius, spöttisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte +sich, die Stadt zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und +eilig versammelten sich die Bürger auf dem Markt, um den kassierenden +Beschluß zu fassen. So kam er denn und mit ihm die +Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, nicht einzelne Opfer +auszuwählen, sondern die namhaften Männer der Optimatenpartei sämtlich +niedermachen zu lassen und ihre Güter einzuziehen. Die Tore wurden +gesperrt; fünf Tage und fünf Nächte währte unausgesetzt die +Schlächterei; einzelne Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher +noch täglich erschlagen und monatelang ging die Blutjagd durch ganz +Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das erste Opfer. Seinem oft +ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den Tod zu leiden als den +rechtlosen Leuten das geringste Zugeständnis zu machen, weigerte er +auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen Schmuck harrte er auf +dem Ianiculum des Mörders, der nicht lange säumte. Es starben Lucius +Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder +Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den Sulpicischen Tumult +heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und Dichter und als +liebenswürdiger Gesellschafter; Marcus Antonius (Konsul 665 99), nach +dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner +Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im Spanischen und im +Bundesgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit +Auszeichnung kommandiert hatte: überhaupt eine Menge der angesehensten +Männer der Regierungspartei, unter denen von den gierigen Häschern +namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden. Jammervoll +vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider seinen +Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich +angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen +Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern öffnete und am Altar des +Höchsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der +priesterlichen Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden +Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod +des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem +herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte desselben Marius, der jetzt +für die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort +hatte als den einsilbigen Bescheid: “Er muß sterben!” Der Urheber all +dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die +Henker - nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine +Rechtsform beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das +Stillschweigen, womit er die Begrüßenden empfing, das Todesurteil, das +stets sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte +seine Rache nicht; er verbot, die Leichen zu bestatten; er ließ - worin +freilich Sulla ihm vorangegangen war - die Köpfe der getöteten +Senatoren an die Rednerbühne auf dem Marktplatz heften; einzelne +Leichen ließ er über den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der +Grabstätte des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius +noch einmal durchbohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der ihm, +während er bei Tafel saß, den Kopf des Antonius überreichte, den selber +in seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum +hatte abgehalten werden können. Hauptsächlich seine Sklavenlegionen, +namentlich eine Abteilung Ardyäer, dienten ihm als Schergen und +versäumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die Häuser +ihrer ehemaligen Herren zu plündern und was ihnen darin vorkam, zu +schänden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung +über dieses wahnsinnige Wüten; Sertorius beschwor den Konsul, demselben +um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken. Aber in +Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; man +stürzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es war +nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu +fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er wählte den Marius +vielmehr für das nächste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das +Schreckensregiment terrorisierte die gemäßigteren Sieger nicht viel +weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht +unzufrieden damit, daß eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen +Oligarchen einmal gründlich zu demütigen, und zugleich infolge der +umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute +an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich +den Beinamen der “Einsäckler”. + +Dem Urheber dieses Terrorismus, dem alten Gaius Marius, hatte also das +Verhängnis seine beiden höchsten Wünsche gewährt. Er hatte Rache +genommen an der ganzen vornehmen Meute, die ihm seine Siege vergällt, +seine Niederlagen vergiftet hatte; er hatte jeden Nadelstich mit einem +Dolchstich vergelten können. Er trat ferner das neue Jahr noch einmal +an als Konsul; das Traumbild des siebenten Konsulates, das der +Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er seit dreizehn Jahren +gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er wünschte, hatten die +Götter ihm gewährt; aber auch jetzt noch, wie in der alten Sagenzeit, +übten sie die verhängnisvolle Ironie, den Menschen zu verderben durch +die Erfüllung seiner Wünsche. In seinen ersten Konsulaten der Stolz, im +sechsten das Gespött seiner Mitbürger, stand er jetzt im siebenten +belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit dem Haß der ganzen Nation; +er, der von Haus aus rechtliche, tüchtige, kernbrave Mann, gebrandmarkt +als das wahnwitzige Oberhaupt einer ruchlosen Räuberbande. Er selbst +schien es zu fühlen. Wie im Taumel vergingen ihm die Tage, und des +Nachts versagte ihm seine Lagerstatt die Ruhe, so daß er zum Becher +griff, um nur sich zu betäuben. Ein hitziges Fieber ergriff ihn; nach +siebentägigem Krankenlager, in dessen wilden Phantasien er auf den +kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla +bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er eine Leiche. Er starb, über +siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen, was er Macht und Ehre nannte, +und in seinem Bette; aber die Nemesis ist mannigfaltig und sühnt nicht +immer Blut mit Blut. Oder war es etwa keine Vergeltung, daß Rom und +Italien bei der Nachricht von dem Tode des gefeierten Volkserretters +jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde von der Schlacht auf dem +Raudischen Feld? + +Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne Auftritte vor, die an die +Schreckenszeit erinnerten; so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der +wie kein anderer bei den Marianischen Schlächtereien seine Hand in Blut +getaucht hatte, bei dem Leichenbegängnis des Marius selbst einen +Versuch, den allgemein verehrten und selbst von Marius verschonten +Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte +dann, als derselbe von der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an, +wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich ausdrückte, daß er sich +nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des Mordens waren +doch vorüber. Unter dem Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die +Marianischen Banditen zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlässigen +keltischen Truppen und ließ sie, nach den geringsten Angaben 4000 an +der Zahl, sämtlich niederhauen. + +Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis gekommen. Cinna +stand nicht bloß vier Jahre nacheinander (667-670 87-84) als Konsul an +der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch regelmäßig sich und +seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es war, als ob diese +Demokraten die souveräne Volksversammlung mit absichtlicher +Geringschätzung beiseite schöben. Kein anderes Haupt der Popularpartei +vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt in Italien wie +in dem größten Teil der Provinzen so lange Zeit hindurch fast ungestört +besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu nennen, dessen Regiment +so vollkommen nichtig und ziellos gewesen wäre. Man nahm natürlich das +von Sulpicius und später von Cinna selbst beantragte, den Neubürgern +und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht mit den Altbürgern +zusichernde Gesetz wieder auf und ließ dasselbe durch einen +Senatsbeschluß förmlich als zu Recht bestehend bestätigen (670 84). Man +ernannte Zensoren (668 86), um demgemäß sämtliche Italiker in die +fünfunddreißig Bürgerbezirke zu verteilen - eine seltsame Fügung dabei +war es, daß infolge des Mangels von fähigen Kandidaten zur Zensur +derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91) hauptsächlich den Plan des +Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu verleihen, hatte scheitern +machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als Zensor in die Bürgerrollen +einzuschreiben. Man stieß natürlich die von Sulla im Jahre 666 (88) +begründeten reaktionären Institutionen um. Man tat einiges, um dem +Proletariat sich gefällig zu erweisen - so wurden wahrscheinlich die +vor einigen Jahren eingeführten Beschränkungen der Getreideverteilung +jetzt wiederum beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns +Marcus Iunius Brutus die von Gaius Gracchus beabsichtigte +Koloniegründung in Capua im Frühjahr 671 (83) in der Tat ins Werk +gesetzt; so veranlaßte Lucius Valerius Flaccus der Jüngere ein +Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten Teil ihres +Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der Schuldner +kassierte. Diese Maßregeln aber, die einzigen konstitutiven während des +ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme vom Augenblick +diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das Entsetzlichste bei +dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein verkehrter, +sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste den Pöbel +und verletzte ihn zugleich in höchst unnötiger Weise durch zwecklose +Mißachtung der verfassungsmäßigen Wahlordnung. Man konnte an der +Kapitalistenpartei einen Halt finden und schädigte sie aufs +empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stütze des +Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubürger; man ließ +sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame +Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt römische +Bürger waren, aber offenbar tatsächlich ihre landschaftliche +Unabhängigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes +betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen +blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber +nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung +zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so daß +dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus den +Sturz der Oligarchie nicht verstanden, daß der neue Herr sich auf +seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten könne, wie es legitime +Nullkönige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen, +sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, daß er +blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespült hatte, bis eine +zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen? + +Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der vollständigsten +Impotenz und Inkapazität der Machthaber zeigte die Kriegführung der +revolutionären Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch +zunächst ihre Existenz hing. In Italien gebot sie unumschränkt. Unter +den Altbürgern war ein sehr großer Teil grundsätzlich demokratisch +gesinnt; die noch größere Masse der ruhigen Leute mißbilligte zwar die +Marianischen Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration +nichts als die Eröffnung eines zweiten Schreckensregiments der +entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87) +auf die Nation insgesamt war verhältnismäßig gering gewesen, da sie +vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie betroffen hatten, +und ward überdies einigermaßen ausgelöscht durch das darauffolgende +dreijährige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubürger +endlich, vielleicht drei Fünftel der Italiker, stand entschieden wo +nicht für die gegenwärtige Regierung, doch gegen die Oligarchie. + +Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien, +Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus +Metellus, der den Mördern glücklich entkommen war, einen Versuch, diese +Provinz für die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien +Marcus Crassus, der jüngste Sohn des in dem Marianischen Blutbad +umgekommenen Publius Crassus, und verstärkte ihn durch einen in Spanien +zusammengebrachten Haufen. Allein sie mußten, da sie sich untereinander +entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Regierung, Gaius Fabius +Hadrianus, weichen. Asien war in den Händen Mithradats; somit blieb als +einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz Makedonien, +soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin +und Kinder, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige +entkommene Senatoren, so daß bald in seinem Hauptquartier eine Art von +Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen Prokonsul ließ +es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die Komitien seines +Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Würden entsetzt und geächtet, +wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, Appius Claudius und +andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein Haus in Rom wurde +geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indes damit freilich war die +Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius länger gelebt, so wäre er ohne +Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch auf seinem +Todbette die Fieberbilder ihn führten; welche Maßregeln nach seinem +Tode die Regierung ergriff, ward schon erzählt. Lucius Valerius Flaccus +der jüngere 4, der nach Marius’ Tode das Konsulat und das Kommando im +Osten übernahm (668 86), war weder Soldat noch Offizier, sein Begleiter +Gaius Fimbria nicht unfähig, aber unbotmäßig, das ihnen mitgegebene +Heer schon der Zahl nach dreifach schwächer als die Sullanische Armee. +Man vernahm nacheinander, daß Flaccus, um nicht von Sulla erdrückt zu +werden, an ihm vorüber nach Asien abgezogen sei (668 86), daß Fimbria +ihn beseitigt und sich selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669 +85), daß Sulla Frieden geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84). +Bis dahin hatte Sulla den in der Hauptstadt regierenden Behörden +gegenüber geschwiegen; jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat +ein, worin er die Beendigung des Krieges berichtete und seine Rückkehr +nach Italien ankündigte; die den Neubürgern erteilten Rechte werde er +achten; Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie würden +nicht die Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankündigung +schreckte Cinna aus seiner Untätigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen +Sulla getan hatte, als daß einige Mannschaft unter die Waffen gestellt +und eine Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so +beschloß er jetzt, schleunigst nach Griechenland überzugehen. Aber +andererseits weckte Sullas Schreiben, das den Umständen nach äußerst +gemäßigt zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine +friedliche Ausgleichung. Die Majorität des Senats beschloß nach dem +Vorschlag des älteren Flaccus, einen Sühneversuch einzuleiten und zu +dem Ende Sulla aufzufordern, sich unter Verbürgung sicheren Geleits in +Italien einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, +bis zum Eingang von Sullas Antwort die Rüstungen einzustellen. Sulla +wies die Vorschläge nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natürlich +nicht selbst, aber ließ durch Boten erklären, daß er nichts fordere als +Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche +Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit übrigens nicht +geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine +Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich verändert. +Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluß sich weiter zu bekümmern, +sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die +Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der bösen +Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon +schwierigen Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, +deren Opfer Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich +genötigt sah, die schon übergegangenen Abteilungen zurückzuführen und, +auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend, +Winterquartiere in Ariminum zu beziehen. Sullas Anträge aber fanden +darum keine bessere Aufnahme: der Senat wies seine Vorschläge zurück, +ohne auch nur die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die +Waffen niederzulegen. Es war nicht zunächst die Koterie der Marianer, +welche dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, +mußte diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des höchsten Amtes +abgeben und für das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen +veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den +bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere der bis +dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den +Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitäten, +von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand, +und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser +als politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die +Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer +Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so +wollte sie in ihrer großen Majorität noch viel weniger von Sulla und +einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an +Abwehr. Während Sulla nach Asien überging, das Heer des Fimbria zum +Übertritt bestimmte und dessen Führer durch seine eigene Hand fiel, +benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr +gegönnte weitere Jahresfrist zu energischen Rüstungen: es sollen bei +Sullas Landung 100000, später sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten +gegen ihn gestanden haben. + +—————————————————————- + +4 Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen, +ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger +jüngerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das +die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81) +rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, daß +dasselbe, war für Scipio Aemilianus und Marius, auch für Flaccus +geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus +genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es +notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius +Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als +Konsulat in Rom tätig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 +(86) sein, da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und +wahrscheinlich schon tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), +ist derjenige, den Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom +anwesenden Konsulaten nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der älteste +lebende Altzensor und also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch +der Zwischenkönig und der Reiterführer von 672 (82). Dagegen ist der +Konsul 668 (86), der in Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero +verteidigten Lucius Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77). + +——————————————————————- + +Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu +legen als seine fünf Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in +Makedonien und im Peloponnes aufgebotener Zuzüge, kaum auf 40000 Mann +sich belaufen mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjährigen +Kämpfen in Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich +entwöhnt und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles, +Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah, +nichts verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und für +den Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit +allem jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als +dabei die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben +Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach römischer Sitte die +Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, und +freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als +Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene +Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte +doch Sulla sehr wohl, daß Italien nicht mit fünf Legionen bezwungen +werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig +zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfähigen Autokraten +fertig zu werden, wäre nicht schwierig gewesen; aber er sah sich +gegenüber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine +oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die +gesamte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische +Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten +lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an +den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla übersah vollkommen die +Lage der Verhältnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung +und der eigensinnigen Starrheit, die die Majorität seiner Partei +charakterisierten. Während das Staatsgebäude in vollen Flammen stand, +während man seine Freunde ermordete, seine Häuser zerstörte, seine +Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben, +bis der Landesfeind überwältigt und die römische Grenze gesichert war. +In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Mäßigung behandelte +er auch jetzt die italischen Verhältnisse und tat, was er irgend tun +konnte, um die Gemäßigten und die Neubürger zu beruhigen und um zu +verhindern, daß nicht unter dem Namen des Bürgerkrieges der weit +gefährlichere Krieg zwischen den Altrömern und den italischen +Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das +Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit +gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdrücklich zurückgewiesen; im +Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der +revolutionären Regierung sich lossagen würden, unbedingte Begnadigung +in Aussicht und veranlaßte seine Soldaten, Mann für Mann, zu schwören, +daß sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbürgern begegnen +würden. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern die von +ihnen erworbenen politischen Rechte; so daß Carbo deshalb von jeder +italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was indes +an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats +scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat +darin, daß bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubürger +allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persönlichen Absichten, doch +daran zu zweifeln, ob er es vermögen werde, seine Partei zum Worthalten +nach dem Siege zu bestimmen. + +Im Frühling 671 (83) landete Sulla mit seinen Legionen in dem Hafen von +Brundisium. Der Senat erklärte auf die Nachricht davon das Vaterland in +Gefahr und übertrug den Konsuln unbeschränkte Vollmacht; aber diese +unfähigen Leiter hatten sich nicht vorgesehen und waren durch die seit +Jahren in Aussicht stehende Landung dennoch überrascht. Das Heer befand +sich noch in Ariminum, die Häfen waren unbesetzt und überhaupt +unglaublicherweise in dem ganzen südöstlichen Litoral kein Mann unter +den Waffen. Die Folgen zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst, +eine ansehnliche Neubürgergemeinde, öffnete ohne Widerstand dem +oligarchischen General die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz +Messapien und Apulien. Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie +durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk, durchgängig die +strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten die versprengten Reste +der Optimatenpartei in das Lager Sullas. Aus den Bergschluchten +Liguriens, wohin er von Afrika sich gerettet hatte, kam Quintus +Metellus und übernahm wieder, als Kollege Sullas, das im Jahr 667 (87) +ihm übertragene und von der Revolution ihm aberkannte prokonsularische +Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit einer kleinen Schar +Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten freilich kamen als +vornehme Emigranten mit großen Ansprüchen und geringer Kampflust, so +daß sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die +adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten retten lassen und +nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven zu bewaffnen. +Wichtiger war es, daß schon Überläufer aus dem demokratischen Lager +sich einstellten - so der feine und angesehene Lucius Philippus, nebst +ein paar notorisch unfähigen Leuten der einzige Konsular, der mit der +revolutionären Regierung sich eingelassen und unter ihr Ämter +angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste Aufnahme und +erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz Sardinien für +ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia und andere +brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschäftigt; selbst Publius +Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von Sulla geächteten +Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung im Heer. Wichtiger noch +als die einzelnen Übertritte war der der Landschaft Picenum, der +wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen Gnaeus Pompeius, verdankt +ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus aus kein Anhänger der +Oligarchie, hatte die revolutionäre Regierung anerkannt und sogar in +Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward ihm nicht vergessen, daß +sein Vater die Waffen gegen die Revolution getragen hatte; er sah sich +vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage auf Herausgabe der nach +der Einnahme von Asculum von seinem Vater wirklich oder angeblich +unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines sehr beträchtlichen +Vermögens bedroht. Zwar wendete mehr als die Beredsamkeit des Konsulars +Lucius Philippus und des jungen Quintus Hortensius der Schutz des ihm +persönlich gewogenen Konsuls Carbo den ökonomischen Ruin von ihm ab; +aber die Verstimmung blieb. Auf die Nachricht von Sullas Landung ging +er nach Picenum, wo er ausgedehnte Besitzungen und von seinem Vater und +dem Bundesgenossenkriege her die besten munizipalen Verbindungen hatte +und pflanzte in Auximum (Osimo) die Fahne der optimatischen Partei auf. +Die meistens von Altbürgern bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge +Mannschaft, welche großenteils mit ihm unter seinem Vater gedient +hatte, stellte sich bereitwillig unter den beherzten Führer, der, noch +nicht dreiundzwanzigjährig, ebensosehr Soldat wie General war, im +Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tüchtig mit in den Feind +einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen; +den aus der Hauptstadt zur Dämpfung der picenischen Insurrektion +ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius +Brutus Damasippus 5 wußte der improvisierte Feldherr, die unter +denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu +entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas, +wie es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begrüßte +ihn als Imperator, das heißt als einen im eigenen Namen kommandierenden +und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete +den Jüngling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner +vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, der +charakterlosen Schwäche seiner eigenen Parteigenossen damit eine +indirekte Züchtigung zukommen zu lassen. + +——————————————————————- + +5 Nur an diesen kann hier gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater +des sogenannten Befreiers, im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht +im Felde kommandieren konnte. + +——————————————————————- + +Also moralisch und materiell ansehnlich verstärkt gelangten Sulla und +Metellus nach Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen +Gegenden nach Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche +Hauptmacht, und es schien die Entscheidung hier fallen zu müssen. Das +Heer des Konsuls Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die +neue Kolonie mit allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die +zweite Konsulararmee rückte ebenfalls auf der Appischen Straße heran. +Aber bevor sie eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenüber. Ein +letzter Vermittlungsversuch, den Sulla machte, führte nur dazu, daß man +an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine +kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoß vom +Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im +ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die +revolutionäre Kolonie Capua und die Neubürgerstadt Neapolis und ließ +dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre +schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch +diesen Sieg das Vollgefühl militärischer Überlegenheit gewonnen; statt +mit der Belagerung der Trümmer der geschlagenen Armee sich aufzuhalten, +ließ Sulla die Städte umstellen, wo sie sich befanden, und rückte auf +der Appischen Straße vor gegen Teanum, wo Scipio stand. Auch ihm bot +er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; es scheint +in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; ein +Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen die +beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, beide +gebildet und feingesittet und langjährige Kollegen im Senat, persönlich +zusammen; man ließ sich auf die einzelnen Fragen ein; schon war man so +weit, daß Scipio einen Boten nach Capua absandte, um die Meinung seines +Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die Soldaten beider +Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit Geld versehen, +machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim Becher leicht +begreiflich, daß es besser sei, sie zu Kameraden als zu Feinden zu +haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem gefährlichen +Verkehr ein Ende zu machen. Die Verständigung, die so nahe geschienen, +trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den Waffenstillstand +kündigte. Aber Sulla behauptete, daß es zu spät und der Vertrag bereits +abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand, daß ihr Feldherr den +Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen Scipios Soldaten in +Masse über in die feindlichen Reihen. Die Szene schloß mit einer +allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden Offiziere der +Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla ließ den Konsul auffordern, +sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem Stab durch +seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein kaum in +Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Würde wieder an und +begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes weiter etwas von +Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen Winterquartiere in +Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch, mit Norbanus sich +zu verständigen, gescheitert war, Capua den Winter über blockiert. + +Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Unterwerfung von +Apulien, Picenum und Kampanien, die Auflösung der einen, die Besiegung +und Blockierung der anderen konsularischen Armee. Schon traten die +italischen Gemeinden, genötigt, zwischen ihren zwiefachen Drängern jede +für sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und +ließen sich die von der Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch +förmliche Separatverträge von dem Feldherrn der Oligarchie garantieren; +Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug sie absichtlich zur Schau, +die revolutionäre Regierung in dem nächsten Feldzug niederzuwerfen und +wieder in Rom einzuziehen. + +Aber auch der Revolution schien die Verzweiflung neue Kräfte zu geben. +Das Konsulat übernahmen zwei ihrer entschiedensten Führer, Carbo zum +dritten Male und Gaius Marius der Sohn; daß der letztere eben +zwanzigjährige Mann gesetzmäßig das Konsulat nicht bekleiden konnte, +achtete man so wenig wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus +Sertorius, der in dieser und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme +Kritik machte, wurde angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach +Etrurien und von da in seine Provinz, das Diesseitige Spanien, +abzugehen. Die Kasse zu füllen, mußte der Senat die Einschmelzung des +goldenen und silbernen Tempelgeräts der Hauptstadt verfügen; wie +bedeutend der Ertrag war, erhellt daraus, daß nach mehrmonatlicher +Kriegführung davon noch über 4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und +6000 Pfund Silber) vorrätig waren. In dem beträchtlichen Teile +Italiens, der gezwungen oder freiwillig noch zu der Revolution hielt, +wurden die Rüstungen lebhaft betrieben. Aus Etrurien, wo die +Neubürgergemeinden sehr zahlreich waren, und dem Pogebiet kamen +ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf den Ruf des Sohnes stellten +die Marianischen Veteranen in großer Anzahl sich bei den Fahnen ein. +Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so leidenschaftlich gerüstet +wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen Strichen von Lucanien. Es +war nichts weniger als Ergebenheit gegen die revolutionäre römische +Regierung, daß zahlreicher Zuzug aus den oskischen Gegenden ihre Heere +verstärkte; wohl aber begriff man daselbst, daß eine von Sulla +restaurierte Oligarchie sich die jetzt faktisch bestehende +Selbständigkeit dieser Landschaften nicht so gefallen lassen werde wie +die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum erwachte in dem Kampf +gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalität der Sabeller gegen die +Latiner. Für Samnium und Latium war dieser Krieg so gut ein +Nationalkampf wie die Kriege des fünften Jahrhunderts; man stritt nicht +um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um den lange +verhaltenen Haß durch Vernichtung des Gegners zu sättigen. Es war darum +kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz anderen Charakter +trug als die übrigen Kämpfe, wenn hier keine Verständigung versucht, +kein Quartier gegeben oder genommen, die Verfolgung bis aufs äußerste +fortgesetzt ward. + +So trat man den Feldzug des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstärkten +Streitkräften und gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die +Revolution warf die Scheide weg; auf Carbos Antrag ächteten die +römischen Komitien alle in Sullas Lager befindlichen Senatoren. Sulla +schwieg; er mochte denken, daß man im voraus sich selber das Urteil +spreche. + +Die Armee der Optimaten teilte sich. Der Prokonsul Metellus übernahm +es, gestützt auf die picenische Insurrektion, nach Oberitalien +vorzudringen, während Sulla von Kampanien aus geradeswegs gegen die +Hauptstadt marschierte. Jenem warf Carbo sich entgegen; der feindlichen +Hauptarmee wollte Marius in Latium begegnen. Auf der Launischen Straße +heranrückend, traf Sulla unweit Signia auf den Feind, der vor ihm +zurückwich bis nach dem sogenannten “Hafen des Sacer” zwischen Signia +und dem Hauptwaffenplatz der Marianen dem festen Praeneste. Hier +stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer war etwa 40000 Mann stark +und er an wildem Grimme und persönlicher Tapferkeit seines Vaters +rechter Sohn; aber es waren nicht die wohlgeübten Scharen, mit denen +dieser seine Schlachten geschlagen hatte, und noch minder durfte der +unerfahrene junge Mann mit dem alten Kriegsmeister sich vergleichen. +Bald wichen seine Truppen; der Übertritt einer Abteilung noch während +des Gefechts beschleunigte die Niederlage. Über die Hälfte der Marianer +waren tot oder gefangen; der Überrest, weder imstande, das Feld zu +halten, noch, das andere Ufer des Tiber zu gewinnen, genötigt, in den +benachbarten Festungen Schutz zu suchen; die Hauptstadt, die zu +verproviantieren man versäumt hatte, unrettbar verloren. Infolgedessen +gab Marius dem daselbst befehligten Prätor Lucius Brutus Damasippus den +Befehl, sie zu räumen, vorher aber alle bisher noch verschonten +angesehenen Männer der Gegenpartei niederzumachen. Der Auftrag, durch +den der Sohn die Ächtungen des Vaters noch überbot, ward vollzogen; +Damasippus berief unter einem Vorwand den Senat, und die bezeichneten +Männer wurden teils in der Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem +Rathaus niedergestoßen. Trotz der vorhergegangenen gründlichen +Aufräumung fanden sich doch noch einzelne namhaftere Opfer: so der +gewesene Ädil Publius Antistius, der Schwiegervater des Gnaeus +Pompeius, und der gewesene Prätor Gaius Carbo, der Sohn des bekannten +Freundes und nachherigen Gegners der Gracchen, nach dem Tode so vieler +ausgezeichneter Talente die beiden besten Gerichtsredner auf dem +verödeten Markt; der Konsular Lucius Domitius und vor allem der +ehrwürdige Oberpriester Quintus Scaevola, der dem Dolch des Fimbria nur +entgangen war, um jetzt während der letzten Krämpfe der Revolution in +der Halle des seiner Obhut anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit +stummem Entsetzen sah die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des +Terrorismus durch die Straßen schleifen und sie in den Fluß werfen. + +Marius’ aufgelöste Haufen warfen sich in die nahen und festen +Neubürgerstädte Norba und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem +größten Teil der Flüchtlinge in die letztere. Sulla ließ, ebenwie das +Jahr zuvor vor Capua, vor Praeneste einen tüchtigen Offizier, den +Quintus Ofelia, zurück, mit dem Auftrag, seine Kräfte nicht an die +Belagerung der festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten +Blockadelinie einzuschließen und sie auszuhungern; er selbst rückte von +verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze +Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum +nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen und +die nötigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach +Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien +zu vertreiben. + +Metellus war inzwischen am Fluß Aesis (Esino zwischen Ancona und +Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen Provinz +schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestoßen und hatte diesen +geschlagen; als Carbo selbst mit seiner überlegenen Armee herbeikam, +hatte er das weitere Vordringen aufgeben müssen. Allein auf die +Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine +Kommunikationen besorgt, zurückgegangen bis auf die Flaminische +Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen +und von dort teils die Pässe des Apennin, teils das Potal zu behaupten. +Bei dieser rückgängigen Bewegung gerieten nicht bloß verschiedene +Abteilungen dem Feinde in die Hände, sondern ward auch von Pompeius +Sena gallica erstürmt und Carbos Nachhut in einem glänzenden +Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck. +Der Konsulat Norbanus übernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst +begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen +Legionen nach Etrurien änderte die Lage der Dinge: bald reichten von +Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Hände. +Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und +schnitt bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, +in das auf der großen Straße nach Placentia er eine Abteilung vorgehen +ließ unter Marcus Lucullus, dem Quästor Sullas und dem Bruder seines +Flottenführers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein +Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen auf +Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Straße bei +Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die +Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht, +aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum +Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rückte von Rom aus in zwei +Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Küste vorgehend +bei Saturnia (zwischen den Flüssen Ombrone und Albegna) das ihm +entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Führung +im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glückliches Gefecht +mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die +zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward, +endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten +Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der +Umgegend von Rom schienen die Dinge für die revolutionäre Partei sich +günstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsächlich nach dieser +Gegend ziehen zu wollen. Denn während die oligarchische Partei alle +ihre Kräfte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller +Orten die äußerste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu +sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte +sich dazu auf; es scheint indes nicht, daß er nach Praeneste gelangte. +Ebensowenig glückte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen +Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen +Truppen überfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr +und Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurück, ein anderer +nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus +Süditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die +Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne daß +der Abmarsch ihnen gewehrt worden wäre, zogen im Kampanien, wo Capua +noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich +und rückten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla +selbst kehrte darauf, mit Zurücklassung eines Korps gegen Carbo, nach +Latium zurück und nahm in den Engpässen vorwärts Praeneste 6 eine +wohlgewählte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte. +Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen, +vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten +unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo +gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstärkt hatte. +Während aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte, +kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der +Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn +des Metellus, Marcus Lucullus, mit überlegener Macht angegriffen und +ihn genötigt, sich in Placentia einzuschließen, endlich sich gegen +Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am +späten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermüdeten Truppen sofort an; +die Folge war eine vollständige Niederlage und die totale Auflösung +seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurückkamen. Auf +die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und +schlug die gegen ihn zurückgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen +Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in +Masse über; ihr Führer machte seine anfängliche Zögerung wieder gut, +indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionären Armee zu einem +Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen ließ; überhaupt +schloß, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen +Vorräten und Kassen geriet in Metellus’ Gewalt; Norbanus schiffte nach +Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte +das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten Truppen konnten +sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die +Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese +Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer +ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er +dennoch heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich +ein. Die im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit +dem der Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils +wurden sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas +zusammen und führte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier +hatte inzwischen nichts sich verändert; und die letzte Entscheidung +nahte heran. Carrinas’ Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas +Stellung zu erschüttern; schon näherte sich der Vortrab der bisher in +Etrurien beschäftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius; +in wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der +Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Führer desselben, von +Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken +Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit +verloren; ihre Rückzugslinie, die Latinische Straße, geriet durch +diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemächtigten, +so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs +geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit +überlegene Armeen, darin unfehlbar erdrückt. Aber es handelte sich auch +nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach Rom, +dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und vor +allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius +von Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit +geraubt hätten, loszuwerden, müsse man den Wald vernichten, in dem sie +hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt als am 1. +November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas, Damasippus auf der +Latinischen Straße gegen Rom herangezogen, etwa eine Viertelmeile vom +Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der 20. Juli 365 der +Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der Kelten und der +Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich gegen Rom ein +törichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in der Hauptstadt konnte +es den Anrückenden nicht fehlen. Die Freiwilligenschar, die aus der +Stadt ausrückte, meist vornehme Jünglinge, zerstob wie Spreu vor der +ungeheuren Übermacht. Die einzige Hoffnung der Rettung beruhte auf +Sulla. Dieser war, auf die Nachricht vom Abmarsch des samnitischen +Heeres in der Richtung auf Rom, gleichfalls eiligst aufgebrochen der +Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden Mut der Bürgerschaft belebte im +Laufe des Morgens das Erscheinen seiner ersten Reiter unter Balbus; am +Mittag erschien er selbst mit der Hauptmacht und ordnete sofort am +Tempel der Erykinischen Aphrodite vor dem Collinischen Tor (unweit +Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine Unterbefehlshaber beschworen +ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch erschöpften Truppen sofort in den +Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, was die Nacht über Rom bringen +könne, und befahl noch am späten Nachmittag den Angriff. Die Schlacht +war hart bestritten und blutig. Der linke Flügel Sullas, den er selbst +anführte, wich zurück bis an die Stadtmauer, so daß es notwendig ward, +die Stadttore zu schließen; schon brachten Versprengte die Nachricht an +Ofelia, daß die Schlacht verloren sei. Allein auf den rechten Flügel +warf Marcus Crassus den Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch +auch der andere Flügel wider Luft bekam und eine Stunde nach +Sonnenuntergang seinerseits ebenfalls zum Vorrücken überging. Die ganze +Nacht und noch den folgenden Morgen ward gefochten; erst der Übertritt +einer Abteilung von 3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die früheren +Kameraden wandten, setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die +Insurgentenarmee, für die es nirgends einen Rückzug gab, wurde +vollständig aufgerieben. Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 +bis 4000 an der Zahl, darunter die Generale Damasippus, Carrinas und +den schwer verwundeten Pontius, ließ Sulla am dritten Tage nach der +Schlacht in das städtische Meierhaus auf dem Marsfeld führen und +daselbst bis auf den letzten Mann niederhauen, so daß man in dem nahen +Tempel der Bellona, wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich +das Klirren der Waffen und das Stöhnen der Sterbenden vernahm. Es war +eine gräßliche Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber +es ist nicht gerecht zu verschweigen, daß diese selben Menschen, die +dort starben, wie eine Räuberbande über die Hauptstadt und die +Bürgerschaft hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden hätten, +so weit vernichtet haben würden, als Feuer und Schwert eine Stadt und +eine Bürgerschaft zu vernichten vermögen. + +—————————————————————————- + +6 Es wird gemeldet, daß Sulla in dem Engpaß stand, durch den Praeneste +allein zugänglich war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, +daß sowohl ihm als dem Entsatzheer die Straße nach Rom offenstand. Ohne +Zweifel stand Sulla auf der Querstraße, die von der Latinischen, auf +der sie Samniten herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in +diesem Fall kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde +auf der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt. + +————————————————————————- + +Damit war der Krieg in der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von +Praeneste ergab sich, als die aus den über die Mauer geworfenen Köpfen +des Carrinas und anderer Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom +erfuhr. Die Führer, der Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, +stürzten, nachdem ein Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich +einer in des andern Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und +ward durch Cethegus darin bestärkt, daß der Sieger für sie auch jetzt +noch Gnade walten lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je +unbedingter Sulla bis zum letzten Augenblick den Übertretenden volle +Verzeihung gewährt hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die +Führer und Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den +praenestinischen Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar außer den +Kindern und Frauen die meisten Römer und einzelne Pränestiner +entlassen, aber die römischen Senatoren, fast alle Pränestiner und +sämtliche Samniten wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche +Stadt geplündert. Es ist begreiflich, daß nach solchem Vorgang die noch +nicht übergegangenen Neubürgerstädte den Widerstand in hartnäckigster +Weise fortsetzten. So töteten in der latinischen Stadt Norba, als +Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Bürger sich +untereinander und zündeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern +die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits +früher Neapolis erstürmt und, wie es scheint, Capua freiwillig +aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den +Samniten geräumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch übrige +namhafte Führer der Italiker, der Insurgentenkonsul des +hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von +seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der +er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tür des eigenen +Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklärte +der Diktator, daß Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe, +und daß darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden müsse; +und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen in +schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen +Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen +(674? 80) und die bis dahin blühende und bevölkerte Landschaft in die +Einöde umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward +in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstürmt. Länger wehrten sich in +Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das +aus den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um +sich sammelte und eine zweijährige, zuerst von Sulla persönlich, sodann +von dem gewesenen Prätor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen +Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre +nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen +freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder +Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien über Verrat und +steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der römischen +Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemäß der Kapitulation +abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien +verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen +belegt; unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten +langsam die letzten Zuckungen der revolutionären und nationalen +Opposition. + +——————————————————————————- + +7 Ein anderer Name kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in +Samnio sich verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10. + +——————————————————————————— + +Noch gab es in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter +der revolutionären Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius +Philippus entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische +Gallien leistete geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, +Spanien, Africa schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei +noch keineswegs verloren. Sizilien regierte für sie der zuverlässige +Statthalter Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen +Spanien die Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien +ansässigen Römern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewußt, +welche zunächst die Pyrenäenpässe sperrte; er hatte auch hier wieder +bewiesen, daß, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und +unter all den revolutionären Inkapazitäten er der einzige praktisch +brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da +er das Revolutionieren allzu gründlich betrieb und den Sklaven die +Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die römischen Kaufleute +von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung überfallen und +mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz +nichtsdestoweniger zu der revolutionären Regierung, und Cinnas +Schwiegersohn, der junge fähige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, übernahm +daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in +die Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren +legitime Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn, +hielten zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den +demokratischen Prätendenten Hiarbas vom Thron gestoßen worden, und +ähnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien +geflüchtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria) +zwischen Afrika und Sizilien, unschlüssig, wie es scheint, ob er nach +Ägypten sich flüchten oder in einer der treuen Provinzen versuchen +sollte, den Kampf zu erneuern. + +Sulla sandte nach Spanien den Gaius Annius und den Gaius Valerius +Flaccus, als Statthalter jenen der jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. +Das schwierige Geschäft, die Pyrenäenpässe mit Gewalt sich zu eröffnen, +ward ihnen dadurch erspart, daß der von Sertorius dort hingestellte +General durch einen seiner Offiziere ermordet ward und darauf die +Truppen desselben sich verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich +im gleichen Kampfe zu behaupten, raffte eilig die nächststehenden +Abteilungen zusammen und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin, +wußte er selbst nicht, vielleicht an die afrikanische Küste oder nach +den Kanarischen Inseln, nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche. +Spanien unterwarf hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 +81), und Flaccus focht glücklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er +marschierte, und mit den spanischen Keltiberern (674 80). + +Nach Sizilien ward Gnaeus Pompeius als Proprätor gesandt und die Insel, +als Pompeius mit 120 Segeln und sechs Legionen sich an der Küste +zeigte, von Perpenna ohne Gegenwehr geräumt. Pompeius schickte von dort +ein Geschwader nach Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen +Offiziere aufhob; Marcus Brutus und die übrigen wurden sofort +hingerichtet, den Konsul Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn +selbst nach Lilybäon zu führen, um ihn hier, uneingedenk des in +gefährlicher Zeit ihm von ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes, +persönlich dem Henker zu überliefern (672 82). Von hier weiter beordert +nach Afrika, schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas +gesammelten, nicht unbedeutenden Streitkräfte mit seinem allerdings +weit zahlreicheren Heer aus dem Felde und gab, die Begrüßung als +Imperator vorläufig ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das +feindliche Lager. So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus +war unter den Gefallenen; mit Hilfe des Königs Bogud ward Hiarbas in +Bulla ergriffen und getötet und Hiempsal in sein angestammtes Reich +wiedereingesetzt; eine große Razzia gegen die Bewohner der Wüste, von +denen eine Anzahl gätulischer, von Marius als frei anerkannter Stämme +Hiempsal untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des +römischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius’ Landung in +Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer +aufzulösen, worin die Andeutung lag, daß er nicht zum Triumph gelassen +werden solle, auf welchen er als außerordentlicher Beamter dem +Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte +heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die +afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen +Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und ließ den jungen +Mann sich berühmen, der einzige Römer zu sein, der eher Triumphator +(12. März 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von +diesen bequemen Großtaten begrüßte der “Glückliche”, vielleicht nicht +ohne einige Ironie, den Jüngling als den “Großen”. + +Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Frühling 671 (83) die +Waffen nicht geruht. Die Restauration der alten Verhältnisse und die +Unterwerfung einzelner Städte kostete, wie in Italien so auch in Asien, +noch manchen blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene +mußte Lucius Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte, +endlich Truppen führen, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem +eigensinnigen Widerstand der Bürgerschaft kein Ende. + +Mittlerweile war der römische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit +dem König Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich +nach dem Frieden beschäftigt, seine auch in den nördlichen Provinzen +erschütterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier +beruhigt, indem er seinen tüchtigen Sohn Mithradates ihnen zum +Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geräumt, und +rüstete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die +Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine +Freistatt hatte suchen müssen, daß diese Rüstungen gegen Rom gerichtet +seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, daß Mithradates noch +kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen nach +dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische +Grenze (671 83). Mithradates begnügte sich, bei Murena und, da dies +vergeblich war, bei der römischen Regierung Beschwerde zu führen. In +der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen; +allein er fügte sich nicht, sondern überschritt den Halys und betrat +das unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloß, Gewalt +mit Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios mußte das römische Heer +festhalten, bis der König mit weit überlegenen Streitkräften herankam +und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit großem Verlust +bis über die römische Grenze nach Phrygien zurückgeworfen, die +römischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte +zwar die Stirn, wegen dieser Vorgänge sich Sieger zu nennen und den +Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und eine +zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht +weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert +(673 81). + +Über diese törichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenäer verzögert +worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer Belagerung zu +Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute Dienste tat, die +Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79). + +Die zehnjährige Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten +zu Ende; der Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden +nach außen und innen. Nach den fürchterlichen Konvulsionen der letzten +Jahre war schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewähren +sollte, ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewältigung +des Landesfeindes, das schwerere der Bändigung der Revolution gelungen +war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren +Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genügen +vermochte, mußte demnächst sich entscheiden. + + + + +KAPITEL X. +Die Sullanische Verfassung + + +Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen Römern und Römern +geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671 (83), war der ehrwürdige +Tempel, den die Könige errichtet, die junge Freiheit geweiht, die +Stürme eines halben Jahrtausends verschont hatten, der Tempel des +Römischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen aufgegangen. Es war kein +Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes der römischen Verfassung. +Auch diese lag in Trümmern und bedurfte eines neuen Aufbaus. Die +Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte doch viel, daß damit von +selber das alte Regiment wieder sich hergestellt hätte. Allerdings +meinte die Masse der Aristokratie, daß jetzt nach dem Tode der beiden +revolutionären Konsuln es genügen werde, die gewöhnliche Ergänzungswahl +zu veranstalten und es dem Senat zu überlassen, was ihm zur Belohnung +der siegreichen Armee, zur Bestrafung der schuldigsten Revolutionäre, +etwa auch zur Verhütung ähnlicher Ausbrüche weiter erforderlich +erscheinen werde. Allein Sulla, in dessen Händen der Sieg für den +Augenblick alle Macht vereinigt hatte, urteilte richtiger über die +Verhältnisse und die Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer +besten Epoche nicht hinausgekommen über ein halb großartiges, halb +borniertes Festhalten an den überlieferten Formen; wie sollte das +schwerfällige kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine +umfassende Staatsreform energisch und konsequent durchzuführen? Und +eben jetzt, nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats +weggerafft hatte, war in demselben die zu einem solchen Beginnen +erforderliche Kraft und Intelligenz weniger als je zu finden. Wie +unbrauchbar durchgängig das aristokratische Vollblut und wie wenig +Sulla über dessen Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die +Tatsache, daß mit Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus er +sich seine Werkzeuge sämtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei +und den Überläufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus, +Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die +Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem +leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff, wohl +auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie hätte er sonst +überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser als +seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses +Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich betrachtete er teils +umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit möglich war, ohne das +Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines +energischen Repressiv- und Präventivsystems; und er sah es deutlich, +daß der Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstümmeln, +jeden systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte +Sulla schon nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in +der einen und der andern Richtung durchgesetzt, was er für nötig +erachtete, so war er auch jetzt unter weit schärferen und gespannteren +Verhältnissen entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der +Oligarchen auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie +damals Konsul, sondern bloß mit prokonsularischer, das heißt rein +militärischer Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer möglichst nahe an +den verfassungsmäßigen Formen sich haltenden, aber doch +außerordentlichen Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu +oktroyieren. In einem Schreiben an den Senat eröffnete er demselben, +daß es ihm unumgänglich scheine, die Ordnung des Staates in die Hände +eines einzigen, mit unumschränkter Machtvollkommenheit ausgerüsteten +Mannes zu legen, und daß er sich für geeignet halte, diese schwierige +Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war +unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im Auftrag des Senats +brachte der Vormann desselben, der Zwischenkönig Lucius Valerius +Flaccus der Vater, als interimistischer Inhaber der höchsten Gewalt bei +der Bürgerschaft den Antrag ein, daß dem Prokonsul Lucius Cornelius +Sulla für die Vergangenheit die nachträgliche Billigung aller von ihm +als Konsul und Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, für die Zukunft +aber das Recht erteilt werden möge, über Leben und Eigentum der Bürger +in erster und letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomänen nach +Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach +Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzulösen oder zu +gründen, über die Provinzen und die abhängigen Staaten zu verfügen, das +höchste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und +Proprätoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den +Staat zu ordnen; daß es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle, +wann er seine Aufgabe gelöst und es an der Zeit erachte, dies +außerordentliche Amt niederzulegen; daß endlich während desselben es +von seinem Gutfinden abhängen solle, die ordentliche höchste +Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht +sich, daß die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und +nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul +die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von +Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen +Kriege tatsächlich abgeschafften Diktatur; aber sie außer seinem +bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten als +dem Diktator der älteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue +“Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens”, +wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes +ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschränkte, die Provokation +an die Bürgerschaft nicht ausschließende und die ordentliche +Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem der +“Zehnmänner zur Abfassung von Gesetzen”, die gleichfalls als +außerordentliche Regierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter +Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und +tatsächlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes +verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem +Volksbeschluß ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialität +eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Königtum, +das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Bürgerschaft, +einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von +Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, daß ein +König besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich ward +auch der Diktatortitel nur gewählt um anzudeuten, daß, wie die +ehemalige Diktatur eine vielfach beschränkte, so diese neue eine +vollständige Wiederaufnahme der königlichen Gewalt in sich enthalte. So +fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den in +so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier +mußte die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr +der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig +andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem +letzten Siege der Oligarchie. + +———————————————————— + +^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22). + +———————————————————— + +Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des +Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht gewünscht; da ihm aber +keine andere Wahl blieb, als sie gänzlich unfähigen Händen zu +überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er sie an mit +rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen mußte eine Feststellung +hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war an sich zum +Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, konnte er +wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hüten, der sein Auge +flammen und seine Wangen sich färben sah; aber die chronische +Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen +war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloß nach der +Revolution von 666 (88) war er mit verhältnismäßig großer Milde +aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel verübt und ihn +persönlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem +Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Körper +seiner Freunde durch die Straßen der Hauptstadt schleifte, hatte er dem +blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser +freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anständig zu +bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten, +zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen +kam, war zurückgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er +in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war +es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloß abgebrochen, sondern +nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten +abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung +der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun +war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar +nach Übernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei +sämtliche Zivil- und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung +zufolge rechtsbeständig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch für +die Revolution tätig gewesen wären, und von den übrigen Bürgern +diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan hätten. +Wer einen dieser Vogelfreien tötete, war nicht bloß straffrei wie der +Henker, der ordnungsmäßig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt +auch für die Hinrichtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3600 +Tälern); jeder dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der +nächste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der +Geächteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und +Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch aber, +insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die +senatorischen Lasten für ihren Teil zu übernehmen. Die letzten +Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter und die Nachkommen +derjenigen, die im Kampfe für die Revolution gefallen waren; was noch +hinausging selbst über die im ältesten Recht gegen solche, die die +Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das +Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der +aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward +und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, daß er die Namen der +Geächteten öffentlich anschlagen ließ und als letzten Termin für den +Schluß der Ächtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr diese +täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende +Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Bürger war, so war doch damit +der reinen Schergenwillkür in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht +der persönliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel; +sein grimmiger Haß richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber +der scheußlichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen +Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen +und die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmäler seiner +Siege über Afrikaner und Deutsche umgestürzt und, da ihn selbst sowie +seinen Sohn der Tod seiner Rache entrückt hatte, sein Adoptivneffe +Marcus Marius Gratidianus, der zweimal Prätor gewesen und bei der +römischen Bürgerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des +bejammernswertesten der Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter +den grausamsten Martern hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon +die namhaftesten der Gegner hingerafft; von den Führern waren nur noch +übrig Gaius Norbanus, der in Rhodos Hand an sich selbst legte, während +die Ekklesia über seine Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine +Bedeutungslosigkeit und wohl auch seine vornehme Geburt Schonung +verschafften und die Erlaubnis, in seiner Zufluchtsstätte Massalia +seine Tage in Ruhe beschließen zu dürfen; und Quintus Sertorius, der +landflüchtig an der mauretanischen Küste umherirrte. Aber dennoch +häuften sich am Servilischen Bassin, da wo die Jugarische Gasse in den +Marktplatz einmündete, die Häupter der getöteten Senatoren, welche hier +öffentlich auszustellen der Diktator befohlen hatte, und vor allem +unter den Männern zweiten und dritten Ranges hielt der Tod eine +furchtbare Ernte. Außer denen, die für Ehre Dienste in der oder für die +revolutionäre Armee ohne viele Wahl, zuweilen wegen eines einem der +Offiziere derselben gemachten Vorschusses oder wegen der mit einem +solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die Liste eingetragen +wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die über die Senatoren zu +Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen spekuliert hatten, +“die Einsäckler”, die Vergeltung; etwa sechzehnhundert der sogenannten +Ritter 3 waren auf der Ächtungsliste verzeichnet. Ebenso büßten die +gewerbsmäßigen Ankläger, die schwerste Geißel der Vornehmen, die sich +ein Geschäft daraus machten, die Männer senatorischen Standes vor die +Rittergerichte zu ziehen - “Wie geht es nur zu”, fragte bald darauf ein +Sachwalter, “daß sie uns die Gerichtsbänke gelassen haben, da sie doch +Ankläger und Richter totschlugen?” Die wildesten und schändlichsten +Leidenschaften rasten viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. +In der Hauptstadt war es ein Keltentrupp, dem zunächst die Exekutionen +aufgetragen wurden, und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere +durchzogen zu gleichem Zweck die verschiedenen Distrikte Italiens; aber +auch jeder Freiwillige war ja willkommen, und vornehmes und niederes +Gesindel drängte sich herbei, nicht bloß, um die Mordprämie zu +verdienen, sondern auch, um unter dem Deckmantel der politischen +Verfolgung die eigene Rachsucht oder Habsucht zu befriedigen. Es kam +wohl vor, daß der Eintragung in die Ächtungsliste die Ermordung nicht +nachfolgte, sondern voranging. Ein Beispiel zeigt, in welcher Art diese +Exekutionen erfolgten. In Larinum, einer marianisch gesinnten +Neubürgerstadt, trat ein gewisser Statius Albius Oppianicus, der um +einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in das Sullanische Hauptquartier +entwichen war, nach dem Sieg auf als Kommissarius des Regenten, setzte +die Stadtobrigkeit ab und sich und seine Freunde an deren Stelle und +ließ den, der ihn mit der Anklage bedroht hatte, nebst dessen nächsten +Verwandten und Freunden ächten und töten. So fielen unzählige, darunter +nicht wenige entschiedene Anhänger der Oligarchie, als Opfer der +Privatfeindschaft oder ihres Reichtums; die fürchterliche Verwirrung +und die sträfliche Nachsicht, die Sulla wie überall so auch hier gegen +die ihm näher Stehenden bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der +hierbei mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen. + +————————————————————————- + +2 Diese Gesamtzahl gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, +9.5) wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträglich +noch einige hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus +Aug. civ. 3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) +wurden in den ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den +ersten Tagen 580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen +Berichten ist ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils +nicht bloß Senatoren und Ritter getötet wurden, teils die Liste +monatelang offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1, +103) als von Sulla getötet oder verbannt aufführt fünfzehn Konsulare, +90 Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang +zeigt, die Opfer des Bürgerkriegs überhaupt und die Opfer Sullas +verwechselt. Die fünfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 +(102), Marcus Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus +Scaevola 659 (95), Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), +Quintus Rufus 666 (88), Lucius Cinna 667-670 (87-84), Gnaeus Octavius +667 (87), Lucius Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo +669, 670, 672 (85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 +(83), Gaius Marius 672 (82), von denen vierzehn getötet, einer, Lucius +Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop +(5, 9) und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Bürgerkrieg +weggerafft (consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Prätorier, sechs +Ädilizier, 200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege +gefallenen Männer mitgezählt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul +655 (99), Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato +665 (89), teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius +Aquillius, Gaius Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls +auch als Opfer dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Männer, deren +Schicksal uns nicht bekannt ist. Von den vierzehn getöteten Konsularen +sind drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militärrevolten, dagegen +acht Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei +gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als +Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40 +Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz +willkürlichen Maßstab zur Abschätzung des Umfangs der beiderseitigen +Frevel. + +3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede für Publius Quinctius öfter +genannte Senator Sextus Alfenus. + +————————————————————————————— + +In ähnlicher Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus +politischen Rücksichten dahin, daß die angesehenen Bürger sich bei +dessen Ersteigerung beteiligten; ein großer Teil drängte übrigens +freiwillig sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. +Unter den obwaltenden Umständen war die ärgste Schleuderwirtschaft +nicht zu vermeiden, die übrigens zum Teil schon aus der römischen Weise +folgte, die vom Staat eingezogenen Vermögen gegen eine Pauschalsumme +zur Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, daß der Regent teils +sich selbst nicht vergaß, teils besonders seine Gemahlin Metella und +andere ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst +Freigelassene und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen ließ, bald +ihnen den Kaufschilling ganz oder teilweise erließ - so soll zum +Beispiel einer seiner Freigelassenen ein Vermögen von 6 Millionen +(457000 Talern) für 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und +einer seiner Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem +Vermögen von 10 Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der +Unwille war groß und gerecht; schon während Sollas Regentschaft fragte +ein Advokat, ob der Adel den Bürgerkrieg nur geführt habe, um seine +Freigelassenen und Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser +Schleuderei indes betrug der Gesamterlös aus den konfiszierten Gütern +nicht weniger als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem +ungeheuren Umfang dieser hauptsächlich auf den reichsten Teil der +Bürgerschaft fallenden Einziehungen einen ungefähren Begriff gibt. Es +war durchaus ein fürchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozeß, +keine Begnadigung mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem +Lande, und das freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der +Landstadt verstummt. Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl +einen anderen Stempel als das revolutionäre; wenn Marius seine +persönliche Rachsucht im Blute seiner Feinde gelöscht hatte, so schien +Sulla den Terrorismus man möchte sagen abstrakt als zur Einführung der +neuen Gewaltherrschaft notwendig zu erachten und die Metzelei fast +gleichgültig zu betreiben oder betreiben zu lassen. Aber nur um so +entsetzlicher erschien das Schreckensregiment, indem es von der +konservativen Seite her und gewissermaßen ohne Leidenschaft auftrat; +nur um so unrettbarer schien das Gemeinwesen verloren, indem der +Wahnsinn und der Frevel auf beiden Seiten im Gleichgewicht standen. + +In der Ordnung der Verhältnisse Italiens und der Hauptstadt hielt +Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen alle während der Revolution +vorgenommenen, nicht bloß die laufenden Geschäfte erledigenden +Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch fest an dem von ihr +aufgestellten Grundsatz, daß jeder Bürger einer italischen Gemeinde +damit von selbst auch Bürger von Rom sei; die Unterschiede zwischen +Bürgern und italischen Bundesgenossen, zwischen Altbürgern besseren und +Neubürgern beschränkteren Rechts waren und blieben beseitigt. Nur den +Freigelassenen ward das unbeschränkte Stimmrecht abermals entzogen und +für sie das alte Verhältnis wiederhergestellt. Den aristokratischen +Ultras mochte dies als eine große Konzession erscheinen; Sulla sah, daß +den revolutionären Führern jene mächtigen Hebel notwendig aus der Hand +gewunden werden mußten und daß die Herrschaft der Oligarchie durch die +Vermehrung der Zahl der Bürger nicht wesentlich gefährdet ward. Aber +mit dieser Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das härteste Gericht +über die einzelnen Gemeinden in sämtlichen Landschaften Italiens, +ausgeführt durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die +ganze Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Städte wurden belohnt, +wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen +hatte, Brundisium, jetzt die für diesen Seehafen so wichtige +Zollfreiheit erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden +Geldbußen, Niederreißung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; +den hartnäckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer +Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich +allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als +Bürgergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen, +oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit Rom +Krieg geführt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem +Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich +das römische Bürgerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste +latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen +Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu +gewähren; die heimatlosen Expropriierten mußten bald in der Masse des +Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloß, wie sich von +selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die +Domäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um +diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen. +In Latium wurde die gesamte Mark der großen und reichen Stadt Praeneste +und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von +Spoletium. Sulmo in der pälignischen Landschaft ward sogar geschleift. +Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden +Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am +Collinischen Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien +und Samnium. Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der +ansehnlichsten Kommunen, zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium, +Volaterrae. Von Samniums Schicksal ward schon gesprochen; hier ward +nicht konfisziert, sondern das Land für immer verwüstet, seine +blühenden Städte, selbst die ehemalige latinische Kolonie Aesernia, öde +gelegt und die Landschaft der bruttischen und lucanischen +gleichgestellt. + +——————————————————————- + +4 Es kam hierbei noch die eigentümliche Erschwerung hinzu, daß das +latinische Recht sonst regelmäßig, ebenwie das peregrinische, die +Mitgliedschaft in einer bestimmten latinischen oder peregrinischen +Gemeinde in sich schloß, hier aber - ähnlich wie bei den späteren +Freigelassenen latinischen und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) - +ohne ein solches eigenes Stadtrecht auftrat. Die Folge war, daß diese +Latiner die an die Stadtverfassung geknüpften Privilegien entbehrten, +genau genommen auch nicht testieren konnten, da niemand anders ein +Testament errichten kann als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber +konnten sie aus römischen Testamenten erwerben und unter Lebenden unter +sich wie mit Römern oder Latinern in den Formen des römischen Rechts +verkehren. + +———————————————————————- + +Diese Anordnungen über das italische Bodeneigentum stellten teils +diejenigen römischen Domanialländereien, welche den ehemaligen +Bundesgenossengemeinden zur Nutznießung übertragen waren und jetzt mit +deren Auflösung an die römische Regierung zurückfielen, teils die +eingezogenen Feldmarken der straffälligen Gemeinden zur Verfügung des +Regenten; und er benutzte sie, um darauf die Soldaten der siegreichen +Armee ansässig zu machen. Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen +nach Etrurien, zum Beispiel nach Faesulae und Arretium, andere nach +Latium und Kampanien, wo unter andern Praeneste und Pompeii Sullanische +Kolonien wurden. Samnium wiederzubevölkern lag, wie gesagt, nicht in +der Absicht des Regenten. Ein großer Teil dieser Assignationen erfolgte +in gracchanischer Weise, so daß die Angesiedelten zu einer schon +bestehenden Stadtgemeinde hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung +war, zeigt die Zahl der verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben +wird; wobei dennoch einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, +wie zum Beispiel der Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Ländereien +beschenkt ward, andere, wie die volaterranische Mark und ein Teil der +arretinischen, unverteilt blieben, andere endlich nach dem alten, +gesetzlich untersagten, aber jetzt wiederauftauchenden Mißbrauch von +Sullas Günstlingen nach Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die +Zwecke, die Sulla bei dieser Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher +Art. Zunächst löste er damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner +nahm er damit den Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die +gemäßigten Konservativen zusammentrafen und demgemäß er selbst schon im +Jahre 666 (88) die Gründung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: +die Zahl der ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung +größerer Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie +ernstlich ihm hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des +Zusammenschlagens der Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen +angesiedelten Soldaten gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem +Eigentumsrecht zugleich seine neue Verfassung schirmen würden; weshalb +auch, wo nicht die ganze Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in +Pompeii, die Kolonisten nicht mit der Stadtgemeinde verschmolzen, +sondern die Altbürger und die Kolonisten als zwei in demselben +Mauerring vereinigte Bürgerschaften konstituiert wurden. Diese +Kolonialgründungen ruhten wohl auch wie die älteren auf Volksschluß, +aber doch nur mittelbar, insofern sie der Regent auf Grund der +desfälligen Klausel des Valerischen Gesetzes konstituierte; der Sache +nach gingen sie hervor aus der Machtvollkommenheit des Herrschers und +erinnerten insofern an das freie Schalten der ehemaligen königlichen +Gewalt über das Staatsgut. Insofern aber, als der Gegensatz des +Soldaten und des Bürgers, der sonst eben durch die Deduktion der +Soldaten aufgehoben ward, bei den Sullanischen Kolonien noch nach ihrer +Ausführung lebendig bleiben sollte und blieb, und als diese Kolonisten +gleichsam das stehende Heer des Senats bildeten, werden sie nicht +unrichtig im Gegensatz gegen die älteren als Militärkolonien +bezeichnet. + +Dieser faktischen Konstituierung einer stehenden Armee des Senats +verwandt ist die Maßregel des Regenten, aus den Sklaven der Geächteten +über 10000 der jüngsten und kräftigsten Männer auszuwählen und +insgesamt freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren bürgerliche +Existenz an die Rechtsbeständigkeit der Institutionen ihres Patrons +geknüpft war, sollten eine Art von Leibwache für die Oligarchie sein +und ihr den städtischen Pöbel beherrschen helfen, auf den nun einmal in +der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam. + +Diese außerordentlichen Stützen, auf die zunächst der Regent die +Oligarchie lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber +erscheinen mochten, waren doch die einzig möglichen, wenn man nicht zu +Mitteln greifen wollte, wie die förmliche Aufstellung eines stehendes +Heeres in Rom und dergleichen Maßregeln mehr, die der Oligarchie noch +weit eher ein Ende gemacht haben würden als ,die demagogischen +Angriffe. Das dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der +Oligarchie mußte natürlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und +so konzentrierten Gewalt, daß er an jedem einzelnen Angriffspunkt den +nichtorganisierten Gegnern überlegen gegenüberstand. Das vierzig Jahre +hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische +Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666, +ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die +Regierung dem hauptstädtischen Proletariat gleichsam das Recht der +Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmäßige +Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Bürger; +Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten und +Zölle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den +Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der +Mittelsmänner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten +in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der +Rückstände entworfenen Schätzungslisten auf die einzelnen Bezirke +umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Übergabe der +Geschworenenposten an die Männer vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand +eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten +sich stärker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla +schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder +her. Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern +einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeräumt, wie ihn schon seit +längerer Zeit die Senatoren besaßen; Sulla hob ihn auf und wies die +Ritter zurück auf die Plebejerbänke 6. Der Ritterstand, als solcher +durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch +Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die +höchste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten überkommen und +auch äußerlich nicht bloß als privilegierter, sondern als einzig +privilegierter Stand auftreten. + +———————————————————————— + +5 Daß Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahresziele und der +Kriegskosten auf die Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch +für die Zukunft maßgebend war, zeigt schon die Zurückführung der +Einteilung Asias in vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) +und die Zugrundelegung der sullanischen Repartition bei späteren +Ausschreibungen (Cic. Flacc. 14, 32), ferner, daß bei dem Flottenbau +672 (81) die hierzu verwandten Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia +vectigali populo Romano) gekürzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89). +Geradezu sagt endlich Cicero (ad Q. fr. 1, 11, 33), daß die Griechen +“nicht imstande waren, von sich aus den von Sulla ihnen auferlegten +Zins zu zahlen ohne Steuerpächter”. + +6 Überliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen +ward, welches die Erneuerung des älteren Privilegs durch das Roscische +Theatergesetz 687 (67) nötig machte (Friedländer in Becker, Handbuch, +Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber dieses +Gesetzes unzweifelhaft Sulla. + +——————————————————————— + +Vor allem mußte zu diesem Ende die Regierungsbehörde ergänzt und selber +unabhängig gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der +Senatoren furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch +die Rittergerichte Verbannten jetzt die Rückkehr frei, wie dem Konsular +Publius Rutilius Rufus, der übrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch +machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies ein +geringer Ersatz für die Lücken, die der revolutionäre wie der +reaktionäre Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte. +Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat außerordentlicherweise +ergänzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung +aus den Männern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie, wie +begreiflich, vorzugsweise teils aus den jüngeren Männern der +senatorischen Häuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen, +durch die letzte Umwälzung Emporgekommenen auslas. Aber auch für die +Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich +andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in +den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche +und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei +kurulischen Ämter: des Konsulats, der Prätur oder der Ädilität, an +welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im +Senat geknüpft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats +oder der Quästur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im +Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Männer +sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen +beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens +tatsächliche Beseitigung der Zensur und änderte den zweiten dahin ab, +daß der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Ädilität an die +Quästur geknüpft und zugleich die Zahl der jährlich zu ernennenden +Quästoren auf zwanzig 7 erhöht ward. Die bisher den Zensoren rechtlich +zustehende, obwohl tatsächlich längst nicht mehr in ihrem +ursprünglichen ernstlichen Sinn geübte Befugnis, bei den von fünf zu +fünf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter Angabe von +Gründen von der Liste zu streichen, fiel für die Zukunft ebenfalls +fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren ward also +von Sulla schließlich festgestellt. Die Gesamtzahl der Senatoren, die +bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht viel überstiegen +und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch beträchtlich, +vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhöht, 8 was auch schon +die durch die Übertragung der Geschworenenfunktionen stark vermehrten +Geschäfte des Senats notwendig machten. Indem ferner sowohl die +außerordentlich eintretenden Senatoren als die Quästoren ernannt wurden +von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf den Wahlen des +Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl gegründet, +derselbe also einem repräsentativen Regiment so weit genähert, als dies +mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des Altertums überhaupt +sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten bestimmten +Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten befehlende +und selbstregierende Behörde geworden; es war hiervon nur eine +konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten ursprünglich +zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben +entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt +wurde, auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante +Befugnis der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutdünken +Namen zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit +einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die +Quästorenwahl für eine genügende regelmäßige Ergänzung gesorgt ward, +wurden die zensorischen Revisionen überflüssig und durch deren Wegfall +das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die Inamovibilität und +Lebenslänglichkeit der zu Sitz und Stimme gelangten Glieder des +Herrenstandes, endgültig konsolidiert. + +———————————————————————— + +7 Wieviele Quästoren bis dahin jährlich gewählt wurden, ist nicht +bekannt. Im Jahre 487 (267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei +städtische, zwei Militär- und vier Flottenquästoren; wozu dann die in +den Ämtern beschäftigten Quästoren hinzugetreten sind. Denn die +Flottenquästuren in Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein, +und auch die Militärquästoren konnten nicht anderweitig verwendet +werden, da sonst der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne +Quästor gewesen sein würde. Da es nun bis auf Sulla neun Ämter gab, +überdies nach Sizilien zwei Quästoren gingen, so könnte er +möglicherweise schon achtzehn Quästoren vorgefunden haben. Wie indes +auch die Zahl der Oberbeamten dieser Zeit beträchtlich geringer als die +ihrer Kompetenzen gewesen und hier stets durch Fristerstreckung und +andere Aushilfen Rat geschafft worden ist, überhaupt die Tendenz der +römischen Regierung darauf ging, die Zahl der Beamten möglichst zu +beschränken, so mag es auch mehr quästorische Kompetenzen gegeben haben +als Quästoren, und es kann selbst sein, daß in kleine Provinzen, wie +zum Beispiel Kilikien, in dieser Zeit gar kein Quästor ging. Aber +sicher hat es doch schon vor Sulla mehr als acht Quästoren gegeben. + +8 Von einer festen Zahl der Senatoren kann genau genommen überhaupt +nicht die Rede sein. Wenn auch die Zensoren vor Sulla jedesmal eine +Liste von 300 Köpfen anfertigten, so traten doch zu dieser immer noch +diejenigen Nichtsenatoren hinzu, die nach Abfassung der Liste bis zur +Aufstellung der nächsten ein kurulisches Amt bekleideten; und nach +Sulla gab es so viele Senatoren, als gerade Quästorier am Leben waren. +Wohl aber ist anzunehmen, daß Sulla den Senat auf ungefähr 500 bis 600 +Köpfe zu bringen bedacht war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jährlich +20 neue Mitglieder von durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die +durchschnittliche Dauer der senatorischen Würde auf 25 bis 30 Jahre +ansetzt. In einer stark besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit +waren 417 Mitglieder anwesend. + +————————————————————————- + +Hinsichtlich der Gesetzgebung begnügte sich Sulla, die im Jahre 666 +(88) getroffenen Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische +Initiative, wie sie längst tatsächlich dem Senat zustand, wenigstens +den Tribunen gegenüber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Bürgerschaft +blieb der formelle Souverän; allein was ihre Urversammlungen anlangt, +so schien es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfältig zu +konservieren, aber jede wirkliche Tätigkeit derselben noch sorgfältiger +zu verhüten. Sogar mit dem Bürgerrecht selbst ging Sulla in der +geringschätzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den +Neubürgergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse +damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht, +schlechterdings gar nichts für die Feststellung der Bürgerliste, die +doch nach so gewaltigen Umwälzungen einer Revision dringend bedurfte, +wenn es überhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knüpfenden +Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschränkt wurde die +legislatorische Kompetenz der Komitien übrigens nicht; es war auch +nicht nötig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats +das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die +Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen +konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder zurückgeführt +ward auf das Recht, zu Änderungen der Verfassung ja zu sagen. + +Wichtiger war die Beteiligung der Bürgerschaft bei den Wahlen, deren +man nun einmal nicht entbehren zu können schien, ohne mehr +aufzurütteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration aufrütteln +konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die +Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloß das Domitische Gesetz von +650 (104), das die Wahlen zu den höchsten Priesterämtern überhaupt dem +Volke übertrug, sondern auch die älteren gleichartigen Verfügungen +hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von Sulla +kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergänzung in +seiner ursprünglichen Unbeschränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der +Wahlen zu den Staatsämtern aber blieb es im ganzen bei der bisherigen +Weise; außer insofern die sogleich zu erwähnende neue Regulierung des +militärischen Kommandos allerdings folgeweise eine wesentliche +Beschränkung der Bürgerschaft in sich schloß, ja gewissermaßen das +Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der Bürgerschaft auf den Senat +übertrug. Es scheint nicht einmal, daß Sulla die früher versuchte +Restauration der Servianischen Stimmordnung jetzt wiederaufnahm, sei es +nun, daß er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob die +Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es, daß diese +ältere Ordnung ihm den gefährlichen Einfluß der Kapitalisten zu +steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden wiederhergestellt und +teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines jeden Amtes +erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschärft; ebenso die +Bestimmung, daß jeder Bewerber um das Konsulat vorher die Prätur, jeder +Bewerber um die Prätur vorher die Quästur bekleidet haben müsse, +wogegen es gestattet war, die Ädilität zu übergehen. Mit besonderer +Strenge wurde, in Hinblick auf die jüngst mehrfach vorgenommenen +Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten +Konsulats die Tyrannis zu begründen, gegen diesen Mißbrauch +eingeschritten und verfügt, daß zwischen der Bekleidung zweier +ungleicher Ämter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen Bekleidung +desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfließen sollten; mit welcher +letzteren Bestimmung, anstatt der in der jüngsten ultraoligarchischen +Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder Wiederwahl zum Konsulat, +wieder die ältere Ordnung vom Jahre 412 (342) aufgenommen ward. Im +ganzen aber ließ Sulla den Wahlen ihren Lauf und suchte nur die +Beamtengewalt in der Art zu fesseln, daß, wen auch immer die +unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewählte +außerstande sein würde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen. + +Die höchsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsächlich die +drei Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Prätoren und der +Zensoren. Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit +wesentlich geschmälerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische +Amt, das dem Regenten erschien als ein zwar auch für das Senatsregiment +unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und stets +geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger und +dauernder Fesselung bedürftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die +Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den +Kontravenienten eventuell zu brächen und dessen weitere Bestrafung zu +veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den +Tribunen auch jetzt, nur daß auf den Mißbrauch des Interzessionsrechts +eine schwere, die bürgerliche Existenz regelmäßig vernichtende +Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem +Volke nach Gutdünken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen, +insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen, +teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen, +durch den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewälzt +hatten; sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgängig bei +dem Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhängig gemacht 9. Endlich wurde +hinzugefügt, daß die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur Übernahme +eines höheren Amtes unfähig machen solle - eine Bestimmung, die wie so +manches andere in Sullas Restauration wieder auf die altpatrizischen +Satzungen zurückkam und, ganz wie in den Zeiten vor der Zulassung der +Plebejer zu den bürgerlichen Ämtern, das Tribunat einer- und die +kurulischen Ämter andererseits miteinander unvereinbar erklärte. Auf +diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie, der tribunizischen +Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und aufstrebenden Männer von +dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe festzuhalten als Werkzeug +des Senats, sowohl zur Vermittlung zwischen diesem und der +Bürgerschaft, als auch vorkommendenfalls zur Niederhaltung der +Magistratur; und wie die Herrschaft des Königs und später der +republikanischen Beamten über die Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu +Tage tritt wie in dem Satze, daß ausschließlich sie das Recht haben, +öffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die jetzt zuerst rechtlich +festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am bestimmtesten in dieser +von dem Vormann des Volkes für jede Verhandlung mit demselben vom Senat +zu erbittenden Erlaubnis. + +——————————————————————- + +9 Darauf gehen die Worte des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 +Dietsch): populus Romanus exutus … iure agitandi, auf die Tacitus (ann. +3, 27) anspielt: statim turbidis Lepidi rogationibus neque multo post +tribunis reddita licentia quoquo vellent populum agitandi. Daß die +Tribune nicht überhaupt das Recht verloren, mit dem Volke zu +verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de +Thermensibus, welches aber auch in der Eingangsformel sich bezeichnet +als de senatus sententia erlassen. Daß die Konsuln dagegen auch nach +der Sullanischen Ordnung ohne vorgängigen Senatsbeschluß Anträge an das +Volk bringen konnten, beweist nicht bloß das Stillschweigen der +Quellen, sondern auch der Verlauf der Revolutionen von 667 (87) und 676 +(78), deren Führer eben aus diesem Grunde nicht Tribune, sondern +Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch in dieser Zeit konsularische +Gesetze über administrative Nebenfragen, wie zum Beispiel das +Getreidegesetz von 681 (73), für die zu andern Zeiten sicher Plebiszite +eingetreten sein würden. + +—————————————————————- + +Auch Konsulat und Prätur, obwohl sie von dem aristokratischen +Regenerator Roms mit günstigeren Augen betrachtet wurden als das an +sich verdächtige Tribunat, entgingen doch keineswegs dem Mißtrauen +gegen das eigene Werkzeug, welches durchaus die Oligarchie bezeichnet. +Sie wurden in schonenderen Formen, aber in sehr fühlbarer Weise +beschränkt. Sulla knüpfte hier an die Geschäftsteilung an. Zu Anfang +dieser Periode bestand dafür die folgende Ordnung. Den beiden Konsuln +lag immer noch, wie ehemals der Inbegriff der Geschäfte des höchsten +Amtes überhaupt, so jetzt derjenige Inbegriff der höchsten +Amtsgeschäfte ob, für welchen nicht gesetzlich besondere Kompetenzen +festgestellt waren. Dies letztere war der Fall mit dem hauptstädtischen +Gerichtswesen, womit die Konsuln sich nach einer unverbrüchlich +festgehaltenen Regel nicht befassen durften, und mit den damals +bestehenden überseeischen Ämtern: Sizilien, Sardinien und den beiden +Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar führen konnte, aber nur +ausnahmsweise führte. Im ordentlichen Lauf der Dinge wurden demnach +sechs Spezialkompetenzen, die beiden hauptstädtischen +Gerichtsvorstandschaften und die vier überseeischen Ämter unter die +sechs Prätoren vergeben, woneben den beiden Konsuln kraft ihrer +Generalkompetenz die Leitung der hauptstädtischen nichtgerichtlichen +Geschäfte und das militärische Kommando in den festländischen +Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also doppelt besetzt war, +blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfügung der Regierung, und +für gewöhnliche Zeiten kam man demnach mit jenen acht höchsten +Jahresbeamten vollständig, ja reichlich aus. Für außerordentliche Fälle +blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht militärischen Kompetenzen +zu kumulieren, teils die militärischen über die Endfrist hinaus +fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht ungewöhnlich, die beiden +Gerichtsvorstandschaften demselben Prätor zu übertragen und die +regelmäßig von den Konsuln zu beschaffenden hauptstädtischen Geschäfte +durch den Stadtprätor versehen zu lassen; wogegen es verständigerweise +möglichst vermieden ward, mehrere Kommandos in derselben Hand zu +vereinigen. Hier half vielmehr die Regel aus, daß im militärischen +Imperium es kein Interregnum gab, also dasselbe, obwohl gesetzlich +befristet, doch nach Eintritt des Endtermines von Rechts wegen noch so +lange fortdauerte, bis der Nachfolger erschien und dem Vorgänger das +Kommando abnahm, oder, was dasselbe ist, daß der kommandierende Konsul +oder Prätor nach Ablauf seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht +erschien, an Konsuls oder Prätors Statt weiter fungieren konnte und +mußte. Der Einfluß des Senats auf diese Geschäftsverteilung bestand +darin, daß es observanzmäßig von ihm abhing, entweder die Regel walten, +also die sechs Prätoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich +verlosen und die Konsuln die festländischen, nichtgerichtlichen +Geschäfte besorgen zu lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben +anzuordnen, etwa dem Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges +überseeisches Kommando zuzuweisen oder eine außerordentliche +militärische und gerichtliche Kommission, zum Beispiel das +Flottenkommando oder eine wichtige Kriminaluntersuchung, unter die zur +Verteilung kommenden Kompetenzen aufzunehmen und die dadurch weiter +nötig werdenden Kumulationen und Fristerstreckungen zu veranlassen - +wobei übrigens lediglich die Absteckung der jedesmaligen konsularischen +und respektiv prätorischen Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der für +das einzelne Amt eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere +vielmehr durchgängig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten +oder durch das Los erfolgte. Die Bürgerschaft war in der älteren Zeit +wohl veranlaßt worden, die in dem Unterlassen der Ablösung enthaltene +tatsächliche Verlängerung des Kommandos durch besonderen +Gemeindebeschluß zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, als +dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff die +Bürgerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten +Jahrhunderts traten nun allmählich zu den bestehenden sechs +Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fünf neuen +Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien +und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen +Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der +römischen Regierung trat überdies immer häufiger der Fall ein, daß die +Oberbeamten für außerordentliche militärische oder prozessualische +Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde die Zahl der +ordentlichen höchsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es kamen also auf +acht jährlich zu ernennende Beamte, von allem andern abgesehen, +mindestens zwölf jährlich zu besetzende Spezialkompetenzen. Natürlich +war es nicht Zufall, daß man dies Defizit nicht durch Kreierung neuer +Prätorenstellen ein für allemal deckte. Dem Buchstaben der Verfassung +gemäß sollten die sämtlichen höchsten Beamten Jahr für Jahr von der +Bürgerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung oder vielmehr +Unordnung, derzufolge die entstehenden Lücken wesentlich durch +Fristerstreckung ausgefüllt wurden und den gesetzlich ein Jahr +fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt, +nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die +wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die +Bürgerschaft, sondern aus einer durch die Bürgerschaftswahlen +gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Üblich ward es dabei, da unter +diesen Stellen die überseeischen Kommandos als die einträglichsten vor +allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich +oder doch tatsächlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden +Vorstehern der städtischen Gerichtsbarkeit und häufig auch den Konsuln, +nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein überseeisches Kommando zu übertragen, +was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die Amtsgewalt des +in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten wohl anders +bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine qualitativ andere +war. + +Diese Verhältnisse fand Sulla vor und sie lagen seiner neuen Ordnung zu +Grunde. Der Grundgedanke derselben war die vollständige Scheidung der +politischen Gewalt, welche in den Bürger-, und der militärischen, +welche in den Nichtbürgerdistrikten regierte, und die durchgängige +Erstreckung der Dauer des höchsten Amtes von einem Jahr auf zwei, von +denen das erstere den bürgerlichen, das zweite den militärischen +Geschäften gewidmet ward. Räumlich waren die bürgerliche und die +militärische Gewalt allerdings längst schon durch die Verfassung +geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese begann; allein +immer noch hielt derselbe Mann die höchste politische und die höchste +militärische Macht in seiner Hand vereinigt. Künftig sollte der Konsul +und Prätor mit Rat und Bürgerschaft verhandeln, der Prokonsul und +Proprätor die Armee kommandieren, jenem aber jede militärische, diesem +jede politische Tätigkeit gesetzlich abgeschnitten sein. Dies führte +zunächst zu der politischen Trennung der norditalischen Landschaft von +dem eigentlichen Italien. Bisher hatten dieselben wohl in einem +nationalen Gegensatz gestanden, insofern Norditalien vorwiegend von +Ligurern und Kelten, Mittel- und Süditalien von Italikern bewohnt ward; +allein politisch und administrativ stand das gesamte festländische +Gebiet des römischen Staates von der Meerenge bis an die Alpen mit +Einschluß der illyrischen Besitzungen, Bürger-, latinische und +Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen Laufe der +Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden höchsten +Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgründungen sich durch dies ganze +Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche Italien, +dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als ein +jetzt ohne Ausnahme von römischen Bürgern bewohntes Gebiet, den +ordentlichen römischen Obrigkeiten untergeben und daß in diesem +Sprengel regelmäßig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer +der Fundamentalsätze des römischen Staatsrechts; das Keltenland +diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der beständig fortwährenden +Einfälle der Alpenvölker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden +konnte, wurde nach dem Muster der älteren überseeischen Kommandos als +eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl +der jährlich zu ernennenden Prätoren von sechs auf acht erhöht ward, +stellte sich die neue Geschäftsordnung dahin, daß die jährlich zu +ernennenden zehn höchsten Beamten während ihres ersten Amtsjahrs als +Konsuln oder Prätoren den hauptstädtischen Geschäften - die beiden +Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Prätoren der +Zivilrechtspflege, die übrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz +- sich widmeten, während ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln oder +Proprätoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften: +Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo, +Kilikien und dem italischen Keltenland übernahmen. Die schon erwähnte +Vermehrung der Quästorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehört ebenfalls +in diesen Zusammenhang ^11. + +————————————————- + +^10 Für diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als daß das +italische Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen +geschlossenen und von einem jährlich erneuerten Statthalter verwalteten +Sprengel bedeutet, in den älteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist +wie allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data +erat et Sullae provincia Gallia cisalpina). + +Nicht viel anders steht es mit der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, +daß ehemals der Aesis, zu Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von +Italien schied, aber nicht, wann die Vorrückung stattfand. Man hat zwar +daraus, daß Marcus Terentius Varro Lucullus als Proprätor in dem +Distrikt zwischen Aesis und Rubico eine Grenzregulierung vornahm +(Orelli 570), geschlossen, daß derselbe wenigstens im Jahre nach +Lucullus’ Prätur 679 (75) noch Provinzialland gewesen sein müsse, da +auf italischem Boden der Proprätor nichts zu schaffen habe. Indes nur +innerhalb des Pomerium hört jedes prorogierte Imperium von selber auf; +in Italien dagegen ist auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht +regelmäßig vorhanden, aber doch zulässig, und ein außerordentliches ist +das von Lucullus bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir können +aber auch nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser +Gegend bekleidet hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen +Reorganisation 672 (82) als kommandierender Offizier eben hier tätig +und wahrscheinlich, ebenwie Pompeius, von Sulla mit proprätorischer +Gewalt ausgestattet; in dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 +(81) (vgl. App. 1, 95) die fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser +Inschrift folgt also für die rechtliche Stellung Norditaliens überhaupt +nichts und am wenigsten für die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist +es ein bemerkenswerter Fingerzeig, daß Sulla das römische Pomerium +vorschob (Sen. dial. 10, 14; Dio Cass. 43, 50), was nach römischem +Staatsrecht nur dem gestattet war, der nicht etwa die Reichs-, sondern +die Stadt-, d. h. die italische Grenze vorgerückt hatte. + +^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere Provinz ein Quästor gingen, +überdies die zwei städtischen und die zwei den Konsuln bei der +Kriegsführung beigeordneten und die vier Flottenquästoren bestehen +blieben, so waren hierfür neunzehn Beamte jährlich erforderlich. Die +zwanzigste Quästorenkompetenz läßt sich nicht nachweisen. + +———————————————— + +Zunächst ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und +zu allen möglichen schlechten Manövern und Intrigen einladenden +Ämterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den +Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Möglichkeit vorgebeugt und der +Einfluß der obersten Regierungsbehörde wesentlich gesteigert. Nach der +bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die +Stadt, welche der Mauerring umschloß, und die Landschaft außerhalb des +Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue, +fortan als ewig befriedet dem regelmäßigen Kommando entzogene Italien +^12 und ihm gegenüber das festländische und überseeische Gebiet, das +umgekehrt notwendig unter Militärkommandanten steht, die von jetzt an +sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann +sehr häufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben; die +neue Ordnung beschränkte die hauptstädtischen Ämter wie die +Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfügung, +daß jeder Statthalter binnen dreißig Tagen, nachdem der Nachfolger in +seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen +habe, zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das früher +erwähnte Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu +demselben oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz +dieser Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die +einst der Senat das Königtum sich dienstbar gemacht hatte, daß die +Beschränkung der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der +Zeit nach der Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung +hatte Gaius Marius zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr +des Staates amtiert; wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit +zuzuschreiben hatte, daß es ihm mißlang, mittels dieser doppelten +Amtsgewalt die Oligarchie zu stürzen, so schien nun dafür gesorgt, daß +nicht etwa ein klügerer Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche. +Nach der bisherigen Ordnung hatte auch der vom Volke unmittelbar +ernannte Beamte eine militärische Stellung haben können; die +sullanische dagegen behielt diese ausschließlich denjenigen Beamten +vor, die der Senat durch Erstreckung der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt +bestätigte. Zwar war diese Amtsverlängerung jetzt stehend geworden; +dennoch wurde sie den Auspizien und dem Namen, überhaupt der +staatsrechtlichen Formulierung nach auch ferner als außerordentliche +Fristerstreckung behandelt. Es war dies nicht gleichgültig. Den Konsul +oder den Prätor konnte nur die Bürgerschaft seines Amtes entsetzen; den +Prokonsul und den Proprätor ernannte und entließ der Senat, so daß +durch diese Verfügung die gesamte Militärgewalt, auf die denn doch +zuletzt alles ankam, formell wenigstens vom Senat abhängig wurde. + +————————————————————————— + +^12 Die italische Eidgenossenschaft ist viel älter; aber sie ist ein +Staatenbund, nicht, wie das sullanische Italien, ein innerhalb des +Römischen Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet. + +—————————————————————————- + +Daß endlich das höchste aller Ämter, die Zensur, nicht förmlich +aufgehoben, aber in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die +Diktatur, ward schon bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls +entraten. Für die Ergänzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit +Italien tatsächlich steuerfrei war und das Heer wesentlich durch +Werbung gebildet ward, hatte das Verzeichnis der Steuer- und +Dienstpflichtigen in der Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn +in der Ritterliste und dem Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung +einriß, so mochte man dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also +nur die laufenden Finanzgeschäfte, welche die Konsuln schon bisher +verwaltet hatten, wenn, wie dies häufig vorkam, die Zensorenwahl +unterblieben war, und nun als einen Teil ihrer ordentlichen +Amtstätigkeit übernahmen. Gegen den wesentlichen Gewinn, daß der +Magistratur in den Zensoren ihre höchste Spitze entzogen ward, kam +nicht in Betracht und tat der Alleinherrschaft des höchsten +Regierungskollegiums durchaus keinen Eintrag, daß, um die Ambition der +jetzt so viel zahlreicheren Senatoren zu befriedigen, die Zahl der +Pontifices und die der Augurn von neun, die der Orakelbewahrer von zehn +auf je fünfzehn, die der Schmausherren von drei auf sieben vermehrt +ward. + +In dem Finanzwesen stand schon nach der bisherigen Verfassung die +entscheidende Stimme bei dem Senat; es handelte sich demnach hier um +die Wiederherstellung einer geordneten Verwaltung. Sulla hatte +anfänglich sich in nicht geringer Geldnot befunden; die aus Kleinasien +mitgebrachten Summen waren für den Sold des zahlreichen und stets +anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch nach dem Siege am +Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse nach Praeneste +entführt worden war, sich zu Notschritten entschließen müssen. +Verschiedene Bauplätze in der Hauptstadt und einzelne Stücke der +kampanischen Domäne wurden feilgeboten, die Klientelkönige, die +befreiten und bundesgenössischen Gemeinden außerordentlicherweise in +Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zölle +eingezogen, anderswo denselben für Geld neue Privilegien zugestanden. +Indes der bei der Übergabe von Praeneste vorgefundene Rest der +Staatskasse von beiläufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden +Versteigerungen und andere außerordentliche Hilfsquellen halfen der +augenblicklichen Verlegenheit ab. Für die Zukunft aber ward gesorgt +weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die +Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor, +als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domäne, wozu jetzt noch +Aenaria gefügt ward, und vor allem durch die Abschaffung der +Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den +römischen Finanzen gezehrt hatten. + +Dagegen ward das Gerichtswesen wesentlich umgestaltet, teils aus +politischen Rücksichten, teils um in die bisherige sehr unzulängliche +und unzusammenhängende Prozeßlegislation größere Einheit und +Brauchbarkeit zu bringen. Nach der bisherigen Ordnung gingen die +Prozesse zur Entscheidung teils an die Bürgerschaft, teils an +Geschworene. Die Gerichte, in denen die ganze Bürgerschaft auf +Provokation von dem Urteil des Magistrats hin entschied, lagen bis auf +Sulla in den Händen in erster Reihe der Volkstribune, in zweiter der +Ädilen, indem sämtliche Prozesse, durch die ein Beamter oder +Beauftragter der Gemeinde wegen seiner Geschäftsführung zur +Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf Leib und Leben oder auf +Geldbußen gehen, von den Volkstribunen, alle übrigen Prozesse, in denen +schließlich das Volk entschied, von den kurulischen oder plebejischen +Ädilen in erster Instanz abgeurteilt, in zweiter geleitet wurden. Sulla +hat den tribunizischen Rechenschaftsprozeß wenn nicht geradezu +abgeschafft, so doch, ebenwie die legislatorische Initiative der +Tribune, von der vorgängigen Einwilligung des Senats abhängig gemacht +und vermutlich auch den ädilizischen Strafprozeß in ähnlicher Weise +beschränkt. Dagegen erweiterte er die Kompetenz der +Geschworenengerichte. Es gab damals ein doppeltes Verfahren vor +Geschworenen. Das ordentliche, welches anwendbar war in allen nach +unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder Zivilprozeß sich eignenden +Fällen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen den Staat gerichteten +Verbrechen, bestand darin, daß der eine der beiden hauptstädtischen +Gerichtsherren die Sache instruierte und ein von ihm ernannter +Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied. Der +außerordentliche Geschworenenprozeß trat ein in einzelnen wichtigen +Zivil- oder Kriminalfällen, wegen welcher durch besondere Gesetze +anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof bestellt +worden war. Dieser Art waren teils die für einzelne Fälle +konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden +Kommissionalgerichtshöfe, wie sie für Erpressungen, für Giftmischerei +und Mord, vielleicht auch für Wahlbestechung und andere Verbrechen im +Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils +endlich die beiden Höfe der Zehnmänner für den Freiheits- und der +Hundertundfünf- oder kürzer der Hundertmänner für den Erbschaftsprozeß, +auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten Lanzenschaft das +Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmännerhof (decemviri litibus +iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze der Plebejer gegen +ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung des Schaftgerichts +liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefähr dieselben sein wie +bei den oben erwähnten wesentlich gleichartigen Kriminalkommissionen. +Über die Leitung dieser verschiedenen Gerichtshöfe war in den einzelnen +Gerichtsordnungen verschieden bestimmt; so standen dem +Erpressungsgericht ein Prätor, dem Mordgericht ein aus den gewesenen +Ädilen besonders ernannter Vorstand, dem Schaftgericht mehrere aus den +gewesenen Quästoren genommene Direktoren vor. Die Geschworenen wurden +wenigstens für das ordentliche wie für das außerordentliche Verfahren +in Gemäßheit der Gracchischen Ordnung aus den nichtsenatorischen +Männern von Ritterzensus genommen; die Auswahl stand im allgemeinen den +Magistraten zu, die die Gerichtsleitung hatten, jedoch in der Weise, +daß sie mit dem Antritt ihres Amts die Geschworenenliste ein für +allemal aufzustellen hatten und dann das einzelne Geschworenenkollegium +aus diesen nicht durch freie Auswahl des Magistrats, sondern durch +Losung und durch Rejektion der Parteien gebildet ward. Aus der +Volkswahl gingen nur die Zehnmänner für den Freiheitsprozeß hervor. + +Sullas Reformen waren hauptsächlich dreifacher Art. Einmal vermehrte er +die Zahl der Geschworenenhöfe sehr beträchtlich. Es gab späterhin +besondere Geschworenenkommissionen für Erpressung; für Mord mit +Einschluß von Brandstiftung und falschem Zeugnis; für Wahlbestechung; +ferner für Hochverrat und jede Entehrung des römischen Namens; für die +schwersten Betrugsfälle: Testaments- und Münzfälschung; für Ehebruch; +für die schwersten Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und Störung +des Hausfriedens; vielleicht auch für Unterschlagung öffentlicher +Gelder, für Zinswucher und andere Vergehen; und wenigstens die meisten +dieser Höfe sind von Sulla entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen +und von ihm mit einer besonderen Kriminal- und Kriminalprozeßordnung +versehen worden. Übrigens blieb es der Regierung unbenommen, +vorkommendenfalls für einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhöfe zu +bestellen. Folgeweise wurden hierdurch die Volksgerichte im +wesentlichen abgeschafft, namentlich die Hochverratsprozesse an die +neue Hochverratskommission gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozeß +bedeutend beschränkt, indem ihm die schwereren Fälschungen und Injurien +entzogen wurden. Was zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so +standen, wie schon erwähnt ward, jetzt für die Leitung der +verschiedenen Geschworenenhöfe sechs Prätoren zur Disposition, denen +noch für die am meisten in Anspruch genommene Kommission für Mordtaten +eine Anzahl anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die +Geschworenenstellen traten drittens statt der gracchischen Ritter +wieder die Senatoren ein. + +Der politische Zweck dieser Verfügungen, der bisherigen Mitregierung +der Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig +läßt es sich verkennen, daß dieselben nicht bloß politische +Tendenzmaßregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde, +dem seit den ständischen Kämpfen immer mehr verwilderten römischen +Kriminalprozeß und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser +Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem älteren Recht unbekannte +Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute +damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von +dem Prätor geleitete Geschworenenbank gehört, als Zivilsache dasjenige +Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter prätorischem +Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen +Quästionenordnungen läßt sich zugleich als das erste römische +Gesetzbuch nach den Zwölf Tafeln und als das erste überhaupt je +besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im +einzelnen zeigt sich ein löblicher und liberaler Geist. So seltsam es +von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum +nichtsdestoweniger wahr, daß er die Todesstrafe für politische Vergehen +abgeschafft hat; denn da nach römischer, auch von Sulla unverändert +festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die Geschworenenkommission auf +Verlust des Lebens oder auf gefängliche Haft erkennen konnte, so kam +die Übertragung der Hochverratsprozesse von der Bürgerschaft auf eine +stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung der Todesstrafe für +solche Vergehen, während andererseits in der Beschränkung der +verderblichen Spezialkommissionen für einzelne Hochverratsfälle, wie +deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg gewesen war; gleichfalls +ein Fortschritt zum Besseren lag. Die gesamte Reform ist von ungemeinem +und dauerndem Nutzen gewesen und ein bleibendes Denkmal des +praktischen, gemäßigten, staatsmännischen Geistes, der ihren Urheber +wohl würdig machte, gleich den alten Dezemvirn als souveräner +Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen die Parteien zu treten. + +Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen mag man die polizeilichen +Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das Gesetz an die Stelle des +Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte wieder einschärfte und +durch Feststellung neuer Maximalsätze anstatt der alten längst +verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begräbnissen und sonst zu +beschränken versuchte. + +Endlich ist wenn nicht Sullas, doch das Werk der sullanischen Epoche +die Entwicklung eines selbständigen römischen Munizipalwesens. Dem +Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde als ein untergeordnetes +politisches Ganze dem höheren Staatsganzen organisch einzufügen, +ursprünglich fremd; die Despotie des Ostens kennt städtische +Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in der ganzen +hellenisch-italischen Welt fällt Stadt und Staat notwendig zusammen. +Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus ein +eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die römische Politik hielt mit +der ihr eigenen zähen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten +Jahrhundert wurden die abhängigen Gemeinden Italiens entweder, um ihnen +ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveräne +Nichtbürgerstaaten konstituiert oder, wenn sie römisches Bürgerrecht +erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren, +aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so daß in allen +Bürgerkolonien und Bürgermunizipien selbst die Rechtspflege und das +Bauwesen von den römischen Prätoren und Zensoren verwaltet ward. Das +Höchste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernannten +Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die +dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht +anders verfuhr man in den Provinzen, außer daß hier an die Stelle der +hauptstädtischen Behörden der Statthalter trat. In den freien, das +heißt formell souveränen Städten ward die Zivil- oder +Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten +verwaltet; nur daß freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien +entgegenstanden, jeder Römer sowohl als Beklagter wie als Kläger +verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem +Recht entschieden zu sehen. Für die gewöhnlichen Provinzialgemeinden +war der römische Statthalter die einzige regelmäßige Gerichtsbehörde, +der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war schon viel, wenn, wie +in Sizilien, in dem Fall, daß der Beklagte ein Siculer war, der +Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten war, einen +einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch entscheiden +zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des +instruierenden Beamten abgehangen zu haben. + +Im siebenten Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des +öffentlichen Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom +wenigstens für Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische +Gemeinde war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur +sizilischen Meerenge reichte, mußte man wohl sich entschließen, +innerhalb dieser großen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So +ward Italien nach Vollbürgergemeinden organisiert, bei welcher +Gelegenheit man zugleich die durch ihren Umfang gefährlichen größeren +Gaue, soweit dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere kleinere +Stadtbezirke aufgelöst haben mag. Die Stellung dieser neuen +Vollbürgergemeinden war ein Kompromiß zwischen derjenigen, die ihnen +bis dahin als Bundesstaaten zugekommen war, und derjenigen, die ihnen +als integrierenden Teilen der römischen Gemeinde nach älterem Recht +zugekommen sein würde. Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der +bisherigen formell souveränen latinischen oder auch, insofern deren +Verfassung in den Grundzügen der römischen gleich ist, die der +römischen altpatrizisch-konsularischen Gemeinde; nur daß darauf +gehalten ward, für dieselben Institutionen in dem Munizipium andere und +geringere Namen zu verwenden als in der Hauptstadt, das heißt im Staat. +Eine Bürgerversammlung tritt an die Spitze mit der Befugnis, +Gemeindestatute zu erlassen und die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein +Gemeinderat von hundert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen +Senats. Das Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei +ordentlichen Richtern, die den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die +den kurulischen Ädilen entsprechen. Die Zensurgeschäfte, die wie in Rom +von fünf zu fünf Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach +vorwiegend in der Leitung der Gemeindebauten bestanden, wurden von den +höchsten Gemeindebeamten, also den beiden ordentlichen Gerichtsherren, +mit übernommen, welche in diesem Fall den auszeichnenden Titel der +“Gerichtsherren mit zensorischer oder Fünfjahrgewalt” annahmen. Die +Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren. Für das Sakralwesen sorgten +zunächst die beiden der ältesten latinischen Verfassung allein +bekannten Kollegien priesterlicher Sachverständigen, die munizipalen +Pontifices und Augurn. + +Was das Verhältnis dieses sekundären politischen Organismus zu dem +primären des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie +diesem die politischen Befugnisse vollständig zu und band also der +Gemeindebeschluß und das Imperium der Gemeindebeamten den +Gemeindebürger ebenso wie der Volksbeschluß und das konsularische +Imperium den Römer. Dies führte im ganzen zu einer konkurrierenden +Tätigkeit der Staats- und der Stadtbehörden: Es hatten beispielsweise +beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne daß bei den +etwaigen städtischen Schatzungen und Steuern die von Rom +ausgeschriebenen oder bei diesen jene berücksichtigt worden wären; es +durften öffentliche Bauten sowohl von den römischen Beamten in ganz +Italien als auch von den städtischen in ihrem Sprengel angeordnet +werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natürlich die +Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluß den Stadtschluß. Eine +förmliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo +das reine Konkurrenzsystem zu der größten Verwirrung geführt haben +würde; hier wurden im Kriminalprozeß vermutlich alle Kapitalsachen, im +Zivilverfahren die schwereren, und ein selbständiges Auftreten der +dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen +Behörden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte +auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden +Rechtshändel beschränkt. + +Die Entstehung dieses italischen Gemeindewesens ist nicht überliefert. +Es ist wahrscheinlich, daß sie in ihren Anfängen zurückgeht auf +Ausnahmebestimmungen für die großen Bürgerkolonien, die am Ende des +sechsten Jahrhunderts gegründet wurden; wenigstens deuten einzelne, an +sich gleichgültige formelle Differenzen zwischen Bürgerkolonien und +Bürgermunizipien darauf hin, daß die neue, damals praktisch an die +Stelle der latinischen tretende Bürgerkolonie ursprünglich eine bessere +staatsrechtliche Stellung gehabt hat als das weit ältere +Bürgermunizipium, und diese Bevorzugung kann wohl nur bestanden haben +in einer der latinischen sich annähernden Gemeindeverfassung, wie sie +späterhin sämtlichen Bürgerkolonien wie Bürgermunizipien zukam. +Bestimmt nachweisen läßt sich die neue Ordnung zuerst für die +revolutionäre Kolonie Capua, und keinem Zweifel unterliegt es, daß sie +ihre volle Anwendung erst fand, als die sämtlichen bisher souveränen +Städte Italiens infolge des Bundesgenossenkriegs als Bürgergemeinden +organisiert werden mußten. Ob schon das Julische Gesetz, ob die +Zensoren von 668 (86), ob erst Sulla das einzelne geordnet hat, läßt +sich nicht entscheiden; die Übertragung der zensorischen Geschäfte auf +die Gerichtsherren scheint zwar nach Analogie der Sullanischen, die +Zensur beseitigenden Ordnung eingeführt zu sein, kann aber auch +ebensogut auf die älteste latinische Verfassung zurückgehen, die ja +auch die Zensur nicht kannte. Auf alle Fälle ist diese dem eigentlichen +Staat sich ein- und unterordnende Stadtverfassung eines der +merkwürdigsten und folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit +und des römischen Staatslebens überhaupt. Staat und Stadt +ineinanderzufügen hat allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als +es vermocht hat, das repräsentative Regiment und andere große +Grundgedanken unseres heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; +aber es hat seine politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen +geführt, wo diese die gegebenen Maße überwächst und sprengt, und vor +allem ist dies in Rom geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide +und in der Verbindung der alten und der neuen geistigen Welt steht. In +der Sullanischen Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der +städtische Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form +zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende +Gemeinde schon in der italischen vollständig entwickelt; bis auf den +Namen, der freilich in solchen Dingen die Hälfte der Sache ist, hat +diese letzte Verfassung der freien Republik das Repräsentativsystem und +den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgeführt. + +Das Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geändert; die +Gemeindebehörden der unfreien Städte blieben vielmehr, von besonderen +Ausnahmen abgesehen, beschränkt auf Verwaltung und Polizei und auf +diejenige Jurisdiktion, welche die römischen Behörden vorzogen, nicht +selbst in die Hand zu nehmen. + +Dieses war die Verfassung, die Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom +gab. Senat und Ritterstand, Bürgerschaft und Proletariat, Italiker und +Provinzialen nahmen sie hin, wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, +wenn nicht ohne zu grollen, doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die +Sullanischen Offiziere. Das römische Heer hatte seinen Charakter +gänzlich verändert. Es war allerdings durch die Marianische Reform +wieder schlagfertiger und militärisch brauchbarer geworden, als da es +vor den Mauern von Numantia nicht focht; aber es hatte zugleich sich +aus einer Bürgerwehr in eine Schar von Lanzknechten verwandelt, welche +dem Staat gar keine und dem Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er +verstand, sie persönlich an sich zu fesseln. Diese völlige Umgestaltung +des Armeegeistes hatte der Bürgerkrieg in gräßlicher Weise zur Evidenz +gebracht: sechs kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, +Cinna und Gaius Carbo, waren während desselben gefallen von der Hand +ihrer Soldaten; einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefährlichen +Meute Herr zu bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden +Begierden den Zügel schießen ließ wie noch nie vor ihm ein römischer +Feldherr. Wenn deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld +gegeben wird, so ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch +ungerecht; er war eben der erste römische Beamte, der seiner +militärischen und politischen Aufgabe nur dadurch zu genügen imstande +war, daß er auftrat als Condottiere. Aber er hatte die Militärdiktatur +nicht übernommen, um den Staat der Soldateska untertänig zu machen, +sondern vielmehr, um alles im Staat, vor allem aber das Heer und die +Offiziere, unter die Gewalt der bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen. +Wie dies offenbar ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem +eigenen Stab. Mochte den übrigen Bürgern gegenüber die Oligarchie den +Tyrannen spielen; aber daß auch die Generale, die mit ihrem guten +Schwert die umgestürzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten, +jetzt ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert +wurden, schien unerträglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das +meiste Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung +der Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von +Sizilien und Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren +hatte, nach Vollzug seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein +Heer zu entlassen, unterließ er es zu gehorsamen und wenig fehlte an +offenem Aufstand. Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste +wesentlich der Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt +ward, bewarb sich in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu +erlassenen Ordnungen um das Konsulat, ohne die niederen Ämter bekleidet +zu haben. Mit Pompeius kam, wenn nicht eine herzliche Aussöhnung, doch +ein Vergleich zustande. Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn +nicht zu fürchten, nahm die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins +Gesicht sagte, daß mehr Leute sich um die aufgehende Sonne kümmerten +als um die untergehende, und bewilligte dem eitlen Jüngling die leeren +Ehrenbezeigungen, an denen sein Herz hing. Wenn er hier sich läßlich +zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, daß er nicht der Mann +war, sich von seinen Marschällen imponieren zu lassen: So wie dieser +verfassungswidrig als Bewerber vor das Volk trat, ließ ihn Sulla auf +öffentlichem Marktplatz niederstoßen und setzte sodann der versammelten +Bürgerschaft auseinander, daß die Tat auf seinen Befehl und warum sie +vollzogen sei. So verstummte zwar für jetzt diese bezeichnende +Opposition des Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber +sie blieb bestehen und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, +daß das, was er diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden könne. + +Eines blieb noch übrig -vielleicht das schwerste von allem: die +Zurückführung der Ausnahmezustände in die neualten gesetzlichen Bahnen. +Sie ward dadurch erleichtert, daß Sulla dieses letzte Ziel nie aus den +Augen verloren hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt +und jeder seiner Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch +dieser exorbitanten Befugnis sich nur bei Maßregeln bedient, die von +vorübergehender Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und +Bürgerschaft bloß nutzlos kompromittiert haben würde, namentlich bei +den Ächtungen. Regelmäßig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen +beobachtet, die er für die Zukunft vorschrieb. Daß das Volk befragt +ward, lesen wir in dem Quästorengesetz, das zum Teil noch vorhanden +ist, und von anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen +über die Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei +wichtigeren Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und +Zurückberufung der afrikanischen Armee und bei Erteilung von +städtischen Freibriefen, der Senat vorangestellt. In demselben Sinn +ließ Sulla schon für 673 (81) Konsuln wählen, wodurch wenigstens die +gehässige offizielle Datierung nach der Regentschaft vermieden ward; +doch blieb die Macht noch ausschließlich bei dem Regenten und ward die +Wahl auf sekundäre Persönlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674 +80) setzte Sulla die ordentliche Verfassung wieder vollständig in +Wirksamkeit und verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem +Waffengenossen Quintus Metellus den Staat, während er die Regentschaft +zwar noch beibehielt, aber vorläufig ruhen ließ. Er begriff es wohl, +wie gefährlich es eben für seine eigenen Institutionen war, die +Militärdiktatur zu verewigen. Da die neuen Zustände sich haltbar zu +erweisen schienen, und von den neuen Einrichtungen zwar manches, +namentlich in der Kolonisierung, noch zurück, aber doch das meiste und +wichtigste vollendet war, so ließ er den Wahlen für 675 (79) freien +Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat als mit seinen eigenen +Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald nachdem die neuen Konsuln +Publius Servilius und Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten, im +Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft nieder. Es ergriff selbst +starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit dem Leben und dem +Eigentum von Millionen nach Willkür geschaltet hatte, auf dessen Wink +so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse Roms, in jeder +Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen ebenbürtigen +Verbündeten, ja genau genommen ohne den Rückhalt einer festen Partei +sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk der +Reorganisation des Staates zu Ende geführt hatte, als dieser Mann auf +den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig +begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener +entließ und die dichtgedrängte Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn +einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles schwieg; Sulla stieg herab +von der Rednerbühne und zu Fuß, nur von den Seinigen begleitet, ging er +mitten durch ebenjenen Pöbel, der ihm vor acht Jahren das Haus +geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung. + +Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk +richtig zu würdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt +gegen die Persönlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich +entgegenstemmen. In der Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man +darf vielleicht sagen eine einzige Erscheinung in der Geschichte. +Physisch und psychisch ein Sanguiniker, blauäugig, blond, von +auffallend weißer, aber bei jeder leidenschaftlichen Bewegung sich +rötender Gesichtsfarbe, übrigens ein schöner, feurig blickender Mann, +schien er nicht eben bestimmt, dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, +die seit seines Großvaters Großvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul +464, 477 290, 277), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem +prunkliebendsten Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten +Ranges verharrt hatten. Er begehrte vom Leben nichts als heiteren +Genuß. Aufgewachsen in dem Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in +jener Zeit auch in den minder reichen senatorischen Familien Roms +einheimisch war, bemächtigte er rasch und bebend sich der ganzen Fülle +sinnlich geistiger Genüsse, welche die Verbindung hellenischer Feinheit +und römischen Reichtums zu gewähren vermochten. Im adligen Salon und +unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als angenehmer +Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden +in ihm den teilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der +Not, der sein Geld weit lieber seinem bedrängten Genossen als seinem +reichen Gläubiger gönnte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch +leidenschaftlicher den Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er +nicht mehr Regent, wenn er nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur +Tafel setzte. Ein Zug der Ironie, man könnte vielleicht sagen der +Bouffonnerie, geht durch seine ganze Natur. Noch als Regent befahl er, +während er die Versteigerung der Güter der Geächteten leitete, für ein +ihm überreichtes schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus +der Beute zu verabreichen unter der Bedingung, daß er gelobe, ihn +niemals wieder zu besingen. Als er vor der Bürgerschaft Ofenas +Hinrichtung rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten die Fabel +erzählte von dem Ackersmann und den Läusen. Seine Gesellen wählte er +gern unter den Schauspielern und liebte es, nicht bloß mit Quintus +Roscius, dem römischen Talma, sondern auch mit viel geringeren +Bühnenleuten beim Weine zu sitzen; wie er denn auch selbst nicht +schlecht sang und sogar zur Aufführung in seinem Zirkel selber Possen +schrieb. Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die +körperliche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der +ländlichen Muße seiner letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob, und daß +er aus dem eroberten Athen die Aristotelischen Schriften nach Rom +brachte, beweist doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer +Lektüre. Das spezifische Römertum stieß ihn eher ab. Von der plumpen +Morgue, die die römischen Großen gegenüber den Griechen zu entwickeln +liebten, und von der Feierlichkeit beschränkter großer Männer hatte +Sulla nichts, vielmehr ließ er gern sich gehen, erschien wohl zum +Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen Städten in +griechischer Tracht oder veranlaßte seine adligen Gesellen, bei den +Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den +halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in +Ländern freier Verfassung jede jugendliche Kapazität auf den +politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder andere einmal +empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war, schwankend +zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nüchternem Erwachen, +verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen und Streben mochte ihm +eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall +regiert ward und wo, wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts +spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der Zeit, +zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben folgte auch +er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nicht der plebejische +Köhlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen +und seine Handlungen durch ihn bestimmen läßt; noch weniger der +finstere Verhängnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das +Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhängende +Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen Menschen notwendig +sich einstellt, der Aberglaube des glücklichen Spielers, der sich vom +Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und überall die rechte Nummer +zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den +Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die +Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, äußerte er, daß es +demjenigen nimmermehr fehlen könne, dem die Götter selbst die Kasse +füllten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, daß sie sich +scheuten, die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes +hell geklungen, als man sie berührt, ließ er ihnen zurücksagen, daß man +sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der Gott seinem +Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem +Gedanken, der auserwählte Liebling der Götter zu sein, ganz besonders +jener, der er bis in seine späten Jahre vor allen den Preis gab, der +Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie +rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die +Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht, +auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf +sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen, daß jedes +improvisierte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmäßig +angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den +Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regelmäßig als null +anzugeben, ist doch auch nichts als die Kinderei eines Glückskindes. Es +war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er, auf dem +Gipfel seiner Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in +schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen, +Sulla Felix, als förmlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern +entsprechende Benennungen beilegte. + +Nichts lag Sulla ferner als der planmäßige Ehrgeiz. Er war zu gescheit, +um gleich den Dutzendaristokraten seiner Zeit die Verzeichnung seines +Namens in die konsularischen Register als das Ziel seines Lebens zu +betrachten; zu gleichgültig und zu wenig Ideolog, um sich mit der +Reform des morschen Staatsgebäudes freiwillig befassen zu mögen. Er +blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen, in dem Kreis der vornehmen +Gesellschaft und machte wie üblich die Ämterlaufbahn durch; Ursache +sich anzustrengen hatte er nicht und überließ dies den politischen +Arbeitsbienen, an denen es ja nicht fehlte. So führte ihn im Jahre 647 +(107) bei der Verlosung der Quästorenstellen der Zufall nach Afrika in +das Hauptquartier des Gaius Marius. Der unversuchte hauptstädtische +Elegant ward von dem rauben bäurischen Feldherrn und seinem erprobten +Stab nicht zum besten empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte +Sulla, furchtlos und anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk +sich zu eigen und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien +zuerst jene eigentümliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, +wegen deren seine Zeitgenossen von ihm sagten, daß er halb Löwe, halb +Fuchs und der Fuchs in ihm gefährlicher sei als der Löwe. Dem jungen, +hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermaßen der +eigentliche Beendiger des lästigen Numidischen Krieges war, öffnete +jetzt sich die glänzendste Laufbahn; er nahm auch teil am Kimbrischen +Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen +Verpflegungsgeschäftes sein ungemeines Organisationstalent; +nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des +hauptstädtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In der +Prätur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben +hatte, im Jahre 661 (93) übernahm, fügte es sich abermals, daß ihm in +seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg über +König Mithradates und der erste Vertrag mit den mächtigen Arsakiden +sowie deren erste Demütigung gelang. Der Bürgerkrieg folgte. Sulla war +es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion +zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich +gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand mit +energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glück schien sich ein +Geschäft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen +jüngeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die +Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte, +wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollführt; im +Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbüßte und +abgesetzt ward, gründete Sulla seinen militärischen Ruf und stieg empor +zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor allem +ein persönlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war, endigte +mit Marius’ Ächtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war Sulla der +berühmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie geworden. Es +folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische Krieg, die +Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. Wie der +Kapitän, der das brennende Schiff nicht löscht, sondern fortfährt, auf +den Feind zu feuern, harrte Sulla, während die Revolution in Italien +tobte, in Asien unerschüttert aus, bis der Landesfeind gezwungen war. +Mit diesem fertig, zerschmetterte er die Anarchie und rettete die +Hauptstadt vor der Brandfackel der verzweifelnden Samniten und +Revolutionäre. Der Moment der Heimkehr war für Sulla ein +überwältigender in Freude und in Schmerz; er selbst erzählt in seinen +Memoiren, daß er die erste Nacht in Rom kein Auge habe zutun können, +und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war seine Aufgabe nicht zu +Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter Selbstherrscher wie nur +je ein König und doch durchaus verharrend auf dem Boden des formellen +Rechts, zügelte er die ultrareaktionäre Partei, vernichtete die seit +vierzig Jahren die Oligarchie einengende Gracchische Verfassung und +zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz machenden Mächte der +Kapitalisten und des hauptstädtischen Proletariats, endlich den im +Schoße seines eigenen Stabes erwachsenen Übermut des Säbels wieder +unter das neu befestigte Gesetz. Selbständiger als je stellte er die +Oligarchie hin, legte die Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre +Hände, verlieh ihr die Gesetzgebung, die Gerichte, die militärische und +finanzielle Obergewalt und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten +Sklaven, eine Art Heer in den angesiedelten Militärkolonisten. Endlich, +als das Werk vollendet war, trat der Schöpfer zurück von seiner +Schöpfung; freiwillig ward der absolute Selbstherrscher wieder +einfacher Senator. In dieser ganzen langen militärischen und +politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht verloren, nie einen +Schritt zurücktun müssen und ungeirrt von Feinden und Freunden sein +Werk geführt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl hatte er Ursache, +seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Göttin des Glücks schien hier +einmal die Laune der Beständigkeit angewandelt und sie darin sich +gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen und Ehren zu häufen, +was er begehrte und nicht begehrte. Aber die Geschichte wird gerechter +gegen ihn sein müssen, als er es gegen sich selber war, und ihn in eine +höhere Reihe stellen als in die der bloßen Favoriten der Fortuna. + +Nicht als wäre die Sullanische Verfassung ein Werk politischer +Genialität, wie zum Beispiel die Gracchische und die Caesarische. Es +begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der Restauration mit sich +bringt, auch nicht ein staatsmännisch neuer Gedanke; alle ihre +wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat durch Bekleidung der +Quästur, die Aufhebung des zensorischen Rechts, den Senator aus dem +Senate zu stoßen, die legislatorische Initiative des Senats, die +Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug des Senats zur +Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer des Oberamts auf +zwei Jahre, der Übergang des Kommandos von dem Volksmagistrat auf den +senatorischen Prokonsul oder Proprätor, selbst die neue Kriminal- und +Munizipalordnung sind nicht von Sulla geschaffene, sondern früher schon +aus dem oligarchischen Regiment entwickelte und durch ihn nur +regulierte und fixierte Institutionen. Ja selbst die seiner +Restauration anhaftenden Greuel, die Ächtungen und Konfiskationen, sind +sie, verglichen mit den Taten der Nasica, Popillius, Opimius, Caepio +und so weiter, etwas anderes als die rechtliche Formulierung der +hergebrachten oligarchischen Weise, sich der Gegner zu entledigen? Über +die römische Oligarchie dieser Zeit nun gibt es kein Urteil als +unerbittliche und rücksichtslose Verdammung; und wie alles andere, was +ihr anhängt, ist davon auch die Sullanische Verfassung vollständig +mitbetroffen. Das von der Genialität des Bösen bestochene Lob +versündigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte; aber daran wird +man doch erinnern dürfen, daß weit weniger Sulla die Sullanische +Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten als Clique +regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften Entnervung und +Verbissenheit verfallende römische Aristokratie insgesamt, und daß +alles, was darin schal, und alles, was darin verrucht ist, am letzten +Ende auf diese zurückfällt. Sulla hat den Staat reorganisiert, aber +nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde nach +eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern wie der zeitweilige +Geschäftsführer, der seiner Anweisung getreu nachkommt; es ist flach +und falsch, in diesem Falle die schließliche und wesentliche +Verantwortung von dem Geschäftsherrn ab auf den Verwalter zu wälzen. +Man schlägt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder findet vielmehr mit +jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden und nie +wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und Restaurationen +viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk eines zufällig an die +Spitze des Staats geratenen Wüterichs ansieht. Adelstaten waren dies +und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht mehr dabei als, mit dem +Dichter zu reden, das hinter dem bewußten Gedanken unbewußt +herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit wunderbarer, ja +dämonischer Vollkommenheit durchgeführt; innerhalb der Grenzen aber, +die sie ihm gezogen, hat er nicht bloß großartig, sondern selbst +nützlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und stetig tiefer +sinkende Aristokratie, wie die römische damals war, einen Vormund +gefunden, der so wie Sulla willig und fähig war, ohne jede Rücksicht +auf eigenen Machtgewinn für sie den Degen des Feldherrn und den Griffel +des Gesetzgebers zu führen. Es ist freilich ein Unterschied, ob ein +Offizier aus Bürgersinn das Szepter verschmäht oder aus Blasiertheit es +wegwirft; aber in der völligen Abwesenheit des politischen Egoismus - +freilich auch nur in diesem einen - verdient Sulla neben Washington +genannt zu werden. Aber nicht bloß die Aristokratie, das gesamte Land +ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla +hat die italische Revolution, insoweit sie beruhte auf der +Zurücksetzung einzelner minder berechtigter gegen andere besser +berechtigte Distrikte, endgültig geschlossen und ist, indem er sich und +seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller Italiker vor dem +Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber der vollen +staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit endloser +Not und Strömen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft war. Aber Sulla +hat noch mehr getan. Seit länger als einem halben Jahrhundert war Roms +Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in Permanenz; denn das +Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung war Anarchie und +gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit ärgere Meisterlosigkeit, +deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in jenem ebenso verwirrten +wie naturwidrigen Bündnis mit den Samniten widerspiegelt, der +unklarste, unerträglichste, heilloseste aller denkbaren politischen +Zustände, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist nicht zu viel gesagt, +wenn man behauptet, daß das lange unterhöhlte römische Gemeinwesen +notwendig hätte zusammenstürzen müssen, wenn nicht durch die +Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz desselben +gerettet hätte. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig Bestand gehabt +wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, daß sein Bau kein +solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, darüber zu +übersehen, daß ohne Sulla höchstwahrscheinlich der Bauplatz selbst von +den Fluten wäre fortgerissen worden; und auch jener Tadel trifft +zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in dem ihm +angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter tun +konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und +geahnt hat er es selbst, daß er wohl eine Festung, aber keine Besatzung +zu schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen +jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine +Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm; +es ist kein Vorwurf für den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt später die +Wellen den naturwidrigen und von den Geschützten selbst nicht +verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung +auf höchst löbliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen +Steuerwesens und der Kriminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere +Restauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin eine +richtig entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten im großen und +ganzen konsequent durchgeführte Reorganisation des römischen +Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der +italischen Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen. + +Freilich ist es nicht bloß der Staatsmann, der im Totengericht Stimme +hat, und das empörte menschliche Gefühl wird mit Recht sich nie mit dem +versöhnen, was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla +hat seine Gewaltherrschaft nicht bloß mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit +begründet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen +Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich +verdorben hat mit der großen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor +dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber +allerdings auch dem sittlichen Urteil wegen der Kühle und Klarheit +seines Frevels noch empörender erscheint als der leidenschaftliche +Verbrecher. Ächtungen, Belohnungen der Henker, Güterkonfiskationen, +kurzer Prozeß gegen unbotmäßige Offiziere waren hundertmal vorgekommen, +und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte +für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhört, daß +die Namen der vogelfreien Männer öffentlich angeschlagen und die Köpfe +öffentlich ausgestellt wurden, daß den Banditen eine feste Summe +ausgesetzt und dieselbe in die öffentlichen Kassenbücher ordnungsmäßig +eingetragen ward, daß das eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute +auf offenem Markt unter den Hammer kam, daß der Feldherr den +widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen ließ und vor allem Volk +sich zu der Tat bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der Humanität +ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu beigetragen, +spätere revolutionäre Krisen im voraus zu vergiften, und noch jetzt +ruht deswegen verdientermaßen ein finsterer Schatten auf dem Andenken +des Urhebers der Proskriptionen. + +Mit Recht darf man ferner tadeln, daß Sulla, während er in allen +wichtigen Dingen rücksichtslos durchgriff, doch in untergeordneten, +namentlich in Personenfragen sehr häufig seinem sanguinischen +Temperament nachgab und nach Neigung oder Abneigung verfuhr. Er hat, wo +er wirklich einmal Haß empfand, wie gegen die Marier, ihm zügellos auch +gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von sich selbst gerühmt, daß +niemand besser als er Freunden und Feinden vergolten habe ^13. Er +verschmähte es nicht, bei Gelegenheit seiner Machtstellung, ein +kolossales Vermögen zu sammeln. Der erste absolute Monarch des +römischen Staats, bewährte er den Kernspruch des Absolutismus, daß den +Fürsten die Gesetze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst +erlassenen Ehebruchs- und Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber +als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat sein läßliches +Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon seine schlaffe +Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische Notwendigkeit +geboten war, läßt sich hierher rechnen; viel schädlicher aber noch war +die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang. Es ist kaum glaublich, +was er gelegentlich hinnahm; so zum Beispiel ward dem Lucius Murena für +die durch die schlimmste Verkehrtheit und Unbotmäßigkeit erlittenen +Niederlagen nicht bloß die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph +zugestanden; so wurde Gnaeus Pompeius, der sich noch schwerer vergangen +hatte, von Sulla noch verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die +ärgsten Frevel der Ächtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich +weniger aus Sullas eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner +Stellung kaum verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Daß +Sulla bei seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgültigen +Wesen sehr verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich +streng auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, daß +er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein +blutdürstiger Wüterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als +Regent das Gegenteil der früheren Gelindigkeit zeigte, so wird man +vielmehr sagen müssen, daß er mit demselben nachlässigen Gleichmut +strafte, mit dem er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht +überhaupt durch sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem +Sieger, eben wie es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glück zu +schelten, auch der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe +Empfindung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eigenen Werkes; +als ziehe er nach Verwalterart das Ausbessern dem Einreißen und Umbauen +vor und lasse sich am Ende auch mit einer leidlichen Übertünchung der +Schäden genügen. + +——————————————————————————- + +^13 Euripides, Medeia, 807: + +Es soll mich keiner achten schwächlich und gering, + +Gutmütig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff, + +Den Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll. + +——————————————————————————- + +Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem +Gusse. Sein ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines +Wesens; in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unverändert derselbe. +Es war derselbe Sinn, der nach den glänzenden Erfolgen in Afrika ihn +wieder den hauptstädtischen Müßiggang suchen und der nach dem +Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden ließ in +seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, daß ihm +die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so wie er +durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er völlig sich +gleich, ohne Unmut und ohne Affektation, froh, der öffentlichen +Geschäfte entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die +Gelegenheit sich bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner +Memoiren füllten seine müßigen Stunden; dazwischen ordnete er auf +Bitten der unter sich uneinigen Bürger die inneren Verhältnisse der +benachbarten Kolonie Puteoli ebenso sicher und rasch wie früher die +Verhältnisse der Hauptstadt. Seine letzte Tätigkeit auf dem +Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem +Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm +nicht mehr vergönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im +sechzigsten Lebensjahr, frisch an Körper und Geist, ward er vom Tode +ereilt; nach kurzem Krankenlager - noch zwei Tage vor seinem Tode +schrieb er an seiner Selbstbiographie - raffte ein Blutsturz ^14 ihn +hinweg (676 78). Sein getreues Glück verließ ihn auch im Tode nicht. Er +konnte nicht wünschen, noch einmal in den widerwärtigen Strudel der +Parteikämpfe hineingezogen zu werden und seine alten Krieger noch +einmal gegen eine neue Revolution führen zu müssen; und nach dem Stande +der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien hätte bei längerem +Leben ihm dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner +feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, wurden +zahlreiche Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwiegen hatten, dort +gegen die letzte Ehre laut, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. +Aber noch war die Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten +Soldaten zu lebendig; es wurde beschlossen, die Leiche nach der +Hauptstadt bringen zu lassen und dort die Exequien zu begehen. Nie hat +Italien eine großartigere Trauerfeier gesehen. Überall wo der königlich +geschmückte Tote hindurchgetragen ward, ihm vorauf seine wohlbekannten +Feldzeichen und Rutenbündel, da schlossen die Einwohner und vor allem +seine alten Lanzknechte an das Trauergefolge sich an; es schien, als +wollte die gesamte Truppe um den Mann, der sie im Leben so oft und nie +anders als zum Siege geführt hatte, noch einmal im Tode sich +vereinigen. So gelangte der endlose Leichenzug in die Hauptstadt, wo +die Gerichte feierten und alle Geschäfte ruhten und zweitausend goldene +Kränze, als letzte Ehrengabe der treuen Legionen, der Städte und der +näheren Freunde, des Toten harrten. Sulla hatte, dem +Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemäß, seinen Körper unverbrannt +beizusetzen verordnet; aber andere waren besser als er dessen +eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und künftige Tage +bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die Leiche des Mannes, der +die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe aufgestört hatte, den +Flammen übergeben. Geleitet von allen Beamten und dem gesamten Senat, +den Priestern und Priesterinnen in ihrer Amtstracht und der ritterlich +gerüsteten adligen Knabenschar gelangte der Zug auf den großen +Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast noch von dem Klange +seiner gefürchteten Worte erfüllten Platz ward dem Toten die +Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern der +Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen errichtet +war. Während er in Flammen loderte, hielten die Ritter und die Soldaten +den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber ward auf dem +Marsfeld neben den Gräbern der alten Könige beigesetzt, und ein Jahr +hindurch haben die römischen Frauen um ihn getrauert. + +—————————————————————————- + +^14 Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem +einfachen Grunde, daß eine solche Krankheit nur in der Phantasie +existiert. + + + + +KAPITEL XI. +Das Gemeinwesen und seine Ökonomie + + +Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahr tiefen Friedens, fünfzig +einer fast permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese +Epoche die ruhmloseste, die die römische Geschichte kennt. Zwar wurden +in westlicher und östlicher Richtung die Alpen überschritten und +gelangten die römischen Waffen auf der spanischen Halbinsel bis zum +Atlantischen Ozean, auf der makedonisch-griechischen bis zur Donau; +aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der +“auswärtigen Völkerschaften in der Willkür, Botmäßigkeit, Herrschaft +oder Freundschaft der römischen Bürgerschaft” ^1 ward nicht wesentlich +erweitert; man begnügte sich, den Erwerb einer besseren Zeit zu +realisieren und die in loseren Formen der Abhängigkeit an Rom +geknüpften Gemeinden mehr und mehr in die volle Untertänigkeit zu +bringen. Hinter dem glänzenden Vorhang der Provinzialreunionen verbarg +sich ein sehr fühlbares Sinken der römischen Macht. Während die gesamte +antike Zivilisation immer bestimmter in dem römischen Staat +zusammengefaßt, immer altgemeingültiger in demselben formuliert ward, +fingen zugleich jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr +ausgeschlossenen Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff +überzugehen. Auf den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, +von Chäroneia und Orchomenos wurden die ersten Schläge desjenigen +Gewitters vernommen, das über die italisch-griechische Welt zu bringen +die germanischen Stämme und die asiatischen Horden bestimmt waren und +dessen letztes dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart +hineinreicht. Aber auch in der inneren Entwicklung trägt diese Epoche +denselben Charakter. Die alte Ordnung stürzt unwiederbringlich +zusammen. Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde, +welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und die +Gesetze gab, welche von diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser +gesetzlichen Schranken mit königlicher Freiheit geleitet ward, um +welche teils die italische Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, +der römischen wesentlich gleichartiger und stammverwandter +Stadtgemeinden, teils die außeritalische Bundesgenossenschaft als ein +Inbegriff griechischer Freistädte und barbarischer Völker und +Herrschaften, beide von der Gemeinde Rom mehr bevormundet als +beherrscht, in zweifachem Kreise sich schlossen. Es war das letzte +Ergebnis der Revolution - und beide Parteien, die nominell konservative +wie die demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin +zusammen -, daß von diesem ehrwürdigen Bau, der am Anfang der +gegenwärtigen Epoche zwar rissig und schwankend, aber doch noch +aufrecht gestanden, am Schluß derselben kein Stein mehr auf dem andern +geblieben war. Der souveräne Machthaber war jetzt entweder ein +einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der Vornehmen, +bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden rechtlichen Anteil am +Regiment verloren. Die Beamten waren unselbständige Werkzeuge in der +Hand des jedesmaligen Machthabers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch +ihre widernatürliche Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische +Eidgenossenschaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die +außeritalische Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine +Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte organische Gliederung des +römischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen und nichts übrig +geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder disparater Elemente. +Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere und äußere Auflösung +des Staats überzugehen. Die politische Bewegung lenkte durchaus nach +dem Ziele der Despotie; nur darüber noch ward gestritten, ob der +geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der Kapitalistensenat +oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische Bewegung ging +durchaus die zum Despotismus führenden Wege: der Grundgedanke des +freien Gemeinwesens, daß die ringenden Mächte gegenseitig sich auf +mittelbaren Zwang beschränken, war allen Parteien gleichmäßig abhanden +gekommen, und hüben und drüben fingen zuerst die Knüttel, bald auch die +Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. Die Revolution, insofern zu +Ende, als die alte Verfassung von beiden Seiten als definitiv beseitigt +anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen Entwicklung deutlich +festgestellt war, hatte doch für diese Reorganisation des Staates +selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen gefunden; weder die +Gracchische noch die Sullanische Konstituierung der Gemeinde trugen +einen abschließenden Charakter. Das aber war das Bitterste dieser +bitteren Zeit, daß dem klarsehenden Patrioten selbst das Hoffen und das +Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit all ihrer +unendlichen Segensfülle ging unaufhaltsam unter, und die Dämmerung +senkte sich über die eben noch so glänzende Welt. Es war keine +zufällige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie hätten wehren +können; es waren uralte soziale Schäden, im letzten Kern der Ruin des +Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das römische +Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der +Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie zu verlängern +und zu verkürzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser beraten, je rascher +und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten freiheitlichen +Verfassung beseitigte und für das bescheidene Maß menschlichen +Gedeihens, wofür in dem Absolutismus Raum ist, die neuen Formen und +Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter den gegebenen +Verhältnissen gegenüber jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich +ebendarin, daß ein solcher energisch nivellierender und energisch +aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behörde nimmermehr +geübt werden konnte. Allein diese kühlen Erwägungen machen keine +Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut für die +Zukunft. Man mußte eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren +werde, nicht leben und nicht sterben zu können, und ob es schließlich +an einer mächtigen Natur seinen Meister und, soweit dies möglich war, +seinen Neuschöpfer finden oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen +werde. + +———————————————————————————————————— + +^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi +Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der +nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen +“Eidgenossen und Stammverwandten” (socii nominisve Latini). + +———————————————————————————————————- + +Es bleibt noch übrig, die ökonomische und soziale Seite dieses Verlaufs +hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits früher geschehen ist. + +Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich auf +den Einkünften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, die +hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Gefällen +als außerordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der Schlacht von +Pydna nicht wieder erhoben, so daß die unbedingte Grundsteuerfreiheit +anfing, als ein verfassungsmäßiges Vorrecht des römischen +Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats, wie das +Salzmonopol und das Münzrecht, wurden, wenn überhaupt je, so wenigstens +jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue +Erbschaftssteuer ließ man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht +geradezu ab. Demnach zog die römische Staatskasse aus Italien +einschließlich des diesseitigen Galliens nichts als teils den +Domänenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den +Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen +und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einführenden in das römische +Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als +Luxussteuern betrachtet werden können und allerdings durch die +Ausdehnung des römischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz +Italien, wahrscheinlich mit Einschluß des diesseitigen Galliens, +ansehnlich gesteigert werden mußten. + +In den Provinzen nahm der römische Staat zunächst als Privateigentum in +Anspruch teils in den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte +Mark, teils in denjenigen Staaten, wo die römische Regierung an die +Stelle der ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen +innegehaltenen Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von +Leontinoi, Karthago, Korinth, das Domanialgut der Könige von +Makedonien, Pergamon und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien +als römische Domänen galten und, ähnlich wie das Gebiet von Capua, von +den römischen Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer +Ertragsquote oder einer bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Daß +Gaius Gracchus noch weiter ging, das gesamte Provinzialland als Domäne +ansprach und zunächst für die Provinz Asia diesen Satz insofern +praktisch durchführte, als er den Bodenzehnten, die Hut- und +Hafengelder daselbst rechtlich motivierte durch das Eigentumsrecht des +römischen Staats an Acker, Wiese und Küste der Provinz, mochten diese +nun früher dem König oder Privaten gehört haben, ward bereits früher +ausgeführt. + +Nutzbare Staatsregalien scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen +gegenüber noch nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und +Ölbaues im Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher +nicht zugute. Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in großem +Umfang erhoben. Die als vollständig souverän anerkannten +Klientelstaaten, also zum Beispiel die Königreiche Numidien und +Kappadokien, die Bundesstädte (civitates foederatae) Rhodos, Messana, +Tauromenion, Massalia, Gades waren rechtlich steuerfrei und durch ihren +Vertrag nur verpflichtet, die römische Republik in Kriegszeiten teils +durch regelmäßige Stellung einer festen Anzahl von Schiffen oder +Mannschaften auf ihre Kosten, teils, wie natürlich, im Notfall durch +außerordentliche Hilfsleistung jeder Art zu unterstützen. Das übrige +Provinzialgebiet dagegen, selbst mit Einschluß der Freistädte, unterlag +durchgängig der Besteuerung, und nur die mit römischem Bürgerrecht +beliehenen Städte, wie Narbo, und die speziell mit der Steuerfreiheit +beschenkten Gemeinden (civitates immunes), wie Kentoripa in Sizilien, +waren hiervon ausgenommen. Die direkten Abgaben bestanden teils, wie in +Sizilien und Sardinien, in einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben +und sonstigen Feldfrüchte wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das +Land zur Weide lag, einem entsprechenden Hutgeld; teils, wie in +Makedonien, Achaia, Kyrene, dem größten Teil von Africa, beiden +Spanien, nach Sulla auch in Asia, in einer von jeder einzelnen Gemeinde +jährlich nach Rom zu entrichtenden festen Geldsumme (stipendium, +tributum), welche zum Beispiel für ganz Makedonien 600000 (183000 +Taler), für die kleine Insel Gyaros bei Andros 150 Denare (46 Taler) +betrug und allem Anschein nach im ganzen niedrig und geringer war als +die vor der römischen Herrschaft entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten +und Hutgelder verdang der Staat gegen Lieferung fester Quantitäten Korn +oder fester Geldsummen an Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen +hielt er sich an die einzelnen Gemeinden und überließ es diesen, den +Betrag nach den von der römischen Regierung im allgemeinen +festgestellten Prinzipien auf die Steuerpflichtigen zu repartieren und +von diesen einzuziehen 3. Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen +von den untergeordneten Chaussee-, Brücken- und Kanalgeldern, +wesentlich in den Zöllen. Die Zölle des Altertums waren, wo nicht +ausschließlich doch sehr vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzölle auf +die zur Feilbietung bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden +von jeder Gemeinde in ihren Häfen und ihrem Gebiet nach Ermessen +erhoben. Die Römer erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als +sich ihr ursprüngliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der +römische Bürgerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein +allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des +Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden für den römischen Staat +wohl durchaus Zollfreiheit, für den römischen Bürger vielfach +wenigstens Zollbegünstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken, +die nicht zum Bündnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher +Untertänigkeit standen, auch nicht die Immunität erworben hatten, +fielen die Zölle doch selbstverständlich an den eigentlichen Souverän, +das heißt an die römische Gemeinde; und infolgedessen wurden einzelne +größere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere römische +Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen verbündeten oder +mit Immunität beliehenen Gemeinden als vom römischen Zoll befreit +enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der karthagischen +Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von allen aus- +und eingehenden Waren eine Abgabe von fünf Prozent vom Wert erhoben +ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen +Gesetzes eine ähnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward +in ähnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschließlich der Feldmark der +römischen Kolonie, als römischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser +Einrichtung mag außer den fiskalischen Zwecken auch die löbliche +Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzöllen +unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmäßige +Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zölle gleich +den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmänner verdungen. + +————————————————————————————————- + +2 Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum +erhebt, ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentümerzehnten, den er auf +das Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein +für allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers, +verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende +Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr. 3, +6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Römisches +Staatsrecht, Bd. 3, S. 730. + +3 Das Verfahren war, wie es scheint, folgendes. Die römische Regierung +bestimmte zunächst die Gattung und die Höhe der Abgabe: so zum Beispiel +ward in Asien auch nach der Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte +Garbe erhoben (App. civ. 5 4); so steuerten nach Caesars Verordnung die +Juden jedes andere Jahr ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, +6; vgl. 2, 5); so ward in Kilikien und Syrien später 5 vom Hundert des +Vermögens (App. Syr. 50) und auch in Africa eine, wie es scheint, +ähnliche Abgabe entrichtet, wobei übrigens das Vermögen nach gewissen +Präsumtionen, z. B. nach der Größe des Bodenbesitzes, der Zahl der +Türöffnungen, der Kopfzahl der Kinder und Sklaven abgeschätzt worden zu +sein scheint (exactio capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von +Kilikien; φόρος επί τή γή καί τοίς σώμασιν, App. Pun. 135, für Africa). +Nach dieser Norm wurde von den Gemeindebehörden unter Oberaufsicht des +römischen Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23) +festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen +Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata επικεφάλια Cic. Att. 5, I6); +wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward +ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur +Einziehung übertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; ωνάς +omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floß den +Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon zu +senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte +Geldbetrag nach Rom abgeführt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar +erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umständen, entweder +einen Teil des Ertrags der Steuer für sich oder setzte aus eigenem +Vermögen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch +Publikanen lag lediglich darin, daß dort die Gemeindebehörde der +Kontribuablen, hier römische Privatunternehmer den Vermittler machten. + +———————————————————————————- + +Hierauf waren die ordentlichen Lasten der römischen Steuerpflichtigen +beschränkt, wobei übrigens nicht übersehen werden darf, daß die +Erhebungskosten höchst beträchtlich waren und die Kontribuablen +unverhältnismäßig mehr zahlten, als die römische Regierung empfing. +Denn wenn das System der Steuereinziehung durch Mittelsmänner, +namentlich durch Generalpächter, schon an sich von allen das +verschwenderischste ist, so ward in Rom noch durch die geringe Teilung +der Pachtungen und die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame +Konkurrenz aufs äußerste erschwert. + +Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen noch erstlich die +Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militärverwaltung trug von Rechts +wegen die römische Gemeinde. Sie versah die Kommandanten jeder Provinz +mit den Transportmitteln und allen sonstigen Bedürfnissen; sie +besoldete und versorgte die römischen Soldaten in der Provinz. Nur Dach +und Fach, Holz, Heu und ähnliche Gegenstände hatten die +Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich zu gewähren; +ja die freien Städte waren sogar auch von der Wintereinquartierung - +feste Standlager kannte man noch nicht - regelmäßig befreit. Wenn der +Statthalter also Getreide, Schiffe, Sklaven zu deren Bemannung, +Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte, so stand es ihm zwar im +Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in Friedenszeiten frei, +solche Lieferungen nach Ermessen und Bedürfnis von den +Untertanengemeinden oder den souveränen Klientelstaaten einzufordern, +allein dieselben wurden, gleich der römischen Grundsteuer, rechtlich +als Käufe oder Vorschüsse behandelt und der Wert von der römischen +Staatskasse sogleich oder später ersetzt. Aber dennoch wurden, wenn +nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch praktisch, diese +Requisitionen eine der drückendsten Belastungen der Provinzialen; um so +mehr, als die Entschädigungsziffer regelmäßig von der Regierung oder +gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es begegnen wohl +einzelne gesetzliche Beschränkungen dieses gefährlichen +Requisitionsrechts der römischen Oberbeamten - so die schon erwähnte +Vorschrift, daß in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen +nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfür der Preis +nicht einseitig ausgemacht werden dürfte; die Bestimmung eines +Maximalquantums des von dem Statthalter für seine und seines Gefolges +Bedürfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgängige Anordnung einer +festbestimmten und hochgegriffenen Vergütung für das Getreide, das +wenigstens in Sizilien häufig für die Bedürfnisse der Hauptstadt +eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der +Druck jener Requisitionen auf die Ökonomie der Gemeinden und der +einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs +beseitigt. In außerordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich +unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die +Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der +der erzwungenen freiwilligen Beiträge erfolgten, die Vergütung also +ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die +kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste gegen +Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen +vierzigfachen (für den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio +fünfundsiebzigfachen Sold zu gewähren, außerdem Kleidung und Tisch +nebst dem Recht, nach Belieben Gäste einzuladen; so schrieb derselbe +Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und +Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natürlich keine Rede war. + +Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. Sie +müssen verhältnismäßig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da die +Verwaltungskosten, die Instandhaltung der öffentlichen Gebäude, +überhaupt alle Zivilausgaben von den städtischen Budgets getragen +wurden und die römische Regierung lediglich das Militärwesen aus ihrer +Kasse zu bestreiten übernahm. Sogar von diesem Militärbudget aber +wurden noch beträchtliche Posten auf die Gemeinden abgewälzt - so die +Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militärstraßen, die +der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu einem großen +Teil die Ausgaben für das Heerwesen, insofern die Wehrmannschaft der +Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten ihrer Gemeinden +innerhalb ihrer Provinz regelmäßig zum Dienst herangezogen wurden und +auch außerhalb derselben Thraker in Afrika, Afrikaner in Italien und so +weiter an jedem beliebigen Ort immer häufiger anfingen, mitverwendet zu +werden. Wenn nur die Provinzen, nicht aber Italien direkte Abgaben an +die Regierung entrichtete, so war dies wo nicht politisch, doch +finanziell billig, solange als Italien die Lasten und Kosten des +Militärwesens allein trug; seit dies aber aufgegeben ward, waren die +Provinzialen auch finanziell entschieden überlastet. + +————————————————————————- + +4 Beispielsweise entrichtete in Judäa die Stadt Joppe 26075 römische +Scheffel Korn, die übrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfürsten; +wozu dann noch der Tempelschoß und die für die Römer bestimmte +sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem römischen +Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermögen erhoben. + +————————————————————————- + +Endlich ist das große Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch +das die römischen Beamten und Steuerpächter in der mannigfaltigsten +Weise die Steuerlast der Provinzen steigerten. Man mochte jedes +Geschenk, das der Statthalter nahm, gesetzlich als erpreßtes Gut +behandeln, und selbst das Recht zu kaufen ihm durch Gesetz beschränken, +seine öffentliche Tätigkeit bot ihm, wenn er unrecht tun wollte, +dennoch der Handhaben mehr als genug. Die Einquartierung der Truppen; +die freie Wohnung der Beamten und des Schwarmes von Adjutanten +senatorischen oder Ritterranges, von Schreibern, Gerichtsdienern, +Herolden, Ärzten und Pfaffen; das den Staatsboten zukommende Recht +unentgeltlicher Beförderung; die Approbierung und der Transport der +schuldigen Naturallieferungen; vor allem die Zwangsverkäufe und die +Requisitionen gaben allen Beamten Gelegenheit, aus den Provinzen +fürstliche Vermögen heimzubringen; und das Stehlen ward immer +allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung sich als null erwies +und die der Kapitalistengerichte sogar als gefährlich allein für den +ehrlichen Beamten. Die durch die Häufigkeit der Klagen über +Beamtenerpressung in den Provinzen veranlaßte Einrichtung einer +stehenden Kommission für dergleichen Fälle im Jahre 605 (149) und die +rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden +Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die +immer wachsende Höhe des Übels. + +Unter all diesen Verhältnissen konnte selbst eine der Anlage nach +mäßige Besteuerung effektiv äußerst drückend werden, und daß sie dies +war, ist außer Zweifel, wenngleich der ökonomische Druck, den die +italischen Kaufleute und Bankiers auf die Provinzen übten, noch weit +schwerer auf denselben gelastet haben mag als die Besteuerung mit allen +daran hängenden Mißbräuchen. + +Fassen wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen +zog, nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den +wir jetzt damit verbinden, sondern vielmehr überwiegend eine den +attischen Tributen vergleichbare Hebung, womit der führende Staat die +Kosten des von demselben übernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus +erklärt sich auch die auffallende Geringfügigkeit des Roh- wie des +Reinertrags. Es findet sich eine Angabe, wonach die römische Einnahme, +vermutlich mit Ausschluß der italischen Einkünfte und des von den +Zehntpächtern in Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum +Jahr 691 (63) nicht mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. +Taler); also nur zwei Drittel der Summe, die der König von Ägypten +jährlich aus seinem Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das +Verhältnis befremden. Die Ptolemäer beuteten das Niltal aus wie große +Plantagenbesitzer und zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen +monopolisierten Handelsverkehr mit dem Orient; das römische Ärar war +nicht viel mehr als die Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz +geeinigten Gemeinden. Der Reinertrag war wahrscheinlich verhältnismäßig +noch geringer. Einen ansehnlichen Überschuß lieferten wohl nur +Sizilien, wo das karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem +Asia, seit Gaius Gracchus, um seine Getreideverteilung möglich zu +machen, daselbst die Bodenkonfiskation und die allgemeine +Domanialbesteuerung durchgesetzt hatte; nach vielfältigen Zeugnissen +ruhten die römischen Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von +Asia. Die Versicherung klingt ganz glaublich, daß die übrigen Provinzen +durchschnittlich ungefähr so viel kosteten als sie einbrachten; ja +diejenigen, welche eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide +Spanien, das Jenseitige Gallien, Makedonien, mögen oft mehr gekostet +als getragen haben. Im ganzen blieb dem römischen Ärar allerdings in +gewöhnlichen Zeiten ein Überschuß, welcher es möglich machte, die +Staats- und Stadtbauten reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig +aufzusammeln; aber auch die für diese Beträge vorkommenden Ziffern, +zusammengehalten mit dem weiten Gebiet der römischen Herrschaft, +sprechen für die Geringfügigkeit des Reinertrags der römischen Steuern. +In gewissem Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verständige +Grundsatz: die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu +behandeln, ebenwie die römisch-italische so auch noch die provinziale +Finanzverfassung beherrscht. Was die römische Gemeinde von ihren +überseeischen Untertanen erhob, ward der Regel nach auch für die +militärische Sicherung der überseeischen Besitzungen wieder verausgabt; +und wenn diese römischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer +trafen als die ältere Besteuerung, daß sie großenteils im Ausland +verausgabt wurden, so schloß dagegen die Ersetzung der vielen kleinen +Herren und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte +Militärverwaltung eine sehr ansehnliche ökonomische Ersparnis ein. Aber +freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in der +Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstört und +durchlöchert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich +gestattete. Der hieronisch-karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging +weit hinaus über den Betrag eines jährlichen Kriegsbeitrags. Mit Recht +ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, daß es der römischen +Bürgerschaft übel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zöllner der +Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzölle war mit dem Grundsatz +der uneigennützigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Höhe der +Zollsätze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das +Gefühl des hier zugefügten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehört wohl +schon dieser Zeit an, daß der Name des Zöllners den östlichen +Völkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Räubers +ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den römischen +Namen besonders im Osten widerwärtig und gehässig zu machen. Als dann +aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich +in Rom die populäre nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden +für ein Recht erklärt, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine +Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum +verwandelt, das vollständige Exploitierungssystem nicht bloß +eingeführt, sondern mit unverschämter Offenherzigkeit rechtlich +motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, daß dabei +eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und Asia +das härteste Los traf. + +Einen ungefähren Messer des römischen Finanzstandes dieser Zeit +gewähren in Ermangelung bestimmter Angaben noch am ersten die +öffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser Epoche wurden +dieselben in größtem Umfange betrieben, und vor allem die +Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefördert worden. In +Italien schloß sich an die große, vermutlich schon ältere Südchaussee, +die als Verlängerung der Appischen von Rom über Capua, Beneventum, +Venusia nach den Häfen von Tarent und Brundisium lief, eine +Seitenstraße an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des +Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostküste, wo bisher nur die +Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Straße +chaussiert gewesen war, wurde die Küstenstraße südwärts bis nach +Brundisium, nordwärts über Hatria am Po bis nach Aquileia verlängert +und wenigstens das Stück von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten +Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden großen +etrurischen Chausseen, die Küsten- oder Aurelische Straße von Rom nach +Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, und +die über Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia geführte +Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, dürften als +römische Staatschausseen erst dieser Zeit angehören. Um Rom selbst +bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Brücke (Ponte +Molle), auf der die Flaminische Straße unweit Rom den Tiber +überschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in +Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende +Flaminisch-Ämilische Kunststraße gehabt hatte, wurde im Jahre 606 (148) +die große Postumische Straße gebaut, die von Genua über Dertona, wo +wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegründet ward, weiter über +Placentia, wo sie die Flaminisch-Ämilische Straße aufnahm, Cremona und +Verona nach Aquileia führte und also das Tyrrhenische und das +Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die im Jahre 645 (109) +durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung zwischen Luna und +Genua hinzukam, welche die Postumische Straße unmittelbar mit Rom +verknüpfte. In einer anderen Weise war Gaius Gracchus für das italische +Wegewesen tätig. Er sicherte die Instandhaltung der großen Landstraßen, +indem er bei der Ackerverteilung längs derselben Grundstücke anwies, +auf denen die Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last +haftete; auf ihn ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission +scheint, wie die Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu +bezeichnen, so auch die der Errichtung von Meilensteinen zurückzugehen; +er sorgte endlich für gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau +zu fördern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in +dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen: +die Domitische Straße stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg +von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gründung von Aquae +Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische +führten von den Hauptplätzen an der Ostküste des Adriatischen Meeres, +jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland +hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im +Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Straßennetz führte von +der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an die +Reichsgrenze - alles Anlagen, über deren Entstehung in der +trümmerhaften Überlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden ist, +die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der römischen +Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien +unzweifelhaft in Zusammenhang standen und für die Zentralisierung des +Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte +von der größten Bedeutung geworden sind. + +Wie für die Straßen war man wenigstens in Italien auch für die großen +Entsumpfungsarbeiten tätig. So ward im Jahre 594 (160) die +Trockenlegung der Pomptinischen Sümpfe, die Lebensfrage für +Mittelitalien, mit großem Kraftaufwand und wenigstens vorübergehendem +Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109) in Verbindung mit den +norditalischen Chausseebauten zugleich die Entsumpfung der Niederungen +zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt. Endlich tat die Regierung +viel für die zur Gesundheit und Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso +unentbehrlichen wie kostspieligen römischen Wasserleitungen. Nicht bloß +wurden die beiden seit den Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits +bestehenden, die Appische und die Anioleitung, im Jahre 610 (144) von +Grund aus repariert, sondern auch zwei neue Leitungen angelegt: im +Jahre 610 (144) die Marcische, die an Güte und Fülle des Wassers auch +später unübertroffen blieb, und neunzehn Jahre nachher die sogenannte +Laue. Welche Operationen die römische Staatskasse, ohne vom +Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels reiner Barzahlung auszuführen +vermochte, zeigt nichts deutlicher als die Art, wie die Marcische +Leitung zustande kam: die dazu erforderliche Summe von 180 Mill. +Sesterzen (in Gold 13½ Mill. Taler) ward innerhalb dreier Jahre +disponibel gemacht und verwandt. Es läßt dies schließen auf eine sehr +ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch schon im Anfang +dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und ohne Zweifel beständig +im Steigen war. + +Alle diese Tatsachen zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im +allgemeinen günstigen Stand der römischen Finanzen dieser Zeit +schließen. Nur darf auch in finanzieller Hinsicht nicht übersehen +werden, daß die Regierung während der ersten zwei Drittel dieses +Zeitabschnitts zwar glänzende und großartige Bauten ausführte, aber +dafür andere wenigstens ebenso notwendige Ausgaben zu machen unterließ. +Wie ungenügend sie für das Militärwesen sorgte, ist bereits +hervorgehoben worden: in den Grenzlandschaften, ja im Potal plünderten +die Barbaren, im Innern hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien +die Räuberbanden. Die Flotte gar ward völlig vernachlässigt; römische +Kriegsschiffe gab es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die +Untertanenstädte bauen und erhalten ließ, reichten nicht aus, so daß +man nicht bloß schlechterdings keinen Seekrieg zu führen, sondern nicht +einmal den Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst +unterblieben eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich +die Flußbauten wurden seltsam vernachlässigt. Immer noch besaß die +Hauptstadt keine andere Brücke über den Tiber als den uralten hölzernen +Steg, der über die Tiberinsel nach dem Ianiculum führte; immer noch +ließ man den Tiber jährlich die Straßen unter Wasser setzen und Häuser, +ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne etwas für die +Uferbefestigung zu tun; immer mehr ließ man, wie gewaltig auch der +überseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Reede +von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den günstigsten +Verhältnissen und in einer Epoche vierzigjährigen Friedens nach außen +und innen solche Pflichten versäumt, kann leicht Steuern schwinden +lassen und dennoch einen jährlichen Überschuß der Einnahme über die +Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen; aber eine derartige +Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen ihrer nur scheinbar +glänzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben Vorwürfe der +Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten +Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet gegen das +senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden mußten. + +Weit schlimmer gestalteten sich natürlich die finanziellen +Verhältnisse, als die Stürme der Revolution hereinbrachen. Die neue +und, auch bloß finanziell betrachtet, höchst drückende Belastung, die +dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung +erwuchs, den hauptstädtischen Bürgern das Getreide zu Schleuderpreisen +zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu +eröffneten Einnahmequellen zunächst wieder ausgeglichen. +Nichtsdestoweniger scheinen die öffentlichen Bauten seitdem fast +gänzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die +erweislichermaßen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus +angelegten öffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit nach +632 (122) kaum andere genannt als die Brücken-, Straßen und +Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645 (109) +anordnete. Es muß dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der +Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge +des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer +mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in +der Angabe, daß der römische Reservefonds seinen höchsten Stand im +Jahre 663 (91) erreichte. Der fürchterliche Insurrektions- und +Revolutionssturm in Verbindung mit dem fünfjährigen Ausbleiben der +kleinasiatischen Gefälle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg +wieder den römischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben +dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den +Unterschied der Zeiten, als daß im Hannibalischen Krieg erst im zehnten +Kriegsjahre, als die Bürgerschaft den Steuern fast erlag, der +Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von Haus +aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei +Feldzügen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man +lieber die öffentlichen Plätze in der Hauptstadt versteigerte und die +Tempelschätze angriff, als eine Steuer auf die Bürger ausschrieb. Indes +der Sturm, so arg er war, ging vorüber; Sulla stellte, freilich unter +ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen Revolutionären +aufgebürdeten ökonomischen Opfern, die Ordnung in den Finanzen wieder +her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, die asiatischen +Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem Gemeinwesen +wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden ökonomischen Zustand, als +die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen Einnahmen +blieben. + +In der Privatökonomie dieser Zeit tritt kaum ein neues Moment hervor; +die früher dargelegten Vorzüge und Nachteile der sozialen Verhältnisse +Italiens werden nicht verändert, sondern nur weiter und schärfer +entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir bereits früher die +steigende römische Kapitalmacht den mittleren und kleinen Grundbesitz +in Italien sowohl wie in den Provinzen allmählich verzehren, wie die +Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah nicht bloß zu ohne +zu wehren, sondern förderte noch die schädliche Bodenteilung durch +einzelne Maßregeln, vor allem durch das zu Gunsten der großen +italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot der +transalpinischen Wein- und Ölproduktion 5. Zwar wirkten sowohl die +Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der +Konservativen energisch dem übel entgegen: indem die beiden Gracchen +die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie +dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten in +Italien ansiedelte, ergänzte er wenigstens einen Teil der von der +Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft +gerissenen Lücken; allein dem durch stetigen Abfluß sich leerenden +Gefäß ist nicht durch Einschöpfen auch beträchtlicher Massen, sondern +nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche +vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar +geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem +Auskaufen durch die römischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen +waren ja bloß Menschen und keine Partei. Die Folge war, daß mehr und +mehr auch die außeritalische Bodenrente nach Rom floß. Übrigens war die +Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst in einzelnen +Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits durchaus +überwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und rationellen +Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher Blüte +gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die +Eröffnung gezwungener Märkte in einem Teil der Provinzen, teils das zum +Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot der +ausländischen Weine in Italien auch künstlich förderten, erzielte sehr +bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben dem +Thasier und Chier genannt zu werden, und der “Opimische Wein” vom Jahre +633 (121), der römische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem der +letzte Krug geleert war. + +—————————————————————- + +5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor Varro +lebenden römischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5) +zusammenhängen, daß der Wein- und Ölbau sich beständig weiter nach +Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluß wegen Übersetzung der Magonischen +Bücher gehört hierher. + +——————————————————————- + +Von Gewerben und Fabrikation ist nichts zu sagen, als daß die italische +Nation in dieser Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivität +verharrte. Man zerstörte wohl die korinthischen Fabriken, die +Depositare so mancher wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um +selbst ähnliche Fabriken zu gründen, sondern um zu Schwindelpreisen +zusammenzukaufen, was die griechischen Häuser an korinthischen Ton- +oder Kupfergefäßen und ähnlichen “alten Arbeiten” bewahrten. Was von +Gewerken noch einigermaßen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem +Bauwesen zusammenhängenden, trug für das Gemeinwesen deshalb kaum einen +Nutzen, weil auch hier bei jeder größeren Unternehmung die +Sklavenwirtschaft sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die +Anlage der Marcischen Wasserleitung in der Art erfolgte, daß die +Regierung mit 3000 Meistern zugleich Bau- und Lieferungsverträge +abschloß, von denen dann jeder mit seiner Sklavenschar die übernommene +Arbeit beschaffte. + +Die glänzendste oder vielmehr die allein glänzende Seite der römischen +Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze +stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein großer, +vielleicht der größte Teil der römischen Staatseinnahmen in die Taschen +der römischen Kapitalisten floß. Der Geldverkehr ferner war im ganzen +Umfang des römischen Staats von den Römern monopolisiert; jeder in +Gallien umgesetzte Pfennig, heißt es in einer bald nach dem Ende dieser +Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Bücher der römischen +Kaufleute, und so war es ohne Zweifel überall. Wie das Zusammenwirken +der rohen ökonomischen Zustände und der rücksichtslosen Ausnutzung der +politischen Übermacht zu Gunsten der Privatinteressen eines jeden +vermögenden Römers eine wucherliche Zinswirtschaft allgemein machte, +zeigt zum Beispiel die Behandlung der von Sulla der Provinz Asia 670 +(84) auferlegten Kriegssteuer, die die römischen Kapitalisten +vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und nichtgezahlten Zinsen binnen +vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres ursprünglichen Betrags an. Die +Gemeinden mußten ihre öffentlichen Gebäude, ihre Kunstwerke und +Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen Kinder verkaufen, um dem +römischen Gläubiger gerecht zu werden; es war nichts Seltenes, daß der +Schuldner nicht bloß der moralischen Tortur unterworfen, sondern +geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu kam endlich der +Großhandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr beträchtlich. Jene +bestand vornehmlich in Wein und Öl, womit Italien neben Griechenland +fast ausschließlich - die Weinproduktion in der massaliotischen und +turdetanischen Landschaft kann damals nur gering gewesen sein - das +gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer Wein ging in bedeutenden +Quantitäten nach den Balearischen Inseln und Keltiberien, nach Africa, +das nur Acker- und Weideland war, nach Narbo und in das innere Gallien. +Bedeutender noch war die Einfuhr nach Italien, wo damals aller Luxus +sich konzentrierte und die meisten Luxusartikel, Speisen, Getränke, +Stoffe, Schmuck, Bücher, Hausgerät, Kunstwerke, über See eingeführt +wurden. Vor allem aber der Sklavenhandel nahm infolge der stets +steigenden Nachfrage der römischen Kaufleute einen Aufschwung, +dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch nicht gekannt hatte und der +mit dem Aufblühen der Piraterie im engsten Zusammenhang steht; alle +Länder und alle Nationen wurden dafür in Kontribution gesetzt, die +Hauptfangplätze aber waren Syrien und das innere Kleinasien. In Italien +konzentrierte die überseeische Einfuhr sich vorzugsweise in den beiden +großen Emporien am Tyrrhenischen Meer, Ostia und Puteoli. Nach Ostia, +dessen Reede wenig taugte, das aber, als der nächste Hafen an Rom, für +weniger werthafte Waren der geeignetste Stapelplatz war, zog sich die +für die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr, dagegen der Luxushandel mit +dem Osten überwiegend nach Puteoli, das durch seinen guten Hafen für +Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl und in der mehr und mehr mit +Landhäusern sich füllenden Gegend von Baiae den Kaufleuten einen dem +hauptstädtischen wenig nachstehenden Markt in nächster Nähe darbot. +Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr durch Korinth und nach dessen +Vernichtung durch Delos vermittelt, wie denn in diesem Sinne Puteoli +bei Lucilius das italische “Klein-Delos” heißt; nach der Katastrophe +aber, die Delos im Mithradatischen Kriege betraf, und von der es sich +nicht wieder erholt hat, knüpften die Puteolaner direkte +Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an und entwickelte damit +ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten überseeischen +Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloß der Gewinn, der bei der +italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den Italikern +zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel mit den +Massalioten, und überhaupt leidet es keinen Zweifel, daß die überall +fluktuierend oder ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den +besten Teil aller Spekulationen für sich nahm. + +Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den +hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der +politischen ebenbürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der +römischen Kapitalisten. In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente +fast des ganzen Italiens und der besten Stücke des Provinzialgebiets, +die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der +Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung +ein sehr beträchtlicher Teil der römischen Staatseinkünfte. Die immer +zunehmende Anhäufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des +Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler) war +jetzt ein mäßiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein anständiges +Rittervermögen; das Vermögen des reichsten Mannes der Gracchischen +Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 Mill. +Sesterzen (7½Mill. Taler) geschätzt. Es ist kein Wunder, wenn dieser +Kapitalistenstand die äußere Politik vorwiegend bestimmt, wenn er aus +Handelsrivalität Karthago und Korinth zerstört, wie einst die Etrusker +Alalia, die Syrakusier Caere zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz +die Gründung von Narbo aufrecht erhält. Es ist ebenfalls kein Wunder, +wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der +Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht. Es +ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die +Spitze empörter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft +daran erinnert, daß aus dem eleganten Bordell der Übergang zu der +Räuberhöhle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder +finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein ökonomischen, sondern der +politischen Übermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten +politischen Krise ungefähr in derselben Art schwankt wie unser sehr +ähnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg +der italisch-asiatischen Bewegungen 664f. (90) über den römischen +Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und der +Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstücke und der +Gesellschaftsparten können wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; wohl +aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer +Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen +Gläubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren +aus dem Senat zu stoßen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla, +die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionäre +Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natürlich in den Provinzen +allgemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische +Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im +Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen +italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos +waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und die +Angabe, daß hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf +Mithradates’ Befehl getötet wurden. In Afrika waren der Italiker so +viele, daß sogar die numidische Stadt Cirta hauptsächlich durch sie +gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heißt es, war +angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien finden sich, +vielleicht nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst +ist dagegen der Stand der freien Bevölkerung in dieser Epoche ohne +Zweifel im ganzen zurückgegangen. Allerdings haben die Bürgerkriege +hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und +freilich wenig zuverlässigen Angaben 100000 bis 150000 Köpfe von der +römischen Bürgerschaft, 300000 von der italischen Bevölkerung überhaupt +weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der ökonomische Ruin +des Mittelstandes und die maßlose Ausdehnung der kaufmännischen +Emigration, die einen großen Teil der italischen Jugend während ihrer +kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlaßte. Einen Ersatz sehr +zweifelhaften Wertes gewährte dafür die freie parasitische +hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als königliche oder +Gemeindediplomaten, als Ärzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente, +Schmarotzer und in den tausendfachen Ämtern der Industrieritter- und +Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Händler und Schiffer namentlich in +Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das +unverhältnismäßige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die +italische Bürgerschaft zählte nach der Schätzung des Jahres 684 (70) +910000 waffenfähige Männer, wobei, um den Betrag der freien Bevölkerung +auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schätzung zufällig +übergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den Alpen und dem +Po und die in Italien domizilierten Ausländer, hinzu-, die auswärts +domizilierten römischen Bürger dagegen abzurechnen sind. Es wird +demnach kaum möglich sein, die freie Bevölkerung der Halbinsel höher +als auf 6 bis 7 Mill. Köpfe anzusetzen. Wenn die damalige +Gesamtbevölkerung derselben der gegenwärtigen gleichkam, so hätte man +danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Köpfen anzunehmen. Es +bedarf indes solcher trüglichen Berechnungen nicht, um die gefährliche +Spannung dieser Verhältnisse anschaulich zu machen; laut genug reden +die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der +Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an +die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit +sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords, +seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders und +Pächter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven +verwandelt, so wird man ein ungefähres Bild der damaligen Bevölkerung +der italischen Halbinsel gewinnen. + +Wie im klaren Spiegel liegen die ökonomischen Verhältnisse dieser +Epoche noch heute uns vor in dem römischen Münzwesen. Die Behandlung +desselben zeigt durchaus den einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit +standen Gold und Silber als allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so daß +zwar zum Zweck allgemeiner Kassebilanzen ein festes Wertverhältnis +zwischen beiden Metallen gesetzlich normiert war, aber doch regelmäßig +es nicht freistand, ein Metall für das andere zu geben, sondern je nach +dem Inhalt der Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf +diesem Wege wurden die großen Übelstände vermieden, die sonst an die +Aufstellung eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knüpfen; die +starken Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der +Entdeckung der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal +in Italien um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt +auf die Silbermünze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der +Sache, daß, je mehr der überseeische Verkehr sich ausdehnte, desto +entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat, was +denn auch die Angaben über die Staatskassenbestände und die +Staatskassengeschäfte bestätigen; aber die Regierung ließ sich dadurch +nicht bewegen, das Gold auch in die Münze einzuführen. Die in der Not +des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man längst wieder fallen +lassen; die wenigen Goldstücke, die Sulla als Regent schlug, sind kaum +mehr gewesen als Gelegenheitsmünze für seine Triumphalgeschenke. Nach +wie vor zirkulierte als wirkliche Münze ausschließlich das Silber; das +Gold ward, mochte es nun, wie gewöhnlich, in Barren umlaufen oder +ausländisches oder allenfalls auch inländisches Gepräge tragen, +lediglich nach dem Gewicht genommen. Dennoch standen Gold und Silber +als Verkehrsmittel gleich, und die betrügliche Legierung des Goldes +wurde gleich der Prägung falscher Silbermünzen rechtlich als +Münzvergehen betrachtet. Man erreichte hierdurch den unermeßlichen +Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel selbst die Möglichkeit der +Münzdefraude und Münzveruntreuung abzuschneiden. übrigens war die +Münzprägung ebenso reichlich wie musterhaft. Nachdem im Hannibalischen +Kriege das Silberstück von 1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, +ist dasselbe mehr als drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich +schwer und gleich fein geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die +Kupfermünze wurde um den Anfang dieser Periode völlig zur Scheidemünze +und hörte auf, wie früher, im Großverkehr gebraucht zu werden; aus +diesem Grunde wurde etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der +As nicht mehr geschlagen und die Kupferprägung beschränkt auf die im +Silber nicht füglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3 +Pfennig) und darunter. Die Münzsorten waren nach einem einfachen +Prinzip geordnet und in der damals kleinsten Münze gewöhnlicher +Prägung, dem Quadrans (1½ Pfennig), hinabgeführt bis an die Grenze der +fühlbaren Werte. Es war ein Münzsystem, das an prinzipieller +Verständigkeit der Grundlagen wie an eisern strenger Durchführung +derselben im Altertum einzig dasteht und auch in der neueren Zeit nur +selten erreicht worden ist. Doch hat auch dies seinen wunden Fleck. +Nach einer im ganzen Altertum gemeinen, in ihrer höchsten Entwicklung +in Karthago auftretenden Sitte gab auch die römische Regierung mit den +guten silbernen Denaren zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus, +welche gleich jenen genommen werden mußten und nichts waren als ein +unserem Papiergeld analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung +auf die Staatskasse, insofern auch diese nicht befugt war, die +plattierten Stücke zurückzuweisen. Eine offizielle Falschmünzerei war +dies so wenig wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz +offen betrieb: Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel für +seine Kornspenden zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf +je sieben silberne, neu aus der Münze hervorgehende Denare; allein +nichtsdestoweniger bot diese Maßregel nicht bloß der privaten +Falschmünzerei eine bedenkliche Handhabe, sondern sie ließ auch das +Publikum absichtlich darüber im ungewissen, ob es Silber- oder +Zeichengeld empfange und in welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf +sei. In der bedrängten Zeit des Bürgerkrieges und der großen +finanziellen Krise scheint man der Planierung sich so über die Gebühr +bedient zu haben, daß zu der Finanzkrise eine Münzkrise sich gesellte +und die Masse der falschen und faktisch entwerteten Stücke den Verkehr +höchst unsicher machte. Deshalb wurde während des Cinnanischen +Regiments von den Prätoren und Tribunen, zunächst von Marcus Marius +Gratidianus, die Einlösung des sämtlichen Zeichengeldes durch +Silbergeld verfügt und zu dem Ende ein Probierbüro eingerichtet. +Inwieweit die Aufrufung durchgeführt ward, ist nicht überliefert; die +Zeichengeldprägung selbst blieb bestehen. + +Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemäßheit der grundsätzlichen +Beseitigung der Goldmünze die Goldprägung nirgends, auch in den +Klientelstaaten nicht gestattet; so daß die Goldprägung in dieser Zeit +nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei den +Kelten nordwärts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich +auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates +Eupator Goldmünzen schlugen. Auch die Silberprägung zeigt die Regierung +sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, vornehmlich im +Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische Gold- und +Silbermünze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im Umlauf +geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen weder +auf karthagischen noch auf römischen Fuß, und sicher hat sehr bald nach +der Besitzergreifung der Römer auch in dem Verkehr beider Landschaften +der von Italien eingeführte Denar das Übergewicht erhalten. In Spanien +und Sizilien, die früher an Rom gekommen sind und überhaupt eine +mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter römischer Herrschaft in +Silber geprägt, ja in dem ersteren Lande die Silberprägung erst durch +die Römer und auf römischen Fuß ins Leben gerufen worden; aber es sind +gute Gründe vorhanden für die Annahme, daß auch in diesen beiden +Landschaften wenigstens seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts die +provinziale und städtische Prägung sich auf die kupferne Scheidemünze +hat beschränken müssen. Nur im Narbonesischen Gallien konnte der +altverbündeten und ansehnlichen Freistadt Massalia das Recht der +Silberprägung nicht entzogen werden; und dasselbe gilt vermutlich von +den illyrischen Griechenstädten Apollonia und Dyrrhachion. Indes +beschränkte man doch diesen Gemeinden indirekt ihr Münzrecht dadurch, +daß der Dreivierteldenar, der nach Anordnung der römischen Regierung +dort wie hier geprägt ward und der unter dem Namen des Victoriatus in +das römische Münzsystem aufgenommen worden war, um die Mitte des 7. +Jahrhunderts in diesem beseitigt ward; wovon die Folge sein mußte, daß +das massaliotische und illyrische Courant aus Oberitalien verdrängt +wurde und außer seinem einheimischen Gebiete nur noch etwa in den +Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb. So weit war man also +bereits in dieser Epoche, daß in der gesamten Westhälfte des römischen +Staates der Denarfuß ausschließlich herrschte: denn Italien, Sizilien - +von dem es für den Anfang der nächsten Epoche ausdrücklich bezeugt ist, +daß daselbst kein anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien, +Afrika brauchten ausschließlich römisches Silbergeld, und das in +Spanien noch umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermünze der +Massalioten und Illyriker war wenigstens auf Denarfuß geschlagen. +Anders war es im Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit münzenden +Staaten und die Masse der umlaufenden Landesmünze sehr ansehnlich war, +drang der Denar nicht in größerem Umfang ein, wenn er auch vielleicht +gesetzlich gangbar erklärt ward: vielmehr blieb hier entweder der +bisherige Münzfuß, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn +auch teilweise mit Hinzufügung der Namen von römischen Beamten zu dem +der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiß +wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter +römischer Autorität ein den Verhältnissen entsprechender eigentümlicher +Münzfuß neu eingeführt, wie denn bei der Einrichtung der Provinz Asia +derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus, von der +römischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den +Bezirkshauptstädten daselbst unter römischer Oberaufsicht geschlagen +ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und des +orientalischen Münzwesens ist von der größten geschichtlichen Bedeutung +geworden: die Romanisierung der unterworfenen Länder hat in der Annahme +der römischen Münze einen ihrer wichtigsten Hebel gefunden, und es ist +kein Zufall, daß dasjenige, was wir in dieser Epoche als Gebiet des +Denars bezeichnet haben, späterhin zu der lateinischen, dagegen das +Gebiet der Drachme späterhin zu der griechischen Reichshälfte geworden +ist. Noch heutigentags stellt jenes Gebiet im wesentlichen den +Inbegriff der romanischen Kultur dar, während dieses dagegen aus der +europäischen Zivilisation sich ausgeschieden hat. + +Wie bei solchen ökonomischen Zuständen die sozialen Verhältnisse sich +gestalten mußten, ist im allgemeinen leicht zu ermessen, die Steigerung +aber des Raffinements, der Preise, des Ekels und der Leere im +besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch lehrreich. Verschwendung +und sinnlicher Genuß war die Losung überall, bei den Parvenus so gut +wie bei den Liciniern und Metellern; nicht der feine Luxus gedieh, der +die Blüte der Zivilisation ist, sondern derjenige, der in der +verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens und Alexandreias +sich entwickelt hatte, der alles Schöne und Bedeutende zur Dekoration +entadelte und auf den Genuß studierte mit einer mühseligen Pedanterie, +einer zopfigen Tüftelei, die ihn dem sinnlich wie dem geistig frischen +Menschen gleich ekelhaft macht. Was die Volksfeste anlangt, so wurde, +es scheint um die Mitte dieses Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus +Aufidius beantragten Bürgerschluß die in der catonischen Zeit +untersagte Einfuhr überseeischer Bestien förmlich wieder gestattet, +wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften Betrieb kamen und ein +Hauptstück der Bürgerfeste wurden. Um 651 (103) erschienen in der +römischen Arena zuerst mehrere Löwen, 655 (99) die ersten Elefanten; +661 (93) ließ Sulla als Prätor schon hundert Löwen auftreten. Dasselbe +gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die Bilder großer +Schlachten öffentlich ausgestellt hatten, so fingen die Enkel an, +dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen Haupt- und +Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu verspotten. +Welche Summen dafür und für die Begräbnisfeierlichkeiten überhaupt +aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius Lepidus +(Konsul 567, 579 187, 175; † 592 152) abnehmen; derselbe befahl seinen +Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepränge, sondern +in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste bestehe, auf +seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 Taler) zu +verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das +prachtvolle und namentlich wegen der alten Bäume des Gartens berühmte +Stadthaus des Redners Crassus († 663 91) ward mit den Bäumen auf 6 +Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Hälfte geschätzt, +während der Wert eines gewöhnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000 +Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise +der Luxusgrundstücke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen Villa, +die Cornelia, die Mutter der Gracchen, für 75000 Sesterzen (5700 +Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreißigfachen +Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben +machten Baiae und überhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum +Eldorado des vornehmen Müßiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es +keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knöchelspiel, um Nüsse ging, +wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen +erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhüllten, und +seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Männern die alten +wollenen Röcke zu verdrängen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit +ausländischen Parfümerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich die +Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses +vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis +100000 Sesterzen (7600 Taler) - für einen ausgesuchten Koch; man baute +mit Rücksicht darauf und versah namentlich die Landhäuser an der Küste +mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit +frisch auf die Tafel liefern zu können; man nannte es schon ein elendes +Diner, wenn das Geflügel ganz und nicht bloß die erlesenen Stücke den +Gästen vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den +einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloß zu kosten; man bezog für +schweres Geld ausländische Delikatessen und griechischen Wein, der bei +jeder anständigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden +mußte. Vor allem bei der Tafel glänzte die Schar der Luxussklaven, die +Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden oder +gemäldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike +Bronzegerät, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunächst richteten +sich die Luxusgesetze, die häufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89, +82) und ausführlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und +Weine wurden darin gänzlich untersagt, für andere nach Gewicht und +Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantität des silbernen +Tafelgeschirrs gesetzlich beschränkt, endlich allgemeine Maximalbeträge +der Kosten der gewöhnlichen und der Festtagsmahlzeit vorgeschrieben, +zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17½ Groschen und 5½ Taler), 673 +(81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und 17 Taler). Zur +Steuer der Wahrheit muß leider hinzugefügt werden, daß von allen +vornehmen Römern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die +Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen; +auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates den +Küchenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Mühe, einen Augenblick +noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus im Silbergerät +zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes Tafelgeschirr mit +Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses eine Ausnahme; die +karthagischen Gesandtschaften spotteten darüber, daß sie in jedem +Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne Tafelgerät +wiedergefunden hätten. Noch Scipio Aemilianus besaß nicht mehr als 32 +Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe Quintus Fabius +(Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000 Taler), Marcus +Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund (250000 Taler); in +Sullas Zeit zählte man in der Hauptstadt bereits gegen 150 +hundertpfündige silberne Prachtschüsseln, von denen manche ihren +Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfür +verschwendeten Summen zu ermessen, muß man sich erinnern, daß auch die +Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn für +ausgezeichnetes Silbergerät Gaius Gracchus den fünfzehn-, Lucius +Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der +letztere für ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000 +Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhältnismäßig überall. + +Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen +Ackergesetze, die zuerst darauf eine Prämie setzten. Die Scheidung, +einst in Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereignis; wenn +bei der ältesten römischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so +hätte man den jetzigen vornehmen Römern vorschlagen mögen, um zu der +Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzuführen. Selbst ein +Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Häuslichkeit +und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen +war, schärfte als Zensor 623 (131) den Bürgern die Pflicht, im +Ehestande zu leben, in der Art ein, daß er denselben bezeichnete als +eine drückende, aber von den Patrioten pflichtmäßig zu übernehmende +öffentliche Last. 7 + +———————————————————- + +6 In dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er für das +Erdgeschoß 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen Miete +(Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewöhnlichen Kapitalzinses +kapitalisiert, ungefähr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine +wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstädtischer Mietzins von 6000 +Sesterzen (460 Taler) für das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird +(Vell. 1, 10), so müssen dabei besondere Umstände obgewaltet haben. + +7 “Wenn wir könnten, ihr Bürger”, hieß es in seiner Rede, würden wir +freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so +eingerichtet hat, daß weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne die +Frauen überhaupt sich leben läßt, so ziemt es sich auf dauernde +Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben.” + +——————————————————— + +Allerdings gab es Ausnahmen. Die landstädtischen Kreise, namentlich die +der größeren Gutsbesitzer, hatten die alte ehrenwerte latinische +Nationalsitte treuer bewahrt. In der Hauptstadt aber war die catonische +Opposition zur Phrase geworden; die moderne Richtung herrschte souverän +und, wenn auch einzelne fest und fein organisierte Naturen, wie Scipio +Aemilianus, römische Sitte mit attischer Bildung zu vereinigen wußten, +war doch bei der großen Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit +geistiger und sittlicher Verderbnis. Den Rückschlag dieser sozialen +Übelstände auf die politischen Verhältnisse darf man niemals aus den +Augen verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen will. Es +war nicht gleichgültig, daß von den beiden vornehmen Männern, die im +Jahre 662 (92) als oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der +eine dem andern öffentlich vorrückte, daß er einer Muräne, dem Stolz +seines Fischteichs, bei ihrem Tode Tränen nachgeweint habe, und dieser +wieder jenem, daß er drei Frauen begraben und um keine eine Träne +geweint habe. Es war nicht gleichgültig, daß im Jahre 593 (161) auf +offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen +Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin in +dem Kreise seiner Zechbrüder findet. “Sie spielen Hasard, fein +parfümiert, die Mätressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt, +lassen sie den Bedienten kommen und heißen ihn auf der Dingstätte sich +umhören, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer für und wer gegen den +neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafür, welche +dagegen gestimmt hätten. Endlich gehen sie selbst auf den +Gerichtsplatz, eben früh genug, um sich den Prozeß nicht selbst auf den +Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgäßchen eine Gelegenheit, +die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll Wein +geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstätte und geben den +Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der +Geschworene heißt die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie er +zurückkommt, erklärt er alles gehört zu haben und fordert die Urkunden. +Ersieht hinein in die Schriften; kaum hält er vor Wein die Augen auf. +Wie er sich dann zurückzieht, das Urteil auszufüllen, läßt er zu seinen +Zechbrüdern sich vernehmen: ‘Was gehen mich die langweiligen Leute an? +Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Süßen mit griechischem Wein +trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel und einen guten +Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?’” Die den Redner +hörten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, daß dergleichen +Dinge belacht wurden? + + + + +KAPITEL XII. +Nationalität, Religion, Erziehung + + +In dem großen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des weiten Umfangs +des Römischen Reiches erscheinen die sekundären Nationen in dieser Zeit +im Zurückweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste unter allen, +die phönikische, empfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde, +an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die +ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien und +Samnium, wurden nicht bloß von den schwersten Schlägen der Sullanischen +Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung Italiens +nötigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr die lateinische Sprache und +Weise auf und drückte die alten Landessprachen herab zu rasch +verkümmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen Umfange +des römischen Staates eine Nationalität als befugt, mit der römischen +und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie +intensiv die latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie +seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem Italiker +zu vollem römischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott römische +Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der +transpadanischen Landschaft seitdem das römische Recht mit Beseitigung +aller anderen Stadt- und Landrechte ausschließlich gilt: so ist damals +die römische Sprache auch die allgemeine Geschäfts- und bald +gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der +ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie +beschränkte sich schon nicht mehr auf diese natürlichen Grenzen. Die in +Italien zusammenströmende Kapitalmasse, der Reichtum seiner Produkte, +die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner Kaufleute fand +keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel; hierdurch und durch +den öffentlichen Dienst wurden die Italiker massenweise in die +Provinzen geführt. Ihre privilegierte Stellung daselbst privilegierte +auch die römische Sprache und das römische Recht, selbst wo nicht bloß +Römer miteinander verkehrten; überall standen die Italiker zusammen als +festgeschlossene und organisierte Massen, die Soldaten in ihren +Legionen, die Kaufleute jeder größeren Stadt als eigene Korporationen, +die in dem einzelnen provinzialen Gerichtssprengel domizilierten oder +verweilenden römischen Bürger als “Kreise” (conventus civium Romanorum) +mit ihrer eigenen Geschworenenliste und gewissermaßen mit +Gemeindeverfassung; und wenn auch diese provinzialen Römer regelmäßig +früher oder später nach Italien zurückgingen, so bildete sich dennoch +allmählich aus ihnen der Stamm einer festen, teils römischen, teils an +die römische sich anlehnenden Mischbevölkerung der Provinzen. Daß in +Spanien, wo das römische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene +Provinzialstädte italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616 +(133), später Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits +erwähnt. Wenn das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der +Vaccäer zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten +und widerwärtigsten Aufenthaltsorten für den gebildeten Italiker +genannt wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, +daß schon um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und +sonst an der Küste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In +bewußter Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die +Provinzen des römischen Staats durch die italische Emigration zu +kolonisieren, das heißt zu romanisieren, und legte Hand an die +Ausführung desselben; und obgleich die konservative Opposition gegen +den kühnen Entwurf sich auflehnte, die gemachten Anfänge größtenteils +zerstörte und die Fortführung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo +erhalten, schon an sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen +Sprachgebiets und noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines +großen Gedankens, der Grundstein eines gewaltigen künftigen Baues. Der +antike Gallizismus, ja das heutige Franzosentum sind von dort +ausgegangen und in ihrem letzten Grunde Schöpfungen des Gaius Gracchus. +Aber die latinische Nationalität erfüllte nicht bloß die italischen +Grenzen und fing an sie zu überschreiten, sondern sie gelangte auch in +sich zu tieferer geistiger Begründung. Wir finden sie im Zuge, eine +klassische Literatur, einen eigenen höheren Unterricht sich zu +schaffen; und wenn man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und +der hellenischen Bildung sich versucht fühlen kann, die schwächliche +italische Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch für die +geschichtliche Entwicklung zunächst weit weniger darauf an, wie die +lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als +darauf, daß sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die +gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das +Wort des Dichters auch hier anwenden, daß der lebendige Tagelöhner mehr +ist als der tote Achill. + +Wie rasch und ungestüm aber die lateinische Sprache und Nationalität +vorwärts dringt, sie erkennt zugleich die hellenische an als durchaus +gleich, ja früher und besser berechtigt und tritt mit dieser überall in +das engste Bündnis oder durchdringt sich mit ihr zu gemeinschaftlicher +Entwicklung. Die italische Revolution, die sonst alle nichtlatinischen +Nationalitäten auf der Halbinsel nivellierte, rührte nicht an die +Griechenstädte Tarent, Rhegion, Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia, +obwohl jetzt umschlossen von römischem Gebiet, fortwährend eine +griechische Stadt und eben als solche fest verbunden mit Rom. Mit der +vollständigen Latinisierung Italiens ging die steigende Hellenisierung +Hand in Hand. In den höheren Schichten der italischen Gesellschaft +wurde die griechische Bildung zum integrierenden Bestandteil der +eigenen. Der Konsul des Jahres 623 (131), der Oberpontifex Publius +Crassus, erregte des Staunen selbst der geborenen Griechen, da er als +Statthalter von Asia seine gerichtlichen Entscheidungen, wie der Fall +es erforderte, bald in gewöhnlichem Griechisch abgab, bald in einem der +vier zu Schriftsprachen gewordenen Dialekte. Und wenn die italische +Literatur und Kunst längst unverwandt nach Osten blickten, so begann +jetzt auch die hellenische das Antlitz nach Westen zu wenden. Nicht +bloß die griechischen Städte in Italien blieben fortwährend zu regem +geistigen Verkehr mit Griechenland, Kleinasien, Ägypten und gönnten den +dort gefeierten griechischen Poeten und Schauspielern auch bei sich den +gleichen Verdienst und die gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem +von dem Zerstörer Korinths bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen +Beispiel, die gymnastischen und musischen Spiele der Griechen: +Wettkämpfe im Ringen sowie im Musizieren, Spielen, Rezitieren und +Deklamieren in Aufnahme ^1. Die griechischen Literaten schlugen schon +ihre Fäden bis in die vornehme römische Gesellschaft, vor allem in den +Scipionischen Kreis, dessen hervorragende griechische Mitglieder, der +Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios, bereits mehr der +römischen als der griechischen Entwicklungsgeschichte angehören. Aber +auch in anderen, minderhochstehenden Zirkeln begegnen ähnliche +Beziehungen. Wir gedenken eines anderen Zeitgenossen Scipios, des +Philosophen Kleitomachos, weil in seinem Leben zugleich die gewaltige +Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener +Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Karneades und später dessen +Nachfolger in seiner Professur, verkehrte er von Athen aus mit den +gebildetsten Männern Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem +Dichter Lucilius, und widmete teils dem römischen Konsul, der die +Belagerung Karthagos eröffnete, Lucius Censorinus, ein +wissenschaftliches Werk, teils seinen als Sklaven nach Italien +geführten Mitbürgern eine philosophische Trostschrift. Hatten namhafte +griechische Literaten bisher wohl vorübergehend als Gesandte, Verbannte +oder sonstwie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt +schon an, dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon genannte +Panätios in Scipios Hause lebte, und der Hexametermacher Archias von +Antiocheia im Jahre 652 (102) sich in Rom niederließ und von der +Improvisierkunst und von Heldengedichten auf römische Konsulare sich +anständig ernährte. Sogar Gaius Marius, der schwerlich von seinem +Carmen eine Zeile verstand und überhaupt zum Mäzen möglichst übel sich +schickte, konnte nicht umhin, den Verskünstler zu patronisieren. +Während also das geistige und literarische Leben wenn nicht die +reineren, doch die vornehmeren Elemente der beiden Nationen miteinander +in Verbindung brachte, flossen andererseits durch das massenhafte +Eindringen der kleinasiatischen und syrischen Sklavenscharen und durch +die kaufmännische Einwanderung aus dem griechischen und +halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit orientalischen und +überhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten Schichten des +Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und gaben auch +diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung Ciceros, daß neue +Sprache und neue Weise zuerst in den Seestädten aufkommt, dürfte +zunächst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium +sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte zuerst +Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand. + +—————————————————————————- + +^1 Daß vor 608 (146) keine “griechischen Spiele” in Rom gegeben seien +(Tac. ann. 14, 21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische +“Künstler” (τεχνίται) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische +Flötenspieler, Tragöden und Faustkämpfer auf (Polyb. 30, 13). + +————————————————————————— + +Das unmittelbare Resultat dieser vollständigen Revolution in den +Nationalitätsverhältnissen war allerdings nichts weniger als +erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phönikern, Juden, +Ägyptern, die Provinzen von Römern; die scharf ausgeprägten +Volkstümlichkeiten rieben sich überall aneinander und verschliffen sich +zusehends; es schien nichts übrigbleiben zu sollen als der allgemeine +Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an Ausdehnung +gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo der +Mittelstand am frühesten und vollständigsten verschwand und nichts +übrig blieb als die großen Herren und die Bettler, beide in gleichem +Maße Kosmopoliten. Cicero versichert, daß um 660 (190) die allgemeine +Bildung in den launischen Städten höher gestanden habe als in Rom; dies +bestätigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, gesundeste +und eigentümlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komödie und die +Lucilische Satire, mit größerem Recht latinisch heißen als römisch. Daß +der italische Hellenismus der unteren Schichten in der Tat nichts war +als ein zugleich mit allen Auswüchsen der Kultur und mit oberflächlich +übertünchter Barbarei behafteter widerwärtiger Kosmopolitismus, +versteht sich von selbst; aber auch für die bessere Gesellschaft blieb +der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf die Dauer maßgebend. +Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich für das griechische +Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff sie statt zu der +klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und frivolsten +Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen Sinn das +römische Wesen zu gestalten, begnügte man sich mit Entlehnung +desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist möglichst wenig in +Tätigkeit setzte. In diesem Sinn äußerte der arpinatische Gutsbesitzer +Marcus Cicero, der Vater des Redners, daß der Römer, wie der syrische +Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch verstehe. + +Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze Zeit, +aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Völkerkreis, den wir +die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der +äußerlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter +der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen +ruhenden Bildung. Über den Trümmern der Völkerschaften zweiten Ranges +vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen +stillschweigend der große geschichtliche Kompromiß; die griechische und +die lateinische Nationalität schließen miteinander Frieden. Auf dem +Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die +Römer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem +Latein eine freilich beschränkte und unvollständige Gleichstellung mit +dem Griechischen eingeräumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den +fremden Gesandten, vor dem römischen Senat ohne Dolmetscher griechisch +zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das römische Gemeinwesen in +einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte Erbe des Thrones +und der Gedanken Alexanders des Großen im Westen aufstehen wird, +zugleich ein Römer und ein Grieche. + +Was schon der Überblick der nationalen Verhältnisse also zeigt, die +Unterdrückung der sekundären und die gegenseitige Durchdringung der +beiden primären Nationalitäten, das ist im Gebiete der Religion, der +Volkserziehung, der Literatur und der Kunst noch im einzelnen genauer +darzulegen. + +Die römische Religion war mit dem römischen Gemeinwesen und dem +römischen Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die +fromme Widerspiegelung der römischen Bürgerwelt, daß die politische und +soziale Revolution notwendigerweise auch das Religionsgebäude über den +Haufen warf. Der alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über +seinen Trümmern erheben sich, wie über den Trümmern des politischen +Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der +Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der +Aberglaube, das Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings +gehen die Anfänge von beiden, wie ja auch die Anfänge der +politisch-sozialen Revolution, bereits in die vorige Epoche zurück. +Schon damals rüttelte die hellenische Bildung der höheren Kreise im +stillen an dem Glauben der Väter; schon Ennius bürgerte die +Allegorisierung und Historisierung der hellenischen Religion in Italien +ein; schon der Senat, der Hannibal bezwang, mußte die Übersiedlung des +kleinasiatischen Kybelekults nach Rom gutheißen und gegen anderen noch +schlimmeren Aberglauben, namentlich das bakchische Muckertum, aufs +ernstlichste einschreiten. Indes wie überhaupt in der vorhergehenden +Periode die Revolution mehr in den Gemütern sich vorbereitete als +äußerlich sich vollzog, so ist auch die religiöse Umwälzung im +wesentlichen dort erst das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit. + +Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anlehnende Richtung +zu verfolgen. Die hellenische Nation, weit früher als die italische +erblüht und abgeblüht, hatte längst die Epoche des Glaubens durchmessen +und seitdem sich ausschließlich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation +und Reflexion; seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur +noch Philosophie. Aber auch die philosophische Tätigkeit des +hellenischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die +Epoche der produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in +dem Stadium angekommen, wo nicht bloß keine wahrhaft neuen Systeme mehr +entstehen, sondern wo auch die Fassungskraft für die vollkommensten der +älteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmäßige und bald +scholastische Überlieferung der unvollkommneren Philosopheme der +Vorfahren sich beschränkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie, +statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht +und ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten, +schlägt. Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefährlich, ist, +verdünnt und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwässert +reichten die gleichzeitigen Griechen ihn den Römern, und diese +verstanden weder ihn zurückzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern +auf die toten Meister zurückzugehen. Platon und Aristoteles, um von den +vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluß auf +die römische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern +genannt, ihre faßlicheren Schriften auch wohl gelesen und übersetzt +wurden. So wurden denn die Römer in der Philosophie nichts als +schlechter Lehrer schlechtere Schüler. Außer der +historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen +auflöste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit +lebender Wohltäter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube +Götter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind +hauptsächlich drei Philosophenschulen für Italien von Bedeutung +geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros († 484 270) und des +Zenon († 491 263) und die skeptische des Arkesilas († 513 241) und +Karneades (541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus, +die Stoa und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche +von der Unmöglichkeit des überzeugten Wissens ausging und an dessen +Stelle nur ein für das praktische Bedürfnis ausreichendes vorläufiges +Meinen als möglich zugab, bewegte sich hauptsächlich polemisch, indem +sie jeden Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen +Dogmatismus in den Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern +ungefähr auf einer Linie mit der älteren Sophistik, nur daß +begreiflicherweise die Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades +und die Seinen mehr gegen ihre philosophischen Kollegen ankämpften. +Dagegen trafen Epikuros und Zenon überein sowohl in dem Ziel einer +rationellen Erklärung des Wesens der Dinge als auch in der +physiologischen, von dem Begriff der Materie ausgehenden Methode. +Auseinander gingen sie, insofern Epikuros, der Atomenlehre Demokrits +folgend, das Urwesen als starre Materie faßt und diese nur durch +mechanische Verschiedenheiten in die Mannigfaltigkeit der Dinge +überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend an den Ephesier Herakleitos, +schon in den Urstoff eine dynamische Gegensätzlichkeit und eine auf- +und niederwogende Bewegung hineinlegt; woraus denn die weiteren +Unterschiede sich ableiten: daß im epikureischen System die Götter +gleichsam nicht vorhanden und höchstens der Traum der Träume sind, die +stoischen Götter die ewig rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne, +als Gott mächtig über den Körper, die Erde, die Natur; daß Epikuros +nicht, wohl aber Zenon eine Weltregierung und eine persönliche +Unsterblichkeit der Seele anerkennt; daß das Ziel des menschlichen +Strebens nach Epikuros ist das unbedingte, weder von körperlichem +Begehren noch von geistigem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen +nach Zenon die durch das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und +Körpers immer gesteigerte und zu dem Einklang mit der ewig streitenden +und ewig friedlichen Natur aufstrebende menschliche Tätigkeit. In einem +Punkte aber stimmten der Religion gegenüber alle diese Schulen +zusammen: daß der Glaube als solcher nichts sei und notwendig ersetzt +werden müsse durch die Reflexion, mochte diese übrigens mit Bewußtsein +darauf verzichten, zu einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, +oder die Vorstellungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule +Epikurs, oder dieselben teils motiviert festhalten, teils modifizieren, +wie die Stoiker taten. + +Es war danach nur folgerichtig, daß die erste Berührung der +hellenischen Philosophie mit der römischen, ebenso glaubensfesten als +antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die römische +Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen +sowohl die Befehdung wie die Begründung sich zu verbitten, die beide +ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der römische Staat, der in der +Religion instinktmäßig sich selber angegriffen fühlte, verhielt sich +billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der +anrückenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren +auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch +gleich das erste größere Debüt der Philosophie in Rom eine förmliche +Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlaßt durch die +Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor +dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie, +darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten +(599 155). Die Wahl war insofern zweckmäßig, als der ganz schandbare +Handel jeder Rechtfertigung im gewöhnlichen Verstand spottete; dagegen +paßte es vollkommen für den Fall, wenn Karneades durch Rede und +Gegenrede bewies, daß sich gerade ebenso viele und ebenso +nachdrückliche Gründe zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen ließen +wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form +dartat, daß man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne, +Oropos herauszugeben und von den Römern, sich wieder zu beschränken auf +ihre alten Strohhütten am Palatin. Die der griechischen Sprache +mächtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und +emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen; +aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er +nicht bloß die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhöflich +genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern +auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst +verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und dessen +Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast +höhnisches Eingeständnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen +reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der römischen Jugend +nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische +Vorträge zu hören. Man gewöhnte sich, die Philosophie zuerst wenigstens +als notwendiges Übel zu dulden, bald auch für die in ihrer Naivität +nicht mehr haltbare römische Religion in der fremden Weisheitslehre +eine Stütze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinierte, aber dafür +doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des +Volksglaubens anständigerweise einigermaßen festzuhalten. Indes diese +Stütze konnte weder der Euhemerismus sein noch das System des Karneades +oder des Epikuros. Die Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu +schroff entgegen, indem sie die Götter geradezu für Menschen erklärte; +Karneades zog gar ihre Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen +wenigstens jeden Einfluß auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen +diesen Systemen und der römischen Religion war ein Bündnis unmöglich; +sie waren und blieben verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es für +Bürgerpflicht erklärt, dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem +Gottesdienst zu nahe trete; und von den in seinen Gesprächen +auftretenden Akademikern und Epikureern muß jener sich entschuldigen, +daß er als Philosoph zwar ein Jünger des Karneades, aber als Bürger und +Pontifex ein rechtgläubiger Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei, +der Epikureer sogar schließlich sich gefangen geben und sich bekehren. +Keines dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte +Begreiflichkeit des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft +auf die Römer geübt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms +nur zu tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und +altersschwachen Historisierung der Fabel; auf die römische Religion +aber blieb er deshalb ohne wesentlichen Einfluß, weil diese von Haus +aus nur allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in +Hellas möglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu +schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen, +die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und überdies die langen +Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe +Schuttlagen geistiger Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den +Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem +römischen, so durchaus auf Tätigkeit gerichteten Wesen tüchtig und brav +war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und die +Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die +Polizei fortgefahren hat, ihm am längsten und ernstlichsten den Krieg +zu machen. Indes dieser römische Epikureismus war nicht so sehr ein +philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem +- sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der +gedankenlose Sinnesgenuß für die gute Gesellschaft sich maskierte; wie +denn einer der frühesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, in +Lucilius’ Gedichten figuriert als der Prototyp des übel +hellenisierenden Römers. + +Gar anders stand und wirkte in Italien die stoische Philosophie. Im +geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloß sie an die +Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem Glauben zu +akkommodieren überhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit seinen +Göttern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsätzlich fest, als +er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die +wissenschaftliche Rücksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Fällen sich +ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk +als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war +ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war +wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der +Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros +ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen +Menschen. Diese Philosophie paßte in der Tat besser nach Rom als in die +eigene Heimat. Der Tadel des frommen Gläubigen, daß der Gott des +Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus +einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland +einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche +Purifizierung, wie sie der stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den +besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven +Zeit dürftige plastische Kraft der Römer hatte nicht mehr erzeugt als +eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhüllung der +ursprünglichen Anschauung oder des ursprünglichen Begriffes, woraus die +Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zürnen, wenn sie sich +plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; Minerva war +auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supranaturalische +stoische und die allegorische römische Theologie fielen in ihrem +Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der Philosoph einzelne +Sätze der Priesterlehre als zweifelhaft oder als falsch bezeichnen +mußte, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die Vergötterungslehre +verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als die Geister +ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Götterbild nicht als +Repräsentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens +nicht die Art der Anhänger Zenons, gegen diese Irrlehren anzukämpfen +und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie überall der +Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht, auch in ihren Schwächen. Auch +die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und auf die +rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne der +Römer, zumal der Römer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die Väter in +unbefangener Weise Zucht und gute Sitte übten, sondern deren naive +Sittlichkeit auflösten in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter +Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz überdies dringend eine +methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die Fähigkeit zu +besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So inkorporierte diese +Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem +Boden akklimatisiertes Gewächs sich durchaus dem römischen +Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den +verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge reichen ohne Zweifel weiter +zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren Schichten der römischen +Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis, der sich um +Scipio Aemilianus gruppierte. Panätios von Rhodos, der Lehrmeister +Scipios und aller ihm nahestehender Männer in der stoischen Philosophie +und beständig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein gewöhnlicher +Begleiter, verstand es, das System geistreichen Männern nahe zu +bringen, dessen spekulative Seite zurücktreten zu lassen und die Dürre +der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus einigermaßen zu +mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der älteren Philosophen, +unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen Sokrates vorzugsweise +liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die namhaftesten Staatsmänner +und Gelehrten, unter anderen die Begründer der wissenschaftlichen +Philologie und der wissenschaftlichen Jurisprudenz, Stilo und Quintus +Scaevola. Der schulmäßige Schematismus, der in diesen +Fachwissenschaften seitdem wenigstens äußerlich herrscht und namentlich +anknüpft an eine wunderliche, scharadenhaft geistlose +Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa. Aber unendlich wichtiger ist +die aus der Verschmelzung der stoischen Philosophie und der römischen +Religion hervorgehende neue Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das +spekulative Element, von Haus aus in dem Zenonischen System wenig +energisch ausgeprägt und schon weiter abgeschwächt, als dasselbe in Rom +Eingang fand, nachdem bereits ein Jahrhundert hindurch die griechischen +Schulmeister sich beflissen hatten, diese Philosophie in die +Knabenköpfe hinein und damit den Geist aus ihr hinauszutreiben, trat +völlig zurück in Rom, wo niemand spekulierte als der Wechsler; es war +wenig mehr die Rede von der idealen Entwicklung des in der Seele des +Menschen waltenden Gottes oder göttlichen Weltgesetzes. Die stoischen +Philosophen zeigten sich nicht unempfänglich für die recht einträgliche +Auszeichnung, ihr System zur halboffiziellen römischen +Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und erwiesen sich überhaupt +geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen Prinzipien hätte +erwarten sollen. Ihre Lehre von den Göttern und vom Staat zeigte bald +eine seltsame Familienähnlichkeit mit den realen Institutionen ihrer +Brotherren; statt über den kosmopolitischen Philosophenstaat stellten +sie Betrachtungen an über die weise Ordnung des römischen +Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie Panätios, die +göttliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als denkbar, aber +ungewiß dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar entschieden verworfen +hatten, so verfochten schon seine nächsten Nachfolger jene +Offenbarungslehre, das heißt die römische Auguraldisziplin, so steif +und fest wie jeden anderen Schulsatz und machten sogar der Astrologie +höchst unphilosophische Zugeständnisse. Das Hauptstück des Systems ward +immer mehr die kasuistische Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen +Tugendstolz entgegen, bei welchem die Römer dieser Zeit in der vielfach +demütigenden Berührung mit den Griechen Entschädigung suchten, und +formulierte den angemessenen Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie +jede wohlerzogene Moral, mit herzerstarrender Rigorosität im ganzen die +höflichste Nachsicht im einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen +Resultate werden kaum viel höher anzuschlagen sein als daß, wie gesagt, +in zwei oder drei vornehmen Häusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen +ward. + +—————————————————————- + +2 Ein ergötzliches Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) +nachlesen. + +—————————————————————- + +Dieser neuen Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere +Seite ist die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das +bewußte Festhalten der als irrationell erkannten Sätze des +Volksglaubens aus äußeren Zweckmäßigkeitsgründen ist. Schon einer der +hervorragendsten Männer des Scipionischen Kreises, der Grieche +Polybios, spricht es unverhohlen aus, daß das wunderliche und +schwerfällige römische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen +erfunden sei, die, da die Vernunft nichts über sie vermöge, mit Zeichen +und Wundern beherrscht werden müsse, während verständige Leute +allerdings der Religion nicht bedürften. Ohne Zweifel teilten Polybios’ +römische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie auch nicht +in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion sich +entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus können in der +Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunächst denkt, etwas anderes +gesehen haben als eine politische Institution; doch war der +Nationalsinn in ihnen zu mächtig und das Anstandsgefühl zu fein, als +daß sie mit solchen bedenklichen Erörterungen öffentlich hätten +auftreten mögen. Aber schon in der folgenden Generation trug der +Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens +in seiner mündlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Sätze vor, daß +es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmäßige philosophische +und eine nichtverstandesmäßige traditionelle, daß jene sich nicht eigne +zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu wissen +unnütz oder sogar schädlich sei, daß demnach die überlieferte +Staatsreligion bleiben müsse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung +desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die +römische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der +Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des Staats, wie der +Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte, die Götter +neu zu machen, würde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und +den Teilen der Weltseele prinzipmäßig entsprechender zu machen und zu +benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Götterbilder 3 +und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese +Einrichtungen einmal beständen, so müsse jeder gute Bürger sie kennen +und befolgen und dazu tun, daß der “gemeine Mann” die Götter vielmehr +höher achten als geringschätzen lerne. Daß der gemeine Mann, zu dessen +Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt +verschmähte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von selbst und +wird weiterhin sich zeigen. So war denn die römische Hochkirche fertig, +eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und eine glaubenslose +Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion für eine politische +Institution erklärte, desto entschiedener betrachteten die politischen +Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff und +Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Maße der Fall war mit +der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu den Priesterkollegien. +Die alte und natürliche Übung, die Bürgerversammlung zu entlassen, wenn +ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Händen der römischen Augurn +sich zu einem weitläufigen System verschiedener Himmelszeichen und +daran sich knüpfender Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten +Dezennien dieser Epoche ward sogar durch das Älische und das Fufische +Gesetz geradezu verordnet, daß jede Volksversammlung auseinanderzugehen +genötigt sei, wenn es einem höheren Beamten einfalle, nach +Gewitterzeichen am Himmel zu schauen; und die römische Oligarchie war +stolz auf den schlauen Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Lüge +jedem Volksbeschluß den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu können. +Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf gegen die alte Übung, +daß die vier höchsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich +selber ergänzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf +die Stellen selbst, wie sie für die Vorstandschaften dieser Kollegien +schon früher eingeführt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste +dieser Körperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darüber sich +zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren und +zum Beispiel der Regierung mit religiösen Kassationsgründen politischer +Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit ward ein +Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145) schlug der +Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis für die Verwerfung +des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104) ging sodann der +Vorschlag durch mit der früher schon bei der Wahl der Vorstände +gemachten Beschränkungen zum Besten bedenklicher Gewissen, daß nicht +die ganze Bürgerschaft, sondern nur der kleinere Teil der Bezirke zu +wählen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in vollem +Umfang wieder her. Mit dieser Fürsorge der Konservativen für die reine +Landesreligion vertrug es natürlich sich aufs beste, daß eben in den +vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben ward. Die +praktische Seite des römischen Priestertums war die priesterliche +Küche; die Augural- und Pontifikalschmäuse waren gleichsam die +offiziellen Silberblicke eines römischen Feinschmeckerlebens und manche +derselben machten Epoche in der Geschichte der Gastronomie, wie zum +Beispiel die Antrittsmahlzeit des Augurs Quintus Hortensius die +Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr brauchbar ward auch die Religion +befunden, um den Skandal pikanter zu machen. Es war ein +Lieblingsvergnügen vornehmer junger Herren, zur Nachtzeit auf den +Straßen die Götterbilder zu schänden oder zu verstümmeln. Gewöhnliche +Liebeshändel waren längst gemein und Verhältnisse mit Ehefrauen fingen +an es zu werden; aber ein Verhältnis zu einer Vestalin war so pikant +wie in der Welt des Decamerone die Nonnenliebschaft und das +Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge Handel des Jahres 640 (114), in +welchem drei Vestalinnen, Töchter der vornehmsten Familien, und deren +Liebhaber, junge Männer gleichfalls aus den besten Häusern, zuerst vor +dem Pontifikalkollegium und, da dies die Sache zu vertuschen suchte, +vor einem durch eigenen Volksschluß eingesetzten außerordentlichen +Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung gezogen und sämtlich zum Tode +verurteilt wurden. Solchen Skandal nun konnten freilich gesetzte Leute +nicht billigen; aber dagegen war nichts einzuwenden, daß man die +positive Religion im vertrauten Kreise albern fand: die Augurn konnten, +wenn einer den andern fungieren sah, sich einander ins Gesicht lachen, +unbeschadet ihrer religiösen Pflichten. Man gewinnt die bescheidene +Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich lieb, wenn man die krasse +Unverschämtheit der römischen Priester und Leviten damit vergleicht. +Ganz unbefangen ward die offizielle Religion behandelt als ein hohles, +nur für die politischen Maschinisten noch brauchbares Gerüste; in +dieser Eigenschaft konnte es mit seinen zahllosen Winkeln und +Falltüren, wie es fiel, jeder Partei dienen und hat einer jeden +gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in der +Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; aber auch die +Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen ein Institut, +das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete dasselbe im +ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes in den eigenen +übergehen könne. + +—————————————————————————————- + +3 Auch in Varros Satire ‘Die Aboriginer’ wurde in spöttischer Weise +dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit +dem Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach +Götterpuppen und Götterbilderchen. + +—————————————————————————————- + +Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst +stehen die verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und +pflegte und denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht +abgesprochen werden kann. Sie begegnen überall, bei den vornehmen Damen +und Herren wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem +Lanzknecht, in Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie +hoch hinauf dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg +eine syrische Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur +Überwindung der Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser +zwar sie mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und namentlich +Marius’ eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier, +wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumführte, bis +die Teutonen geschlagen waren. Die Führer der verschiedensten Parteien +im Bürgerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben +an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat maßte während desselben in den +Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer +verrückten Prophetin gemäß Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren +der römisch-hellenischen Religion, wie für das im Steigen begriffene +Bedürfnis der Menge nach stärkeren religiösen Stimulantien ist es +bezeichnend, daß der Aberglaube nicht mehr, wie in den +Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion; selbst die +etruskische Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in erster Linie +erscheinen die in den heißen Landschaften des Orients gezeitigten +Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen +kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevölkerung, teils durch +die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit +dem Osten. Die Macht dieser fremdländischen Religion tritt sehr scharf +hervor in den Aufständen der sizilischen, größtenteils aus Syrien +herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen; +die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen +großenteils Götternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der +geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig +verehrten Mütter. Ähnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich seitdem +die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen Häfen +gingen: Ostia und Puteoli wurden die großen Stapelplätze wie für die +syrischen Salben und die ägyptische Leinwand so auch für den Glauben +des Ostens. Überall ist mit der Völker- auch die Religionsmengung +beständig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war der populärste der +der pessinuntischen Göttermutter, der mit seinem Eunuchenzölibat, mit +den Schmäusen, der Musik, den Bettelprozessionen und dem ganzen +sinnlichen Gepränge der Menge imponierte; die Hauskollekten wurden +bereits als eine ökonomische Last empfunden. In der gefährlichsten Zeit +des Kimbrischen Krieges erschien der Hohepriester Battakes von Pessinus +in eigener Person in Rom, um die Interessen des dortigen, angeblich +entweihten Tempels seiner Göttin zu vertreten, redete im besonderen +Auftrag der Göttermutter zum römischen Volk und tat auch verschiedene +Wunder. Die verständigen Leute ärgerten sich, aber die Weiber und die +große Menge ließen es sich nicht nehmen, dem Propheten beim Abzug in +hellen Haufen das Geleit zu geben. Gelübde, nach dem Osten zu +wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie denn selbst Marius +also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja es gaben schon +(zuerst 653 101) römische Bürger sich zu dem Eunuchenpriestertum her. +Aber weit populärer noch waren natürlich die unerlaubten und +Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldäische +Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem +marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die +Sternguckerei und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem +traumseligen Heimatland. Schon 615 (139) wies der römische +Fremdenprätor die sämtlichen “Chaldäer” an, binnen zehn Tagen Rom und +Italien zu räumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, +welche zu ihrem Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso +hatte Scipio das Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen +Industrierittern jeder Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte später (657 +97) sah man sogar sich genötigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der +wilde Kult der kappadokischen Ma oder, wie die Römer sie nannten, der +Bellona, welcher bei den festlichen Aufzügen die Priester das eigene +Blut zum Opfer verspritzten, und die düstere ägyptische Götterverehrung +beginnen sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im +Traume, und von den späteren römischen Isis- und Osirisgemeinden +führten die ältesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit +zurück. Man war irre geworden, nicht bloß an dem alten Glauben, sondern +auch an sich selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fünfzigjährigen +Revolution, das instinktmäßige Gefühl, daß der Bürgerkrieg noch +keineswegs am Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die trübe +Beklommenheit der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Höhe +und versenkte sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in +die drohenden Verhängnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe +gegen das Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden +wähnte. Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen +politischen, ökonomischen, sittlichen, religiösen Zerfahrenheit den ihm +genehmen Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als +wären Riesenbäume über Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wußte +woher und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue +Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemüter. + +In ähnlicher Weise wie auf dem religiösen Gebiet vollendete sich die in +der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und +Bildung. Wie der Grundgedanke des römischen Wesens, die bürgerliche +Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem +Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist früher dargestellt worden. Schon +zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit +verbreitet und gab es eine eigene römische Bildung; allein man war doch +mit beiden nicht über die Anfänge hinausgelangt. Was man unter +römisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefähr verstand, +zeigt Catos ‘Encyklopädie’; es ist wenig mehr als die Formulierung des +alten römischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen +hellenischen Bildung verglichen, dürftig genug. Auf wie niedriger Stufe +noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in Rom +durchgängig stand, läßt aus den Äußerungen bei Polybios sich abnehmen, +welcher in dieser einen Hinsicht gegenüber der verständigen privaten +und öffentlichen Fürsorge seiner Landsleute die sträfliche +Gleichgültigkeit der Römer tadelnd hervorhebt - in den dieser +Gleichgültigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der bürgerlichen +Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu finden +vermocht. + +Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben der aufgeklärte +stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte auch in der +Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine besondere +Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten Überreste +der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht überflüssig sein, auf +die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des griechischen wie +des höheren lateinischen, einen Blick zu werfen. + +Es ist eine wundersame Fügung, daß derselbe Mann, der politisch die +hellenische Nation definitiv überwand, Lucius Aemilius Paullus, +zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation +vollständig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen +geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war +ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im +Sinn, hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung +genug, um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die +unbezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden in +seiner Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an dem fremden +Mann einen ernsteren und innigeren Gläubigen gefunden, als irgendeiner +war von den klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein +Epigramm auf Homeros oder Pheidias, aber er ließ seine Kinder einführen +in die Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu +vernachlässigen, soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen +für die physische Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach +römischen Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch Unterweisung +in der bei den Griechen fast kunstmäßig entwickelten Jagd, und +steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daß nicht mehr bloß +die Sprache um des Sprechens willen gelernt und geübt, sondern nach +griechischer Art der Gesamtstoff allgemeiner höherer Bildung an die +Sprache geknüpft und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die +Kenntnis der griechischen Literatur mit der zu deren Verständnis +nötigen mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und +Philosophie. Die Bibliothek des Königs Perseus war das einzige Stück, +das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute für sich nahm, um sie +seinen Söhnen zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden +sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner +Kinder. Daß die Zeit vorüber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem +Hellenismus gegenüber bloß ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato +empfunden; die Besseren mochten jetzt ahnen, daß der edle Kern +römischer Art durch den ganzen Hellenismus weniger gefährdet werde als +durch dessen Verstümmelung und Mißbildung: die Masse der höheren +Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise mit. An +griechischen Schulmeistern war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt +strömten sie scharenweise, und nicht bloß als Sprach-, sondern als +Lehrer der Literatur und Bildung überhaupt, nach dem neu eröffneten +ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und +Lehrer der Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sklaven +waren, regelmäßig wie Bediente 4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend +in den Palästen Roms; man raffinierte darauf, und es findet sich, daß +für einen griechischen Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen +(15200 Taler) gezahlt worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der +Hauptstadt eine Anzahl besonderer Lehranstalten für griechische +Deklamationsübung. Schon begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter +diesen römischen Lehrern: des Philosophen Panätios ward bereits +gedacht; der angesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, +Aristarchs Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 585 (169) in Rom +ein Publikum für die Vorlesung und sprachliche und sachliche +Erläuterung der Homerischen Gedichte. Zwar stieß diese neue Weise des +Jugendunterrichts, revolutionär und antinational wie sie war, zum Teil +auf den Widerstand der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die +Behörden 593 (161) gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb, +zumal bei dem steten Wechsel der römischen Oberbeamten, wie alle +ähnlichen Befehle ohne nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato +Tode ward in seinem Sinne wohl noch öfters geklagt, aber nicht mehr +gehandelt. Der höhere Unterricht im Griechischen und in den +griechischen Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein +wesentlicher Teil der italischen Bildung. + +——————————————————————————— + +4 Cicero sagt, daß er seinen gelehrten Sklaven Dionysios +rücksichtsvoller behandelt habe als Scipio den Panätios; und in +gleichem Sinne hieß es bei Lucilius: + +Nützlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel und Zeltdach + +Als der Philosoph. + +———————————————————————————- + +Aber ihm zur Seite entwickelte sich ein höherer lateinischer +Unterricht. Es ist in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der +lateinische Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an +die Stelle der Zwölf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die +lateinische Odyssee getreten war und nun der römische Knabe an dieser +Übersetzung, wie der griechische an dem Original, die Kunde und den +Vortrag der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach- +und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch +wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende +Knaben und Jünglinge lehrten, es nicht verschmähten, neben der +griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das +die Anfänge eines höheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch ein +solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht +überschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht +bloß lateinische Schulbücher, sondern eine lateinische Literatur gab +und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in +einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und +die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der höheren +Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen +Sprachmeistern ließ nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt +durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Römer +die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius’ ‘Punischen Krieg’, +Ennius’ ‘Chronik’, späterhin auch Lucilius’ Gedichte zuerst einem +erlesenen Kreis, dann öffentlich an fest bestimmten Tagen und unter +großem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen +Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vorträge, +die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar +kein förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel, +die Jugend in das Verständnis und den Vortrag der klassischen +lateinischen Literatur einzuführen. + +Ähnlich ging es mit der Bildung der lateinischen Rede. Die vornehme +römische Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen +Reden öffentlich aufzutreten angehalten ward, wird es an Redeübungen +nie haben fehlen lassen; indes erst in dieser Epoche und infolge der +neuen exklusiven Bildung entstand eine eigentliche Redekunst. Als der +erste römische Sachwalter, der Sprache und Stoff kunstmäßig behandelte, +wird Marcus Lepidus Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden +berühmten Advokaten der marianischen Zeit, der männliche und lebhafte +Marcus Antonius (611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius +Crassus (614-663 140-91), waren schon vollständig Kunstredner. Die +Übungen der Jugend im Sprechen stiegen natürlich an Umfang und +Bedeutung, aber blieben doch, eben wie die lateinischen +Literaturübungen, wesentlich darauf beschränkt, daß der Anfänger an den +Meister der Kunst persönlich sich anschloß und durch sein Beispiel und +seine Lehre sich ausbildete. + +Förmliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in +lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius +Praeconinus von Lanuvium, der “Griffelmann” (Stilo) genannt, ein +angesehener, streng konservativ gesinnter römischer Ritter, der mit +einem auserlesenen Kreise jüngerer Männer - darunter Varro und Cicero - +den Plautus und ähnliches las, auch wohl Entwürfe zu Reden mit den +Verfassern durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. +Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmäßiger Schulmeister war Stilo +nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom die +Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund der +aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote +stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmäßige höhere +Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren +lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten +Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen +Anstalten erteilt. Daß Geist und Methode durchaus den griechischen +Literatur- und Sprachübungen abgeborgt wurden, versteht sich von +selbst; und auch die Schüler bestanden wie bei diesen aus Jünglingen, +nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, wie +der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die +lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-, +Staats- und Gerichtsreden kunstmäßige Anleitung gegeben ward. Die erste +römische Literaturschule eröffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius +Nicanor Postumus, die erste besondere Schule für lateinische Rhetorik +um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den +lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser +neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten +Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und +lateinischer Rede, wie sie früher von hochgestellten Kennern und +Meistern erteilt worden war, hatte den Griechen gegenüber eine gewisse +Selbständigkeit sich bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister +der Rede standen wohl unter dem Einfluß des Hellenismus, aber nicht +unbedingt unter dem der griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik; +namentlich die letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie +der gesunde Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die +griechische Behauptung, daß die Fähigkeit, über Dinge, die der Redner +verstand und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache zu +seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden +könne. Dem tüchtigen praktischen Advokaten mußte das gänzlich dem Leben +entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren für den Anfänger +schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten +und durch das Leben gereiften Manne dünkte die griechische Rhetorik +schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging die +Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäßig entwickelten +Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der +Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen, +und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern, +zunächst wohl als Übungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so +war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede +noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen +lateinischen Rhetorschulen aber wurden die römischen Jungen zu Männern +und Staatsrednern dadurch gebildet, daß sie paarweise den bei der +Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus +der Ermordung seines Waffengefährten anklagten und dagegen ihn +verteidigten; daß sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in +Schutz nahmen; daß sie vielleicht auch dem Hannibal nachträglich mit +einem guten Rat darüber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung nach +Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht zu +ergreifen. Es ist begreiflich, daß gegen diese widerwärtigen und +verderblichen Wortmühlen noch einmal die catonische Opposition sich +regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erließen eine Warnung an Lehrer +und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Übungen +hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewußt hätten; und +der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der erste +Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natürlich sprach +die Kassandra vergebens; lateinische Deklamierübungen über die +gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil +des römischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die +Knaben zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und +jede ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken. + +Als Gesamtergebnis aber dieser modernen römischen Erziehung entwickelte +sich der neue Begriff der sogenannten “Menschlichkeit”, der Humanität, +welche bestand teils in der mehr oder minder oberflächlich angeeigneten +musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten +oder nachgestümperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanität +sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch +römischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in sich, +ebenwie unsere eng verwandte “allgemeine Bildung”, einen national +kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die +Revolution, die die Stände schied und die Völker verschmolz. + + + + +KAPITEL XIII. +Literatur und Kunst + + +Das sechste Jahrhundert ist, politisch wie literarisch, eine frische +und große Zeit. Zwar begegnet auf dem schriftstellerischen Gebiet so +wenig wie auf dem politischen ein Mann ersten Ranges; Naevius, Ennius, +Plautus, Cato, begabte und lebendige Schriftsteller von scharf +ausgeprägter Individualität, sind nicht im höchsten Sinn schöpferische +Talente; aber nichtsdestoweniger fühlt man dem Schwung, der Rührigkeit, +der Keckheit ihrer dramatischen, epischen, historischen Versuche es an, +daß sie ruhen auf den Riesenkämpfen der Punischen Kriege. Es ist vieles +nur künstlich verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt, +Kunstform und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales +barock ineinandergefügt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des +schulmäßigen Urspungs nicht und ist unselbständig und unvollkommen; +aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo +nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und die +Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser +Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefühl der im +Kriege gestählten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an +Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Maß des eigenen +Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das +vermochte man nicht weiterzuführen, als teils die dumpfe Schwüle der +heraufziehenden revolutionären Gewitter die Luft zu erfüllen begann, +teils den Einsichtigeren allmählich die Augen aufgingen über die +unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und +über die sehr bescheidene künstlerische Begabung der eigenen Nation. +Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der +Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte +und empfängliche Gemüter. Die gesteigerte hellenische Bildung des +siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen +naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Blütenkeime mit dem +Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der älteren +Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunächst und +hauptsächlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich +schloß und dessen hervorragendste Glieder unter der römischen vornehmen +Welt außer Scipio dessen älterer Freund und Berater Gaius Laelius +(Konsul 614 140) und Scipios jüngere Genossen, Lucius Furius Philus +(Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von +Korinth, unter den römischen und griechischen Literaten der Komiker +Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber +Polybios, der Philosoph Panätios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon und +Menandros geläufig waren, dem konnte der römische Homer nicht +imponieren und noch weniger die schlechten Übersetzungen Euripideischer +Tragödien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu liefern +fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterländische Chronik +patriotische Rücksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius +sehr spitzige Pfeile gegen “die traurigen Figuren aus den geschraubten +Expositionen des Pacuvius”; und ähnliche strenge, aber nicht ungerechte +Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, “die einen +Freibrief zu haben scheinen, schwülstig zu reden und unlogisch zu +schließen”, begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser +Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte +die Achseln über die Interpolationen, mit denen der derbe römische +Volkswitz die eleganten Komödien des Philemon und des Diphilos +staffiert hatte. Halb lächelnd, halb neidisch wandte man sich ab von +den unzulänglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise +erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblätter aus +seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, ließ +man in Poesie und Prosa die höheren Kunstgattungen wesentlich fallen +und beschränkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich +einsichtig zu erfreuen. Die Produktivität dieser Epoche bewegt sich +vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren Komödie, +der poetischen Miszelle, der politischen Broschüre, den +Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im +Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis +von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits +ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der höheren Gesellschaft +und das vulgäre des gemeinen Mannes. “Reine Sprache” verheißen die +Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der +Lucilischen Satire; und ebendamit hängt es zusammen, daß die +griechische Schriftstellerei der Römer jetzt entschieden zurücktritt. +Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es +begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulängliche, weit häufiger in +ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher +oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des +Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfälschten Latein. +Desgleichen steigt die literarische Tätigkeit in der öffentlichen +Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser +Periode galt, wenn auch nicht die Veröffentlichung rezitativer Poesien, +doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstücken als nicht schicklich +für den vornehmen Römer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren +Stücken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit +goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhältnisse sich völlig +verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, daß +auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung +Anspruch machen durfte, deren Höhe den Makel entfernte. Damit wurde die +Bühnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch +Männer aus den höchsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar +(Ädil 664 90, † 667 87) für die römische Bühne tätig und stolz darauf, +in der römischen “Dichtergilde” neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen. +Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist hin im +Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, die den +Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr +entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der späteren wieder - die +Epigonen der Hannibalskämpfer sind korrekt, aber matt. + +Betrachten wir zuerst die römische Bühnenliteratur und die Bühne +selbst. Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitäten auf; die +Tragödiendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der vorigen, +nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschätzung dieses +Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im +Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen +Tragödie (praetexta), der Schöpfung des Naevius, begegnen wir nur noch +bei dem gleich zu erwähnenden Pacuvius, einem Spätling der Ennianischen +Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern griechischer +Tragödie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. Marcus +Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in seinen +früheren Jahren im Rom vom Malen, erst im höheren Alter vom +Trauerspieldichten lebte, gehört seinen Jahren wie seiner Art nach mehr +dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische +Tätigkeit in dieses fällt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines +Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach +höherem Schwunge strebend als sein Vorgänger, galt er günstigen +Kunstkritikern später als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils; +in den auf uns gekommenen Bruchstücken fehlt es indes nicht an Belegen, +die Ciceros sprachlichen und Lucilius’ ästhetischen Tadel des Dichters +rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines +Vorgängers, seine Dichtweise schwülstig und tüftelnd ^1. Es finden sich +Spuren, daß er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion gab; +aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen Richtung +zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklärung predigenden +Dramen und schöpfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei Euripides - +von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie des Ennius +kann in dem jüngeren Dichter keine Ader gewesen sein. + +————————————————————————- + +^1 So hieß es im ‘Paulus’, einem Originalstück, wahrscheinlich in der +Beschreibung des Passes von Pythion (2, 296): + +Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est. + +Wo kaum + +Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang. + +Und in einem andern Stück wird den Zuhörern angesonnen, folgende +Beschreibung zu verstehen: + +Vierfüßig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh, + +Niedrig, kurzköpfig, schlangenhalsig, starr zu schaun, + +Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton. + +Worauf dieselben natürlich erwidern: + +Mit dichtverzäuntem Worte schilderst du uns ab, + +Was ratend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut; + +Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht. + +Es erfolgt nun das Geständnis, daß die Schildkröte gemeint ist. +übrigens fehlten solche Rätselreden auch bei den attischen +Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der Mittleren Komödie oft +und derb mitgenommen wurden. + +——————————————————————————— + +Lesbarere und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragödie +lieferte des Pacuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines +Freigelassenen Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), außer +Pacuvius der einzige namhafte tragische Dichter des siebenten +Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch literarhistorisch und +grammatisch tätiger Schriftsteller, bemüht, statt der kruden Weise +seiner Vorgänger größere Reinheit in Sprache und Stil in die +lateinische Tragödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und +Inkorrektheit von den Männern der strengen Observanz, wie Lucilius, +nachdrücklich getadelt. + +Weit größere Tätigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem +Gebiete des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen +die gangbare und volksmäßige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte +Reaktion. Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der +geschichtlich interessantesten Erscheinungen in der römischen +Literatur. Geboren im phönikischen Afrika, in früher Jugend als Sklave +nach Rom gebracht und dort in die griechische Bildung der Zeit +eingeführt, schien er von Haus aus dazu berufen, der neuattischen +Komödie ihren kosmopolitischen Charakter zurückzugeben, den sie in der +Zustutzung für das römische Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer +Genossen derben Händen einigermaßen eingebüßt hatte. Schon in der Wahl +und der Verwendung der Musterstücke zeigt sich der Gegensatz zwischen +ihm und demjenigen seiner Vorgänger, den wir jetzt allein mit ihm +vergleichen können. Plautus wählt seine Stücke aus dem ganzen Kreise +der neueren attischen Komödie und verschmäht die keckeren und +populäreren Lustspieldichter, wie zum Beispiel den Philemon, durchaus +nicht; Terenz hält sich fast ausschließlich an Menandros, den +zierlichsten, feinsten und züchtigsten unter allen Poeten der neueren +Komödie. Die Weise, mehrere griechische Stücke zu einem lateinischen +zusammenzuarbeiten, wird von Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage +der Sache für den römischen Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, +aber mit unvergleichlich mehr Geschicklichkeit und Sorgsamkeit +gehandhabt. Der Plautinische Dialog entfernte sich ohne Zweifel sehr +häufig von seinen Mustern; Terenz rühmt sich des wörtlichen Anschlusses +seiner Nachbildungen an die Originale, wobei freilich nicht an eine +wörtliche Übersetzung in unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht +selten rohe, aber immer drastische Auftragung römischer Lokaltöne auf +den griechischen Grund, wie Plautus sie liebte, wird vollständig und +absichtlich verbannt, nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein +Sprichwort, kaum eine Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel +werden durch griechische ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in +der künstlerischen Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die +Schauspieler die ihnen gebührenden Masken zurück und wird für eine +sorgfältigere Inszenierung Sorge getragen, so daß nicht mehr wie bei +Plautus alles, was dahin und nicht dahin gehört, auf der Straße +vorzugehen braucht. Plautus schürzt und löst den Knoten leichtsinnig +und lose, aber seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit +minder drastisch, trägt überall, nicht selten auf Kosten der Spannung, +der Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdrücklich gegen die +allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe +seiner Vorgänger, zum Beispiel gegen die allegorischen Träume 3. +Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft, +immer für die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz +behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfältigen und oft +vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den ‘Brüdern’ die +beiden Alten, der bequeme städtische Lebemann und der vielgeplackte, +durchaus nicht parfümierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast +bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe, +Terenz im guten bürgerlichen Haushalt. Die rüpelhafte Plautinische +Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den +obligaten Wirten dazu, die säbelrasselnden Landsknechte, die ganz +besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren +Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum +Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen, +unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen +regelmäßig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein Mädchenwirt +ausgeplündert oder ein junger Mensch ins Bordell geführt, so geschieht +es in moralischer Absicht, etwa aus brüderlicher Liebe oder um den +Knaben vom Besuch schlichter Häuser abzuschrecken. In den Plautinischen +Stücken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen das Haus: +überall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergötzung aller +zeitweilig emanzipierten und einer liebenswürdigen Begrüßung daheim +nicht völlig versicherten Eheleute. In den Terenzischen Komödien +herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere +Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmäßig +schließen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womöglich mit zweien +- ebenwie von Menandros gerühmt wird, daß er jede Verführung durch eine +Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose Leben, die +bei Menandros so häufig sind, werden von seinem römischen Bearbeiter +nur mit charakteristischer Schüchternheit wiederholt 4, dagegen der +Verliebte in seiner Pein, der zärtliche Ehemann am Kindbett, die +liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im ‘Verschnittenen’ und im +‘Mädchen von Andros’ gar anmutig geschildert; ja in der +‘Schwiegermutter’ erscheint sogar am Schluß als rettender Engel ein +tugendhaftes Freudenmädchen, ebenfalls eine echt Menandrische Figur, +die das römische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei Plautus +sind die Väter durchaus nur dazu da, um von den Söhnen gefoppt und +geprellt zu werden; bei Terenz wird im ‘Selbstquäler’ der verlorene +Sohn durch väterliche Weisheit gebessert und, wie er überhaupt voll +trefflicher Pädagogik ist, geht in dem vorzüglichsten seiner Stücke, +den ‘Brüdern’, die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen +Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu +finden. Plautus schreibt für den großen Haufen und führt gottlose und +spöttische Reden im Munde, soweit die Bühnenzensur es irgend gestattet; +Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu gefallen und, +wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den raschen, oft +lärmenden Dialog, und es gehört zu seinen Stücken das lebhafte +Körperspiel der Schauspieler; Terenz beschränkte sich auf “ruhiges +Gespräch”. Plautus’ Sprache fließt über von burlesken Wendungen und +Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen Neubildungen, +aristophanischen Wörterverklitterungen, spaßhaft entlehnten +griechischen Schlagwörtern. Dergleichen Capricci kennt Terenz nicht: +sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmaß, und die Pointen sind +zierliche epigrammatische und sentenziöse Wendungen. Kein Lustspiel des +Terenz ist dem Plautinischen gegenüber, weder in poetischer noch in +sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von Originalität kann +bei beiden nicht, aber wo möglich noch weniger bei Terenz, die Rede +sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung wird wenigstens +aufgewogen dadurch, daß der jüngere Dichter wohl die Vergnüglichkeit, +aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben verstand, so daß die dem +Menander nachgedichteten Lustspiels des Plautus, wie der ‘Stichus’, die +Kästchenkomödie, ‘Die beiden Backchis’, wahrscheinlich weit mehr von +dem sprudelnden Zauber des Originals bewahren als die Komödien des +“halbierten Menander”. Ebensowenig wie in dem Übergang vom Rohen zum +Matten der Ästhetiker, kann der Sittenrichter in dem Übergang von der +Plautinischen Zote und Indifferenz zu der Terenzischen +Akkommodierungsmoral einen Fortschritt erkennen. Aber ein sprachlicher +Fortschritt fand allerdings statt. Die elegante Sprache war der Stolz +des Dichters, und ihrem unnachahmlichen Reiz vor allem verdankte er es, +daß die feinsten Kunstrichter der Folgezeit, wie Cicero, Caesar, +Quintilian, unter allen römischen Dichtern der republikanischen Zeit +ihm den Preis zuerkannten. Insofern ist es auch wohl gerechtfertigt, in +der römischen Literatur, deren wesentlicher Kern ja nicht die +Entwicklung der lateinischen Poesie, sondern die der lateinischen +Sprache ist, von den Terenzischen Lustspielen als der ersten +künstlerisch reinen Nachbildung hellenischer Kunstwerke eine neue Ära +zu datieren. Im entschiedensten literarischen Krieg brach die moderne +Komödie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise hatte in dem römischen +Bürgerstand Wurzel gefaßt; die Terenzischen Lustspiele stießen auf den +lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum, das ihre “matte Sprache”, +ihren “schwachen Stil” unleidlich fand. Der, wie es scheint, ziemlich +empfindliche Dichter antwortete in den eigentlich keineswegs hierzu +bestimmten Prologen mit Antikritiken voll defensiver und offensiver +Polemik und provozierte von der Menge, die aus seiner ‘Schwiegermutter’ +zweimal weggelaufen war, um einer Fechter- und Seiltänzerbande +zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen Welt. Er erklärte, +nur nach dem Beifall der “Guten” zu streben, wobei freilich die +Andeutung nicht fehlt, daß es durchaus nicht anständig sei, Kunstwerke +zu mißachten, die den Beifall der “Wenigen” erhalten hätten. Er ließ +die Rede sich gefallen oder begünstigte sie sogar, daß vornehme Leute +ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der Tat unterstützten 5. +In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur herrschte die +Oligarchie und verdrängte die kunstmäßige Komödie der Exklusiven das +volkstümliche Lustspiel: wir finden, daß um 620 (134) die Plautinischen +Stücke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so bezeichnender, +als nach dem frühen Tode des Terenz durchaus kein hervorstechendes +Talent weiter auf diesem Gebiet tätig war; über die Komödien des +Turpilius († 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder fast ganz +verschollene Lückenbüßer urteilte schon am Ende dieser Periode ein +Kenner, daß die neuen Komödien noch viel schlechter seien als die +schlechten neuen Pfennige. + +Daß wahrscheinlich bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der +griechisch-römischen Komödie (palliata) die nationale (togata) +hinzugetreten war als Abbild zwar nicht des spezifischen +hauptstädtischen, aber doch des Tuns und Treibens im latinischen Land, +ist früher gezeigt worden. Natürlich bemächtigte die Terenzische Schule +rasch sich auch dieser Gattung; es war ganz in ihrem Sinn, die +griechische Komödie einerseits in getreuer Übersetzung, andererseits in +rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der Hauptvertreter +dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um 660 90). Die Bruchstücke, +die uns von ihm vorliegen, geben keinen bestimmten Eindruck, aber sie +widersprechen auch nicht dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn +bemerken. Seine zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach +durchaus dem griechischen Intrigenstück nachgebildet, nur daß sie, wie +bei der Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfielen. +Auch im einzelnen borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils +aus der älteren Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltönen aber, +die bei dem Schöpfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt +hervortreten, begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten +sich sehr allgemein und mögen wohl durchgängig Nachbildungen bestimmter +griechischer Komödien nur mit verändertem Kostüm sein. Ein feiner +Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische +Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz; +auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schauspiel näherte, +die polizeimäßige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein. +Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren ihn +hinreichend das Urteil der Späteren, daß er die Toga trage wie +Menandros sie als Italiker getragen haben würde, und seine eigene +Äußerung, daß ihm Terenz über alle andern Dichter gehe. + +—————————————————————- + +2 Vielleicht die einzige Ausnahme ist im ‘Mädchen von Andros’ (4, 5) +die Antwort auf die Frage, wie es gehe: + +Nun, + +Wie wir können, heißt’s ja, da, wie wir möchten, es nicht geht, + +mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen Sprichwort +nachgebildete Zeile des Caecilius: + +Geht’s nicht so, wie du magst, so lebe wie du kannst. + +Das Lustspiel ist das älteste der Terenzischen und ward auf Empfehlung +des Caecilius von dem Theatervorstand zur Aufführung gebracht. Der +leise Dank ist bezeichnend. + +3 Ein Seitenstück zu der von Hunden gehetzten, weinend einen jungen +Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm. prol. 4) +verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen Allegorie +von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen dürfen. Schließlich +gehen auch dergleichen Auswüchse auf die Euripideische Rhetorik zurück +(z. B. Eur. Hek. 90). + +4 Micio in den ‘Brüdern’ (I, 1) preist sein Lebenslos und namentlich +auch, daß er nie eine Frau gehabt, “was jene (die Griechen) für ein +Glück halten”. + +5 Im Prolog des ‘Selbstquälers’ läßt er von seinen Rezensenten sich +vorwerfen: + +Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie, + +Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang; + +und in dem späteren (594 160) zu den ‘Brüdern’ heißt es: + +Denn wenn Mißgünstige sagen, daß vornehme Herrn + +Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück, + +So rechnet dies, was herber Tadel jenen scheint, + +Der Dichter zum Ruhm sich: daß den Männern er gefällt, + +Die euch und allem Volke wohlgefällig sind, + +Die in Kriegsläuften seinerzeit mit Rat und Tat + +Hilfreich erprobt ihr all’ und ohne Übermut. + +Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, daß hier +Laelius und Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Szenen +die von denselben herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des +armen Dichters mit seinen vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und +fand es unverzeihlich, daß dieselben für die Verbesserung seiner +ökonomischen Lage gar nichts getan hätten. Allein die sagenbildende +Kraft ist bekanntlich nirgends mächtiger als in der +Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon besonnene römische +Kritiker haben es erkannt, daß diese Zeilen unmöglich auf den damals +25jährigen Scipio und auf seinen nicht viel älteren Freund Laelius +gehen können. Verständiger wenigstens dachten andere an die vornehmen +Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und Marcus Popillius (Konsul 581 +173) und den gelehrten Kunstfreund und Mathematiker Lucius Sulpicius +Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch dies offenbar nur Vermutung. Daß +Terenz dem Scipionischen Hause nahe stand, ist übrigens nicht zu +bezweifeln; es ist bezeichnend, daß die erste Aufführung der ‘Brüder’ +und die zweite der ‘Schwiegermutter’ stattfand bei den +Begräbnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die dessen Söhne Scipio +und Fabius ausrichteten. + +6 Dabei haben vermutlich auch äußerliche Umstände mitgewirkt. Nachdem +infolge des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das +römische Bürgerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die +Szene eines Lustspiels in eine solche zu verlegen, und mußte der +Dichter sich entweder allgemein halten oder untergegangene oder +ausländische Orte auswählen. Gewiß hat auch dieser Umstand, der selbst +bei der Aufführung der älteren Lustspiele in Betracht kam, auf das +Nationallustspiel ungünstig eingewirkt. + +—————————————————————- + +Neu trat in dieser Epoche in das Gebiet der lateinischen Literatur die +Posse ein. Sie selbst war uralt; lange bevor Rom stand, mögen Latiums +lustige Gesellen bei festlichen Gelegenheiten in den ein für allemal +feststehenden Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen +Hintergrund erhielten diese Späße an dem lateinischen Schildburg, wozu +man die im Hannibalischen Kriege zerstörte und damit der Komik +preisgegebene ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward für +diese Aufführungen der Name der “Oskischen Spiele” oder “Spiele von +Atella” üblich 7. Aber mit der Bühne 8 und mit der Literatur hatten +diese Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es +ihnen beliebte aufgeführt, und die Texte nicht geschrieben oder doch +nicht veröffentlicht. Erst in dieser Periode überwies man das +Atellanenstück an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, ähnlich +wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den +Tragödien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische +Tätigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die römische Kunstposse ganz +selbständig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht +verwandte unteritalische zu ihr den Anstoß gegeben hat ^10, läßt sich +nicht mehr entscheiden; daß die einzelnen Stücke durchgängig +Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiß. Als Begründer dieser neuen +Literaturgattung trat in der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts +^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben +dessen Stücken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich +beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Trümmer und die Berichte +der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze, +regelmäßig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der tollen und +locker geknüpften Fabel beruhte als auf der drastischen Abkonterfeiung +einzelner Stände und Situationen. Gern wurden Festtage und öffentliche +Akte komisch geschildert: ‘Die Hochzeit’, ‘Der erste März’, ‘Pantalon +Wahlkandidat’; ebenso fremde Nationalitäten: die transalpinischen +Gallier, die Syrer; vor allem häufig erschienen auf den Brettern die +einzelnen Gewerbe: der Küster, der Wahrsager, der Vogelschauer, der +Arzt, der Zöllner, der Maler, Fischer, Bäcker gingen über die Bühne; +die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die Walker, die in der +römischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider gespielt zu haben +scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen städtischen Leben sein Recht +geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden und Freuden nach +allen Seiten dargestellt - von der Fülle dieses ländlichen Repertoires +geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen Titel, wie zum Beispiel +‘Die Kuh’, ‘Der Esel’, ‘Das Zicklein’, ‘Die Sau’, ‘Das Schwein’, ‘Das +kranke Schwein, ‘Der Bauer, ‘Der Landmann, ‘Pantalon Landmann, ‘Der +Rinderknecht, ‘Die Winzer, ‘Der Feigensammler’, ‘Das Holzmachen’, ‘Das +Behacken, ‘Der Hühnerhof’. Immer noch waren es in diesen Stücken die +stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen Dieners, des guten +Alten, des weisen Mannes, die das Publikum ergötzten; namentlich der +erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell dieser Posse, der gefräßige, +unflätige ausstaffiert häßliche und dabei ewig verliebte Maccus, immer +im Begriff, über seine eigenen Füße zu fallen, von allen mit Hohn und +mit Prügeln bedacht und endlich am Schluß der regelmäßige Sündenbock - +die Titel ‘Pulcinell Soldat, ‘Pulcinell Wirt’, ‘Jungfer Pulcinell’, +‘Pulcinell in der Verbannung, ‘Die beiden Pulcinelle’ mögen dem +gutgelaunten Leser eine Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der +römischen Mummenschanz herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit +sie geschrieben wurden, den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich +fügten und in den Versmaßen zum Beispiel der griechischen Bühne sich +anschlossen, so hielten sie doch sich natürlicherweise bei weitem +latinischer und volkstümlicher als selbst das nationale Lustspiel; in +die griechische Welt begab sich die Posse nur in der Form der +travestierten Tragödie ^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius +und überhaupt nicht sehr häufig kultiviert worden zu sein. Die Posse +dieses Dichters wagte sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch +wenigstens bis zu dem menschlichsten der Götter, dem Hercules; er +schrieb einen ‘Hercules Auctionator’. Daß der Ton nicht der feinste +war, versteht sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkörnige +Bauernzoten, Kinder schreckende und gelegentlich fressende Gespenster +gehörten hier einmal mit dazu, und persönliche Anzüglichkeiten, sogar +mit Nennung der Namen, schlüpften nicht selten durch. Aber es fehlte +auch nicht an lebendiger Schilderung, an grotesken Einfällen, +schlagenden Späßen, kernigen Sprüchen, und die Harlekinade gewann sich +rasch eine nicht unansehnliche Stellung im Bühnenleben der Hauptstadt +und selbst in der Literatur. + +—————————————————— + +7 Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von +Irrtümern. Das arge Versehen griechischer Berichterstatter, daß diese +Possen in Rom in oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit +Recht jetzt allgemein verworfen; allein es stellt bei genauerer +Betrachtung sich nicht minder als unmöglich heraus diese, in der Mitte +des latinischen Stadt- und Landlebens stehenden Stücke überhaupt auf +das national oskische Wesen zu beziehen. Die Benennung des +“Atellanischen Spiels” erklärt sich auf eine andere Weise. Die +latinische Posse mit ihren festen Rollen und stehenden Späßen bedurfte +einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt sucht überall sich ein +Schildburg. Natürlich konnte bei der römischen Bühnenpolizei keine der +römischen oder auch nur mit Rom verbündeten latinischen Gemeinden dazu +genommen werden, obwohl die togatae in diese zu verlegen gestattet war. +Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre 543 (211) rechtlich +vernichtet ward, tatsächlich aber als ein von römischen Bauern +bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder Beziehung. Zur +Gewißheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung, daß einzelne +dieser Possen auch in anderen überhaupt oder doch rechtlich nicht mehr +existierenden Gemeinden des lateinisch redenden Gebiets spielen: so des +Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi und seine Quinquatria +in Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa Pometia, während +keine bestehende Gemeinde ähnlich gemißhandelt wird. Die wirkliche +Heimat dieser Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schauplatz die +latinisierte Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie nichts +zu tun. Daß ein Stück des Naevius († nach 550 200) in Ermangelung +eigentlicher Schauspieler von “Atellanenspielern” aufgeführt ward und +deshalb personata hieß (Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem +Fall; die Benennung “Atellanenspieler” wird hier proleptisch stehen, +und man könnte sogar danach vermuten, daß sie früher “Maskenspieler” +(personati) hießen. + +Ganz in gleicher Weise erklären sich endlich auch die “Lieder von +Fescennium”, die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Römer +gehören und in der südetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert +wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu +dürfen als die Atellanen zur oskischen. Daß Fescennium in historischer +Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, läßt sich allerdings nicht +unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des +Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im höchsten Grade +wahrscheinlich. + +8 Die enge und ursprüngliche Verbindung, in die namentlich Livius die +Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser sich entwickelnden +Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar. Zwischen dem +Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied ungefähr ebenso +groß wie heutzutage zwischen dem, der auf die Bühne und dem, der auf +den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das bis auf Terenz +keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf der +Charaktermaske beruhte, besteht ein ursprünglicher, in keiner Weise +auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem +Flötenstücke, das anfangs ohne alle Rezitation bloß auf Gesang und Tanz +sich beschränkte, sodann einen Text (satura), endlich durch Andronicus +ein der griechischen Schaubühne entlehntes Libretto erhielt, worin die +alten Flötenlieder ungefähr die Stelle des griechischen Chors +einnahmen. Mit der Dilettantenposse berührt sich dieser +Entwicklungsgang in den früheren Stadien nirgends. + +9 In der Kaiserzeit ward die Atellane durch Schauspieler von Profession +dargestellt (Friedländer in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit, +wo diese anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht überliefert, +kann aber kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die +Atellane unter die regelmäßigen Bühnenspiele eintrat, das heißt die +vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im +Widerspruch, daß noch zu Livius’ (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im +Gegensatz der übrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn +damit, daß Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane +mitaufzuführen anfingen, ist noch gar nicht gesagt, daß dieselbe nicht +mehr, zum Beispiel in den Landstädten, von unbezahlten Dilettanten +aufgeführt ward und das Privilegium also fortwährend anwendbar blieb. + +^10 Es verdient Beachtung, daß die griechische Posse nicht bloß +vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer +Stücke (zum Beispiel unter denen des Sopatros ‘Das Linsengericht, +‘Bakchis’ Freier, ‘Des Mystakos Lohnlakai, ‘Die Gelehrtem, ‘Der +Physiolog’) lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muß diese +Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen in +und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien +bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, führt +schon einen römischen Namen und schrieb eine Posse ‘Saturnus’. + +^11 Nach Eusebius blühte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn +Zeitgenossen des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius +(611-667 143-87). Die erste Ansetzung dürfte um ein Menschenalter zu +spät sein; die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt +in seinen ‘Malern’ noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen +auch schon die Mimen, welche die Atellanen von der Bühne verdrängten. + +^12 Lustig genug mochte sie auch hier sein. So hieß es in Novius’ +‘Phönissen’: + +Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot! + +ganz wie Menanders ‘falscher Herakles’ auftritt. + +——————————————————————— + +Was endlich die Entwicklung des Bühnenwesens anlangt, so sind wir nicht +imstande, im einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, daß das +allgemeine Interesse an den Bühnenspielen beständig im Steigen war und +dieselben immer häufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloß ward +jetzt wohl kaum ein ordentliches oder außerordentliches Volksfest ohne +Bühnenspiele begangen, auch in den Landstädten und Privathäusern wurden +Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewöhnlich. Zwar +entbehrte, während wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser +Zeit ein steinernes Theater besaß, die Hauptstadt eines solchen noch +immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599 +(185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es +war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, daß man +aus Respekt vor den Sitten der Väter die Erbauung eines stehenden +Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reißend +zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden ließ, um +Brettergerüste für dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die +Bühneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung +und die Wiedereinführung der Masken um die Zeit des Terenz hängt wohl +ohne Zweifel damit zusammen, daß die Einrichtung und Instandhaltung der +Bühne und des Bühnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse +übernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die +Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609 +145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art +akustisch gebautes und mit Sitzplätzen versehenes Theater aufgeschlagen +und überhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch +von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer Stücke, +von lebhafter Parteinahme des Publikums für und gegen die +Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. +Dekorationen und Maschinerie wurden verbessert: kunstmäßig gemalte +Kulissen und hörbare Theaterdonner kamen unter der Ädilität des Gaius +Claudius Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre später (675 79) unter +der Ädilität der Brüder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung der +Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche +gehört der größte römische Schauspieler an, der Freigelassene Quintus +Roscius († um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen hindurch +der Schmuck und Stolz der römischen Bühne ^16, Sullas Freund und gern +gesehener Tischgenosse, auf den noch später zurückzukommen sein wird. + +———————————————————————- + +^13 Bisher hatte der Spielgeber die Bühne und den szenischen Apparat +aus der ihm überwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand +setzen müssen und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden +sein. Im Jahre 580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der +Bühne für die Spiele der Ädilen und Prätoren besonders in Verding (Liv. +41, 27); daß der Bühnenapparat jetzt nicht mehr bloß für einmal +angeschafft ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben +geführt haben. + +^14 Die Berücksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen +folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Über die Sitzplätze hat F. W. Ritschl, +Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX) +gesprochen; doch dürften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen, +welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen gehabt +haben. Wahrscheinlich gehen übrigens zunächst auf diese epochemachenden +Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte des Horaz, daß +“das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm”. + +^15 Die Kulissen des Pulcher müssen ordentlich gemalt gewesen sein, da +die Vögel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu +setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die +Donnermaschinerie darin bestanden, daß Nägel und Steine in einem +kupfernen Kessel geschüttelt wurden; erst Pulcher stellte einen +besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem +“Claudischen Donner” (Festus v. Claudiana p. 57). + +^16 Unter den wenigen, aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten +findet + +sich folgendes Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler: + + Constiteram, exorientem Auroram forte salutans, + + Cum subito a laeva Roscius exoritur. + + Pace mihi liceat, caelestes, dicere vestra: + + Mortalis visust pulchrior esse deo. + + Jüngsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn: + + Da zur Linken mir, schau! plötzlich geht Roscius auf. + + Zürnet, ihr Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe: + + Schöner fürwahr als der Gott deuchte der Sterbliche mir. + +Der Verfasser dieses griechisch gehaltenen und von griechischem +Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms ist kein geringerer Mann als +der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius Catulus, Konsul 652 (102). + +————————————————————— + +In der rezitativen Poesie fällt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf, +das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur +entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar +zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur +vorübergehendem Erfolg. Aus der gegenwärtigen Epoche ist kaum etwas zu +nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu übersetzen und +einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbücher, wie des Hostius +‘Histrischer Krieg’ und des Aulus Furius (um 650 100) ‘Jahrbücher +(vielleicht) des Gallischen Krieges’, die allem Anschein nach +unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des +Histrischen Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehört hatte. Auch +in der didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein +hervorragender Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative +Dichtkunst dieser Epoche aufzuweisen hat, gehören dem Gebiete der +sogenannten Satura an, derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe +oder der Broschüre jede Form zuläßt und jeden Inhalt aufnimmt, darum +auch aller eigentlichen Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der +Individualität eines jeden Dichters sich individualisiert und nicht +bloß auf der Grenze von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur +Hälfte außerhalb der eigentlichen Literatur steht. Die launigen +poetischen Episteln, die einer der jüngeren Männer des Scipionischen +Kreises, Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus +dem Lager von Korinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden +noch ein Jahrhundert später gern gelesen; und es mögen dergleichen +nicht zur Veröffentlichung bestimmte poetische Scherze aus dem reichen +geselligen und geistigen Leben der besseren Zirkel Roms damals +zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der Literatur ist Gaius +Lucilius (606-651 148-103), einer angesehenen Familie der latinischen +Kolonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein Glied des Scipionischen +Kreises. Auch seine Gedichte sind gleichsam offene Briefe an das +Publikum, ihr Inhalt, wie ein geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das +ganze Leben des gebildeten unabhängigen Mannes, der den Vorgängen auf +der politischen Schaubühne vom Parkett und gelegentlich von den +Kulissen aus zusieht, der mit den Besten seiner Zeit verkehrt als mit +seinesgleichen, der Literatur und Wissenschaft mit Anteil und Einsicht +verfolgt, ohne doch selbst für einen Dichter oder Gelehrten gelten zu +wollen, und der endlich für alles, was im Guten und Bösen ihm begegnet, +für politische Erfahrungen und Erwartungen, für Sprachbemerkungen und +Kunsturteile, für eigene Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie für +vernommene Anekdoten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch, +kapriziös, durchaus individuell hat die Lucilische Poesie doch eine +scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, +literarisch sowohl wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas +von der Auflehnung der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das +Selbstgefühl des rein redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im +Gegensatz gegen das große Babel der Sprachmengerei und +Sittenverderbnis. Die Richtung des Scipionischen Kreises auf +literarische, namentlich sprachliche Korrektheit findet kritisch ihren +vollendetsten und geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete +gleich sein erstes Buch dem Begründer der römischen Philologie, Lucius +Stilo, und bezeichnete als das Publikum, für das er schrieb, nicht die +gebildeten Kreise reiner und mustergültiger Rede, sondern die +Tarentiner, die Brettier, die Siculer, das heißt die Halbgriechen +Italiens, deren Lateinisch allerdings eines Korrektivs wohl bedürfen +mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäftigen sich mit der +Feststellung der lateinischen Orthographie und Prosodie, mit der +Bekämpfung pränestinischer, sabinischer, etruskischer Provinzialismen, +mit der Ausmerzung gangbarer Solözismen, woneben der Dichter aber +keineswegs vergißt, den geistlos schematischen Isokrateischen Wort- und +Phrasenpurismus zu verhöhnen ^17 und selbst dem Freunde Scipio die +exklusive Feinheit seiner Rede in recht ernsthaften Scherzen +vorzurücken ^18. Aber weit ernstlicher noch als das reine einfache +Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat- und im öffentlichen +Leben. Seine Stellung begünstigte ihn hierbei in eigener Art. Obwohl +durch Herkunft, Vermögen und Bildung den vornehmen Römern seiner Zeit +gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen Hauses in der Hauptstadt, +war er doch nicht römischer Bürger, sondern latinischer; selbst sein +Verhältnis zu Scipio, unter dem er in seiner ersten Jugend den +Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen Hause er häufig +verkehrte, mag damit zusammenhängen, daß Scipio in vielfachen +Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen Fehden der +Zeit ihr Patron war. Die öffentliche Laufbahn war ihm hierdurch +verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmähte er - er mochte +nicht, wie er einmal sagt, “aufhören, Lucilius zu sein, um asiatischer +Steuerpächter zu werden”. So stand er in der schwülen Zeit der +Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden +Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palästen und Villen der +römischen Großen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten in +den Wogen des politischen Koterien- und Parteikampfes und doch nicht +unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; ähnlich wie Béranger, an den +gar vieles in Lucilius’ politischer und poetischer Stellung erinnert. +Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwüstlichem gesunden +Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem +Witz hinein in das öffentliche Leben. + +Jetzt aber am Fest- und Werkeltag + +Den ganzen lieben langen Tag + +Auf dem Markte von früh bis Spat + +Drängen die Bürger und die sich vom Rat + +Und weichen und wanken nicht von der Statt. + +Ein Handwerk einzig und allein + +Betreiben alle insgemein, + +Den andern zu prellen mit Verstand, + +Im Lügen zu haben die Vorderhand + +Und zu werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt. + +All’ untereinandern belauern sie sich, + +Als läge jeder mit jedem im Krieg ^19. + +—————————————————————————————- + +^17 Quam lepide λέξεις, compostae ut tesserulae omnes + +Arte pavimento atque emblemate vermiculato! + +Ei, die niedliche Phrasenfabrik! + +Gefügt so zierlich Stück für Stück, + +Wie die Stifte im bunten Mosaik. + +^18 Der Dichter rät ihm: + +Quo facetior videare et scire plus quam ceteri, + +Daß du gebildeter als die andern heißest und ein feinerer Mann, + +- nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen. + +^19 Nunc vero a mane ad noctem, festo atque profesto + +Toto itidem pariterque die populusque patresque + +Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam. + +Uni se atque eidem studio omnes dedere et arti: + +Verba dare ut acute possint, pugnare dolose, + +Blanditia certare, bonun simulare virum se, + +Insidias facere ut si hostes sint omnibus omnes. + +—————————————————————————————— + +Die Erläuterungen zu diesem unerschöpflichen Text griffen schonungslos, +ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die +Übelstände der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen +Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eröffnung seiner +Satiren war eine große Debatte des olympischen Göttersenats über die +Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen +sich zu erfreuen. Körperschaften, Stände, Individuen wurden überall +einzeln mit Namen genannt; die der römischen Bühne verschlossene Poesie +der politischen Polemik ist das rechte Element und der Lebenshauch der +Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf uns gekommenen +Trümmern noch entzückenden Macht des schlagendsten und bilderreichsten +Witzes “gleichwie mit gezogenem Schwerte” auf den Feind eindringen und +ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Übergewicht und dem stolzen +Freiheitsgefühl des Dichters von Suessa, liegt der Grund, weshalb der +feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der römischen Poesie +die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller Überlegenheit im +Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem älteren Poeten weicht als +“seinem Besseren”. Die Sprache ist die des griechisch und lateinisch +durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen läßt; ein Poet wie +Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach Tisch wieder +zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp zu sein; +unnützige Weitläufigkeit, schluderige Wiederholung derselben Wendung, +arge Nachlässigkeiten begegnen. häufig; das erste Wort, lateinisch oder +griechisch, ist immer das beste. Ähnlich sind die Maße, namentlich der +sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man die Worte umstellt, +sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde kein Mensch merken, daß er +etwas anderes vor sich habe als einfache Prosa; der Wirkung nach lassen +sie sich nur mit unseren Knüttelversen vergleichen 20. Die Terenzischen +und die Lucilischen Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und +verhalten sich wie die sorgsam gepflegte und gefeilte literarische +Arbeit zu dem mit fliegender Feder geschriebenen Brief. Aber die +unvergleichlich höhere geistige Begabung und freiere Lebensanschauung, +die der Ritter von Suessa vor dem afrikanischen Sklaven voraus hatte, +machten seinen Erfolg ebenso rasch und glänzend, wie der des Terenz +mühsam und zweifelhaft gewesen war; Lucilius war sofort der Liebling +der Nation und auch er konnte wie Béranger von seinen Gedichten sagen, +“daß sie allein unter allen vom Volke gelesen würden”. Die ungemeine +Popularität der Lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein +bemerkenswertes Ereignis; man sieht daraus, daß die Literatur schon +eine Macht war, und ohne Zweifel würden wir die Spuren derselben, wenn +eine eingehende Geschichte dieser Zeit sich erhalten hätte, darin +mehrfach antreffen. Die Folgezeit hat das Urteil der Zeitgenossen nur +bestätigt; die antialexandrinisch gesinnten römischen Kunstrichter +sprachen dem Lucilius den ersten Rang unter allen lateinischen Dichtern +zu. Soweit die Satire überhaupt als eigene Kunstform angesehen werden +kann, hat Lucilius sie erschaffen und in ihr die einzige Kunstgattung, +welche den Römern eigentümlich und von ihnen auf die Nachwelt vererbt +worden ist. + +————————————————————- + +20 Folgendes längere Bruchstück ist charakteristisch für die +stilistische und metrische Behandlung, deren Lotterigkeit sich in +deutschen Hexametern unmöglich wiedergeben läßt: + +Virtus, Albine, est pretium persolvere verum + +Queis in versamur, queis vivimu’ rebu potesse; + +Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res; + +Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum, + +Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum; + +Virtus quaerendae rei finem scire modumque; + +Virtus divitiis pretium persolvere posse; + +Virtus id dare quod re ipsa debetur honori, + +Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum. + +Contra defensorem hominum morumque bonorum, + +Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum; + +Commoda praeterea patriae sibi prima putare, + +Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra. + +Tugend ist zahlen den rechten Preis + +Zu können nach ihrer Art und Weis + +Für jede Sach’ in unserm Kreis; + +Tugend, zu wissen, was jedes Ding + +Mit sich für den Menschen bring’; + +Tugend, zu wissen, was nützlich und recht, + +Was gut und übel, unnütz und schlecht; + +Tugend, wenn man dem Erwerb und Fleiß + +Zu setzen die rechte Grenze weiß + +Und dem Reichtum den rechten Preis; + +Tugend, dem Rang zu geben sein Recht, + +Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht, + +Freund Menschen und Sitten gut und recht; + +Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu, + +Zu ihnen zu halten in Lieb’ und Treu; + +Immer zu sehen am ersten Teil + +Auf des Vaterlandes Heil, + +Sodann auf das, was den Eltern frommt, + +Und drittens der eigene Vorteil kommt. + +—————————————————————————— + +Von der an den Alexandrinismus anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser +Epoche noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen +Epigrammen übersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht +ihrer selbst wegen, aber wohl als der erste Vorbote der jüngeren +Literaturepoche Roms Erwähnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig +bekannten und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden +Dichtern gehören hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius +Manlius, ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der +letztere scheint manche der bei den Griechen landläufigen +geographischen Märchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die +Fabeln von der Europa und von dem Wundervogel Phönix zuerst bei den +Römern in Umlauf gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten +war, auf seinen Reisen in Dodona jenen merkwürdigen Dreifuß zu +entdecken und abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer +Wanderung in das Land der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu +lesen war - ein Fund, den die römischen Geschichtsbücher nicht +versäumten, andächtig zu registrieren. + +Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen bezeichnet +durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt noch nach +seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen +Entwicklung angehört, der aber zuerst oder vielmehr allein die +Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung +gebracht hat und dem alle späteren Geschlechter und auch wir das Beste +verdanken, was wir von der römischen Entwicklung wissen. Polybios (ca. +546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achäischen +Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den +Zug der Römer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später, +vielfach namentlich während des Dritten Makedonischen Krieges, von +seinen Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften +verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigeführten Krise +wurde er mit den anderen achäischen Geiseln nach Italien abgeführt, wo +er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und durch +die Söhne des Paullus in die vornehmen hauptstädtischen Kreise +eingeführt ward. Die Rücksendung der achäischen Geiseln führte ihn in +die Heimat zurück, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen +seiner Eidgenossenschaft und den Römern machte. Bei der Zerstörung von +Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwärtig. Er schien vom +Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung +deutlicher zu erfassen, als die damaligen Römer selbst es vermochten. +Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein +römischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschätzt und +gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und überhaupt den ersten +Männern Roms, sah er die Ströme, die so lange getrennt geflossen waren, +zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der +Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der römischen Macht +und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte +Hellene, der mit ernster Überzeugung auf die Weltanschauung des +Scipionischen Kreises einging und die Überlegenheit des Hellenismus auf +dem geistigen, des Römertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen +anerkannte, über die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte +und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und +verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer +Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem +ehrenwerten, aber unhaltbaren achäischen Lokalpatriotismus gehuldigt +haben, so vertrat er in seinen späteren Jahren, in deutlicher Einsicht +der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des +engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine höchst verständige und ohne +Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und stolze +Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen +hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich +persönlich völlig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen, +stellte er an den Senat den Antrag, daß er den Entlassenen, jedem in +seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch förmlich verbriefen möge, +worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus +noch einmal in die Höhle des Polyphemos zurückkehre, um sich von dem +Riesen Hut und Gürtel auszubitten. Sein Verhältnis zu den römischen +Großen hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, +wie er der hohen Protektion sich unterwirft und sich berühmt, nähert +sich doch einigermaßen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben +Geist, den seine praktische, atmet auch seine literarische Tätigkeit. +Es war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der +Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten +Punischen Krieg bis zur Zerstörung von Karthago und Korinth faßt sein +Werk die Schicksale der sämtlichen Kulturstaaten, das heißt +Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Ägyptens, Karthagos +und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die römische +Schutzherrschaft im ursächlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet +er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmäßigkeit der römischen +Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausführung steht diese +Geschichtschreibung in scharfem und bewußtem Gegensatz gegen die +gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische +Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem +Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen +geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung +beschränkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein +individuellen und doch auch nicht über die Anfänge der Forschung wie +der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf +Ammenmärchen, teils auf Notizenbündel. Die Griechen hatten eine +Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; +aber der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und +Staat so vollständig abhanden gekommen, daß es keinem der zahllosen +Historiker gelang, der Spur der großen attischen Meister im Geiste und +in der Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der +Zeitgeschichte weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung +war entweder rein äußerliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der +Phrasen- und Lügenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die +Feilheit und die Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung +der Zeit. Bei den Römern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt- +oder Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit +Recht erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern +stehend wie den Römern, überschritt diese kümmerlichen Schranken, +behandelte den römischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab +zwar nicht eine universale, aber doch eine von den Lokalstaaten +losgelöste und den im Werden begriffenen römisch-griechischen Staat +erfassende Geschichte. Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so +vollständig wie Polybios alle Vorzüge eines Quellenschriftstellers in +sich vereinigt. Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich +und jeden Augenblick gegenwärtig; und durchaus haftet der Blick auf dem +wirklich geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der +wertlosen Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der +Länder und Völker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen +Verhältnisse, all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem +Annalisten entschlüpfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr +aufnageln lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkümmertes Recht. In +der Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine +Umsicht und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht +wiedererscheinen; er benutzt die Urkunden, berücksichtigt umfassend die +Literatur der verschiedenen Nationen, macht von seiner günstigen +Stellung zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und +Augenzeugen den ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmäßig das +ganze Gebiet der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Küste des +Atlantischen Ozeans 21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen +großen Dingen hat er kein Interesse für diesen oder gegen jenen Staat, +für diesen oder gegen jenen Mann, sondern einzig und allein für den +wesentlichen Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhältnis +der Ursachen und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloß die erste, sondern +die einzige Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzählung +endlich ist musterhaft vollständig, einfach und klar. Aber alle diese +ungemeinen Vorzüge machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber +ersten Ranges. Polybios faßt seine literarische Aufgabe, wie er seine +praktische faßte, mit großartigem Verstand, aber auch nur mit dem +Verstande. Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der +Freiheit, ist ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als wäre +sie ein mechanisches. Nur das Ganze gilt für ihn, in der Natur wie im +Staat; das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar +sie auch erscheinen mögen, sind doch eigentlich nichts als einzelne +Momente, geringe Räder in dem höchst künstlichen Mechanismus, den man +den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer +geschaffen zur Darstellung der Geschichte des römischen Volkes, welches +in der Tat das einzige Problem gelöst hat, sich zu beispielloser +innerer und äußerer Größe zu erheben ohne auch nur einen im höchsten +Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen Grundlagen mit +wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich entwickelt. Aber +das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder Volksgeschichte und +wurde auch in der römischen von Polybios nicht ungestraft verkannt. +Polybios’ Behandlung aller Fragen, in denen Recht, Ehre, Religion zur +Sprache kommen, ist nicht bloß platt, sondern auch gründlich falsch. +Dasselbe gilt überall, wo eine genetische Konstruktion erfordert wird; +die rein mechanischen Erklärungsversuche, die Polybios an deren Stelle +setzt, sind mitunter geradezu zum Verzweifeln, wie es denn kaum eine +törichtere politische Spekulation gibt, als die vortreffliche +Verfassung Roms aus einer verständigen Mischung monarchischer, +aristokratischer und demokratischer Elemente her- und aus der +Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms abzuleiten. Die +Auffassung der Verhältnisse ist überall bis zum Erschrecken nüchtern +und phantasielos, die geringschätzige und superkluge Art, die +religiösen Dinge zu behandeln, geradezu widerwärtig. Die Darstellung, +in bewußter Opposition gegen die übliche, künstlerisch stilisierte +griechische Historiographie gehalten, ist wohl richtig und deutlich, +aber dünn und matt, öfter als billig in polemische Exkurse oder in +memoirenhafte, nicht selten recht selbstgefällige Schilderung der +eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein oppositioneller Zug geht durch +die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte seine Schrift zunächst für +die Römer und fand doch auch hier nur einen sehr kleinen Kreis, der ihn +verstand; er fühlte es, daß er den Römern ein Fremder, seinen +Landsleuten ein Abtrünniger blieb und daß er mit seiner großartigen +Auffassung der Verhältnisse mehr der Zukunft als der Gegenwart +angehörte. Darum blieb er nicht frei von einer gewissen Verstimmtheit +und persönlichen Bitterkeit, die in seiner Polemik gegen die flüchtigen +oder gar feilen griechischen und die unkritischen römischen Historiker +öfters zänkisch und kleinlich auftritt und aus dem Geschichtschreiber- +in den Rezensententon fällt. Polybios ist kein liebenswürdiger +Schriftsteller; aber wie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit mehr ist als +alle Zier und Zierlichkeit, so ist vielleicht kein Schriftsteller des +Altertums zu nennen, dem wir so viele ernstliche Belehrung verdanken +wie ihm. Seine Bücher sind wie die Sonne auf diesem Gebiet; wo sie +anfangen, da heben sich die Nebelschleier, die noch die Samnitischen +und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo sie endigen, beginnt eine +neue, womöglich noch lästigere Dämmerung. + +————————————————————— + +21 Dergleichen gelehrte Reisen waren übrigens bei den Griechen dieser +Zeit nichts Seltenes. So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, +der das ganze Mittelländische Meer durchschifft hat: + +Warum geh’ ich nicht + +nach Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will? + +———————————————————— + +In einem seltsamen Gegensatz zu dieser großartigen Auffassung und +Behandlung der römischen Geschichte durch einen Ausländer steht die +gleichzeitige einheimische Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser +Periode begegnen noch einige griechisch geschriebene Chroniken, wie die +schon erwähnte des Aulus Postumius (Konsul 603 151), voll übler +Pragmatik, und die des Gaius Acilius (schloß in hohem Alter um 612 +142); doch gewann unter dem Einfluß teils des catonischen Patriotismus, +teils der feineren Bildung des Scipionischen Kreises die lateinische +Sprache auf diesem Gebiet so entschieden die Vorhand, daß nicht bloß +unter den jüngeren Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch +geschriebene vorkommt 22, sondern auch die älteren griechischen +Chroniken ins Lateinische übersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in +diesen Übersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch +geschriebenen Chroniken dieser Epoche außer dem Gebrauch der +Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und +ausführlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius +Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des +Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul +632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in +achtzig Büchern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein +auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und +veröffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluß gab, +als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhörten, +doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten +nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbücher, +mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankündigen, +waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen +geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen- +wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Maße, wie ihre +Ausführlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends +Wahrheit ohne Dichtung, und es wäre sehr töricht, mit Naevius und +Pictor zu rechten, daß sie es nicht anders gemacht als Hekatäos und +Saxo Grammaticus; aber die späteren Versuche, aus solchen Nebelwolken +Häuser zu bauen, stellen auch die geprüfteste Geduld auf eine harte +Probe. Keine Lücke der Überlieferung klafft so tief, daß diese glatte +und platte Lüge sie nicht mit spielender Leichtigkeit überkleisterte. +Ohne Anstoß werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen, +Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins +rückwärts geführt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr, +Monat und Tag König Romulus gen Himmel gefahren ist und wie König +Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai +187 (567) über die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im +besten Einklang, daß man in den römischen Docks den Gläubigen das +Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, +ja sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, +wohl eingepökelt im römischen Vestatempel konservierte. Mit dem Lügemut +eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die +langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren großen +Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller +poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn +wir zum Beispiel bei Piso lesen, daß Romulus sich gehütet habe, dann zu +pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; daß die Tarpeia +die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um die Feinde +ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verständiger Zeitgenossen +über diese ganze Schreiberei nicht befremden, “daß das nicht heiße +Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten erzählen”. Weit +vorzüglicher waren einzelne Werke über die Geschichte der jüngsten +Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte des +Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und +des wenig jüngeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner Zeit. +Hier fand sich wenigstens schätzbares Material und ernster +Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark +manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und +Bruchstücken zu schließen, keines dieser Bücher weder in markiger Form +noch in Originalität an die “Ursprungsgeschichten” Catos, der leider +auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen Schule +gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, die +untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der +historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon +zeichneten die ersten Staatsmänner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so +Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105), +Quintus Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint +keine dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt für +die Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der +Cornelia, der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die +musterhaft reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als +die erste in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste +literarische Produktion einer römischen Frau. Die Redeschriftstellerei +bewahrte in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrückten Stempel; +Advokatenplädoyers wurden noch nicht als literarische Produktion +angesehen, und was von Reden veröffentlicht ward, waren politische +Pamphlete. Während der revolutionären Bewegung nahm diese +Broschürenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse +ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes’ +Philippiken und Couriers fliegende Blätter, durch die bedeutende +Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen +bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des +Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstücke des trefflichsten +Latein wie des edelsten Vaterlandsgefühls; so die sprudelnden Reden des +Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern - die +Schilderung des senatorischen Geschworenen ward früher mitgeteilt - das +nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen +Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen +Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhängnis dieser hohen +Natur im treuen Spiegelbild bewahrten. + +———————————————————————- + +22 Die einzige wirkliche Ausnahme, soweit wir wissen, ist die +griechische Geschichte des Gnaeus Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, +38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90) blühte. Die griechischen Memoiren +des Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105) sind kaum als Ausnahme +anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil zu Smyrna schrieb. + +———————————————————————- + +In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen +Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150) +veröffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen +übliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom +zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte +Szenerie des Gesprächs der Abhandlung eine künstlerische, halb +dramatische Form zu geben. Indes die späteren Gelehrten, schon der +Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, ließen sowohl in den +allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese +mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert der +Wissenschaft als solcher und das in Rom überwiegende stoffliche +Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen +Abwerfen der Fessel künstlerischer Form. Im einzelnen ist von den +allgemein humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der +Philologie, der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen +worden, als dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewöhnlichen +römischen Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen +Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen +Gebiet blüht die lateinische Philologie fröhlich auf, im engen Anschluß +an die längst sicher gegründete philologische Behandlung der +griechischen Literatur. Es ward bereits erwähnt, daß um den Anfang +dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und +Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, daß nicht bloß der +Scipionische Kreis überhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang, +sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius und +Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik +beschäftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der +historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich +werden die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie +die des Hemina ‘über die Zensoren’, des Tuditanus ‘über die Beamten’ +schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind +die Bücher über die Ämter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus +Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung für politische +Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefaßten Didaskalien +des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des +lateinischen Dramas. Indes jene Anfänge einer wissenschaftlichen +Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches +Gepräge und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der +Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen +dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz +verweisen dürfen. Derjenige Römer, der die lateinische Sprach- und +Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister +wissenschaftlich begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er +zuerst ging zurück auf die ältesten Sprachdenkmäler und kommentierte +die Saliarischen Litaneien und das römische Stadtrecht. Er wandte der +Komödie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu und +stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten +Plautinischen Stücke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfänge +einer jeden einzelnen Erscheinung des römischen Lebens und Verkehrs +geschichtlich zu bestimmen und für jede den “Erfinder” zu ermitteln, +und zog zugleich die gesamte annalistische Überlieferung in den Kreis +seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen ward, +zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des +bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius +und der Geschichtsbücher des Antipater; und auch für die Zukunft hat +dieser erste römische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt, +indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf seinen +Schüler Varro vererbte. + +——————————————————————————- + +23 Die Behauptung zum Beispiel, daß die Quästoren in der Königszeit von +der Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher +falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn trägt. + +———————————————————————————- + +Mehr untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische +Tätigkeit auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts +zu tun als Hand- und Übungsbücher nach dem Muster der griechischen +Kompendien des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn +freilich die Schulmeister, teils um des Bedürfnisses, teils um der +Eitelkeit und des Geldes willen, nicht fehlen ließen. Von einem +unbekannten Verfasser, der nach der damaligen Weise zugleich +lateinische Literatur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide +schrieb, ist uns ein solches, unter Sullas Diktatur abgefaßtes Handbuch +der Redekunst erhalten; eine nicht bloß durch die knappe, klare und +sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die +verhältnismäßige Selbständigkeit den griechischen Mustern gegenüber +bemerkenswerte Lehrschrift. Obwohl in der Methode gänzlich abhängig von +den Griechen, weist der Römer doch bestimmt und sogar schroff alles das +ab, “was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig +damit die Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine”. Der bitterste +Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese “geschwätzige +Wissenschaft der Redeunkunst”, deren vollendeter Meister, vor lauter +Angst, sich zweideutig auszudrücken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen +Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird +durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der +Verfasser vor der Viellehrerei und schärft die goldene Regel ein, daß +der Schüler von dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst +zu helfen; ebenso ernstlich erkennt er es an, daß die Schule Neben-, +das Leben die Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbständig +gewählten Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die +während der letzten Dezennien in der römischen Advokatenwelt Aufsehen +gemacht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, daß die Opposition gegen +die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Aufkommen einer +eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren +Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der römischen +Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen +theoretisch und praktisch eine höhere Würde und eine größere +Brauchbarkeit sichert. + +Die Philosophie endlich ist in der Literatur noch nicht vertreten, da +weder sich aus innerem Bedürfnis eine nationalrömische Philosophie +entwickelte noch äußere Umstände eine lateinische philosophische +Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit als dieser Zeit angehörig +sind nicht einmal lateinische Übersetzungen populärer philosophischer +Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie trieb, las und disputierte +griechisch. + +In den Fachwissenschaften ist die Tätigkeit gering. So gut man auch in +Rom verstand zu ackern und zu rechnen, so fand doch die physikalische +und mathematische Forschung dort keinen Boden. Die Folgen der +vernachlässigten Theorie zeigen sich praktisch in dem niedrigen Stande +der Arzneikunde und einesteils der militärischen Wissenschaften. Unter +allen Fachwissenschaften blüht nur die Jurisprudenz. Wir können ihre +innerliche Entwicklung nicht chronologisch genau verfolgen; im ganzen +trat das Sakralrecht mehr und mehr zurück und stand am Ende dieser +Periode ungefähr wie heutzutage das kanonische; die feinere und tiefere +Rechtsauffassung dagegen, welche an die Stelle der äußerlichen +Kennzeichen die innerlich wirksamen Momente setzt, zum Beispiel die +Entwicklung der Begriffe der böswilligen und der fahrlässigen +Verschuldung, des vorläufig schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit +der Zwölf Tafeln noch nicht, wohl aber in der ciceronischen Zeit +vorhanden und mag der gegenwärtigen Epoche ihre wesentliche Ausbildung +verdanken. Die Rückwirkung der politischen Verhältnisse auf die +Rechtsentwicklung ist schon mehrfach angedeutet worden; sie war nicht +immer vorteilhaft. Durch die Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der +Hundertmänner zum Beispiel trat auch in dem Vermögensrecht ein +Geschworenenkollegium auf, das gleich den Kriminalbehörden, statt das +Gesetz einfach anzuwenden, sich über dasselbe stellte und mit der +sogenannten Billigkeit die rechtlichen Institutionen untergrub; wovon +unter anderm eine Folge die unvernünftige Satzung war, daß es jedem, +den ein Verwandter im Testament übergangen hat, freisteht, auf +Kassierung des Testaments vor dem Gerichtshof anzutragen, und das +Gericht nach Ermessen entscheidet. Bestimmter läßt die Entwicklung der +juristischen Literatur sich erkennen. Sie hatte bisher auf +Formulariensammlungen und Worterklärungen zu den Gesetzen sich +beschränkt; in dieser Periode bildete sich zunächst eine +Gutachtenliteratur, die ungefähr unseren heutigen +Präjudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die längst nicht mehr +bloß von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern von jedem, der +Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt wurden, und an +die schon rationelle und polemische Erörterungen und die der +Rechtswissenschaft eigentümlichen stehenden Kontroversen sich +anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an, +aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah +dies zuerst von dem jüngeren Cato († um 600 150) und von Marcus Brutus +(etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint, +nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich +systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der +Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, † 672 95, 82), in +dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das höchste Priestertum +erblich war. Seine achtzehn Bücher ‘vom Landrecht, welche das positive +juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Präjudikate +und die Autoritäten teils aus den älteren Sammlungen, teils aus der +mündlichen Überlieferung in möglichster Vollständigkeit zusammenfaßten, +sind der Ausgangspunkt und das Muster der ausführlichen römischen +Rechtssysteme geworden; ebenso wurde seine resümierende Schrift +‘Definitionen’ (όρος) die Grundlage der juristischen Kompendien und +namentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwicklung natürlich im +wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor sich ging, so hat doch +die Bekanntschaft mit dem philosophisch-praktischen Schematismus der +Griechen im allgemeinen unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen +Behandlung der Rechtswissenschaft den Anstoß gegeben, wie denn der +griechische Einfluß bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel +hervortritt. Daß in einzelnen mehr äußerlichen Dingen die römische +Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt. + +———————————————————————- + +24 Catos Buch führte wohl den Titel ‘De iuris disciplina’ (Gell. 13, +20), das des Brutus den ‘De iure civili’ (Cic. Cluent. 51, 141; De +orat. 2, 55, 223); daß es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt +Cicero (De orat. 2, 33, 142). + +———————————————————————- + +Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der +Architektur, Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische +Wohlgefallen immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Übung ging +eher rück- als vorwärts. Immer gewöhnlicher ward es bei dem Aufenthalt +in griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofür +namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien +670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte +sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Gerät hatte man +angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloß +griechische Bildsäulen, sondern auch griechische Gemälde zu schätzen. +Das erste im Rom öffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des +Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen +Beute zurücknahm, weil König Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler) +darauf bot. Die Bauten wurden glänzender, und namentlich kam der +überseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in +Gebrauch - die italischen Marmorbrüche waren noch nicht in Betrieb. Der +prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Säulengang, den der +Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf dem +Marsfelde anlegte, schloß den ersten Marmortempel ein, den die +Hauptstadt sah; bald folgten ähnliche Anlagen auf dem Kapitol durch +Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus +Octavius (Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsäulen geschmückte +Privathaus war das des Redners Lucius Crassus († 663 91) auf dem +Palatin. Aber wo man plündern und kaufen konnte, statt selber zu +schaffen, da geschah es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis für die +römische Architektur, daß sie schon anfing, die Säulen der alten +griechischen Tempel zu verwenden, wie zum Beispiel das römische Kapitol +durch Sulla mit denen des Zeustempels in Athen geschmückt ward. Was +dennoch in Rom gearbeitet ward, ging aus den Händen von Fremden hervor; +die wenigen römischen Künstler dieser Zeit, die namentlich erwähnt +werden, sind ohne Ausnahme eingewanderte italische oder überseeische +Griechen: so der Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der +unter anderm die römischen Docks wiederherstellte und für Quintus +Metellus (Konsul 611 143) den Tempel des Jupiter Stator in der von +diesem angelegten Halle, für Decimus Brutus (Konsul 616 138) den +Marstempel im Flaminischen Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um +665 89) aus Großgriechenland, der für römische Tempel Götterbilder aus +Elfenbein lieferte; der Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der +verschrieben ward, um die Bilder für den Triumph des Lucius Paullus +(587 168) zu malen. Es ist bezeichnend, daß die Münzen dieser Epoche im +Vergleich mit denen der vorigen zwar eine größere Mannigfaltigkeit der +Typen, aber im Stempelschnitt eher einen Rück- als einen Fortschritt +zeigen. + +Endlich Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas über nach +Rom, einzig, um daselbst zur Erhöhung des dekorativen Luxus verwandt zu +werden. Solche fremdländischen Künste waren allerdings nicht neu in +Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische +Flötenbläser und Tänzer auftreten lassen und die Freigelassenen und die +niedrigste Klasse des römischen Volkes auch bisher schon mit diesem +Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, daß griechische Tänze und +musikalische Aufführungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel +wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner +Reden sie voll Unwillen schildert, in der über fünfhundert Knaben und +Mädchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Würden +durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig +ehrbaren Kastagnettentänzen, zu entsprechenden Gesängen und zum +Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es auch +- nicht so sehr, daß ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius +Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Bälle +fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen löste, als daß +vornehme junge Römer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre +Jockeykünste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem +Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle +musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen +einfachen Flöte von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein +Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Übelstände durch +solche Verbote, als daß es durch scharfe und folgerichtige Anwendung +ihnen abzuhelfen auch nur versucht hätte. + +Werfen wir schließlich einen Blick zurück auf das Gesamtbild, das die +Literatur und die Kunst Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den +Anfang der ciceronischen Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch +hier in Vergleich mit der vorhergehenden Epoche dem entschiedensten +Sinken der Produktivität. Die höheren Gattungen der Literatur sind +abgestorben oder im Verkümmern, so das Epos, das Trauerspiel, die +Geschichte. Was gedeiht, sind die untergeordneten Arten, die +Übersetzung und die Nachbildung des Intrigenstücks, die Posse, die +poetische und prosaische Broschüre; in diesem letzten, von der vollen +Windsbraut der Revolution durchrasten Gebiet der Literatur begegnen wir +den beiden größten literarischen Talenten dieser Epoche, dem Gaius +Gracchus und dem Gaius Lucilius, die beide über eine Menge mehr oder +minder mittelmäßiger Schriftsteller emporragen, wie in einer ähnlichen +Epoche der französischen Literatur über eine Unzahl anspruchsvoller +Nullitäten Courier und Béranger. Ebenso ist in den bildenden und +zeichnenden Künsten die immer schwache Produktivität jetzt völlig null. +Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst- und Literaturgenuß; wie die +Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet die ihren Vätern +angefallenen Erbschaften einziehen und ausnutzen, so finden wir sie +auch hier als fleißige Schauspielbesucher, als Literaturfreunde, als +Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die achtungswerteste Seite +dieser Tätigkeit ist die gelehrte Forschung, die vor allem in der +Rechtswissenschaft und in der Sprach- und Sachphilologie eigene +geistige Anstrengung offenbart. Mit der Begründung dieser +Wissenschaften, welche recht eigentlich in die gegenwärtige Epoche +fällt, und zugleich mit den ersten geringen Anfängen der Nachdichtung +der alexandrinischen Treibhauspoesie kündigt bereits die Epoche des +römischen Alexandrinismus sich an. Alles, was diese Epoche geschaffen +hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer als die Schöpfungen des +sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht sahen die Literaten und +Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre Vorgänger wie auf stümperhafte +Anfänger herab. Aber wenn sie die Mangelhaftigkeit jener +Anfängerarbeiten belächelten oder beschalten, so mochten doch auch eben +die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, daß die Jugendzeit der +Nation vorüber war, und vielleicht diesen oder jenen doch wieder im +stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht beschleichen, den lieblichen +Irrtum der Jugend abermals zu irren. + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + +***** This file should be named 3063-0.txt or 3063-0.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/3/0/6/3063/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, +and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive +specific permission. If you do not charge anything for copies of this +eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook +for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, +performances and research. They may be modified and printed and given +away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks +not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the +trademark license, especially commercial redistribution. + +START: FULL LICENSE + +THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE +PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK + +To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free +distribution of electronic works, by using or distributing this work +(or any other work associated in any way with the phrase "Project +Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full +Project Gutenberg-tm License available with this file or online at +www.gutenberg.org/license. + +Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project +Gutenberg-tm electronic works + +1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm +electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to +and accept all the terms of this license and intellectual property +(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all +the terms of this agreement, you must cease using and return or +destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your +possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a +Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound +by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the +person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph +1.E.8. + +1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be +used on or associated in any way with an electronic work by people who +agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few +things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works +even without complying with the full terms of this agreement. See +paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project +Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this +agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm +electronic works. See paragraph 1.E below. + +1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the +Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection +of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual +works in the collection are in the public domain in the United +States. If an individual work is unprotected by copyright law in the +United States and you are located in the United States, we do not +claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, +displaying or creating derivative works based on the work as long as +all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope +that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting +free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm +works in compliance with the terms of this agreement for keeping the +Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily +comply with the terms of this agreement by keeping this work in the +same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when +you share it without charge with others. + +1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern +what you can do with this work. Copyright laws in most countries are +in a constant state of change. If you are outside the United States, +check the laws of your country in addition to the terms of this +agreement before downloading, copying, displaying, performing, +distributing or creating derivative works based on this work or any +other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no +representations concerning the copyright status of any work in any +country outside the United States. + +1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: + +1.E.1. The following sentence, with active links to, or other +immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear +prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work +on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the +phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, +performed, viewed, copied or distributed: + + This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and + most other parts of the world at no cost and with almost no + restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it + under the terms of the Project Gutenberg License included with this + eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the + United States, you'll have to check the laws of the country where you + are located before using this ebook. + +1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is +derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not +contain a notice indicating that it is posted with permission of the +copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in +the United States without paying any fees or charges. If you are +redistributing or providing access to a work with the phrase "Project +Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply +either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or +obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm +trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. + +1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted +with the permission of the copyright holder, your use and distribution +must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any +additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms +will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works +posted with the permission of the copyright holder found at the +beginning of this work. + +1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm +License terms from this work, or any files containing a part of this +work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. + +1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this +electronic work, or any part of this electronic work, without +prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with +active links or immediate access to the full terms of the Project +Gutenberg-tm License. + +1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, +compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including +any word processing or hypertext form. However, if you provide access +to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format +other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official +version posted on the official Project Gutenberg-tm web site +(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense +to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means +of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain +Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the +full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. + +1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, +performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works +unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. + +1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing +access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works +provided that + +* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from + the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method + you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed + to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has + agreed to donate royalties under this paragraph to the Project + Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid + within 60 days following each date on which you prepare (or are + legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty + payments should be clearly marked as such and sent to the Project + Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in + Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg + Literary Archive Foundation." + +* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies + you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he + does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm + License. You must require such a user to return or destroy all + copies of the works possessed in a physical medium and discontinue + all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm + works. + +* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of + any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the + electronic work is discovered and reported to you within 90 days of + receipt of the work. + +* You comply with all other terms of this agreement for free + distribution of Project Gutenberg-tm works. + +1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project +Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than +are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing +from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The +Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm +trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. + +1.F. + +1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable +effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread +works not protected by U.S. copyright law in creating the Project +Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm +electronic works, and the medium on which they may be stored, may +contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate +or corrupt data, transcription errors, a copyright or other +intellectual property infringement, a defective or damaged disk or +other medium, a computer virus, or computer codes that damage or +cannot be read by your equipment. + +1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right +of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project +Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project +Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all +liability to you for damages, costs and expenses, including legal +fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT +LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE +PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE +TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE +LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR +INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH +DAMAGE. + +1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a +defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can +receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a +written explanation to the person you received the work from. If you +received the work on a physical medium, you must return the medium +with your written explanation. The person or entity that provided you +with the defective work may elect to provide a replacement copy in +lieu of a refund. If you received the work electronically, the person +or entity providing it to you may choose to give you a second +opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If +the second copy is also defective, you may demand a refund in writing +without further opportunities to fix the problem. + +1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth +in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO +OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT +LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. + +1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied +warranties or the exclusion or limitation of certain types of +damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement +violates the law of the state applicable to this agreement, the +agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or +limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or +unenforceability of any provision of this agreement shall not void the +remaining provisions. + +1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the +trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone +providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in +accordance with this agreement, and any volunteers associated with the +production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm +electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, +including legal fees, that arise directly or indirectly from any of +the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this +or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or +additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any +Defect you cause. + +Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm + +Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of +electronic works in formats readable by the widest variety of +computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org + + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. Compliance requirements are not uniform and it takes a +considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up +with these requirements. We do not solicit donations in locations +where we have not received written confirmation of compliance. To SEND +DONATIONS or determine the status of compliance for any particular +state visit www.gutenberg.org/donate + +While we cannot and do not solicit contributions from states where we +have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition +against accepting unsolicited donations from donors in such states who +approach us with offers to donate. + +International donations are gratefully accepted, but we cannot make +any statements concerning tax treatment of donations received from +outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. + +Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation +methods and addresses. Donations are accepted in a number of other +ways including checks, online payments and credit card donations. To +donate, please visit: www.gutenberg.org/donate + +Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. + +Professor Michael S. Hart was the originator of the Project +Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be +freely shared with anyone. For forty years, he produced and +distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of +volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in +the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search +facility: www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/3063-0.zip b/3063-0.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..f128015 --- /dev/null +++ b/3063-0.zip diff --git a/3063-h.zip b/3063-h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..33469f3 --- /dev/null +++ b/3063-h.zip diff --git a/3063-h/3063-h.htm b/3063-h/3063-h.htm new file mode 100644 index 0000000..074fe8a --- /dev/null +++ b/3063-h/3063-h.htm @@ -0,0 +1,19060 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" +"http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> +<head> +<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8" /> +<meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> +<title>Römische Geschichte Book 4, by Theodor Mommsen</title> + +<style type="text/css"> + +body { margin-left: 20%; + margin-right: 20%; + text-align: justify; } + +h1, h2, h3, h4, h5 {text-align: center; font-style: normal; font-weight: +normal; line-height: 1.5; margin-top: .5em; margin-bottom: .5em;} + +h1 {font-size: 300%; + margin-top: 0.6em; + margin-bottom: 0.6em; + letter-spacing: 0.12em; + word-spacing: 0.2em; + text-indent: 0em;} +h2 {font-size: 150%; margin-top: 2em; margin-bottom: 1em;} +h3 {font-size: 150%; margin-top: 2em;} +h4 {font-size: 120%;} +h5 {font-size: 110%;} + +hr {width: 80%; margin-top: 2em; margin-bottom: 2em;} + +div.chapter {page-break-before: always; margin-top: 4em;} + +p {text-indent: 1em; + margin-top: 0.25em; + margin-bottom: 0.25em; } + +.p2 {margin-top: 2em;} + +p.poem {text-indent: 0%; + margin-left: 10%; + font-size: 90%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.letter {text-indent: 0%; + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.noindent {text-indent: 0% } + +p.center {text-align: center; + text-indent: 0em; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.right {text-align: right; + margin-right: 10%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.footnote {font-size: 90%; + text-indent: 0%; + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +sup { vertical-align: top; font-size: 0.6em; } + +p.asterism {text-align: center; + font-size: 150%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +div.fig { display:block; + margin:0 auto; + text-align:center; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em;} + +a:link {color:blue; text-decoration:none} +a:visited {color:blue; text-decoration:none} +a:hover {color:red} + +</style> + +</head> + +<body> + +<pre> +The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen + +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most +other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Römische Geschichte Book 4 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3063] +[Most recently updated: January 15, 2020] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + + + + + + + + + + + +</pre> + + +<h1>Römische Geschichte </h1> + +<h4>Viertes Buch<br/> +Die Revolution +</h4> + +<h2>von Theodor Mommsen</h2> + +<hr /> + +<p> +The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some +(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a +modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek +words, nor is there any differentiation between the different accents of +ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. +</p> + +<h2>Contents</h2> + +<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto"> + +<tr> +<td> <a href="#part04"><b>Viertes Buch—Die Revolution</b></a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap01">KAPITEL I. Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap02">KAPITEL II. Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap03">KAPITEL III. Die Revolution und Gaius Gracchus</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap04">KAPITEL IV. Die Restaurationsherrschaft</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap05">KAPITEL V. Die Völker des Nordens</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap06">KAPITEL VI. Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap07">KAPITEL VII. Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap08">KAPITEL VIII. Der Osten und König Mithradates</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap09">KAPITEL IX. Cinna und Sulla</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap10">KAPITEL X. Die Sullanische Verfassung</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap11">KAPITEL XI. Das Gemeinwesen und seine Ökonomie</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap12">KAPITEL XII. Nationalität, Religion, Erziehung</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap13">KAPITEL XIII. Literatur und Kunst</a></td> +</tr> + +</table> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="part04"></a>Viertes Buch<br/> +Die Revolution +</h2> + +<p class="letter"> +“Aber sie treiben’s toll;<br/> +Ich fürcht’, es breche”.<br/> +Nicht jeden Wochenschluß<br/> +Macht Gott die Zeche. +</p> + +<p class="right"> +Goethe +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/> +Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit</h2> + +<p> +Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms +eine Tatsache, die von den Säulen des Hercules bis zu den Mündungen des Nil und +des Orontes nicht bloß feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort des +Verhängnisses auf den Völkern lastete mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit +und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben +oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem +ernsten Leser es als ihr Recht fordern dürfte, sie durch gute und böse Tage, +durch Frühlings- und Winterlandschaft zu begleiten, so möchte der +Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, +diesem Kampf der Übermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Römischen +Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht +beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in seinen +mannigfaltigen und doch eintönigen Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend +und untergeordnet auch die einzelnen Kämpfe erscheinen mögen, eine tiefe +geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor +allem die italischen Verhältnisse dieser Zeit werden erst verständlich durch +die Einsicht in den Rückschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat traf. +</p> + +<p> +Außer in den naturgemäß als Nebenländer Italiens anzusehenden Gebieten, wo +übrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollständig unterworfen waren +und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen fortwährend +Gelegenheit zu “Dorftriumphen” lieferten, bestand eine förmliche +Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden spanischen +Provinzen, die den größeren östlichen und südlichen Teil der Pyrenäischen +Halbinsel umfaßten. Es ist schon früher versucht worden, die Zustände der +Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, Phöniker, Hellenen, Römer mischten +sich hier bunt durcheinander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend +bestanden daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die +altiberische Kultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse +phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden Latinisierung, +die namentlich durch die in den Silberbergwerken zahlreich beschäftigten +Italiker und durch die starke stehende Besatzung gefördert ward. In dieser +Hinsicht erwähnenswert sind die römische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und +die latinische Kolonie Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die +erste überseeische Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. +Italica wurde von dem älteren Scipio, noch ehe er Spanien verließ (548 206), +für seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegründet, +wahrscheinlich indes nicht als Bürgergemeinde, sondern nur als Marktort ^1; +Carteias Gründung fällt in das Jahr 583 (171) und ward veranlaßt durch die +Menge der von römischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen erzeugten +Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsächlich als freie Italiker +aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in Verbindung mit den +alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie konstituiert wurden. +Beinahe dreißig Jahre nach der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius +Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im +ganzen ungestört die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszügen +gegen die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse +traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Führung eines Häuptlings Punicus fielen +die Lusitaner ein in das römische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie +vereinigten römischen Statthalter und töteten ihnen eine große Anzahl Leute. +Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch +bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so verstärkt +vermochten diese ihre Streifzüge bis an das Mittelländische Meer auszudehnen +und sogar das Gebiet der Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt +Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst +genug, um die Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschließen, was seit 559 +(195) nicht geschehen war, und ließ sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung +die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt +antreten - es war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. +März sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich +feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul +Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem +Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Prätor Lucius Mummius, und den jetzt +nach Punicus’ Fall von seinem Nachfolger Kaesarus geführten Lusitanern am +rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das Glück +war anfangs den Römern günstig; das lusitanische Heer ward zersprengt, das +Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch ermüdet, teils in der +Unordnung des Nachsetzens sich auflösend, wurden sie von den schon besiegten +Gegnern schließlich vollständig geschlagen und büßten zu dem feindlichen Lager +das eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die +Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich unter +Anführung des Kaukaenus auf die den Römern untertänigen Keltiker (in Alentejo) +und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner +die dem Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als +Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gärungsstoff. Zwei kleine, den +mächtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte +Völkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten beschlossen, in +eine ihrer Städte, Segeda, sich zusammenzusiedeln. Während sie mit dem Mauerbau +beschäftigt waren, ward ihnen dieser römischerseits untersagt, da die +Sempronischen Ordnungen den unterworfenen Gemeinden jede eigenmächtige +Städtegründung verböten, und zugleich die vertragsmäßig schuldige, aber seit +längerer Zeit nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. +Beiden Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um +Erweiterung, nicht um Gründung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht +bloß suspendiert, sondern von den Römern erlassen seien. Darüber erschien +Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken Heer, unter +dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich befanden. Noch standen die +Mauern der neuen Stadt nicht vollständig; die meisten Segedaner unterwarfen +sich. Allein die entschlossensten flüchteten mit Weib und Kind zu den mächtigen +Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Römer gemeinschaftliche +Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner über +Mummius, gingen darauf ein und wählten einen der flüchtigen Segedaner, Karus, +zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Führer eine +Leiche, aber das römische Heer geschlagen und bei 6000 römische Bürger getötet +- der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Römern in +schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in +ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua nördlich von Soria am Duero) +zurückzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es +zu einem zweiten Treffen, in welchem die Römer anfänglich durch ihre Elefanten +die Spanier in die Stadt zurückdrängten, aber dabei infolge der Verwundung +eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrückenden +Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfälle, wie die +Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten römischen +Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Römer in der diesseitigen +Provinz so ungünstig, daß die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorräte der +Römer sich befanden, zum Feinde übertrat und die Arevaker daran denken konnten, +freilich ohne Erfolg, den Römern den Frieden zu diktieren. Einigermaßen wurden +indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der +südlichen Provinz erfocht. So geschwächt auch durch die erlittene Niederlage +sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig sich +zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage beizubringen und, +übergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze römische Gebiet überrannt, +ja bis nach Afrika gestreift hatten, die südliche Provinz von den Feinden zu +säubern. In die nördliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat außer +beträchtlichen Verstärkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des +unfähigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Prätor +586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten sein +Feldherrntalent bewährt hatte. Seine geschickte Führung und mehr noch seine +Milde änderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab sich ihm sofort, und +selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung bestärkt, daß ihnen gegen +eine mäßige Buße Friede gewährt werden würde, schlossen Waffenstillstand und +schickten Gesandte nach Rom. Marcellus konnte sich nach der südlichen Provinz +begeben, wo die Vettonen und Lusitaner sich dem Prätor Marcus Atilius zwar +botmäßig erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner +Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die römischen Verbündeten +heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung wieder her, und +während er in Corduba überwinterte, ruhten auf der ganzen Halbinsel die Waffen. +Inzwischen ward in Rom über den Frieden mit den Arevakern verhandelt. Es ist +bezeichnend für die inneren Verhältnisse Spaniens, daß vornehmlich die +Sendlinge der bei den Arevakern bestehenden römischen Partei die Verwerfung der +Friedensvorschläge in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, daß, wenn man +die römisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die Wahl bleibe, +entweder jährlich einen Konsul mit entsprechendem Heer nach der Halbinsel zu +senden oder jetzt ein nachdrückliches Exempel zu statuieren. Infolgedessen +wurden die Boten der Arevaker ohne entscheidende Antwort verabschiedet und die +energische Fortsetzung des Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach +genötigt, im folgenden Frühjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder +zu beginnen. Indes sei es nun, wie behauptet wird, daß er den Ruhm, den Krieg +beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht gönnte, sei es, +was vielleicht wahrscheinlicher ist, daß er gleich Gracchus in der milden +Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften Friedens sah - +nach einer geheimen Zusammenkunft des römischen Feldherrn mit den +einflußreichsten Männern der Arevaker kam unter den Mauern von Numantia ein +Traktat zustande, durch den die Arevaker den Römern sich auf Gnade und Ungnade +ergaben, aber unter Verpflichtung zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre +bisherigen vertragsmäßigen Rechte wiedereingesetzt wurden. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et +conciliabulum civium Romanorum hieß; ähnlich ist später Aquae Sextiae in +Gallien entstanden. Die Entstehung überseeischer Bürgergemeinden beginnt erst +später mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwürdig, daß in gewissem Sinne +doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, +fand er den Krieg, den zu führen er gekommen war, bereits durch förmlichen +Friedensschluß beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus +Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafür gab es Rat. Auf eigene +Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccäer, an, eine +noch unabhängige keltiberische Nation, die mit den Römern im besten +Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn gefehlt hätten, war +die Antwort: der Überfall der Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von +Segovia); und als die erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die +Kapitulation erkauft zu haben meinte, rückten römische Truppen in sie ein und +knechteten oder mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach +dieser Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben +soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Dörfer und Ortschaften +leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccäer, +Pallantia (Palencia), dem römischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte in +ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die mit dem +treubrüchigen Feldherrn eine Kapitulation hätte abschließen mögen, und die +allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloß die Beute karg, sondern auch +das längere Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmöglich. Vor +Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, +leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, +durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum +Abschluß eines Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das römische Heer gegen +Lieferung von Vieh und Kleidungsstücken abzog. Aber die Belagerung von +Pallantia mußte wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das +römische Heer ward auf dem Rückmarsch von den Vaccäern bis zum Duero verfolgt. +Lucullus begab sich darauf nach der südlichen Provinz, wo der Prätor Servius +Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte schlagen +lassen; beide überwinterten nicht fern voneinander, Lucullus im turdetanischen +Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im folgenden Jahr (604 150) +gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus errang an der Gaditanischen +Meerenge einige Vorteile über sie. Galba richtete mehr aus, indem er mit drei +lusitanischen Stämmen am rechten Ufer des Tajo einen Vertrag abschloß und sie +in bessere Wohnsitze überzusiedeln verhieß, worauf die Barbaren, die der +gehofften Äcker wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei +Abteilungen geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggeführt, teils +niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit, Grausamkeit und +Habgier Krieg geführt worden wie von diesen beiden Feldherren, die dennoch +durch ihre verbrecherisch erworbenen Schätze der eine der Verurteilung, der +andre sogar der Anklage entging. Den Galba versuchte der alte Cato noch in +seinem fünfundachtzigsten Jahr, wenige Monate vor seinem Tode, vor der +Bürgerschaft zur Verantwortung zu ziehen; aber die jammernden Kinder des +Generals und sein heimgebrachtes Gold erwiesen dem römischen Volke seine +Unschuld. +</p> + +<p> +Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht +hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten +Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, daß man die spanischen +Angelegenheiten zunächst wieder den gewöhnlichen Statthaltern überließ. So +verwüsteten denn die Lusitaner, durch Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als +gedemütigt, unaufhörlich das reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der +römische Statthalter Gaius Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht +bloß, sondern drängte auch den ganzen Haufen auf einen Hügel zusammen, wo +derselbe rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie +abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst als +Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden Tiere und Räuber, +so jetzt in ernsteren Kämpfen ein gefürchteter Guerillachef und einer der +wenigen, die dem treulosen Überfall Galbas zufällig entronnen waren, seine +Landsleute warnte, auf römisches Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhieß, +wenn sie ihm folgen wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer +übertrug ihm den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, +sich in einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten +Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und +zuverlässigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug der +Seinigen deckte. Die Römer, denen es an leichter Kavallerie fehlte, wagten +nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung zu +zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem Haufen das +ganze römische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er plötzlich in der +Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der römische Feldherr folgte +ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten Hinterhalt, in dem er die Hälfte +seines Heeres verlor und selber gefangen und getötet ward; kaum rettete der +Rest der Truppen sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst +wurden vom Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstärkung der +geschlagenen Römer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem +Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschränkt, daß +die Römer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als Herr +und König der sämtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das volle Gewicht +seiner fürstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen. +Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Soldaten; von der +reichgeschmückten Hochzeitstafel seines Schwiegervaters, des Fürsten Astolpa im +römischen Spanien, stand er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren +Speisen berührt zu haben, hob seine Braut auf das Roß und ritt mit ihr zurück +in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch +jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem treffenden +Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, daß er es in +Mäßigkeit und in Mühsal jedem der Seinigen zuvortat, nie anders als in voller +Rüstung schlief und in der Schlacht allen voran focht. Es schien, als sei in +dieser gründlich prosaischen Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; +weit und breit erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere +Nation meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der +Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im nördlichen wie im +südlichen Spanien bezeichneten die nächsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den +Prätor Gaius Plautius (608/09 146) wußte er, nachdem er dessen Vorhut +vernichtet hatte, hinüber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so +nachdrücklich zu schlagen, daß der römische Feldherr mitten im Sommer in die +Winterquartiere ging - später ward dafür gegen ihn die Anklage wegen Entehrung +der römischen Gemeinde vor dem Volk erhoben und er genötigt, die Heimat zu +meiden. Desgleichen wurde das Heer des Statthalters - es scheint, der +diesseitigen Provinz - Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius +überwunden und weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen +Bergen erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen +Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmückt waren; bestürzt und +beschämt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkönigs. Zwar übernahm +jetzt ein zuverlässiger Offizier die Führung des Spanischen Krieges, der zweite +Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus Aemilianus (609 +145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und Afrika heimgekehrten +Veteranen aufs neue in den verhaßten Spanischen Krieg zu senden, wagte man +schon nicht mehr; die beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu +geworben und nicht viel minder unzuverlässig als das alte, gänzlich +demoralisierte spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die +Lusitaner günstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest +des Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna südöstlich von Sevilla) +zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im +folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffähig geworden +waren, wieder das Feld, wo er dann die Überlegenheit zu behaupten vermochte und +nach glücklichen Waffentaten nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an +Maximus’ Stelle der feige und ungeschickte Prätor Quinctius den Befehl +übernahm, erlitten die Römer wiederum eine Niederlage über die andere und +schloß ihr Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, während +Viriathus’ Scharen die südliche Provinz überschwemmten (611 143). Sein +Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus +Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel +gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer +Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem mühsam abgeschlagenen Sturm auf +das römische Lager sah er sich genötigt, auf das römische Gebiet +zurückzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber seine Truppen +nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere plötzlich sich verliefen, mußte +auch er nach Lusitanien zurückkehren (612 142). Im nächsten Jahre (613 141) +ergriff Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und +Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrückend, eine Menge Ortschaften. +Eine große Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die Führer - es waren deren +gegen 500 - wurden hingerichtet, den aus römischem Gebiet zum Feinde +Übergegangenen die Hände abgehauen, die übrige Masse in die Sklaverei verkauft. +Aber der Spanische Krieg bewährte auch hier seine tückische Unbeständigkeit. +Das römische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane +von Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedrängt, wo es +gänzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnügte sich, wie einst +der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Pässen, mit Servilianus einen Frieden +abzuschließen, worin die Gemeinde der Lusitaner als souverän und Viriathus als +König derselben anerkannt ward. Die Macht der Römer war nicht mehr gestiegen +als das nationale Ehrgefühl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des +lästigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die +Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und Amtsnachfolger +Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit wenig zufrieden und der +Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu heimlichen Machinationen gegen den +Viriathus zu bevollmächtigen und bald ihm den offenen, unbeschönigten Bruch des +gegebenen Treuworts wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein +und durchzog das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus +vermied den Kampf mit der Übermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen +dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht bloß Caepio +den Angriff erneuerte, sondern auch das in der nördlichen Provinz inzwischen +verfügbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in Lusitanien erschien, bat +Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er ward geheißen, alle aus dem +römischen Gebiet zu ihm übergetretenen Leute, darunter seinen eigenen +Schwiegervater, an die Römer auszuliefern; es geschah, und die Römer ließen +dieselben hinrichten oder ihnen die Hände abhauen. Allein es war damit nicht +genug; nicht auf einmal pflegten die Römer den Unterworfenen anzukündigen, was +über sie verhängt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer der folgende +unerträglicher als die vorhergehenden, erging an die Lusitaner, und schließlich +ward sogar die Auslieferung der Waffen von ihnen gefordert. Da gedachte +Viriathus abermals des Schicksals seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen +lassen, und griff aufs neue zum Schwert, aber zu spät. Sein Schwanken hatte in +seiner nächsten Umgebung die Keime des Verrats gesät; drei seiner Vertrauten, +Audas, Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Möglichkeit, jetzt +noch zu siegen, erwirkten von dem König die Erlaubnis, noch einmal mit Caepio +Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, und benutzten sie, um gegen Zusicherung +persönlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben des lusitanischen +Helden den Fremden zu verkaufen. Zurückgekehrt in das Lager, versicherten sie +den König des günstigsten Erfolgs ihrer Verhandlungen und erdolchten die Nacht +darauf den Schlafenden in seinem Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen +Mann durch eine Totenfeier ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die +Leichenspiele fochten; höher noch dadurch, daß sie den Kampf nicht aufgaben, +sondern an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn +ernannten. Kühn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Römern Sagunt +zu entreißen; allein der neue Feldherr besaß weder seines Vorgängers weise +Mäßigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition scheiterte völlig, und auf +der Rückkehr ward das Heer bei dem Übergang über den Baetis angegriffen und +genötigt, sich unbedingt zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von +Fremden wie von Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien +bezwungen. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +2 Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, +daß Viriathus’ Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. +61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und daß er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p. 110 u. +a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63), zehn (Iust. +44, 2), elf (Diod. p. 597), fünfzehn (Liv. 54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4; +Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz +hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus’ Auftreten sowohl +bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die +Zerstörung von Korinth angeknüpft wird. Von den römischen Statthaltern, mit +denen sich Viriathus schlug, gehören ohne Zweifel mehrere der nördlichen +Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht ausschließlich in der +südlichen tätig war (Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen +die Zahl der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +Während die südliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht +ward, war nicht ohne deren Zutun in der nördlichen bei den keltiberischen +Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus’ +glänzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen +die Römer sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur +Ablösung des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius +Metellus nicht nach der südlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer +sich wandte. Auch gegen sie bewährte er, namentlich während der Belagerung der +für unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tüchtigkeit, die er bei +der Überwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte; nach +zweijähriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die nördliche Provinz zum +Gehorsam zurückgebracht. Nur die beiden Städte Termantia und Numantia hatten +noch den Römern die Tore nicht geöffnet; auch mit diesen aber war die +Kapitulation fast schon abgeschlossen und der größte Teil der Bedingungen von +den Spaniern erfüllt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff +auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den Besitz des +wohlgeführten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem kühnen Megaravicus +den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen +Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius übernahm, war viermal so stark als +die gesamte waffenfähige Bevölkerung von Numantia. Allein der völlig +kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Städte so harte +Niederlagen (613, 614 141, 140), daß er endlich es vorzog, den Frieden, den er +nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muß +ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte der +römische Feldherr ihre Gefangenen zurück und forderte die Gemeinde unter dem +geheimen Versprechen günstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade +zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges müde, gingen darauf ein, und der +Feldherr beschränkte in der Tat seine Forderungen auf das möglichst geringe +Maß. Gefangene, Überläufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene +Geldsumme größtenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus +Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf +fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden +Verantwortung für den nach römischen Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen, +den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloß zu brechen, sondern zu verleugnen und, +als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen +Offizieren ins Gesicht den Abschluß des Vertrages einfach in Abrede zu stellen. +Die Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; während dort +darüber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschäftigte sich +Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus +beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern +benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam, lautete sie +auf Fortsetzung des Krieges - man beteiligte sich also von Staats wegen an dem +Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwächtem Mut und erhöhter Erbitterung +nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; Laenas focht unglücklich gegen sie +und nicht minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die +Katastrophe führten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als die +schlaffe und elende Kriegszucht der römischen Feldherrn und die Folge +derselben, die von Jahr zu Jahr üppiger wuchernde Liederlichkeit, +Zuchtlosigkeit und Feigheit der römischen Soldaten. Das bloße, überdies falsche +Gerücht, daß die Kantabrer und Vaccäer zum Entsatz von Numantia heranrückten, +bewog das römische Heer, ungeheißen in der Nacht das Lager zu räumen, um sich +in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior angelegten Verschanzungen zu bergen. +Die Numantiner, von dem Aufbruch in Kenntnis gesetzt, drängten der fliehenden +Armee nach und umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der +Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten +Bedingungen Frieden zu schließen. Mehr als der Konsul, der persönlich ein +Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius Gracchus, der +als Quästor im Heere diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der +Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, daß die Numantiner +sich mit einem billigen, von allen Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag +genügen ließen. Allein der Senat rief nicht bloß den Feldherrn sofort zurück, +sondern ließ auch nach langer Beratung bei der Bürgerschaft darauf antragen, +den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heißt, ihm die +Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafür auf diejenigen +abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen hätten dies sämtliche +Offiziere sein müssen, die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und +die übrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht +den Kreisen der höchsten Aristokratie angehörte, ward bestimmt, für eigene und +fremde Schuld zu büßen. Seiner Insignien entkleidet, ward der römische Konsular +zu den feindlichen Vorposten geführt, und da die Numantiner ihn anzunehmen +verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig anzuerkennen, +stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Hände auf den Rücken +gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia, Freunden und Feinden ein +klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus’ Nachfolger, seinen Kollegen +im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus, schien die bittere Lehre völlig verloren. +Während die Verhandlungen über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff +er unter nichtigen Vorwänden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie +Volk der Vaccäer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der +jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluß befahl +ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er, unter dem Vorwand, +daß die Umstände inzwischen sich geändert hätten, die Belagerung fort. Dabei +war er als Soldat gerade so schlecht wie als Bürger; nachdem er so lange vor +der großen und festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen +Land die Zufuhr ausgegangen war, mußte er mit Zurücklassung aller Verwundeten +und Kranken den Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die +Hälfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh +abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene römische Heer +wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Dafür ward denn dem hochgeborenen +General bei seiner Heimkehr eine Geldbuße auferlegt. Seine Nachfolger Lucius +Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder +gegen die Numantiner Krieg zu führen, und da sie eben gar nichts taten, kamen +sie glücklich ohne Niederlage heim. Selbst die römische Regierung fing endlich +an einzusehen, daß man so nicht länger fortfahren könne; man entschloß sich, +die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt außerordentlicherweise dem +ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu übertragen. Die Geldmittel zur +Kriegführung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit zugemessen und +die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei +Koterieintrigen und die Furcht, der souveränen Bürgerschaft lästig zu werden, +zusammengewirkt haben mögen. Indes begleitete ihn freiwillig eine große Anzahl +von Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor +einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestützt auf +diese zuverlässige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward, begann +Scipio das tief zerrüttete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen +mußte der Troß das Lager räumen - es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine +Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten +unbrauchbar war, mußte er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten +Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnügte sich, +die Vorräte in der Umgegend zu vernichten und die Vaccäer, die den Numantinern +Korn verkauften, zu züchtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu +zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; außer +dem numidischen Kontingent von Reitern, Fußsoldaten und zwölf Elefanten unter +Anführung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen Zuzügen waren es +vier Legionen, überhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit +einer waffenfähigen Bürgerschaft von höchstens 8000 Köpfen einschloß. Dennoch +boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl erkennend, daß +die vieljährige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, +verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei den Ausfällen der Belagerten +dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum durch das persönliche Erscheinen des +Feldherrn gehemmte Flucht der Legionäre diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein +Feldherr seine Soldaten verächtlicher behandelt als Scipio die numantinische +Armee; und nicht bloß mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat +bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal führten die Römer, wo es nur +auf sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings +um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang +ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Türmen und Gräben versehene +zwiefache Umwallungslinie aufgeführt und auch der Duerofluß, auf dem den +Belagerten anfangs noch durch kühne Schiffer und Taucher einige Vorräte +zugekommen waren, endlich abgesperrt. So mußte die Stadt, die zu stürmen man +nicht wagte, wohl durch Hunger erdrückt werden, um so mehr, als es der +Bürgerschaft nicht möglich gewesen war, sich während des letzten Sommers zu +verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer +kühnsten Männer, Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die +feindlichen Linien durch, und seine rührende Bitte, die Stammesgenossen nicht +hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der Arevakerstädte, in +Lutia, von großer Wirkung. Bevor aber die Bürger von Lutia sich entschieden +hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von den römisch Gesinnten in der Stadt, +mit Übermacht vor ihren Mauern und zwang die Behörden, ihm die Führer der +Bewegung, vierhundert der trefflichsten Jünglinge, auszuliefern, denen sämtlich +auf Befehl des römischen Feldherrn die Hände abgehauen wurden. Die Numantiner, +also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um über die Unterwerfung +zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der Tapferen zu schonen; allein +als die rückkehrenden Boten meldeten, daß Scipio unbedingte Ergebung verlange, +wurden sie von der wütenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloß, bis +Hunger und Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das römische +Hauptquartier eine zweite Botschaft, daß die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade +und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Bürgerschaft angewiesen wurde, +am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage Frist, um +denjenigen Bürgern, die den Untergang der Freiheit nicht zu überleben +beschlossen hätten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward ihnen gewährt, und +nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der elende Rest vor den Toren. +Scipio las fünfzig der Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe +aufzuführen; die übrigen wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden +gleichgemacht, ihr Gebiet unter die Nachbarstädte verteilt. Das geschah im +Herbst 621 (133), fünfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl übernommen +hatte. +</p> + +<p> +Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom +in der Wurzel getroffen; militärische Spaziergänge und Geldbußen reichten aus, +um die römische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur Anerkennung +zu bringen. +</p> + +<p> +Auch im jenseitigen ward durch die Überwindung der Lusitaner die römische +Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius Brutus, der an +Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen Lusitaner an in der Nähe von +Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische +Verfassung (616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen +Richtungen die iberische Westküste und gelangte zuerst von den Römern an das +Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Männern und Frauen, +hartnäckig verteidigten Städte der dort wohnenden Lusitaner wurden durch ihn +bezwungen, und die bis dahin unabhängigen Callaeker nach einer großen Schlacht, +in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der römischen Provinz vereinigt. +Nach Unterwerfung der Vaccäer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme +der Nordküste die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Römern +untertan. Eine senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen +mit Scipio das neugewonnene Provinzialgebiet römisch zu ordnen, und Scipio tat, +was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner Vorgänger zu +beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle Mißhandlung +durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit hatte ansehen +müssen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt zurückzukehren und sie +wiederaufzubauen. Es begann wiederum für Spanien eine leidlichere Zeit. Die +Unterdrückung des Seeraubes, der auf den Balearen gefährliche Schlupfwinkel +fand, durch Quintus Caecilius Metellus’ Besetzung dieser Inseln im Jahre +631 (123) war dem Aufblühen des spanischen Handels ungemein förderlich, und +auch sonst waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst +unübertroffenen Bevölkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie +zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevölkerung auf der Halbinsel +war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in den Städten Palma +und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen Inseln. Trotz mancher schwerer +Mißstände bewahrte die römische Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den +die catonische Zeit und zunächst Tiberius Gracchus ihr aufgeprägt hatten. Das +römische Grenzgebiet zwar hatte von den Überfällen der halb oder gar nicht +bezwungenen Stämme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei den +Lusitanern namentlich tat die ärmere Jugend regelmäßig sich in Räuberbanden +zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute oder die Nachbarn, +weshalb noch in viel späterer Zeit die einzeln gelegenen Bauernhöfe in dieser +Gegend festungsartig angelegt und im Notfall verteidigungsfähig waren; und es +gelang den Römern nicht, diesem Räuberwesen in den unwirtlichen und schwer +zugänglichen lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen +Kriege nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder +leidlich tüchtige Statthalter mit den gewöhnlichen Mitteln niederzuhalten +vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der Grenzdistrikte war Spanien unter +allen römischen Gebieten das blühendste und am besten organisierte Land; das +Zehntensystem und die Mittelsmänner waren daselbst unbekannt, die Bevölkerung +zahlreich und die Landschaft reich an Korn und Vieh. +</p> + +<p> +In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller Souveränität und +tatsächlicher Untertänigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und +asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Römer gegen Karthago, +Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der römischen +Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhängige Staat bezahlt den Preis seiner +Selbständigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt, +wenn es sein muß; der Staat, der die Selbständigkeit eingebüßt hat, mag +wenigstens einen Ersatz darin finden, daß der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor +seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder Selbständigkeit +noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsächlich ein +ewiger Grenzkrieg. In Ägypten hatte zwar der römische Schiedsspruch den +Sukzessionsstreit der beiden Brüder Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des +Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Ägypten und von Kyrene führten +nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloß +die meisten Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch +Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der +Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und +schwere Kriege geführt zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den +Attaliden und den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso +glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen zwerghaften Fehden, und +selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem inneren +Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher +wie der Beherrschten, daß die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der +Nationen in diesen ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten hätten +einsehen müssen, daß der Staat, der nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg +führen kann und daß, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser +Staaten tatsächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz +nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Güte sich zu vergleichen oder +die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die achäische Tagsatzung von +Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt ward und ernstlich über deren +Absendung beratschlagte (601 153), so war dies einfach eine politische Posse; +der Satz, den der Führer der römisch gesinnten Partei damals aufstellte, daß es +den Achäern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Römer Krieg zu führen, +drückte, freilich mit übelklingender Schärfe, die einfache Wahrheit aus, daß +die Souveränität der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und jeder +Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin führen mußte, auch +den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer als der gegen die +Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu richten. Es ist für den +Menschen wie für den Staat keine leichte Aufgabe, in die eigene +Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des Machthabers Pflicht und Recht ist es, +entweder die Herrschaft aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden +materiellen Überlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu nötigen. Der +römische Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestürmt, +griff der Senat beständig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen, +asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten und +schlaffen Weise, daß durch diese Schlichtungsversuche die Verwirrung gewöhnlich +nur noch ärger ward. Es war die Zeit der Kommissionen. Beständig gingen +Beauftragte des Senats nach Karthago und Alexandreia, an die achäische +Tagsatzung und die Höfe der vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, +inhibierten, berichteten, und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht +selten ohne Wissen und gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte +geschehen, daß Kypros, welches der Senat dem Kyrenäischen Reich zugeschieden +hatte, nichtsdestoweniger bei Ägypten blieb; daß ein syrischer Prinz den Thron +seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Römern zugesprochen +erhalten zu haben, während in der Tat ihm derselbe vom Senate ausdrücklich +abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von Rom entkommen war; ja daß +die offenkundige Ermordung eines römischen Kommissars, der im Auftrag des +Senats vormundschaftlich das Regiment von Syrien führte, gänzlich ungeahndet +hinging. Die Asiaten wußten zwar sehr wohl, daß sie nicht imstande seien, den +römischen Legionen zu widerstehen; aber sie wußten nicht minder, wie wenig der +Senat geneigt war, den Bürgern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu +erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der +Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment brachte die +Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die der Ordnung. Für die +Römer selbst aber war diese Lage der Dinge insofern bedenklich, als sie die +Nord- und Ostgrenze gewissermaßen preisgab. Ohne daß Rom unmittelbar und rasch +es zu verhindern vermochte, konnten hier, gestützt auf die außerhalb des +Bereiches der römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz +gegen die schwachen römischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer für +Rom gefährlichen und früher oder später mit ihm rivalisierenden +Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermaßen der überall +zerspaltene und nirgends einer großartigen staatlichen Entwicklung günstige +Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch erkennt man namentlich in der +Geschichte des Ostens sehr deutlich, daß in dieser Zeit die Phalanx des +Seleukos nicht mehr und die Legionen des Augustus noch nicht am Euphrat +standen. +</p> + +<p> +Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig +mögliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in römische Ämter, +was um so eher geschehen konnte, als ja die römische Provinzialverfassung +wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand des römischen Vogts +zusammenfaßte und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den Gemeinden +blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten politischen +Selbständigkeit überhaupt noch lebensfähig war, sich in der Form der +Gemeindefreiheit bewahren ließ. Zu verkennen war die Notwendigkeit dieser +administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich nur, ob der Senat dieselbe +verzögern und verkümmern, oder ob er den Mut und die Macht haben werde, das +Notwendige klar einzusehen und energisch durchzuführen. +</p> + +<p> +Blicken wir zunächst auf Afrika. Die von den Römern in Libyen gegründete +Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des Nomadenreiches +Massinissas und der Stadt Karthago. Während jenes unter Massinissas +durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte, befestigte und +zivilisierte, ward auch Karthago durch die bloßen Folgen des Friedensstandes +wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es auf der Höhe seiner +politischen Macht gewesen war. Die Römer sahen mit übelverhehlter, neidischer +Furcht die, wie es schien, unverwüstliche Blüte der alten Nebenbuhlerin; hatten +sie bisher den beständig fortgesetzten Übergriffen Massinissas gegenüber +derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu +Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreißig Jahren +zwischen der Stadt und dem König schwebende Streit über den Besitz der +Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des +karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von römischen Kommissarien +dahin entschieden, daß die Karthager die noch in ihrem Besitz verbliebenen +emporitanischen Städte zu räumen und als Entschädigung für die widerrechtliche +Nutzung des Gebiets 500 Talente (860000 Taler) an den König zu zahlen hätten. +Die Folge war, daß Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks +an der Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der großen +Felder am Bagradas, bemächtigte; den Karthagern blieb nichts übrig, als +abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozeß anhängig zu machen. Nach langem und +ohne Zweifel absichtlichem Zögern erschien in Afrika eine zweite Kommission +(597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne genaue vorgängige +Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu fällenden Schiedsspruch nicht +unbedingt kompromittieren wollten, sondern auf eingehender Erörterung der +Rechtsfrage bestanden, kehrten die Kommissare ohne weiteres wieder zurück nach +Rom. Die Rechtsfrage zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; +aber die Sendung führte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser +Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der +einflußreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege +noch von dem vollen Pönerhaß und der vollen Pönerfurcht durchdrungen. Betroffen +und mißgünstig hatte dieser mit eigenen Augen den blühenden Zustand der +Erbfeinde Roms, die üppige Landschaft und die wogenden Gassen, die gewaltigen +Waffenvorräte in den Zeughäusern und das reiche Flottenmaterial geschaut; schon +sah er im Geiste einen zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom +verwenden. In seiner ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise +kam er zu dem Ergebnis, daß Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago +vom Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese +Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer der +Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmerlichen Politik mit +großem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse vor einer +Kaufstadt, deren phönikische Bewohner mehr und mehr der kriegerischen Künste +und Gedanken sich entwöhnten, und die vollkommene Verträglichkeit der Existenz +dieser reichen Handelsstadt mit der politischen Suprematie Roms. Selbst die +Umwandlung Karthagos in eine römische Provinzialstadt wäre ausführbar, ja, +verglichen mit dem gegenwärtigen Zustand, den Phönikern selbst vielleicht nicht +unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, sondern +den Untergang der verhaßten Stadt. Seine Politik fand, wie es scheint, +Bundesgenossen teils an den Staatsmännern, die geneigt waren, die überseeischen +Gebiete in unmittelbare Abhängigkeit von Rom zu bringen, teils und vor allem an +dem mächtigen Einfluß der römischen Bankiers und Großhändler, denen nach der +Vernichtung der reichen Geld- und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen +mußte. Die Majorität beschloß, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine +solche abzuwarten forderte die Rücksicht auf die öffentliche Meinung - den +Krieg mit Karthago oder vielmehr die Zerstörung der Stadt zu bewirken. +</p> + +<p> +Die gewünschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden +Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Römer brachten in Karthago +den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Führer der Patriotenpartei, +welche, ähnlich der achäischen, zwar nicht daran dachte, gegen die römische +Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens die den Karthagern vertragsmäßig +zustehenden Rechte gegen Massinissa, wenn nötig mit den Waffen, zu verteidigen +entschlossen war. Die Patrioten ließen vierzig der entschiedensten Anhänger +Massinissas aus der Stadt verbannen und das Volk schwören, ihnen unter keiner +Bedingung je die Rückkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen +die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein starkes +Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154). Massinissa indes +war klug genug, jetzt nicht zu rüsten, sondern sich wegen des streitigen +Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch der Römer zu unterwerfen; und +so konnte man römischerseits mit einigem Schein behaupten, daß die +karthagischen Rüstungen gegen die Römer gerichtet sein müßten, und auf +sofortige Entlassung des Heeres und Vernichtung der Flottenvorräte dringen. Der +karthagische Rat wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die +Ausführung des Beschlusses, und die römischen Boten, die diesen Bescheid nach +Karthago überbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen +Sohn Gulussa nach Rom, um über die fortdauernden Vorbereitungen Karthagos für +den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und die Kriegserklärung zu +beschleunigen. Nachdem noch einmal eine Gesandtschaft von zehn Männern es +bestätigt hatte, daß in Karthago in der Tat gerüstet werde (602 152), verwarf +der Senat zwar die unbedingte Kriegserklärung, die Cato begehrte, beschloß aber +in geheimer Sitzung, daß der Krieg erklärt sein solle, wenn die Karthager sich +nicht dazu verstehen würden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu +verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen. Massinissa +hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter Geleitschaft seines Sohnes +Gulussa nach der Stadt zurückgesandt. Da die Karthager diesen die Tore +schlossen, auch von den abziehenden Numidiern einige erschlugen, setzte +Massinissa seine Truppen in Bewegung, und auch die karthagische Patriotenpartei +machte sich kampffertig. Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, +war einer der gewöhnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren +zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein Theaterkönig +und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war der eitle und +schwerfällige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen in einer Bedrängnis, +die vielleicht selbst Hamilkars Geist und Hannibals Arm nicht mehr hätten +abwenden können. Vor den Augen des Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun +in der spanischen Armee, an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn +afrikanische Elefanten zuzuführen, und der bei dieser Gelegenheit von einem +Berge herab “wie Zeus vom Ida” der Schlacht zuschaute, lieferten +die Karthager und die Numidier sich ein großes Treffen, in welchem jene, obwohl +durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugeführte +numidische Reiter verstärkt und an Zahl dem Feinde überlegen, dennoch den +kürzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager gegen +Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf +ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein an der Weigerung der +karthagischen Patrioten, die Überläufer auszuliefern, scheiterte das +Friedensgeschäft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen des +Gegners, wurde genötigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung +der Überläufer, Rückkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem +Joch, Zahlung von jährlich 100 Talenten (155000 Talern) für die nächsten +fünfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht +gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der +Heimkehr von ihnen zusammengehauen. +</p> + +<p> +Die Römer, die sich wohl gehütet hatten, den Krieg selbst durch zeitige +Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wünschten: einen +brauchbaren Kriegsgrund - denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen +römische Bundesgenossen noch außerhalb der eigenen Grenzen Krieg zu führen, +waren jetzt allerdings von den Karthagern übertreten worden - und einen bereits +im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom +gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die +Kriegserklärung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag +abzuwenden. Die Führer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum +Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die +Verantwortung zu wälzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der zweiten +Stadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde +den Römern völlig zu eigen zu geben - mit dieser zuvorkommenden Unterwürfigkeit +verglichen, schien es fast Trotz, daß die Karthager sich begnügt hatten, die +Hinrichtung ihrer angesehensten Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat +erklärte, daß die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf +die Frage, was denn genügen werde, hieß es, das sei den Karthagern ja bekannt. +Freilich konnte man es wissen, was die Römer wollten; allein es schien doch +wieder unmöglich zu glauben, daß nun wirklich für die liebe Heimatstadt die +letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen karthagische Sendboten, diesmal +ihrer dreißig und mit unbeschränkter Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war +bereits der Krieg erklärt (Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer +eingeschifft; doch versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollständige +Unterwerfung zu beschwören. Der Senat beschied sie, daß Rom bereit sei, der +karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr Landrecht, +ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantieren, wofern sie den soeben nach +Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in Lilybäon 300 Geiseln aus +den Kindern der regierenden Familien stellen und die weiteren Befehle erfüllen +würden, die ihnen die Konsuln nach ihrer Instruktion würden zugehen lassen. Man +hat den Bescheid zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals +klarblickende Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daß alles, was +man nur begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und +daß keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu +sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat verfuhr mit +furchtbarer Härte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab er sich nicht. +Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich kein Staatsmann, der die +haltlose städtische Menge entweder zum vollen Widerstand oder zur vollen +Resignation zu bewegen vermocht hätte. Als man zugleich das entsetzliche +Kriegsdekret und die erträgliche Geiselforderung vernahm, fügte man zunächst +sich dieser und hoffte weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was +es heiße, sich der Willkür eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die +Konsuln sandten die Geiseln von Lilybäon zurück nach Rom und beschieden die +karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand +geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt. Als im +Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago erschien, um die +weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die Konsuln zunächst die +Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der Karthager, wer sie sodann auch nur +gegen ihre eigenen Ausgewanderten, gegen die auf 20000 Mann angeschwollene +Armee des dem Todesurteil durch die Flucht entronnenen Hasdrubal beschützen +solle, ward ihnen erwidert, daß dies die Sorge der Römer sein werde. Gehorsam +erschien demnach der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, +allen Kriegsvorräten der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz +befindlichen Waffen - man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000 volle Rüstungen +- und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob sich der Konsul +Lucius Marcius Censorinus und eröffnete dem Rat, daß in Gemäßheit der vom Senat +erlassenen Instruktion die bisherige Stadt zerstört werden müsse, den Bewohnern +aber freistehe, sich wo sie sonst wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens +zwei deutsche Meilen vom Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser +fürchterliche Befehl rüttelte in den Phönikern die ganze, soll man sagen +hochherzige oder wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen +Alexander und später die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die +Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen vermochte, +ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und Freiheit handelte, +sondern um den eigenen, geliebten Boden der Vaterstadt und die altgewohnte +teure Meeresheimat, die rasende Empörung der kaufmännischen und seefahrenden +Bevölkerung. Von Hoffnung und Rettung konnte nicht die Rede sein; der +politische Verstand gebot ohne Frage auch jetzt sich zu fügen - aber die Stimme +der wenigen, welche mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl +wie der Ruf des Fährmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die +in ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff, +welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils die +unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt heimzukehren +gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten ließ, teils die zufällig in der +Stadt verweilenden Italiker zerriß, um wenigstens an diesen die Rache +vorwegzunehmen für die Vernichtung der Heimat. Man beschloß nicht sich zu +wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies von selbst. Die Tore wurden +geschlossen, auf die von Wurfgeschossen entblößten Mauerzinnen Steine +geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal, den Tochtersohn Massinissas, +übertragen, die Sklaven sämtlich frei erklärt. Das Emigrantenheer unter dem +flüchtigen Hasdrubal, das mit Ausnahme der von den Römern besetzten Städte an +der Ostküste, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt +Utica, das ganze karthagische Gebiet innehatte und für die Verteidigung eine +unschätzbare Stütze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in dieser +höchsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt phönikischer +Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der Demut versteckend, +den Feind zu täuschen. Es ging eine Botschaft an die Konsuln, um dreißigtägigen +Waffenstillstand zur Absendung einer Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die +Karthager wußten wohl, daß die Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte +weder gewähren wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestärkt +in der natürlichen Voraussetzung, daß nach dem ersten Ausbruch der Verzweiflung +die gänzlich wehrlose Stadt sich fügen werde, und verschoben deshalb den +Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt, um Wurfgeschütze und Rüstungen +herzustellen; Tag und Nacht ward ohne Unterschied des Alters und Geschlechts an +Maschinen und Waffen gezimmert und gehämmert; um Balken und Metall zu erlangen, +wurden die öffentlichen Gebäude niedergerissen; um die für die Wurfgeschütze +unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar; in +unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Männer wieder bewehrt. Daß +dies alles geschehen konnte, ohne daß die wenige Meilen entfernten Konsuln +etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten wunderbare Zug in dieser +wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja dämonischen Volkshaß getragenen +Bewegung. Als endlich die Konsuln, des Wartens müde, aus dem Lager bei Utica +aufbrachen und bloß mit Leitern die nackten Mauern ersteigen zu können meinten, +fanden sie mit Staunen und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten +gekrönt und die große volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken +zu besetzen gehofft hatte, fähig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu +verteidigen. +</p> + +<p> +Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie durch die Kunst seiner +gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner. In den weiten +Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, östlich Kap Bon begrenzen, springt +in der Richtung von Westen nach Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten +vom Meer umflossen ist und nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhängt. +Diese Landspitze, an der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile +breit und im ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier +in den beiden Höhen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen die +Fläche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem südlichen, mit der Höhe von Sidi bu +Said abschließenden Teil derselben lag die Stadt Karthago. Der ziemlich steile +Abfall jener Höhe gegen den Golf und dessen zahlreiche Klippen und Untiefen +gaben an der Golfseite der Stadt natürliche Festigkeit, und es genügte hier +eine einfache Umwallung. Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo +die Natur keinen Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige +Befestigungskunst vermochte. Sie bestand, wie die kürzlich aufgedeckten, mit +der Beschreibung des Polybios genau übereinstimmenden Überreste gezeigt haben, +aus einer Außenmauer von 6½ Fuß Dicke und an diese hinterwärts, wahrscheinlich +in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren Kasematten, welche durch +einen 6 Fuß breiten bedeckten Gang von der Außenmauer getrennt waren und, die +jede reichlich 3 Fuß breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine +Tiefe von 11 Fuß hatten 4. Dieser ungeheure, durchaus aus mächtigen Quadern +zusammengefügte Wall erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die +mächtigen vier Stockwerke hohen Türme ungerechnet, zu einer Höhe von 45 Fuß 5 +und gewährte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung und +Futtermagazine für 300 Elefanten, in dem oberen Pferdeställe, Magazin- und +Kasernenräume 6. Der Burghügel, die Byrsa (syrisch birtha = Burg), ein +verhältnismäßig bedeutender Fels von 188 Fuß Höhe und an der Unterfläche einem +Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten 7, griff in diese Mauer an ihrem +südlichen Ende ein, ähnlich wie die Felswand des Kapitols in den römischen +Stadtwall. Die obere Fläche desselben trug den gewaltigen, auf einem Unterbau +von sechzig Stufen ruhenden Tempel des Heilgottes. Die Südseite der Stadt +bespülte teils der seichte Tunesische See im Südwesten, den eine von der +karthagischen Halbinsel südwärts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 +fast gänzlich von dem Golfe schied, teils im Südosten der offene Golf. An +dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk von +Menschenhand: der äußere oder der Handelshafen, ein längliches, die schmale +Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuß breiter Mündung nach +beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen, und der innere kreisrunde +Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das Admiralhaus tragenden Insel in der +Mitte, in den man durch den äußeren gelangte. Zwischen beiden ging die +Stadtmauer durch, die, von der Byrsa ostwärts sich wendend, die Landzunge und +den Außenhafen aus-, dagegen den Kriegshafen einschloß, so daß die Einfahrt in +den letzteren gleich einem Tor verschließbar gedacht werden muß. Unweit des +Kriegshafens lag der Marktplatz, der durch drei enge Straßen mit der nach der +Stadtseite offenen Burg verbunden war. Nördlich von und außerhalb der +eigentlichen Stadt hatte der ziemlich beträchtliche, schon zu jener Zeit +großenteils mit Landhäusern und wohlbewässerten Gärten gefüllte Raum der +heutigen El Mersa, damals Magalia genannt, eine eigene, an die Stadtmauer sich +anlehnende Umwallung. Auf der gegenüberliegenden Spitze der Halbinsel, dem +Dschebel-Khawi bei dem heutigen Dorfe Qamart, lag die Gräberstadt. Diese drei, +die Alt-, die Vor- und die Gräberstadt, füllten zusammen die ganze Breite der +Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus und waren nur zugänglich auf +den beiden Hauptstraßen nach Utica und Tunes über jene schmale Landzunge, die +zwar nicht mit einer Mauer geschlossen war, aber doch für die unter dem Schutze +der Hauptstadt und wieder zu deren Schutz sich aufstellenden Heere die +vorteilhafteste Stellung darbot. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +3 Der Zug der Küste ist im Laufe der Jahrhunderte so verändert worden, daß man +an der alten Stätte die ehemaligen Lokalverhältnisse nur unvollkommen +wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch von dem +dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in den Golf +hineinragende östliche Spitze der Halbinsel und ihr höchster 393 Fuß über dem +Meere gelegener Punkt. +</p> + +<p> +4 Die von C. E. Beulé (Fouilles à Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmaße +sind in Metern und in griechischen Fuß (1 = 0,309): +</p> + +<p> +Außenmauer +</p> + +<p> +2 Meter = 6½ Fuß +</p> + +<p> +Korridor +</p> + +<p> +9 Meter = 6 Fuß +</p> + +<p> +Vordermauer der Kasematten +</p> + +<p> +1 Meter = 3¼Fuß +</p> + +<p> +Kasemattensäle +</p> + +<p> +4,2 Meter = 14 Fuß +</p> + +<p> +Hintermauer der Kasematten +</p> + +<p> +1 Meter = 3¼Fuß +</p> + +<p> +Gesamttiefe der Mauer +</p> + +<p> +10,1 Meter = 33 Fuß +</p> + +<p> +oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1½ Fuß), +während Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, +minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die +Mauertiefe auf 30 Fuß ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, über die bisher +durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet war, ist die +Außenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der Kasematten. Daß dies +Zusammentreffen nicht zufällig ist und wir hier in der Tat die Überreste der +berühmten karthagischen Mauer vor uns haben, wird jedem einleuchten; N. +Davis’ Einwürfe (Carthage and her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, +daß gegen die wesentlichen Ergebnisse Beulés auch mit dem besten Willen wenig +auszurichten ist. Nur muß man festhalten, daß die alten Berichterstatter die +Angaben, um die es sich handelt, sämtlich nicht von der Burgmauer geben, +sondern von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Südseite +des Burghügels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu stimmt, +daß die Ausgrabungen auf dem Burghügel gegen Osten, Norden und Westen nirgends +Spuren von Befestigungen, dagegen an der Südseite eben jene großartigen +Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden, dieselben als Überreste +einer besonderen, von der Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; +weitere Grabungen in entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa +aufgefundenen Stadtmauer liegt 56 Fuß unter dem heutigen Boden - werden +vermutlich längs der ganzen Landseite gleiche oder doch ähnliche Fundamente zu +Tage fördern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt Magalia +sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von Haus aus +schwächer gewesen oder früh vernachlässigt worden ist. Wie lang die Mauer im +ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch ergibt sich, da 300 +Elefanten hier Stallung fanden und auch deren Futtermagazine und vielleicht +noch andere Räumlichkeiten sowie die Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon +hieraus eine sehr ansehnliche Längenentwicklung. Daß die innere Stadt, in deren +Mauer die Byrsa einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders +ummauerten Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117; +Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich. +</p> + +<p> +5 So rechnet Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung der +Zinnen, die Höhe auf 40 Ellen oder 60 Fuß. Der erhaltene Überrest ist noch +12-16 Fuß (4-5 Meter) hoch. +</p> + +<p> +6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen hufeisenförmigen Säle haben eine +Tiefe von 14, eine Breite von 11 griechischen Fuß; die Weite der Eingänge wird +nicht angegeben. Ob diese Maße und die Verhältnisse des Korridors ausreichen, +um in ihnen Elefantenställe zu erkennen, bleibt durch genauere Ermittlung +festzustellen. Die Zwischenmauern, die die Säle voneinander scheiden, haben die +Dicke von 1,1 Meter = 3½ Fuß. +</p> + +<p> +7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich 2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt haben +wird - 16 Stadien sind ungefähr 3000 Meter. Der Burghügel, auf dem jetzt die +Kirche des hl. Ludwig steht, mißt oben etwa 1400, auf der halben Höhe etwa 2600 +Meter im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf den unteren Umfang wird jene +Angabe recht gut auskommen. +</p> + +<p> +8 Sie trägt jetzt das Fort Goletta. +</p> + +<p> +9 Daß dieses phönikische Wort das kreisförmig ausgegrabene Bassin bezeichnet, +zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der die Griechen dasselbe +verwenden. Es paßt also nur auf den inneren Hafen Karthagos, und davon brauchen +es auch Strabon (17, 2, 14; wo es eigentlich für die Admiralinsel gesetzt ist) +und Festus (v. cothones p. 37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau +den viereckigen Vorhafen des Kothon als Teil desselben. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch +dadurch erschwert, daß teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch +immer 800 Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei größtenteils +beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Stämme +der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die +Verteidigung der Stadt zu beschränken, sondern zugleich ein zahlreiches Heer im +Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der Emigranten und der +Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von den Belagerern nicht außer +acht gelassen werden durfte. +</p> + +<p> +Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu lösen, als sie +nun doch sich genötigt sahen, die Belagerung regelrecht zu beginnen. Manius +Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein Lager der Burgmauer +gegenüber, während Lucius Censorinus mit der Flotte an dem See sich aufstellte +und dort auf der Landzunge die Operationen begann. Die karthagische Armee unter +Hasdrubal lagerte an dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo +aus sie den zum Holzfällen für den Maschinenbau ausgeschickten römischen +Soldaten ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tüchtige Reiterführer +Himilkon Phameas den Römern viele Leute tötete. Indes stellte Censorinus auf +der Landzunge zwei große Sturmböcke her und brach mit ihnen Bresche an dieser +schwächsten Stelle der Mauer; der Sturm indes mußte, da es Abend geworden, +verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten, einen großen Teil der +Bresche zu füllen und durch einen Ausfall die römischen Maschinen so zu +beschädigen, daß sie am nächsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch +wagten die Römer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die nächsten +Mauerabschnitte und Häuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig vor, daß +sie mit starkem Verlust zurückgeschlagen wurden und noch weit größere Nachteile +erlitten haben würden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den +Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern +zusammengehalten und mit ihnen die Flüchtenden aufgenommen hätte. Noch viel +weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die +Belagerung sich in die Länge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten +Krankheiten, die Abreise des fähigeren Feldherrn Censorinus, endlich die +Verstimmung und Untätigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Römer sehr +ungern die längst begehrte Beute für sich selber nehmen sah, und der bald +darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjährigen Königs brachten die +Offensivoperationen der Römer völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um +ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander und ihr Lager gegen die +nächtlichen Überfälle zu schützen und durch Anlegung eines Hafenkastells und +Streifzüge in die Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei +gegen Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste +hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer +förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für den Feldherrn wie +für das Heer verlief, so glänzend tat der Kriegstribun Scipio darin sich +hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager, +mit einigen Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend, +ihn zum Umkehren nötigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem +Flußübergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben +des Heeres geworden wäre, durch einen verwegenen Seitenangriff dem +rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung +durch seinen aufopfernden Heldenmut. Während die übrigen Offiziere, der Konsul +vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Städte und +Parteiführer zurückschreckten, gelang es Scipio, einen der tüchtigsten von +diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Übertritt zu bestimmen. Endlich, +nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter dessen drei +Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, +führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen Reiterführer dem römischen +Heer zu und half damit dem bisher empfindlich gefühlten Mangel an leichter +Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen +leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den +Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen. +Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor +seinem Tode - er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch seines +Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfüllt gesehen zu haben - auf den jungen +Offizier und seine unfähigen Kameraden die Homerische Zeile an: “Einzig +er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten ^10.” +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^10 Οιος πέπυται, τοί δέ σκιαί αίσσουσιν. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Über diese Vorgänge war der Jahresschluß und damit der Kommandowechsel +herangekommen: ziemlich spät erschien der Konsul Lucius Piso (606 148) und +übernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den der Flotte. +Indes, hatten die Vorgänger wenig geleistet, so geschah nun gar nichts. Statt +mit der Belagerung Karthagos oder der Überwindung der Armee Hasdrubals +beschäftigte Piso sich damit, die kleinen phönikischen Seestädte anzugreifen +und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel Clupea ihn zurückschlug und +er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und +das Belagerungsgerät ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen +mußte. Neapolis ward zwar genommen; aber die Plünderung der Stadt gegen das +gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der römischen Waffen nicht sonderlich +günstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit +800 Pferden zu ihnen über; karthagische Gesandte konnten es versuchen, mit den +Königen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von +Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwürfnisse - +Hasdrubal der Emigrant verdächtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der +Stadt befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und ließ ihn im +Rathause erschlagen - als die Tätigkeit der Römer verhinderten eine für +Karthago noch günstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem +besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der +außerordentlichen Maßregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den libyschen +Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst für diesen Krieg +empfahl, dem Scipio, statt der Ädilität, um die er eben sich bewarb, mit +Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch +besonderen Beschluß die Führung des Afrikanischen Krieges zu übertragen. Er +traf (607 147) in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. +Der römische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der +Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten +Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugänglichen +Seite der Außenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche +Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die Außenstadt +eindringen zu können. In der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick +innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war der Lagertroß in der +Hoffnung auf Beute in Masse herbeigeströmt, als sie wieder auf die Klippe +zurückgedrängt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der größten +Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte +er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem +bedrohten Punkt, und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe +selbst zu behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr +sich in das Lager Pisos, um das Heer zu übernehmen und nach Karthago +zurückzuführen. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr +Lager unmittelbar an die Stadt zu rücken und den Angriff auf die Besatzung der +Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem +Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu +leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen +Dingen säuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender +und zog die erschlafften Zügel der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen +auch die militärischen Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem +nächtlichen Angriff auf die Außenstadt gelangten von einem Turme aus, der den +Mauern an Höhe gleich vor denselben stand, die Römer auf die Zinnen und +öffneten ein Pförtchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben +die Außenstadt und das Lager vor den Toren auf und übertrugen den Oberbefehl +über die auf 30000 Mann sich belaufende städtische Besatzung an Hasdrubal. Der +neue Kommandant bewies seine Energie zuvörderst dadurch, daß er sämtliche +römische Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des +Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stürzen ließ; und als +hierüber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die Bürger die +Schreckensherrschaft eingeführt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt +auf sich selber beschränkt hatte, ihr den Verkehr nach außen hin völlig +abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdrücken, durch den +die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhängt, und schlug hier +trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu stören, ein großes, +diesen Rücken in seiner ganzen Breite schließendes Lager, das die Stadt nach +der Landseite hin vollständig absperrte. Indes liefen noch immer +Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kühne Kauffahrer, die der hohe Gewinn +lockte, teils Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen +Sees aus jeden günstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu +bringen; wie auch daselbst die Bürgerschaft schon litt, die Besatzung war noch +hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und +Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuß Breite, um damit die +Hafenmündung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen dieses +anfangs von den Karthagern als unausführbar verspotteten Unternehmens offenbar +ward. Aber eine Überraschung machte die andere wett. Während die römischen +Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate +lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne daß selbst die Überläufer zu sagen wußten, +was die Belagerten beabsichtigten. Plötzlich, als eben die Römer mit der +Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fünfzig +karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kähne hinaus in den Golf -die +Karthager hatten, während die Feinde die alte Hafenmündung gegen Süden +sperrten, durch einen in östlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen +Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmöglich +gesperrt werden konnte. Hätten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu +begnügen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und völlig +unvorbereitete römische Flotte gestürzt, so war diese verloren; als sie am +dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Römer +gerüstet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rückfahrt aber stopften +sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der Hafenmündung, daß der +dadurch entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun +seine Angriffe auf den äußeren Hafenkai, welcher außerhalb der Stadtmauern lag +und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall notdürftig geschützt war. Die +Maschinen wurden auf der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht +gemacht; aber mit beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die +Untiefen durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die +Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, daß Scipio seine eigenen Reiter +auf sie einhauen lassen mußte, und zerstörten die Maschinen. Auf diese Weise +gewannen sie Zeit, die Bresche zu schließen. Scipio stellte indes die Maschinen +wieder her und schoß die Holztürme der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und +damit den Außenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Höhe +gleichkommender Wall wurde hier aufgeführt, und es war jetzt endlich die Stadt +von der Land- wie von der Seeseite vollständig abgesperrt, da man nur durch den +äußeren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollständig zu sichern, +ließ Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius +Laelius angreifen; durch eine glückliche Kriegslist ward es erobert und die +ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getötet oder gefangen. Darüber +war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem +Hunger und den Seuchen überlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar +die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, +während Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so +wie im Frühling 608 (146) das römische Heer zum Angriff gegen die innere Stadt +überging. Hasdrubal ließ den Außenhafen anzünden und machte sich bereit, den +auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter +aufwärts die von der ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu +übersteigen und so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war +erobert, aber der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an +den kleinen Hafen anstoßenden Markt und drangen in den drei schmalen, von +diesem nach der Burg zu führenden Straßen langsam vor - langsam, denn von den +gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Häusern mußte eines nach dem andern +erstürmt werden; auf den Dächern oder auf über die Straße gelegten Balken drang +der Soldat von einem dieser festungsähnlichen Gebäude in das benachbarte oder +gegenüberstehende vor und stieß nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen +sechs Tage, schreckliche für die Bewohner der Stadt und auch für die Angreifer +voll Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den +sich Hasdrubal und die noch übrige Mannschaft zurückgezogen hatten. Um einen +breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten Straßen anzuzünden +und den Schutt zu planieren, bei welcher Veranlassung eine Menge in den Häusern +versteckter kampfunfähiger Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der +Burg zusammengedrängte Rest der Bevölkerung um Gnade. Das nackte Leben ward +ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Männer und 25000 +Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevölkerung. Einzig die römischen +Überläufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal mit seiner Gattin und +seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel des Heilgottes geworfen: für +sie, für die desertierten Soldaten wie für den Mörder der römischen Gefangenen, +gab es keinen Vertrag. Aber als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten +unter ihnen den Tempel anzündeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge +zu sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefällig um sein Leben. Es +ward ihm gewährt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter den +übrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Füßen Scipios erblickte, +schwoll ihr das stolze Herz über diese Schändung der teuren untergehenden +Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu +schonen, stürzte sie erst die Söhne und dann sich selber in die Flammen. Der +Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die +Edelsten des Volkes schämten im stillen sich der neuesten Großtat der Nation. +Die Gefangenen wurden größtenteils zu Sklaven verkauft; einzelne ließ man im +Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als römische +Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das bewegliche +Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk, ward den Soldaten +zur Plünderung preisgegeben; von den Tempelschätzen ward die in besseren Zeiten +von Karthago aus den sizilischen Städten weggeführte Beute diesen +zurückgestellt, wie zum Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das +übrige, fiel an den römischen Staat. +</p> + +<p> +Indes noch stand die Stadt zum bei weitem größten Teil. Es ist glaublich, daß +Scipio die Erhaltung derselben wünschte; wenigstens richtete er deswegen noch +eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die +Forderungen der Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der +Senat befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Außenstadt Magalia dem +Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit +Karthago gehalten; sodann über den Boden Karthagos den Pflug zu führen, um der +Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und Boden auf +ewige Zeiten zu verwünschen, also daß weder Haus noch Kornfeld je dort +entstehen möge. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn Tage brannten die Ruinen; +als vor kurzem die Überreste der karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, +fand man sie bedeckt mit einer vier bis fünf Fuß tiefen, von halb verkohlten +Holzstücken, Eisentrümmern und Schleuderkugeln erfüllten Aschenlage. Wo die +fleißigen Phöniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt hatten, +weideten fortan römische Sklaven die Herden ihrer fernen Herren. Scipio aber, +den die Natur zu einer edleren als zu dieser Henkerrolle bestimmt hatte, sah +schaudernd auf sein eigenes Werk, und statt der Siegesfreude erfaßte den Sieger +selber die Ahnung der solcher Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung. +</p> + +<p> +Es blieb noch übrig, für die künftige Organisation der Landschaft die +Einrichtungen zu treffen. Die frühere Weise, mit den gewonnenen überseeischen +Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt. Micipsa +und seine Brüder behielten im wesentlichen ihr bisheriges Gebiet mit Einschluß +der kürzlich am Bagradas und in Emporia den Karthagern entrissenen Distrikte; +die lange genährte Hoffnung, Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward für +immer vereitelt; dafür verehrte ihnen der Senat die karthagischen +Büchersammlungen. Die karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt +besessen hatte, das heißt der schmale, Sizilien zunächst gegenüberliegende +Küstenstrich von Afrika, vom Tuscafluß (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel +Kerkena gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnenland, wo die +übergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwährend weiter +beschränkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Königen gehörten, blieb den +Numidiern, was sie besaßen. Allein die sorgfältige Regulierung der Grenze +zwischen der römischen Provinz und dem auf drei Seiten dieselbe einschließenden +numidischen Königreich zeugte davon, daß Rom gegen sich keineswegs dulden +werde, was es gegen Karthago verstattet hatte; wogegen der Name der neuen +Provinz, Africa, andererseits darauf hinzudeuten schien, daß Rom die +gegenwärtig abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. +Die Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer Statthalter, dessen +Sitz Utica wurde. Einer regelmäßigen Grenzverteidigung bedurfte dieselbe nicht, +da das verbündete Numidische Reich sie überall von den Bewohnern der Wüste +schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im ganzen mit Milde. Diejenigen +Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf seiten der Römer gestanden hatten - +es waren dies nur die Seestädte Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, +Achulla, Usalis und die Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden +Freistädte; dasselbe Recht empfing die neugegründete Gemeinde der Überläufer. +Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten Striches, +und das der übrigen zerstörten Ortschaften ward römisches Domanialland, welches +man durch Verpachtung verwertete. Die übrigen Ortschaften verloren gleichfalls +dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und ihre städtischen Freiheiten; doch wurde +ihnen ihr Acker und ihre Verfassung bis auf weitere Anordnung der römischen +Regierung vorläufig als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die +Gemeinden für die Nutzung des römisch gewordenen Bodens jährlich nach Rom eine +ein für allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits +mittels einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen +wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstörung der ersten +Handelsstadt des Westens waren die römischen Kaufleute, welche, sowie Karthago +in Asche lag, scharenweise nach Utica strömten und von dort aus nicht bloß die +römische Provinz, sondern auch die bis dahin ihnen verschlossenen numidischen +und gätulischen Landschaften auszubeuten begannen. +</p> + +<p> +Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe der +Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des +römischen Senats das alte Königreich zerstückelt hatte, konnten in sich und +untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein +einzelner, zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat +einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos +ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch +die nach griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden +Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151), vermochten einen +leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien plötzlich in Thrakien ein junger +Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des Königs Perseus, welchem er +auffallend glich, und der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der +mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise +seiner hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem +vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich an +seiner Mutter Bruder, König Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich +in der Tat einige Männer, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben +und den König bestürmten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich +wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf Demetrios, um +dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Prätendenten festnahm und den Römern +zuschickte. Indes der Senat achtete des Menschen so wenig, daß er ihn in einer +italischen Stadt konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. +So war er nach Milet entflohen, wo die städtischen Behörden ihn abermals +aufgriffen und bei römischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen +machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt versuchte +er denn weiter in Thrakien sein Glück; und wunderbarerweise fand er hier +Anerkennung und Unterstützung, nicht bloß bei den thrakischen Barbarenfürsten +Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den +klugen Byzantiern. Mit thrakischer Unterstützung drang der sogenannte Philipp +in Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald +einen Sieg über das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des +Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von +ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzählung klang und so +entschieden es feststand, daß der echte Philippos Perseus’ Sohn achtzehn +Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger als ein +makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker Andriskos sei, so war +man doch in Makedonien der Königsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der +Legitimitätsfrage sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis +wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den Thessalern, daß der Prätendent in +ihr Gebiet eingerückt sei; der römische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, +daß das erste ernste Wort dem törichten Beginnen ein Ende machen werde, vom +Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, mußte die achäische und +pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achäern Thessalien gegen die +Übermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Prätor Juventius mit +einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen Streitmacht die +Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und +Thessalien geriet zum größten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der +sein Regiment hier und in Makedonien in grausamer und übermütiger Weise +handhabte. Endlich betrat ein stärkeres römisches. Heer unter Quintus Caecilius +Metellus den Kampfplatz und drang, unterstützt durch die pergamenische Flotte, +in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier +die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen +Heer ein, und der Fehler des Prätendenten, sein Heer zu teilen und die eine +Hälfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Römern einen leichten +und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos flüchtete nach Thrakien zu dem +Häuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine +Auslieferung erlangte. +</p> + +<p> +Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Prätendenten nicht +freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt gewichen. Nach der +bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor, den Makedoniern den Schatten +von Selbständigkeit zu nehmen, den die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen +hatte; dennoch wurde das Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von +Metellus in eine römische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, daß +die römische Regierung ihr System geändert und das Klientel- durch das +Untertanenverhältnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die +Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen Kreise der +Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag empfunden. Die früher +nach den ersten römischen Siegen von Makedonien abgerissenen Besitzungen in +Epeiros, die Ionischen Inseln und die Häfen Apollonia und Epidamnos, welche +bisher zu dem italischen Beamtensprengel gehört hatten, wurden jetzt wieder mit +Makedonien vereinigt, so daß dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im +Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die +Schutzherrlichkeit, die Rom über das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, +von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die +Einigkeit zurück und auch ungefähr wieder die Grenzen, wie es sie in seiner +blühendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine +einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher +Organisation, jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen +auch wohl auf den Landesmünzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer +blieb die alte mäßige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von +100 Talenten (155000 Talern), die in festen Beträgen auf die einzelnen +Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen +Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung des falschen +Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn, Alexander, am Nestos +(Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann +vereinigt; allein der Quästor Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Mühe +Herr und verfolgte den fliehenden Prätendenten bis nach Dardanien (612 142). +Dies aber ist auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, +der zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so große Dinge vollbracht +hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als daß +sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der Landschaft +(608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zählen. +</p> + +<p> +Fortan waren es die Römer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und +Ostgrenzen, das heißt der Grenze der hellenischen Zivilisation gegen die +Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulänglichen Streitkräften und im +ganzen nicht mit der gebührenden Energie geführt; doch ist zunächst für diesen +militärischen Zweck die große Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon +zu Polybios’ Zeit von den beiden Haupthäfen an der Westküste, Apollonia +und Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, später noch +weiter bis an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die +natürliche Basis teils für die Züge gegen die unruhigen Dalmater, teils für die +zahlreichen Expeditionen gegen die nordwärts der griechischen Halbinsel +ansässigen illyrischen, keltischen und thrakischen Stämme, die später in ihrem +geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^11 Als Handelsstraße zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als +diejenige nämlich, in deren Mitte die kerkyräischen Weinkrüge den thasischen +und lesbischen begegnen, kennt diese Straße schon der Verfasser der +pseudo-aristotelischen Schrift ‘Von den merkwürdigen Dingen’. Auch +heute noch läuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die +Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida (Lychnitis) +durchschneidend, über Monastir nach Saloniki. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst der +herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der +Ansicht sein, daß daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im +Verschwinden und die Verhältnisse überhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. +Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der Ätoler, +Mnasippos der Böoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare Epeirote Charops, +dem selbst ehrenhafte Römer ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern +ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und +die alten Gegensätze verblaßt waren. Der römische Senat meinte die Zeit des +allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entließ im Jahre 604 (150) +die noch übrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achäischen +Patrioten, deren Freigebung die achäische Tagsatzung nicht aufgehört hatte zu +fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Römern mit all ihrem +Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich zu +versöhnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung der +Griechen zu den Attaliden. König Eumenes II. war als Römerfreund in +Griechenland im höchsten Grade verhaßt gewesen; kaum aber war zwischen ihm und +den Römern eine Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland plötzlich +populär ward; wie früher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den +Erlöser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg +in der sich selbst überlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die +soziale Zerrüttung. Das Land verödete, nicht durch Krieg und Pest, sondern +durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der höheren Stände, mit Frau +und Kindern sich zu plagen; dafür strömte wie bisher das verbrecherische oder +leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach Griechenland, um daselbst den +Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden versanken in immer tiefere +Verschuldung und in ökonomische Ehr- und die daranhängende Kreditlosigkeit; +einzelne Städte, namentlich Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot +geradezu zum Räuberhandwerk und plünderten die Nachbargemeinden aus. Auch der +innere Hader in den Bünden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den +gezwungenen Mitgliedern der Achäischen Eidgenossenschaft, war keineswegs +beigelegt. Wenn die Römer, wie es scheint, glaubten, was sie wünschten, und der +augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald erfahren, daß +die jüngere Generation in Hellas um nichts besser und um nichts klüger als die +ältere war. Die Gelegenheit, um mit den Römern Händel anzufangen, brach man +geradezu vom Zaune. +</p> + +<p> +Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige +Vorstand der Achäischen Eidgenossenschaft, Diäos, auf der Tagsatzung die +Behauptung hin, daß die den Lakedaemoniern als Glied der Achäischen +Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die Befreiung von der +achäischen Kriminaljurisdiktion und das Recht, Sondergesandtschaften nach Rom +zu schicken, ihnen keineswegs von den Römern gewährleistet seien. Es war eine +freche Lüge; allein die Tagsatzung glaubte natürlich, was sie wünschte, und da +sich die Achäer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand +wahrzumachen, gaben die schwächeren Spartaner vorläufig nach, oder vielmehr +diejenigen, deren Auslieferung von den Achäern begehrt ward, verließen die +Stadt, um als Kläger vor dem römischen Senat aufzutreten. Der Senat antwortete +wie gewöhnlich, daß er eine Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; +allein statt dieses Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta +und beide falsch, daß der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achäer, +die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen +Philippos sich mehr als je in bundesgenössischer Gleichheit und politischer +Gewichtigkeit fühlten, rückten im Jahre 606 (148) unter ihrem Strategen +Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von Metellus aufgefordert, eine +nach Asien durchpassierende römische Gesandtschaft, Frieden zu halten und die +Kommissarien des Senats zu erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei +1000 Spartaner fielen, und Sparta hätte genommen werden können, wenn Damokritos +nicht als Offizier ebenso untüchtig gewesen wäre wie als Staatsmann. Er ward +abgesetzt, und sein Nachfolger Diäos, der Anstifter all dieses Unfugs, setzte +den Krieg eifrig fort, während er gleichzeitig den gefürchteten Kommandanten +von Makedonien der vollen Botmäßigkeit der Achäischen Eidgenossenschaft +versichern ließ. Darüber erschien die lange erwartete römische Kommission, an +ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die Waffen und die achäische +Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um ihre Eröffnungen entgegenzunehmen. +Sie waren unerwarteter und unerfreulicher Art. Die Römer hatten sich +entschlossen, die unnatürliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die +achäischen Staaten wiederaufzuheben und überhaupt gegen die Achäer +durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die +ätolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen müssen; jetzt wurden sie +angewiesen auf sämtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte +Erwerbungen, das heißt auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im Peloponnes und +Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder auf den Bestand am Ende +des Hannibalischen Krieges zurückzuführen. Wie dies die achäischen Abgeordneten +vernahmen, stürmten sie sofort auf den Markt, ohne die Römer auch nur +auszuhören, und teilten die römischen Forderungen der Menge mit, worauf der +regierende und der regierte Pöbel einhellig beschloß, zu allervörderst +sämtliche in Korinth anwesende Lakedämonier festzusetzen, da ja Sparta dies +Unglück über sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der +tumultuarischsten Weise, so daß Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende +Einsperrungsgründe erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der +römischen Gesandten, um die dorthin geflüchteten Lakedaemonier festzunehmen, +und es fielen gegen die Römer harte Reden, obgleich man an ihrer Person sich +nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim und führten bittere, selbst +übertriebene Beschwerde im Senat; dennoch beschränkte sich dieser mit derselben +Mäßigung, die all seine Maßregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunächst auf +Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung für die erlittenen +Beleidigungen kaum erwähnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der +Tagsatzung in Aegion (Frühling 607 147) die Befehle der Römer. Aber die Leiter +der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg Mai +607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der höheren Politik +wohlbewanderte Leute daraus bloß den Schluß, daß die römischen Angelegenheiten +gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen müßten, und fuhren fort, die +Römer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht, zur +Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden +Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die +lakedämonischen Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achäer gewartet +hatten, erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, daß lediglich die +allgemeine Volksversammlung der Achäer in dieser Sache kompetent sei und +dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heißt in sechs Monaten, erledigt werden +könne. Caesar ging darauf nach Rom zurück; die nächste Volksversammlung der +Achäer aber erklärte auf Kritolaos’ Antrag förmlich den Krieg gegen +Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Güte +beizulegen, und schickte Gesandte nach Korinth; allein die lärmende Ekklesia, +größtenteils bestehend aus dem Pöbel der reichen Handels- und Fabrikstadt, +übertobte die Stimme der römischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbühne zu +verlassen. Kritolaos’ Erklärung, daß man die Römer wohl zu Freunden, aber +nicht zu Herren wünsche, ward mit unsäglichem Jubel aufgenommen, und als die +Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schützte der Pöbel den +Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwörter von dem Landesverrat der +Reichen und der notwendigen Militärdiktatur sowie die geheimnisvollen Winke +über die nahe bevorstehende Schilderhebung unzähliger Völker und Könige gegen +Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war, zeigten die beiden Beschlüsse, +daß bis zum hergestellten Frieden alle Klubs permanent sein und alle +Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche +Bundesgenossen: die Thebaner und Böoter nämlich und ferner die Chalkidenser. +Schon zu Anfang des Jahres 608 (146) rückten die Achäer in Thessalien ein, um +Herakleia am Öta, das in Gemäßheit des Senatsbeschlusses sich von der +Achäischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen. +Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden +beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach übernahm es Metellus +mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schützen. Als dem +achäisch-thebanischen Heer das Anrücken der Römer gemeldet ward, war von +Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl gelingen +möchte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst machte die Armee +sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei den Thermopylen zu +halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung und erreichte und schlug +das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und +Toten war beträchtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine +Kunde vernommen. Die Trümmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps +in den hellenischen Landschaften umher und baten überall umsonst um Aufnahme; +die Abteilung von Paträ ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei +Chäroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geräumt, und von dem +Achäerheer und der in Masse flüchtenden Bürgerschaft von Theben gelangte nur +ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte durch die möglichste Milde +die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl +zum Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine +wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an +der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten Führer. Diäos, der nach +Kritolaos’ Fall wieder den Oberbefehl übernommen hatte, berief alle +Waffenfähigen auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene +Sklaven in das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschüssen angehalten +und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der +Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeräumt. Der Kampf +ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achäische Vorhut, die 4000 Mann +stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief sich, sowie sie die römischen +Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf dem Isthmos wollte Metellus eben +angreifen lassen, als der Konsul Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im +römischen Hauptquartier eintraf und das Kommando übernahm. Inzwischen boten die +Achäer, ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen +römischen Vorposten, der römischen um das Doppelte überlegenen Armee bei +Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Römer zögerten nicht sie +anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achäischen Reiter in Masse aus vor der +sechsfach stärkeren römischen Reiterei; die Hopliten standen dem Feinde, bis +ein Flankenangriff des römischen Elitenkorps auch in ihre Reihen Verwirrung +brachte. Damit war der Widerstand zu Ende. Diäos floh in seine Heimat, tötete +sein Weib und nahm selber Gift; die Städte unterwarfen sich sämtlich ohne +Gegenwehr, und sogar das unbezwingliche Korinth, in das einzurücken Mummius +drei Tage zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich +von den Römern besetzt. +</p> + +<p> +Die neue Regelung der griechischen Verhältnisse ward in Gemeinschaft mit einer +Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius übertragen, der sich in dem +eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind +gesagt, eine Torheit, daß er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den Namen des +“Achaikers” annahm und dem Hercules Sieger dankerfüllt einen Tempel +erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in aristokratischem Luxus +und aristokratischer Korruption aufgewachsen, sondern ein “neuer +Mann” und verhältnismäßig unbemittelt war, sich gerecht und mild. Es ist +eine rednerische Übertreibung, daß von den Achäern bloß Diäos, von den Böotern +bloß Pytheas umgekommen seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im +ganzen ward aber doch in den Strafgerichten Maß gehalten. Den Antrag, die +Statuen des Begründers der achäischen Patriotenpartei, des Philopömen, +umzustürzen, wies Mummius zurück; die den Gemeinden auferlegten Geldbußen +wurden nicht für die römische Kasse, sondern für die geschädigten griechischen +Städte bestimmt, größtenteils auch später erlassen und das Vermögen derjenigen +Hochverräter, die Eltern oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, +sondern diesen überwiesen. Nur die Kunstschätze wurden aus Korinth, Thespiä und +anderen Städten weggeführt und teils in der Hauptstadt, teils in den +Landstädten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stücke auch den isthmischen, +delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der definitiven +Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die Milde. Zwar wurden, wie +es die Provinzialverfassung mit sich brachte, die Sondereidgenossenschaften, +vor allem die achäische, als solche aufgelöst, die Gemeinden isoliert und durch +die Bestimmung, daß niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben +dürfe, der Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus +versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in +jeder Gemeinde einem aus den Vermögenden gebildeten Rat das Regiment in die +Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom zu entrichtende +Abgabe auferlegt und sie sämtlich dem Statthalter von Makedonien in der Art +untergeordnet, daß diesem als oberstem Militärchef auch in Verwaltung und +Gerichtsbarkeit eine Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere +Kriminalprozesse zur Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den +griechischen Gemeinden die “Freiheit”, das heißt eine, freilich +durch die römische Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle +Souveränität, welche das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener +Verwaltung und Gerichtsbarkeit in sich schloß ^13. Einige Jahre später ward +sogar nicht bloß ein Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet, +sondern auch die drückende Beschränkung in der Veräußerung des Grundbesitzes +beseitigt. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^12 Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind +noch mehrere mit Mummius’ Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst +solche Beutegaben trugen. +</p> + +<p> +^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) römische Provinz geworden sei +oder nicht, läuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit hinaus. Daß die +griechischen Gemeinden durchgängig “frei” blieben (CIG 1543, 15; +Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist ausgemacht; aber nicht +minder ist es ausgemacht, daß Griechenland damals von den Römern “in +Besitz genommen ward” (Tac. arm. 14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); daß von da an +jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. +prov. 3, 5), die kleine Insel Gyaros zum Beispiel jährlich 150 Drachmen (Strab. +10, 485); daß die “Ruten und Beile” des römischen Statthalters +fortan auch in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, +21, 55) und derselbe die Oberaufsicht über die Stadtverfassungen (CIG 1543) +sowie in gewissen Fällen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim. 2) +fortan ebenso übte wie bis dahin der römische Senat; daß endlich die +makedonische Provinzialära auch in Griechenland im Gebrauch war. Zwischen +diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein anderer als +derjenige, welcher überhaupt in der Stellung der freien Städte liegt, welche +bald als außerhalb der Provinz stehend (z. B. Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, +26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet +werden. Der römische Domanialbesitz in Griechenland beschränkte sich zwar auf +den Korinthischen Acker und etwa einige Stücke von Euböa (CIG 5879) und +eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn +man auf das tatsächlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem +makedonischen Statthalter bestehende Verhältnis sieht, ebenso wie Massalia zur +Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu der +makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch viel +weitergehende Fälle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter +Bürger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in +der caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschließlich aus +Bürgergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhören, Provinzen zu +sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der römischen provincia hervor; sie +ist zunächst nichts als das “Kommando” und alle Verwaltungs- und +Jurisdiktionstätigkeit des Kommandanten sind ursprünglich Nebengeschäfte und +Korollarien seiner militärischen Stellung. +</p> + +<p> +Andererseits muß dagegen, wenn man die formelle Souveränität der freien +Gemeinden ins Auge faßt, zugestanden werden, daß durch die Ereignisse des +Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht änderte: es +waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, daß statt der Achäischen +Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributäre +Klientelstaaten neben Rom standen und daß seit Einrichtung der römischen +Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der hauptstädtischen Behörden die +Oberaufsicht über die griechischen Klientelstaaten übernahm. Man kann demnach, +je nachdem die tatsächliche oder die formelle Auffassung überwiegt, +Griechenland als Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; +indes wird der ersteren Auffassung mit Recht das Übergewicht eingeräumt. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es +läßt sich nichts dawider erinnern, daß die ersten beiden entwaffnet und durch +Niederreißung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden; dagegen bleibt +die durchaus unmotivierte Zerstörung der ersten Handelsstadt Griechenlands, des +blühenden Korinth, ein düsterer Schandfleck in den Jahrbüchern Roms. Auf +ausdrücklichen Befehl des Senats wurden die korinthischen Bürger aufgegriffen, +und was dabei nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht +etwa bloß ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe +nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war, sondern dem +Boden gleichgemacht und in den üblichen Bannformen jeder Wiederanbau der öden +Stätte untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an Sikyon gegeben unter der +Auflage, anstatt Korinths die Kosten des isthmischen Nationalfestes zu +bestreiten, größtenteils aber zu römischem Gemeinland erklärt. Also erlosch der +“Augapfel von Hellas”, der letzte köstliche Schmuck des einst so +städtereichen griechischen Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch +einmal ins Auge, so muß die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die +Griechen dieser Zeit selbst unumwunden eingestanden, daß an dem Kriege selbst +nicht die Römer die Schuld trugen, sondern daß die unkluge Treubrüchigkeit und +die schwächliche Tollkühnheit der Griechen die römische Intervention erzwangen. +Die Beseitigung der Scheinsouveränität der Bünde und alles damit verknüpften +unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glück für das Land und das +Regiment des römischen Oberfeldherrn von Makedonien, wieviel es auch zu +wünschen übrig ließ, immer noch bei weitem besser als die bisherige Wirr- und +Mißregierung der griechischen Eidgenossenschaften und der römischen +Kommissionen. Der Peloponnes hörte auf, die große Söldnerherberge zu sein; es +ist bezeugt und begreiflich, daß überhaupt mit dem unmittelbaren römischen +Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermaßen zurückkehrten. Das +Themistokleische Epigramm, daß der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde von den +damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den Untergang der +griechischen Selbständigkeit. Die ungemeine Nachsicht, welche Rom auch jetzt +noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht in das Licht, wenn man sie mit +dem gleichzeitigen Verfahren derselben Behörden gegen die Spanier und die +Phöniker zusammenhält; Barbaren grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, +aber wie später Kaiser Traianus hielten es auch die Römer dieser Zeit +“für hart und barbarisch, Athen und Sparta den noch übrigen Schatten von +Freiheit zu entreißen”. Um so schärfer kontrastiert mit dieser +allgemeinen Milde die empörende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen +und der numantinischen Katastrophe gemißbilligte Behandlung von Korinth, welche +durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Abgeordneten +ausgestoßenen Schmähreden auch nach römischem Völkerrecht nichts weniger als +gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor aus der Brutalität +eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius, sondern war eine vom +römischen Rat erwogene und beschlossene Maßregel. Man wird nicht irren, wenn +man darin das Werk der Kaufmannspartei erkennt, die in dieser Epoche schon +neben der eigentlichen Aristokratie anfängt, in die Politik einzugreifen, und +die in Korinth einen Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die römischen +Großhändler bei der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so +begreift man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und +weshalb man nicht bloß die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die +Ansiedlung an dieser für den Handel so überaus günstigen Stätte für die Zukunft +verbot. Für die auch in Hellas sehr zahlreichen römischen Kaufleute ward der +Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos; wichtiger aber für den römischen +Großhandel ward Delos, das, schon seit 586 (168) römischer Freihafen, einen +guten Teil der Geschäfte von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in ähnlicher +Weise in die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für längere Zeit der +Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14. +</p> + +<p> +————————————————— +</p> + +<p> +^14 Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen griechischen +Bronze- und Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne Unterschied +“korinthisches” oder “delisches Kupfer” genannt werden. +Die Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, +sondern von den Exportplätzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit +natürlich nicht geleugnet wird, daß dergleichen Gefäße auch in Korinth und +Delos selbst fabriziert wurden. +</p> + +<p> +—————————————————— +</p> + +<p> +Unvollständiger als in der nur durch schmale Meere von Italien getrennten +afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft entwickelte sich die +römische Herrschaft in dem dritten entfernteren Weltteil. +</p> + +<p> +In Vorderasien war durch die Zurückdrängung der Seleukiden das Reich von +Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die Traditionen der +Alexandermonarchien, einsichtig und kühl genug, um auf das Unmögliche zu +verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und strebten nicht, ihre +Grenzen zu erweitern noch der römischen Hegemonie sich zu entziehen, sondern +den Wohlstand ihres Reiches, soweit die Römer es erlaubten, zu fördern und die +Künste des Friedens zu pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem +Argwohn Roms nicht. Im Besitz der europäischen Küste der Propontis, der +Westküste Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur +kappadokischen und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen +Königen, von denen Antiochos Epiphanes († 590 164) durch die Hilfe der +Attaliden auf den Thron gelangt war, hatte König Eumenes II. durch seine bei +dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher +erscheinende Macht selbst den Begründern derselben Bedenken eingeflößt; es ist +schon erzählt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem Dritten +Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine diplomatische Künste zu +demütigen und zu schwächen. Die an sich schon schwierigen Verhältnisse der +Herren von Pergamon zu den ganz und halb freien Handelsstädten innerhalb ihres +Reichs und zu den barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese +Verstimmung der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, +ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushöhen in der pamphylischen +und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich +gehörten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller +Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Königen Eumenes Il. und Attalos II. +langjährigen und energischen Widerstand in den schwer zugänglichen Gebirgen +Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung +der Römer unter pergamenischer Botmäßigkeit gestanden hatten, fielen von +Eumenes ab und begannen im Einverständnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem +König Prusias von Bithynien, um 587 (167) plötzlich gegen ihn Krieg. Der König +hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und +Tapferkeit konnte nicht verhindern, daß sie die asiatische Miliz schlugen und +das Gebiet überschwemmten; wir kennen bereits die eigentümliche Vermittlung, zu +der die Römer auf Eumenes’ Bitte sich herbeiließen. Sowie er indes Zeit +gefunden hatte, mit Hilfe seiner wohlgefüllten Kasse eine kampffähige Armee +aufzustellen, trieb er auch die wilden Scharen schnell zurück über die Grenze +seines Reiches; und obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnäckig +fortgesetzten Versuche, dort die Hände im Spiel zu behalten, durch römischen +Einfluß vereitelt wurden ^15, hinterließ er dennoch trotz aller offenen +Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Römer gegen ihn +gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in ungeschmälertem +Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos († 616 138) wies den Versuch des +Königs Pharnakes von Pontos, sich der Vormundschaft über Eumenes’ +unmündigen Sohn zu bemächtigen, mit römischer Hilfe zurück und regierte anstatt +seines Neffen wie Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tüchtig, +fügsam, ein echter Attalide, verstand er es, den argwöhnischen Senat von der +Nichtigkeit der früher gehegten Besorgnisse zu überzeugen. Die antirömische +Partei beschuldigte ihn, daß er sich dazu hergebe, das Land für die Römer zu +hüten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen lasse; indes +konnte er, des römischen Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und +bithynischen Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem +gefährlichen bithynischen Krieg, den König Prusias II., der Jäger genannt (572 +? - 605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten +Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die römische +Intervention - freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert +und eine erste Mahnung der Römer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhöhnt +worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines Mündels +Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle des friedlichen +und mäßigen Bürgerkönigtums ein asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum +Beispiel vorkam, daß der König, um des unbequemen Rats seiner väterlichen +Freunde sich zu entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre +Frauen und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen ließ; nebenher schrieb +er Bücher über den Gartenbau, zog Giftkräuter und bossierte in Wachs, bis ein +plötzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der Attaliden. In +solchem Fall konnte nach dem wenigstens für die Klientelstaaten Roms gültigen +Staatsrecht der letzte Regent testamentarisch über die Sukzession verfügen. Ob +der Gedanke, das Reich den Römern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den +wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei +Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloß eine weitere Anerkennung der +tatsächlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden. Das Testament +lag vor ^16; die Römer traten die Erbschaft an und die Frage über das Land und +den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer Erisapfel unter die hadernden +politischen Parteien. Aber auch in Asien entzündete dies Königstestament den +Bürgerkrieg. Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende +Fremdherrschaft trat ein natürlicher Sohn Eumenes’ II., Aristonikos in +Leukä, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokäa, als Kronprätendent +auf. Phokäa und andere Städte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in +dem festen Anschluß an Rom die einzige Möglichkeit erkannten, ihre Privilegien +sich zu erhalten, zur See auf der Höhe von Kyme geschlagen, mußte er in das +Binnenland flüchten. Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er +plötzlich wieder an der Spitze der neuen “Bürger der Sonnenstadt” +^17, das heißt der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, +bemächtigte, sich der lydischen Städte Thyateira und Apollonis sowie eines +Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte +unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Römische Truppen standen in Asien +nicht; die asiatischen Freistädte und die Kontingente der Klientelfürsten von +Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Prätendenten +sich nicht erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos +ein und gebot schon fast über das gesamte väterliche Reich, als am Ende des +Jahres 623 (131) ein römisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der +Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten +und zugleich einer der gebildetsten Männer Roms und als Redner wie als +Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Prätendenten in Leukä +zu belagern, ließ aber während der Vorbereitungen dazu von dem allzu gering +geschätzten Gegner sich überraschen und schlagen und ward selbst von einem +thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als +Gefangenen zur Schau zu stellen, gönnte er einem solchen Feinde nicht; er +reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod +zu geben (Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit +ihm, wie es scheint, fiel König Ariarathes von Kappadokien. Indes ward +Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus’ Nachfolger Marcus +Perpenna überfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert +und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, +noch Widerstand leistenden Städte und die definitive Regulierung der Landschaft +übernahm nach Perpennas plötzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man +verfuhr ähnlich wie im karthagischen Gebiet. Der östliche Teil des +Attalidenreichs ward den Klientelkönigen überwiesen, um die Römer von dem +Grenzschutz und damit von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien +zu befreien; Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europäischen +Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das übrige +Gebiet ward als neue römische Provinz eingerichtet, der gleich der +karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward, in, dem +sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren, wurden dem Lande +erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie Hellas und Makedonien. +So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat eine römische Vogtei. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^15 Mehrere vor kurzem (SB München, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene Schreiben +der Könige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von Pessinus, welcher +durchgängig Attis heißt (vgl. Polyb. 22, 20), erläutern diese Verhältnisse sehr +anschaulich. Das älteste derselben und das einzige datierte, geschrieben im 34. +Regierungsjahre des Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiäos, also +590/91 der Stadt (164/63), bietet dem Priester militärische Hilfe an, um den +(sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreißen. +Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den König als Partei in der +Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix. Ohne Zweifel +gehörten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen, die in den Jahren 590f. +(164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche desselben, sich in die gallischen +Angelegenheiten auch fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu +stützen (Polyb. 31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben +seines Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geändert und die Wünsche +herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in +Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu haben; +nachher aber schreibt ihm der König, daß in einem deswegen abgehaltenen +Staatsrat, dem Athenäos (sicher der bekannte Bruder des Königs), Sosandros, +Menogenes, Chloros und andere Verwandte (αναγκαίοι) beigewohnt hätten, nach +langem Schwanken endlich die Majorität dem Chloros dahin beigetreten sei, daß +nichts geschehen dürfe, ohne die Römer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein +Erfolg erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem bösen Verdacht +aus, “den sie auch gegen den Bruder” (Eumenes II.) “gehegt +hätten”. +</p> + +<p> +^16 In demselben Testament gab der König seiner Stadt Pergamon die +“Freiheit”, das heißt die δημοκρατία, das städtische +Selbstregiment. Laut einer merkwürdigen, kürzlich dort gefundenen Urkunde +(Römisches Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloß nach Eröffnung des +Testaments, aber vor dessen Bestätigung durch die Römer der also konstituierte +Demos den bisher vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Klassen der Bevölkerung, +insbesondere den im Zensus aufgeführten Paröken und den in Stadt und Land +wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das städtische Bürgerrecht zu +verleihen, um also ein gutes Einverständnis in der gesamten Bevölkerung +herbeizuführen. Offenbar wollte die Bürgerschaft, indem sie die Römer vor die +vollendete Tatsache dieser umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem +eigentlichen Eintreten der römischen Herrschaft sich gegen dieselbe in +Verfassung setzen und den fremden Gebietern die Möglichkeit nehmen, die +Rechtsverschiedenheiten innerhalb der Bevölkerung zur Sprengung der +Gemeindefreiheit zu benutzen. +</p> + +<p> +^17 Diese seltsamen “Heliopoliten” sind, nach der mir von einem +Freunde geäußerten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, daß die befreiten +Sklaven als Bürger einer umgenannten oder auch vielleicht für jetzt nur +gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem in +Syrien hochverehrten Sonnengott empfing. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Städte Vorderasiens, das Königreich +Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fürstentümer, die lykische und +die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistädte Kyzikos und Rhodos blieben +in ihren bisherigen beschränkten Verhältnissen bestehen. +</p> + +<p> +Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem König Ariarathes V. Philopator +(591 - 624 136 - 130), hauptsächlich durch Hilfe der Attaliden, sich gegen +seinen von Syrien unterstützten Bruder und Nebenbuhler Holophernes behauptet +hatte, wesentlich die pergamenische Politik, sowohl in der unbedingten +Hingebung an Rom als in der Richtung auf hellenische Bildung. Durch ihn drang +diese ein in das bis dahin fast barbarische Kappadokien und freilich auch +sogleich ihre Auswüchse, wie der Bakchosdienst und das wüste Treiben der +wandernden Schauspielertruppen, der sogenannten “Künstler”. Zum +Lohn der Treue gegen Rom, die dieser Fürst in dem Kampfe gegen den +pergamenischen Prätendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein +unmündiger Erbe Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem König von Pontos +versuchte Usurpation durch die Römer geschirmt, sondern ihm auch der +südöstliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der östlich +daran grenzenden, .in älterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft. +</p> + +<p> +Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte “Kappadokien am +Meer” oder kurzweg der “Meerstaat”, Pontos, zu steigender +Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte +König Pharnakes I. sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an, der +bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich +bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Könige Residenz ward. +Zwar hatten die durch diese Übergriffe gefährdeten Nachbarstaaten, König +Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen ihn geführt (571-575 183-179) +und unter römischer Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und +Paphlagonien zu räumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, daß Pharnakes +sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120), treue +Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen Aristonikos, +nicht bloß jenseits des Halys sitzen geblieben sind, sondern auch der Sache +nach die Schutzherrlichkeit über die paphlagonischen und galatischen Dynasten +behalten haben. Nur unter dieser Voraussetzung ist es erklärlich, wie +Mithradates, angeblich wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, +in der Tat für beträchtliche an den römischen Feldherrn gezahlte Summen, von +demselben nach Auflösung des Attalischen Reiches Großphrygien empfangen konnte. +Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das :Pontische +Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint +es den westlichen Teil von Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte +Klein-Armenien als abhängige Satrapie umfaßt zu haben, während Groß -Armenien +und Sophene eigene unabhängige Reiche bildeten. +</p> + +<p> +Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment führte +und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand +im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des Taurus +und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber +überlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte +Satz, daß der Halys die Ostgrenze der römischen Klientel bilden solle, ward vom +Senat nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der +politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische; wenn dem +Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im +Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl des +römischen Senats das halb gewonnene Ägypten räumte, so lag da in die +vollständige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum gingen denn auch +die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Ägypten zur Beilegung an die römische +Regierung. Dort stritten nach Antiochos Epiphanes’ Tode (590 164) der als +Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, später Soter +genannt, und des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos +Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich +regierenden Brüdern der ältere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch +den jüngeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken († 637 117) aus dem Lande +getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken, persönlich in +Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf +diplomatischem Wege und wesentlich nach Maßgabe des römischen Vorteils. In +Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios +als König anerkannt und mit der Führung der Vormundschaft über den königlichen +Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie +begreiflich, durchaus im römischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das +Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemäß reduzierte und im besten +Zuge war, den militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Ägypten ward nicht +bloß Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist +ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Ägyptens zu +schwächen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben abgefunden. +“Könige sind, wen die Römer wollen”, schrieb nicht lange nachher +ein jüdischer Mann, “und wen sie nicht wollen, den verjagen sie von Land +und Leuten”. Allein dies war für lange Zeit das letzte Mal, daß der +römische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tüchtigkeit und +Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos und +Perseus durchgängig bewährt hatte. Der innerliche Verfall des Regiments wirkte +am spätesten, aber wirkte doch endlich auch zurück auf die Behandlung der +auswärtigen Angelegenheiten. Das Regiment ward unstet und unsicher; man ließ +die eben erfaßten Zügel erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der +vormundschaftliche Regent von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der +zurückgewiesene Prätendent Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter +dem dreisten Vorgeben, daß der römische Senat ihn dazu bevollmächtigt habe, +nach Beseitigung des königlichen Knaben der Regierung seines väterlichen +Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Königen von Ägypten und +Kyrene Krieg aus über den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem +älteren, sodann dem jüngeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch mit der +neuesten römischen Entscheidung blieb dieselbe schließlich bei Ägypten. So +wurde die römische Regierung, in der Fülle ihrer Macht und während des tiefsten +inneren und äußeren Friedens daheim, von den ohnmächtigen Königen des Ostens +mit ihren Dekreten verhöhnt, ihr Name gemißbraucht, ihr Mündel und ihr +Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in ähnlicher Weise +sich an römischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem +Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die +Mörder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit ließ dem Gnaeus +Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Väter es vorschrieb; +aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als König des +Landes anerkannt - man war ja jetzt so mächtig, daß es überflüssig schien, die +Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloß Kypros trotz des entgegenstehenden +Senatsbeschlusses bei Ägypten, sondern als nach Philometors Tode (608 146) +Euergetes ihm nachfolgte und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt +ward, ließ der Senat auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgängen +war der römische Einfluß in diesen Landschaften tatsächlich gebrochen und +entwickelten sich die Verhältnisse daselbst zunächst ohne Zutun der Römer; doch +ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den näheren +und selbst den ferneren Osten nicht völlig aus den Augen zu verlieren. +</p> + +<p> +Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Ägypten der Status quo sich so leicht +nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- und jenseits des Euphrat +während und zum Teil infolge dieser momentanen Stockung der römischen +Oberleitung die Völker und Staaten sich wesentlich anders. Jenseits der großen +iranischen Wüste hatten nicht lange nach Alexander dem Großen am Indus das +Reich von Palimbothra unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der +mächtige baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und +der östlichsten Ausläufer hellenischer Zivilisation sich gebildet. Westwärts +von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos dem Großen zwar +geschmälert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont bis zu den medischen und +persischen Landschaften sich erstreckte und das ganze Stromgebiet des Euphrat +und Tigris in sich schloß. Noch jener König hatte seine Waffen bis jenseits der +Wüste in das Gebiet der Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der +gewaltige Staat angefangen sich aufzulösen. Nicht bloß Vorderasien war infolge +der Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gänzliche Lösung der beiden +Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im Nordosten und +der Landschaft Sophene im Südwesten, und ihre Verwandlung in selbständige +Königreiche aus syrischen Lehnsfürstentümern, gehört dieser Zeit an. Von diesen +Staaten gelangte namentlich Großarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer +ansehnlichen Stellung. Vielleicht noch gefährlichere Wunden schlug dem Reiche +seines Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175-164) törichte +Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, daß sein Reich mehr einem +Länderbündel als einem Staate glich und daß die Verschiedenheiten der +Nationalitäten und der Religionen der Untertanen der Regierung die +wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan, hellenisch-römische +Weise und hellenisch-römischen Kultus überall in seinem Lande einzuführen und +seine Völker in politischer wie in religiöser Hinsicht auszugleichen unter +allen Umständen eine Torheit, auch abgesehen davon, daß dieser karikierte +Joseph II. persönlich einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als +gewachsen war und durch Tempelplünderung im großartigsten Maßstab und die +tollste Ketzerverfolgung seine Reformen in der übelsten Weise einleitete. Die +eine Folge hiervon war, daß die Bewohner der Grenzprovinz gegen Ägypten, die +Juden, sonst bis zur Demütigkeit fügsame und äußerst tätige und betriebsame +Leute, durch den systematischen Religionszwang zur offenen Empörung gedrängt +wurden (um 587 167). Die Sache kam an den Senat, und da derselbe eben damals +teils gegen Demetrios Soter mit gutem Grund erbittert war, teils eine +Verbindung der Attaliden und Seleukiden besorgte, überhaupt aber die +Herstellung einer Mittelmacht zwischen Syrien und Ägypten im Interesse Roms +lag, so machte er keine Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der +insurgierten Nation sofort anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von +Rom für die Juden nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemühen; trotz +der Klausel des zwischen den Römern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die +den Juden, im Fall sie angegriffen würden, den Beistand Roms versprach, und +trotz des an die Könige von Syrien und Ägypten gerichteten Verbots, ihre +Truppen durch das jüdische Land zu führen, blieb es natürlich lediglich jenen +selbst überlassen, der syrischen Könige sich zu erwehren. Mehr als die Briefe +ihrer mächtigen Verbündeten tat für sie die tapfere und umsichtige Leitung des +Aufstandes durch das Heldengeschlecht der Makkabäer und die innere +Zerrissenheit des Syrischen Reiches: während des Haders zwischen den syrischen +Königen Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und +Steuerfreiheit förmlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das Haupt +des Makkabäerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation wie von dem +syrischen Großkönig als Hochpriester und Fürst Israels förmlich anerkannt ^18 +(615 139). +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +^18 Von ihm rühren die Münzen her mit der Aufschrift “Shekel +Israel” und der Jahreszahl des “heiligen Jerusalem” oder +“der Erlösung Sions”. Die ähnlichen mit dem Namen Simons, des +Fürsten (Nessi) Israel, gehören nicht ihm, sondern dem Insurgentenführer Bar +Kochba unter Hadrian. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Folgenreicher noch als diese Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig +und wahrscheinlich aus gleicher Ursache entstandene Bewegung in den östlichen +Landschaften, wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Götter nicht +minder leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhängern des Ahuramazda und +des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des Jehova. Wie in +Judäa, nur in weiterem Umfang und in großartigeren Verhältnissen, war das +Ergebnis eine Reaktion der einheimischen Weise und der einheimischen Religion +gegen den Hellenismus und die hellenischen Götter; die Träger dieser Bewegung +waren die Parther und aus ihr entsprang das große Partherreich. Die +“Parthwa” oder Parther, die als eine der zahllosen in das große +Perserreich aufgegangenen Völkerschaften früh, zuerst im heutigen Khorasan +südöstlich vom Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter +dem skythischen, das heißt turanischen Fürstengeschlecht der Arsakiden als ein +selbständiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert später aus seiner +Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I. (579? - 618? +175-136), ist der eigentliche Gründer der parthischen Großmacht. Ihm erlag das +an sich weit mächtigere, aber teils durch die Fehden mit den skythischen +Reiterscharen von Turan und mit den Staaten am Indus, teils durch innere Wirren +bereits in allen Fugen erschütterte Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge +errang er in den Landschaften westlich von der großen Wüste. Das Syrische Reich +war eben damals, teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des +Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden +Sukzessionswirren, aufs tiefste zerrüttet und die inneren Provinzen im vollen +Zuge, sich von Antiocheia und der Küstenlandschaft abzulösen; in Kommagene zum +Beispiel, der nördlichsten Landschaft Syriens an der kappadokischen Grenze, +machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem entgegengesetzten Ufer des Euphrat im +nördlichen Mesopotamien oder der Landschaft Osrhoene der Fürst von Edessa, in +der wichtigen Provinz Medien der Satrap Timarchos sich unabhängig; ja der +letztere ließ sich vom römischen Senat seine Unabhängigkeit bestätigen und +herrschte, gestützt auf das verbündete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am +Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, sowohl +die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhängigen Satrapen in ewigem +Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem römischen und dem +alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen Pöbel. Die gesamte Meute der +Nachbarkönige, Ägypten, Armenien, Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhörlich +sich in die Angelegenheiten Syriens und nährte die Erbfolgestreitigkeiten, so +daß der Bürgerkrieg und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder +mehr Prätendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die römische Schutzmacht, +wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untätig zu. Zu allem diesem +drängte von Osten her das neue Partherreich, nicht bloß mit seiner materiellen +Macht, sondern auch mit dem ganzen Übergewicht seiner nationalen Sprache und +Religion, seiner nationalen Heer- und Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein. +Es ist hier noch nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es +genügt im allgemeinen, daran zu erinnern, daß, so mächtig auch in ihm noch der +Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem der +Seleukiden, auf einer nationalen und religiösen Reaktion beruht und die alte +iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die orientalische +Lehnsverfassung, die Reiterei der Wüste und Pfeil und Bogen hier zuerst dem +Hellenismus wieder übermächtig entgegentraten. Die Lage der Reichskönige diesem +allem gegenüber war in der Tat beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war +keineswegs so entnervt wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen +derselben mangelte es nicht an Tapferkeit und Fähigkeit; sie wiesen auch wohl +den einen oder den andern jener zahllosen Rebellen, Prätendenten und +Intervenienten in seine Schranken zurück; aber es fehlte ihrer Herrschaft so +sehr an einer festen Grundlage, daß sie dennoch der Anarchie nicht auch nur +vorübergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein mußte. +Die östlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschützten oder gar +aufrührerischen Satrapen gerieten unter parthische Botmäßigkeit; Persien, +Babylonien, Medien wurden auf immer vom Syrischen Reiche getrennt; der neue +Staat der Parther reichte zu beiden Seiten der großen Wüste vom Oxus und +Hindukusch bis zum Tigris und zur Arabischen Wüste, wiederum gleich dem +Perserreich und all den älteren asiatischen Großstaaten eine reine +Kontinentalmonarchie und wiederum eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde +begriffen einerseits mit den Völkern von Turan, andererseits mit den +Okzidentalen. Der Syrische Staat umfaßte außer der Küstenlandschaft höchstens +noch Mesopotamien und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerrüttung +als seiner Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Großstaaten. Wenn die +mehrfach drohende gänzliche Unterjochung des Landes durch die Parther +unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden, noch +weniger dem Einfluß Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den vielfältigen +inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem den Einfällen der +turanischen Steppenvölker in dessen östliche Landschaften. +</p> + +<p> +Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im inneren Asien ist der Wendepunkt in +der Geschichte des Altertums. Auf die Völkerflut, die bisher von Westen nach +Osten sich ergossen und in dem großen Alexander ihren letzten und höchsten +Ausdruck gefunden hatte, folgt die Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist +nicht bloß verloren, was in Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen +Elementen sich erhalten haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht +wieder zurück in das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte +Geleise. Der römische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik +Alexanders und leitet damit jene rückläufige Bewegung ein, deren letzte +Ausläufer im Alhambra von Granada und in der Großen Moschee von Konstantinopel +endigen. Solange noch das Land von Ragä und Persepolis bis zum Mittelmeer dem +König von Antiochia gehorchte, erstreckte auch Roms Macht sich bis an die +Grenze der großen Wüste; der Partherstaat, nicht weil er so gar mächtig war, +sondern weil er seinen Schwerpunkt fern von der Küste, im inneren Asien fand, +konnte niemals eintreten in die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander +hatte die Welt den Okzidentalen allein gehört und schien der Orient für diese +nur zu sein, was später Amerika und Australien für die Europäer wurden; mit +Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen Bewegung. +Die Welt hatte wieder zwei Herren. +</p> + +<p> +Es ist noch übrig, auf die maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen Blick zu +werfen, obwohl darüber sich kaum etwas anderes sagen läßt, als daß es nirgends +mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte +vertragsmäßig zugrunde gerichtet, Ägyptens einst so gewaltige Kriegsmarine +unter seinen gegenwärtigen schlaffen Regenten in tiefem Verfall. Die kleineren +Staaten und namentlich die Kaufstädte hatten wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, +aber sie genügten nicht einmal für die im Mittelmeere so schwierige +Unterdrückung des Seeraubs. Mit Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der +führenden Macht im Mittelmeer. Wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin +mit besonderer und wohltätiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich +im Osten ihre Suprematie zunächst eingeführt hatten durch die zum allgemeinen +Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die +vollständige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den furchtbar +raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene Flotte besaß Rom +nicht mehr; man begnügte sich, wenn es nötig schien, von den italischen, den +kleinasiatischen und den sonstigen Seestädten Schiffe einzufordern. Die Folge +war natürlich, daß das Flibustierwesen sich organisierte und konsolidierte. Zu +dessen Unterdrückung geschah nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit +die unmittelbare Macht der Römer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen +Meer. Die gegen die dalmatischen und ligurischen Küsten in dieser Epoche +gerichteten Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrückung des Seeraubs +in den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631 (123) +die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen und den +griechischen Gewässern blieb es den Anwohnern und den Schiffern überlassen, mit +den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich abzufinden, da die +römische Politik daran festhielt sich um diese entfernteren Gegenden so wenig +wie irgend möglich zu kümmern. Die zerrütteten und bankerotten Gemeinwesen in +den also sich selbst überlassenen Küstenstaaten wurden hierdurch natürlich zu +Freistätten der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht. +Am ärgsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine glückliche +Lage und die Schwäche oder Schlaffheit der Großstaaten des Westens und Ostens +allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine Unabhängigkeit bewahrt +hatte; die römischen Kommissionen kamen und gingen freilich auch auf dieser +Insel, aber richteten hier noch weniger aus als selbst in Syrien und Ägypten. +Fast schien es aber, als habe das Schicksal den Kretern die Freiheit nur +gelassen um zu zeigen, was herauskomme bei der hellenischen Unabhängigkeit. Es +war ein schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen war +ähnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wüste Demokratie, der ritterliche +Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein achtbarer Hellene +selbst bezeugt es, daß allein auf Kreta nichts für schimpflich gelte, was +einträglich sei, und noch der Apostel Paulus führt billigend den Spruch eines +kretischen Dichters an: “Lügner sind all, Faulranzen, unsaubere Tiere die +Kreter.” Die ewigen Bürgerkriege verwandelten trotz der römischen +Friedensstiftungen auf der alten “Insel der hundert Städte” eine +blühende Ortschaft nach der andern in Ruinenhaufen. Ihre Bewohner +durchstreiften als Räuber die Heimat und die Fremde, die Länder und die Meere; +die Insel ward der Werbeplatz für die umliegenden Königreiche, seit dieser +Unfug im Peloponnes nicht mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der +Piraterie, wie denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine +kretische Korsarenflotte völlig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem +Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel zugefügten +Schlägen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine letzten Kräfte in +den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie gegen die Kreter zu führen +sich genötigt sah (um 600 150) und in denen die Römer zwar zu vermitteln +suchten, indes ohne Ernst und, wie es scheint, ohne Erfolg. +</p> + +<p> +Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, für diese Flibustierwirtschaft eine +zweite Heimat zu werden; und es war nicht bloß die Ohnmacht der syrischen +Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich +vom Sklaven zum König Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), förderte, +um durch Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem +Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die +Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich +die hauptsächlichsten Sklavenfänger und Sklavenhändler waren, verschaffte ihnen +bei dem kaufmännischen Publikum, sogar in Alexandreia, Rhodos und Delos eine +gewisse Duldung, an der selbst die Regierungen wenigstens durch Passivität sich +beteiligten. Das Übel ward so ernsthaft, daß der Senat um 611 (143) seinen +besten Mann, Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort +und Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische +Vorstellungen der Römer machten die schwachen Regierungen nicht stark; es gab +keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen Gewässern zu +unterhalten, wozu es wieder der römischen Regierung an Energie und Konsequenz +gebrach. So blieb eben alles beim alten, die Piratenflotte die einzige +ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der Menschenfang das einzige daselbst +blühende Gewerbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu, die römischen +Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den +Piratenkapitänen als den bedeutendsten Großhändlern in diesem Artikel auf Delos +und sonst in regem und freundlichem Geschäftsverkehr. +</p> + +<p> +Wir haben die Umgestaltung der äußeren Verhältnisse Roms und der +römisch-hellenischen Welt überhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei +Pydna bis auf die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum +Euphrat begleitet. Es war eine große und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem +Regimente dieser römisch-hellenischen Welt übernahm; sie ward nicht völlig +verkannt, aber keineswegs gelöst. Die Unhaltbarkeit des Gedankens der +catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschränken und außerhalb Italiens +nur durch Klientel zu herrschen, ward von den leitenden Männern der folgenden +Generation wohl begriffen und wohl die Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle +dieses Klientelregiments eine die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare +Herrschaft Roms zu setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und +gleichmäßig durchzuführen, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben +Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu führten, wogegen der +größere Teil des Klientelgebiets entweder in der unerträglichen Halbheit seiner +bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich Syrien, sich gänzlich dem +Einfluß Roms entzog. Aber auch das Regiment selbst ging mehr und mehr auf in +einem schwächlichen und kurzsichtigen Egoismus. Man begnügte sich von heute auf +morgen zu regieren und nur eben die laufenden Geschäfte notdürftig zu +erledigen. Man war gegen die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa +in Karien dem Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks +einen andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt +deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein streng +rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermißt, wo sie an ihrem Platz +gewesen wäre, wie gegen die angrenzenden Barbaren und gegen die Piraten. Indem +die Zentralregierung auf jede Oberleitung und jede Übersicht der +Provinzialverhältnisse Verzicht tat, gab sie dem jedesmaligen Vogt nicht bloß +die Interessen der Untertanen, sondern auch die des Staates vollständig preis. +Die spanischen Vorgänge, unbedeutend an sich, sind hierfür belehrend. Hier, wo +die Regierung weniger als in den übrigen Provinzen sich auf die bloße +Zuschauerrolle beschränken konnte, wurde nicht bloß von den römischen +Statthaltern das Völkerrecht geradezu mit Füßen getreten und durch eine Wort- +und Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit +Kapitulationen und Verträgen, durch Niedermetzelung untertäniger Leute und +Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die römische Ehre dauernd im +Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den ausgesprochenen Willen der +römischen Oberbehörde Krieg geführt und Friede geschlossen und aus +unbedeutenden Vorfällen; wie zum Beispiel dem Ungehorsam der Numantiner, durch +eine seltene Vereinigung von Verkehrtheit und Verruchtheit eine für den Staat +verhängnisvolle Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne daß in Rom +auch nur eine ernstliche Bestrafung deswegen verfügt ward. Über die Besetzung +der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen Fragen +entschieden nicht bloß die Sympathien und Rivalitäten der verschiedenen +Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold der auswärtigen +Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der erste, der mit Erfolg +versuchte, den römischen Senat zu bestechen, wird Timarchos genannt, der +Gesandte des Königs Antiochos Epiphanes von Syrien († 590 164); bald wurde die +Beschenkung einflußreicher Senatoren durch auswärtige Könige so gewöhnlich, daß +es auffiel, als Scipio Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem König +von Syrien zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus ließ man den +alten Grundsatz fallen, daß der Lohn der Herrschaft einzig die Herrschaft und +die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie ein Recht und ein +Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft auf, welche von der Besteuerung +der Bürger absah und dagegen die Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz +der Gemeinde teils von Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch +die Bürger überlieferte; nicht bloß wurde dem rücksichtslosen Geldhunger des +römischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter Nachgiebigkeit +Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm mißliebigen Handelsrivalen +durch die Heere des Staats aus dem Wege geräumt und die herrlichsten Städte der +Nachbarländer nicht der Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit +scheußlicheren Barbarei der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der älteren, +der Bürgerschaft allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der +am letzten Ende doch nur auf seinem militärischen Übergewicht ruhende Staat +sich selber die Stütze ab. Die Flotte ließ man ganz eingehen, das +Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung der +asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen abgewälzt und +was man nicht von sich abwälzen konnte, wie die italische, makedonische und +spanische Grenzverteidigung, in der elendesten Weise verwaltet. Die besseren +Klassen fingen an so sehr aus dem Heere zu verschwinden, daß es schon schwer +hielt, für die spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren +aufzutreiben. Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen +Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung bewiesenen +Parteilichkeit nötigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der alten Übung, die +Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der dienstpflichtigen Mannschaft +dem freien Ermessen der Offiziere zu überlassen, und zu deren Ersetzung durch +das Losen der sämtlichen Dienstpflichtigen - sicher nicht zum Vorteil des +militärischen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der einzelnen +Abteilungen. Die Behörden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die +leidige Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul für den +spanischen Dienst pflichtmäßig strenge Aushebungen veranstaltete, so machten +die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmäßigen Recht, ihn zu verhaften (603, +616 151,138); und es ward schon bemerkt, daß Scipios Ansuchen, ihm für den +Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten, vom Senat geradezu +abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die römischen Heere vor Karthago +oder Numantia an jene syrischen Armeen, in denen die Zahl der Bäcker, Köche, +Schauspieler und sonstigen Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um +das Vierfache überstieg; schon geben die römischen Generale ihren karthagischen +Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege in Afrika +wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmäßig mit Niederlagen eröffnet; +schon schweigt man still zu der Ermordung des Gnaeus Octavius, schon ist +Viriathus’ Meuchelmord ein Meisterwerk der römischen Diplomatie, schon +die Eroberung von Numantia eine Großtat. Wie völlig der Begriff von Volks- und +Mannesehre bereits den Römern abhanden gekommen war, zeigte mit +epigrammatischer Schärfe die Bildsäule des entkleideten und gebundenen +Mancinus, welche dieser selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in +Rom sich setzen ließ. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere +Kraft wie seine äußere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkämpfen gewonnene +Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal behauptet. +Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu bewahren; jenes +hatte der römische Senat vermocht, an diesem ist er gescheitert. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/> +Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus</h2> + +<p> +Ein volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der römische +Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberfläche bewegten Ruhe. Das +Gebiet dehnte über die drei Weltteile sich aus; der Glanz der römischen Macht +und der Ruhm des römischen Namens waren in dauerndem Steigen; aller Augen +ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum strömten dahin: eine goldene +Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen Lebensgenusses schien dort beginnen zu +müssen. Mit Bewunderung erzählten sich die Orientalen dieser Zeit von der +mächtigen Republik des Westens, “die die Königreiche bezwang fern und +nah, und wer ihren Namen vernahm, der fürchtete sich; mit den Freunden und +Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war bei den +Römern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte keiner im +Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn machten, auf den +hörten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch Zwietracht.” +</p> + +<p> +So schien es in der Ferne; in der Nähe sahen die Dinge anders aus. Das Regiment +der Aristokratie war im vollen Zuge, sein eigenes Werk zu verderben. Nicht als +wären die Söhne und Enkel der Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so +völlig aus der Art ihrer Väter und Großväter geschlagen; es waren weniger +andere Menschen, die jetzt im Senate saßen, als eine andere Zeit. Wo eine +geschlossene Zahl alter Familien festgegründeten Reichtums und ererbter +staatsmännischer Bedeutung das Regiment führt, wird sie in den Zeiten der +Gefahr eine ebenso unvergleichlich zähe Folgerichtigkeit und heldenmütige +Opferfähigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe kurzsichtig, eigensüchtig +und schlaff regieren - zu dem einen wie dem andern liegen die Keime im Wesen +der Erblichkeit und der Kollegialität. Der Krankheitsstoff war längst +vorhanden, aber ihn zu entwickeln bedurfte es der Sonne des Glückes. In Catos +Frage, was aus Rom werden solle, wenn es keinen Staat mehr zu fürchten haben +werde, lag ein tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man hätte +fürchten mögen, war politisch vernichtet, und von den Männern, welche unter der +alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des Hannibalischen Krieges +erzogen waren und aus denen der Nachklang jener gewaltigen Zeit bis in ihr +spätestes Alter noch widerhallte, rief der Tod einen nach dem andern ab, bis +endlich auch die Stimme des letzten von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und +auf dem Marktplatz verstummte. Eine jüngere Generation kam an das Regiment, und +ihre Politik war eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das +Untertanenregiment und die äußere Politik unter ihren Händen sich gestalteten, +ist bereits dargelegt worden. Womöglich noch mehr ließ man in den inneren +Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben; wenn man unter innerem +Regiment mehr versteht als die Erledigung der laufenden Geschäfte, so ward in +dieser Zeit überhaupt in Rom nicht regiert. Der einzige leitende Gedanke der +regierenden Korporation war die Erhaltung und womöglich Steigerung ihrer +usurpierten Privilegien. Nicht der Staat hatte für sein höchstes Amt ein +Anrecht auf den rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der +Kamaraderie ein angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der +Standesgenossen noch durch Übergriffe der Ausgeschlossenen zu verkürzendes +Anrecht auf das höchste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem +wichtigsten politischen Ziel sich die Beschränkung der Wiederwahl zum Konsulat +und die Ausschließung der “neuen Menschen”; es gelang denn auch in +der Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten ^1 und +auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitäten. Auch die Tatenlosigkeit der +Regierung nach außen hin hängt ohne Zweifel mit dieser gegen die Bürgerlichen +ausschließenden und gegen die einzelnen Standesglieder mißtrauischen +Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine Leute, deren Adelsbrief ihre Taten +waren, von den lauteren Kreisen der Aristokratie nicht sicherer fern halten, +als indem man überhaupt es keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch würde +dem bestehenden Regiment der allgemeinen Mittelmäßigkeit selbst ein adliger +Eroberer Syriens oder Ägyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte +es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu einem +gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege. Die +Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst oder gelegentlich +durch außerordentliche Kommissionen über die Provinzialbeamten ausübte, reichte +anerkanntermaßen nicht aus; es war eine für das ganze öffentliche Leben der +römischen Gemeinde folgenreiche Neuerung, daß im Jahre 605 (149) auf Vorschlag +des Lucius Calpurnius Piso eine ständige Senatorenkommission (quaestio +ordinaria) niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die +vorgesetzten römischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen Formen zu +prüfen. Man suchte die Komitien von dem übermächtigen Einfluß der Aristokratie +zu emanzipieren. Die Panazee auch der römischen Demokratie war die geheime +Abstimmung in den Versammlungen der Bürgerschaft, welche zuerst für die +Magistratswahlen durch das Gabinische (615 139), dann für die Volksgerichte +durch das Cassische (617 137), endlich für die Abstimmung über Gesetzvorschläge +durch das Papirische Gesetz (623 131) eingeführt ward. In ähnlicher Weise +wurden bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluß angewiesen, +bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den +bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten. In diesen +auf die Emanzipation der Wählerschaft von dem regierenden Herrenstand +gerichteten Maßregeln mochte die Partei, die sie veranlaßte, vielleicht den +Anfang zu einer Regeneration des Staates erblicken; in der Tat ward dadurch in +der Nichtigkeit und Unfreiheit des gesetzlich höchsten Organs der römischen +Gemeinde auch nicht das mindeste geändert, ja dieselbe allen, die es anging und +nicht anging, nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso +eitel war die förmliche Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der +Bürgerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres Versammlungsplatzes von der +alten Dingstatt unter dem Rathaus auf den Marktplatz zuteil ward (um 609 145). +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^1 Im Jahre 537 (217) wurde das die Wiederwahl zum Konsulat beschränkende +Gesetz auf die Dauer des Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert +(Liv. 27, 6). Nach Marcellus’ Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum +Konsulat, wenn die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet +werden, überhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586, +591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152); also +nicht öfter in diesen sechsundfünfzig als zum Beispiel in den zehn Jahren +401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte, ist mit Verletzung +des zehnjährigen Intervalls erfolgt; und ohne Zweifel ist die seltsame Wahl des +Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und 599 (155), zum dritten Konsulat für 602 +(152), deren nähere Umstände wir nicht kennen, die Veranlassung der +gesetzlichen Untersagung der Wiederwahl zum Konsulat überhaupt (Liv. ep. 56) +geworden; zumal da dieser Antrag, als von Cato unterstützt (p. 55 Jordan), vor +605 (149) eingebracht worden sein muß. +</p> + +<p> +——————————————————- +</p> + +<p> +Aber diese Fehde der formalen Volkssouveränität gegen die tatsächlich +bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die Parteiphrasen +prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war in den wirklich und +unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig zu spüren. Das ganze siebente +Jahrhundert hindurch bildeten die jährlichen Gemeindewahlen zu den bürgerlichen +Ämtern, namentlich zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende +Tagesfrage und den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen +seltenen Fällen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte +politische Prinzipien verkörpert; regelmäßig blieben dieselben rein persönliche +Fragen und war es für den Gang der Angelegenheiten gleichgültig, ob die +Majorität der Wahlkörper dem Cäcilier oder dem Cornelier zufiel. Man entbehrte +also dessen, was die Übelstände des Parteilebens alle überträgt und vergütet, +der freien und gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmäßig +erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des kleinen +Spiels der herrschenden Koterien. +</p> + +<p> +Es war dem römischen Adligen verhältnismäßig leicht, die Ämterlaufbahn als +Quästor und Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der +Zensur war auch ihm nur durch große und jahrelange Anstrengungen möglich. Der +Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kämpfer liefen, wie ein +römischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken weiten, allmählich +mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht, solange das Amt war, wie es +hieß, eine “Ehre”, und militärische, politische, juristische +Kapazitäten wetteifernd um die seltenen Kränze warben; jetzt aber hob die +tatsächliche Geschlossenheit der Nobilität den Nutzen der Konkurrenz auf und +ließ nur ihre Nachteile übrig. Mit wenigen Ausnahmen drängten die den +regierenden Familien angehörenden jungen Männer sich in die politische +Laufbahn, und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren +Mitteln, als nützliche Tätigkeit für das gemeine Beste war. Die erste Bedingung +für die öffentliche Laufbahn wurden mächtige Verbindungen; dieselbe begann also +nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der einflußreichen Männer. +Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene getan, daß sie ihrem Herrn am +frühen Morgen aufzuwarten kamen und öffentlich in seinem Gefolge erschienen, +das übertrug sich jetzt auf die neue vornehme Klientel. Aber auch der Pöbel ist +ein großer Herr und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es +als sein Recht zu fordern, daß der künftige Konsul in jedem Lumpen von der +Gasse das souveräne Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem +“Umgang” (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begrüße und +ihm die Hand drücke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen +entwürdigenden Ämterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloß im Palast, +sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge durch Liebäugeleien, +Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder gröberer Qualität. Der Ruf +nach Reformen und die Demagogie wurden dazu vernutzt, sich bei dem Publikum +bekannt und beliebt zu machen; und sie wirkten um so mehr, je mehr sie nicht +die Sache angriffen, sondern die Person. Es ward Sitte, daß die bartlosen +Jünglinge vornehmer Geburt, um sich glänzend in das öffentliche Leben +einzuführen, mit der unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die +Rolle Catos weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womöglich +gegen einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwälten des +Staats aufwarfen; man ließ es geschehen, daß das ernste Institut der +Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel für den Ämterbewerb ward. +Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die Verheißung prachtvoller +Volkslustbarkeiten war längst die gleichsam gesetzliche Vorbedingung zur +Erlangung des Konsulats; jetzt begannen auch schon, wie das um 595 (159) +dagegen erlassene Verbot bezeugt, die Stimmen der Wähler geradezu mit Geld +erkauft zu werden. Vielleicht die schlimmste Folge des dauernden Buhlens der +regierenden Aristokratie um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser +Bettler- und Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den +Regierten gegenüber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch aus +einem Segen für das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, über Gut und Blut +der Bürger zum Besten des Vaterlandes nach Bedürfnis zu verfügen. Man ließ die +Bürgerschaft sich an den gefährlichen Gedanken gewöhnen, daß sie selbst von der +vorschußweisen Entrichtung direkter Abgaben gesetzlich befreit sei - nach dem +Kriege gegen Perseus ist kein Schoß mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man +ließ lieber das Heerwesen verfallen, als daß man die Bürger zu dem verhaßten +überseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging, die die +Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzuführen versuchten, ist schon +gesagt worden. +</p> + +<p> +In verhängnisvoller Weise verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die +zwiefachen Mißstände einer ausgearteten Oligarchie und einer noch +unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfraß ergriffenen Demokratie. Ihren +Parteinamen nach, welche zuerst in dieser Periode gehört werden, wollten die +“Optimaten” den Willen der Besten, die “Popularen” den +der Gemeinde zur Geltung bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder +eine wahre Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde. +Beide Parteien stritten gleichermaßen für Schatten und zählten in ihren Reihen +nur entweder Schwärmer oder Heuchler. Beide waren von der politischen Fäulnis +gleichmäßig ergriffen und in der Tat beide gleich nichtig. Beide waren mit +Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da weder hüben noch drüben ein +politischer Gedanke, geschweige denn ein politischer Plan sich fand, der über +diesen hinausgegangen wäre, und so vertrugen denn auch beide sich miteinander +so vollkommen, daß sie auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken +begegneten und der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik +als der politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen hätte ohne Zweifel gewonnen, +wenn entweder die Aristokratie statt der Bürgerschaftswahlen geradezu einen +erblichen Turnus eingeführt oder die Demokratie ein wirkliches +Demagogenregiment aus sich hervorgebracht hätte. Aber diese Optimaten und diese +Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die einen für die andern +viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und Leben zu bekriegen; sie konnten +nicht bloß nicht einander vernichten, sondern, wenn sie es gekonnt hätten, +hätten sie es nicht gewollt. Darüber wich denn freilich politisch wie sittlich +das Gemeinwesen immer mehr aus den Fugen und ging seiner völligen Auflösung +entgegen. +</p> + +<p> +Es ging denn auch die Krise, durch welche die römische Revolution eröffnet +ward, nicht aus diesem dürftigen politischen Konflikt hervor, sondern aus den +ökonomischen und sozialen Verhältnissen, welche die römische Regierung wie +alles andere lediglich gehen ließ und welche also Gelegenheit fanden, den seit +langem gärenden Krankheitsstoff jetzt ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und +Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit uralter Zeit beruhte die römische Ökonomie auf +den beiden ewig sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der bäuerlichen und +der Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem +großen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg geführt, +der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnächst des ganzen +Gemeinwesens endigen zu müssen schien, aber ohne eigentliche Entscheidung +abgebrochen ward infolge der glücklichen Kriege und der hierdurch möglich +gemachten umfänglichen und großartigen Domanialaufteilung. Es ward schon früher +gezeigt, daß in derselben Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und +Plebejern unter veränderten Namen erneuerte, das unverhältnismäßig +anschwellende Kapital einen zweiten Sturm gegen die bäuerliche Wirtschaft +vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer +ruiniert worden durch Vorschüsse, die ihn tatsächlich zum Meier seines +Gläubigers herabdrückten; jetzt ward er erdrückt durch die Konkurrenz des +überseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort mit der Zeit; +das Kapital führte gegen die Arbeit, das heißt gegen die Freiheit der Person, +den Krieg, natürlich wie immer in strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in +der unziemlichen Weise, daß der freie Mann der Schulden wegen Sklave ward, +sondern von Haus aus mit rechtmäßig gekauften und bezahlten Sklaven; der +ehemalige hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeitgemäßer Gestalt als +industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebnis war in beiden +Fällen das gleiche: die Entwertung der italischen Bauernstellen, die +Verdrängung der Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in +Italien durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in +Italien auf Viehzucht und auf Öl- und Weinbau; schließlich die Ersetzung der +freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch Sklaven. Eben wie die +Nobilität deshalb gefährlicher war als das Patriziat, weil jene nicht wie +dieses durch eine Verfassungsänderung sich beseitigen ließ, so war auch diese +neue Kapitalmacht darum gefährlicher als die des vierten und fünften +Jahrhunderts, weil gegen sie mit Änderungen des Landrechts nichts auszurichten +war. +</p> + +<p> +Ehe wir es versuchen, den Verlauf dieses zweiten großen Konflikts von Arbeit +und Kapital zu schildern, wird es notwendig, über das Wesen und den Umfang der +Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir haben es hier +nicht zu tun mit der alten, gewissermaßen unschuldigen Feldsklaverei, wonach +der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr +Land besitzt, als er bewirtschaften kann, denselben entweder als Verwalter oder +auch unter Verpflichtung zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermaßen +als Pächter über einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhältnisse +bestanden zwar zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch in der +Kaiserzeit die Regel -, allein als Ausnahmezustände bevorzugter Landschaften +und milde verwalteter Güter. Hier ist die Großwirtschaft mit Sklaven gemeint, +welche im römischen Staat wie einst im karthagischen aus der Übermacht des +Kapitals sich entwickelte. Während für den Sklavenbestand der älteren Zeit die +Kriegsgefangenschaft und die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht +diese Sklavenwirtschaft, völlig wie die amerikanische, auf systematisch +betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der Sklaven +wenig Rücksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevölkerung beständig +zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den Sklavenmarkt +liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten. Kein Land, wo dieses +jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon verschont; selbst in Italien war es +keineswegs unerhört, daß der arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven +eingestellt ward. Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die +kretischen und kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmäßigen Sklavenjäger +und Sklavenhändler, die Küsten Syriens und die griechischen Inseln ausraubten, +wo mit ihnen wetteifernd die römischen Zollpächter in den Klientelstaaten +Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter ihr Sklavengesinde +untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang, daß um 650 (100) der König +von Bithynien sich unfähig erklärte, den verlangten Zuzug zu leisten, da aus +seinem Reich alle arbeitsfähigen Leute von den Zollpächtern weggeschleppt +seien. Auf dem großen Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen +Sklavenhändler ihre Ware an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an +einem Tage bis zu 10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle +verkauft gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven +geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot überstieg. +Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der römischen Ökonomie des +sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, daß dieselbe wie überhaupt die +gesamte Großwirtschaft des Altertums auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer +die Spekulation sich warf, ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum +Tier herabgesetzte Mensch. Durch Sklaven wurden großenteils die Handwerke +betrieben, so daß der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der +Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der öffentlichen Gefälle in den +untern Graden regelmäßig beschafft. Ihre Hände besorgten den Grubenbau, die +Pechhütten und was derart sonst vorkommt; schon früh kam es auf, Sklavenherden +nach den spanischen Bergwerken zu senden, deren Vorsteher sie bereitwillig +annahmen und hoch verzinsten. Die Wein- und Olivenlese wurde in Italien nicht +von den Leuten auf dem Gut bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord +gegeben. Die Hütung des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der +bewaffneten, häufig berittenen Hirtensklaven auf den großen Weidestrecken +Italiens ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward +bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der römischen Spekulation - +so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), als die römischen +Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise die Viehzucht im großen zu +betreiben. Aber in jeder Beziehung weit schlimmer noch war der eigentliche +Plantagenbau, die Bestellung der Felder durch eine Herde nicht selten mit dem +Eisen gestempelter Sklaven, welche mit Fußschellen an den Beinen unter +Aufsehern des Tags die Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen, +häufig unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese +Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert und scheint +durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo, wahrscheinlich aus +diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft früher und vollständiger als in +irgendeinem anderen Gebiet der römischen Herrschaft durchgebildet auftritt 3. +Die Leontinische Feldmark von etwa 30 000 Jugera urbaren Landes, die als +römische Domäne von den Zensoren verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien +nach der Gracchenzeit geteilt unter nicht mehr als 84 Pächter, von denen also +durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein einziger +Leontiner, die übrigen fremde, meistens römische Spekulanten waren. Man sieht +hieraus, mit welchem Eifer die römischen Spekulanten hier in die Fußstapfen +ihrer Vorgänger traten und welche großartigen Geschäfte mit sizilischem Vieh +und sizilischem Sklavenkorn die römischen und nichtrömischen Spekulanten +gemacht haben werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel +bedeckten. Italien indes blieb von dieser schlimmsten Form der +Sklavenwirtschaft für jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien, +wo die Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo +sie wenigstens vierzig Jahre später in ausgedehntestem Umfange bestand, +höchstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward +doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch überwiegend durch freie +Leute oder doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Akkordierung größerer +Arbeiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der Unterschied +des italischen Sklavenwesens von dem sizilischen darin, daß bei dem sizilischen +Sklavenaufstand 619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise +lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +2 Auch damals wurde es geltend gemacht, daß die Menschenrasse daselbst durch +besondere Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon +Plautus (Trip. 542) preist “den Syrerschlag, der mehr verträgt als ein +andrer sonst”. +</p> + +<p> +3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses (ergastulum von +εργάζομαι nach Analogie von stabulum, operculum) deutet darauf, daß diese +Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen Sprachgebiets und in einer +noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit den Römern zukam. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich +vor unsern Augen auftut, mag ergründen, wer den Blick in solche Tiefen wagt; es +ist leicht möglich, daß mit denen der römischen Sklavenschaft verglichen die +Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Notstand +der Sklavenschaft selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen +Staat brachte und auf das Verhalten der Regierung denselben gegenüber. Daß dies +Proletariat weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von +ihr beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es hätte dies nur geschehen können +durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen wären als das Übel. Der Regierung +lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr für Eigentum und Leben, womit das +Sklavenproletariat die Staatsangehörigen bedrohte, durch eine ernstliche +Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf die möglichste Beschränkung des +Proletariats durch Hebung der freien Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die +römische Aristokratie diesen beiden Aufgaben nachkam. +</p> + +<p> +Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die allerorts ausbrechenden +Sklavenverschwörungen und Sklavenkriege. In Italien schienen die wüsten +Vorgänge, wie sie in den unmittelbaren Nachwehen des Hannibalischen Krieges +vorgekommen waren, sich jetzt zu erneuern; auf einmal mußte man in der +Hauptstadt 150, in Minturnae 450, in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und +hinrichten lassen (621 133). Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den +Provinzen. Auf dem großen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen +Silbergruben hatte man um dieselbe Zeit die aufständischen Sklaven mit den +Waffen zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine +kleinasiatischen “Sonnenstädter” war wesentlich ein Krieg der +Besitzenden gegen die empörten Sklaven. Am ärgsten aber stand es +natürlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in Sizilien. Die +Räuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande, längst ein stehendes Übel; +sie fing an, sich zur Insurrektion zu steigern. Ein reicher und mit den +italischen Herren in industrieller Exploitierung seines lebendigen Kapitals +wetteifernder Pflanzer von Enna (Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen +erbitterten Feldsklaven überfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die +Stadt Enna strömte und dort derselbe Vorgang in größerem Maßstab sich +erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, töteten oder +knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen +Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer zu +speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt, jetzt als +Haupt der Insurgenten Antiochos der König der Syrer. Warum auch nicht? Hatte +doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht, der nicht einmal ein +Prophet war, in Antiocheia selbst das königliche Stirnband der Seleukiden +getragen. Der tapfere “Feldherr” des neuen Königs, der griechische +Sklave Achäos, durchstreifte die Insel, und nicht bloß die wilden Hirten +strömten von nah und fern unter die seltsamen Fahnen - auch die freien +Arbeiter, die den Pflanzern alles Üble gönnten, machten mit den empörten +Sklaven gemeinschaftliche Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein +kilikischer Sklave, Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Räuber, dem +gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Häupter miteinander sich +vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den Prätor +Lucius Hypsaeus selbst mit seiner größtenteils aus sizilischen Milizen +bestehenden Armee gänzlich zu schlagen und sein Lager zu erobern. Hierdurch kam +fast die ganze Insel in die Gewalt der Aufständischen, deren Zahl nach den +mäßigsten Angaben sich auf 70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer +sahen sich genötigt, drei Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und +konsularische Heere nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, +ja zum Teil unglücklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion +und von Enna der Aufstand überwältigt war. Vor der letzteren Stadt, in die sich +die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um sich in +dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Männer verteidigen, +die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die Konsuln Lucius +Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie +endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen 4. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +4 Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten +jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von +621 (133): L. Piso L. f. cos. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Das waren die Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem römischen +Senat und dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die +Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit der +Regierung erfordert und nur zu oft übersteigt, so ist dagegen die polizeiliche +Niederhaltung desselben für jedes größere Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. +Es stände wohl um die Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere +Gefahr bereiteten, als wie sie auch droht von Bären und Wölfen; nur der +Ängsterling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschäfte macht, +prophezeit den Untergang der bürgerlichen Ordnung in Sklavenaufständen oder +Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der Bändigung +der gedrückten Massen ward von der römischen Regierung trotz des tiefsten +Friedens und der unerschöpflichen Hilfsquellen des Staats keineswegs genügt. Es +war dies ein Zeichen ihrer Schwäche; aber nicht ihrer Schwäche allein. Von +Rechts wegen war der römische Statthalter verpflichtet, die Landstraßen rein zu +halten und die aufgegriffenen Räuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen +zu lassen; natürlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht möglich ohne +Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch mitunter, +wenn die Straßen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter eine Razzia +veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht zu verderben, +wurden die gefangenen Räuber von der Behörde in der Regel an ihre Herren zu +gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese Herren waren sparsame Leute, +welche ihren Hirtenknechten, wenn sie Kleider begehrten, mit Prügel antworteten +und mit der Frage, ob denn die Reisenden nackt durch das Land zögen. Die Folge +solcher Konnivenz war denn, daß nach Überwältigung des Sklavenaufstandes der +Konsul Publius Rupilius alles, was lebend in seine Hände kam, es heißt über +20000 Menschen, ans Kreuz schlagen ließ. Es war freilich nicht länger möglich, +das Kapital zu schonen. +</p> + +<p> +Unendlich schwerer zu gewinnende, freilich auch unendlich reichere Früchte +verhieß die Fürsorge der Regierung für Hebung der freien Arbeit und folgeweise +für Beschränkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser Beziehung +schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte man gesetzlich +dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner Sklavenarbeiter +abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt ward auf Veranlassung +der Regierung eine punische Schrift über den Landbau, ohne Zweifel eine +Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach karthagischer Art, zu Nutz und Frommen +der italischen Spekulation ins Lateinische übersetzt -das erste und einzige +Beispiel einer von dem römischen Senat veranlaßten literarischen Unternehmung! +Dieselbe Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder +vielmehr in der Lebensfrage für Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte +nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten sozialen Krise +Roms, um zu begreifen, daß gegen ein agrikoles Proletariat die einzige +ernstliche Abhilfe in einem umfassenden und regularisierten Emigrationssystem +bestand, wozu die äußeren Verhältnisse Roms die günstigste Gelegenheit +darboten. Bis gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem +fortwährenden Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwährende +Gründung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs in dem +Maße geschehen, wie es hätte geschehen können und sollen; man hatte nicht bloß +das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte Domanialland nicht eingezogen, +sondern auch weitere Okkupationen neugewonnenen Landes gestattet und andere +sehr wichtige Erwerbungen, wie namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der +Okkupation preisgegeben, aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern +als nutzbare Domäne verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich +gewirkt, vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach +der Gründung von Luna (577 177) findet sich, außer der vereinzelt stehenden +Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597 (157), von weiteren +Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit +der Besiegung der Boier und Apuaner außer den wenig lockenden ligurischen +Tälern neues Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes +Land zu verteilen als das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen +Antastung der Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie +vor dreihundert Jahren. Das außerhalb Italien! gewonnene Gebiet zur Verteilung +zu bringen, schien aber aus politischen Gründen unzulässig; Italien sollte das +herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen italischen Herren und +dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn man nicht die Rücksichten der höheren +Politik oder gar die Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der +Regierung nichts übrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, +und also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer +auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Äcker ohne +Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer gütlich abging - eine +besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, während er im Felde stand, Weib und +Kinder vom Hofe zu stoßen und ihn mittels der Theorie der vollendeten Tatsache +zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer fuhren fort, statt der freien +Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu bedienen, schon deshalb, weil diese +nicht wie jene zum Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie +Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft +herabzudrücken. Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische +Sklavenkorn das italische von dem hauptstädtischen Markt zu verdrängen und +dasselbe auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte +einheimische Aristokratie im Bunde mit den römischen Kapitalisten schon im +Jahre 520 (184) es so weit gebracht, daß es dort keinen freien Bauern mehr gab. +Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt werden, daß die Tiere ihr +Lager hätten, den Bürgern aber nichts geblieben sei als Luft und Sonnenschein +und daß die, welche die Herren der Welt hießen, keine Scholle mehr ihr eigen +nennten. Den Kommentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten der +römischen Bürgerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre 595 +(159) ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache wesentlich zu +suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen Verteilungen von Domanialland; +nach 595 (159), wo die Zählung 328000 waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich +dagegen ein regelmäßiges Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf +324000, im Jahre 607 (147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 +waffenfähige Bürger stellt - ein erschreckendes Ergebnis für eine Zeit tiefen +inneren und äußeren Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich +auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schließlich der römische Staat, wie es +bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt kaufen. +</p> + +<p> +So standen die äußeren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat eintrat in +das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin man auch das Auge wandte, fiel +es auf Mißbräuche und Verfall; jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann mußte +die Erwägung sich aufdrängen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. +Es fehlte an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem +großen Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des +Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des großen Scipio, der dessen glorreichen +Afrikanernamen nicht bloß kraft Erb-, sondern auch kraft eigenen Rechtes trug, +Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625 184-129). Gleich seinem +Vater war er ein maßvoller, durch und durch gesunder Mann, nie krank am Körper +und nie unsicher über den nächsten und notwendigen Entschluß. Schon in seiner +Jugend hatte er sich ferngehalten von dem gewöhnlichen Treiben der politischen +Anfänger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren und den +gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd - als Siebzehnjähriger +hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter seinem Vater mit +Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafür sich freie Pirsch in dem +seit vier Jahren unberührten Wildhag der Könige von Makedonien erbeten - und +vor allen Dingen wandte er gern seine Muße auf wissenschaftlichen und +literarischen Genuß. Durch die Fürsorge seines Vaters war er früh in diejenige +echte griechische Bildung eingeführt worden, welche über das geschmacklose +Hellenisieren der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und +treffende Würdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und +durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Römer den Höfen des Ostens, ja +sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus erkannte man vor +allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem klassisch reinen Latein. +Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller, zeichnete er doch wie Cato seine +politischen Reden auf - sie wurden gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, +der Mutter der Gracchen, von den späteren Literatoren als Meisterstücke +mustergültiger Prosa geschätzt - und zog mit Vorliebe die besseren griechischen +und römischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm +freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat, die auf +ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein sittlich fester +und zuverlässiger Mann, galt sein Wort bei Freund und Feind; er mied Bauten und +Spekulationen und lebte einfach; dafür handelte er in Geldangelegenheiten nicht +bloß ehrlich und uneigennützig, sondern auch mit einer dem kaufmännischen Sinn +seiner Zeitgenossen seltsam dünkenden Zartheit und Liberalität. Er war ein +tüchtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er den +Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefährdeter Bürger mit eigener Lebensgefahr +erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als Feldherr, den er als +Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen Aufgaben sein +Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstände ihm keine Gelegenheit. Scipio +war so wenig wie sein Vater eine geniale Natur - davon zeugt schon seine +Vorliebe für Xenophon, den nüchternen Militär und korrekten Schriftsteller -, +aber ein rechter und echter Mann, der vor andern berufen schien, dem +beginnenden Verfall durch organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender +ist es, daß er es nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte, +Mißbräuche abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf +Verbesserung der Rechtspflege. Hauptsächlich durch seinen Beistand vermochte +Lucius Cassius, ein tüchtiger Mann von altväterischer Strenge und +Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein +Stimmgesetz durchzubringen, welches für die noch immer den wichtigsten Teil der +Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime Abstimmung +einführte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht hatte mitmachen mögen, +in seinen reifen Jahren selbst mehrere der schuldigsten Männer der Aristokratie +vor die Gerichte. In gleichem Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor +Numantia die Weiber und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und +das Soldatengesindel wieder zurück gezwungen unter den eisernen Druck der alten +Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der glattkinnigen +Manschettenträger aufgeräumt und mit ernsten Worten die Bürgerschaft ermahnt, +an den rechtschaffenen Sitten der Väter treulich zu halten. Aber niemand, und +er selber am wenigsten, konnte es verkennen, daß die Verschärfung der +Rechtspflege und das vereinzelte Dazwischenfahren nicht einmal Anfänge waren +zur Heilung der organischen Übel, an denen der Staat krankte. An diese hat +Scipio nicht gerührt. Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios älterer Freund +und sein politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefaßt, die +Einziehung des unvergebenen, aber vorläufig okkupierten italischen +Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends +verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand von dem +Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff war, und ward +fortan “der Verständige” genannt. Auch Scipio dachte also. Er war +von der Größe des Übels völlig durchdrungen und griff, wo er nur sich selber +wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person rücksichtslos an und durch; +allein er hatte sich auch überzeugt, daß dem Lande nur zu helfen sei um den +Preis derselben Revolution, die im vierten und fünften Jahrhundert aus der +Reformfrage sich entsponnen hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, +das Heilmittel schlimmer als das Übel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner +Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befürwortung des Cassischen +Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch auch nicht genügte +noch genügen wollte, während seines Lebens einsam, nach seinem Tode gefeiert +von beiden Parteien, bald als Vormann der Aristokratie, bald als Begünstiger +der Reform. Bis auf seine Zeit hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres +Amtes die Götter angerufen, dem Staat größere Macht und Herrlichkeit zu +verleihen; der Zensor Scipio betete, daß sie geneigen möchten, den Staat zu +erhalten. Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf. +</p> + +<p> +Aber wo der Mann verzagte, der zweimal das römische Heer aus tiefem Verfall zum +Siege geführt hatte, da getraute sich ein tatenloser Jüngling, zum Retter +Italiens sich aufzuwerfen. Er hieß Tiberius Sempronius Gracchus (591-621 +163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585 177, 163;169) +war das rechte Musterbild eines römischen Aristokraten. Die glänzende, nicht +ohne Bedrückung der abhängigen Gemeinden zuwege gebrachte Pracht seiner +ädilizischen Spiele hatte ihm schweren und verdienten Tadel vom Senat +zugezogen, während er durch sein Einschreiten in dem leidigen Prozeß gegen die +persönlich ihm verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein +Standesgefühl, durch sein energisches Auftreten gegen die Freigelassenen in +seiner Zensur seine konservative Gesinnung betätigte und als Statthalter der +Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem durch Gerechtigkeit sich um sein +Vaterland ein bleibendes Verdienst und zugleich in den Gemütern der +unterworfenen Nation ein dauerndes Gedächtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb. +</p> + +<p> +Seine Mutter Cornelia war die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes +hochherzigen Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum +Schwiegersohn erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau, +die nach dem Tode ihres viel älteren Gemahls die Hand des Königs von Ägypten +zurückgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den Vater die drei ihr +gebliebenen Kinder erzog. Der ältere von den beiden Söhnen, Tiberius, war eine +gute und sittliche Natur, sanften Blicks und ruhigen Wesens, wie es schien, zu +allem andern eher bestimmt als zum Agitator der Massen. Mit allen seinen +Beziehungen und Anschauungen gehörte er dem Scipionischen Kreise an, dessen +feine griechische und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten. +Scipio Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter +ihm hatte Tiberius als Achtzehnjähriger die Erstürmung Karthagos mitgemacht und +durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und kriegerische +Auszeichnungen erworben. Daß der tüchtige junge Mann die Anschauungen über den +Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie in diesem Kreise gangbar +waren, die Gedanken namentlich über die Hebung des italischen Bauernstandes mit +aller Lebendigkeit und allem Rigorismus der Jugend in sich aufnahm und +steigerte, ist begreiflich; waren es doch nicht bloß die jungen Leute, denen +das Zurückweichen des Laelius vor der Durchführung seiner Reformideen nicht +verständig erschien, sondern schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611 +143) und Zensor (618 136), einer der angesehensten Männer des Senats, tadelte +mit all der gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der +Claudier erblich war und blieb, daß der Scipionische Kreis den Plan der +Domänenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, wie es +scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die Zensur in +persönliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius Crassus Mucianus sich +aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und Rechtsgelehrter im Senat wie +in der Bürgerschaft allgemein verehrt. Sogar dessen Bruder Publius Mucius +Scaevola, der Begründer der wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem +Reformplan nicht abgeneigt, und seine Stimme war von um so größerem Gewicht, +als er gewissermaßen außerhalb der Parteien stand. Ähnlich dachte Quintus +Metellus, der Überwinder Makedoniens und der Achäer, mehr aber noch als seiner +Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und Sitte in seinem +häuslichen wie in seinem öffentlichen Leben. Tiberius Gracchus stand diesen +Männern nahe, namentlich dem Appius, dessen Tochter er, und dem Mucianus, +dessen Tochter sein Bruder zum Weib genommen hatte; es war kein Wunder, daß der +Gedanke sich in ihm regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er +sich in einer Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmäßig die Initiative +gestatte. Persönliche Motive mochten ihn hierin bestärken. Der Friedensvertrag, +den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloß, war wesentlich +Gracchus’ Werk; daß der Senat ihn kassiert hatte, daß der Feldherr +deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit den übrigen höheren +Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die größere Gunst, deren er bei der +Bürgerschaft genoß, entgangen war, konnte den jungen rechtschaffenen und +stolzen Mann nicht milder stimmen gegen die herrschende Aristokratie. Die +hellenischen Rhetoren, mit denen er gern philosophierte und politisierte, der +Mytilenäer Diophanes, der Kymäer Gaius Blossius, nährten in seiner Seele die +Ideale, mit denen er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt +wurden, fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher öffentliche +Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, der Rettung +Italiens zu gedenken. +</p> + +<p> +Am 10. Dezember 620 (134) übernahm Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die +entsetzlichen Folgen der bisherigen Mißregierung, der politische, militärische, +ökonomische, sittliche Verfall der Bürgerschaft lagen eben damals nackt und +bloß jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine +ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufständischen Sklaven und war der andere, +Scipio Aemilianus, seit Monaten beschäftigt, eine kleine spanische Landstadt +nicht zu besiegen, sondern zu erdrücken. Wenn es noch einer besonderen +Aufforderung bedurfte, um Gracchus’ Entschluß zur Tat werden zu lassen, +sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemüt mit unnennbarer Angst erfüllenden +Zuständen. Sein Schwiegervater versprach Beistand mit Rat und Tat, man durfte +hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul +für 621 (133) erwählt worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt +seines Amtes die Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war +als eine Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es +sollten danach die sämtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne Entgelt +benutzten Staatsländereien - die verpachteten, wie zum Beispiel das Gebiet von +Capua, berührte das Gesetz nicht - von Staats wegen eingezogen werden, jedoch +mit der Beschränkung, daß der einzelne Okkupant für sich 500 und für jeden Sohn +250, im ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem +Besitz solle behalten oder dafür Ersatz in Land in Anspruch nehmen dürfen. Für +etwaige, von den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebäude +und Pflanzungen, scheint man Entschädigung bewilligt zu haben. Das also +eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und diese +teils an Bürger, teils an italische Bundesgenossen verteilt werden, nicht als +freies Eigentum, sondern als unveräußerliche Erbpacht, deren Inhaber das Land +zum Feldbau zu benutzen und eine mäßige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich +verpflichteten. Ein Kollegium von drei Männern, die als ordentliche und +stehende Beamte der Gemeinde angesehen und jährlich von der Volksversammlung +gewählt wurden, ward mit dem Einziehungs- und Aufteilungsgeschäft beauftragt, +wozu später noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich +festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die Aufteilung war +demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, bis daß die sehr +ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen Domänen reguliert sein +würden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz verglichen waren neu in dem +Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel zu Gunsten der beerbten Besitzer, +teils die für die neuen Landstellen beantragte Erbpachtgutsqualität und +Unveräußerlichkeit, teils und vor allem die regulierte und dauernde Exekutive, +deren Fehlen in dem älteren Gesetz hauptsächlich bewirkt hatte, daß dasselbe +ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war. +</p> + +<p> +Den großen Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren +wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt, und seit +langem zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter +Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf in der +für solche Fälle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen des Beamtentums durch +dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege des Gracchus, Marcus Octavius, ein +entschlossener und von der Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes +ernstlich überzeugter Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht +werden sollte; womit verfassungsmäßig der Antrag beseitigt war. Gracchus +sistierte nun seinerseits die Staatsgeschäfte und die Rechtspflege und legte +seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man nahm es hin - es war unbequem, +aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos, brachte sein Gesetz +zum zweitenmal zur Abstimmung; natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch, +und auf die flehentliche Bitte seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die +Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwidern, daß darüber, wie Italien +gerettet werden könne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmäßiges +Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen, außer +allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus einen +leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei Konsulare forderten ihn auf, die +Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging der Tribun +hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, daß der Senat damit die +Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; allein weder lag dies darin, +noch war der Senat irgend geneigt, in der Sache nachzugeben; die Verhandlungen +endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungsmäßigen Wege waren erschöpft. In +früheren Zeiten hatte man unter solchen Verhältnissen es sich nicht verdrießen +lassen, den gestellten Antrag für dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem +folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der Druck der +öffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man rascher. Gracchus +schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf die Reform überhaupt +verzichten oder die Revolution beginnen mußte; er tat das letztere, indem er +mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daß entweder er oder Octavius aus +dem Kollegium ausscheiden müsse, und diesem ansann, die Bürger darüber +abstimmen zu lassen, welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte +sich natürlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die Interzession +war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der Kollegen Raum zu +gewähren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Kollegen ab und wandte sich +an die versammelte Menge mit der Frage, ob nicht der Volkstribun, der dem Volk +zuwiderhandle, sein Amt verwirkt habe; und die Versammlung, längst gewohnt, zu +allen an sie gebrachten Anträgen ja zu sagen und größtenteils zusammengesetzt +aus dem vom Lande hereingeströmten und bei der Durchführung des Gesetzes +persönlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die +Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus’ Befehl durch die Gerichtsdiener +von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter allgemeinem Jubel das +Ackergesetz durchgebracht und die ersten Teilungsherren ernannt. Die Stimmen +fielen auf den Urheber des Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjährigen Bruder +Gaius und seinem Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl +steigerte die Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie +üblich an den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu +erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24 Assen (10 +Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer gehässiger und +persönlicher. Das schwierige und verwickelte Geschäft der Abgrenzung, +Einziehung und Aufteilung der Domänen trug den Hader in jede Bürgergemeinde, ja +selbst in die verbündeten italischen Städte. Die Aristokratie hatte es kein +Hehl, daß sie das Gesetz vielleicht, weil sie müsse, sich gefallen lassen, der +unberufene Gesetzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die +Ankündigung des Quintus Pompeius, daß er den Gracchus an demselben Tage, wo er +das Tribunat niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den +Drohungen, die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste. +Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persönliche Sicherheit +bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine Gefolge von drei- bis +viertausend Menschen, worüber er selbst von dem der Reform an sich nicht +abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte hören wußte. Überhaupt, wenn er +gemeint hatte, mit Durchbringung seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so +hatte er jetzt zu lernen, daß er erst am Anfang stand. Das “Volk” +war ihm zu Dank verpflichtet; aber er war ein verlorener Mann, wenn er keinen +anderen Schirm mehr hatte als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben +nicht unentbehrlich blieb und durch andere und weitergreifende Vorschläge neue +und immer neue Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Ebendamals war durch +das Testament des letzten Königs von Pergamon den Römern Reich und Vermögen der +Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk, den pergamenischen +Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung des erforderlichen +Beschlags zu verteilen und vindizierte überhaupt, gegen die bestehende Übung, +der Bürgerschaft das Recht, über die neue Provinz definitiv zu entscheiden. +Weitere populäre Gesetze, über Abkürzung der Dienstzeit, über Ausdehnung des +Provokationsrechts, über die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, +ausschließlich als Zivilgeschworene zu fungieren, sogar über die Aufnahme der +italischen Bundesgenossen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet +haben; wie weit seine Entwürfe in der Tat gereicht haben, läßt sich nicht +entscheiden, gewiß ist nur, daß Gracchus seine einzige Rettung darin sah, das +Amt, das ihn schützte, von der Bürgerschaft auf ein zweites Jahr verliehen zu +erhalten, und daß er, um diese verfassungswidrige Verlängerung zu bewirken, +weitere Reformen in Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das +Gemeinwesen zu retten, so wußte er jetzt schon, um sich zu retten, das +Gemeinwesen aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der +Tribunen für das nächste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre Stimmen +für Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch schließlich +wenigstens insoweit durch, daß die Versammlung unverrichteter Sache aufgelöst +und die Entscheidung auf den folgenden Tag verschoben ward. Für diesen setzte +Gracchus alle Mittel in Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem +Volke im Trauergewand und empfahl ihm seinen unmündigen Knaben; für den Fall, +daß die Wahl abermals durch Einspruch gestört werden würde, traf er +Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem Versammlungsplatz +vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam der zweite Wahltag heran; +die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden und wieder erfolgte der Einspruch; +der Auflauf begann. Die Bürger zerstreuten sich; die Wahlversammlung war +faktisch aufgehoben; der Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzählte +sich in der Stadt, bald daß Tiberius die sämtlichen Tribunen abgesetzt habe, +bald daß er ohne Wiederwahl sein Amt fortzuführen entschlossen sei. Der Senat +versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die +erbittertsten Gegner des Gracchus führten in der Sitzung das Wort; als Tiberius +die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getümmel dem Volke zu +erkennen zu geben, daß sein Leben bedroht sei, hieß es, er fordere schon die +Leute auf, sein Haupt mit der königlichen Binde zu schmücken. Der Konsul +Scaevola ward angegangen, den Hochverräter sofort töten zu lassen; als der +gemäßigte, der Reform an sich keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige +wie barbarische Begehren unwillig zurückwies, rief der Konsular Publius Scipio +Nasica, ein harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, +sich zu bewaffnen, wie sie könnten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten war +zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk wich scheu +auseinander, als es die vornehmen Männer mit Stuhlbeinen und Knütteln in den +Händen zornigen Auges heranstürmen sah; Gracchus versuchte, von wenigen +begleitet, zu entkommen. Aber er stürzte auf der Flucht am Abhang des Kapitols +und ward von einem der Wütenden - Publius Satureius und Lucius Rufus stritten +sich später um die Henkerehre - vor den Bildsäulen der sieben Könige am Tempel +der Treue durch einen Knüttelschlag auf die Schläfe getötet; mit ihm +dreihundert andere Männer, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, +wurden die Körper in den Tiberfluß gestürzt; vergebens bat Gaius, ihm die +Leiche seines Bruders zur Bestattung zu vergönnen. Solch einen Tag hatte Rom +noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjährige Hader der Parteien während der +ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe geführt, wie diejenige war, +mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der Aristokratie mochte +schaudern; indes man konnte nicht mehr zurück. Man hatte nur die Wahl, eine +große Zahl der zuverlässigsten Parteigenossen der Rache der Menge preiszugeben +oder die Verantwortung der Untat auf die Gesamtheit zu übernehmen; das letztere +geschah. Man hielt offiziell daran fest, daß Gracchus die Krone habe nehmen +wollen, und rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja +man überwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus’ Mitschuldige +einer besonderen Kommission und ließ deren Vormann, den Konsul Publius +Popillius, dafür sorgen, daß durch Blutsentenzen gegen eine große Anzahl +geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachträglich eine Art rechtlichen +Gepräges aufgedrückt ward (622 132). Nasica, gegen den vor allen anderen die +Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut hatte, sich offen vor dem +Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu vertreten, ward unter ehrenvollen +Vorwänden nach Asien gesandt und bald darauf (624 130) abwesend mit dem +Oberpontifikat bekleidet. Auch die gemäßigte Partei trennte sich hierin nicht +von ihren Kollegen. Gaius Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen +die Gracchaner; Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht +hatte, verteidigte sie später im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner +Rückkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich öffentlich darüber zu +erklären, ob er die Tötung seines Schwagers billige oder nicht, gab er die +wenigstens zweideutige Antwort, daß, wofern er nach der Krone getrachtet habe, +er mit Recht getötet worden sei. +</p> + +<p> +Versuchen wir über diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen. +Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefährlichen Zusammenschwinden +der Bauernschaft durch umfassende Gründung neuer Kleinstellen aus dem gesamten, +dem Staat zur Verfügung stehenden italischen Grundbesitz entgegenzuwirken +hatte, war freilich kein Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen +Zustandes, aber unter den obwaltenden politischen und sozialen Verhältnissen +zweckmäßig. Die Aufteilung der Domänen ferner war an sich keine politische +Parteifrage; sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgeführt werden, ohne +daß die bestehende Verfassung geändert, das Regiment der Aristokratie irgend +erschüttert ward. Ebensowenig konnte hier von einer Rechtsverletzung die Rede +sein. Anerkanntermaßen war der Eigentümer des okkupierten Landes der Staat; der +Inhaber konnte als bloß geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den +gutgläubigen Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es +konnte, stand ihm entgegen, daß gegen den Staat nach römischem Landrecht die +Verjährung nicht lief. Die Domänenaufteilung war keine Aufhebung, sondern eine +Ausübung des Eigentums; über die formelle Rechtsbeständigkeit derselben waren +alle Juristen einig. Allein damit, daß die Domänenaufteilung weder der +bestehenden Verfassung Eintrag tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloß, +war der Versuch, diese Rechtsansprüche des Staats jetzt durchzuführen, +politisch noch keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert +hat, wenn ein großer Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsächlich seit +langen Jahren nicht erhobene Ansprüche plötzlich in ihrem ganzen Umfang geltend +zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem Rechte auch gegen die +Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar hatten diese okkupierten +Domänen zum Teil seit dreihundert Jahren sich in erblichem Privatbesitz +befunden; das Bodeneigentum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt +leichter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert, war an +diesen Grundstücken so gut wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgängig +durch Kauf oder sonstigen lästigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der +Jurist mochte sagen was er wollte; den Geschäftsleuten erschien die Maßregel +als eine Expropriation der großen Grundbesitzer zum Besten des agrikolen +Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie anders bezeichnen. +Daß die leitenden Männer der catonischen Epoche nicht anders geurteilt hatten, +zeigt sehr klar die Behandlung eines ähnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen +Falles. Das im Jahre 543 (211) zur Domäne geschlagene Gebiet von Capua und den +Nachbarstädten war in den folgenden unruhigen Zeiten tatsächlich größtenteils +in Privatbesitz übergegangen. In den letzten Jahren des sechsten Jahrhunderts, +wo man vielfältig, besonders durch Catos Einfluß bestimmt, die Zügel des +Regiments wieder straffer anzog, beschloß die Bürgerschaft, das campanische +Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum Besten des Staatsschatzes zu verpachten +(582 172). Dieser Besitz beruhte auf einer nicht durch vorgängige Aufforderung, +sondern höchstens durch Konnivenz der Behörden gerechtfertigten und nirgends +viel über ein Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die +Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem Stadtprätor +Publius Lentulus ausgeworfene Entschädigungssumme aus dem Besitz gesetzt (ca. +589 165) 5. Weniger bedenklich vielleicht, aber doch auch nicht unbedenklich +war es, daß für die neuen Landlose Erbpachtqualität und Unveräußerlichkeit +festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in bezug auf die Verkehrsfreiheit +hatten Rom groß gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der +römischen Institutionen, daß diese neuen Bauern von oben herab angehalten +wurden, ihr Grundstück in einer bestimmten Weise zu bewirtschaften, und daß für +dasselbe Retraktrechte und alle der Verkehrsbeschränkung anhängenden +Einschnürungsmaßregeln festgestellt wurden. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +5 Die bisher nur aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) +teilweise bekannte Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p. +4) wesentlich vervollständigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen, +daß Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte +Entschädigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentümern aber +nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war und sie auf +Verkauf sich nicht einlassen wollten. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Man wird einräumen, daß diese Einwürfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht +leicht wogen. Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsächliche Expropriation +der Domänenbesitzer war sicher ein großes Übel; aber sie war dennoch das +einzige Mittel, um einem noch viel größeren, ja den Staat geradezu +vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens auf lange +hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die ausgezeichnetsten und +patriotischsten Männer auch der konservativen Partei, an ihrer Spitze Gaius +Laelius und Scipio Aemilianus, die Domänenaufteilung an sich billigten und +wünschten. +</p> + +<p> +Aber wenn der Zweck des Tiberius Gracchus wohl der großen Majorität der +einsichtigen Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen +der Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen +Mannes Billigung gefunden und finden können. Rom wurde um diese Zeit regiert +durch den Senat. Wer gegen die Majorität des Senats eine Verwaltungsmaßregel +durchsetzte, der machte Revolution. Es war Revolution gegen den Geist der +Verfassung, als Gracchus die Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch +gegen den Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches +der Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäßig beseitigte, die +tribunizische Interzession durch die mit unwürdiger Sophistik gerechtfertigte +Absetzung seines Kollegen nicht bloß für jetzt, sondern für alle Folgezeit +zerstörte. Indes nicht hierin liegt die sittliche und politische Verkehrtheit +von Gracchus’ Tun. Für die Geschichte gibt es keine +Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat zum Kampf aufruft gegen die +andere, der ist gewiß ein Revolutionär, aber vielleicht zugleich ein +einsichtiger und preiswürdiger Staatsmann. Der wesentliche Fehler der +Gracchischen Revolution liegt in einer nur zu oft übersehenen Tatsache: in der +Beschaffenheit der damaligen Bürgerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius +Cassius und das des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt +und denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Männer nicht weniger +verschieden als die ehemalige römische Bürgerschaft, welche mit den Latinern +und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die Provinzen Asia +und Africa einrichten ließ. Jene war eine städtische Gemeinde, die +zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein großer Staat, dessen +Angehörige in einer und derselben Urversammlung zu vereinigen und diese +Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso klägliches wie lächerliches +Resultat gab. Es rächte sich hier der Grundfehler der Politie des Altertums, +daß sie nie vollständig von der städtischen zur staatlichen Verfassung oder, +was dasselbe ist, von dem System der Urversammlungen zum parlamentarischen +fortgeschritten ist. Die souveräne Versammlung Roms war, was die souveräne +Versammlung in England sein würde, wenn statt der Abgeordneten die sämtlichen +Wähler Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von +allen Interessen und allen Leidenschaften wüst bewegte Masse, in der die +Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die Verhältnisse zu +übersehen noch auch nur einen eigenen Entschluß zu fassen vermochte; eine Masse +vor allem, in welcher, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, unter dem Namen +der Bürgerschaft ein paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt +zufällig aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Bürgerschaft fand +sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen +Repräsentanten in der Regel ungefähr ebenso genügend vertreten wie in den +Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repräsentierenden dreißig +Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluß nichts war als ein +Beschluß desjenigen Magistrats, der die Gerichtsdiener zusammenrief, so war +auch der Tribus- und Zenturienbeschluß in dieser Zeit wesentlich nichts als ein +durch einige obligate Jaherren legalisierter Beschluß des vorschlagenden +Beamten. Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man es +auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Bürger erschienen, so +war dagegen in den bloßen Volksversammlungen, den Kontionen, platz- und +schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte, Ägypter und Juden, Gassenbuben und +Sklaven. In den Augen des Gesetzes bedeutete allerdings ein solches Meeting +nichts; es konnte nicht abstimmen noch beschließen. Allein tatsächlich +beherrschte dasselbe die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in +Rom und kam etwas darauf an, ob diese wüste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt +ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner +auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen anzuherrschen, +wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner Äußerung über den Tod seines +Schwagers ihn auszischten: Ihr da, sprach er, denen Italien nicht Mutter ist +sondern Stiefmutter, ihr habt zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr +meint doch nicht, daß ich die losgebunden fürchten werde, die ich in Ketten auf +den Sklavenmarkt geschickt habe? +</p> + +<p> +Daß man der verrosteten Maschine der Komitien sich für die Wahlen und für die +Gesetzgebung bediente, war schon übel genug. Aber wenn man diesen Massen, +zunächst den Komitien und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die +Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur Verhütung solcher +Eingriffe aus den Händen wand; wenn man gar diese sogenannte Bürgerschaft aus +dem gemeinen Säckel sich selber Äcker samt Zubehör dekretieren ließ; wenn man +einem jeden, dem die Verhältnisse und sein Einfluß beim Proletariat die +Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit +eröffnete, seinen Projekten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens +aufzudrücken, so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, +nicht bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in +der vorigen Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die +Bürgerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt. Darum +bezeichnen Gracchus’ Zeitgenossen, die Männer des Scipionischen Kreises, +das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt auf jener +verhängnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles der römischen Größe. Darum +ließen dieselben den Urheber der Domanialteilung fallen und erblickten in +seinem schrecklichen Ende gleichsam einen Damm gegen künftige ähnliche +Versuche, während sie doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit +aller Energie festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, +daß redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedrängt wurden, den +Übeltäter preiszugeben und die Frucht der Übeltat sich anzueignen. Darum hatten +auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne nicht unrecht, als sie ihn +beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es ist für ihn viel mehr eine zweite +Anklage als eine Rechtfertigung, daß dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich +fremd war. Das aristokratische Regiment war so durchaus verderblich, daß der +Bürger, der den Senat ab- und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, +vielleicht dem Gemeinwesen mehr noch nützte, als er ihm schadete. Allein dieser +kühne Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich fähiger, +durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht wußte, +was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den Pöbel beschwor und +nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis die unerbittliche +Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam drängte in die demagogisch-tyrannische +Bahn, bis mit der Familienkommission, den Eingriffen in das öffentliche +Kassenwesen, den durch Not und Verzweiflung erpreßten weiteren +“Reformen”, der Leibwache von der Gasse und den Straßengefechten +der bedauernswerte Usurpator Schritt für Schritt sich und andern klarer +hervortrat, bis endlich die entfesselten Geister der Revolution den unfähigen +Beschwörer packten und verschlangen. Die ehrlose Schlächterei, durch die er +endigte, richtet sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie +ausging; allein die Märtyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus’ Namen +geschmückt hat, kam hier wie gewöhnlich an den unrechten Mann. Die besten +seiner Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe +gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: “Also verderb’ ein +jeder, der ähnliche Werke vollführt hat!” Und als des Tiberius jüngerer +Bruder Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene +Mutter: “Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird die +Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schämen, den Staat +verwirrt und zerrüttet zu haben?” So sprach nicht die besorgte Mutter, +sondern die Tochter des Überwinders der Karthager, die noch ein größeres +Unglück kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/> +Die Revolution und Gaius Gracchus</h2> + +<p> +Tiberius Gracchus war tot; indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die +Revolution, überlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat +gegenüber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen Mord zur +Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den wahnsinnigen +Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr befestigt als +erschüttert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der Aristokratie, welche +die Domanialteilung offen begünstigte, an ihrer Spitze Quintus Metellus, eben +um diese Zeit (623 131) Zensor, und Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit +der Partei des Scipio Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt +war, selbst im Senat für jetzt die Oberhand, und ausdrücklich wies ein +Senatsbeschluß die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach dem +Sempronischen Gesetz sollten dieselben jährlich von der Gemeinde ernannt +werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein bei der +Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natürlich, daß die Wahl wieder und wieder +auf dieselben Männer fiel und eigentliche Neuwahlen nur stattfanden, wo ein +Platz durch den Tod sich erledigte. So trat für Tiberius Gracchus in dieselbe +ein der Schwiegervater seines Bruders Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als +dieser 624 (130) gefallen und auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das +Teilungsgeschäft in Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der +tätigsten Führer der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius +Carbo. Schon die Namen dieser Männer bürgen dafür, daß man das Geschäft der +Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer und +Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafür nicht an Beweisen. +Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius, derselbe, der die +Blutgerichte gegen die Anhänger des Tiberius Gracchus leitete, verzeichnet auf +einem öffentlichen Denkmal sich als “den ersten, der auf den Domänen die +Hirten aus- und dafür die Bauern eingewiesen habe”, und auch sonst ist es +überliefert, daß sich die Aufteilung über ganz Italien erstreckte und überall +in den bisherigen Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn +nicht durch Gründung neuer Gemeinden, sondern durch Verstärkung der bestehenden +die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen Ackergesetzes. Den +Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser Aufteilungen bezeugen die +zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die Gracchischen +Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel eine +gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung zuerst durch die +Gracchischen Grenzgerichte und Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein +scheint. Am deutlichsten aber reden die Zahlen der Bürgerliste. Die Schätzung, +die im Jahre 623 (131) veröffentlicht ward und tatsächlich wohl Anfang 622 +(132) stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfähige Bürger, wogegen sechs +Jahre später (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die Ziffer auf 395000, +also um 76000 hebt - ohne allen Zweifel lediglich infolge dessen, was die +Teilungskommission für die römische Bürgerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den +Italikern die Bauernstellen in demselben Verhältnis vermehrt hat, läßt sich +bezweifeln; auf alle Fälle war das, was sie erreichte, ein großes und +segensreiches Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache +Verletzung achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt, +besetzt mit den entschiedensten Parteimännern und durchaus Richter in eigener +Sache, ging mit seinen Arbeiten rücksichtslos und selbst tumultuarisch vor; +öffentliche Anschläge forderten jeden, der dazu imstande sei, auf über die +Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde +zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloß neue und alte Okkupation +ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch vielfältig wirkliches +Privateigentum, über das der Inhaber sich nicht genügend auszuweisen vermochte, +mitkonfisziert. Wie laut und großenteils begründet auch die Klagen waren, der +Senat ließ die Aufteiler gewähren: es war einleuchtend, daß, wenn man einmal +die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches rücksichtsloses Durchgreifen +schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte dies Gewährenlassen +doch seine Grenze. Das italische Domanialland war nicht lediglich in den Händen +römischer Bürger; große Strecken desselben waren einzelnen bundesgenössischen +Gemeinden durch Volks- oder Senatsbeschlüsse zu ausschließlicher Benutzung +zugewiesen, andere Stücke von latinischen Bürgern erlaubter- oder +unerlaubterweise okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese +Besitzungen an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern +einfach okkupierten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder vermutlich die +Einziehung des durch Senatsbeschlüsse, ja selbst des durch Gemeindebeschlüsse +den italischen Gemeinden überwiesenen Domaniallandes, da der Staat damit +keineswegs auf sein Eigentum verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden +eben wie an Private nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser +Bundes- oder Untertanengemeinden, daß Rom die in Kraft stehenden Abmachungen +nicht einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt +verletzten römischen Bürger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich mochten +jene nicht besser begründet sein als diese; aber wenn es in diesem Falle sich +um Privatinteressen von Staatsangehörigen handelte, so kam in Beziehung auf die +latinischen Possessionen in Frage, ob es politisch richtig sei, die militärisch +so wichtigen und schon durch zahlreiche rechtliche und faktische +Zurücksetzungen Rom sehr entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese +empfindliche Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. +Die Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen, die +nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern die Reform +gegen die Oligarchie geschützt hatte, und sie allein vermochte jetzt in +Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu setzen. Die Latiner +wandten sich persönlich an den hervorragendsten Mann dieser Partei, Scipio +Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu schützen; er sagte es zu, und +wesentlich durch seinen Einfluß ^1 ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluß +der Teilkommission die Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was +Domanial- und was Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an +die Konsuln gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam. +Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren Domanialaufteilung +in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs gracchanisch gesinnt und wenig +geneigt, mit der bedenklichen Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die +Gelegenheit wahr, zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene +Geschäft unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber +da die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch sie +notgedrungen untätig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst Männer wie +Publius Mucius und Quintus Metellus mißbilligten Scipios Zwischentreten. In +anderen Kreisen begnügte man sich nicht mit der Mißbilligung. Auf einen der +nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag über die Verhältnisse der Latiner +angekündigt; am Morgen dieses Tages ward er tot in seinem Bette gefunden. Daß +der sechsundfünfzigjährige in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der +noch den Tag vorher öffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede für +den nächsten Tag zu entwerfen, sich früher als gewöhnlich in sein Schlafgemach +zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist, kann +nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn gerichteten +Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand den ersten Staatsmann +und den ersten Feldherrn seiner Zeit bei nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie +an den Tag gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem +gleichzeitigen Stadtklatsch überlieferten Gerüchte zu wiederholen noch den +kindischen Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. +Nur daß der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehört haben muß, ist +einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die +aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten nicht +ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, daß ihre Führer, Gaius Gracchus, +Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozeß möchten verwickelt werden, +widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung einer Untersuchung; und auch +die Aristokratie, die an Scipio ebensosehr einen Gegner wie einen Verbündeten +verlor, ließ nicht ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemäßigten Männer +standen entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten +gegen die Reform gemißbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd +sich abwandte und seinen vier Söhnen befahl, die Bahre des großen Gegners zur +Feuerstätte zu tragen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt; verhüllten +Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht des Siegers von Zama hinausgetragen, +ohne daß jemand zuvor des Toten Antlitz hätte sehen dürfen, und die Flammen des +Scheiterhaufens verzehrten mit der Hülle des hohen Mannes zugleich die Spuren +des Verbrechens. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Hierher gehört ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit nicht, +wie man gesagt hat, ein Gesetz über Quästionengerichte gemeint ist, sondern das +Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut triumviri iudicarent, qua +publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep. 28; oben S. 95). +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus, aber +keinen, der an sittlicher Reinheit, an völliger Abwesenheit des politischen +Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; vielleicht auch keinen, +dem das Geschick eine tragischere Rolle zugewiesen hat. Des besten Willens und +nicht gemeiner Fähigkeiten sich bewußt, war er dazu verurteilt, den Ruin seines +Vaterlandes vor seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen +Versuch einer Rettung, in der klaren Einsicht, nur übel damit ärger zu machen, +in sich niederzukämpfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica gutheißen +und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Mörder verteidigen zu müssen. +Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst gelebt zu haben. Er war es, +wenigstens ebensosehr wie der Urheber des Sempronischen Gesetzes, dem die +römische Bürgerschaft einen Zuwachs von gegen 80000 neuen Bauernhufen +verdankte; er war es auch, der diese Domanialteilung hemmte, als sie genützt +hatte, was sie nützen konnte. Daß es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward +zwar damals auch von wohlmeinenden Männern bestritten; aber die Tatsache, daß +auch Gaius Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden +und unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht gar +sehr dafür, daß Scipio im wesentlichen den richtigen Moment traf. Beide +Maßregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der Aristokratie, die +zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber mit seinem Leben. Es war +Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld für sein Vaterland zu fechten und +unverletzt heimzukehren, um dort den Tod von Mörderhand zu finden; aber er ist +in seiner stillen Kammer nicht minder für Rom gestorben, als wenn er vor +Karthagos Mauern gefallen wäre. +</p> + +<p> +Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die revolutionäre +Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine konstituierte Vorstandschaft +besaß, hatte schon bei Scipios Lebzeiten hier und dort mit dem bestehenden +Regiment geplänkelt; namentlich Carbo, eines der ausgezeichnetsten +Rednertalente dieser Zeit, hatte als Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht +wenig zu schaffen gemacht, die geheime Abstimmung in den +Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt, soweit es nicht bereits früher +geschehen war, und sogar den bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen +die Wiederbewerbung um dasselbe Amt für das unmittelbar folgende Jahr +freizugeben, also das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert +war, gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand Scipios +vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint nach dessen Tode, wurde +das Gesetz, wenn auch mit beschränkenden Klauseln, wieder ein- und +durchgebracht 2. Die hauptsächliche Absicht der Partei ging indes auf +Reaktivierung des faktisch außer Tätigkeit gesetzten Teilungsamts: unter den +Führern ward der Plan ernstlich besprochen, die Hindernisse, die die italischen +Bundesgenossen derselben entgegenstellten, durch Erteilung des Bürgerrechts an +dieselben zu beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um +ihr zu begegnen, ließ der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius +Pennus die Ausweisung sämtlicher Nichtbürger aus der Hauptstadt beantragen und +trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des Gaius Gracchus, und der +durch diese gehässige Maßregel hervorgerufenen Gärung in den latinischen +Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus Fulvius Flaccus antwortete im +folgenden Jahr (629 125) als Konsul mit dem Antrag, den Bürgern der +Bundesgemeinden die Gewinnung der römischen Bürgerrechte zu erleichtern und +auch denen, die sie nicht gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an +die römischen Komitien einzuräumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte +inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius +Gracchus abwesend als Quästor in Sardinien - und scheiterte an dem Widerstand +nicht bloß des Senats, sondern auch der Bürgerschaft, die der Ausdehnung ihrer +Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt war. Flaccus verließ +Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten zu übernehmen; auch so durch seine +transalpinischen Eroberungen den großen Plänen der Demokratie vorarbeitend, zog +er zugleich sich damit aus der üblen Lage heraus, gegen die von ihm selber +aufgestifteten Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an der +Grenze von Latium und Kampanien am Hauptübergang über den Liris inmitten eines +großen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die zweite Stadt +Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewöhnliche Wortführer für die +sämtlichen latinischen Kolonien, begann infolge der Zurückweisung des von +Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen Rom - seit hundertfünfzig Jahren +der erste Fall einer ernstlichen, nicht durch auswärtige Mächte herbeigeführten +Schilderhebung Italiens gegen die römische Hegemonie. Indes gelang es diesmal +noch, den Brand, ehe er andere bundesgenössische Gemeinden ergriff, im Keime zu +ersticken; nicht durch die Überlegenheit der römischen Waffen, sondern durch +den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward der Prätor +Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr Stadtrecht und +ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf einem Teil ihres +Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria gegründet; der Rest und die +ehemalige Stadt selbst wurden unter die umliegenden Gemeinden verteilt. Das +schnelle und furchtbare Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft, und +endlose Hochverratsprozesse verfolgten nicht bloß die Fregellaner, sondern auch +die Führer der Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als +an dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius Gracchus +wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefürchteten Mann zuerst in Sardinien +festzuhalten gesucht, indem sie die übliche Ablösung unterließ und sodann, da +er ohne hieran sich zu kehren dennoch zurückkam, ihn als einen der Urheber des +Fregellanischen Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die +Bürgerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh auf, bewarb +sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewöhnlich zahlreich besuchten +Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631 (123) ernannt. Der Krieg war +also erklärt. Die demokratische Partei, immer arm an leitenden Kapazitäten, +hatte neun Jahre hindurch notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der +Waffenstillstand zu Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der +redlicher als Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur +Führerschaft berufen war. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +2 Die Restriktion, daß die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an +anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer zu +umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den älteren Ordnungen anzugehören +(Römisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473), sondern erst von den +Gracchanern eingebracht zu sein. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Gaius Gracchus (601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre +älteren Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt, +ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia unter +seinem Schwager und später in Sardinien mit Auszeichnung gefochten. Allein an +Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war er dem Tiberius entschieden +überlegen. An der Klarheit und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich +später in dem Drang der verschiedenartigsten, zur praktischen Durchführung +seiner zahlreichen Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen wußte, erkannte +man die echte staatsmännische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum +Tode getreuen Hingebung, mit der seine näheren Freunde an ihm hingen, die +Liebefähigkeit dieses adligen Gemütes. Der Energie seines Wollens und Handelns +war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene Zurückhaltung während +der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht mit geminderter, nur mit +verdichteter Glut flammte in ihm die tief in die innerste Brust zurückgedrängte +Erbitterung gegen die Partei, die das Vaterland zerrüttet und ihm den Bruder +ermordet hatte. Durch diese furchtbare Leidenschaft seines Gemütes ist er der +erste Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn +wahrscheinlich den ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen. Noch +unter den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind manche selbst in +diesem Zustande von herzerschütternder Mächtigkeit 3, und wohl begreift man, +daß, wer sie hörte oder auch nur las, fortgerissen ward von dem brausenden +Sturm seiner Worte. Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht +selten ihn selber der Zorn, so daß dem glänzenden Sprecher die Rede trübe oder +stockend floß. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und Leidens. In +Gaius’ Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, von jener etwas +sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren Gutmütigkeit, die den +politischen Gegner mit Bitten und Tränen umstimmen möchte; mit voller +Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach dem Ziel der +Rache. “Auch mir”, schrieb ihm seine Mutter, “scheint nichts +schöner und herrlicher, als dem Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen +kann, ohne daß das Vaterland zugrunde geht. Ist aber dies nicht möglich, da +mögen unsere Feinde bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als +daß das Vaterland verderbe.” Cornelia kannte ihren Sohn; sein +Glaubensbekenntnis war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der +elenden Regierung, Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das +Gemeinwesen darüber zugrunde gehen - die Ahnung, daß das Verhängnis ihn so +sicher ereilen werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem +tödlich Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; +aber auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus +italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, und sie hat +recht daran getan. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +3 So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen Worte: +“Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft +bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüßt habe und nun niemand weiter +übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus Nachkommen als +nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu lassen, damit nicht unser Stamm +mit der Wurzel ausgerottet werde und ein Sprößling dieses Geschlechts übrig +bleibe: so möchte wohl solches mir von euch bereitwillig zugestanden +werden.” +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativreform vor die +Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge +einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung, als deren +erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung erscheint, daß es dem +Volkstribun freistehen solle, sich für das folgende Jahr wiederwählen zulassen. +Wenn hiermit für das Volkshaupt die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber +schützenden Stellung gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle +Macht zu sichern, das heißt die hauptstädtische Menge - denn daß auf das nur +von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlaß war, hatte sich +sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Führer zu knüpfen. Hierzu +diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen Getreideverteilung. Schon +früher war das dem Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals +zu Schleuderpreisen an die Bürgerschaft abgegeben worden. Gracchus verfügte, +daß fortan jedem persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bürger monatlich +eine bestimmte Quantität - es scheint 5 Modii (5/6 preuß. Scheffel) -aus den +öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2½ +Groschen) oder noch nicht die Hälfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu +welchem Ende durch Anlage der neuen Sempronischen Speicher die öffentlichen +Kornmagazine erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die +außerhalb der Hauptstadt lebenden Bürger ausschloß und notwendig die ganze +Masse des Bürgerproletariats nach Rom ziehen mußte, sollte das hauptstädtische +Bürgerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie abgehangen hatte, +in die Klientel der Führer der Bewegungspartei bringen und damit dem neuen +Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und eine feste Majorität in den +Komitien gewähren. Zu mehrerer Sicherheit hinsichtlich dieser wurde ferner die +in den Zenturiatkomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf +Vermögensklassen in jedem Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, +abgeschafft; statt dessen sollten in Zukunft sämtliche Zenturien durcheinander +in einer jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn +diese Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstädtische +Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die +Hauptstadt und damit über den Staat, die freieste Disposition über die Maschine +der Komitien und die Möglichkeit zu verschaffen, den Senat und die Beamten +nötigenfalls zu terrorisieren, so faßte doch der Gesetzgeber daneben allerdings +auch die Heilung der bestehenden sozialen Schäden mit Ernst und Nachdruck an. +Zwar die italische Domänenfrage war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz +des Tiberius und selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von +Gaius durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die +Zurückgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Daß hiermit nur +das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung wenn überhaupt, doch +nur in sehr beschränktem Umfang wiederaufgenommen ward, zeigt die Bürgerliste, +die für die Jahre 629 (125) und 639 (115) genau dieselbe Kopfzahl ergibt. +Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb nicht weiter, weil das von römischen +Bürgern in Besitz genommene Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die +Frage aber wegen der von den Latinern benutzten Domänen nur in Verbindung mit +der sehr schwierigen über die Ausdehnung des Bürgerrechts wiederaufgenommen +werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus über das +Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gründung von Kolonien in Italien, +namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also auch das von +Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung ausgeschlossene +Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar nicht zur Verteilung nach dem +bisherigen, die Gründung neuer Gemeinden ausschließenden Verfahren, sondern +nach dem Kolonialsystem. Ohne Zweifel sollten auch diese Kolonien die +Revolution, der sie ihre Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen. +Bedeutender und folgenreicher noch war es, daß Gaius Gracchus zuerst dazu +schritt, das italische Proletariat in den überseeischen Gebieten des Staats zu +versorgen, indem er an die Stätte, wo Karthago gestanden, 6000 vielleicht nicht +bloß aus den römischen Bürgern, sondern auch aus den italischen Bundesgenossen +erwählte Kolonisten sendete und der neuen Stadt Iunonia das Recht einer +römischen Bürgerkolonie verlieh. Die Anlage war wichtig, aber wichtiger noch +das damit hingestellte Prinzip der überseeischen Emigration, womit für das +italische Proletariat ein bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als +provisorische Hilfe eröffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen +Staatsrechts aufgegeben ward, Italien als das ausschließlich regierende, das +Provinzialgebiet als das ausschließlich regierte Land zu betrachten. +</p> + +<p> +Zu diesen auf die große Frage hinsichtlich des Proletariats unmittelbar +bezüglichen Maßregeln kam eine Reihe von Verfügungen, die hervorgingen aus der +allgemeinen Tendenz, gegenüber der altväterischen Strenge der bestehenden +Verfassung gelindere und zeitgemäßere Grundsätze zur Geltung zu bringen. +Hierher gehören die Milderungen im Militärwesen. Hinsichtlich der Länge der +Dienstzeit bestand nach altem Recht keine andere Grenze, als daß kein Bürger +vor vollendetem siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum +ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung +Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich verfügt +zu sein, daß, wer sechs Jahre hintereinander im Felde gestanden, dadurch +zunächst ein Recht erhalte auf den Abschied, wenngleich dieser vor der +Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht schützte; später, vielleicht um den +Anfang dieses Jahrhunderts, kam der Satz auf, daß zwanzigjähriger Dienst zu Fuß +oder zehnjähriger zu Roß überhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreie 4. +Gracchus erneuerte die vermutlich öfter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen +Bürger vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und +beschränkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der +Militärpflicht erforderliche Zahl von Feldzügen; überdies wurde den Soldaten +die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde gekürzt worden war, fortan vom +Staat unentgeltlich geliefert. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +4 So möchte die Angabe Appians (Hisp. 78), daß sechsjähriger Dienst berechtige, +den Abschied zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios +(6, 19), über welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die +Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, läßt sich nicht weiter bestimmen, als daß +die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die Gracchen, S. +231), die zweite sicher schon zu Polybios’ Zeit bestand. Daß Gracchus die +Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint aus Asconius (Corn. p. +68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio fr. 83; 7 Bekker. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Hierher gehört ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung +hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch mehr, +als es schon geschehen war, zu beschränken, die zum Teil selbst in der +Militärgerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit Einführung der Republik +hatte der Beamte das Recht verloren, über den Bürger die Todesstrafe ohne +Befragung der Gemeinde zu verhängen außer nach Kriegsrecht; wenn dies +Provokationsrecht des Bürgers bald nach der Gracchenzeit auch im Lager +anwendbar und das Recht des Feldherrn, Todesstrafen zu vollstrecken, auf +Bundesgenossen und Untertanen beschränkt erscheint, so ist wahrscheinlich die +Quelle hiervon zu suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber +auch das Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhängen oder vielmehr zu +bestätigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschränkt, daß Gracchus +diejenigen gemeinen Verbrechen, die am häufigsten zu Todesurteilen Veranlassung +gaben, Giftmischerei und überhaupt Mord, der Bürgerschaft entzog und an +ständige Kommissionsgerichte überwies, welche nicht wie die Volksgerichte durch +Einschreiten eines Tribuns gesprengt werden konnten und von denen nicht bloß +keine Appellation an die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig +wie die der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde +unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, namentlich bei den +eigentlich politischen Prozessen, zwar auch längst Regel, daß der Angeklagte +auf freiem Fuß prozessiert und ihm gestattet ward, durch Aufgebung seines +Bürgerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten; denn die Vermögensstrafe +so wie die Zivilverurteilung konnten auch den Exilierten noch treffen. Allein +vorgängige Verhaftung und vollständige Exekution blieben hier wenigstens +rechtlich möglich und wurden selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie +zum Beispiel Lucius Hostilius Tubulus, Prätor 612 (142), der wegen eines +schweren Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des +Exilrechts festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozeß +hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus aus +Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und höchstens auf Verbannung +erkennen - diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann gestattete +Strafmilderung, ward nun zuerst zur förmlichen Strafe. Auch dieses +unfreiwillige Exil ließ gleich dem freiwilligen dem Verbannten das Vermögen, +soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen und in Geldbußen +daraufging. +</p> + +<p> +Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus zwar nichts geneuert; doch behaupten +sehr achtbare Zeugen, daß er den verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlaß +der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls +diesen radikal populären Maßregeln beizuzählen ist. +</p> + +<p> +Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle +Verbesserung ihrer Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit +gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher +jede bloß auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war +er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen Teil +derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung +waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein Mann gegen +Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei wesentlich +ungleichen Massen, die man einigermaßen der Lords- und der Cityaristokratie +Englands vergleichen kann. Die eine umfaßte den tatsächlich geschlossenen Kreis +der regierenden senatorischen Familien, die der unmittelbaren Spekulation sich +fernhielten und ihre ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils +als stille Gesellschafter bei den großen Assoziationen verwerteten. Den Kern +der zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschäftsführer dieser +Gesellschaften oder auf eigene Hand die Groß- und Geldgeschäfte im ganzen +Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Es ist schon dargestellt worden, wie +die letztere Klasse namentlich im Laufe des sechsten Jahrhunderts allmählich +der senatorischen Aristokratie an die Seite trat und, wie die gesetzliche +Ausschließung der Senatoren von dem kaufmännischen Betrieb durch den von dem +Vorläufer der Gracchen Gaius Flaminius veranlaßten Claudischen Volksschluß, +eine äußere Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten +zog. In der gegenwärtigen Epoche beginnt die kaufmännische Aristokratie unter +dem Namen der “Ritterschaft” einen entscheidenden Einfluß auch in +politischen Angelegenheiten zu üben. Diese Bezeichnung, die ursprünglich nur +der diensttuenden Bürgerreiterei zukam, übertrug sich allmählich, wenigstens im +gewöhnlichen Sprachgebrauch, auf alle diejenigen, die als Besitzer eines +Vermögens von mindestens 400000 Sesterzen zum Roßdienst im allgemeinen +pflichtig waren, und begriff also die gesamte senatorische und +nichtsenatorische vornehme römische Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor +Gaius Gracchus die Inkompatibilität des Sitzes in der Kurie und des +Reiterdienstes gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den +Ritterfähigen ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im großen und ganzen +genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die +Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat +eingetretenen, namentlich also die jüngeren Glieder der senatorischen Familien +nicht aufhörten, als Ritter zu dienen und also zu heißen, ja die eigentliche +Bürgerreiterei, das heißt die achtzehn Ritterzenturien, infolge ihrer +Zusammensetzung durch die Zensoren, fortfuhren, vorwiegend aus der jungen +senatorischen Aristokratie sich zu ergänzen. +</p> + +<p> +Dieser Stand der Ritter, das heißt wesentlich der vermögenden Kaufleute, +berührte vielfältig sich unsanft mit dem regierenden Senat. Es war eine +natürliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und den Männern, denen mit +dem Gelde der Rang gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren +von ihnen, standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und +Koteriefehden den Männern der materiellen Interessen gleichgültig waren. Jene +und diese waren namentlich in den Provinzen schon öfter hart zusammengestoßen; +denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen weit mehr Grund hatten, sich +über die Parteilichkeit der römischen Beamten zu beschweren als die römischen +Kapitalisten, so ließen doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu +herbei, den Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmänner auf Kosten +der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von jenen +begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen Feind, wie +Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adels- und Geldaristokratie +ein tief gehender Riß; und geschickter als sein Bruder erweiterte ihn Gaius, +bis das Bündnis gesprengt war und die Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. +Daß die äußeren Vorrechte, durch die späterhin die Männer von Ritterzensus von +der übrigen Menge sich unterschieden - der goldene Fingerreif statt des +gewöhnlichen eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei +den Bürgerfesten -, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen worden +sind, ist nicht gewiß, aber nicht unwahrscheinlich. Denn aufgekommen sind sie +auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die Erstreckung dieser bisher im +wesentlichen senatorischen Privilegien auf den von ihm emporgehobenen +Ritterstand ganz in Gracchus’ Art ist, so war es auch recht eigentlich +sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines zwischen der senatorischen +Aristokratie und der gemeinen Menge in der Mitte stehenden, ebenfalls +geschlossenen und privilegierten Standes aufzudrücken; und ebendies haben jene +Standesabzeichen, wie gering sie an sich auch waren und wie viele Ritterfähige +auch ihrer sich nicht bedienen mochten, mehr gefördert als manche an sich weit +wichtigere Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie +dergleichen Ehren auch keineswegs verschmäht, ist doch dafür allein nicht zu +haben. Gracchus erkannte es wohl, daß sie zwar dem Meistbietenden von Rechts +wegen zufällt, aber es auch eines hohen und reellen Gebotes bedurfte; und so +bot er ihr die asiatischen Gefälle und die Geschworenengerichte. +</p> + +<p> +Das System der römischen Finanzverwaltung, sowohl die indirekten Steuern wie +auch die Domanialgefälle durch Mittelsmänner zu erheben, gewährte an sich schon +dem römischen Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die +ausgedehntesten Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in +den meisten Ämtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden Geldsummen, +was die Dazwischenkunft römischer Kapitalisten von selber ausschloß, oder, wie +in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten, dessen Erhebung für jede +einzelne Gemeinde in den Provinzen selbst verpachtet ward und wobei also +regelmäßig die vermögenden Provinzialen, und sehr häufig die zehntpflichtigen +Gemeinden selbst, den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die +gefährlichen römischen Mittelsmänner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor +die Provinz Asia an die Römer gefallen war, hatte der Senat sie im wesentlichen +nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius Gracchus 5 stieß diese +Verfügung durch einen Volksschluß um und belastete nicht bloß die bis dahin +fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten indirekten und direkten +Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er verfügte auch, daß diese +Hebungen für die gesamte Provinz und in Rom verpachtet werden sollten - eine +Bestimmung, die die Beteiligung der Provinzialen tatsächlich ausschloß und die +in der Mittelsmännerschaft für Zehnten, Hutgeld und Zölle der Provinz Asia eine +Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief. +Charakteristisch für Gracchus’ Bestreben, den Kapitalistenstand vom Senat +unabhängig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, daß der völlige oder +teilweise Erlaß der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher, vom Senat nach Ermessen +bewilligt werden, sondern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich eintreten +solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand eine Goldgrube eröffnet und in den +Mitgliedern der neuen Gesellschaft ein selbst der Regierung imponierender Kern +der hohen Finanz, ein “Senat der Kaufmannschaft” konstituiert ward, +so ward denselben zugleich in den Geschworenengerichten eine bestimmte +öffentliche Tätigkeit zugewiesen. Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von +Rechts wegen vor die Bürgerschaft gehörte, war bei den Römern von Haus aus sehr +eng und ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten +Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen, wurden +entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils +außerordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese +ausschließlich aus dem Senat genommen worden; Gracchus überwies sowohl in den +eigentlichen Zivilprozessen wie bei den ständigen und nichtständigen +Kommissionen die Geschworenenfunktionen an den Ritterstand, indem er die +Geschworenenlisten nach Analogie der Ritterzenturien aus den sämtlichen +ritterfähigen Individuen jährlich neu formieren ließ und die Senatoren +geradezu, die jungen Männer der senatorischen Familien durch Festsetzung einer +gewissen Altersgrenze von den Gerichten ausschloß 6. Es ist nicht +unwahrscheinlich, daß die Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Männer +gelenkt ward, die in den großen kaufmännischen Assoziationen namentlich der +asiatischen und sonstigen Steuerpächter die erste Rolle spielten, eben weil +diese ein sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu +sitzen; und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietäten in +ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des also +konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war, daß, während +bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die Regierung als +verwaltende und kontrollierende, die Bürgerschaft als legislative Behörde, die +Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren, jetzt die Geldaristokratie nicht +bloß auf der soliden Basis der materiellen Interessen als festgeschlossene und +privilegierte Klasse sich zusammenfand, sondern auch als richtende und +kontrollierende Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie +sich fast ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute +gegen den Adel mußten fortan in den Wahrsprüchen der Geschworenen einen nur zu +praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den Rechenschaftsgerichten der +Provinzialstatthalter hatte der Senator nicht mehr wie bisher von +seinesgleichen, sondern von Großhändlern und Bankiers die Entscheidung zu +erwarten über seine bürgerliche Existenz. Die Fehden zwischen den römischen +Kapitalisten und den römischen Statthaltern verpflanzten sich aus der +Provinzialverwaltung auf den bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die +Aristokratie der Reichen war nicht bloß gespalten, sondern es war auch dafür +gesorgt, daß der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +5 Daß er und nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto +in den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep. 3, 29 +und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6. +</p> + +<p> +6 Die zunächst durch diese Veränderung des Richterpersonals veranlaßte neue +Gerichtsordnung für die ständige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir +noch zum großen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen oder +vielmehr Acilischen Repetundengesetzes. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging +Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den +Senat stürzen hieß einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine wesentliche +Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Maßregeln mehr persönlicher und +transitorischer Art die bestehende Aristokratie zugrunde richten. Gracchus hat +beides getan. Vor allem die Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschließlich +zugestanden; Gracchus nahm sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten +Administrativfragen durch Komitialgesetze, das heißt tatsächlich durch +tribunizische Machtsprüche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten +den Senat möglichst beschränkte, teils selbst in der umfassendsten Weise die +Geschäfte an sich zog. Die Maßregeln der ersten Gattung sind schon erwähnt: der +neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu fragen, über die +Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den öffentlichen Finanzen +eine dauernde und drückende Last aufbürdete, über die Domänen, indem er +Kolonien nicht wie bisher nach Senats- und Volks-, sondern allein nach +Volksschluß aussandte, über die Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat +der Provinz Asia gegebene Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstieß und +eine durchaus andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den +laufenden Geschäften des Senats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen +Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der bisher +dabei geübte indirekte Druck auf die höchsten Beamten dadurch beschränkt, daß +der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen festzustellen, bevor die +betreffenden Konsuln gewählt seien. Mit beispielloser Tätigkeit endlich +konzentrierte Gaius die verschiedenartigsten und verwickeltsten +Regierungsgeschäfte in seiner Person: Er selbst überwachte die +Getreideverteilung, erlas die Geschworenen, gründete trotz des gesetzlich an +die Stadt ihn fesselnden Amtes persönlich die Kolonien, regulierte das +Wegewesen und schloß die Bauverträge ab, leitete die Senatsverhandlungen, +bestimmte die Konsulwahlen - kurz er gewöhnte das Volk daran, daß in allen +Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme +Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kräftiges und gewandtes +persönliches Regiment. +</p> + +<p> +Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die senatorische +Gerichtsallmacht. Daß er die Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon +gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste +Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmefällen gestattete. Bei scharfer Strafe +untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten Provokationsgesetz 7, die +Niedersetzung außerordentlicher Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluß, +wie diejenige gewesen war, welche nach seines Bruders Ermordung über dessen +Anhänger zu Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Maßregeln ist, daß der +Senat die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das +Staatshaupt ihm zu lassen für gut befand. Indes diese konstitutiven Maßregeln +genügten nicht; auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie wurde unmittelbar +zu Leibe gegangen. Ein bloßer Akt der Rache war es, daß dem zuletzt erwähnten +Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach +Nasicas inzwischen erfolgtem Tode der Haß der Demokraten hauptsächlich traf, +Publius Popillius, genötigt ward, das Land zu meiden. Merkwürdigerweise ging +dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der Bezirksversammlung +durch - ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch der +Einfluß der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches, aber weit +minder zu rechtfertigendes Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten +Antrag, daß, wer durch Volksschluß sein Amt verloren habe, auf immer unfähig +sein solle, einen öffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurück auf +Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die +Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu +verhöhnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius +gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie verstand, +gemäß gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von ganz anderer +Wichtigkeit als diese Maßregeln war Gaius’ freilich wohl schwerlich zur +Ausführung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue Mitglieder, das heißt +ungefähr ebenso viele als er bisher hatte, zu verstärken und diese aus dem +Ritterstand durch Komitien wählen zu lassen - eine Pairskreierung im +umfassendsten Stil, die den Senat in die vollständigste Abhängigkeit von dem +Staatsoberhaupt gebracht haben würde. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +7 Dies und das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur dürften identisch sein. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Dies ist die Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und während der +beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren wesentlichsten +Punkten durchgeführt hat, soweit wir sehen, ohne auf irgendeinen nennenswerten +Widerstand zu stoßen und ohne zur Erreichung seiner Zwecke Gewalt anwenden zu +müssen. Die Reihenfolge, in der die Maßregeln durchgebracht sind, läßt in der +zerrütteten Überlieferung sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende +Frage müssen wir die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, daß uns +mit dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da über die +Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie sein +Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedrängt ward, sondern +offenbar einen wohl überlegten, umfassenden Plan in einer Reihe von +Spezialgesetzen im wesentlichen vollständig realisierte. +</p> + +<p> +Daß nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmütige Leute in alter und neuer +Zeit gemeint haben, die römische Republik auf neue demokratische Basen stellen, +sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form eines durch stehende Wiederwahl +lebenslänglich und durch unbedingte Beherrschung der formell souveränen +Komitien absolut gemachten Amtes, eines unumschränkten Volkstribunats auf +Lebenszeit, anstatt der Republik die Tyrannis, das heißt nach heutigem +Sprachgebrauch die nicht feudalistische und nicht theokratische, die +napoleonisch absolute Monarchie einführen wollte, das offenbart die +Sempronische Verfassung selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen +hat und haben will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und +deutlicher seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was +blieb in einem Gemeinwesen, das über die Urversammlungen hinaus und für das der +Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des aristokratischen +Regiments für eine andere politische Ordnung möglich als die Tyrannis? Träumer, +wie sein Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit +heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war ein +Staatsmann, und wenn auch die Formulierung, die der große Mann für sein großes +Werk bei sich selber aufstellte, uns nicht überliefert und in sehr +verschiedener Weise denkbar ist, so wußte er doch unzweifelhaft, was er tat. +Sowenig die beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen +läßt, so wenig wird, wer die Verhältnisse übersieht, den Gracchus deswegen +tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein großes Unglück für die Nation, aber ein +minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der Nation statt des größeren +das kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am +wenigsten eine so leidenschaftlich ernste und allem Gemeinen so fernstehende +Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichtsdestoweniger darf sie es nicht +verschweigen, daß durch die ganze Gesetzgebung desselben eine Zwiespältigkeit +verderblichster Art geht, indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, +andererseits den persönlichen Zwecken, ja der persönlichen Rache des Herrschers +dient. Gracchus war ernstlich bemüht, für die sozialen Schäden eine Abhilfe zu +finden und dem einreißenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich +durch seine Getreideverteilungen, die für alles arbeitsscheue hungernde +Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein hauptstädtisches +Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich groß. Gracchus tadelte mit +den bittersten Worten die Feilheit des Senats und deckte namentlich den +skandalösen Schacher, den Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen +getrieben, mit schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war +desselben Mannes Werk, daß der souveräne Pöbel der Hauptstadt für seine +Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren ließ. Gracchus +mißbilligte lebhaft die schändliche Ausplünderung der Provinzen und veranlaßte +nicht bloß, daß in einzelnen Fällen mit heilsamer Strenge eingeschritten ward, +sondern auch die Abschaffung der durchaus unzureichenden senatorischen +Gerichte, vor denen selbst Scipio Aemilianus, um die entschiedensten Frevler +zur Strafe zu ziehen, sein ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch +überlieferte er zugleich durch die Einführung der Kaufmannsgerichte die +Provinzialen mit gebundenen Händen der Partei der materiellen Interessen und +damit einer noch rücksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen +war, und führte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die nach +karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind und +menschlich heißen konnte - beides, weil er teils der Partei der Geldmänner, +teils für seine Getreideverteilungen und die sonstigen den Finanzen neu +aufgebürdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen bedurfte. Gracchus +wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und eine geordnete Rechtspflege, wie +zahlreiche durchaus zweckmäßige Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues +Verwaltungssystem auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell +legalisierter Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder +geordnete Staat, soweit irgend möglich, zwar nicht über die politischen +Parteien, aber doch außerhalb derselben zu stellen bemüht sein wird, +absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings fällt die Schuld +dieser Zwiespältigkeit in Gaius Gracchus’ Tendenzen zu einem sehr großen +Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich hier an der Schwelle der +Tyrannis entwickelt sich das verhängnisvolle sittlich-politische Dilemma, daß +derselbe Mann zugleich, man möchte sagen, als Räuberhauptmann sich behaupten +und als der erste Bürger den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, +Caesar, Napoleon bedenkliche Opfer haben bringen müssen. Indes ganz läßt sich +Gaius Gracchus’ Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklären; es +wirkt daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die glühende Rache, die, den +eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das Haus des +Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er über seine Geschworenenordnung +und ähnliche auf die Spaltung der Aristokratie abzweckende Maßregeln dachte; +Dolche nannte er sie, die er auf den Markt geworfen, damit die Bürger - die +vornehmen, versteht sich - mit ihnen sich untereinander zerfleischen möchten. +Er war ein politischer Brandstifter; nicht bloß die hundertjährige Revolution, +die von ihm datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des +Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes entsetzlichen, +von oben herab beschmeichelten und besoldeten hauptstädtischen Proletariats, +das durch seine aus den Getreidespenden von selber folgende Vereinigung in der +Hauptstadt teils vollständig demoralisiert, teils seiner Macht sich bewußt ward +und mit seinen bald pinselhaften, bald bübischen Ansprüchen und seiner Fratze +von Volkssouveränität ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem +römischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und doch - +dieser größte der politischen Verbrecher ist auch wieder der Regenerator seines +Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der römischen Monarchie, der +nicht zurückreichte bis auf Gaius Gracchus. Von ihm rührt der wohl in gewissem +Sinne im Wesen des althergebrachten Kriegsrechts begründete, aber in dieser +Ausdehnung und in dieser praktischen Anwendung doch dem älteren Staatsrecht +fremde Satz her, daß aller Grund und Boden der untertänigen Gemeinden als +Privateigentum des Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunächst benutzt ward, +um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden beliebig zu besteuern, wie +es in Asien, oder auch zur Anlegung von Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika +geschah, und der späterhin ein fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward. +Von ihm rührt die Taktik der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen +Interessen sich stützend die regierende Aristokratie zu sprengen, überhaupt +aber durch eine strenge und zweckmäßige Administration anstatt des bisherigen +Mißregiments die Verfassungsänderung nachträglich zu legitimieren. Auf ihn +gehen vor allem zurück die Anfänge einer Ausgleichung zwischen Rom und den +Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie unvermeidlich mit sich bringen +mußte; der Versuch, das durch die italische Rivalität zerstörte Karthago +wiederaufzubauen und überhaupt der italischen Emigration den Weg in die +Provinzen zu eröffnen, ist das erste Glied in der langen Kette dieser folgen- +und segensreichen Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser +wunderbaren politischen Konstellation Recht und Schuld, Glück und Unglück so +ineinander verschlungen, daß es hier sich wohl ziemen mag, was der Geschichte +nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +8 Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des +Attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von Bithynien und von +Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward, +bezieht sich ein noch vorhandenes längeres Redebruchstück des Gracchus. Er +bemerkt darin, daß von den Senatoren keiner umsonst sich um die öffentlichen +Angelegenheiten bekümmere, und fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede +stehende Gesetz (über die Verleihung Phrygiens an König Mithradates) teile der +Senat sich in drei Klassen: solcher, die dafür seien, solcher, die dagegen +seien, und solcher, die stillschwiegen - die ersten seien bestochen von König +Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien die +feinsten, denn diese ließen sich von den Gesandten beider Könige bezahlen und +jede Partei glauben, daß in ihrem Interesse geschwiegen werde. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +Als Gracchus die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet +hatte, legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die +Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Führer der +demokratischen Partei darüber dachten, hatte sich sattsam gezeigt; sie +wünschten natürlich die möglichste Ausdehnung des römischen Bürgerrechts, nicht +bloß, um die von den Latinern okkupierten Domänen zur Verteilung bringen zu +können, sondern vor allem, um mit der ungeheuren Masse der Neubürger ihre +Klientel zu verstärken, um die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung +der berechtigten Wählerschaft immer vollständiger in ihre Gewalt zu bringen, +überhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der +republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor. Allein +hier stießen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und vornehmlich bei +derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, was sie verstand und nicht +verstand, ihr souveränes Ja gab; aus dem einfachen Grunde, daß diesen Leuten +das römische Bürgerrecht sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch +gab auf allerlei sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie +also ganz und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionäre zu vermehren. Die +Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus +entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der +eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden Fraktion der +Bürgerschaft als auch des ungeduldigen Drängens der Bundesgenossen. Gegen das +Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte Gracchus, wahrscheinlich durch +übernommene Verpflichtungen gegen die Bundesgenossen gedrängt, einen zweiten +Versuch; in Gemeinschaft mit Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das +früher von ihm ohne Erfolg beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das +Volkstribunat übernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle +Bürger-, den übrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht der Latiner +zu gewähren. Allein der Antrag stieß auf die vereinigte Opposition des Senats +und des hauptstädtischen Pöbels; welcher Art diese Koalition war und wie sie +focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus der Rede, die der Konsul Gaius Fannius +vor der Bürgerschaft gegen den Antrag hielt, zufällig erhaltenes Bruchstück. +“So meint ihr also”, sprach der Optimat, “wenn ihr den +Latinern das Bürgerrecht erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch +künftig in der Bürgerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten +Platz finden zu können? Glaubt ihr nicht vielmehr, daß jene Leute jeden Fleck +besetzen werden?” Bei der Bürgerschaft des fünften Jahrhunderts, die an +einem Tage allen Sabinern das Bürgerrecht verlieh, hätte ein solcher Redner +wohl mögen ausgezischt werden: die des siebenten fand seine Gründe ungemein +einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen Preis der Assignation der +latinischen Domänen weitaus zu niedrig. Schon daß der Senat es durchsetzte, die +sämtlichen Nichtbürger vor dem entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt +weisen zu dürfen, zeigte das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als +dann vor der Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das +Gesetz einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, daß Gracchus +nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des Marcus +Octavius zu bereiten. +</p> + +<p> +Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der dem Senat den Mut gab, den Sturz des +siegreichen Demagogen zu versuchen. Die Angriffsmittel waren wesentlich +dieselben, mit denen früher Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus’ +Macht ruhte auf der Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunächst auf dem +letzteren, das in diesem Kampf, in welchem militärischer Rückhalt beiderseits +nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es war +einleuchtend, daß der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem Proletariat ihre +neuen Rechte abzuzwingen mächtig genug war; jeder Versuch, die Getreidegesetze +oder die neue Geschworenenordnung anzugreifen, hätte, in etwas plumperer oder +etwas zivilisierterer Form, zu einem Straßenkrawall geführt, dem der Senat +völlig wehrlos gegenüberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, daß +Gracchus selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten +wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und daß sowohl die Männer der +materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Pöbel sein Brotkorn +ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von Gaius Gracchus. +Gracchus’ Institutionen standen, für den Augenblick wenigstens, +unerschütterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner eigenen +Oberhauptschaft. Die Schwäche dieser lag darin, daß in Gracchus’ +Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein Treuverhältnis nicht +bestand und in der neuen Verfassung wohl alle anderen Elemente der +Lebensfähigkeit vorhanden waren, nur ein einziges nicht: das sittliche Band +zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das jeder Staat auf tönernen Füßen +steht. In der Verwerfung des Antrags, die Latiner in den Bürgerverband +aufzunehmen, war es mit schneidender Deutlichkeit zu Tage gekommen, daß die +Menge in der Tat niemals für Gracchus stimmte, sondern immer nur für sich; die +Aristokratie entwarf den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und +Landanweisungen auf seinem eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht +sich von selbst, daß der Senat dem Proletariat nicht bloß das gleiche bot, was +Gracchus ihm an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im +Auftrag des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den +Gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre Landlose +für freies und veräußerungsfähiges Eigentum zu erklären; ferner, statt in den +überseeischen, das Proletariat zu versorgen in zwölf italischen Kolonien, jede +von 3000 Kolonisten, zu deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer +ernennen möge; nur Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das +Gracchische Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen +Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten, wurden +vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes Domanialland von +einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht mehr in Italien +vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne Verfügungen des Drusus, +wie die Bestimmung, daß dem latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten +latinischen, nicht von dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt +werden dürfen, die allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner für andere +Verluste zu entschädigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die +Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das Bestreben, das +schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere gemeinschaftliche +Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, die Frage allzu nahe gelegt, +wo denn auf der Halbinsel, nachdem die italischen Domänen in der Hauptsache +schon weggegeben waren - auch wenn man die gesamten, den Latinern überwiesenen +konfiszierte -, das für zwölf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene +Bürgerschaften erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein +möge, endlich Drusus’ Erklärung, daß er mit der Ausführung seines +Gesetzes nichts zu tun haben wolle, so verwünscht gescheit, daß sie beinahe +herzlich albern war. Indes für das plumpe Wild, das man fangen wollte, war die +grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht entscheidend, daß +Gracchus, auf dessen persönlichen Einfluß alles ankam, eben damals in Afrika +die karthagische Kolonie einrichtete und sein Stellvertreter in der Hauptstadt, +Marcus Flaccus, durch sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in +die Hände arbeitete. Das “Volk” ratifizierte demnach die Livischen +Gesetze ebenso bereitwillig wie früher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem +neuesten Wohltäter wie üblich dadurch, daß es dem früheren einen mäßigen Tritt +versetzte und, als dieser sich für das Jahr 633 (121) zum drittenmal um das +Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwählte; wobei übrigens auch noch +Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher beleidigten wahlleitenden Tribuns +vorgekommen sein sollen. Damit brach die Grundlage seiner Machthaberschaft +unter ihm zusammen. Ein zweiter Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die +nicht bloß im allgemeinen gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche +in Lucius Opimius der Mann, der als Prätor 629 (125) Fregellae erobert hatte, +an die Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am +wenigsten bedenklichen Häupter der strengen Adelspartei, ein Mann fest +entschlossen, den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu beseitigen. Sie +fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hörte Gracchus auf, Volkstribun zu +sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius sein Amt an. Der erste Angriff traf +wie billig die nützlichste und die unpopulärste Maßregel des Gracchus, die +Wiederherstellung von Karthago. Hatte man bisher die überseeischen Kolonien nur +mittelbar durch die lockenderen italischen angegriffen, so wühlten jetzt +afrikanische Hyänen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und die +römischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daß solches Wunder und Zeichen +ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der gottverfluchten Stätte. Der +Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu +lassen, das die Ausführung der Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit +den andern zur Anlegung derselben ernannten Männern eben damals die Kolonisten +auslas, erschien an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die +Bürgerschaft berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu +bewirken. Gewalttätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern nicht den +Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes hatte er nicht +wehren können, daß ein großer Teil seiner Getreuen, der Katastrophe des +Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den Absichten der Aristokratie, +bewaffnet sich einfand, und bei der ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten +waren Händel kaum zu vermeiden. In der Halle des Kapitolinischen Tempels +verrichtete der Konsul Lucius Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm +dabei behilflichen Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen +Eingeweide in der Hand, die “schlechten Bürger” an, die Halle zu +räumen, und schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein +eifriger Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstieß. Es entstand +ein furchtbarer Lärm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen und die +Urheberschaft der gotteslästerlichen Mordtat von sich abzulehnen; er lieferte +den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund mehr, indem er, ohne dessen in dem +Getümmel gewahr zu werden, einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede +fiel, worauf ein verschollenes Statut aus der Zeit des alten Ständehaders die +schwerste Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Maßregeln, +um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die Vorgänge +dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand zu unterdrücken. Er +selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel am Markte; mit dem frühesten +Morgen füllte das Kapitol sich mit kretischen Bogenschützen, Rathaus und Markt +mit den Männern der Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhängigen +Fraktion der Ritterschaft, welche auf Geheiß des Konsuls sämtlich bewaffnet und +jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte +keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwürdige, hochbejahrte und der Reform +wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert erschienen. Ein +tüchtiger und in den spanischen Kriegen erprobter Offizier, Decimus Brutus, +übernahm das Kommando der bewaffneten Macht; der Rat trat in der Kurie +zusammen. Die Bahre mit der Leiche des Gerichtsdieners ward vor der Kurie +niedergesetzt; der Rat gleichsam überrascht, erschien in Masse an der Tür, um +die Leiche in Augenschein zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurück, um das +weitere zu beschließen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in +ihre Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum +Straßenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu verschmähen schien, mit dem +Verhängnis zu kämpfen. Als man am andern Morgen die auf dem Kapitol und dem +Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben beide sich auf den +Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der Patrizier und +Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus dorthin; Flaccus rief die +Sklaven zu den Waffen und verschanzte sich im Tempel der Diana, während er +zugleich seinen jüngeren Sohn Quintus in das feindliche Lager sandte, um +womöglich einen Vergleich zu vermitteln. Dieser kam zurück mit der Meldung, daß +die Aristokratie unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung +des Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen +Verletzung der tribunizischen Majestät sich zu verantworten. Gracchus wollte +der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und wiederholte +stattdessen den ebenso verkehrten wie schwächlichen Versuch, solche Gegner zu +einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der beiden vorgeladenen Führer bloß der +junge Quintus Flaccus abermals sich einstellte, behandelte der Konsul die +Weigerung jener, sich zu stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen +die Regierung; er ließ den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf +den Aventin, indem er zugleich in den Straßen ausrufen ließ, daß dem, der das +Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe buchstäblich +mit Gold aufwiegen werde, sowie daß sie jedem, der vor dem Beginn des Kampfs +den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit gewährleiste. Die Reihen auf dem +Aventin lichteten sich schnell; der tapfere Adel im Verein mit den Kretern und +den Sklaven erstürmte den fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er +vorfand, bei 250 meist geringe Leute. Marcus Flaccus flüchtete mit seinem +ältesten Sohn in ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht +wurden. Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva +zurückgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als sein +Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor, womöglich sich +für bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus ließ sich bewegen, einen Versuch zu +machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu entkommen; allein den Berg +hinabeilend stürzte er und verstauchte sich den Fuß. Ihm Zeit zum Entrinnen zu +geben, warfen seine beiden Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina +unter dem Aventin, Publius Laetorius auf der Tiberbrücke, da wo einst Horatius +Cocles allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern +sich entgegen und ließen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur von +seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer des Tiber. +Hier im Hain der Furrina fand man später die beiden Leichen; es schien, als +habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber den Tod gegeben. Die +Köpfe der beiden gefallenen Führer wurden der Regierung, wie befohlen, +eingehändigt, auch dem Überbringer des Kopfes des Gracchus, einem vornehmen +Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene Preis und darüber ausgezahlt, dagegen +die Mörder des Flaccus, geringe Leute, mit leeren Händen fortgeschickt. Die +Körper der Getöteten wurden in den Fluß geworfen, die Häuser der Führer zur +Plünderung der Menge preisgegeben. Gegen die Anhänger des Gracchus begann der +Prozeßkrieg im großartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker +aufgeknüpft worden sein, unter ihnen der achtzehnjährige Quintus Flaccus, der +an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner Jugend und seiner +Liebenswürdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem Freiplatz unter dem Kapitol, +wo der nach wiederhergestelltem innerem Frieden von Camillus geweihte Altar und +andere, bei ähnlichen Veranlassungen errichtete Heiligtümer der Eintracht sich +befanden, wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermögen der +getöteten oder verurteilten Hochverräter, das bis auf die Mitgift ihrer Frauen +hin konfisziert ward, nach Beschluß des Senats von dem Konsul Lucius Opimius +ein neuer glänzender Tempel der Eintracht mit dazugehöriger Halle errichtet - +allerdings war es zeitgemäß, die Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und +eine neue zu inaugurieren über den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama, +die nun alle, zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der +jüngste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution +verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell geächtet; +nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den Tod ihres letzten Sohnes +anlegen. Allein die leidenschaftliche Anhänglichkeit, die gar viele im Leben +für die beiden edlen Brüder und vornehmlich für Gaius empfunden hatten, zeigte +sich in rührender Weise auch nach ihrem Tode in der fast religiösen Verehrung, +die die Menge ihrem Andenken und an den Stätten, wo sie gefallen waren, allen +polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/> +Die Restaurationsherrschaft</h2> + +<p> +Das neue Gebäude, das Gaius Gracchus aufgeführt hatte, war mit seinem Tode eine +Ruine. Wohl war sein Tod wie der seines Bruders zunächst nichts als ein Akt der +Rache; allein es war doch zugleich ein sehr wesentlicher Schritt zur +Restauration der alten Verfassung, daß aus der Monarchie, eben da sie im +Begriff war, sich zu begründen, die Person des Monarchen beseitigt ward; und in +diesem Falle um so mehr, weil nach der Katastrophe des Gaius und dem +gründlichen Opimischen Blutgericht im Augenblick schlechterdings niemand +vorhanden war, der, sei es durch Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen +Staatsoberhaupt, sei es durch überwiegende Fähigkeit, auch nur zu einem +Versuch, den erledigten Platz einzunehmen, sich legitimiert gefühlt hätte. +Gaius war ohne Kinder aus der Welt gegangen, und auch Tiberius’ +hinterlassener Knabe starb, bevor er zu seinen Jahren kam; die ganze sogenannte +Volkspartei war buchstäblich ohne irgendeinen auch nur namhaft zu machenden +Führer. Die Gracchische Verfassung glich einer Festung ohne Kommandanten; +Mauern und Besatzung waren unversehrt, aber der Feldherr fehlte, und es war +niemand vorhanden, der an den leeren Platz sich hätte setzen mögen als eben die +gestürzte Regierung. +</p> + +<p> +So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus’ erblosem Abgang stellte das +Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war dies um so +natürlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich formell abgeschafft, +sondern nur durch die von ihm ausgehenden Ausnahmehandlungen tatsächlich +zunichte gemacht worden war. Dennoch würde man sehr irren, wenn man in dieser +Restauration nichts weiter sehen wollte als ein Zurückgleiten der +Staatsmaschine in das alte, seit Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene +Geleise. Restauration ist immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward +nicht so sehr das alte Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie +erschien neu gerüstet in dem Heerzeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat +den Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so fuhr +er auch fort, in den wesentlichsten Stücken mit der Verfassung der Gracchen zu +regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner Zeit wo nicht ganz zu +beseitigen, doch gründlich zu reinigen von den der regierenden Aristokratie in +der Tat feindlichen Elementen. Fürs erste reagierte man wesentlich nur gegen +die Personen, rief den Publius Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden +Verfügungen aus der Verbannung zurück (633 121) und machte den Gracchanern den +Prozeßkrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius nach +Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu bringen, von +der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist für den Charakter dieser +Restaurationsregierung bezeichnend, wie die Aristokratie an +Gesinnungstüchtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst Bundesgenosse der +Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und noch kürzlich als Verteidiger des +Opimius seinen Eifer und seine Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der +Überläufer; als gegen ihn von den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen +Opimius erhoben ward, ließ ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, +zwischen beiden Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den +Tod. So erwiesen die Männer der Reaktion in Personenfragen sich als lautere +Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der Provinz +Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung griff die Reaktion +zunächst nicht an und schonte nicht bloß die Kaufmannschaft und das +hauptstädtische Proletariat, sondern huldigte, wie bereits bei der Einbringung +der Livischen Gesetze, so auch ferner diesen Mächten und vor allem dem +Proletariat noch weit entschiedener, als die Gracchen dies getan hatten. Es +geschah dies nicht bloß, weil die Gracchische Revolution in den Gemütern der +Zeitgenossen noch lange nachzitterte und ihre Schöpfungen schützte: die Hegung +und Pflegung wenigstens der Pöbelinteressen vertrug sich in der Tat aufs +vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es ward dabei +nichts weiter geopfert als bloß das gemeine Beste. Alle diejenigen Maßregeln, +die von Gaius Gracchus zur Förderung des öffentlichen Wohls getroffen waren, +eben den besten, freilich begreiflicherweise auch den unpopulärsten Teil seiner +Gesetzgebung, ließ die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so +erfolgreich angegriffen wie der großartigste seiner Entwürfe: der Plan, +zunächst die römische Bürgerschaft und Italien, sodann Italien und die +Provinzen rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied zwischen +bloß herrschenden und zehrenden und bloß dienenden und arbeitenden +Staatsangehörigen weggeräumt ward, zugleich durch die umfassendste und +systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, die soziale Frage zu +lösen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen grämlichen Eigensinn der +Altersschwäche drängte die restaurierte Oligarchie den Grundsatz der abgelebten +Geschlechter, daß Italien das herrschende Land und Rom in Italien die +herrschende Stadt bleiben müsse, der Gegenwart aufs neue auf. Schon bei +Lebzeiten des Gracchus war die Zurückweisung der italischen Bundesgenossen eine +vollendete Tatsache und war gegen den großen Gedanken der überseeischen +Kolonisation ein sehr ernsthafter Angriff gerichtet worden, der die nächste +Ursache zu Gracchus’ Untergang geworden war. Nach seinem Tode wurde der +Plan der Wiederherstellung Karthagos mit leichter Mühe von der Regierungspartei +beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon verteilten Landlose den +Empfängern geblieben sind. Zwar daß der demokratischen Partei auf einem andern +Punkte eine ähnliche Gründung gelang, konnte sie nicht wehren: im Verlauf der +Eroberungen jenseits der Alpen, welche Marcus Flaccus begonnen hatte, wurde +daselbst im Jahre 636 (118) die Kolonie Narbo (Narbonne) begründet, die älteste +überseeische Bürgerstadt im Römischen Reiche, welche trotz vielfacher +Anfechtungen der Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung derselben +vom Senat gestellten Antrags dennoch, geschützt wahrscheinlich durch die +beteiligten kaufmännischen Interessen, dauernden Bestand gehabt hat. Indes +abgesehen von dieser, in ihrer Vereinzelung nicht sehr bedeutenden Ausnahme +gelang es der Regierung, die Landanweisung außerhalb Italiens durchgängig zu +verhindern. +</p> + +<p> +In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die italischen +Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und, soweit sie bereits +zur Ausführung gekommen waren, wieder aufgelöst; nur die unbedeutende +tarentinische blieb in der Art bestehen, daß die neue Stadt Neptunia der +bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite trat. Was durch die +nichtkoloniale Assignation von den Domänen bereits verteilt war, blieb den +Empfängern; die darauf von Gracchus im Interesse des Gemeinwesens gelegten +Beschränkungen, Erbzins und Veräußerungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus +aufgehoben. Dagegen die noch nach Okkupationsrecht besessenen Domänen, welche +außer dem von den Latinern genutzten Domanialland zum größten Teil bestanden +haben werden in dem gemäß des Gracchischen Maximum den Inhabern gebliebenen +Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten definitiv +zuzuwenden und auch die Möglichkeit künftiger Aufteilung abzuschneiden. +Freilich waren es zunächst diese Ländereien, aus denen die 36000 von Drusus +verheißenen neuen Bauernhufen hätten gebildet werden sollen; allein man sparte +sich die Untersuchung, wo denn unter dem Monde diese Hunderttausende von Morgen +italischen Domaniallands belegen sein möchten, und legte das Livische +Kolonialgesetz, das seinen Dienst getan, stillschweigend zu den Akten - nur +etwa die kleine Kolonie von Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz +des Drusus zurückgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des +Senats der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre +635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester Zins +auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstädtischen Pöbel zugute kam - es scheint, +indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward: noch weitergehende +Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der Getreidespenden, wehrte der +verständige Volkstribun Gaius Marius ab. Acht Jahre später (643 111) geschah +der letzte Schritt, indem durch einen neuen Volksschluß ^1 das okkupierte +Domanialland geradezu umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der +bisherigen Okkupanten. Man fügte hinzu, daß in Zukunft Domanialland überhaupt +nicht okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide +offenstehen solle; für den letzteren Fall ward durch Feststellung eines sehr +niedrigen Maximum von zehn Stück Groß- und fünfzig Stück Kleinvieh dafür +gesorgt, daß nicht der große Herdenbesitzer den kleinen tatsächlich ausschließe +- verständige Bestimmungen, in denen die Schädlichkeit des übrigen längst +aufgegebenen Okkupationssystems nachträglich offizielle Anerkennung fand, die +aber leider erst getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um +seine Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die römische Aristokratie also +für sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in ihren Händen war, +sich in Eigentum umwandeln ließ, beschwichtigte sie zugleich die italischen +Bundesgenossen dadurch, daß sie denselben an dem von ihnen und namentlich von +ihrer munizipalen Aristokratie genutzten latinischen Domanialland zwar nicht +das Eigentum verlieh, aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte +Recht daran ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der üblen Lage, daß in +den wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der +hauptstädtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene mit der +römischen Regierung eine Art Bündnis eingingen und gegen die ausschweifenden +Absichten mancher römischen Demagogen bei dem Senat Schutz suchten und fanden. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Er ist großenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit +dreihundert Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen Ackergesetzes. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +Während also die restaurierte Regierung es sich angelegen sein ließ, die Keime +zum Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden waren, gründlich +auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen von Gracchus erweckten +feindlichen Mächten gegenüber vollständig ohnmächtig. Das hauptstädtische +Proletariat blieb bestehen in anerkannter Zehrberechtigung; die Geschworenen +aus dem Kaufmannsstand ließ der Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwärtig +auch dieses Joch eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es +waren unwürdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden nicht, daß +sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das Gesetz des Marcus +Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die verfassungsmäßigen +Beschränkungen des Stimmrechts der Freigelassenen einschärfte, war für lange +Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der senatorischen Regierung, ihren +Pöbeltyrannen wieder zu bändigen. Der Antrag, den der Konsul Quintus Caepio +siebzehn Jahre nach Einführung der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf +Zurückgabe der Prozesse an senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung +wünschte, aber auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, +Domänen zu verschleudern, sondern einem einflußreichen Stande gegenüber eine +Maßregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation der +Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl aber trugen +diese Maßregeln dazu bei, das niemals aufrichtige Einverständnis der +regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und dem Proletariat noch ferner +zu trüben. Beide wußten sehr genau, daß der Senat alle Zugeständnisse nur aus +Angst und widerwillig gewährte; weder durch Dankbarkeits- noch durch +Vorteilsrücksichten an die Herrschaft des Senats dauernd gefesselt, waren beide +sehr bereit, jedem anderen Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche +bot, dieselben Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine +Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte die +Restauration weiter mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen Aristokratie +und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der Tyrannis. Ihre Herrschaft +ruhte nicht bloß auf den gleichen Basen wie die des Gracchus, sondern sie war +auch gleich schlecht, ja noch schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit +dem Pöbel im Bunde zweckmäßige Institutionen umstieß, aber den Gassenbanden wie +den kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen machtlos. Sie saß auf dem +erledigten Thron mit bösem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den Institutionen +des eigenen Staates grollend und doch unfähig, auch nur planmäßig sie +anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen außer, wo der eigene materielle Vorteil +sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigene wie die entgegengesetzte +Partei, des inneren Widerspruchs, der kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten +Eigennutzes, ein unübertroffenes Ideal der Mißregierung. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +2 Das zeigt, wie bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend gemacht, +daß bei Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats genannt werde; allein +teils beweist dies nicht genug, teils paßt, was daselbst erzählt wird, +schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres 648 (106), und es muß hier eine +Irrung sein, sei es nun im Namen oder in den berichteten Tatsachen. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Es konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem und +sittlichem Verfall, vor allem aber die höchsten Stände. Die Aristokratie vor +der Gracchenzeit war wahrlich nicht überreich an Talenten und die Bänke des +Senats vollgedrängt von feigem und verlottertem adligen Gesindel; indes es +saßen doch in demselben auch Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus +Metellus, Publius Crassus, Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und +fähige Männer, und wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, daß +der Senat in der Unrechtfertigkeit ein gewisses Maß und ein gewisses Dekorum in +dem Mißregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestürzt und sodann +wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der Restauration. +Hatte die Aristokratie früher regiert schlecht und recht und seit mehr als +einem Jahrhundert ohne jede fühlbare Opposition, so hatte die durchgemachte +Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den Abgrund gezeigt, der vor ihren +Füßen klaffte. War es ein Wunder, daß fortan der Groll immer und, wo sie es +wagte, der Schrecken das Regiment der altadligen Herrenpartei bezeichnete? daß +die Regierenden noch unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die +nichtregierende Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? daß die +Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des Patriziats, +wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Söhne und (wahrscheinlich) die +zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer einzigen Ausnahme lauter +unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen berufene Leute, innerhalb fünfzehn +Jahren (631-645 123-109) sämtlich zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen +auch zum Triumph gelangten, von den Schwiegersöhnen und so weiter zu schweigen? +daß, je gewalt- und grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei +aufgetreten war, er desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten +Aristokraten jeder Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? daß die +Regierenden und die Regierten nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien +glichen, daß in ihrem Krieg kein Völkerrecht galt? Es war leider nur zu +begreiflich, daß, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese +restaurierte es mit Skorpionen züchtigte. Sie kam zurück; aber sie kam weder +klüger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der römischen Aristokratie so +vollständig an staatsmännischen und militärischen Kapazitäten gemangelt wie in +dieser Restaurationsepoche zwischen der Gracchischen und der Cinnanischen +Revolution. Bezeichnend dafür ist der Koryphäe der senatorischen Partei dieser +Zeit, Marcus Aemilius Scaurus. Der Sohn hochadliger, aber unvermögender Eltern +und darum genötigt, Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, +schwang er sich auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre +Vormann des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und +verewigte seinen Namen nicht bloß als Redner und Schriftsteller, sondern auch +als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem Jahrhundert ausgeführten +Staatsbauten. Indes wenn man näher zusieht, laufen seine vielgefeierten +Großtaten darauf hinaus, daß er als Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in +den Alpen, als Staatsmann mit seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefähr +ebenso ernsthafte Siege über den revolutionären Zeitgeist erfocht, sein +eigentliches Talent indes darin bestand, ganz ebenso zugänglich und bestechlich +zu sein wie jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den +Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und vor allem +durch seine vornehme und ehrwürdige Erscheinung vor dem Publikum den Fabricius +zu agieren. In militärischer Hinsicht finden sich zwar einige ehrenvolle +Ausnahmen tüchtiger Offiziere aus den höchsten Kreisen der Aristokratie; die +Regel aber war, daß die vornehmen Herren, wenn sie an die Spitze der Armeen +treten sollten, schleunigst aus den griechischen Kriegshandbüchern und den +römischen Annalen zusammenlasen, was nötig war, um einen militärischen Diskurs +zu führen und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando einem +niedrig geborenen Offizier von erprobter Fähigkeit und erprobter Bescheidenheit +übergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor der Senat einer +Versammlung von Königen glich, so spielten diese ihre Nachfahren nicht übel die +Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser restaurierten Adligen hielt völlig die +Waage ihre politische und sittliche Nichtswürdigkeit. Wenn nicht die religiösen +Zustände, auf die zurückzukommen sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser +Zeit ein treues Spiegelbild böten und ebenso die äußere Geschichte in dieser +Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des römischen Adels als einen ihrer +wesentlichsten Faktoren aufwiese, so würden die entsetzlichsten Verbrechen, die +in den höchsten Kreisen Roms Schlag auf Schlag zum Vorschein kamen, allein +denselben hinreichend charakterisieren. +</p> + +<p> +Die Verwaltung war nach innen und nach außen, was sie sein konnte unter einem +solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens griff mit erschreckender +Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie das Auskaufen der Kleinbesitzer +sich gesetzlich hatte erlauben lassen, und in ihrem neuen Übermut das +Austreiben derselben immer häufiger sich selbst erlaubte, verschwanden die +Bauernstellen wie die Regentropfen im Meer. Wie mit der politischen die +ökonomische Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Äußerung, die ein +gemäßigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) tat, daß +es in der ganzen Bürgerschaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den +praktischen Kommentar dazu lieferten abermals die Sklavenaufstände, welche in +den ersten Jahren des Kimbrischen Krieges alljährlich in Italien ausbrachen, so +in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war +schon so bedeutend, daß gegen sie der städtische Prätor mit seiner Legion hatte +marschieren müssen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch +tückischen Verrat der Insurrektion Herr geworden war. Auch das war eine +bedenkliche Erscheinung, daß an der Spitze derselben kein Sklave gestanden +hatte, sondern der römische Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem +wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven frei und sich zu ihrem +König zu erklären (650 104). Wie gefährlich die Anhäufung der Sklavenmassen in +Italien der Regierung erschien, beweisen die Vorsichtsmaßregeln hinsichtlich +der Goldwäschereien von Victumulae, die seit 611 (143) für Rechnung der +römischen Regierung betrieben wurden: die Pächter wurden zuerst verpflichtet, +nicht über 5000 Arbeiter anzustellen, später der Betrieb durch Senatsbeschluß +gänzlich eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwärtigen war in der Tat +alles zu fürchten, wenn, wie dies sehr möglich war, ein Heer von Transalpinern +in Italien eindrang und die großenteils stammverwandten Sklaven zu den Waffen +rief. +</p> + +<p> +Verhältnismäßig mehr noch litten die Provinzen. Man versuche sich vorzustellen, +wie es in Ostindien aussehen würde, wenn die englische Aristokratie wäre, was +in jener Zeit die römische war, und man wird eine Vorstellung der Lage von +Sizilien und Asia haben. Die Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft die +Kontrolle der Beamten übertrug, nötigte diese, gewissermaßen gemeinschaftliche +Sache mit jener zu machen und durch unbedingte Nachgiebigkeit gegen die +Kapitalisten in den Provinzen sich unbeschränkte Plünderungsfreiheit und Schutz +vor der Anklage zu erkaufen. Neben diesen offiziell und halboffiziell +angestellten Räubern plünderten Land- und Seepiraten die sämtlichen +Landschaften des Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen Gewässern trieben +die Flibustier es so arg, daß selbst die römische Regierung sich genötigt sah, +im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den Schiffen der abhängigen Kaufstädte +gebildete Flotte unter dem mit prokonsularischer Gewalt bekleideten Prätor +Marcus Antonius nach Kilikien zu entsenden. Diese brachte nicht bloß eine +Anzahl Korsarenschiffe auf und nahm einige Felsennester aus, sondern die Römer +richteten hier sich sogar für die Dauer ein und besetzten zur Unterdrückung des +Seeraubs in dem Hauptsitz desselben, dem rauhen oder westlichen Kilikien, feste +militärische Positionen, was der Anfang war zur Einrichtung der seitdem unter +den römischen Ämtern erscheinenden Provinz Kilikien 3. Die Absicht war löblich +und der Plan an sich zweckmäßig entworfen; nur bewies leider der Fortbestand +und die Steigerung des Korsarenunwesens in den asiatischen Gewässern und +speziell in Kilikien, mit wie unzulänglichen Mitteln man von der neu genommenen +Stellung aus die Piraterie bekämpfte. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +3 Vielfältig wird angenommen, daß die Einrichtung der Provinz Kilikien erst +erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676 f. (78), +allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla (App. Mithr. 57; civ. +1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 +44) als Statthalter von Kilikien, wonach nichts übrig bleibt, als die +Einrichtung der Provinz in das Jahr 652 (102) zu setzen. Hierfür spricht +ferner, daß in dieser Zeit die Züge der Römer gegen die Korsaren, wie zum +Beispiel die balearischen, ligurischen, dalmatischen, regelmäßig gerichtet +erscheinen auf Besetzung der Küstenpunkte, von wo der Seeraub ausging; +natürlich, denn da die Römer keine stehende Flotte hatten, war das einzige +Mittel, dem Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Küsten. Übrigens ist +daran zu erinnern, daß der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz der +Landschaft in sich schließt, sondern an sich nichts ist als ein selbständiges +militärisches Kommando; es ist sehr möglich, daß die Römer zunächst in dieser +rauhen Landschaft nichts nahmen als Station für Schiffe und Mannschaft. +</p> + +<p> +Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den Krieg gegen Tigranes bei dem Syrischen +Reich (App. Syr. 48); die ehemals zu Kilikien gerechneten Landschaften nördlich +des Tauros, das sogenannte kappadokische Kilikien und Kataonien gehörten jenes +seit der Auflösung des Attalischen Reiches (Iust. 37, 1; oben S. 62), dieses +wohl schon seit dem Frieden mit Antiochos zu Kappadokien. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Aber nirgends kam die Ohnmacht und die Verkehrtheit der römischen +Provinzialverwaltung in so nackter Blöße zu Tage wie in den Insurrektionen des +Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der Aristokratie zugleich in +den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein schienen. Jene aus Aufständen zu +Kriegen anschwellenden Schilderhebungen der Sklavenschaft, wie sie eben um das +Jahr 620 (134) als eine und vielleicht die nächste Ursache der Gracchischen +Revolution aufgetreten waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger +Einförmigkeit. Wieder gärte es wie dreißig Jahre zuvor in der gesamten +Sklavenschaft im Römischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen ward schon +gedacht. In den attischen Silberbergwerken standen die Grubenarbeiter auf, +besetzten das Vorgebirge Sunion und plünderten längere Zeit hindurch von dort +aus die Umgegend; an anderen Orten zeigten sich ähnliche Bewegungen. Vor allem +war wieder der Hauptsitz dieser fürchterlichen Vorgänge Sizilien mit seinen +Plantagen und den dort zusammenströmenden kleinasiatischen Sklavenhorden. Es +ist charakteristisch für die Größe des Übels, daß ein Versuch der Regierung, +den schlimmsten Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu steuern, die nächste +Ursache der neuen Insurrektion ward. Daß die freien Proletarier in Sizilien +wenig besser daran waren als die Sklavenschaft, hatte schon ihr Verhalten zu +dem ersten Aufstand gezeigt; nach der Besiegung desselben nahmen die römischen +Spekulanten ihre Revanche und steckten die freien Provinzialen massenweise +unter die Sklavenschaften ein. Infolge einer hiergegen im Jahre 650 (204) vom +Senat erlassenen scharfen Verfügung setzte der damalige Statthalter von +Sizilien, Publius Licinius Nerva, in Syrakus ein Freiheitsgericht nieder, das +in der Tat mit Ernst durchgriff; in kurzer Zeit war in achthundert Prozessen +gegen die Sklavenbesitzer entschieden und die Zahl der anhängig gemachten +Sachen immer noch im Steigen. Die erschreckten Plantagenbesitzer stürmten nach +Syrakus, um von dem römischen Statthalter die Sistierung solcher unerhörten +Rechtspflege zu erzwingen; Nerva war schwach genug, sich terrorisieren zu +lassen und die prozeßbittenden Unfreien mit barschen Worten anzuweisen, daß sie +sich des lästigen Verlangens von Recht und Gerechtigkeit zu begeben und +augenblicklich zu denen zurückzukehren hätten, die sich ihre Herren nennten. +Die Abgewiesenen rotteten statt dessen sich zusammen und gingen in die Berge. +Der Statthalter war auf militärische Maßregeln nicht gefaßt und selbst der +elende Landsturm der Insel nicht sogleich zur Hand; weshalb er ein Bündnis +abschloß mit einem der bekanntesten Räuberhauptleute auf der Insel und durch +das Versprechen eigener Begnadigung ihn bewog, die aufständischen Sklaven durch +Verrat den Römern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward man also Herr. +Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang es, dafür eine Abteilung +der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu schlagen, und dieser erste Erfolg +verschaffte den Insurgenten, was sie vor allem bedurften, Waffen und Zulauf. +Das Heergerät der gefallenen und flüchtigen Gegner gab die erste Grundlage für +ihre militärische Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele +Tausende angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich +ihren Vorgängern, sich nicht unwürdig, von Königen regiert zu werden wie ihre +Landsleute daheim und - den Lumpenkönig der Heimat bis auf den Namen +parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als König +Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), wo diese Haufen +ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den Händen der Insurgenten +und Morgantia und andere ummauerte Städte schon von ihnen belagert, als mit den +eiligst zusammengerafften sizilischen und italischen Scharen der römische +Statthalter das Sklavenheer vor Morgantia überfiel. Er besetzte das +unverteidigte Lager; allein die Sklaven, obwohl überrascht, hielten stand, und +wie es zum Gefecht kam, wich der Landsturm der Insel nicht bloß beim ersten +Anprall, sondern, da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert +entkommen ließen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute +Gelegenheit, ihren Abschied zu nehmen, und das römische Heer lief vollständig +auseinander. Hätten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den Toren +gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren; sie zogen es +indes vor, von ihren Herren gesetzmäßig die Freiheit geschenkt zu nehmen und +halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt retten, worauf sodann der römische +Statthalter das den Sklaven von den Herren feierlich gegebene +Freiheitsversprechen als widerrechtlich erzwungen von Rechts wegen kassierte. +</p> + +<p> +Während also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um sich +griff, brach ein zweiter aus auf der Westküste. An der Spitze stand hier +Athenion. Er war, eben wie Kleon, einst ein gefürchteter Räuberhauptmann in +seiner Heimat Kilikien gewesen und von dort als Sklave nach Sizilien geführt +worden. Ganz wie seine Vorgänger versicherte er sich der Gemüter der Griechen +und Syrer vor allem durch Prophezeiungen und anderen erbaulichen Schwindel; +aber kriegskundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht, wie die +übrigen Führer, die ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, sondern bildete aus +den kriegstüchtigen Mannschaften ein organisiertes Heer, während er die Masse +zu friedlicher Beschäftigung anwies. Bei der strengen Mannszucht, die in seinen +Truppen jedes Schwanken und jede unbotmäßige Regung niederhielt, und der milden +Behandlung der friedlichen Landbewohner und selbst der Gefangenen errang er +rasche und große Erfolge. Die Hoffnung, daß die beiden Führer sich veruneinigen +würden, schlug den Römern auch diesmal fehl; freiwillig fügte sich Athenion dem +weit minder fähigen König Tryphon und erhielt damit die Einigkeit unter den +Insurgenten. Bald herrschten diese so gut wie unumschränkt auf dem platten +Lande, wo die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven +hielten; die römischen Behörden waren nicht imstande, gegen sie das Feld zu +nehmen, und mußten sich begnügen, mit dem sizilischen und dem eiligst +herangezogenen afrikanischen Landsturm die Städte zu schützen, welche sich in +der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die Rechtspflege stockte auf der +ganzen Insel, und es regierte einzig das Faustrecht. Da kein Ackerbürger sich +mehr vor das Tor, kein Landmann sich in die Stadt wagte, brach die +fürchterlichste Hungersnot herein, und die städtische Bevölkerung dieser sonst +Italien ernährenden Insel mußte von den römischen Behörden mit +Getreidesendungen unterstützt werden. Dazu drohten überall im Innern die +Verschwörungen der Stadtsklaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie +denn selbst Messana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So schwer es +der Regierung fiel, während des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite Armee +ins Feld zu stellen, sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 (103) ein Heer +von 14000 Römern und Italikern, umgerechnet die überseeischen Milizen, unter +dem Prätor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das vereinigte +Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und nahm die Schlacht an, die +Lucullus anbot. Die bessere militärische Organisation gab den Römern den Sieg: +Athenion blieb für tot auf der Walstatt, Tryphon mußte sich in die Bergfestung +Triokala werfen; die Insurgenten berieten ernstlich, ob es möglich sei, den +Kampf länger fortzusetzen. Indes die Partei, die entschlossen war, auszuharren +bis auf den letzten Mann, behielt die Oberhand; Athenion, der in wunderbarer +Weise gerettet worden war, trat wieder unter die Seinigen und belebte den +gesunkenen Mut; vor allem aber tat Lucullus unbegreiflicherweise nicht das +geringste, um seinen Sieg zu verfolgen, ja er soll absichtlich die Armee +desorganisiert und sein Feldgerät verbrannt haben, um die gänzliche +Erfolglosigkeit seiner Amtsführung zu bedecken und von seinem Nachfolger nicht +in Schatten gestellt zu werden. Mag dies wahr sein oder nicht, sein Nachfolger +Gaius Servilius (652 102) erlangte nicht bessere Resultate, und beide Generale +sind später ihrer Amtsführung wegen kriminell belangt und verurteilt worden, +was freilich auch durchaus kein sicherer Beweis für ihre Schuld ist. Athenion, +der nach Tryphons Tode (652 102) den Oberbefehl allein übernommen hatte, stand +siegreich an der Spitze eines ansehnlichen Heeres, als im Jahre 653 (101) +Manius Aquillius, der das Jahr zuvor unter Marius im Teutonenkriege sich +ausgezeichnet hatte, als Konsul und Statthalter die Führung des Krieges +übernahm. Nach zweijährigen harten Kämpfen - Aquillius soll mit Athenion +persönlich gefochten und ihn im Zweikampf getötet haben - schlug der römische +Feldherr endlich die verzweifelte Gegenwehr nieder und überwand die Insurgenten +in ihren letzten Schlupfwinkeln durch Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde +das Waffentragen untersagt und der Friede zog wieder auf ihr ein, das heißt die +neuen Peiniger wurden abgelöst von den altgewohnten; wie denn namentlich der +Sieger selbst unter den zahlreichen und energischen Räuberbeamten dieser Zeit +eine hervorragende Stelle einnimmt. Für wen es aber noch eines Beweises +bedurfte, wie das Regiment der restaurierten Aristokratie im Innern beschaffen +war, den konnte man auf die Entstehung wie auf die Führung dieses zweiten +fünfjährigen Sizilischen Sklavenkrieges verweisen. +</p> + +<p> +Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der römischen Verwaltung, +es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen hervor. Wenn der +sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung auch nur der einfachsten +Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, gewachsen war, so offenbarten die +gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, wie man jetzt in Rom es verstand, +Klientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der Sizilische Sklavenkrieg +ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten Welt das Schauspiel +aufgeführt, daß gegen die gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien +und Asien mit einem Schlag ihres schweren Armes zerschmettert hatte, ein +unbedeutender Klientelfürst nicht mittels Waffen, sondern mittels der +Erbärmlichkeit ihrer regierenden Herren eine vierzehnjährige Usurpation und +Insurrektion durchzuführen vermochte. +</p> + +<p> +Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich aus bis an die Große +Syrte, so daß es einerseits grenzte an das Mauretanische Reich von Tingis (das +heutige Marokko), andererseits an Kyrene und Ägypten, und den schmalen +Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich, südlich und östlich +umschloß; es umfaßte außer den alten Besitzungen der numidischen Häuptlinge den +bei weitem größten Teil desjenigen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten +seiner Blüte in Afrika besessen hatte, darunter mehrere bedeutende +altphönikische Städte wie Hippo regius (Bona) und Groß-Leptis (Lebidah), +überhaupt den größten und besten Teil des reichen nordafrikanischen +Küstenlandes. Nächst Ägypten war ohne Frage Numidien der ansehnlichste unter +allen römischen Klientelstaaten. Nach Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio +unter dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die +väterliche Herrschaft in der Art geteilt, daß der erstgeborene die Residenz und +die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit übernahm. +Jetzt regierte nach dem Tode seiner beiden Brüder wieder allein Massinissas +ältester Sohn Micipsa 4, ein schwacher, friedlicher Greis, der lieber als mit +Staatsangelegenheiten sich mit dem Studium der griechischen Philosophie +beschäftigte. Da seine Söhne noch nicht erwachsen waren, führte tatsächlich die +Zügel der Regierung ein illegitimer Neffe des Königs, der Prinz Jugurtha. +Jugurtha war kein unwürdiger Enkel Massinissas. Er war ein schöner Mann und ein +gewandter und mutiger Reiter und Jäger; seine Landsleute hielten den klaren und +einsichtigen Verwalter in hohen Ehren, und seine militärische Brauchbarkeit +hatte er als Führer des numidischen Kontingents vor Numantia unter Scipios +Augen erwiesen. Seine Stellung im Königreich und der Einfluß, dessen er durch +seine zahlreichen Freunde und Kriegskameraden bei der römischen Regierung +genoß, ließen es König Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu adoptieren (634 120) +und in seinem Testament zu verordnen, daß des Königs beide älteste leibliche +Söhne Adherbal und Hiempsal und sein Adoptivsohn Jugurtha selbdritt, ebenso wie +er selbst mit seinen beiden Brüdern, zu gesamter Hand das Reich erben und +regieren sollten. Zu größerer Sicherheit wurde diese Verfügung unter die +Garantie der römischen Regierung gestellt. Bald nachher, im Jahre 636 (118) +starb König Micipsa. Das Testament trat in Kraft; allein die beiden Söhne +Micipsas, mehr noch als der schwache ältere Bruder der heftige Hiempsal, +gerieten bald mit ihrem Vetter, den sie als Eindringling in die legitime +Erbfolge ansahen, so heftig zusammen, daß der Gedanke an eine Gesamtregierung +der drei Könige aufgegeben werden mußte. Man versuchte eine Realteilung +durchzuführen; allein die hadernden Könige vermochten über die Landes- und +Schatzquoten sich nicht zu einigen, und die Schutzmacht, der hier von Rechts +wegen das entscheidende Wort zustand, bekümmerte wie gewöhnlich um diese +Angelegenheit sich nicht. Es kam zum Bruch; Adherbal und Hiempsal mochten das +Testament des Vaters als erschlichen bezeichnen und Jugurthas Miterbrecht +überhaupt bestreiten, wogegen Jugurtha auftrat als Prätendent auf das gesamte +Königreich. Noch während der Verhandlungen über die Teilung ward Hiempsal durch +gedungene Meuchelmörder aus dem Wege geschafft; zwischen Adherbal und Jugurtha +kam es zum Bürgerkriege, in dem ganz Numidien Partei nahm. Mit seinen minder +zahlreichen, aber besser geübten und besser geführten Truppen siegte Jugurtha +und bemächtigte sich des gesamten Reichsgebiets unter den grausamsten +Verfolgungen gegen die seinem Vetter anhängenden Häupter. Adherbal rettete sich +nach der römischen Provinz und ging von da nach Rom, um dort Klage zu führen. +Jugurtha hatte es erwartet und sich darauf eingerichtet, der drohenden +Intervention zu begegnen. Er hatte im Lager von Numantia noch mehr von Rom +kennengelernt als die römische Taktik: der numidische Prinz, eingeführt in die +Kreise der römischen Aristokraten, war zugleich eingeweiht worden in die +römischen Koterieintrigen und hatte an der Quelle studiert, was man römischen +Adligen zumuten könne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte er +illoyale Unterhandlungen über die numidische Erbfolge mit vornehmen römischen +Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich erinnern müssen, daß es +fremden Prinzen anständiger sei, mit dem römischen Staat als mit einzelnen +römischen Bürgern Freundschaft zu halten. Jugurthas Gesandte erschienen in Rom, +nicht bloß mit Worten ausgerüstet; daß sie die richtigen diplomatischen +Überzeugungsmittel gewählt hatten, bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter +von Adherbals gutem Recht überzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich +davon, daß Hiempsal seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen umgebracht +worden und daß der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha sei, sondern +Adherbal. Selbst die leitenden Männer im Senat erschraken vor dem Skandal; +Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der Senat überging das +Geschehene mit Stillschweigen und verfügte, daß die beiden überlebenden +Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen erhalten und zur Verhütung neuen +Haders die Teilung durch eine Kommission des Senats vorgenommen werden solle. +Sie kam; der Konsular Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die +Beseitigung der Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn für +seinen Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission +stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und nicht zum +Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta (Constantine) mit ihrem +Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an Adherbal, allein eben dadurch ward +ihm der fast ganz aus Sandwüsten bestehende östliche Teil des Reiches, Jugurtha +dagegen die fruchtbare und bevölkerte Westhälfte (das spätere Sitifensische und +Cäsariensische Mauretanien) zu teil. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +4 Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender: +</p> + + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der +Verteidigung Adherbal um seine Hälfte bringen zu können, reizte Jugurtha +denselben zum Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten +Erfahrungen gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen +ließ und sich begnügte, in Rom Beschwerde zu führen, begann Jugurtha, +ungeduldig über diese Weitläufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg. In der +Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollständig geschlagen und warf +sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Während die Belagerung ihren Fortgang nahm +und Jugurthas Truppen mit den in Cirta zahlreich ansässigen und bei der +Verteidigung der Stadt lebhafter als die Afrikaner selbst sich beteiligenden +Italikern täglich sich herumschlugen, erschien die von dem römischen Senat auf +Adherbals erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natürlich junge unerfahrene +Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewöhnlichen Staatssendungen +regelmäßig verwandte. Die Gesandten verlangten, daß Jugurtha sie als von der +Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse, überhaupt aber den +Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme. Jugurtha schlug beides kurzweg ab +und die Gesandten zogen schleunigst heim wie die Knaben, die sie waren, um an +die Väter der Stadt zu berichten. Die Väter hörten den Bericht an und ließen +ihre Landsleute in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst +als im fünften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die +Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des Königs voll +der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte derselbe sich auf und faßte +wirklich einen Beschluß - nicht etwa den Krieg zu erklären, wie die Minorität +es verlangte, sondern eine neue Gesandtschaft zu schicken, aber eine +Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an der Spitze, dem großen Bezwinger der +Taurisker und der Freigelassenen, dem imponierenden Heros der Aristokratie, +dessen bloßes Erscheinen genügen werde, den ungehorsamen König auf andere +Gedanken zu bringen. In der Tat erschien Jugurtha, wie geheißen, in Utica, um +mit Scaurus zu verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die +Konferenz geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die +Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklärt zu haben, nach Rom zurück und der +König wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah sich aufs Äußerste +gebracht und verzweifelte an der römischen Unterstützung; die Italiker in +Cirta, der Belagerung müde und für ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf +die Furcht vor dem römischen Namen, drängten überdies zur Übergabe. So +kapitulierte die Stadt. Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter +grausamen Martern hinzurichten, die sämtliche erwachsene männliche Bevölkerung +der Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, über die Klinge springen zu lassen (642 +112). +</p> + +<p> +Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Italien. Die Minorität des Senats +selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten einmütig diese Regierung, für +die die Ehre und das Interesse des Landes nichts zu sein schienen als +verkäufliche Artikel; am lautesten die Kaufmannschaft, die durch die +Hinopferung der römischen und italischen Kaufleute in Cirta am nächsten +getroffen worden war. Die Majorität des Senats sträubte sich zwar auch jetzt +noch; sie appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle +Hebel der kollegialischen Geschäftsverschleppung in Bewegung, um den lieben +Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der für 643 (111) gewählte +Volkstribun Gaius Memmius, ein tätiger und beredter Mann, sofort nach Antritt +seines Amtes den Handel öffentlich zur Sprache brachte und die schlimmsten +Sünder zu gerichtlicher Verantwortung ziehen zu wollen drohte, ließ der Senat +es geschehen, daß der Krieg an Jugurtha erklärt ward (642/43 112/11). Es schien +ernst zu werden. Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus +Italien ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter +seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Tätigkeit sich +auszeichnete, betrieb die Rüstungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst übernahm +eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer Zeit stand ein +römisches Heer auf afrikanischem Boden und rückte, am Bagradas (Medscherda) +hinaufmarschierend, ein in das Numidische Königreich, wo die vor dem Sitz der +königlichen Macht entlegensten Städte, wie Groß-Leptis, bereits freiwillig ihre +Unterwerfung einsandten, während König Bocchus von Mauretanien, obwohl seine +Tochter mit Jugurtha vermählt war, doch den Römern Freundschaft und Bündnis +antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das römische +Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des Kampfes schien +nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag mit König Bocchus +scheiterte daran, daß der König, unbekannt mit den römischen Sitten, diesen den +Römern vorteilhaften Vertrag umsonst abschließen zu können gemeint und deshalb +versäumt hatte, seinen Boten den marktgängigen Preis römischer Bündnisse +mitzugeben. Jugurtha kannte allerdings die römischen Institutionen besser und +hatte nicht versäumt, seine Waffenstillstandsanträge durch die gehörigen +Begleitgelder zu unterstützen; indes auch er hatte sich getäuscht. Nach den +ersten Verhandlungen ergab es sich, daß im römischen Hauptquartier nicht bloß +der Waffenstillstand feil sei, sondern auch der Friede. Die königliche +Schatzkammer war noch von Massinissas Zeiten her wohl gefüllt; rasch war man +handelseinig. Der Vertrag ward abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe +dem Kriegsrat vorgelegt und nach einer unordentlichen und möglichst +summarischen Verhandlung dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha +unterwarf sich auf Gnade und Ungnade; der Sieger aber übte Gnade und gab dem +König sein Reich ungeschmälert zurück gegen eine mäßige Buße und die +Auslieferung der römischen Oberläufer und der Kriegselefanten (643 111), welche +letztere der König großenteils später wiedereinhandelte durch Verträge mit den +einzelnen römischen Platzkommandanten und Offizieren. +</p> + +<p> +Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt wußte, wie +der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war zu haben, nur um +einen höheren als den gemeinen senatorischen Durchschnittspreis. Die +Rechtsbeständigkeit des Friedens ward im Senat ernstlich angefochten; Gaius +Memmius erklärte, daß der König, wenn er wirklich unbedingt sich unterworfen +habe, sich nicht weigern könne, in Rom zu erscheinen und man ihn demnach +vorladen möge, um hinsichtlich der durchaus irregulären Friedensverhandlungen +durch Vernehmung der beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. +Man fügte sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der König nicht +als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich sicheres +Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der König in der Tat in Rom und stellte +sich zum Verhör vor dem versammelten Volke, das mühsam bewogen ward, das +sichere Geleit zu respektieren und den Mörder der cirtensischen Italiker nicht +auf der Stelle zu zerreißen. Allein kaum hatte Gaius Memmius die erste Frage an +den König gerichtet, als einer seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und +dem Könige befahl zu schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold +mächtiger als der Wille des souveränen Volkes und seiner höchsten Beamten. +Inzwischen gingen im Senat die Verhandlungen über die Gültigkeit des soeben +abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius Albinus +nahm eifrig Partei für den Antrag, denselben zu kassieren, in der Aussicht, daß +dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde. Dies veranlaßte einen in Rom +lebenden Enkel Massinissas, den Massiva, seine Ansprüche auf das erledigte +Numidische Reich bei dem Senat geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der +Vertrauten des Königs Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in +dessen Auftrag, meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafür der Prozeß +gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den Augen +der römischen Regierung verübte Verbrechen bewirkte wenigstens so viel, daß der +Senat nun den Frieden kassierte und den König aus der Stadt auswies (Winter +643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und der Konsul Spurius Albinus +übernahm den Oberbefehl (644 110). Allein das afrikanische Heer war bis in die +untersten Schichten hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen +politischen und militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloß von +Disziplin war die Rede nicht mehr und die Plünderung der numidischen +Ortschaften, ja des römischen Provinzialgebiets während der Waffenruhe das +Hauptgeschäft der römischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch nicht +wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche +Einverständnisse angeknüpft mit dem Feinde. Daß ein solches Heer im Felde +nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch diesmal vom +römischen Obergeneral die Untätigkeit kaufte, wie dies später gegen denselben +gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er wahrlich ein übriges. Spurius +Albinus also begnügte sich damit, nichts zu tun; dagegen sein Bruder, der nach +seiner Abreise interimistisch den Oberbefehl übernahm, der ebenso tolldreiste +als unfähige Aulus Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch +einen kühnen Handstreich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der +schwer zugänglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (später Calama, jetzt +Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und erreichte die Stadt; allein +die Belagerung war erfolg- und aussichtslos, und als der König, der eine +Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt gestanden, in die Wüste ging, zog der +römische Feldherr es vor, ihn zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha +beabsichtigt; durch einen nächtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des +Terrains und Jugurthas Einverständnisse in der römischen Armee zusammenwirkten, +eroberten die Numidier das römische Lager und trieben die großenteils +waffenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht vor sich +her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug des römischen +Heeres unter dem Joch, sofortige Räumung des ganzen numidischen Gebiets, +Erneuerung des vom Senat kassierten Bündnisvertrages, von Jugurtha diktiert und +von den Römern angenommen wurden (Anfang 645 109). +</p> + +<p> +Dies war denn doch zu arg. Während die Afrikaner jubelten und die plötzlich +eröffnende Aussicht auf den kaum noch für möglich gehaltenen Sturz der +Fremdherrschaft zahlreiche Stämme der freien und halbfreien Wüstenbewohner +unter die Fahnen des siegreichen Königs führte, brauste in Italien die +öffentliche Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche +Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozeßsturm, der, genährt durch +die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von Opfern aus den höchsten +Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag des Volkstribuns Gaius Mamilius +Limetanus ward trotz der schüchternen Versuche des Senats, das Strafgericht +abzuwenden, eine außerordentliche Geschworenenkommission bestellt zur +Untersuchung des in der numidischen Sukzessionsfrage vorgekommenen +Landesverrats, und ihre Wahlsprüche sandten die beiden bisherigen +Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius Albinus, ferner den Lucius Opimius, +das Haupt der ersten afrikanischen Kommission und nebenbei den Henker des Gaius +Gracchus, außerdem zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige +Männer der Regierungspartei in die Verbannung. Daß indes diese Prozesse einzig +darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten kompromittierten +Personen die aufgeregte öffentliche Meinung namentlich der Kapitalistenkreise +zu beschwichtigen, und daß dabei von einer Auflehnung des Volkszorns gegen das +recht- und ehrlose Regiment selbst nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt +sehr deutlich die Tatsache, daß an den schuldigsten unter den Schuldigen, an +den klugen und mächtigen Scaurus nicht bloß niemand sich wagte, sondern daß er +eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der +Vorstände der außerordentlichen Hochverratskommission erwählt ward. Um so +weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre Kompetenz zu +greifen, und es blieb lediglich dem Senat überlassen, dem numidischen Skandal +in der für die Aristokratie möglichst gelinden Weise ein Ende zu machen; denn +daß dies an der Zeit war, mochte wohl selbst der adligste Adlige anfangen zu +begreifen. +</p> + +<p> +Der Senat kassierte zunächst auch den zweiten Friedensvertrag - den +Oberbefehlshaber, der ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch +vor dreißig Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der +Heiligkeit der Verträge nicht ferner nötig -, und die Erneuerung des Krieges +ward diesmal allen Ernstes beschlossen. Man übergab den Oberbefehl in Afrika +zwar wie natürlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen vornehmen +Männer, die militärisch und sittlich der Aufgabe gewachsen waren. Die Wahl fiel +auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze mächtige Familie, der er angehörte, +seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloser Aristokrat, als Beamter +ein Mann, der es zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats +Meuchelmörder zu dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als +unpraktische Donquichotterie verlacht haben würde, aber doch ein unbeugsamer, +weder der Furcht noch der Bestechung zugänglicher Verwalter und ein +einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch von +seinen Standesvorurteilen so weit frei, daß er sich zu seinen +Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den trefflichen +Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner musterhaften Mannszucht und +als Urheber eines veränderten und verbesserten Exerzierreglements in +militärischen Kreisen geschätzt ward, und den tapferen, von der Pike +emporgedienten latinischen Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen +fähigen Offizieren begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) +als Konsul und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so +zerrütteten Zustand antraf, daß die Generale bisher nicht gewagt hatten, sie +auf das feindliche Gebiet zu führen und sie niemand fürchterlich war als den +unglücklichen Bewohnern der römischen Provinz. Streng und rasch wurde sie +reorganisiert und im Frühling des Jahres 646 (108) 5 führte Metellus sie über +die numidische Grenze. Wie Jugurtha der veränderten Lage der Dinge inne ward, +gab er sich verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte +Vergleichsanträge, indem er schließlich nichts weiter begehrte, als daß man ihm +das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und vielleicht selbst +angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als mit der unbedingten +Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen Klientelfürsten; was auch in +der Tat der einzige Ausgang war, der den Römern genügen konnte. Jugurtha galt +seit dem Sieg über Albinus als der Erlöser Libyens von der Herrschaft der +verhaßten Fremden; rücksichtslos und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die +römische Regierung war, konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in +seiner Heimat den Krieg entzünden; die Ruhe war nicht eher gesichert und die +Entfernung der afrikanischen Armee nicht eher möglich, als wenn König Jugurtha +nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende Antworten auf die Anträge +des Königs; insgeheim stiftete er die Boten desselben auf, ihren Herrn lebend +oder tot an die Römer auszuliefern. Indes wenn der römische General es +unternahm, mit dem Afrikaner auf dem Gebiet des Meuchelmordes zu wetteifern, so +fand er hier seinen Meister; Jugurtha durchschaute den Plan und rüstete sich, +da er nicht anders konnte, zur verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des völlig +öden Gebirgszugs, über den der Weg der Römer in das Innere führte, erstreckte +sich in der Breite von vier deutschen Meilen bis zu dem dem Gebirgszug parallel +laufenden Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis auf die unmittelbare +Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war und nur durch einen mit +niedrigem Gestrüpp bedeckten Hügelrücken in der Quere durchsetzt ward. Auf +diesem Hügelrücken erwartete Jugurtha das römische Heer. Seine Truppen standen +in zwei Massen: die eine, ein Teil der Infanterie und die Elefanten, unter +Bomilkar da, wo der Rücken auslief gegen den Fluß, die andere, der Kern des +Fußvolks und die gesamte Reiterei, höher hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt +durch das Gestrüpp. Aus dem Gebirge debouchierend, erblickten die Römer den +Feind in einer ihre rechte Flanke vollständig beherrschenden Stellung und +hatten, da sie auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmöglich verweilen +konnten und den Fluß notwendig erreichen mußten, die schwierige Aufgabe zu +lösen, durch die vier Meilen breite, ganz offene Ebene, unter den Augen der +feindlichen Reiter und selber ohne leichte Kavallerie, an den Strom zu +gelangen. Metellus entsandte ein Detachement unter Rufus in gerader Richtung an +den Fluß, um daselbst ein Lager zu schlagen; die Hauptmasse marschierte aus den +Debouchés des Gebirges in schräger Richtung durch die Ebene auf den Hügelrücken +zu, um den Feind von demselben herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der +Ebene drohte das Verderben des Heeres zu werden, denn während numidische +Infanterie im Rücken der Römer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese sie +räumten, sah sich die römische Angriffskolonne auf allen Seiten von den +feindlichen Reitern umschwärmt, die von dem Hügelrücken herab angriffen. Das +stete Anprallen der feindlichen Schwärme hinderte den Vormarsch, und die +Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter Detailgefechte aufzulösen; +während gleichzeitig Bomilkar mit seiner Abteilung das Korps unter Rufus +festhielt, um es zu hindern, der schwer bedrängten römischen Hauptarmee zu +Hilfe zu eilen. Jedoch gelang es Metellus und Marius mit ein paar tausend +Soldaten, den Fuß des Hügelrückens zu erreichen; und das numidische Fußvolk, +das die Höhen verteidigte, lief trotz der Überzahl und der günstigen Stellung +fast ohne Widerstand davon, als die Legionäre im Sturmschritt den Berg hinauf +angriffen. Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fußvolk gegen Rufus; es +ward bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten in dem durchschnittenen +Terrain alle getötet oder gefangen. Spät am Abend trafen die beiden römischen +Heerhaufen, jeder für sich Sieger und jeder besorgt um das Schicksal des +andern, zwischen den beiden Walplätzen zusammen. Es war eine Schlacht, die für +Jugurthas ungemeines militärisches Talent ebenso zeugte wie für die +unverwüstliche Tüchtigkeit der römischen Infanterie, welche allein die +strategische Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha sandte nach +der Schlacht einen großen Teil seiner Truppen heim und beschränkte sich auf den +kleinen Krieg, den er gleichfalls mit Gewandtheit leitete. Die beiden römischen +Kolonnen, die eine von Metellus geführt, die andere von Marius, der, obwohl von +Geburt und Rang der geringste, seit der Schlacht am Muthul unter den Korpschefs +die erste Stelle einnahm, durchzogen das numidische Gebiet, besetzten die +Städte und machten, wo eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig geöffnet hatte, +die erwachsene männliche Bevölkerung nieder. Allein die ansehnlichste unter den +Städten im östlichen Binnenland, Zama, leistete den Römern ernsthaften +Widerstand, den der König nachdrücklich unterstützte. Sogar ein Überfall des +römischen Lagers gelang ihm, und die Römer sahen sich endlich genötigt, die +Belagerung aufzuheben und in das Winterquartier zu gehen. Der leichteren +Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, unter Zurücklassung von +Besatzungen in den eroberten Städten, in die römische Provinz und benutzte die +Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen anzuknüpfen, indem er sich geneigt +zeigte, dem König einen erträglichen Frieden zu bewilligen. Jugurtha ging +darauf bereitwillig ein; bereits hatte er sich anheischig gemacht, 200000 Pfund +Silber zu entrichten, ja sogar seine Elefanten und 300 Geiseln schon +abgeliefert, ebenso 3000 römische Überläufer, die sofort niedergemacht wurden. +Gleichzeitig aber wurde des Königs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht +mit Unrecht besorgte, daß, wenn es zum Frieden käme, Jugurtha ihn als den +Mörder des Massiva den römischen Gerichten überliefern werde, von Metellus +gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit für jenen Mord und großer +Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den König den Römern lebendig oder tot +in die Hände zu liefern. Indes weder jene offizielle Verhandlung noch diese +Intrige führte zu dem gewünschten Resultat. Als Metellus mit dem Ansinnen +herausrückte, daß der König persönlich sich als Gefangener zu stellen habe, +brach dieser die Unterhandlungen ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward +entdeckt und derselbe festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede +sein für diese diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Römer hatten +allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu bemächtigen. +Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder weiterführen noch +aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war, beweist zum Beispiel der +Aufstand der bedeutendsten unter den Römern besetzten Städten Vaga 6 im Winter +646/47 (108/07), wobei die gesamte römische Besatzung, Offiziere und Gemeine, +niedergemacht wurde mit Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, +welcher später wegen Einverständnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder +Unrecht, läßt sich nicht sagen, von dem römischen Kriegsgericht zum Tode +verurteilt und hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage +nach dem Abfall überrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts +preisgegeben; allein wenn die Gemüter der leicht erreichbaren und +verhältnismäßig fügsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, wie mochte +es da aussehen weiter landeinwärts und bei den schweifenden Stämmen der Wüste? +Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm den doppelten Brudermörder +gern übersahen über dem Retter und Rächer der Nation. Zwanzig Jahre nachher +mußte ein numidisches Korps, das für die Römer in Italien focht, schleunigst +nach Afrika zurückgesandt werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn +sich zeigte: man mag daraus schließen, was er selber über die Seinen vermochte. +Wie war ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten +Eigentümlichkeiten der Bevölkerung und des Bodens einem Führer, der sich einmal +der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den Krieg in endlosen +Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine Zeitlang schlafen zu legen, +um ihn im rechten Augenblick mit neuer Gewalt wiederzuerwecken? +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +5 In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist +die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg ging im Sommer 649 +(105) zu Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegführung als Konsul 647 +(107) begann, so führte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die +Erzählung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus allem +Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er spät eintraf +(c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete (c. 44), seine +Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat auch Marius, der gleichfalls in +Italien längere Zeit sich mit Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder +als Konsul 647 (107) spät im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst +als Prokonsul 648 (106) den Oberbefehl an; so daß also die beiden Feldzüge des +Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen. Dazu +paßt, daß Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph. epigr. IV, S. +257). Dazu paßt ferner, daß die Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama +nach dem Verhältnis, in dem sie zu Marius’ Bewerbung um das Konsulat +stehen, notwendig in das Jahr 646 (108) gesetzt werden müssen. Von +Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn +Marius sogar noch 649 (105) bei ihm Konsul genannt wird. +</p> + +<p> +Die Verlängerung des Kommandos des Metellus, die Sallustius (62, 10) berichtet, +kann sich nach dem Platze, an dem sie steht, nur beziehen auf das Jahr 647 +(107); als im Sommer 646 (108) auf Grund des Sempronischen Gesetzes die +Provinzen der für 647 (107) zu wählenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte +der Senat zwei andere Provinzen und ließ also Numidien dem Metellus. Diesen +Senatsschluß stieß das 72, 7 erwähnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten +Handschriften beider Familien lückenhaft überlieferten Worte sed Paulo …. +decreverat: ea res frustra fuit müssen entweder die den Konsuln vom Senat +bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante uti consulibus Italia +et Gallia provinciae essent senatus] decreverat - oder, nach der Ergänzung der +Vulgathandschriften: sed Paulo [ante senatus Metello Numidiam] decreverat. +</p> + +<p> +6 Jetzt Bedschah an der Medscherda. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Als Metellus im Jahre 647 (107) wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha ihm +nirgends stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten +Punkt; es schien, als würde man ebenso leicht Herr werden über die Löwen wie +über diese Reiter der Wüste. Eine Schlacht ward geschlagen, ein Sieg gewonnen; +aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer zu sagen. Der König war +verschwunden in die unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von +Tunis, hart am Saum der großen Wüste, lag in quelliger Oase der feste Platz +Thala 7; dorthin hatte Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen +Schätzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten. +Metellus wagte es, durch eine Einöde, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in +Schläuchen mitgeführt werden mußte, dem König zu folgen; Thala ward erreicht +und fiel nach vierzigtägiger Belagerung; allein nicht bloß vernichteten die +römischen Überläufer mit dem Gebäude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich +selber verbrannten, zugleich den wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf +mehr ankam, der König Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse +entkommen. Numidien zwar war so gut wie ganz in den Händen der Römer; aber +statt daß man damit am Ziele gestanden hätte, schien der Krieg nur über ein +immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Süden begannen die freien +gätulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen die +Römer. Im Westen schien König Bocchus von Mauretanien, dessen Freundschaft die +Römer in früherer Zeit verschmäht hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem +Schwiegersohn gegen sie gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht +bloß bei sich auf, sondern rückte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen +Jugurthas Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im +Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, daß er mit +Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis für Rom in Händen hielt. Was er +aber beabsichtigte, ob den Römern den Schwiegersohn teuer zu verkaufen oder mit +dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen, wußten weder +die Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst nicht; derselbe beeilte +sich auch keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darüber +verließ Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluß genötigt worden war, +seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius abzutreten und +dieser übernahm für den nächsten Feldzug 648 (106) den Oberbefehl. Er verdankte +ihn gewissermaßen einer Revolution. Im Vertrauen auf die von ihm geleisteten +Dienste und nebenher auf die ihm zuteil gewordenen Orakel hatte er sich +entschlossen, als Bewerber um das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie +die ebenso verfassungsmäßige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des +tüchtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so +würde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen +Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde der nicht adlige +Mann, der die höchste Gemeinwürde für sich begehrte, von der ganzen regierenden +Kaste als ein frecher Neuerer und Revolutionär geschmäht - vollkommen wie einst +der plebejische Bewerber von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt +ohne jeden formalen Rechtsgrund -, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von +Metellus verhöhnt - Marius möge mit seiner Kandidatur warten, hieß es, bis +Metellus’ Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne - und +kaum im letzten Augenblick aufs ungnädigste entlassen, um für das Jahr 647 +(107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. Hier vergalt +er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem er vor der gaffenden +Menge die Kriegführung und Verwaltung des Metellus in Afrika in einer ebenso +unmilitärischen wie schmählich unbilligen Weise kritisierte, ja sogar es nicht +verschmähte, dem lieben, ewig von geheimen, höchst unerhörten und höchst +unzweifelhaften Konspirationen der vornehmen Herren munkelnden Pöbel das platte +Märchen aufzutischen, daß Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so +lange wie möglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies +vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der Regierung +mißwollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte Kaufmannschaft, +verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, die Aristokratie an +ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde nicht bloß mit ungeheurer +Majorität zum Konsul gewählt, sondern ihm auch, während sonst nach dem Gesetze +des Gaius Gracchus die Entscheidung über die jedesmaligen Kompetenzen der +Konsuln dem Senat zustand, unter Umstoßung der vom Senat getroffenen Verfügung, +die den Metellus an seiner Stelle ließ, durch Beschluß der souveränen Komitien +der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg übertragen. Demgemäß trat er im Laufe des +Jahres 647 (107) an Metellus’ Stelle und führte das Kommando in dem +Feldzuge des folgenden Jahres; allein die zuversichtliche Verheißung, es besser +zu machen als sein Vorgänger und den Jugurtha an Händen und Füßen gebunden +schleunigst nach Rom abzuliefern, war leichter gegeben als erfüllt. Marius +schlug sich herum mit den Gätulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte +Städte; er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im äußersten Südosten +des Königreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch überbot, nahm die +Stadt durch Kapitulation und ließ trotz des Vertrages alle erwachsenen Männer +darin töten - freilich das einzige Mittel, den Wiederabfall der fernliegenden +Wüstenstadt zu verhüten; er griff ein am Fluß Molochath, der das numidische +Gebiet vom mauretanischen schied, belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha +seine Kasse geschafft hatte, und erstürmte, eben als er schon am Erfolg +verzweifelnd von der Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger +kühner Kletterer glücklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloß darauf +angekommen wäre, durch dreiste Razzias das Heer abzuhärten und dem Soldaten +Beute zu schaffen oder auch Metellus’ Zug in die Wüste durch eine noch +weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese Kriegführung +gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf alles ankam und das +Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten hatte, die Gefangennehmung des +Jugurtha, dabei völlig beiseite gesetzt. Der Zug des Marius nach Capsa war ein +ebenso zweckloses wie der des Metellus nach Thala ein zweckmäßiges Wagnis; die +Expedition aber an den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische +Gebiet streifte, war geradezu zweckwidrig. König Bocchus, in dessen Hand es +lag, den Krieg zu einem für die Römer günstigen Ausgang zu bringen oder ihn ins +Endlose zu verlängern, schloß jetzt mit Jugurtha einen Vertrag ab, in dem +dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber versprach, den +Schwiegersohn gegen Rom tätig zu unterstützen. Das römische Heer, das vom Fluß +Molochath wieder zurückkehrte, sah sich eines Abends plötzlich umringt von +ungeheuren Massen mauretanischer und numidischer Reiterei; man mußte fechten, +wo und wie die Abteilungen eben standen, ohne daß eine eigentliche +Schlachtordnung und ein leitendes Kommando sich hätten durchführen lassen, und +sich glücklich schätzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander +nicht weit entfernten Hügeln vorläufig für die Nacht in Sicherheit zu bringen. +Indes die arge Nachlässigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner entriß +ihnen die Folgen desselben; sie ließen sich von den während der Nacht +einigermaßen wiedergeordneten römischen Truppen beim grauenden Morgen im tiefen +Schlafe überfallen und wurden glücklich zerstreut. Darauf setzte das römische +Heer in besserer Ordnung und mit größerer Vorsicht den Rückzug fort; allein +noch einmal wurde es auf demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen +und schwebte in großer Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla +zuerst die ihm gegenüberstehenden Reiterhaufen auseinanderstäubte und von deren +Verfolgung rasch zurückkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus warf, da wo +sie persönlich das römische Fußvolk im Rücken bedrängten. Also ward auch dieser +Angriff glücklich abgeschlagen; Marius brachte sein Heer zurück nach Cirta und +nahm daselbst das Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber +freilich begreiflich, daß man römischerseits um die Freundschaft des Königs +Bocchus, die man anfangs verschmäht, sodann wenigstens nicht eben gesucht +hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich aufs eifrigste +zu bemühen, wobei es den Römern zustatten kam, daß von mauretanischer Seite +keine förmliche Kriegserklärung stattgefunden hatte. Nicht ungern trat König +Bocchus zurück in seine alte zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit +Jugurtha aufzulösen oder diesen zu entlassen, ließ er mit dem römischen +Feldherrn sich ein auf Verhandlungen über die Bedingungen eines Bündnisses mit +Rom. Als man einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der König, daß +Marius zum Abschluß des Vertrages und zur Übernahme des königlichen Gefangenen +den Lucius Sulla an ihn absenden möge, der dem König bekannt und genehm sei +teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des Senats am mauretanischen Hofe +erschienen war, teils durch Empfehlungen der nach Rom bestimmten mauretanischen +Gesandten, denen Sulla unterwegs Dienste geleistet hatte. Marius war in einer +unbequemen Lage. Lehnte er die Zumutung ab, so führte dies wahrscheinlich zum +Bruche; nahm er sie an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier +einem mehr als unzuverlässigen Mann in die Hände, der, wie männiglich bekannt, +mit den Römern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den Plan +entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorläufig nach beiden +Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg zu Ende zu bringen, +überwog jede andere Rücksicht, und Sulla verstand sich zu der bedenklichen +Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er auf, geleitet von König +Bocchus’ Sohn Volux, und seine Entschlossenheit wankte selbst dann nicht, +als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager des Jugurtha führte. Er wies die +kleinmütigen Fluchtvorschläge seiner Begleiter zurück und zog, des Königs Sohn +an der Seite, unverletzt durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewährte +der kecke Offizier in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn +endlich, ernstlich eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem +Vorgeben, daß alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem +eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge niedergemacht +und er selbst gefangengenommen. So fiel der große Verräter durch den Verrat +seiner Nächsten. Gefesselt brachte Lucius Sulla den listigen und rastlosen +Afrikaner mit seinen Kindern in das römische Hauptquartier; damit war nach +siebenjähriger Dauer der Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunächst auf den Namen +des Marius; seinem Triumphalwagen schritt in königlichem Schmuck und in Fesseln +König Jugurtha mit seinen beiden Söhnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar 650 +(104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wüste wenige Tage +darauf in dem unterirdischen Stadtgefängnis, dem alten Brunnenhaus am Kapitol, +dem “eisigen Badgemach”, wie der Afrikaner es nannte, als er die +Schwelle überschritt, um daselbst sei es erdrosselt zu werden, sei es +umzukommen durch Kälte und Hunger. Allein es ließ sich nicht leugnen, daß +Marius an den wirklichen Erfolgen den geringsten Anteil hatte, daß Numidiens +Eroberung bis an den Saum der Wüste das Werk des Metellus, Jugurthas +Gefangennahme das des Sulla war und zwischen beiden Marius eine für einen +ehrgeizigen Emporkömmling einigermaßen kompromittierende Rolle spielte. Marius +ertrug es ungern, daß sein Vorgänger den Namen des Siegers von Numidien annahm; +er brauste zornig auf, als König Bocchus später ein goldnes Bildwerk auf dem +Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla darstellte; und +doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler die Leistungen dieser +beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in Schatten, vor allem Sullas +glänzender Zug in die Wüste, der seinen Mut, seine Geistesgegenwart, seinen +Scharfsinn, seine Macht über die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der +ganzen Armee zur Anerkennung gebracht hatte. An sich wäre auf diese +militärischen Rivalitäten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen +Parteikampf eingegriffen hätten; wenn nicht die Opposition durch Marius den +senatorischen General verdrängt gehabt, nicht die Regierungspartei Metellus und +mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die militärischen +Koryphäen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen hätte - wir werden auf +die verhängnisvollen Folgen dieser Verhetzungen in der Darstellung der inneren +Geschichte zurückzukommen haben. +</p> + +<p> +————————————————- +</p> + +<p> +7 Die Örtlichkeit ist nicht wiedergefunden. Die frühere Annahme, daß Thelepte +(bei Feriana, nördlich von Capsa) gemeint sei, ist willkürlich und die +Identifikation mit einer auch heute Thala genannten Örtlichkeit östlich von +Capsa auch nicht gehörig begründet. +</p> + +<p> +———————————————— +</p> + +<p> +Im übrigen verlief diese Insurrektion des numidischen Klientelstaats, ohne +weder in den allgemeinen politischen Verhältnissen noch auch nur in denen der +afrikanischen Provinz eine merkliche Veränderung hervorzubringen. Abweichend +von der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine +römische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht ohne eine +die Grenzen gegen die Wilden der Wüste deckende Armee zu behaupten und man +keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer zu unterhalten. Man +begnügte sich deshalb, die westlichste Landschaft Numidiens, wahrscheinlich den +Strich vom Fluß Molochath bis zum Hafen von Saldae (Bougie) - das spätere +Mauretanien von Caesarea (Provinz Algier) - zu dem Reich des Bocchus zu +schlagen und das darum verkleinerte Königreich Numidien auf den letzten noch +lebenden legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Körper und Geist schwachen +Halbbruder Gauda, zu übertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf +Veranlassung des Marius seine Ansprüche bei dem Senat geltend gemacht hatte 8. +Zugleich wurden die gätulischen Stämme im inneren Afrika als freie +Bundesgenossen unter die mit den Römern in Vertrag stehenden unabhängigen +Nationen aufgenommen. +</p> + +<p> +———————————————————————————————— +</p> + +<p> +8 Sallusts politisches Genregemälde des jugurthinischen Krieges, in der sonst +völlig verblaßten und verwaschenen Tradition dieser Epoche das einzige in +frischen Farben übriggebliebene Bild, schließt mit Jugurthas Katastrophe, +seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht historisch; und auch +anderweitig fehlt es an einem zusammenhängenden Bericht über die Behandlung des +Numidischen Reiches. Daß Gauda Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) +und Dio Cassius (fr. 79, 4 Bekk.) an und bestätigt eine Inschrift von Cartagena +(Orelli 630), die ihn König und Vater Hiempsals II. nennt. Daß im Westen die +zwischen Numidien einer- und dem römischen Afrika und Kyrene andererseits +bestehenden Grenzverhältnisse unverändert blieben, zeigt Caesar (civ. 2, 38), +Bell. Afr. 43, 77 und die spätere Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der +Natur der Sache und wird auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, daß +Bocchus’ Reich bedeutend vergrößert ward; womit es unzweifelhaft +zusammenhängt, daß Mauretanien, ursprünglich beschränkt auf die Landschaft von +Tingis (Marokko), in späterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von +Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Hälfte der Provinz +Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Römern vergrößert ward, zuerst 649 +(105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann 708 (46) nach Auflösung des +Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich die Landschaft von Caesarea bei der +ersten, die von Sitifis bei der zweiten Vergrößerung hinzugekommen. +</p> + +<p> +——————————————————————————————— +</p> + +<p> +Wichtiger als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die +politischen Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der +Jugurthinischen Insurrektion, obgleich auch diese häufig zu hoch angeschlagen +worden sind. Allerdings waren darin alle Schäden des Regiments in unverhüllter +Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloß notorisch, sondern +sozusagen gerichtlich konstatiert, daß den regierenden Herren Roms alles feil +war, der Friedensvertrag wie das Interzessionsrecht, der Lagerwall und das +Leben der Soldaten; der Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache +Wahrheit, als er bei seiner Abreise von Rom äußerte, wenn er nur Geld genug +hätte, mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze +äußere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel teuflischer +Erbärmlichkeit. Für uns verschiebt der Zufall, daß uns der Krieg in Afrika +durch bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen gleichzeitigen +militärischen und politischen Ereignisse, die richtige Perspektive; die +Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthüllungen eben nichts, als was jedermann +längst wußte und jeder unerschrockene Patriot längst mit Tatsachen zu belegen +imstande war. Daß man für die nur durch ihre Unfähigkeit aufgewogene +Niederträchtigkeit der restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch +stärkere und noch unwiderleglichere Beweise in die Hände bekam, hätte dennoch +von Wichtigkeit sein können, wenn es eine Opposition und eine öffentliche +Meinung gegeben hätte, mit denen die Regierung genötigt gewesen wäre sich +abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die Regierung +prostituiert als die vollständige Nichtigkeit der Opposition offenbart. Es war +nicht möglich, schlechter zu regieren als die Restauration in den Jahren +637-645 (117-109) es tat, nicht möglich, wehrloser und verlorener dazustehen, +als der römische Senat im Jahre 645 (109) stand; hätte es in Rom eine wirkliche +Opposition gegeben, das heißt eine Partei, die eine prinzipielle Abänderung der +Verfassung wünschte und betrieb, so mußte diese notwendig jetzt wenigstens +einen Versuch machen, den restaurierten Senat zu stürzen. Er erfolgte nicht; +man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die Feldherren und +schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute in die Verbannung. Damit +stand es also fest, daß die sogenannte Popularpartei als solche weder regieren +konnte, noch regieren wollte; daß es in Rom schlechterdings nur zwei mögliche +Regierungsformen gab, die Tyrannis und die Oligarchie; daß, solange es zufällig +an einer Persönlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug +war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste Mißwirtschaft +höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefährdete; daß +dagegen, sowie ein solcher Prätendent auftrat, nichts leichter war, als die +morschen kurulischen Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht war das +Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so völlig unmotiviert +war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus’ Niederlage die Kurie gestürmt +hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach +der Wendung, die Metellus dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von +schlechter Führung, geschweige denn von Gefahr für das Gemeinwesen wenigstens +in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten +besten ehrgeizigen Offizier, das auszuführen, womit einst der ältere Africanus +der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten militärischen Kommandos +gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu verschaffen. Die +öffentliche Meinung, nichtig in den Händen der sogenannten Popularpartei, ward +zur unwiderstehlichen Waffe in der Hand des künftigen Königs von Rom. Es soll +damit nicht gesagt werden, daß Marius beabsichtigte, den Prätendenten zu +spielen, am wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem +Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, es war +augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen Regiment, wenn +die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder, was ungefähr dasselbe +war, wenn jeder populäre Offizier imstande war, in legaler Weise sich selbst +zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges neues Element trat in diesen +vorläufigen Krisen auf; es war das Hineinziehen der militärischen Männer und +der militärischen Macht in die politische Revolution. Ob Marius’ +Auftreten unmittelbar die Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die +Oligarchie durch die Tyrannis zu verdrängen, oder ob dasselbe, wie so manches +Ähnliche, als vereinzelter Eingriff in die Prärogative der Regierung ohne +weitere Folgen vorübergehen werde, ließ sich noch nicht bestimmen; wohl aber +war es vorauszusehen, daß, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis zur +Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie Gaius Gracchus, +sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die gleichzeitige +Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der Bildung seiner nach +Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten Vermögensqualifikation absah +und auch dem ärmsten Bürger, wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den +Eintritt in die Legion gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen +Rücksichten veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger +ein folgenreiches politisches Ereignis, daß das Heer nicht mehr, wie ehemals, +aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der jüngsten Zeit aus denen, die +etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern anfing sich zu verwandeln in +einen Haufen von Leuten, die nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr +ihnen spendete. Die Aristokratie herrschte im Jahre 650 (104) ebenso +unumschränkt wie im Jahre 620 (134); aber die Zeichen der herannahenden +Katastrophe hatten sich gemehrt, und am politischen Horizont war neben der +Krone das Schwert aufgegangen. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/> +Die Völker des Nordens</h2> + +<p> +Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die römische Gemeinde die +drei großen von dem nördlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden +Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb derselben +fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen Apenninen und +Alpentälern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens die ganz- oder +halbfreien Völkerschaften fort, der schlaffen römischen Regierung zu trotzen. +Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen Spanien und Italien wie +zwischen Italien und Makedonien nur in der oberflächlichsten Weise hergestellt +und die Landschaften jenseits der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die +großen Stromgebiete der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich +außerhalb des politischen Gesichtskreises der Römer. Es ist hier darzustellen, +was römischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu sichern +und zu arrondieren und wie zugleich die großen Völkermassen, die hinter jenem +gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, anfingen, an die Tore der +nördlichen Gebirge zu pochen und die griechisch-römische Welt wieder einmal +unsanft daran zu mahnen, daß sie mit Unrecht meine, die Erde für sich allein zu +besitzen. +</p> + +<p> +Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenäen ins +Auge. Die Römer beherrschten diesen Teil der Küste des Mittelmeers seit langem +durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der ältesten, treuesten und mächtigsten +der von Rom abhängigen bundesgenössischen Gemeinden, deren Seestationen, +westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas), östlich Tauroention (Ciotat), Olbia +(Hyères?), Antipolis (Antibes) und Nikäa (Nizza), die Küstenfahrt wie den +Landweg von den Pyrenäen zu den Alpen sicherten und deren merkantile und +politische Verbindungen weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in +die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten +ward im Jahre 600 (154) von den Römern teils auf Ansuchen der Massalioten, +teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil +verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten +fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist +nicht unwahrscheinlich, daß um diese Zeit zugleich in dem ganzen von Massalia +abhängigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen +daselbst aufblühende Wein- und Ölbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer +und Kaufleute untersagt ward ^1. Einen ähnlichen Charakter finanzieller +Spekulation trägt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwäschereien von +Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora +Baltea) von den Römern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143) +gegen die Salasser geführt ward. Die große Ausdehnung dieser Wäschereien, +welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre +Äcker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete +Intervention der Römer hervor; der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie alle +übrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, führte endlich zu der +Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des Goldbezirkes an das römische +Ärar. Einige Jahrzehnte später (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet +die Kolonie Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsächlich wohl, um durch sie den +westlichen wie durch Aquileia den östlichen Alpenpaß zu beherrschen. Einen +ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius +Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629 (125) in +dieser Gegend den Oberbefehl übernahm. Er zuerst betrat die Bahn der +transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen Nation war um +diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche Hegemonie eingebüßt +und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte, der effektiv führende Gau in +dem Gebiet von den Pyrenäen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee +der Arverner 2, und es erscheint danach nicht gerade übertrieben, daß er bis +180000 Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst +die Häduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; während in dem +nordöstlichen Gallien die Könige der Suessionen (um Soissons) den bis nach +Britannien hinüber sich erstreckenden Völkerbund der Belgen unter ihrer +Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit wußten viel zu +erzählen von der prachtvollen Hofhaltung des Arvernerkönigs Luerius, wie +derselbe, umgeben von seinem glänzenden Clangefolge, den Jägern mit der +gekoppelten Meute und der wandernden Sängerschar, auf dem silberbeschlagenen +Wagen durch die Städte seines Reiches fuhr, das Gold mit vollen Händen +auswerfend unter die Menge, vor allen aber das Herz des Dichters mit dem +leuchtenden Regen erfreuend - die Schilderungen von der offenen Tafel, die er +in einem Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder +des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos. +In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen +Goldmünzen dieser Zeit dafür, daß der Arvernergau zu ungemeinem Reichtum und +einer verhältnismäßig hoch gesteigerten Zivilisation gediehen war. +Flaccus’ Angriff traf indes zunächst nicht auf die Arverner, sondern auf +die kleineren Stämme in dem Gebiet zwischen den Alpen und der Rhone, wo die +ursprünglich ligurischen Einwohner mit nachgerückten keltischen Scharen sich +vermischt hatten und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische +Bevölkerung entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glück gegen die +Salyer oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen +ihre nördlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drôme), ebenso sein +Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die Allobrogen, +einen mächtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der Isère, der auf die Bitte +des landflüchtigen Königs der Salyer, Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land +wiedererobern zu helfen, aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die +Allobrogen indes nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkönig +auszuliefern, drang Calvinus’ Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in +ihr eigenes Gebiet ein (632 122). Bis dahin hatte der führende keltische Stamm +dem Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkönig Betuhus, +jenes Luerius’ Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen +Schutzverhältnisses wegen, in dem die östlichen Gaue zu ihm stehen mochten, in +einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die Römer Miene machten, +die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet anzugreifen, bot er seine Vermittlung +an, deren Zurückweisung zur Folge hatte, daß er mit seiner gesamten Macht den +Allobrogen zu Hilfe erschien; wogegen wieder die Häduer Partei ergriffen für +die Römer. Auch die Römer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der +Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in +Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der südlichen +Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluß der Isère in die Rhone, ward am +8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die über die Herrschaft im +südlichen Gallien entschied. König Betuitus, wie er die zahllosen Haufen der +abhängigen Clans auf der über die Rhone geschlagenen Schiffbrücke an sich +vorüberziehen und gegen sie die dreimal schwächeren Römer sich aufstellen sah, +soll ausgerufen haben, daß dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des +Keltenheeres zu sättigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, +erfocht dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbrücke unter +der Masse der Flüchtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des größten Teils +der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen ferner Beistand zu +leisten der Arvernerkönig sich unfähig erklärte und denen er selber riet, mit +Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, +fortan der Allobrogiker genannt, nach Italien zurückging und die nicht mehr +ferne Beendigung des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus überließ. Dieser, auf +König Betuitus persönlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlaßt habe, +sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemächtigte sich in treuloser Weise +der Person des Königs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des +Treuworts zwar mißbilligte, aber nicht bloß den verratenen Mann festhielt, +sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom +zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu sein, daß der fast schon +beendigte arvernische Krieg noch einmal aufloderte und es bei Vindalium +(oberhalb Avignon) am Einfluß der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten +Entscheidung durch die Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es +waren diesmal hauptsächlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer +zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war +in dem Keltenland wiederhergestellt 3. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen läßt +(rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so +bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung möglich. Auf Norditalien und +Ligurien bezieht diese Verfügung sich nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten +im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von +Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Müller; Strab. 4, 179). Die starke +Ausfuhr von Öl und Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten +Jahrhundert der Stadt ist bekannt. +</p> + +<p> +2 In der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von +Clermont. +</p> + +<p> +3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator und +Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge führen Florus und +Strabon (4, 191), und sie wird bestätigt teils dadurch, daß Maximus nach dem +Auszug des Livius und Plinius (nat. 7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, +teils besonders durch die Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloß Maximus +vor Ahenobarbus triumphierte, sondern auch jener über die Allobrogen und den +Arvernerkönig, dieser nur über die Arverner. Es ist einleuchtend, daß die +Schlacht gegen Allobrogen und Arverner früher stattgefunden haben muß als die +gegen die Arverner allein. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Das Ergebnis dieser militärischen Operationen war die Einrichtung einer neuen +römischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenäen. Die sämtlichen +Völkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Römern abhängig +und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon jetzt den Römern +tributär. In der Landschaft zwischen der Rhone und den Pyrenäen behielten die +Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht den Römern zinspflichtig; allein +sie hatten den südlichsten Teil ihres mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den +Strich südlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der +Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Römer abzutreten. Da der nächste +Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien +und Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt für die +Chaussierung des Küstenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur Rhone der +Küstenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten, +die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser Küste besaßen, überwiesen +mit der Verpflichtung, die Straße in gehörigem Stand zu halten; wogegen von der +Rhone bis zu den Pyrenäen die Römer selbst eine Militärchaussee anlegten, die +von ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Straße erhielt. Wie +gewöhnlich verband mit dem Straßenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im +östlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten +geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die +zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier entstand +eine römische Ortschaft, die “Bäder des Sextius”, Aquae Sextiae +(Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Römer in Narbo sich an, einer +uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluß Atax (Aude) in geringer Entfernung +vom Meere, die bereits Hekatäos nennt und die schon vor ihrer Besetzung durch +die Römer als lebhafter an dem britannischen Zinnhandel beteiligter +Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae erhielt nicht Stadtrecht, sondern +blieb ein stehendes Lager 4; dagegen Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als +Wacht- und Vorposten gegen die Kelten gegründet, ward als +“Marsstadt” römische Bürgerkolonie und der gewöhnliche Sitz des +Statthalters der neuen transalpinischen Keltenprovinz oder, wie sie noch +häufiger genannt wird, der Provinz Narbo. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +4 Aquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab. +4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen 1834, +S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten - so ist zum +Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein keltisches +Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes römisches Lager und eine sehr +ansehnliche Ortschaft. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen +veranlaßte, wollte offenbar sich hier ein neues und unermeßliches Gebiet für +ihre Kolonisationspläne eröffnen, das dieselben Vorzüge darbot wie Sizilien und +Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden konnte als die +sizilischen und libyschen Äcker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des +Gaius Gracchus machte freilich auch hier sich fühlbar in der Beschränkung der +Eroberungen und mehr noch der Stadtgründungen; indes wenn die Absicht nicht in +vollem Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht völlig vereitelt. Das +gewonnene Gebiet und mehr noch die Gründung von Narbo, welcher Ansiedelung der +Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte, blieben +als unfertige, aber den künftigen Nachfolger des Gracchus an die Fortsetzung +des Baus mahnende Ansätze stehen. Offenbar schützte die römische +Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem gallisch-britannischen +Handel zu konkurrieren vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten. +</p> + +<p> +Eine ähnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von +Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlässigt, aber noch +unvollkommener als jene gelöst. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die +Istrische Halbinsel in den Besitz der Römer; in Epirus und dem ehemaligen +Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit früher. +Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein, und selbst an +der Küste beherrschten sie kaum dem Namen nach den unwirtlichen Ufersaum +zwischen Istrien und Epirus, der in seinen wildverschlungenen, weder von +Flußtälern noch von Küstenebenen unterbrochenen, schuppenartig +aneinandergereihten Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinziehenden +Kette felsiger Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als +zusammenknüpft. Um die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloß sich +hier die Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren +wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu reicher Kulturentwicklung +gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine Münze und teilte den Acker, +ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf +unter die gemeinsässigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen bei ihnen +heimischen Gewerbe. Diese Völkerschaften hatten in früheren Zeiten in einem +losen Abhängigkeitsverhältnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren +insofern mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die Königin +Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem Regierungsantritt des Königs +Genthios hatten sie sich losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, +das das südliche Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und +es von Rom dauernd abhängig machte. Die Römer überließen die wenig lockende +Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, +namentlich der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dalmatern wohnten, +und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen Tragyrion +(Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer zu leiden hatten, +nötigten die römische Regierung, an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da +diese die Antwort zurückbrachte, daß die Dalmater um die Römer weder bisher +sich gekümmert hätten noch künftig kümmern würden, im Jahre 598 (156) ein Heer +unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien +ein, ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet. Erst sein +Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die große und feste Stadt +Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und sich bekannte +als den Römern untertänig. Indes war die arme und nur oberflächlich +unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu +werden; man begnügte sich, wie man es schon für die wichtigeren Besitzungen in +Epirus getan, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich +verwalten zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im +Jahre 608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche +Grenze nördlich von Skodra festgestellt worden war 5. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +5 3, 49. Die Pirusten in den Tälern des Drin gehörten zur Provinz Makedonien, +streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1). +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhängige +Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Völkern im Nordosten größere +Bedeutung, indem sie den Römern die Verpflichtung auferlegte, die überall +offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen Stämme zu +verteidigen; und in ähnlicher Weise ging nicht lange darauf (621 133) durch die +Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden gehörigen Thrakischen Chersones +(Halbinsel von Gallipoli) die bisher den Königen von Pergamon obliegende +Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schützen, gleichfalls auf +die Römer über. Von der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die +makedonische Landschaft darboten, konnten die Römer jetzt ernstlich gegen das +Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und der nördlichen Gebirge +wenigstens insoweit sich bemächtigen, als die Sicherheit der südlichen +Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die mächtigste +Nation das große Keltenvolk, welches der einheimischen Sage zufolge aus seinen +Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpenkette in +das Potal und nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der +Donau ergossen hatte. Von ihren Stämmen saßen auf beiden Ufern des Oberrheins +die mächtigen, reichen und, da sie mit den Römern nirgends sich unmittelbar +berührten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom +Genfer See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und +Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, deren Sitze +das heutige Bayern und Böhmen gewesen sein mögen 6. Südöstlich von ihnen +begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in der Steiermark und Kärnten unter +dem Namen der Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter +dem der Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nördlich von +Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend +eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die +Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, +bis die Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen Zeit +für sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich ergießenden +keltischen Schwärme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und +Hügelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der +Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Händen der früher +dort einheimischen Bevölkerung geblieben, welche, ohne daß über ihre +Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen wäre, unter dem +Namen der Räter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der +Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daß an diesem letzten +Punkt die beiden großen Keltenströme fast sich berühren und nur ein schmaler +Streif eingeborener Bevölkerung die keltischen Cenomaner um Brescia von den +keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter waren längst +friedliche Untertanen der Römer; dagegen die eigentlichen Alpenvölker waren +nicht bloß noch frei, sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmäßig +Streifzüge in die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht +begnügten zu brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit +fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze männliche +Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten - vermutlich die +tatsächliche Antwort auf die römischen Razzias in den Alpentälern. Wie +gefährlich diese rätischen Einfälle waren, zeigt, daß einer derselben um das +Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits +diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen +Stämme vielfach sich gemischt haben mögen, so ist die Völkermengung, wie +begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den Landschaften +an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren, die hohen Gebirge als +natürliche Scheidewände dienen. Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren +letzter reiner Überrest die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war +durchgängig wenigstens im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und +die keltische Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst +an die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen im +heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng saßen, ein ursprünglich wohl +illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm. An sie grenzten im Litoral +die schon genannten Dalmater, in deren rauhe Gebirge die Kelten nicht +eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland dagegen waren die keltischen +Skordisker, denen das ehemals hier vor allem mächtige Volk der Triballer +erlegen war und die schon in den Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle +gespielt hatten, an der unteren Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und +Serbien um diese Zeit die führende Nation, die weit und breit nach Mösien, +Thrakien und Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen +Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war das feste +Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save. Die Völker, die +damals in Ungarn, Siebenbürgen, Rumänien, Bulgarien saßen, blieben für jetzt +noch außerhalb des Gesichtskreises der Römer; nur mit den Thrakern berührte man +sich an der Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +6 “Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem +Rhein und dem Main wohnten die Helvetier”, sagt Tacitus (Germ. 28), +“weiterhin die Boier.” Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt +an, daß die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen +Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Böhmerwald. Wenn +Caesar sie “jenseits des Rheines” versetzt (Gall. 1, 5), so ist +dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhältnissen +ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft nordöstlich vom Bodensee meinen; +womit vollkommen übereinstimmt, daß Strabon die ehemals boische Landschaft als +dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur daß er nicht ganz genau als Anwohner +des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst +festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geräumt hatten. Aus diesen ihren +Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Stämmen schon +vor Poseidonios’ Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben +irrten zu Caesars Zeit in Kärnten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu +den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue +Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft +aber, die sogenannte “boische Einöde”, den Namen dieses +geplagtesten aller keltischen Völker bewahrte. Vgl. 2, 193 A. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Es wäre für eine kräftigere Regierung, als die damalige römische es war, keine +leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine +geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den +Auspizien der Restaurationsregierung für den wichtigen Zweck geschah, genügt +auch den mäßigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen die Alpenbewohner +scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118) ward triumphiert über die +Stöner, die in den Bergen oberhalb Verona gesessen haben dürften; im Jahre 659 +(95) ließ der Konsul Lucius Crassus die Alpentäler weit und breit durchstöbern +und die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben +genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den +Siegerlorbeer paaren zu können. Allein da man es bei derartigen Razzias +bewenden ließ, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne sie unschädlich zu +machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen Überlauf die Truppen wieder +wegzog, so blieb der Zustand in der Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, +wie er war. +</p> + +<p> +Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die +Nachbarn bekümmert zu haben; kaum daß im Jahre 651 (103) Gefechte mit den +Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Mädern in den Grenzgebirgen zwischen +Makedonien und Thrakien erwähnt werden. +</p> + +<p> +Ernstlichere Kämpfe fanden statt im illyrischen Land, wo über die unruhigen +Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der Adriatischen See beständig +Beschwerde geführt ward; und an der völlig offenen Nordgrenze Makedoniens, +welche nach dem bezeichnenden Ausdruck eines Römers so weit ging als die +römischen Schwerter und Speere reichten, ruhten die Kämpfe mit den Nachbarn +niemals. Im Jahre 619 (135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyäer oder Vardäer +und die Pleräer oder Paralier, eine dalmatische Völkerschaft in dem Litoral +nördlich der Narentamündung, die nicht aufhörte, auf dem Meer und an der +gegenüberliegenden Küste Unfug zu treiben; auf Geheiß der Römer siedelten sie +von der Küste weg im Binnenland, der heutigen Herzegowina, sich an und begannen +den Acker zu bauen, verkümmerten aber in der rauben Gegend bei dem ungewohnten +Beruf. Gleichzeitig ward von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker +gerichtet, die vermutlich mit den angegriffenen Küstenbewohnern +gemeinschaftliche Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demütigte der +Konsul Tuditanus in Verbindung mit dem tüchtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger +der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfänglich eine +Niederlage erlitten, schließlich die römischen Waffen tief nach Dalmatien +hinein bis an den Kerkafluß, 25 deutsche Meilen abwärts von Aquileia; die +Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom in Freundschaft +lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre später (635 119) die Dalmater sich +aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den Skordiskern. Während gegen diese +der Konsul Lucius Cotta kämpfte und dabei, wie es scheint, bis Segestica +vordrang, zog gegen die Dalmater sein Kollege, der ältere Bruder des Besiegten +von Numidien, Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, überwand sie und +überwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz +der Römer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in +diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee fällt, die von Salona in +östlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da weiter landeinwärts +führte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges trug die Expedition des +Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker 7; +er überstieg, der erste unter den Römern, die Kette der Ostalpen an ihrer +niedrigsten Senkung zwischen Triest und Laibach und schloß mit den Tauriskern +Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward, +ohne daß doch die Römer, wie eine förmliche Unterwerfung dies nach sich gezogen +haben würde, in die Völkerbewegungen nordwärts der Alpen hineingezogen worden +wären. +</p> + +<p> +——————————————————————————————————— +</p> + +<p> +7 Galli Karni heißen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn so ist +statt des überlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei Victor. +</p> + +<p> +———————————————————————————————————- +</p> + +<p> +Von den fast verschollenen Kämpfen mit den Skordiskern ist durch einen kürzlich +in der Nähe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen Denkstein aus dem Jahr +Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung deutlich redendes Blatt wieder +zum Vorschein gekommen. Danach fiel in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens +Sextus Pompeius bei Argos (unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer +diesen Kelten gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quästor Marcus Annius +mit seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermaßen Herr geworden +war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem König der Mäder +(am oberen Strymon) Tipas in noch größeren Massen abermals ein, und mit Mühe +erwehrten sich die Römer der andringenden Barbaren 8. Die Dinge nahmen bald +eine so drohende Gestalt an, daß es nötig wurde, konsularische Heere nach +Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre darauf wurde der Konsul des Jahres 640 +(114), Gaius Porcius Cato, in den serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern +überfallen und sein Heer vollständig aufgerieben, während er selbst mit wenigen +schimpflich entfloh; mühsam schirmte der Prätor Marcus Didius die römische +Grenze. Glücklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642 +113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste römische +Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647 +110-107), der die Waffen längs der Morawa ^10 trug und die Skordisker +nachdrücklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher, im Bunde +wieder mit den Mädern und den Dardanern, in das römische Gebiet und plünderten +sogar das delphische Heiligtum; erst da machte Lucius Scipio dem +zweiunddreißigjährigen Skordiskerkrieg ein Ende und trieb den Rest hinüber auf +das linke Ufer der Donau ^11. Seitdem beginnen an ihrer Stelle die +ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze +Makedoniens und der Donau die erste Rolle zu spielen. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +8 Der Quästor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete (Aivati, 4 +Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der Provinz, der Stadt 636 +(118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist sonst nicht bekannt; der Prätor +Sex. Pompeius, dessen Fall darin erwähnt wird, kann kein anderer sein als der +Großvater des Pompeius, mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters +Lucilius. Die Feinde werden bezeichnet als Γαλατών έθνος. Es wird +hervorgehoben, daß Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterließ, +ihre Kontingente aufzubieten und mit den römischen Truppen allein die Barbaren +zurücktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine faktisch +stehende römische Besatzung erfordert. +</p> + +<p> +9 Ist Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen +(CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S. 167), +so muß auch er dort einen Mißerfolg erlitten haben, da Cicero (Pis. 16, 38) +sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari quidem nemo rediit, +qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die für diese Epoche vollständige +Triumphalliste kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643 +(111), des Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106). +</p> + +<p> +^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von Minucius +besiegte Völkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein Fehler von +Florus sein, daß er statt des Margos (Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt. +</p> + +<p> +^11 Von dieser Vernichtung der Skordisker, während die Mäder und Dardaner zum +Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind +seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schließliche +Überwältigung im 32. Jahr από τής πρώτης εις Κελτούς πείρας stattgefunden hat, +so scheint dies von einem zweiunddreißigjährigen Krieg zwischen den Römern und +den Skordiskern verstanden werden zu müssen, dessen Beginn vermutlich nicht +lange nach der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) fällt und von +dem die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. +Daß die Überwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Bürgerkriege, also +wohl spätestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzählung hervor. Sie +fällt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn +vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis vollständig; indes ist es +möglich, daß es aus irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist +weiter nicht bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres +671 (83), da dieser infolge der cinnanisch-marianischen Wirren füglich +verspätet zum Konsulat gelangt sein kann. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten. Schon seit +längerer Zeit irrte ein “unstetes Volk” an dem nördlichen Saum der +zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen Landschaft. Sie nannten +sich die Kimbrer, das heißt die Chempho, die Kämpen oder, wie ihre Feinde +übersetzten, die Räuber, welche Benennung indes allem Anschein nach schon vor +ihrem Auszug zum Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stießen +unter den Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in +Böhmen. Genaueres über die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die +Zeitgenossen aufzuzeichnen versäumt ^12 und kann auch durch keine Mutmaßung +ergänzt werden, da die derzeitigen Zustände nördlich von Böhmen und dem Main +und östlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich vollständig entziehen. +Dagegen dafür, daß die Kimbrer und nicht minder der ihnen später sich +anschließende gleichartige Schwarm der Teutonen ihrem Kerne nach nicht der +keltischen Nation angehören, der die Römer sie anfänglich zurechneten, sondern +der deutschen, sprechen die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier +kleiner gleichnamiger Stämme, allem Anschein nach in den Ursitzen +zurückgebliebener Reste, der Kimbrer im heutigen Dänemark, der Teutonen im +nordöstlichen Deutschland in der Nähe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des +Großen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels gedenkt; die +Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen Völkertafel unter den +Ingävonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars, der zuerst die Römer den +Unterschied der Deutschen und der Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren +er selbst noch manchen gesehen haben muß, den Deutschen beizählt; endlich die +Völkernamen selbst und die Angaben über ihre Körperbildung und ihr sonstiges +Wesen, die zwar auf die Nordländer überhaupt, aber doch vorwiegend auf die +Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, daß ein solcher Schwarm, +nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und auf +seinen Zügen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden Waffenbruder, der sich +anschloß, willkommen geheißen hatte, eine Menge keltischer Elemente in sich +schloß; so daß es nicht befremdet, wenn Männer keltischen Namens an der Spitze +der Kimbrer stehen oder wenn die Römer sich keltisch redender Spione bedienen, +um bei ihnen zu kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die +Römer noch nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch +nicht ein “heiliger Lenz” in die Fremde wandernder junger +Mannschaft, sondern ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und +Gut auszog, eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der überall bei den +noch nicht völlig seßhaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere Bedeutung +hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den Kelten +durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das Haus, wo unter +dem übergespannten Lederdach neben dem Gerät Platz sich fand für die Frau und +die Kinder und selbst für den Haushund. Die Südländer sahen mit Verwunderung +diese hohen schlanken Gestalten mit den tiefblonden Locken und den hellblauen +Augen, die derben stattlichen Frauen, die den Männern an Größe und Stärke wenig +nachgaben, die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die +flachsköpfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war +wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die +italischen, barhäuptig und bloß mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit +kupfernen, oft reichgeschmückten Helmen und mit einer eigentümlichen Wurfwaffe, +der Materis; daneben war das große Schwert geblieben und der lange schmale +Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es +nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen überlegen. Die +Schlachtordnung war wie früher eine rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie +breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied in gefährlichen Gefechten nicht +selten die metallenen Leibgürtel mit Stricken zusammenknüpfte. Die Sitten waren +rauh. Das Fleisch ward häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und +womöglich der längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und +überhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde +ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum +Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten Verhöhnungen des +Feindes durch unschickliche Gebärden und ein entsetzliches Gelärm, indem die +Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und die Frauen und Kinder durch Rufpauken +auf die ledernen Wagendeckel nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm +doch der Tod auf dem Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes +würdig war -, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste +Bestialität und verhieß auch wohl im voraus den Schlachtgöttern, darzubringen, +was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben würde. Dann wurden die Geräte +zerschlagen, die Pferde getötet, die Gefangenen aufgeknüpft oder nur +aufbehalten, um den Göttern geopfert zu werden. Es waren die Priesterinnen, +greise Frauen in weißen linnenen Gewändern und unbeschuht, die wie Iphigeneia +im Skythenland diese Opfer vollzogen und aus dem rinnenden Blut des geopferten +Kriegsgefangenen oder Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten +allgemeiner Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, +wie viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise, +nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und leiten +zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen werden. So zogen +die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein ungeheures Knäuel mannigfaltigen +Volkes, das um einen Kern deutscher Auswanderer von der Ostsee sich +zusammengeballt hatte, nicht unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in +unseren Zeiten ähnlich belastet und ähnlich gemischt und nicht viel minder ins +Blaue hinein übers Meer fahren; ihre schwerfällige Wagenburg mit der +Gewandtheit, die ein langes Wanderleben gibt, hinüberführend über Ströme und +Gebirge, gefährlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und die +Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch vordringend, +bald plötzlich stockend oder seitwärts und rückwärts sich wendend. Wie ein +Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie verschwunden, und es fand +sich leider in der unlebendigen Zeit, in der sie erschienen, kein Beobachter, +der es wert gehalten hätte, das wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man +später anfing, die Kette zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste +deutsche, die den Kreis der antiken Zivilisation berührt hat, ein Glied ist, +war die unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +^12 Denn der Bericht, daß an den Küsten der Nordsee durch Sturmfluten große +Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der Kimbrer +veranlaßt worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns nicht wie denen, die +ihn aufzeichneten, märchenhaft, allein ob er auf Überlieferung oder Vermutung +sich gründet, ist doch nicht zu entscheiden. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Dies heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau, +namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Süden vorzudringen, +durchbrach diese Schranke infolge der von den Römern gegen die Donaukelten +gerichteten Angriffe, sei es nun, daß die Donaukelten die kimbrischen Gegner zu +Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen, oder daß jene durch den Angriff +der Römer verhindert wurden, ihre Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch +das Gebiet der Skordisker einrückend in das Tauriskerland, näherten sie im +Jahre 641 (113) sich den Krainer Alpenpässen, zu deren Deckung der Konsul +Gnaeus Papirius Carbo auf den Höhen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier +hatten siebzig Jahre zuvor keltische Stämme sich diesseits der Alpen +anzusiedeln versucht, aber auf Geheiß der Römer den schon okkupierten Boden +ohne Widerstand geräumt; auch jetzt erwies die Furcht der transalpinischen +Völker vor dem römischen Namen sich mächtig. Die Kimbrer griffen nicht an; ja +sie fügten sich, als Carbo sie das Gebiet der Gastfreunde Roms, der Taurisker, +räumen hieß, wozu der Vertrag mit diesen ihn keineswegs verpflichtete, und +folgten den Führern, die ihnen Carbo gegeben hatte, um sie über die Grenze zu +geleiten. Allein diese Führer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen +Hinterhalt zu locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im +heutigen Kärnten zum Kampf, in dem die Verratenen über den Verräter siegten und +ihm beträchtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das die Kämpfenden +trennte, verhinderte die vollständige Vernichtung der römischen Armee. Die +Kimbrer hätten sogleich ihren Angriff gegen Italien richten können; sie zogen +es vor, sich westwärts zu wenden. Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den +Sequanern als durch Gewalt der Waffen eröffneten sie sich den Weg auf das linke +Rheinufer und über den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos +Niederlage abermals in nächster Nähe das römische Gebiet. Die Rheingrenze und +das zunächst gefährdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien 645 (109) im +südlichen Gallien ein römisches Heer unter Marcus Iunius Silanus. Die Kimbrer +baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich niederlassen könnten - eine +Bitte, die sich allerdings nicht gewähren ließ. Der Konsul griff statt aller +Antwort sie an; er ward vollständig geschlagen und das römische Lager erobert. +Die neuen Aushebungen, welche durch diesen Unfall veranlaßt wurden, stießen +bereits auf so große Schwierigkeit, daß der Senat deshalb die Aufhebung der +vermutlich von Gaius Gracchus herrührenden, die Verpflichtung zum Kriegsdienst +der Zeit nach einschränkenden Gesetze bewirkte. Indes die Kimbrer, statt ihren +Sieg gegen die Römer zu verfolgen, sandten an den Senat nach Rom, die Bitte um +Anweisung von Land zu wiederholen, und beschäftigten sich inzwischen, wie es +scheint, mit der Unterwerfung der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor +den Deutschen die römische Provinz und die neue römische Armee für den +Augenblick Ruhe; dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die +Helvetier, die in den steten Kämpfen mit ihren nordöstlichen Nachbarn viel zu +leiden hatten, fühlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt, gleichfalls +im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze zu suchen, und +hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr Land zogen, sich dazu +mit ihnen verbündet; jetzt überschritten unter Divicos Führung die Mannschaften +der Tougener (unbekannter Lage) und der Tigoriner (am See von Murten) den Jura +^13 und gelangten bis in das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne). +Das römische Heer unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier +stießen, ließ sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der +Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem größten Teil +der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische Oberbefehlshaber der +Mannschaft, die sich in das Lager gerettet hatte, Gaius Popillius, kapitulierte +auf Abzug unter dem Joch gegen Auslieferung der Hälfte der Habe, die die +Truppen mit sich führten, und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich +standen die Dinge für die Römer, daß in ihrer eigenen Provinz eine der +wichtigsten Städte, Tolosa, sich gegen sie erhob und die römische Besatzung in +Fesseln schlug. +</p> + +<p> +——————————————————- +</p> + +<p> +^13 Die gewöhnliche Annahme, daß die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern +zugleich in Gallien eingerückt seien, läßt sich auf Strabon 7, 293 nicht +stützen und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die +Überlieferung über diesen Krieg ist übrigens in einer Weise trümmerhaft, daß +eine zusammenhängende Geschichtserzählung, völlig wie bei den Samnitischen +Kriegen, nur Anspruch machen kann auf ungefähre Richtigkeit. +</p> + +<p> +——————————————————— +</p> + +<p> +Indes da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die +Helvetier vorläufig die römische Provinz nicht weiter belästigten, hatte der +neue römische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle Zeit, sich der Stadt +Tolosa durch Verrat wieder zu bemächtigen und das alte und berühmte Heiligtum +des Keltischen Apollon von den darin aufgehäuften ungeheuren Schätzen mit Muße +zu leeren - ein erwünschter Gewinn für die bedrängte Staatskasse, nur daß +leider die Gold- und Silberfässer auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der +schwachen Bedeckung durch einen Räuberhaufen abgenommen wurden und spurlos +verschwanden; wie es hieß, waren die Anstifter dieses Überfalles der Konsul +selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen beschränkte man sich gegen den +Hauptfeind auf die strengste Defensive und hütete mit drei starken Heeren die +römische Provinz, bis es den Kimbrern gefallen würde, den Angriff zu +wiederholen. Sie kamen im Jahre 649 (105) unter ihrem König Boiorix, diesmal +ernstlich denkend an einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten +Rhoneufer der Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und +unter ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular +Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward völlig +geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht, wo der +kimbrische König, erzürnt über die stolze Warnung des gefangenen Römers, sich +nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen, ihn niederstieß. Maximus befahl +darauf seinem Kollegen, sein Heer über die Rhone zu führen; widerwillig sich +fügend erschien dieser endlich bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, +wo nun die ganze römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüberstand und ihm +durch ihre ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, daß die Kimbrer anfingen +zu unterhandeln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfnis. +Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Konsul seinem stolzeren und +besser geborenen, aber nicht besser gearteten prokonsularischen Kollegen Caepio +von Rechts wegen übergeordnet; allein dieser weigerte sich, ein +gemeinschaftliches Lager zu beziehen und gemeinschaftlich die Operationen zu +beraten, und behauptete nach wie vor sein selbständiges Kommando. Vergeblich +versuchten Abgeordnete des römischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch +eine persönliche Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, +erweiterte nur den Riß. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer +verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung allein +zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst auf den +Feind. Er ward völlig vernichtet, so daß auch das Lager dem Feinde in die Hände +fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog die nicht minder vollständige +Niederlage der zweiten römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische +Soldaten und halb soviel von dem ungeheuren und unbehilflichen Troß gefallen, +nur zehn Mann entkommen sein - so viel ist gewiß, daß es nur wenigen von den +beiden Heeren gelang, sich zu retten, da die Römer mit dem Fluß im Rücken +gefochten hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag +von Cannae weit überbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus, des Longinus +waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck vorübergegangen. Man war es +schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfällen zu eröffnen; die Unüberwindlichkeit der +römischen Waffen stand so unerschütterlich fest, daß es überflüssig schien, die +ziemlich zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das +den unverteidigten Alpenpässen in erschreckender Weise sich nähernde +Kimbrerheer, die sowohl in der römischen Landschaft jenseits der Alpen als auch +bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt ausbrechende Insurrektion, der +wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus diesen Träumen. Man +gedachte wieder der nie völlig vergessenen Keltenstürme des vierten +Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des Brandes von Rom; mit der doppelten +Gewalt zugleich ältester Erinnerung und frischester Angst kam der +Gallierschreck über Italien; im ganzen Okzident schien man es inne zu werden, +daß die Römerherrschaft anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht +wurde durch Senatsbeschluß die Trauerzeit abgekürzt ^14. Die neuen Werbungen +stellten den drückendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfähigen Italiker +mußten schwören, Italien nicht zu verlassen; die Kapitäne der in den italischen +Häfen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen dienstpflichtigen Mann an +Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was hätte kommen mögen, wenn die Kimbrer +sogleich nach ihrem Doppelsieg durch die Alpenpforten in Italien eingerückt +wären. Indes sie überschwemmten zunächst das Gebiet der Arverner, die mühsam in +ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der +Belagerung müde, nicht nach Italien, sondern westwärts gegen die Pyrenäen. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^14 Hierher gehört ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Wenn der erstarrte Organismus der römischen Politik noch aus sich selber zu +einer heilsamen Krise gelangen konnte, so mußte sie jetzt eintreten, wo durch +einen der wunderbaren Glücksfälle, an denen die Geschichte Roms so reich ist, +die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen Patriotismus in der +Bürgerschaft aufzurütteln, und doch nicht so plötzlich hereinbrach, daß diesen +Kräften kein Raum geblieben wäre, sich zu entwickeln. Allein es wiederholten +sich nur ebendieselben Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den +afrikanischen Niederlagen eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen +und die gallischen Unfälle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, daß zunächst +jene mehr der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last +fielen; allein die öffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor allen +Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender Entwicklung +zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz in Frage stellte. +Man täuschte sich damals so wenig wie jetzt über den wahren Sitz des Übels, +allein jetzt so wenig wie damals brachte man es auch nur zu einem Versuch, an +der rechten Stelle zu bessern. Man sah es wohl, daß das System die Schuld trug; +aber man blieb auch diesmal dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung +zu ziehen - nur entlud freilich über den Häuptern der Oligarchie dies zweite +Gewitter sich mit um so viel schwereren Schlägen, als die Katastrophe von 649 +(105) die von 645 (109) an Umfang und Gefährlichkeit übertraf. Das +instinktmäßig sichere Gefühl des Publikums, daß es gegen die Oligarchie kein +Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum, indem dasselbe bereitwillig +einging auf jeden Versuch namhafter Offiziere, der Regierung die Hand zu +zwingen und unter dieser oder jener Form das oligarchische Regiment durch eine +Diktatur zu stürzen. +</p> + +<p> +Zunächst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten; mit +Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunächst durch seine Unbotmäßigkeit +herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich gegründeten, aber +nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut, +die die Opposition gegen ihn entwickelte, wesentlich auch das bei, daß er als +Konsul einen Versuch gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu +entreißen. Um seinetwillen ward der alte ehrwürdige Grundsatz, auch im +schlechtesten Gefäß die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, während +gegen den Urheber des cannensischen Unglückstages der Tadel in die stille Brust +verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio durch +Volksbeschluß des Prokonsulats entsetzt und - was seit den Krisen, in denen das +Königtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen war - sein Vermögen von der +Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht lange nachher wurde derselbe durch +einen zweiten Bürgerschluß aus dem Senat gestoßen (650 104). Aber dies genügte +nicht; man wollte mehr Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl +oppositionell gesinnter Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius +Saturninus und Gaius Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in +Gallien begangenen Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht +niederzusetzen; trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der +Todesstrafe für politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die Absicht +unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil über ihn zu fällen und zu +vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische Interzession +den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt +aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen Auflauf die ersten Männer des +Senats durch Steinwürfe verletzt. Die Untersuchung war nicht zu verhindern und +der Prozeßkrieg ging im Jahre 651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; +Caepio selbst, sein Kollege im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche +andere angesehene Männer wurden verurteilt; mit Mühe gelang es einem mit Caepio +befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen bürgerlichen +Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu retten ^15. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^15 Die Amtsentsetzung des Prokonsuls Caepio, mit der die Vermögenseinziehung +verbunden war (Liv. ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht +von Arausio (6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Daß +zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit verstrich, +zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio gemünzte Antrag, +daß Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat nach sich ziehen solle +(Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus (p. 10: Cn. Manilius ob eandem +causam quam et Caepio L. Saturnini rogatione e civitate est cito [?] eiectus; +wodurch die Andeutung bei Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt, +daß ein von Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese +Katastrophe herbeigeführt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das +Appuleische Gesetz über die geschmälerte Majestät des römischen Staates (Cic. +De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt desselben schon früher (Bd. +2, S. 193 der ersten Auflage [Orig.]) bestimmt ward, Saturninus’ Antrag +auf Niedersetzung einer außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der +während der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverrätereien. Die +Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3, 30, 74) +entsprang in ganz ähnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz, wie die dort +weiter genannten Spezialgerichte über eine ärgerliche Richterbestechung aus dem +Mucischen von 613 (141), die über die Vorgänge mit den Vestalinnen aus dem +Peducäischen von 641 (113), die über den Jugurthinischen Krieg aus dem +Mamilischen von 644 (110). Die Vergleichung dieser Fälle lehrt auch, daß von +dergleichen Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst +Strafen an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn +anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird, der das +Verfahren gegen Caepio veranlaßte und dafür später zur Verantwortung gezogen +ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200. part. 30, 105 u. a. St.), so +ist dies damit nicht in Widerspruch; denn der Antrag ging, wie gewöhnlich, von +mehreren Volkstribunen aus (Rhet. Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), +und da Saturninus bereits tot war, als die aristokratische Partei daran denken +konnte, Vergeltung zu üben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser +zweiten und schließlichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewöhnliche, +sehr unüberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), zehn Jahre nach +der Schlacht von Arausio setzt, bereits früher zurückgewiesen worden. Sie +beruht lediglich darauf, daß Crassus als Konsul, also 659 (95) für Caepio +sprach (Cic. Brut. 44,162); was er aber offenbar nicht als dessen Sachwalter +tat, sondern als Norbanus wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 +(95) von Publius Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Früher wurde +für diese zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, daß +sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken zwischen +dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros. hist. 5, 17; +App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum zweiten Male +Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden sich nicht, aber die +sehr überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht für das erstere Jahr, teils weil +dies den Unglücksfällen in Gallien näher steht, teils weil in den ziemlich +ausführlichen Berichten über Saturninus’ zweites Tribunat Quintus Caepio +des Vaters und der gegen diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. +Daß die infolge der Urteilssprüche wegen der unterschlagenen tolosanischen +Beute an den Staatsschatz zurückgezahlten Summen von Saturninus im zweiten +Tribunat für seine Kolonisationspläne in Anspruch genommen werden (Vir. ill. +73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht entscheidend und +kann überdies leicht durch Verwechslung von dem ersten afrikanischen auf das +zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus übertragen worden sein. +</p> + +<p> +Daß späterhin, als Norbanus belangt ward, dies eben auf Grund des von ihm +mitveranlaßten Gesetzes geschah, ist eine dem römischen politischen Prozeß +dieser Zeit gewöhnliche Ironie (Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem +Glauben verleiten, als sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spätere +Cornelische, ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Wichtiger als diese Maßregel der Rache war die Frage, wie der gefährliche Krieg +jenseits der Alpen ferner geführt und zunächst, wem darin die +Oberfeldherrnschaft übertragen werden sollte. Bei unbefangener Behandlung war +es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war zwar im Vergleich mit +früheren Zeiten an militärischen Notabilitäten nicht reich; allein es hatten +doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus Aemilius Scaurus und Quintus Minucius +in den Donauländern, Quintus Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in +Afrika mit Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen +Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens gegenüber +die oft erprobte Überlegenheit römischer Waffen und römischer Taktik wieder in +ihr Recht einzusetzen, wozu es keines genialen, sondern nur eines strengen und +tüchtigen Kriegsmanns bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher +möglich war als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die +Regierung war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische +Krieg gezeigt hatte, in der öffentlichen Meinung so vollständig bankrott, daß +ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn weichen mußten, sowie +es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem Volk herunterzumachen und als +Kandidat der Opposition von dieser sich an die Spitze der Geschäfte stellen zu +lassen. Es war kein Wunder, daß, was nach den Siegen des Metellus geschehen +war, gesteigert sich wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und +Quintus Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat +mehr als einmal zu übernehmen verbot, auf als Bewerber um das höchste Staatsamt +und nicht bloß ward er, während er noch in Afrika an der Spitze des dortigen +Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in dem Gallischen Krieg +übergeben, sondern es ward ihm auch fünf Jahre hintereinander (650-654 104-100) +wieder und wieder das Konsulat übertragen, in einer Weise, welche aussah wie +ein berechneter Hohn gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner +ganzen Torheit und Kurzsichtigkeit bewährten exklusiven Geist der Nobilität, +aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhört und in der Tat mit dem +Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich war. Namentlich +in dem römischen Militärwesen, dessen im Afrikanischen Krieg begonnene +Umgestaltung aus einer Bürgerwehr in eine Söldnerschar Marius während seines +fünfjährigen, durch die Not der Zeit mehr noch als durch die Klauseln seiner +Bestallung unumschränkten Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die +tiefen Spuren dieser inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten +demokratischen Generals für alle Zeit sichtbar geblieben. +</p> + +<p> +Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der +Alpen, gefolgt von einer Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kühne +Fänger des Jugurtha, Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von +zahlreichen Scharen italischer und bundesgenössischer Soldaten. Zunächst fand +er den Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, +die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, +nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, über die +Pyrenäen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den tapferen Bewohnern +der Nordküste und des Binnenlandes herum; es schien, als wollten die Deutschen +ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei ihrem ersten Auftreten in der +Geschichte beweisen. So fand Marius volle Zeit, einesteils die abgefallenen +Tektosagen zum Gehorsam zurückzubringen, die schwankende Treue der untertänigen +gallischen und ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie +außerhalb der römischen Provinz von den gleich den Römern durch die Kimbrer +gefährdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den +Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits durch +strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe +das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch Märsche und ausgedehnte +Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung eines später den Massalioten +überwiesenen Rhonekanals zur leichteren Herbeischaffung der von Italien dem +Heer nachgesandten Transporte - die Soldaten für die ernstere Kriegsarbeit +tüchtig zu machen. Auch er verhielt sich in strenger Defensive und überschritt +nicht die Grenzen der römischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des +Jahres 651 (103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem +tapferen Widerstand der eingeborenen Völkerschaften, namentlich der Keltiberer +sich gebrochen hatte, wieder zurück über die Pyrenäen und von da, wie es +scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen Männern sich +unterwarf, von den Pyrenäen bis zur Seine. Erst hier, an der Landesgrenze der +tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen sie auf ernstlichen Widerstand; +allein eben auch hier, während sie im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen) +standen, kam ihnen ansehnlicher Zuzug. Nicht bloß drei Quartiere der Helvetier, +darunter die Tigoriner und Tougener, welche früher an der Garonne gegen die +Römer gefochten hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den +Kimbrern, sondern es stießen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter +ihrem König Teutobod, welche durch uns nicht überlieferte Fügungen aus ihrer +Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen waren ^16. Aber auch die +vereinigten Scharen vermochten den tapferen Widerstand der Belgen nicht zu +überwältigen. Die Führer entschlossen sich daher, mit der also angeschwollenen +Menge den schon mehrmals beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes +anzutreten. Um nicht mit dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, +wurde dasselbe hier zurückgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 +Mann, aus denen später nach mancherlei Irrfahrten die Völkerschaft der +Aduatuker an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen +Verpflegung auf den Alpenstraßen, sei es aus anderen Gründen, die Massen lösten +sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine, die Kimbrer und +Tigoriner, über den Rhein zurück und durch die schon im Jahre 641 (113) +erkundeten Pässe der Ostalpen, der andere, die neuangelangten Teutonen, die +Tougener und die schon in der Schlacht von Arausio bewährte kimbrische +Kernschar der Ambronen, durch das römische Gallien und die Westpässe nach +Italien eindringen sollte. Diese zweite Abteilung war es, die im Sommer 652 +(102) abermals ungehindert die Rhone überschritt und am linken Ufer derselben +mit den Römern den Kampf nach fast dreijähriger Pause wieder aufnahm. Marius +erwartete sie in einem wohlgewählten und wohlverproviantierten Lager am Einfluß +der Isère in die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals +gangbaren Heerstraßen nach Italien, die über den Kleinen Bernhard und die an +der Küste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager an, +das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm der Barbaren +um die römischen Verschanzungen, aber der wilde Mut scheiterte an der +Überlegenheit der Römer im Festungskrieg und an der Besonnenheit des Feldherrn. +Nach hartem Verlust entschlossen sich die dreisten Gesellen, den Sturm +aufzugeben und am Lager vorbei fürbaß nach Italien zu marschieren. Sechs Tage +hintereinander zogen sie daran vorüber, ein Beweis mehr noch für die +Schwerfälligkeit ihres Trosses als für ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr ließ +es geschehen ohne anzugreifen; daß er durch den höhnischen Zuruf der Feinde, ob +die Römer nicht Aufträge hätten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren ließ, +ist begreiflich, aber daß er dies verwegene Vorbeidefilieren der feindlichen +Kolonnen vor der konzentrierten römischen Masse nicht benutzte um zu schlagen, +zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten vertraute. Als der Zug vorüber +war, brach auch er sein Lager ab und folgte dem Feinde auf dem Fuß, in strenger +Ordnung und Nacht für Nacht sich sorgfältig verschanzend. Die Teutonen, die der +Küstenstraße zustrebten, gelangten längs der Rhone hinabmarschierend bis in die +Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschöpfen stießen +hier die leichten ligurischen Truppen der Römer mit der feindlichen Nachhut, +den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald allgemein; nach heftigem Kampf +siegten die Römer und verfolgten den weichenden Feind bis an die Wagenburg. +Dieser erste glückliche Zusammenstoß erhöhte dem Feldherrn wie den Soldaten den +Mut; am dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze +das römische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. Die +Teutonen, längst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten sofort +den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und langwierig; bis zum +Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein die ungewohnte Glut der +provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen und ein blinder Lärm in ihrem +Rücken, wo ein Haufen römischer Troßbuben aus einem waldigen Versteck mit +gewaltigem Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Auflösung der +schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie begreiflich in +dem fremden Lande, entweder getötet oder gefangen; unter den Gefangenen war der +König Teutobod, unter den Toten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit +der Behandlung, die ihnen als Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in +verzweifelter Gegenwehr sich hatten niedermachen lassen, teils in der +Gefangenschaft, nachdem sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Götter und der +heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten +(Sommer 652 102). +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^16 Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhältnismäßig +zuverlässigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen ist: +reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei Obsequens, +mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen schon früher, zum +Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von Noreia, neben den Kimbrern +auftreten lassen. Damit sind verbunden die Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, +4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer in die römische Provinz und nach Italien +nur die Expedition von 652 (102) gemeint sein kann. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon standen +deren Waffenbrüder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern verbündet, waren die +Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in das obere Rheintal gelangt, hatten +die Alpenkette auf dem Brennerpaß überschritten und waren von da durch die +Täler der Eisack und Etsch hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte +der Konsul Quintus Lutatius Catulus die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht +völlig kundig und fürchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut, in +die Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken Ufer der Etsch +sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug auf das rechte durch Anlegung +einer Brücke sich gesichert. Allein als nun die Kimbrer in dichten Scharen aus +den Bergen hervordrangen, ergriff ein panischer Schreck das römische Heer und +Legionäre und Reiter liefen davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene +auf die nächste Anhöhe, die Sicherheit zu gewähren schien. Mit genauer Not +brachte Catulus wenigstens den größten Teil seines Heeres durch eine Kriegslist +wieder an den Fluß und über die Brücke zurück, ehe es den Feinden, die den +oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Bäume und Balken gegen die Brücke +hinabtreiben ließen, gelang, diese zu zerstören und damit dem Heer den Rückzug +abzuschneiden. Eine Legion indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer +zurücklassen müssen und bereits wollte der feige Tribun, der sie führte, +kapitulieren, als der Rottenführer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieß +und mitten durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich +durchschlug. So war das Heer und einigermaßen selbst die Waffenehre gerettet; +allein die Folgen der versäumten Besetzung der Pässe und des übereilten +Rückzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus mußte auf das rechte Ufer des +Po sich zurückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Alpen in der +Gewalt der Kimbrer lassen, so daß man die Verbindung mit Aquileia nur zur See +noch unterhielt. Dies geschah im Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es +zwischen den Teutonen und den Römern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. +Hätten die Kimbrer ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in +eine sehr bedrängte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, +blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die +ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen +reichlichen Speisen und Getränke sie einluden, es sich vorläufig wohl sein zu +lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit, ihnen mit vereinigten Kräften in +Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische General sonst +wohl getan haben würde, den unterbrochenen Eroberungsplan des Keltenlandes, wie +Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem +Schlachtfeld von Aix wurde das siegreiche Heer an den Po geführt und nach +kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach +völliger Überwindung der Barbaren zurückwies, traf auch Marius selbst bei den +vereinigten Armeen ein. Im Frühjahr 653 (101) überschritten sie, 50000 Mann +stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum den Po und +zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flußaufwärts marschiert zu sein +scheinen, um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten. Unterhalb +Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po ^17, ebenda, wo Hannibal seine +erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte, trafen die beiden Heere +aufeinander. Die Kimbrer wünschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte +gemäß, zu den Römern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen +und nannte den nächsten Tag - es war der 30. Juli 653 (101) - und das Raudische +Feld, eine weite Ebene, auf der die überlegene römische Reiterei einen +vorteilhaften Spielraum fand. Hier stieß man auf den Feind, erwartet und doch +überraschend; denn in dem dichten Morgennebel fand sich die kimbrische Reiterei +im Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es vermutete, und ward von +ihr zurückgeworfen auf das Fußvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit +geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und die Kimbrer +vernichtet. Glücklich mochte heißen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die +meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix; glücklicher mindestens als die, +die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf dem +Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mußten, der dem einzelnen Nordmannen die +Dreistigkeit vergalt, des schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit +war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen der Alpen zurückgeblieben waren, um +den Kimbrern später zu folgen, verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage +in ihre Heimat. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau +bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte +unter der Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der +deutschen Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk der +Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^17 Man hat nicht wohl getan, von der Überlieferung abweichend das Schlachtfeld +nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daß zwischen den Gefechten an +der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache +Truppenbewegungen liegen, und daß Catulus nach ausdrücklicher Angabe (Plut. +Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurückgewichen war. Auch die Angaben, daß am +Po (Hier. chron. a. Abr.) und daß da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. +h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide +ungenau, doch viel eher nach Vercellae als nach Verona. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Über den Leichen haderten die politischen Parteien Roms ihren kümmerlichen +Hader weiter, ohne um das große Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekümmern, +davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu +geben dem reinen Gefühl, daß an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms +Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalität der beiden Feldherren, +die nicht bloß politische Gegner, sondern auch durch den so verschiedenen +Erfolg der beiden vorjährigen Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort +nach der Schlacht zum widerwärtigsten Ausbruch. Catulus mochte mit Recht +behaupten, daß das Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe +und daß von seinen Leuten einunddreißig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen +eingebracht seien - seine Soldaten führten sogar die Abgeordneten der Stadt +Parma durch die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, daß Marius tausend +geschlagen habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als +der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloß, weil er kraft +seines höheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl geführt hatte +und an militärischer Begabung und Erfahrung seinem Kollegen ohne Zweifel weit +überlegen war, sondern vor allem, weil der zweite Sieg von Vercellae in der Tat +nur möglich geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der +damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den Kimbrern +und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius’ Namen +knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein feiner und +gescheiter Mann, ein so anmutiger Sprecher, daß der Wohllaut seiner Worte fast +wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet +und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter; aber er war nichts weniger +als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten +aber des groben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben +war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese Schlachten waren nicht +bloß Niederlagen der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der +Regierung; es knüpften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, daß man +wieder ungestört jenseits der Alpen Geldgeschäfte machen oder diesseits den +Acker bauen könne. Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus’ +blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das +Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen und verwünscht; immer noch war +dem Gracchus kein Rächer, seinem angefangenen Bau kein zweiter Meister +erstanden. Es haßten und hofften viele, viele von den schlechtesten und viele +von den besten Bürgern des Staats; war der Mann, der diese Rache und diese +Wünsche zu erfüllen verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tagelöhners von +Arpinum? Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefürchteten und +vielersehnten zweiten Revolution? +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/> +Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus</h2> + +<p> +Gaius Marius ward, eines armen Tagelöhners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in +dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das später als Cereatae Marianae +Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen “Mariusheimat” +(Casamare) trägt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so dürftigen +Verhältnissen, daß sie ihm selbst zu den Gemeindeämtern von Arpinum den Zugang +zu verschließen schienen; er lernte früh, was er später noch als Feldherr übte, +Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkälte ertragen und auf der harten Erde +schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und +hatte in der schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier +emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals +dreiundzwanzigjährig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die saubere +Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht +und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben +und kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der rühmlich +betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den damaligen +Verhältnissen konnte zu den politischen Ämtern, die allein zu höheren +Militärstellen führten, auch der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermögen +und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glückliche +Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Mädchen aus dem +altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter großen Anstrengungen und +nach vielfachen Mißerfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Prätur, in welcher er +als Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militärische Tüchtigkeit aufs +neue zu bewähren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im +Jahre 647 (107) das Konsulat übernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den +Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglückstag von Arausio zur +Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal vom Jahre +650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den Annalen der Republik +beispielloser Erneuerung des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen +diesseits der Alpen überwand und vernichtete, ist bereits erzählt worden. In +seinem Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen +Mann, der unparteiisch Recht sprach, über die Beute mit seltener Ehrlichkeit +und Uneigennützigkeit verfügte und durchaus unbestechlich war; als einen +geschickten Organisator, der die einigermaßen eingerostete Maschine des +römischen Heerwesens wieder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als einen +fähigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter Laune erhielt +und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber +kühn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine militärische +Kapazität im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen können, nicht; allein +die sehr achtungswerten Eigenschaften, die er besaß, genügten unter den damals +bestehenden Verhältnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu +verschaffen, und auf diesen gestützt war er in einer beispiellos ehrenvollen +Weise eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er paßte +darum nicht besser in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, +sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht +wohlerzogene und parfümierte Kollegen. Daß er abergläubisch war wie ein echter +Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat sich nicht durch den +Drang seiner Talente, sondern zunächst durch die Aussagen eines etruskischen +Eingeweidebeschauers bestimmen ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen +eine syrische Prophetin Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war +nicht eigentlich unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie +zu allen Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft. +Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar +löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man denken +von einem der verfassungsmäßigen Etikette so unkundigen Konsul, daß er im +Triumphalkostüm im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotüre ihm an. Er war +nicht bloß - nach aristokratischer Terminologie - ein armer Mann, sondern, was +schlimmer war, genügsam und ein abgesagter Feind aller Bestechung und +Durchstecherei. Nach Soldatenart war er nicht wählerisch, aber becherte gern, +besonders in späteren Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen +schlechten Koch. Ebenso übel war es, daß der Konsular nur Lateinisch verstand +und die griechische Konversation sich verbitten mußte; daß er bei den +griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war vermutlich +nicht der einzige -, aber daß er sich zu seiner Langenweile bekannte, war naiv. +So blieb er zeit seines Lebens ein unter die Aristokraten verschlagener +Bauersmann und geplagt von den empfindlichen Stichelworten und dem +empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie diese selber zu verachten er +denn doch nicht über sich vermochte. Nicht viel weniger wie außerhalb der +Gesellschaft stand Marius außerhalb der Parteien. Die Maßregeln, die er in +seinem Volkstribunat (635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der +Abgabe der Stimmtäfelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden +Betrügereien und die Verhinderung ausschweifender Anträge auf Spenden an das +Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der +demokratischen, sondern zeigen nur, daß ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft +verhaßt waren; und wie hätte auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt und +Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionär sein können? Die Anfeindungen der +Aristokratie hatten ihn zwar später in das Lager der Gegner der Regierung +getrieben, und rasch sah er sich hier auf den Schild gehoben zunächst als +Feldherr der Opposition und demnächst vielleicht bestimmt zu noch höheren +Dingen. Allein es war dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der +Verhältnisse und des allgemeinen Bedürfnisses der Opposition nach einem Haupte +als sein eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48 +(107/06) kaum vorübergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt. Erst in +der zweiten Hälfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie über die Kimbrer so +über die Teutonen, nach Rom zurück, um den verschobenen Triumph nun zwiefach zu +feiern, entschieden der erste Mann in Rom und doch zugleich politischer +Anfänger. Es war unwidersprechlich ausgemacht, nicht bloß daß Marius Rom +gerettet habe, sondern daß er der einzige Mann sei, der Rom habe retten können; +sein Name war auf allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; +bei dem Volk war er populär wie keiner vor oder nach ihm, populär durch seine +Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische +Uneigennützigkeit nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieß der +Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm +Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf mitunter +schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von Afrika ins +Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu Erdteil verglich und +sich für seinen Gebrauch einen Becher - keinen von den kleinsten - nach dem +Muster des Bakchischen fertigen ließ. Es war ebensoviel Hoffnung wie +Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann +von kälterem Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht +hätte. Marius’ Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. +Schwerer als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem +ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu, +Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das +hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so schlecht, +wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern der Feinde +gegenüber eine weit festere Haltung als gegen die klatschende oder zischende +Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an. Hoffnungen binden. Seine +militärische und politische Stellung war von der Art, daß, wenn er mit seiner +ruhmvollen Vergangenheit nicht brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der +Nation nicht täuschen, seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden +wollte, er der Mißverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten steuern und dem +Restaurationsregiment ein Ende machen mußte, und wenn er nur die inneren +Eigenschaften eines Volkshauptes besaß, so konnte er dessen, was zum +Volksführer ihm abging, allerdings entraten. +</p> + +<p> +Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis +auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, +die Aushebung lediglich auf die vermögenden Bürger zu beschränken und die +Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermögensklassen zu ordnen, +wohl schon manches nachlassen müssen: es war das zum Eintritt in das Bürgerheer +verpflichtende Minimalvermögen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden +auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die älteren sechs in den Waffengattungen +unterschiedenen Vermögensklassen beschränkt worden auf drei, indem man zwar wie +nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus den vermögendsten, die +Leichtbewaffneten aus den ärmsten Dienstpflichtigen auslas, aber den +Mittelstand, die eigentliche Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem +Vermögen, sondern nach dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, +Principes und Triarier ordnet. Man hatte ferner schon längst die italischen +Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maße zum Kriegsdienst mitherangezogen, +indes auch hier, ganz wie bei der römischen Bürgerschaft, die Militärpflicht +vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das +römische Militärwesen bis auf Marius im wesentlichen auf jener uralten +Bürgerwehrordnung. Allein für die veränderten Verhältnisse paßte dieselbe nicht +mehr. Die besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und +mehr sich zurück, teils schwand der römische und italische Mittelstand +überhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die beträchtlichen Streitmittel +der außeritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfügbar geworden, +andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein militärisch +wenigstens sehr brauchbares Material. Die Bürgerreiterei, die aus der Klasse +der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon vor Marius +tatsächlich eingegangen. Als wirklicher Heerkörper wird sie zuletzt genannt in +dem spanischen Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren +höhnischen Hochmut und ihre Unbotmäßigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen +beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit +geführter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur +noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn und fremde Prinzen; von da an +verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergänzung der Legionen mit +gehörig qualifizierten Pflichtigen schon im gewöhnlichen Lauf der Dinge +schwierig, so daß Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von Arausio nötig +waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht +wohl in der Tat materiell unausführbar gewesen sein würden. Andererseits wurden +schon vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie, die +außeritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte +afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fußvolk der bebenden Ligurer, +die Schleuderer von den Balearen, in immer größerer Anzahl auch außerhalb ihrer +Provinzen bei den römischen Heeren mitverwendet; und zugleich drängten sich, +während an qualifizierten Bürgerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten +ärmeren Bürger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des +arbeitslosen oder arbeitsscheuen Bürgergesindels und bei den ansehnlichen +Vorteilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht +schwierig sein konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz der +politischen und sozialen Umwandlung des Staats, daß man im Militärwesen +überging von dem System des Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- und Werbesystem, die +Reiterei und die leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der +Untertanen bildete, wie denn für den kimbrischen Feldzug schon bis nach +Bithynien Zuzug angesagt ward, für die Linieninfanterie aber zwar die bisherige +Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Bürger +den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) +tat. +</p> + +<p> +Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls auf +Marius zurückgeht. Die römische Weise aristokratischer Gliederung hatte bis +dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen der Leichten, der +Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man auch sagen kann, der +Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie hatten bis dahin jedes seine +besondere Qualifikation nach Vermögens- oder Dienstalter und großenteils auch +verschiedene Bewaffnung, jedes seinen ein für allemal bestimmten Platz in der +Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militärischen Rang und sein eigenes +Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt über den Haufen. Wer +überhaupt als Legionär zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren Qualifikation, +um in jeder Abteilung zu dienen; über die Einordnung entschied einzig das +Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit +wurden auch alle Rekruten gleichmäßig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung +damit stehen die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen +des Gepäcks und ähnlichen Dingen von Marius herrühren und ein rühmliches +Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des +Kriegshandwerks und seiner Fürsorge für die Soldaten; vor allem aber das neue, +von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius Rutilius Rufus +(Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist bezeichnend, daß +dasselbe die militärische Ausbildung des einzelnen Mannes beträchtlich +steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in den damaligen Fechterschulen +übliche Ausbildung der künftigen Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward +eine gänzlich andere. An die Stelle der 30 Fähnlein (manipuli) schwerer +Infanterie, die - jedes zu zwei Zügen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden +ersten und je 30 Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit +gebildet hatten, traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und +jeder zu sechs, oft auch nur zu fünf Zügen von je 100 Mann; so daß, obgleich +gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200 Mann +erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf 5000 bis 6000 +Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb bestehen, allein wenn +bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkörper gebildet hatte, so war es in +Zukunft dem Feldherrn überlassen, die Kohorten, über die er disponierte, in die +drei Linien nach Ermessen zu verteilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig +die Ordnungsnummer der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der +einzelnen Legionsteile, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roß, der Eber, die +bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren Infanterie +waren vorgetragen worden, verschwanden; dafür traten die Fähnlein der neuen +Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der gesamten Legion verlieh, der +silberne Adler. Wenn also innerhalb der Legion jede Spur der bisherigen +bürgerlichen und aristokratischen Gliederung verschwand und unter den +Legionären fortan nur noch rein soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte +sich dagegen schon einige Jahrzehnte früher aus zufälligen Anlässen eine +bevorzugte Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des +Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den bundesgenössischen +Kontingenten die persönliche Bedeckung des Feldherrn gebildet; römische +Legionäre oder gar freiwillig sich erbietende Mannschaften zum persönlichen +Dienst bei dem selben zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des +gewaltigen Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos +demoralisiertes Heer großgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward, +dem wüsten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen +können, völlig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm wenigstens +gewährt, außer einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die abhängigen Könige und +Freistädte des Auslandes zur Verfügung stellten, aus freiwilligen römischen +Bürgern eine persönliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese +Kohorte, teils aus den besseren Ständen, teils aus der niederen persönlichen +Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die +des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem +(praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoß höheren +Sold und größeres Ansehen. +</p> + +<p> +Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint allerdings +wesentlich aus rein militärischen Motiven hervorgegangen und überhaupt weniger +das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines berechnenden Ehrgeizigen, als die +vom Drang der Umstände gebotene Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen +gewesen zu sein. Es ist wahrscheinlich, daß die Einführung des inländischen +Werbesystems durch Marius ebenso den Staat militärisch vom Untergang gerettet +hat, wie manches Jahrhundert später Arbogast und Stilicho durch Einführung des +ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. +Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich eine +vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfassung ruhte +zumeist darauf, daß der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor allem Bürger +war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich bildete. Hierzu mußte +schon das neue Exerzierreglement führen mit seiner dem Kunstfechter abgeborgten +Routine; der Kriegsdienst ward allmählich Kriegshandwerk. Weit rascher noch +wirkte die wenn auch beschränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst, +besonders in Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur +mit sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches arbiträres +Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und glücklichen +Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil der beweglichen +Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu heischen. Wenn der +ausgehobene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst nichts sah als eine für das +gemeine Beste zu übernehmende Last und im Kriegsgewinn nichts als einen +geringen Entgelt für den ihm aus dem Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren +Verlust, so war dagegen der geworbene Proletarier nicht bloß für den Augenblick +allein angewiesen auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft mußte er, den +nach der Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm, +wünschen, zunächst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu verlassen +als mit Begründung seiner bürgerlichen Existenz. Seine einzige Heimat war das +Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, seine einzige Hoffnung der +Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als Marius nach dem Treffen auf dem +Raudischen Feld zwei Kohorten italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung +wegen in Masse das Bürgerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig +verlieh, rechtfertigte er später sich damit, daß er im Lärm der Schlacht die +Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in wichtigeren +Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem +Begehren sich begegneten, wer mochte dafür stehen, daß alsdann nicht noch +andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht würden vernommen werden? Man +hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen +Verfassung, so standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der +künftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um +den Palatinischen Hügel kreisten, da riefen sie dem Königtum; der neue Adler, +den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der Kaiser. +</p> + +<p> +Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß Marius einging auf die glänzenden +Aussichten, die seine militärische und politische Stellung ihm eröffnete. Es +war eine trübe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens +nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen Anprall der +Nordländer auf Rom, wo nach überstandener Krise im frischen Gefühl der Genesung +alle Kräfte sich neu geregt, wo sie in üppiger Entfaltung das Verlorene rasch +und reichlich ersetzt hatten. Alle Welt fühlte, daß, mochten auch tüchtige +Feldherren noch aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das +Gemeinwesen darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der +restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fühlte auch, daß die Zeit nicht mehr +war, wo in solchen Fällen die Bürgerschaft sich selber half, und daß nichts +besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie tief die Menge +die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Jünglinge, welche der Revolution +das Tor geöffnet hatten, zurückgebliebene Lücke empfand, freilich auch wie +kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn +des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden Gracchen +ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten +Namens wegen vom Volke für 655 (99) zum Tribun gewählt ward. In demselben Sinne +jubelte die Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn +irgendeiner, schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der +populärste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch +seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats, +empfohlen - wie hätte nicht das Volk, wie hätte er selbst nicht sich dafür +halten sollen! Die öffentliche Meinung war so entschieden wie möglich +oppositionell; es ist bezeichnend dafür, daß die Besetzung der in den höchsten +geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die Bürgerschaft anstatt durch +die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch Anregung +der religiösen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650 +(104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging, ohne daß der Senat es hätte +wagen können, sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an +einem Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein +praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden. +</p> + +<p> +Zur Durchführung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte +die Oligarchie zu stürzen versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder +auf dem für konstitutionelle Änderungen verfassungsmäßig bezeichneten Weg; +dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des Gracchus. Es +ist sehr begreiflich, daß er den ersteren Weg nicht betrat, vielleicht nicht +einmal die Möglichkeit dachte, ihn zu betreten. Der Senat war oder schien so +macht- und ratlos, so verhaßt und verachtet, daß Marius gegen ihn kaum einer +anderen Stütze als seiner ungeheuren Popularität zu bedürfen, nötigenfalls aber +trotz der Auflösung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen +harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, daß Marius, im +Hinblick auf Gracchus’ leichten und scheinbar fast vollständigen Sieg und +auf seine eigenen, denen des Gracchus weit überlegenen Hilfsmittel, den Umsturz +einer vierhundertjährigen, mit dem nach komplizierter Hierarchie geordneten +Staatskörper und der mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig +verwachsenen Verfassung für weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer +tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius +wahrscheinlich tat, mochte erwägen, daß das Heer, obwohl im Übergang begriffen +von der Bürgerwehr zur Söldnerschar, doch während dieses Übergangszustandes +noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines Staatsstreiches sich schickte und +daß ein Versuch, die widerstrebenden Elemente durch militärische Mittel zu +beseitigen, die Widerstandsfähigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben +würde. Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, mußte auf den +ersten Blick überflüssig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man war eben +am Anfang der Krise und die Gegensätze von ihrem letzten, kürzesten und +einfachsten Ausdruck noch weit entfernt. +</p> + +<p> +Marius entließ also der bestehenden Ordnung gemäß nach dem Triumph sein Heer +und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der +Übernahme der verfassungsmäßigen Staatsämter die Oberhauptschaft im Staate an +sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die sogenannte Volkspartei +und in deren damaligen Führern um so mehr seine Bundesgenossen, als der +siegreiche General die zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und +Erfahrungen durchaus nicht besaß. So gelangte die demokratische Partei nach +langer Nichtigkeit plötzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem +langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich +verschlechtert. Wohl war das Mißvergnügen über das senatorische Regiment jetzt +nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre +treuesten Anhänger zugeführt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden +und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, daß diese Gracchische Agitation +auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr großer Teil der Mißvergnügten +keineswegs zu folgen willig war; wie denn überhaupt in dem zwanzigjährigen +Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen +Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des Strebens, +die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische +Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die +Führer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius +Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der +Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus nach der +Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Führer nur Lückenbüßer sein: +entweder politische Anfänger, die ihre jugendliche Oppositionslust austobten +und sodann, als sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit +mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der +Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluß +nichts zu verlieren, an Ehre gewöhnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, +und die aus persönlicher Erbitterung oder auch aus bloßer Lust am Lärmschlagen +sich ein Geschäft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu ärgern. Der +ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius Memmius und der bekannte Redner +Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratorischen +Lorbeern demnächst als eifrige Regierungsmänner verwerteten. Die namhaftesten +Führer der Popularpartei aber um diese Zeit waren Männer der zweiten Gattung: +sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein +gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester Straßenberedsamkeit, +aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner drastischen Witze, als auch +sein besserer und fähigerer Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst +nach den Berichten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicher Sprecher war +und wenigstens nicht von gemein eigennützigen Motiven geleitet ward. Ihm war +als Quästor die in üblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch +Beschluß des Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter +Amtsführung als um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der +Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der +herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zuzuwenden. Diese Kränkung hatte +den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition gedrängt; und er vergalt +als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit Zinsen. Ein ärgerlicher Handel +hatte damals den anderen gedrängt. Er hatte die von den Gesandten des Königs +Mithradates in Rom bewirkten Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache +gebracht - diese den Senat aufs höchste kompromittierenden Enthüllungen hätten +fast dem kühnen Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger +Numidiens Quintus Metellus, als derselbe sich für 652 (102) um die Zensur +bewarb, einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, +bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergießen befreiten; des Zensors Metellus +Vergeltung, die schimpfliche Ausstoßung des Saturninus wie des Glaucia aus dem +Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses, war nur +gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen Kollegen. Er +hauptsächlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen +trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die +lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul für 652 (102) +durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des Senats und +der tätigste und beredteste Führer der Volkspartei seit Gaius Gracchus, +freilich auch gewalttätig und rücksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, +in die Straße hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knütteln zu +widerlegen. +</p> + +<p> +Solcher Art waren die beiden Führer der sogenannten Popularpartei, die mit dem +siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es war natürlich; +die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch schon bei Marius’ +früheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und +erfolgreichste für ihn Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, daß für +654 (100) Marius um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, +Glaucia um die Prätur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Ämter die +beabsichtigte Staatsumwälzung durchzuführen. Der Senat ließ die Ernennung des +minder gefährlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um +Marius’ und Saturninus’ Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem +in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die +Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und +unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die +gefährliche Verschwörung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmähte es +nicht, Stimmenbettel, es heißt sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in +den tribunizischen Wahlen neun Männer von der Liste der Regierungspartei +proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann +derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem +wüsten Haufen, der vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden +haben soll, angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich +auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewählt als Konsul, Glaucia +als Prätor, Saturninus als Volkstribun für 654 (109): nicht Quintus Metellus, +sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus, erhielt die zweite +Konsulstelle; die verbündeten Männer konnten daran gehen, ihre weiter +beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu +vollenden. +</p> + +<p> +Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie +verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach außen zu brechen, +also teils die vom Senat völlig abhängig gewordene Beamtengewalt in ihre +ursprünglichen souveränen Rechte wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus +der regierenden wieder in eine beratende Behörde umzuwandeln, teils der +aristokratischen Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden +Bürger-, der italischen Bundesgenossen- und der Untertanenschaft durch +allmähliche Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment +unverträglichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei +verbündeten Männer wieder auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als +Volkstribun teils schon früher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 +100) einbrachte ^1. Schon in jenem Jahre war zunächst zu Gunsten der +Marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloß, sondern, wie es scheint, auch der +italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des karthagischen +Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100 +Morgen oder etwa dem fünffachen Maß eines gewöhnlichen italischen Bauernhofs in +der Provinz Africa zugesichert worden. Jetzt ward für die römisch-italische +Emigration nicht bloß das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland in +weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen +Fiktion, daß den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte von diesen +besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land der noch unabhängigen +Keltenstämme jenseits der Alpen. Zur Leitung der Landanweisungen wie der zu +diesem Behuf etwa nötig erscheinenden weiteren Maßregeln ward Gaius Marius +berufen; die unterschlagenen, aber von den schuldigen Aristokraten erstatteten +oder noch zu erstattenden Tempelschätze von Tolosa wurden zur Ausstattung der +neuen Landempfänger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloß die +Eroberungspläne jenseits der Alpen und die transalpinischen und überseeischen +Kolonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen hatten, im +ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die Italiker neben den +Römern zur Emigration zuließ und doch ohne Zweifel die sämtlichen neuen +Gemeinden als Bürgerkolonien einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, +die so schwer durchzubringenden und doch unmöglich auf die Länge abzuweisenden +Ansprüche der Italiker auf Gleichstellung mit den Römern zu befriedigen. +Zunächst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und Marius zur selbständigen +Ausführung dieser ungeheuren Eroberungs- und Aufteilungspläne berufen ward, +tatsächlich derselbe bis zur Realisierung jener Pläne oder vielmehr, bei der +Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch +von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das +Konsulat alljährlich sich erneuern zu lassen gedachte. überhaupt ist bei der +sonstigen Übereinstimmung der für den jüngeren Gracchus und für Marius +entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stücken oder zwischen +dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden Konsul darin ein sehr +wesentlicher Unterschied, daß jener eine rein bürgerliche, dieser daneben eine +militärische Stellung einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber +doch keineswegs allein aus den persönlichen Verhältnissen hervorging, unter +denen die beiden Männer an die Spitze des Staates getreten waren. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Es ist nicht möglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem +zweiten Tribunat des Saturninus angehört; um so weniger, als derselbe in beiden +offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische +Ackergesetz setzt die Schrift ‘De viris illustribus’ (73, 1) mit +Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz vorher +erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite Ackergesetz gehört +unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestäts- und das Getreidegesetz sind +nur vermutungsweise jenes in 651 (103), dieses in 654 (100) gesetzt worden. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich +vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man +den voraussichtlich hartnäckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen +gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem +Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versäumten zwar nicht, +auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern ließ man nicht bloß die Gerichte, +sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine +verschärfte Ordnung für die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende +Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den Provinzen, +welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte, teils durch das +wohl schon 651 (103) auf Saturninus’ Antrag niedergesetzte Spezialgericht +über die während der kimbrischen Bewegung in Gallien vorgekommenen +Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstädtischen +Proletariats ferner ward der bisher bei den Getreideverteilungen für den +römischen Scheffel zu entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf +eine bloße Rekognitionsgebühr von 5/6 As. Indes obwohl man das Bündnis mit den +Rittern und dem hauptstädtischen Proletariat nicht verschmähte, so ruhte doch +die eigentlich zwingende Macht der Verbündeten wesentlich nicht darauf, sondern +auf den entlassenen Soldaten der Marianischen Armee, welche ebendeshalb in den +Kolonialgesetzen selbst in so ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch +hierin tritt der vorwiegend militärische Charakter hervor, der hauptsächlich +diesen Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet. +</p> + +<p> +Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stießen bei der +Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat +mit schlagenden Zahlen, daß jenes die öffentlichen Kassen bankrott machen +müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man erwirkte gegen beide Gesetze +tribunizische Interzession; Saturninus ließ weiterstimmen. Man zeigte den die +Abstimmung leitenden Beamten an, daß ein Donnerschlag vernommen worden sei, +durch welches Zeichen nach altem Glauben die Götter befahlen, die +Volksversammlung zu entlassen; Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat +werde wohl tun, sich ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner +der Hagel folgen. Endlich trieb der städtische Quästor Quintus Caepio, +vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und gleich +seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener +Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die derben Soldaten +des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach Rom geströmt waren, +sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die städtischen Haufen, und so gelang +es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung über die Appuleischen +Gesetze zu Ende zu führen. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob +der Senat der Klausel des Gesetzes genügen werde, daß binnen fünf Tagen nach +dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf +getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen +Eid die sämtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es +vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den +besten Feldherrn und den tüchtigsten Mann unter der Gegenpartei durch +Selbstverbannung aus dem Staate scheiden. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +2 Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 648 (106) Konsul, der +jüngere 651 (103) oder 654 (100) Quästor, also jener um oder vor 605 (149), +dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; daß jener starb, ohne Söhne zu +hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht nicht, denn der jüngere Caepio fiel +664 (90) und der ältere, der im Exil zu Smyrna sein Leben beschloß, kann gar +wohl ihn überlebt haben. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mußte schon jetzt das Unternehmen als +gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der +ungeschickten Allianz eines politisch unfähigen Feldherrn und eines fähigen, +aber rücksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als von staatsmännischen +Zwecken erfüllten Demagogen von der Gasse. Man hatte sich vortrefflich +vertragen, solange es sich nur noch um Pläne handelte; als es dann aber zur +Ausführung kam, zeigte es sich sehr bald, daß der gefeierte Feldherr in der +Politik nichts war als eine Inkapazität; daß sein Ehrgeiz der des Bauern war, +der den Adligen an Titeln erreichen und womöglich überbieten möchte, nicht aber +der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fühlt; +daß jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persönlichkeit gebaut war, +auch unter den sonst günstigsten Verhältnissen notwendig an ihm selber +scheitern mußte. +</p> + +<p> +Er wußte weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu bändigen. Die +Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon ansehnlich genug; +denn nicht bloß die Regierungspartei in Masse gehörte dazu, sondern auch der +große Teil der Bürgerschaft, der mit eifersüchtigen Blicken den Italikern +gegenüber über seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die +Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begüterte Klasse zu der Regierung +hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und Diener +des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fuße mit der Geldaristokratie, +die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Pöbels dem Senat einmal Schach zu +bieten, aber Straßenaufläufe und arge Gewalttätigkeiten nicht liebte. Schon in +Saturninus’ erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den +Rittern sich herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum +Tribun für 654 (100) stieß, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei +war. Es wäre Marius’ Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser +Genossen sich nur mit Maßen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daß sie +nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da er +das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen gewann, als +handle es sich nicht darum, einen intelligenten und kräftigen Herrn, sondern +die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen +Gefahr gegenüber die Männer der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken +über das wüste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus, +wohl erkennend, daß mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden +kann, vor allen Dingen bemüht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine +Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit +der Bourgeoisie zu versöhnen. +</p> + +<p> +Aber noch rascher als die Versöhnung der Feinde führte den Ruin des +Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern Marius’ +mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief. Während die +entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von seinen Soldaten +durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig leidend, gleich als ob +der politische Führer nicht ebenso wie der militärische, wenn es zum +Hauptangriff geht, überall und vor allen einstehen müßte mit seiner Person. +Aber es war damit nicht genug; vor den Geistern, die er selber gerufen, +erschrak er und nahm Reißaus. Als seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein +ehrlicher Mann nicht billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte +Ziel sich nicht erreichen ließ, versuchte er in der üblichen Weise +politisch-moralischer Konfusionäre sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen +reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es +gibt ein Geschichtchen, daß der General einst in zwei verschiedenen Zimmern +seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem anderen +mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe, +dort über das Losschlagen gegen dem Senat, hier über das Einschreiten gegen die +Revolte, und daß er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der Situation +entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei - ein +Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie nur irgendein +Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius +bei der Eidesfrage, wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen +Gesetze geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler +halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor, +wofern die Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, der den Eid +selber aufhob, und den natürlich sämtliche Senatoren in ihren Schwur +gleichfalls aufnahmen, so daß durch diese Weise der Beeidigung die Gültigkeit +der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt +ward. +</p> + +<p> +Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn +entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen die +Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft verschafft, um +sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spaßhafte +Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen +Beredsamkeit überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm +wand, keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit +beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um allein das +von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin +bestimmten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in +der Lage, das für Marius begonnene Geschäft auf eigene Rechnung fortzuführen. +Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, daß sie nicht zurückkonnten +und nur die Wahl hatten, ihre Ämter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und +damit ihren erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder +nun selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fühlten +nicht tragen zu können. Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus +wollte für 655 (99) abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, +Glaucia, obwohl Prätor und erst nach zwei Jahren wahlfähig zum Konsulat, um +dieses sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus in +ihrem Sinne entschieden und Marius’ Versuch, den falschen Tiberius +Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem +gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularität jetzt noch wert war; die +Menge sprengte die Tür des Gefängnisses, in dem Gracchus eingesperrt saß, trug +ihn im Triumph durch die Straßen und wählte ihn mit großer Majorität zu ihrem +Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im +vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die +Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, +derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt hatte, wurde von +einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knütteln erschlagen. Aber die +Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet, um +Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf, +einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert, das er +von der Demokratie erhalten und für sie zu führen versprochen hatte, nun für +die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst +aufgeboten, mit Waffen aus den öffentlichen Gebäuden ausgerüstet und +militärisch geordnet; der Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der +Spitze sein greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im +Straßenlärm überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie +mußte nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefängnisse und +rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heißt es +wenigstens - den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die +neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam es +auf dem Großen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand, innerhalb +der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen +Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedrängt auf +das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nötigte, sich zu +ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen ehemaligen +Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus +der Menge zu, daß alles, was er beantragt, im Einverständnis mit dem Konsul +geschehen sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, mußte grauen vor +der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war längst nicht +mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des +Rathauses am Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte, +deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit +den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck gefunden +und gleichfalls getötet. Ohne Urteil und Recht starben an diesem Tage vier +Beamte des römischen Volkes. ein Prätor, ein Quästor, zwei Volkstribune und +eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten Familien angehöriger Männer. +Trotz der schweren und blutigen Verschuldungen, die die Häupter auf sich +geladen hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, +die das Hauptheer im Stich läßt und sie nötigt, im verzweifelten Kampf zwecklos +unterzugehen. +</p> + +<p> +Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten, nie die +Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war +das wenigste, daß man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die +jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer +fiel ins Gewicht, daß der einzige Mann, der damals imstande war, der Regierung +gefährlich zu werden, sich selber öffentlich und vollständig vernichtet hatte; +am schwersten, daß die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand +und das Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das +Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhältnisse, teils und +vor allem die grobe Bauernfaust seines unfähigen Nachtreters hatten wieder +aufgelöst, was unter Gaius Gracchus’ gewandter Hand sich zusammenfügte; +allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung oder Glück der Regierung +zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung ist kaum zu erdenken, als wie sie +der Held von Aquae und Vercellae nach jener Katastrophe einnahm - nur um so +kläglicher, weil man nicht anders konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, +der nur wenige Monate zuvor denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer +noch auf demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn +bei der Besetzung der Ämter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal +wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie +er sagte, um ein Gelübde dort zu lösen, in der Tat, um nicht von der +triumphierenden Rückkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge zu +sein; man ließ ihn gehen. Er kam wieder zurück und öffnete sein Haus; seine +Säle standen leer. Immer hoffte er, daß es wieder Kämpfe und Schlachten geben +und man seines erprobten Armes abermals bedürfen werde; er dachte sich im +Osten, wo die Römer allerdings Ursache genug gehabt hätten, energisch zu +intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm +fehl wie jeder andere seiner Wünsche; es blieb tiefer Friede. Und dabei fraß +der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je öfter er getäuscht ward, +immer tiefer sich ein in sein Gemüt; abergläubisch wie er war, nährte er in +seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheißen hatte, +und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen möge, daß dies Wort seine +Erfüllung und er seine Rache bekomme, während er allen, nur sich selbst nicht, +unbedeutend und unschädlich erschien. +</p> + +<p> +Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefährlichen Mannes war die tiefe +Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung des +Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurückließ. Mit der +rücksichtslosesten Härte verurteilten die Rittergerichte jeden, der zu den +oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als +wegen seines Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im +Hause gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das +Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar für +ältere, von den Popularen der Aristokratien zugefügte Unbill wurde nun nicht +ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert. Weil +Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular +Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund +seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die +Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig, sondern ob +sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter +erscheine, bis sie denn doch zuletzt für Freisprechung sich entschieden. War +man auch der Regierung an sich nicht geneigter als früher, so erschien doch +nun, seit man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen +Pöbelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das +bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und +staatsverderberisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem noch elenderen und +noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen relativen +Wert verliehen. So ging jetzt die Strömung, daß die Menge einen Volkstribun +zerriß, der es gewagt hatte, die Rückkehr des Quintus Metellus zu verzögern, +und daß die Demokraten anfingen, ihr Heil zu suchen in dem Bündnis mit Mördern +und Giftmischern, wie sie zum Beispiel des verhaßten Metellus durch Gift sich +entledigten, oder gar in dem Bündnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von +ihnen schon flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im stillen zum +Krieg rüstete gegen Rom. +</p> + +<p> +Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich günstig. Die +römischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den +Bundesgenossenkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren tätig. Ernstlich +gestritten wurde nur in Spanien, wo während der letzten für Rom so schweren +Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter +Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem Jahre +656-661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der nördlichen und der Konsul +Publius Crassus in der südlichen Provinz mit Tapferkeit und Glück nicht bloß +das Obergewicht der römischen Waffen wieder her, sondern schleiften auch die +wiederspenstigen Städte und versetzten, wo es nötig schien, die Bevölkerung der +festen Bergstädte in die Ebenen. Daß um dieselbe Zeit die römische Regierung +auch wieder des ein Menschenalter hindurch vernachlässigten Ostens gedachte und +energischer, als seit langem erhört war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien auftrat, +wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn der Revolution war +das Regiment der Restauration so fest begründet, so populär gewesen. +Konsularische Gesetze lösten die tribunizischen, Freiheitsbeschränkungen die +Fortschrittsmaßregeln ab. Die Kassierung der Gesetze des Saturninus verstand +sich von selbst; die überseeischen Kolonien des Marius schwanden zusammen zu +einer einzigen winzigen Ansiedelung auf der wüsten Insel Korsika. Als der +Volkstribun Sextus Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und +Ballspiel stärker war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent +darin bestand, nachts auf den Straßen die Götterbilder zu zerschlagen, das +Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte, konnte +der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand kassieren, ohne daß +jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte; den Urheber straften, wie +schon erwähnt ward, die Ritter in ihren Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) +machte ein von den beiden Konsuln eingebrachtes Gesetz die übliche +vierundzwanzigtägige Frist zwischen Ein- und Durchbringung eines +Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot, mehrere verschiedenartige +Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen; wodurch die unvernünftige +Ausdehnung der legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschränkt und +offenbare Überrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. +Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Gracchische Verfassung, die den Sturz +ihres Urhebers überdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie +nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese Verfassung +geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die Zwiespältigkeit +der Opposition sie zu Falle bringen zu müssen. Wenn jemals, so war jetzt die +Zeit gekommen, um das unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu +vollenden, um dem Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die +regierende Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt +wiedereinzusetzen. +</p> + +<p> +Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung +der Provinzen, die hauptsächliche Grundlage des senatorischen Regiments, war +von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen +Erpressungen, in dem Maße abhängig geworden, daß der Statthalter die Provinz +nicht mehr für den Senat, sondern für den Kapitalisten- und Kaufmannsstand zu +verwalten schien. Wie bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung +entgegenkam, wenn es um Maßregeln gegen die Demokraten sich handelte, so +unnachsichtlich ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen +Recht freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschränken. Einzelne derartige +Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich +zu fühlen und eben ihre besten Männer hielten sich verpflichtet, der +entsetzlichen Mißwirtschaft in den Provinzen wenigstens für ihre Person +entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola, gleich +seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste +Jurist und einer der vorzüglichsten Männer seiner Zeit. Als prätorischer +Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und gemißhandeltsten unter +allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft mit seinem älteren, als +Offizier, Jurist und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular +Publius Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen +Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu +machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloß die römischen Kaufleute und +Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen, vollen Geldersatz zu leisten, +sondern, als einige ihrer angesehensten und rücksichtslosesten Agenten +todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, ließ er diese, taub gegen +alle Bestechungsanträge, ans Kreuz schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte +sein Verfahren und setzte sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die +Instruktion, daß sie sich die Verwaltungsgrundsätze Scaevolas zum Muster nehmen +möchten; allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und +vielvermögenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefährten vor +Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen Legaten +Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte Rechtschaffenheit, nicht +durch Familienanhang verteidigt war. Die Anklage, daß dieser Mann sich in Asia +habe Erpressungen zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter +ihrer eigenen Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines +gewissen Apicius; allein man ließ dennoch die willkommene Gelegenheit, den +Konsular zu demütigen, nicht vorübergehen, und da dieser, die falsche +Beredsamkeit, die Trauergewänder, die Tränen verschmähend, sich kurz, einfach +und sachlich verteidigte und den souveränen Kapitalisten die begehrte Huldigung +stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt und sein mäßiges Vermögen zur +Befriedigung erdichteter Entschädigungsansprüche eingezogen. Der Verurteilte +begab sich in die angeblich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte +daselbst, von sämtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit +seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Muße die ihm noch übrigen +Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der ärgste, aber keineswegs +der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher Mißbrauch der Justiz +gegen Männer fleckenlosen Wandels, aber neuen Adels erbitterte es die +senatorische Partei, daß der reinste Adel nicht mehr genügte, die etwaigen +Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war Rufus aus dem Lande, als der +angesehenste aller Aristokraten, seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, +der siebzigjährige Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; +nach aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig war. +Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmäßig betrieben zu +werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter schützte mehr vor +den frevelhaftesten und gefährlichsten Angriffen. Die Erpressungskommission +ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre schlimmste Geißel; der +offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur seine Mitthebe gewähren ließ und +sich nicht weigerte, einen Teil der erpreßten Summen den Geschworenen zufließen +zu lassen; aber jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf +Recht und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die +römische Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem kontrollierenden +Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das Richterkollegium in +Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In furchtbarer Weise erfüllte sich +Gaius Gracchus’ ahnungsvolles Wort, daß mit dem Dolche seines +Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich selber zerfleischen werde. +</p> + +<p> +Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei +noch Sinn dafür hatte, daß das Regieren nicht bloß Rechte, sondern auch +Pflichten in sich schließt, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in +sich empfand, mußte sich auflehnen gegen diese erdrückende und entehrende +politische Kontrolle, die jede Möglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von +vornherein abschnitt. Die skandalöse Verurteilung des Rutilius Rufus schien +eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus, +der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an +sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreißig Jahre zuvor +zunächst den Gaius Gracchus gestürzt und später auch als Offizier durch die +Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich +seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung +bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsächlich bewährt. Er gehörte den +Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermögens; auch +der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat - ein energisch stolzer Mann, +der es verschmähte, mit den Ehrenzeichen seiner Ämter sich zu behängen, aber +auf dem Totenbette es aussprach, daß nicht bald ein Bürger wiederkommen werde, +der ihm gleich sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daß der Adel verpflichtet, +die Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten +Leidenschaft seines Gemütes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und +Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er bei den +geringen Leuten, denen seine Tür und sein Beutel immer offenstanden, mehr +geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persönliche +Würde seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand er +nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung +in dem Prozeß wegen Erpressungen den Drusus öffentlich aufzufordern, Hand zu +legen an die Reform der Geschworenenordnung; er sowie der berühmte Redner +Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die +Miturheber seiner Anträge. Indes die Masse der regierenden Aristokratie dachte +keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an +entschiedenen Anhängern der Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich +bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie +früher die Sache der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und +Klugheit verfocht, und der verwegene und rücksichtslose Quintus Caepio, den +zunächst die persönliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus zu dieser +Opposition bestimmte. Allein gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war +die feige und faule Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber +allein geplündert hätte, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den +Rittern die Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes +gegen die übermütigen Kapitalisten zu übernehmen, es viel billiger und bequemer +fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fußfall oder +auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte zeigen, +wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureißen, ohne die es nun einmal +nicht möglich war, zum Ziele zu gelangen. +</p> + +<p> +Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Bürgern vom Ritterzensus +zu entziehen und sie dem Senat zurückzugeben, welcher zugleich durch Aufnahme +von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt werden sollte, den vermehrten +Obliegenheiten zu genügen; zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der +Bestechlichkeit sich schuldig gemacht hätten oder schuldig machen würden, +sollte eine eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der +nächste Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu +berauben und sie für die verübte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes +Drusus’ Anträge und Absichten beschränkten sich hierauf keineswegs; seine +Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaßregeln, sondern ein umfassender und +durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die Getreideverteilung zu +erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die dauernde Emission einer +verhältnismäßigen Zahl von kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, +sodann das gesamte noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die +Kampanische Domäne, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von +Bürgerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen +Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das römische +Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von aristokratischer Seite +ebendieselben Herrschaftsstützen und ebendieselben Reformgedanken, auf denen +Gaius Gracchus’ Verfassung beruht hatte - ein seltsames und doch sehr +begreifliches Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daß, wie die Tyrannis +gegen die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf das +besoldete und gewissermaßen organisierte Proletariat; hatte die Regierung +früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als ein unvermeidliches +Übel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe, wenigstens für den +Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu gebrauchen. Es war nur in der +Ordnung, daß der bessere Teil der Aristokratie, ebenwie ehemals auf das +Ackergesetz des Tiberius Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle +diejenigen Reformmaßregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu berühren, nur +darauf abzweckten, die alten Schäden des Staats auszuheilen. In der +Emigrations- und Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die +Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf dem freien +Schalten über die Provinzen und durch jedes dauernde militärische Kommando +gefährdet ward; die Gedanken, Italien und die Provinzen gleichzustellen und +jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen mit den konservativen Prinzipien sich +nicht. Allein die launischen und selbst die kampanischen Domänen so wie +Sizilien konnte der Senat recht wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand +zu heben und dennoch die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, +daß man künftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, daß +alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung +gebracht ward und für künftige Demagogen, nach Drusus’ eigenem Ausdruck, +nichts zu verteilen übrig blieb als der Gassenkot und das Morgenrot. Ebenso war +es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch sein oder eine geschlossene +Anzahl herrschender Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum +römischen Bürgerverband gehörte; und daher mußten wohl beiderseits die +reformierenden Männer sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmäßige und +rechtzeitige Erstreckung des Bürgerrechts die Gefahr abzuwenden, daß die +Insurrektion von Fregellae in größerem Maßstab wiederkehre, nebenher auch an +den zahl- und einflußreichen Italikern sich Bundesgenossen für ihre Pläne +suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden +großen politischen Parteien sich schieden, so vielfach berührten sich in den +Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten Männer aus +beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des +Tiberius Gracchus wie unter den Förderern seiner Reformbestrebungen genannt +werden kann, so war auch Drusus der Nachfolger und Schüler nicht minder als der +Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen +Reformatoren waren sich ähnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch +persönlich beide nicht unwert, über dem trüben Nebel des befangenen +Parteitreibens in reineren und höheren Anschauungen sich mit dem Kern ihrer +patriotischen Bestrebungen zu begegnen. +</p> + +<p> +Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von +denen übrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen +Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das römische Bürgerrecht zu verleihen, +vorläufig zurückhielt und zunächst nur das Geschworenen-, Acker- und +Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und +würde bei der Unentschlossenheit des größten Teils der Aristokratie und der +Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des Geschworenengesetzes +durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung gekommen wäre. Drusus faßte +deshalb seine sämtlichen Anträge in einen einzigen zusammen; und indem also +alle bei den Getreide- und Landverteilungen interessierten Bürger genötigt +wurden, auch für das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und +durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten +großen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest zu +Drusus standen, das Gesetz durchzubringen - freilich erst, nachdem Drusus den +Konsul Philippus, der nicht aufhörte zu widerstreben, hatte verhaften und durch +den Büttel in den Kerker abführen lassen. Das Volk feierte den Tribun als +seinen Wohltäter und empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; +allein die Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen +anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als +dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der +Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus +diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die +Majorität des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den Antrag +zurück. Der Konsul erklärte darauf auf offenem Markte, daß mit einem solchen +Senat zu regieren nicht möglich sei und er sich nach einem anderen Staatsrat +umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von +Drusus deswegen berufen, sprach nach stürmischen Verhandlungen gegen den Konsul +ein Tadels- und Mißtrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem +großen Teil der Majorität die Angst vor der Revolution zu regen, mit der sowohl +Philippus als ein großer Teil der Kapitalisten zu drohen schien. Andere +Umstände kamen hinzu. Einer der tätigsten und angesehensten unter Drusus’ +Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb plötzlich wenige Tage nach +jener Senatssitzung (September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern +angeknüpften Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten +mitgeteilt hatte, wurden allmählich ruchbar, und in das wütende Geschrei über +Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten +Männer der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmütige Warnung, die er dem +Konsul Philippus zukommen ließ, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den +von den Italikern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente nur dazu, ihn +weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er in die unter den +Italikern gärenden Verschwörungen verwickelt war. Immer heftiger drängte +Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majorität +in der Verteidigung desselben. Bald erschien die Rückkehr zu den früheren +Verhältnissen der großen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als +der einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluß wegen formeller Mängel erfolgte. +Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu +erinnern, daß der Senat also selbst die verhaßten Rittergerichte +wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluß durch +Interzession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die +Kapitalistenpartei war vollständig abgeschlagen, und willig oder unwillig fügte +man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnügte sich +nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seinem Hausflur die wie +gewöhnlich ihn begleitende Menge eben verabschieden wollte, stürzte er +plötzlich vor dem Bilde seines Vaters zusammen; eine Mörderhand hatte ihn +getroffen und so sicher, daß er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der +Täter war in der Abenddämmerung verschwunden, ohne daß jemand ihn erkannt +hatte, und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte +derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die Aristokratie sich +selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die +demokratischen Reformatoren weggerafft hatte, war auch dem Gracchus der +Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine tiefe und traurige Lehre. An dem +Widerstand oder an der Schwäche der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst +wenn der Versuch zu reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine +Kraft und sein Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu +stürzen, die Emigration zu organisieren, den drohenden Bürgerkrieg abzuwenden; +er sah noch selbst die Kaufleute unumschränkter regieren als je, sah alle seine +Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewußtsein, daß seid jäher Tod das +Signal zu dem fürchterlichsten Bürgerkrieg sein werde, der je das schöne +italische Land verheert hat. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/> +Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution</h2> + +<p> +Seitdem mit Pyrrhos’ Überwindung der letzte Krieg, den die Italiker für +ihre Unabhängigkeit geführt hatten, zu Ende gegangen war, das heißt seit fast +zweihundert Jahren, hatte jetzt das römische Prinzipat in Italien bestanden, +ohne daß es selbst unter den gefährlichsten Verhältnissen ein einziges Mal in +seiner Grundlage geschwankt hätte. Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der +Barleiden, vergeblich die Nachfolger des großen Alexander und der Achämeniden +versucht, die italische Nation zum Kampf aufzurütteln gegen die übermächtige +Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am Guadalquivir und +an der Medscherda, am Tempepaß und am Sipylos erschienen und hatte mit dem +besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die Untertänigkeit dreier Weltteile +erfechten helfen. Ihre eigene Stellung indessen hatte sich wohl verändert, aber +eher verschlechtert als verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich +im allgemeinen nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere +Grundbesitzer durch ganz Italien infolge der unverständigen römischen +Korngesetzgebung litt, so gediehen dafür die größeren Gutsherren und mehr noch +der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker hinsichtlich der +finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen denselben Schutz und +dieselben Vorrechte genossen wie die römischen Bürger und also die materiellen +Vorteile des politischen Übergewichts der Römer großenteils auch ihnen zugute +kamen. Überhaupt waren die wirtschaftlichen und sozialen Zustände Italiens +nicht zunächst abhängig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise +bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der freie +Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentäler, in denen derselbe +noch leidlich und zum Teil fast unberührt sich erhalten hatte - ähnlich wie +sich gleiche Verschiedenheit auch in den verschiedenen römischen +Bürgerdistrikten nachweisen läßt. Dagegen die politische Zurücksetzung ward +immer herber, immer schroffer. Wohl fand ein förmlicher unverhüllter +Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche +unter dem Namen der Souveränität den italischen Gemeinden vertragsmäßig +zustand, wurde von der römischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, +den die römische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den +besser gestellten Gemeinden verbrieften römischen Domänen machte, hatte nicht +bloß die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom ernstlich bekämpft, +sondern auch die römische Opposition selbst sehr bald aufgegeben. Allein die +Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde zustanden und zustehen mußten, +die oberste Leitung des Kriegswesens und die Oberaufsicht über die gesamte +Verwaltung, wurden in einer Weise ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als +wenn man die Bundesgenossen geradezu für rechtlose Untertanen erklärt hätte. +Die zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, +welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen +sämtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein; von der +wichtigsten, der Abschaffung der standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiß +und der Eindruck leicht zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg +geschah, angesehene latinische Offiziere nach Urteil des römischen Kriegsrats +enthauptet wurden, dem letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht +zustand, an die bürgerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In welchem +Verhältnis die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst +angezogen werden sollten, war vertragsmäßig wie billig unbestimmt geblieben; +allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl +Soldaten gestellt hatten, wurden jetzt, obwohl das Bevölkerungsverhältnis +wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nachteil der Bürgerschaft sich verändert +hatte, die Forderungen an die Bundesgenossen allmählich unverhältnismäßig +gesteigert, so daß man ihnen teils den schwereren und kostbareren Dienst +vorzugsweise aufbürdete, teils jetzt regelmäßig auf einen Bürger zwei +Bundesgenossen aushob. Ähnlich wie die militärische Oberleitung wurde die +bürgerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluß der davon kaum zu trennenden +obersten Administrativjurisdiktion die römische Regierung stets und mit Recht +über die abhängigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise +ausgedehnt, daß die Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der +Willkür eines jeden der zahllosen römischen Beamten schutzlos preisgegeben +sahen. In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstädte, hatte ein +Konsul den Bürgermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruten +stäupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu baden verlangte, +die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten und +ihr das Bad nicht sauber erschienen war. Ähnliche Auftritte waren in +Ferentinum, gleichfalls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten und +wichtigen latinischen Kolonie Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie +Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen +römischen Diplomaten wegen eines Spaßes, den er sich über dessen Sänfte erlaubt +hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Sänfte zu Tode +gepeitscht worden. Dieser Vorfälle wird um die Zeit des fregellanischen +Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen Zweifel, daß ähnliche +Unrechtfertigkeiten häufig vorkamen und ebensowenig, daß eine ernstliche +Genugtuung für solche Missetaten nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht +leicht ungestraft verletzte Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des +römischen Bürgers einigermaßen schützte. Es konnte nicht fehlen, daß infolge +dieser Behandlung der Italiker seitens der römischen Regierung die Spannung, +welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den sonstigen +italischen Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte, wenn nicht verschwand, so +doch nachließ. Die Zwingburgen Roms und die durch die Zwingburgen in Gehorsam +erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem gleichen Druck; der Latiner +konnte den Picenter daran erinnern, daß sie beide in gleicher Weise “den +Beilen unterworfen” seien; die Vögte und die Knechte von ehemals +vereinigte jetzt der gemeinsame Haß gegen den gemeinsamen Zwingherrn. +</p> + +<p> +Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundesgenossen aus einem +leidlichen Abhängigkeitsverhältnis umgeschlagen war in die drückendste +Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren +Rechts genommen worden. Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die römische +Bürgerschaft sich abgeschlossen und die Erteilung des Bürgerrechts an ganze +Gemeinden vollständig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr beschränkt. +Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit der die Erstreckung +des römischen Bürgerrechts auf ganz Italien bezweckenden Agitation in den +Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das Übersiedlungsrecht selbst an und wies +geradezu die sämtlichen in Rom sich aufhaltenden Nichtbürger durch Volks- und +Senatbeschluß aus der Hauptstadt aus - eine ebenso durch ihre Illiberalität +gehässige wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefährliche +Maßregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Römern früher +gestanden hatten teils als bevormundete Brüder, mehr beschützt als beherrscht +und nicht zu ewiger Unmündigkeit bestimmt, teils als leidlich gehaltene und der +Hoffnung auf die Freilassung nicht völlig beraubte Knechte, so standen sie +jetzt sämtlich ungefähr in gleicher Untertänigkeit und gleicher +Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und Beilen ihrer Zwingherren und durften +höchstens als bevorrechtete Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren +empfangenen Fußtritte an die armen Provinzialen weiterzugeben. +</p> + +<p> +Es liegt in der Natur solcher Zerwürfnisse, daß sie anfangs, zurückgehalten +durch das Gefühl der nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich +überdauerter Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmählich +der Riß sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich ihre +Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht als ihre +Furcht, das unverhohlene Gewaltverhältnis sich offenbart. Bis zu der Empörung +und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die gleichsam offiziell den +veränderten Charakter der römischen Herrschaft konstatierte, trug die Gärung +unter den Italikern nicht eigentlich einen revolutionären Charakter. Das +Begehren nach Gleichberechtigung hatte allmählich sich gesteigert von stillem +Wunsch zu lauter Bitte, nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener +abgewiesen zu werden. Sehr bald konnte man erkennen, daß eine gutwillige +Gewährung nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, +wird nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung ließ den Gedanken, +diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das Zahlenverhältnis +der Bürger und Nichtbürger in Italien sich nicht gehörig ermitteln läßt, so +kann es doch als ausgemacht gelten, daß die Zahl der Bürger nicht sehr viel +geringer war als die der italischen Bundesgenossen und auf ungefähr 400000 +waffenfähige Bürger mindestens 500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen +kamen ^1. Solange bei einem solchen Verhältnis die Bürgerschaft einig und kein +nennenswerter äußerer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner +Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und +Privatverhältnisse mit Rom verknüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem +gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäßiger Klugheit es der +Regierung nicht fehlen, die schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils +durch die kompakte Masse der Bürgerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen +Hilfsmittel, die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere +zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution +Rom zu erschüttern begann; sowie aber diese ausgebrochen war, griffen auch sie +ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine oder die +andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache +gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich +wenig erreicht. Sie hatten sich überzeugen müssen, daß zwar die besten Männer +beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, +daß aber diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich wenig +vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu verschaffen. +Sie hatten es mitangesehen, wie die begabtesten, energischsten, gefeiertsten +Staatsmänner Roms in demselben Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker +auftraten, sich von ihren eigenen Anhängern verlassen gefunden hatten und +deshalb gestürzt worden waren. In all den Wechselfällen der dreißigjährigen +Revolution und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, +aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige +Engherzigkeit saß ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgänge hatten es +deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die Berücksichtigung ihrer +Ansprüche von Rom erwarteten. Solange sich die Begehren der Italiker mit denen +der Revolutionspartei gemischt hatten und bei dieser an dem Unverstand der +Massen gescheitert waren, konnte man sich noch dem Glauben überlassen, als sei +die Oligarchie nur den Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich +gesinnt gewesen, als sei noch eine Möglichkeit vorhanden, daß der +intelligentere Staat die mit dem Wesen der Oligarchie verträgliche und dem +Senat heilsame Maßregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, +in denen der Senat wieder fast unumschränkt regierte, hatten über die Absichten +auch der römischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit verbreitet. Statt +der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein konsularisches Gesetz, +das den Nichtbürgern aufs strengste untersagte, des Bürgerrechts sich +anzumaßen, und die Kontravenienten mit Untersuchung und Strafe bedrohte - ein +Gesetz, das eine große Anzahl der angesehensten und bei der +Gleichberechtigungsfrage am meisten interessierten Personen aus den Reihen der +Römer in die der Italiker zurückwarf und das in seiner juristischen +Unanfechtbarkeit und staatsmännischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie +steht mit jener berühmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung +Nordamerikas vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die nächste Ursache +des Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, daß die Urheber dieses +Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten +gehörten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein verehrte, +freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum Rechtsgelehrten und vom +Verhängnis zum Staatsmann bestimmte Quintus Scaevola, welcher durch seine +ebenso ehrenwerte als schädliche Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat +und Rittern und dann den zwischen Römern und Italikern mehr als irgendein +zweiter entzündet hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und +Bundesgenosse des Drusus und überhaupt einer der gemäßigtsten und +einsichtigsten Optimaten. Inmitten der heftigen Gärung, die dies Gesetz und die +daraus entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien +den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus Drusus. +Was fast unmöglich gedünkt hatte, daß ein Konservativer die reformatorischen +Gedanken der Gracchen aufnehmen und die Gleichberechtigung der Italiker +durchfechten werde, war nun dennoch eingetreten; ein hocharistokratischer Mann +hatte sich entschlossen, zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis +an die Alpen hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten +Eifer, all seine zuverlässige Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu +setzen. Ober wirklich, wie erzählt wird, sich an die Spitze eines Geheimbundes +gestellt hat, dessen Fäden durch ganz Italien liefen und dessen Mitglieder sich +eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen für Drusus und die gemeinschaftliche +Sache, ist nicht auszumachen; aber wenn er auch nicht zu so gefährlichen und in +der Tat für einen römischen Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten +hat, so ist es doch sicher nicht bei allgemeinen Verheißungen geblieben und +sind, wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen Namen hin +bedenkliche Verbindungen geknüpft worden. Jubelnd vernahm man in Italien, daß +Drusus unter Zustimmung der großen Mehrheit des Senats seine ersten Anträge +durchgesetzt habe; mit noch größerem Jubel feierten alle Gemeinden Italiens +nicht lange darauf die Genesung des plötzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber +wie Drusus’ weitere Absichten sich enthüllten, wechselten die Dinge; er +konnte nicht wagen, das Hauptgesetz einzubringen; er mußte verschieben, mußte +zögern, mußte bald zurückweichen. Man vernahm, daß die Majorität des Senats +unsicher werde und von ihrem Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief +durch die Gemeinden Italiens die Kunde, daß das durchgebrachte Gesetz kassiert +sei, daß die Kapitalisten unumschränkter schalteten als je, daß der Tribun von +Mörderhand getroffen, daß er tot sei (Herbst 663 91). +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70) +entnommen; waffenfähige Bürger zählte man in jenem Jahr 394336, in diesem +910000 (nach Phlegon fr. 13 Müller, welchen Satz Clinton und dessen +Ausschreiber fälschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen; nach Liv. ep. 98 +wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Köpfe gezählt). Die einzige +zwischen diesen beiden bekannte Zählungsziffer, die des Zensus von 668 (86), +der nach Hieronymus 463000 Köpfe ergab, ist wohl nur deshalb so gering +ausgefallen, weil er mitten in der Krise der Revolution stattfand. Da ein +Steigen der Bevölkerung Italiens in der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht +denkbar ist, und selbst die Sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der +Krieg gerissen, höchstens gedeckt haben können, so darf der Überschuß von +reichlich 500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte +Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indes ist es möglich und +sogar wahrscheinlich, daß in diesen verhängnisvollen Jahren der Gesamtstand der +italischen Bevölkerung vielmehr zurückging; rechnet man das Gesamtdefizit auf +100000 Waffenfähige, was nicht übertrieben erscheint, so kommen für die Zeit +des Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Bürger drei Nichtbürger. +</p> + +<p> +2 Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: “Ich +schwöre bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der römischen Vesta und bei dem +angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der nährenden Erde und +bei den göttlichen Gründern und Mehrern (den Penaten) der Stadt Rom, daß mir +Freund sein soll und Feind sein soll, wer Freund und Feind ist dem Drusus; +ingleichen daß ich weder meines eigenen noch des Lebens meiner Kinder und +meiner Eltern schonen will, außer insoweit es dem Drusus frommt und den +Genossen dieses Eides. Wenn ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des +Drusus, so will ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den größten +meiner Wohltäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbürger, als +ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl, schwöre ich falsch, so +gehe es mir übel!” +</p> + +<p> +Indes wird man Wohltun, diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er rührt +entweder her aus den gegen Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die +sinnlose, von dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Überschrift +‘Eid des Philippus’ zu führen scheint) oder im besten Fall aus den +später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen Kriminalprozeßakten; und +auch bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel aus den +Inkulpaten heraus- oder in sie hineininquiriert ward. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +Die letzte Hoffnung, durch Vertrag die Aufnahme in den römischen Bürgerverband +zu erlangen, ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu +dieser konservative und energische Mann unter den günstigsten Verhältnissen +seine eigene Partei nicht hatte bestimmen können, dazu war überhaupt auf dem +Wege der Güte nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur die Wahl, entweder +geduldig sich zu fügen oder den Versuch, der vor fünfunddreißig Jahren durch +die Zerstörung von Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal und +womöglich mit gesamter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu +vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu +erzwingen. Es war dieser letztere Entschluß freilich ein Entschluß der +Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen +Stadtgemeinden gegen die römische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser +erscheinen als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstädte gegen das Britische +Imperium; allem Anschein nach konnte die römische Regierung mit mäßiger +Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung das Schicksal der +früheren bereiten. Allein war es etwa minder ein Entschluß der Verzweiflung, +wenn man stillsaß und die Dinge über sich kommen ließ? Wenn man sich erinnerte, +wie die Römer ungereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu +erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen Stadt mit Drusus in +einem Einverständnis gestanden hatten oder haben sollten - beides war +hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu gegen die jetzt +siegreiche Partei gerichtet und füglich als Hochverrat zu qualifizieren war? +Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja allen, die nur der +Teilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb keine andere Wahl, als den +Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter das Henkerbeil zu beugen. Es kam +hinzu, daß für eine allgemeine Schilderhebung durch ganz Italien der +gegenwärtige Augenblick noch verhältnismäßig günstige Aussichten darbot. Wir +sind nicht genau darüber unterrichtet, inwieweit die Römer die Sprengung der +größeren italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hatten; es ist indes nicht +unwahrscheinlich, daß die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die Samniten +und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch bedeutungslos +gewordenen, zum Teil wohl auf bloße Fest- und Opfergemeinschaft zurückgeführten +Gemeindebünden zusammenstanden. Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt +noch an diesen Verbänden einen Stützpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die +Römer ebendarum dazu schreiten würden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund +ferner, an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches +oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und gewährte für +die politische Organisation des Aufstandes einen wichtigen Anhalt, während die +militärische daran anknüpfen konnte, daß jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen +und erprobte Soldaten besaß. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich +gefaßt. Man vernahm wohl davon, daß unruhige Bewegungen in Italien stattfänden +und die bundesgenössischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr +unterhielten; aber statt schleunigst die Bürger unter die Waffen zu rufen, +begnügte das regierende Kollegium sich damit, in herkömmlicher Art die Beamten +zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um etwas Genaueres zu +erfahren. Die Hauptstadt war so völlig unverteidigt, daß ein entschlossener +marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, einer von den vertrautesten +Freunden des Drusus, den Plan entworfen haben soll, an der Spitze einer Schar +zuverlässiger, unter den Gewändern Schwerter führender Männer sich in dieselbe +einzuschleichen und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemächtigen. Ein +Aufstand bereitete also sich vor; Verträge wurden geschlossen, die Rüstungen +still und tätig betrieben, bis endlich, wie gewöhnlich noch etwas früher, als +die leitenden Männer beabsichtigt hatten, durch einen Zufall die Insurrektion +zum Ausbruch kam. Der römische Prätor mit prokonsularischer Gewalt Gaius +Servilius, durch seine Kundschafter davon benachrichtigt, daß die Stadt Asculum +(Ascoli) in den Abruzzen an die Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit +seinem Legaten Fonteius und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben +zur Feier der großen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde +Drohrede. Der Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkündigung der nur zu +ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten +aufgehäuften Zunder des erbitterten Hasses; die römischen Beamten wurden im +Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als gelte es, durch +einen furchtbaren Frevel jede Brücke der Versöhnung abzubrechen, die Tore auf +Befehl der Obrigkeit geschlossen, die sämtlichen in Asculum verweilenden Römer +niedergemacht und ihre Habe geplündert. Wie die Flamme durch die Steppe lief +die Empörung durch die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk +der Marser in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in +den Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der schon +genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der Bewegung. Von +den Marsern wurde zuerst den Römern förmlich abgesagt, wonach späterhin dem +Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen Beispiel folgten die +samnitischen und überhaupt die Masse der Gemeinden vom Liris und den Abruzzen +bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so daß bald in ganz Mittel- und +Süditalien gegen Rom gerüstet ward. Die Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu +Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern zusammengehalten hatten gegen +Drusus. Es ist bezeichnend, daß in diesen Landschaften seit alten Zeiten die +Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand gänzlich +verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich reiner +und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der Bauern- und +überhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand wesentlich +hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand +ging mit der hauptsächlichen Regierung. Danach ist es auch leicht erklärlich, +daß in den aufständischen Distrikten einzelne Gemeinden und in den +aufständischen Gemeinden Minoritäten festhielten an dem römischen Bündnis; wie +zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna für Rom eine schwere Belagerung aushielt +und ein im Hirpinerland gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von +Aeclanum die römischen Operationen in Kampanien unterstützte. Endlich hielten +fest an Rom die am besten gestellten bundesgenössischen Gemeinden, in +Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestädte Neapolis und +Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien, wie zum +Beispiel Alba und Aesernia - ebenwie im Hannibalischen Kriege die latinischen +und die griechischen Städte im ganzen für die sabellischen gegen Rom Partei +genommen hatten. Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die +aristokratische Gliederung gegründet und mit geschickter Abstufung der +Abhängigkeiten die schlechter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts, +innerhalb jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die Munizipalaristokratie +in Untertänigkeit gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten +Regiment der Oligarchie, erprobte es sich vollständig, wie fest und gewaltig +die Staatsmänner des vierten und fünften Jahrhunderts ihre Werksteine +ineinandergefügt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach erschütterte +Bau noch aus. Freilich war damit, daß die besser gestellten Städte nicht auf +den ersten Stoß von Rom ließen, noch keineswegs gesagt, daß sie auch jetzt, wie +im Hannibalischen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen ausdauern +würden, ohne in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch +nicht überstanden. +</p> + +<p> +Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei große Heerlager +auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, noch gar viel an einer +allgemeinen Schilderhebung der italischen Bundesgenossenschaft; dennoch hatte +die Insurrektion schon eine vielleicht die Hoffnungen der Führer selbst +übertreffende Ausdehnung gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Übermut +daran denken, der römischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie +sandten Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den +Bürgerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der Gemeinsinn, der +so lange in Rom vermißt worden war, schien plötzlich wiedergekehrt zu sein, nun +es sich darum handelte, einem gerechten und jetzt auch mit ansehnlicher Macht +unterstützten Begehren der Untertanen mit starrer Borniertheit in den Weg zu +treten. Die nächste Folge der italischen Insurrektion war, ähnlich wie nach den +Niederlagen, die die Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte, +die Eröffnung eines Prozeßkrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache +nahm an denjenigen Männern der Regierung, in denen man, mit Recht oder Unrecht, +die nächste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des Tribuns Quintus +Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten und trotz der tribunizischen +Interzession eine besondere Hochverratskommission, natürlich aus dem mit +offener Gewalt für diesen Antrag kämpfenden Ritterstand, niedergesetzt zur +Untersuchung der von Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom, +weitverzweigten Verschwörung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und +die jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und +erschreckten Bürgerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien. Die +Urteile dieser Kommission räumten stark auf in den Reihen der senatorischen +Vermittlungspartei; unter andern namhaften Männern ward Drusus’ genauer +Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die Verbannung gesandt, und mit +Not entging der greise Marcus Scaurus dem gleichen Schicksal. Der Verdacht +gegen die den Reformen des Drusus geneigten Senatoren ging soweit, daß bald +nachher der Konsul Lupus aus dem Lager an den Senat berichtete über die +Verbindungen, die zwischen den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde +beständig unterhalten würden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das +Aufgreifen marsischer Spione als unbegründet auswies. Insofern konnte der König +Mithradates nicht mit Unrecht sagen, daß der Hader der Faktionen ärger als der +Bundesgenossenkrieg selbst den römischen Staat zerrüttete. Zunächst indes +stellte der Ausbruch der Insurrektion und der Terrorismus, den die +Hochverratskommission übte, wenigstens einen Schein her von Einigkeit und +Kraft. Die Parteifehden schwiegen; die fähigen Offiziere aller Farben, +Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus +wie Publius Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfügung; die +Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch Volksbeschluß +wesentlich beschränkt, um die finanziellen Kräfte des Staates für den Krieg +zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir, als bei der drohenden Stellung des +Königs Mithradates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand geraten und +damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes versiegen konnte; die +Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluß des +Senats vorläufig ihre Tätigkeit ein; alle Geschäfte stockten und man dachte an +nichts als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. +</p> + +<p> +Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren +Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere +Aufgabe zu lösen, sich während des Kampfes politisch zu organisieren. In dem +inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und vestinischen Gaue, +also im Herzen der insurgierten Landschaften belegenen Gebiete der Päligner, in +der schönen Ebene an dem Pescarafluß ward die Stadt Corfinium auserlesen zum +Gegen-Rom oder zur Stadt Italia, deren Bürgerrecht den Bürgern sämtlicher +insurgierter Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Größe Markt +und Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern erhielt den +Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des Kriegswesens. +Nach seiner Anordnung erlas die Bürgerschaft aus den Männern senatorischen +Ranges zwei Konsuln und zwölf Prätoren, die ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs +Prätoren die höchste Amtsgewalt in Krieg und Frieden .übernahmen. Die +lateinische Sprache, die damals schon bei den Marsern und Picentern die +landübliche war, blieb in offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die +samnitische als die im südlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur +Seite und beider bediente man sich abwechselnd auf den Silbermünzen, die man +nach römischen Mustern und nach römischem Fuß auf den Namen des neuen +italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten von Rom +ausgeübte Münzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus diesen Bestimmungen +hervor, was sich freilich schon von selbst versteht, daß die Italiker jetzt +nicht mehr sich Gleichberechtigung von den Römern zu erstreiten, sondern diese +zu vernichten oder zu unterwerfen und einen neuen Staat zu bilden gedachten. +Aber es geht daraus auch hervor, daß ihre Verfassung nichts war als ein reiner +Abklatsch der römischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den +italischen Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine +Stadtordnung statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher +Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die römischen Komitien es waren, mit +einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie in sich trug +wie der römische Senat, mit einer in gleicher Art durch eine Vielzahl +konkurrierender höchster Beamten ausgeübten Exekutive - es geht diese +Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie zum Beispiel der Konsul- oder +Prätortitel des höchstkommandierenden Magistrats auch von den Feldherren der +Italiker nach einem Siege vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es ändert +sich eben nichts als der Name, ganz wie auf den Münzen der Insurgenten dasselbe +Götterbild erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet. +Nur darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom von +dem ursprünglichen, daß das letztere denn doch eine städtische Entwicklung +gehabt und seine unnatürliche Zwischenstellung zwischen Stadt und Staat +wenigstens auf natürlichem Wege sich gebildet hatte, wogegen das neue Italia +gar nichts war als der Kongreßplatz der Insurgenten und durch eine reine +Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt +gestempelt wurden. Bezeichnend aber ist es, daß hier, wo die plötzliche +Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen +Einheit den Gedanken einer Repräsentativverfassung im modernen Sinn so +nahelegte, doch von einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigt 3 und +nur die kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher +reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie hier, daß +dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von dem Auftreten des +souveränen Volkes in eigener Person in den Urversammlungen oder von der Stadt, +und daß der große Grundgedanke des heutigen republikanisch-konstitutionellen +Staates: die Volkssouveränität auszudrücken durch eine +Repräsentantenversammlung, dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding +wäre, ganz und vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung, +obwohl sie in den gewissermaßen repräsentativen Senaten und in dem Zurücktreten +der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich nähert, hat doch weder als Rom +noch als Italia jemals die Grenzlinie zu überschreiten vermocht. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +3 Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5, +4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum Beispiel +der letztere ausdrücklich sagt, daß die Bürgerschaft die Beamten wählte. Daß +der Senat von Italia in anderer Weise gebildet werden und andere Kompetenz +haben sollte als der römische, ist wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. +Man wird bei der ersten Zusammensetzung natürlich für eine einigermaßen +gleichmäßige Vertretung der insurgierten Städte gesorgt haben; allein daß die +Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, ist +nirgends überliefert. Ebensowenig schließt der Auftrag an den Senat, die +Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den Beamten und die +Ratifikation durch die Volksversammlung aus. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +So begann wenige Monate nach Drusus’ Tode im Winter 663/64 (91/90) der +Kampf, wie eine der Insurgentenmünzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers +gegen die römische Wölfin. Beiderseits rüstete man eifrig; in Italia wurden +große Vorräte an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehäuft; in Rom bezog man aus den +Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorräte und setzte für +alle Fälle die lange vernachlässigten Mauern in Verteidigungszustand. Die +Streitkräfte waren einigermaßen gleich gewogen. Die Römer füllten die Lücken in +den italischen Kontingenten teils durch gesteigerte Aushebung aus der +Bürgerschaft und aus den schon fast ganz romanisierten Bewohnern der +Keltenlandschaften diesseits der Alpen, von denen allein bei der kampanischen +Armee 10000 dienten 4, teils durch die Zuzüge der Numidier und anderer +überseeischer Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und +kleinasiatischen Freistädte eine Kriegsflotte zusammen 5. Beiderseits wurden, +ohne die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemacht 6 und an +Tüchtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die Italiker +hinter den Römern in nichts zurück. Die Führung des Krieges war für die +Insurgenten wie für die Römer deswegen sehr schwierig, weil das aufständische +Gebiet sehr ausgedehnt und eine große Zahl zu Rom haltender Festungen in +demselben zerstreut war; so daß einerseits die Insurgenten sich genötigt sahen, +einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer +ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden, andrerseits die Römer nicht wohl anders +konnten, als die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen +insurgierten Landschaften zu bekämpfen. Militärisch zerfiel das insurgierte +Land in zwei Hälften: in der nördlichen, die von Picenum und den Abruzzen bis +an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden Distrikte +umfaßte, übernahmen italischerseits der Marser Quintus Silo, römischerseits +Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den Oberbefehl; in der südlichen, +welche Kampanien, Samnium und überhaupt die sabellisch redenden Landschaften in +sich schloß, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius +Mutilus, als römischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden +Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf +Unterbefehlshaber zur Seite, so daß ein jeder von diesen in einem bestimmten +Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber +die Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen. Die +angesehensten römischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus +Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und +Publius Crassus, stellten für diese Posten den Konsuln sich zur Verfügung; und +wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen +hatte, so bewies doch der Erfolg, daß ihre Führer den römischen militärisch in +nichts nachstanden. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +4 Die Schleuderbleie von Asculum beweisen, daß auch im Heere des Strabo die +Gallier sehr zahlreich waren. +</p> + +<p> +5 Wir haben noch einen römischen Senatsbeschluß vom 22. Mai 676 (78), welcher +dreien griechischen Schiffskapitänen von Karystos, Klazomenä und Miletos für +die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste +bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die +Nachricht Memnons, daß von Herakleia am Schwarzen Meer für den Italischen Krieg +zwei Trieren aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben +heimgekehrt seien. +</p> + +<p> +6 Daß diese Angaben Appians nicht übertrieben ist, beweisen die Schleuderbleie +von Asculum, die unter anderen die fünfzehnte Legion nennen. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf +seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es +fällt auf, daß weder die Römer ihre Truppen zusammennahmen, um einen +überlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszuführen, noch die Insurgenten den +Versuch machten, in Latium einzurücken und sich auf die feindliche Hauptstadt +zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen Verhältnissen zu wenig +bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders hätte handeln können und +inwieweit die Schlaffheit der römischen Regierung einer- und die lose +Verbindung der föderierten Gemeinden andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in +der Kriegführung beigetragen haben. Es ist begreiflich, daß bei diesem System +es wohl zu Siegen und Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer +endgültigen Erledigung; nicht minder aber auch, saß von einem solchen Krieg, +der in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald +kombiniert operierender Korps sich auflöste, aus unserer beispiellos +trümmerhaften Überlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen läßt. +</p> + +<p> +Der erste Sturm traf selbstverständlich die in den insurgierten Landschaften zu +Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore schlossen und die bewegliche +Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, +das feste Alba, Mutilus auf die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt +Aesernia: dort wie hier trafen sie auf den entschlossensten Widerstand. +Ähnliche Kämpfe mögen im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria, +Benevent, Nola, Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere +sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem die +Südarmee unter Caesar in der größtenteils noch zu Rom haltenden kampanischen +Landschaft sich im Frühjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit seinem für die +Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die bedeutenderen Bundesstädte +mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur Offensive überzugehen und den +kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus Marcellus und Publius Crassus +vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den +Samniten und den Marsern unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust +zurückgewiesen, und die wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den +Insurgenten, denen sie die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den +Abfall dieser Stadt, die auf der Heerstraße von Kampanien nach Samnium lag, war +Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung sah sich +jetzt ausschließlich auf den Mut und die Ausdauer ihrer Verteidiger und ihres +Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte ein Streifzug, den Sulla mit +derselben kühnen Verschlagenheit wie vor Jahren den Zug zu Bocchus glücklich zu +Ende führte, den bedrängten Aeserninern für einen Augenblick Luft; allein +dennoch wurden sie nach hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die +äußerste Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius +Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genötigt, sich in Grumentum +einzuschließen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und die +südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst überlassen +müssen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an der Spitze der +samnitischen Armee in Kampanien einrückte, übergab die Bürgerschaft von Nola +ihm ihre Stadt und lieferte die römische Besatzung aus, deren Befehlshaber auf +Mutilus’ Befehl hingerichtet, die Mannschaft in die siegreiche Armee +untergesteckt ward. Mit einziger Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, +ging ganz Kampanien bis zum Vesuv den Römern verloren; Salernum, Stabiae, +Pompeii, Herculaneum erklärten sich für die Insurgenten; Mutilus konnte in das +Gebiet nördlich vom Vesuv vorrücken und mit seiner samnitisch-lucanischen Armee +Acerrae belagern. Die Numidier, die in großer Zahl bei Caesars Armee standen, +fingen an, scharenweise zu Mutilus überzugehen oder vielmehr zu Oxyntas, dem +Sohne Jugurthas, der bei der Übergabe von Venusia den Samniten in die Hände +gefallen war und nun im königlichen Purpur in den Reihen der Samniten erschien, +so daß Caesar sich genötigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat +zurückzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das römische Lager; +allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem Abzug die römische +Reiterei in den Rücken gefallen war, ließen bei 6000 Tote auf dem Schlachtfeld. +Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege die Römer errangen; das +Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief +gesunkene Mut wieder an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die +siegreiche Armee bei einem Flußübergang von Marius Egnatius angegriffen und so +nachdrücklich geschlagen, daß sie bis Teanum zurückweichen und dort wieder +organisiert werden mußte; indes gelang es den Anstrengungen des tätigen +Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in kriegsfähigen +Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder einzunehmen unter den Mauern +von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee unter Mutilus fortfuhr zu belagern. +</p> + +<p> +Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo der +Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in gefährlicher +Nähe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbständiges Korps unter Gnaeus Pompeius +Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestützt, +Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse dagegen der römischen Nordarmee stellte +unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des +marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee der +Feind der Hauptstadt am nächsten stand; der kleine Fluß Tolenus (Turano), der +zwischen Tibur und Alba die Valerische Straße schneidet und bei Rieti in den +Velino fällt, schied die beiden Heere. Ungeduldig drängte der Konsul Lupus zur +Entscheidung und überhörte den unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes +ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu üben. Zunächst ward ihm die +10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollständig geschlagen. Der +Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte +den Rest des Korps mit dem unter Marius’ Befehl stehenden, ließ sich aber +dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von ihm +selbst, teils von Marius geführten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander +geschlagenen Brücken den Tolenus zu überschreiten. Ihnen gegenüber stand +Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo +Marius den Bach überschritt, allein ehe der Übergang stattfand, sich mit +Hinterlassung der bloßen Lagerposten von dort weggezogen und weiter +flußaufwärts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das römische Korps +unter Lupus unvermutet während des Übergehens angriff und es teils +niedermachte, teils in den Fluß sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst +und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heißen, daß Marius, +Scatos Abmarsch endlich gewahrend, über den Fluß gegangen war und nicht ohne +Verlust der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flußübergang +und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius über die Paeligner +erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurückzunehmen, und +Marius, welcher nach Beschluß des Senats als Höchstkommandierender an +Lupus’ Stelle trat, verhinderte wenigstens, daß der Feind weitere Erfolge +errang. Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur Seite +gesetzt ward, weniger wegen eines glücklich von ihm bestandenen Gefechtes, als +weil er den damals in Rom tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition +gegen Drusus sich empfohlen hatte, ließ sich von Silo durch die Vorspiegelung, +ihm sein Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit einem +großen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen. +Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch +seinen zähen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu benutzen, und +drang allmählich tief in das marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er +lange; als er endlich sie lieferte, überwand er seinen stürmischen Gegner, der +unter anderen Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der +Walstatt zurückließ. In einem zweiten Treffen wirkten Marius’ Heer und +das zur Südarmee gehörige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch +empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre +dieses Tages aber blieb dem jüngeren Offizier, denn Marius hatte zwar die +Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Flüchtigen den Rückzug verlegt +und sie aufgerieben. +</p> + +<p> +Während also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward, +hatte auch das picenische Korps unter Strabo unglücklich und glücklich +gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius +Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kräften dasselbe angegriffen, es +geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo +belagert hielt, während Iudacilius in Apulien einrückte und Canusium, Venusia +und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden Städte zum Anschluß an die +Aufständischen bestimmte. Allein auf der römischen Seite bekam Servius +Sulpicius durch seinen Sieg über die Paeligner freie Hand, um in Picenum +einzurücken und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, während von vorn +Strabo ihn angriff, von Sulpicius in den Rücken gefaßt und sein Lager in Brand +gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgelöster +Flucht nach Asculum. So vollständig hatte im Picenischen die Lage der Dinge +sich geändert, daß wie vorher die Römer auf Firmum, so jetzt die Italiker auf +Asculum sich beschränkt sahen und der Krieg also sich abermals in eine +Belagerung verwandelte. +</p> + +<p> +Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und vielgeteilten +Kriegen im südlichen und mittleren Italien noch ein dritter in der nördlichen +Landschaft gekommen, indem die für Rom so gefährliche Lage der Dinge nach den +ersten Kriegsmonaten einen großen Teil der umbrischen und einzelne etruskische +Gemeinden veranlaßt hatte, sich für die Insurrektion zu erklären, so daß es +nötig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den +Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stießen die Römer auf einen weit +minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und +behaupteten das entschiedenste Übergewicht im Felde. +</p> + +<p> +So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militärisch wie politisch trübe +Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militärisch waren beide +Armeen der Römer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen +geschwächt und entmutigt, die Nordarmee genötigt, vor allem auf die Deckung der +Hauptstadt bedacht zu sein, die Südarmee bei Neapel in ihren Kommunikationen +ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit aus dem +marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und Neapel +sich festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine +Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion +während dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der +Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der festen und großen latinischen +Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen, +daß die römische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht imstande +sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der Bürgerschaft das +Äußerste zugemutet, schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen +Küste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Bürgermiliz eingereiht, schon +von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es +war nicht möglich, die Sehne des Bogens noch schärfer anzuziehen, ohne alles +aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der Bürgerschaft war unglaublich gedrückt. +Nach der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm +gefallenen namhaften Bürger von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als +Leichen zurückgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum +Zeichen der öffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von sich +legten, als von der Regierung an die hauptstädtischen Bewohner der Befehl +erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung +überlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung +gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen +Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock +wieder mit dem Bürgerkleid vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der +Landestrauer abgelegt; aber es war doch nicht zweifelhaft, daß im ganzen die +Römer in diesem Waffengang den kürzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen +war aus dem Senat wie aus der Bürgerschaft der Geist entwichen, der sie einst +durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte. +Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Übermut wie damals, +aber man wußte ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn, die +zähe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht. +Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die äußere und innere Politik plötzlich +eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel, daß man damit +das Klügste tat, was sich tun ließ; aber nicht weil man, durch die unmittelbare +Gewalt der Waffen genötigt, nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen +gefallen zu lassen, sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des +politischen Vorranges der Römer vor den übrigen Italikern, dem Gemeinwesen +selber mehr schädlich als förderlich war. Es trifft im öffentlichen Leben wohl, +daß ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der Eigensinn +verschuldet hatte, die Feigheit gewissermaßen wieder gut. Das Jahr 664 (90) +hatte begonnen mit der schroffsten Zurückweisung des von den Insurgenten +angebotenen Vergleichs und mit der Eröffnung eines Prozeßkrieges, in welchem +die leidenschaftlichsten Verteidiger des patriotischen Egoismus, die +Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die im Verdacht standen, der +Mäßigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben. +Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember +desselben Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die +Hochverratskommission den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der +freien, nicht ständisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen +Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, daß diese Kommission aus einer +Geißel der Moderierten zu einer Geißel der Ultras ward und sie unter anderen +ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die öffentliche Stimme die +schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des Quintus Metellus und +die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die Verbannung sandte. Wichtiger als +diese seltsam offenherzige politische Palinodie war die veränderte Richtung, +die man in der Politik gegen die Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre +waren verflossen, seit Rom zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren +lassen müssen; Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, +war derselbe nur möglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die +Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich erhoben +hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstören, war die Fehde zu erbittert +geworden, als daß man in Rom es über sich gewonnen hätte, ihnen die verlangten +Zugeständnisse zu machen; und hätte man es getan, sie wären vielleicht jetzt +von der anderen Seite zurückgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch +treugebliebenen Gemeinden die ursprünglichen Forderungen unter gewissen +Einschränkungen gewährt wurden, so ward damit teils der Schein freiwilliger +Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche Konsolidierung der +Konföderation verhindert und damit der Weg zu ihrer Überwindung gebahnt. So +taten denn die Pforten des römischen Bürgertums, die der Bitte so lange +verschlossen geblieben waren, jetzt plötzlich sich auf, als die Schwerter daran +pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst für die +Aufgenommenen in widerwilliger und kränkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius +Caesar 7 durchgebrachtes Gesetz verlieh das römische Bürgerrecht den Bürgern +aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht Rom offen +abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius Silvanus und +Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbürgerten und domizilierten +Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein solle, +durch Anmeldung bei einem römischen Beamten das römische Bürgerrecht zu +gewinnen. Indes sollten diese Neubürger, ähnlich den Freigelassenen, im +Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daß von den fünfunddreißig Bezirken sie +nur in acht, wie die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; +ob die Beschränkung persönlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht mit +Sicherheit zu entscheiden. Diese Maßregel bezog sich zunächst auf das +eigentliche Italien, das nördlich damals noch wenig über Ancona und Florenz +hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, das zwar rechtlich +Ausland war, aber in der Administration wie in der Kolonisierung längst als +Teil Italiens galt, wurden sämtliche latinische Kolonien behandelt wie die +italischen Gemeinden. Im übrigen war hier diesseits des Po der größte Teil des +Bodens nach Auflösung der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem +munizipalen Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum römischer, meist in +Marktflecken (fora) zusammenwohnender Bürger. Die nicht zahlreichen +bundesgenössischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna, sowie die +gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge eines von dem +Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes nach italischer +Stadtverfassung organisiert, so daß die hierzu sich nicht eignenden Gemeinden, +namentlich die Ortschaften in den Alpentälern, einzelnen Städten als abhängige +und zinspflichtige Dörfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber +nicht mit dem römischen Bürgertum beschenkt, sondern durch die rechtliche +Fiktion, daß sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, +welche bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden hatten. +Italien endigte also damals tatsächlich am Po, während die transpadanische +Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, nördlich vom Po, gab es außer +Cremona, Eporedia und Aquileia keine Bürger- oder latinische Kolonien, und es +waren auch die einheimischen Stämme hier keineswegs, wie südlich vom Po, +verdrängt worden. Die Abschaffung der keltischen Gau- und die Einführung der +italischen Stadtverfassung bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen +Gebietes an; es war dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen +Umgestaltung des gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr +einstmals Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen +Herren. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +7 Das Julische Gesetz muß in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen +sein, da während der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische ist +wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Anträge, unmittelbar nach +dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664 (90) oder Januar 665 (89) +durchgebracht worden. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +So ansehnlich diese Zugeständnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit +mehr als hundertfünfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der +römischen Bürgerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine +Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils die +schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten, teils möglichst +viele Überläufer aus den feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang +diese Gesetze, namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur +Anwendung gekommen sind, läßt sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der +Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben +vermögen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, daß die bisher latinischen +Gemeinden, sowohl die Überreste der alten latinischen Eidgenossenschaft, wie +Tibur und Praeneste, als auch besonders die latinischen Kolonien, mit Ausnahme +der wenigen zu den Insurgenten übergegangenen, dadurch eintraten in den +römischen Bürgerverband. Außerdem fand das Gesetz Anwendung auf die +treugebliebenen Bundesstädte in Etrurien und besonders in Süditalien, wie +Nuceria und Neapolis. Daß einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden über +die Annahme des Bürgerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug, +seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Landdienst und +ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies Domanialnutzungen +garantierte, gegen das beschränkte Neubürgerrecht hinzugeben, ist begreiflich; +es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstände wegen geschlossenen Vergleichen +herzuleiten, daß diese Stadt, sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere +griechische Gemeinden in Italien, selbst nach dem Eintritt in den Bürgerverband +ihre bisherige Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle +unverändert beibehalten haben. Auf alle Fälle ward infolge dieser Gesetze der +römische Bürgerverband außerordentlich erweitert durch das Aufgehen von +zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge bis zum Po +zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, außerdem die Landschaft zwischen dem +Po und den Alpen durch die Erteilung des besten bundesgenössischen Rechts +gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft auf das volle Bürgerrecht beliehen. +</p> + +<p> +Gestützt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Römer +mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufständischen Distrikte. Man hatte von +den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen, als notwendig +schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die Insurrektion griff +fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo +sie erst im Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische Gesetz als +durch den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt. In den +ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eröffneten +sich reiche und jetzt zuverlässige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der +Bürgerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand zu +bewältigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach Rom zurück, +Caesar als erwählter Zensor, Marius, weil man seine Kriegführung als unsicher +und langsam tadelte und den sechsundsechzigjährigen Mann für altersschwach +erklärte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegründet; Marius bewies, +indem er täglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine +körperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem letzten +Feldzug im ganzen die alte Tüchtigkeit bewährt zu haben; aber glänzende +Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott sich hätte in der +öffentlichen Meinung rehabilitieren können, hatte er nicht erfochten, und so +ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren Kummer jetzt auch als Offizier ohne +Umstände zu dem alten Eisen geworfen. An Marius’ Stelle trat bei der +marsischen Armee der Konsul dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit +Auszeichnungen in Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der +Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des +vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit so +großem Erfolg von ihm geführte Kommando im picenischen Gebiet. +</p> + +<p> +So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten +eröffneten durch den kühnen, an den großartigen Gang der Samnitischen Kriege +erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann der in +Norditalien gärenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu senden. Allein +Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte, verlegte ihm den Weg und +schlug ihn vollständig; nur wenige gelangten zurück in die weit entfernte +Heimat. Als dann die Jahreszeit den römischen Heeren gestattete, die Offensive +zu ergreifen, betrat Cato das marsische Gebiet und drang unter glücklichen +Gefechten in demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei +einem Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschließliche Oberleitung +der Operationen in Mittelitalien auf Strabo überging. Dieser beschäftigte sich +teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der Unterwerfung +der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften. Zum Entsatz seiner +bedrängten Heimatstadt erschien vor Asculum Iudacilius mit dem picentischen +Aufgebot und griff die belagernde Armee an, während gleichzeitig die +ausfallende Besatzung sich auf die römischen Linien warf. Es sollen an diesem +Tage 75000 Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den +Römern, doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in +die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig 8 +durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung der +Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche Kriegserklärung +innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach mehrmonatlicher tapferer +Verteidigung die Kapitulation herankommen sah, ließ er die Häupter der römisch +gesinnten Fraktion der Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich +selbst den Tod. So wurden die Tore geöffnet und die römischen Exekutionen +lösten die italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Bürger wurden +hingerichtet, die übrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, sämtliches Hab und +Gut von Staats wegen eingezogen. Während der Belagerung und nach dem Fall von +Asculum durchzogen zahlreiche römische Korps die benachbarten aufständischen +Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner +fügten sich, nachdem Servius Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich +geschlagen hatte. In Apulien drang der Prätor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia +und Cannae und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter +Marius Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die +Römer zurückdrängte, gelang es dem römischen Feldherrn bei dem Übergang über +den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres mußte in den +Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer drangen wieder vor bis nach +Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien. Auch am Fuciner See und am +Majellagebirg, in den Hauptsitzen der Insurrektion, stellten die Römer ihre +Herrschaft wieder her; die Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, +Quintus Metellus Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden +Jahr (666 88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder +die bescheidene pälignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen +Senats flüchteten auf samnitisches Gebiet. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +8 Schleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit +Verwünschungen der “entlaufenen Sklaven” - demnach römische - oder +mit der Aufschrift entweder: “triff die Picenter” oder “triff +den Pompeius” -jene römische, diese italische - finden sieh von jener +Zeit her noch jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Die römische Südarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte +gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind +besetzte südliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstört +(30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint bei +diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Länger widerstand Pompeii. Der +samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz zu bringen, +allein er ward von Sulla zurückgewiesen, und als er, durch Keltenscharen +verstärkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsächlich durch den Wankelmut dieser +unzuverlässigen Gesellen so vollständig geschlagen, daß sein Lager erobert und +er selbst mit dem größten Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu +niedergehauen ward. Das dankbare römische Heer verlieh seinem Feldherrn den +Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat +geschmückt wurde, der durch seine Tüchtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden +gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den Samniten +noch besetzten kampanischen Städte sich aufzuhalten, rückte Sulla sofort in das +innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche Eroberung +und fürchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in der ganzen +hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug +herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte +ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft. +Der Paß, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde +umgangen, die samnitische Armee im Rücken angegriffen und geschlagen; das Lager +ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rückte +vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch +einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die +vorgerückte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende. +</p> + +<p> +Es war der vollständigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so +vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so +tiefgebeugt, so überall geschlagen, so völlig hoffnungslos ging sie aus +demselben hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide +Küsten völlig in römischer Gewalt, die Abruzzen fast vollständig, Apulien bis +auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Händen der Römer und durch die +Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den +beiden einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der +samnitischen und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer +erlöschenden ungeheuren Brandstätte; überall traf das Auge auf Asche und +Trümmer und verglimmende Brände, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen +die Flamme empor, aber man war des Feuers überall Meister und nirgends drohte +mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, daß wir die Ursachen dieses plötzlichen +Umschwunges in der oberflächlichen Überlieferung nicht mehr genügend erkennen. +So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich +die energischere Konzentrierung der römischen Streitkräfte, die raschere +Offensive wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch neben den +militärischen auch politische Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der +Insurgentenmacht im Spiel gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und +Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der +Feinde zu tragen, erfüllt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknüpften +aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der Zwietracht gefallen sein. +Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf eine sicher unter heftigen +Konvulsionen erfolgte innerliche Auflösung der Italia -, daß die Samniten, +vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von Haus aus die Seele +des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der Marser landflüchtig zu dem +Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich eine andere, rein landschaftliche +Organisation gaben und, nachdem die “Italia” überwunden war, es +unternahmen, als “Safinen” oder Samniten den Kampf noch weiter +fortzusetzen 9. Das feste Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der +samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuß +und 1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven +verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo +und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjähriger Pause die +Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk abermals, +ganz wie im fünften Jahrhundert, nachdem die italische Konföderation +gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine landschaftliche +Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. Allein dieser Entschluß +der tapfersten Verzweiflung änderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der +Bergkrieg in Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, +die Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +9 Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in +oskischer Schrift angehören; denn solange die Italia von den Insurgenten +festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne Macht Münzen mit dem +eigenen Namen schlagen. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die +asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht +hatten, an König Mithradates von Pontos den Krieg zu erklären und für das +nächste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee nach +Kleinasien zu bestimmen. Wäre dieser Krieg ein Jahr früher zum Ausbruch +gekommen, so hätte die gleichzeitige Empörung des halben Italiens und der +wichtigsten Provinz dem römischen Staat eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt, +nachdem in dem raschen Sturz der italischen Insurrektion das wunderbare Glück +Roms sich abermals bewährt hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg, +trotzdem daß er mit dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht +eigentlich bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Übermut +die Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von der +Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die Zeiten waren +nicht mehr, wo man einen italischen und einen überseeischen Krieg unbedenklich +nebeneinander führte; die Staatskasse war nach zwei Kriegsjahren bereits +vollständig erschöpft, die Bildung einer neuen Armee neben den bereits im Felde +stehenden schien kaum ausführbar. Indes man half sich wie man konnte. Der +Verkauf der seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plätze an die +Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2½ Mill. Taler) gelöst wurden, lieferte +die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht gebildet, sondern die +in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach Asien sich einzuschiffen, +sobald der Stand der Dinge im südlichen Italien es ihr gestatten würde sich zu +entfernen; war bei den Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden +Armee voraussichtlich bald geschehen konnte. +</p> + +<p> +So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter günstigen Aussichten für Rom. +Strabo dämpfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward. +In Apulien machte Cosconius’ Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn +des Überwinders von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an +militärischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende +durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden. +In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer +Schlacht, die er dem römischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die +Römer, und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die +Samniten auf der Walstatt ließen, war auch Silo. In Kampanien wurden die +kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen +entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der römische Feldherr Aulus +Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei einem +Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der Insurgentenführer +Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestört in der weiten und öden +lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions +zu bemächtigen, den indes der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. +Trotz einzelner Unfälle näherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von +Nola, die Unterwerfung von Samnium, die Möglichkeit, ansehnliche Streitkräfte +für Asien verfügbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung der +Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion unvermutet Luft +machte. +</p> + +<p> +Rom war in fürchterlicher Gärung. Drusus’ Angriff auf die Rittergerichte +und sein durch die Ritterpartei bewirkter jäher Sturz, sodann der +zweischneidige Varische Prozeßkrieg hatten die bitterste Zwietracht gesät +zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen den Gemäßigten und den +Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der Nachgiebigkeit vollständig recht +gegeben: was sie beantragt hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr +als halb gezwungen zugestehen müssen; allein die Art, wie dies Zugeständnis +erfolgt war, trug eben wie die frühere Weigerung den Charakter des +eigensinnigen und kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das +gleiche Recht zu gewähren, hatte man die Zurücksetzung nur anders formuliert. +Man hatte eine große Anzahl italischer Gemeinden in den römischen Bürgerverband +aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem ehrenrührigen Makel +behaftet, die Neu- neben die Altbürger ungefähr wie die Freigelassenen neben +die Freigeborenen gestellt. Man hatte die Gemeinden zwischen dem Po und den +Alpen durch das Zugeständnis des latinischen Rechts mehr gereizt als +befriedigt. Man hatte endlich einem ansehnlichen und nicht dem schlechtesten +Teil der Italiker, sämtlichen wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, +nicht bloß das Bürgerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch +den Aufstand vernichteten Verträge ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, +höchstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert ^10. Die +Zurücksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie bei der damaligen +Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und die scheinheilige +Fürsorge der Regierung für die unbefleckte Reinheit der Wählerschaft jedem +Unbefangenen lächerlich erscheinen mußte; all jene Beschränkungen aber waren +insofern gefährlich, als sie jeden Demagogen dazu einluden, durch Aufnahme der +mehr oder minder gerechten Forderungen der Neubürger sowohl wie der vom +Bürgerrecht ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen. +Wenn somit die heller sehende Aristokratie diese halben und mißgünstigen +Konzessionen ebenso unzulänglich finden mußte wie die Neubürger und die +Ausgeschlossenen selbst, so vermißte sie ferner schmerzlich in ihren Reihen die +zahlreichen und vorzüglichen Männer, die die Varische Hochverratskommission ins +Elend gesandt hatte und die zurückzurufen deswegen nur noch schwieriger war, +weil sie nicht durch Volks-, sondern durch Geschworenengerichte verurteilt +worden waren; denn sowenig man Bedenken trug, einen Volksschluß auch +richterlicher Natur durch einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die +Kassation eines Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren +Aristokratie als ein sehr gefährliches Beispiel. So waren weder die Ultras noch +die Gemäßigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber von noch +tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit erfrischten +Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus unfreiwillig +zurückgekommen war, mit dem Bewußtsein, neue Dienste geleistet und dafür neue +schwerste Kränkungen empfangen zu haben, mit dem bitteren Gefühle, von den +Feinden nicht mehr gefürchtet, sondern geringgeschätzt zu werden, mit jenem +Wurm der Rache im Herzen, der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von +ihm galt, was von den Neubürgern und den Ausgeschlossenen: unfähig und +unbehilflich wie er sich erwiesen hatte, war doch sein populärer Name in der +Hand eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^10 Dediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus +[ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV … cobortes +miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu +civltas data est) in teilweise schärferer Fassung wiedererscheint. Dediticii +sind nach römischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius inst. +13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Römern untertan geworden und zu keinem +Bündnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloß Leben, Freiheit und +Eigentum, sondern können auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert +sein. Απόλιδες, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19, +17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten +Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur mißbräuchlich und bei +besseren Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; +Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani. +Aber die dediticii sind dennoch dem römischen Staate gegenüber insofern +rechtlos, als nach römischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist +(Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdrücklich oder +stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen Widerruf +zugestanden werden (App. Hisp. 44), der römische Staat also, was er auch gleich +oder später über seine Deditizier verhängen mag, niemals gegen sie eine +Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hört erst auf durch +Abschließung eines Bündnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio und +foedus als staatsrechtlich sich ausschließende Gegenstände (Liv. 4, 30; 28, 34; +Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch der den +Juristen geläufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die +Latiner sind eben die Föderierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54). +</p> + +<p> +Nach dem älteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen, +infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Verträge verlustig erklärten +Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von +664/65 (90/89) schloß die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti +fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber unter den +dediticii, die 667 (87) nachträglich das Bürgerrecht empfingen, doch nicht +füglich bloß die Brettier und Picenter verstanden sein können, so wird man +annehmen dürfen, daß alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und +nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Bürgerrecht erworben hatten, +als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, daß ihre durch die +Insurrektion von selbst kassierten Verträge (darum qui foederati fuerunt in der +angeführten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung nicht rechtlich +erneuert wurden. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch +fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militärischen +Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in +sich trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit während des +demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfähigen Mann ohne +Unterschied zum Dienst zuzulassen nötigte und der vor allem unmittelbar in das +Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda trug. Bald +zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der militärischen +Hierarchie. Während der Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des +Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen +Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten, mit +Steinen und Knütteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla begnügte sich, +die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung +an diesen Vorgang auszulöschen. Die Urheber dieser Tat waren die +Flottensoldaten, von jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine +vorwiegend aus dem Stadtpöbel ausgehobene Abteilung der Legionäre dem gegebenen +Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, vergriff +sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem +Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als Cato dann +bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen Offiziere, +namentlich der jüngere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht +auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet. +</p> + +<p> +Zu dieser beginnenden politischen und militärischen kam die vielleicht noch +entsetzlichere ökonomische Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und +der asiatischen Unruhen über die römischen Geldmänner hereingebrochen war. Die +Schuldner, unfähig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von ihren +Gläubigern unerbittlich gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gerichtsvorstand, +dem Stadtprätor Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen +zu können, teils die alten verschollenen Zinsgesetze wieder hervorgesucht und +nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den vierfachen Betrag der dem +Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt. Asellio gab sich +dazu her, das tatsächlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen, +und instruierte in gewöhnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die +verletzten Gläubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem +Markt zusammentaten und den Prätor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein +Opfer darbrachte, vor dem Tempel der Eintracht überfielen und erschlugen - eine +Freveltat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665 89). +Andererseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, daß der leidenden Menge +nicht anders geholfen werden könne als durch “neue +Rechnungsbücher”, das heißt durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen +sämtlicher Gläubiger an sämtliche Schuldner. Es war genau wieder wie während +des Ständestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der befangenen +Aristokratie der gedrückten Menge und der zur Mäßigung des starren Rechtes +mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozeß; wieder stand man an dem Rande +desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte Schuldner den Gläubiger mit sich +hinabreißt; nur war seitdem an die Stelle der einfach bürgerlichen und +sittlichen Ordnung einer großen Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer +Kapitale vieler Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der +Prinz mit dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Mißverhältnisse breiter, +schroffer, in grauenhafter Weise großartiger geworden. Indem der +Bundesgenossenkrieg all die gärenden politischen und sozialen Elemente in der +Bürgerschaft gegeneinander rüttelte, legte er den Grund zu einer neuen +Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall. +</p> + +<p> +Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der +Bürgerschaft die Anträge stellte, jeden Senator, der über 2000 Denare (600 +Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklären; den durch unfreie +Geschworenengerichte verurteilten Bürgern die Rückkehr in die Heimat +freizugeben; die Neubürger durch sämtliche Distrikte zu verteilen und +ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu gestatten. Es +waren Vorschläge, die aus dem Munde dieses Mannes zum Teil wenigstens +überraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630 124) verdankte seine +politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt, seinen bedeutenden +Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent, +worin von den Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme, die +lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebärden, die üppige Fülle +seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht überzeugten. Seiner +Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats, und sein +erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des der Regierungspartei +tödlich verhaßten Norbanus gewesen. Unter den Konservativen gehörte er zu der +Fraktion des Crassus und Drusus. Was ihn zunächst veranlaßte, sich für das Jahr +666 (88) um das Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen +patrizischen Adel abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, daß +auch er, wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionär +verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionär geworden zu sein und +keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus +beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen +Prozeßsturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des Crassus und +Drusus, sich berufen gefühlt haben, das Werk des Drusus zu vollenden und die +noch bestehenden Zurücksetzungen der Neubürger schließlich zu beseitigen, wozu +er des Tribunats bedurfte. Noch aus seinem Tribunat werden mehrere Handlungen +von ihm erwähnt, die das gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so +hinderte er durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des +Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluß zu +kassieren; und als der gewesene Ädil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit +Überspringung der Prätur um das Konsulat für 667 (87) bewarb, wie es heißt in +der Absicht, sich später die Führung des Asiatischen Krieges übertragen zu +lassen, trat, entschlossener und schärfer als irgendein anderer, Sulpicius ihm +entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte er von sich wie von andern +zunächst und vor allem die Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte +er ebensowenig wie Drusus das Unverträgliche zu vereinigen und die von ihm +beabsichtigte, an sich verständige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der +Altbürgerschaft auf gütlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsänderung in +strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der mächtigen Familie der +Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular Lucius +Caesar, im Senat sehr einflußreich war, und mit der derselben anhängenden +Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den +zornmütigen Mann durch persönliche Erbitterung über die ursprüngliche Absicht +hinausgeführt. Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Anträge ist doch +von der Art, daß sie keineswegs die Persönlichkeit und die bisherige +Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der Neubürger mit +den Altbürgern war nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus +entworfenen Anträge zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfüllung der +Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die Varischen +Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des +Geschworenenwahrspruchs, für den Sulpicius eben noch selbst mit der Tat +eingestanden war, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen Parteigenossen +des Antragstellers, den gemäßigten Konservativen, zugute, und es läßt sich von +dem stürmischen Mann recht wohl begreifen, daß er bei seinem ersten Auftreten +eine solche Maßregel entschieden bekämpfte und dann, ergrimmt über den +Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte. Die Maßregel gegen die +Überschuldung der Senatoren war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Bloßlegung +der trotz alles äußeren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der +regierenden Familien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war +zwar peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen Interesse der +Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein mußte, +alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva +rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Überschuldung +vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigeführten Abhängigkeit von den reichen +Kollegen seinen hauptsächlichen Halt fand, durch die Beseitigung des notorisch +feilen Senatorengesindels gedämpft ward - womit natürlich nicht geleugnet +werden soll, daß Rufus eine den Senat so schroff und gehässig prostituierende +Säuberung der Kurie, wie er sie vorschlug, ohne seine persönlichen Zerwürfnisse +mit den herrschenden Koteriehäuptern sicher niemals beantragt haben würde. +Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft +zunächst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen; an sich +aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen Verfassung +unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen zum Militärdienst +mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts insofern gerechtfertigt, +als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen waren. Vor allen +Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr wenig darauf +an, ob in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Möglichkeit, +mit den Komitien zu regieren, ward für die Oligarchie eher gesteigert als +gemindert durch die unbeschränkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu +einem sehr großen Teil von den regierenden Familien persönlich und ökonomisch +abhängig waren und richtig verwandt eben ein Mittel für die Regierung abgeben +konnten, die Wahlen gründlicher noch als bisher zu beherrschen. Wider die +Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief diese Maßregel +allerdings wie jede andere politische Begünstigung des Proletariats; allein sie +war auch für Rufus schwerlich etwas anderes, als was das Getreidegesetz für +Drusus gewesen war: ein Mittel, um das Proletariat auf seine Seite zu ziehen +und mit dessen Hilfe den Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft +gemeinnützigen Reformen zu brechen. Es ließ sich leicht voraussehen, daß dieser +nicht gering sein, daß die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie +ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion jetzt +nach ihrer Überwindung betätigen, daß die große Majorität aller Parteien die im +Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten halben Zugeständnisse im stillen +oder auch laut als unzeitige Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung +derselben sich leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus’ Beispiel hatte +gezeigt, was dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im +Vertrauen auf die Senatsmajorität durchzusetzen unternahm; es war vollkommen +erklärlich, daß sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten in +Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu realisieren +versuchte. Rufus gab demnach sich keine Mühe, durch den Köder der +Geschworenengerichte den Senat für sich zu gewinnen. Besseren Rückhalt fand er +bei den Freigelassenen und vor allem an dem bewaffneten Gefolge - dem Bericht +seiner Gegner zufolge bestand es aus 3000 gedungenen Leuten und einem +“Gegensenat” von 600 jungen Männern aus der besseren Klasse -, mit +dem er in den Straßen und auf dem Markte erschien. Seine Anträge stießen denn +auch auf den entschiedensten Widerstand bei der Majorität des Senats, welche +zunächst, um Zeit zu gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus +Pompeius Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, außerordentliche +religiöse Festlichkeiten anzuordnen, während deren die Volksversammlungen +ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen Auflauf, bei welchem unter +anderen Opfern der junge Quintus Pompeius, der Sohn des einen und Schwiegersohn +des anderen Konsuls, den Tod fand und das Leben der beiden Konsuln selbst +ernstlich bedroht ward - Sulla soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daß +Marius ihm sein Haus öffnete. Man mußte nachgeben; Sulla verstand sich dazu, +die angekündigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Anträge gingen +nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch keineswegs +gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die Aristokratie geschlagen +geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem Beginn der Revolution - noch +eine andere Macht in Italien, die nicht übersehen werden durfte: die beiden +starken und siegreichen Armeen des Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War +auch Strabos politische Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der +offenbaren Gewalt für den Augenblick gewichen war, nicht bloß mit der +Senatsmajorität in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem +er die Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner +Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knüttelmänner oder die wehrlose +Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren, lief am Ende auf +dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, daß der Gegner, jetzt wo er konnte, +Gewalt mit Gewalt vergelten und an der Spitze seiner Legionen nach der +Hauptstadt zurückkehren werde, um den konservativen Demagogen mitsamt seinen +Gesetzen über den Haufen zu werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wünschte +den Krieg gegen Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem +hauptstädtischen politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus +und seiner unübertroffenen politischen Nonchalance hat es große +Wahrscheinlichkeit, daß er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, +keineswegs beabsichtigte und daß er, wenn man ihn hätte gewähren lassen, nach +der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch beschäftigte, unverweilt sich +mit seinen Truppen nach Asien eingeschifft haben würde. Indes wie dem auch sein +mag, Sulpicius entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla +den Oberbefehl abzunehmen, und ließ zu diesem Ende mit Marius sich ein, dessen +Name noch immer hinreichend populär war, um einen Antrag, den Oberbefehl im +Asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen, der Menge plausibel erscheinen zu +lassen, und dessen militärische Stellung und Kapazität für den Fall eines +Bruches mit Sulla eine Stütze werden konnte. Die Gefahr, die darin lag, den +alten, ebenso unfähigen als rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der +kampanischen Armee zu stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen und ebensowenig +die arge Abnormität, einem Privatmann ein außerordentliches Oberkommando durch +Volksschluß zu übertragen; aber eben Marius’ erprobte staatsmännische +Unfähigkeit gab eine Art Garantie dafür, daß er die Verfassung nicht ernstlich +würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius’ eigene Lage, wenn er +Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte, daß dergleichen +Rücksichten kaum mehr in Betracht kamen. Daß der abgestandene Held selbst +bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als Condottiere gebrauchen wollte, +versteht sich von selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiatischen +Krieg gelüstete sein Herz seit vielen Jahren und nicht weniger vielleicht +danach, einmal gründlich abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt +auf Antrag des Sulpicius durch Beschluß des Volkes Gaius Marius mit +außerordentlicher höchster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das +Kommando der kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen +Mithradates, und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei +Volkstribune in das Lager von Nola abgesandt. +</p> + +<p> +Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den +Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu führen, so war es Sulla. Er hatte wenige +Jahre zuvor mit dem größten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert: +er hatte mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Überwältigung der +gefährlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in welchem der +Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten Weise und mit +voller Zustimmung seines ihm befreundeten und verschwägerten Kollegen das +Kommando in demselben übertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen, einen +unter solchen Verhältnissen übernommenen Oberbefehl nach Beschluß der +souveränen Bürgerschaft von Rom abzugeben an einen alten militärischen und +politischen Antagonisten, in dessen Händen die Armee, niemand mochte sagen zu +welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, mißbraucht werden konnte. Sulla war +weder gutmütig genug, um freiwillig einem solchen Befehl Folge zu leisten, noch +abhängig genug, um es zu müssen. Sein Heer war, teils infolge der von Marius +herrührenden Umgestaltungen des Heerwesens, teils durch die von Sulla +gehandhabte sittlich lockere und militärisch strenge Disziplin, wenig mehr als +eine ihrem Führer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente +Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer Kopf, dem +die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen war, der Held von Aquae +Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle Legalität eine Phrase, Rom +selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit halbverfallenen Mauern, die viel +leichter erobert werden konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er. Er +versammelte seine Soldaten - es waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und +setzte ihnen die von Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, +ihnen anzudeuten, daß der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, +sondern andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien führen werde. Die höheren +Offiziere, immer noch mehr Bürger als Militärs, hielten sich zurück, und nur +ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die Hauptstadt; allein die +Soldaten, die nach früheren Erfahrungen in Asien einen bequemen Krieg und +unendliche Beute zu finden hofften, brausten auf; in einem Nu waren die beiden +von Rom gekommenen Tribune zerrissen und von allen Seiten erscholl der Zuruf, +daß der Feldherr sie auf Rom zu führen möge. Unverweilt brach der Konsul auf, +und unterwegs seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in +raschen Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden +Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der +Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersäulen sich aufstellen an der +Tiberbrücke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei +Legionen in Reih’ und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten +Mauerring überschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt hatte. So +viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren innerhalb dieser Mauern +zum Austrag gekommen, ohne daß ein römisches Heer den heiligen Stadtfrieden +gebrochen hätte; jetzt geschah es, zunächst um der elenden Frage willen, ob +dieser oder jener Offizier berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die +einrückenden Legionen gingen vor bis auf die Höhe des Esquilin; als die von den +Dächern heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und +sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel und, mit +Brandpfeilen und Anzündung der Häuser drohend, brachen die Legionen sich Bahn +bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. Maria Maggiore). Hier wartete +ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius zusammengeraffte Mannschaft und warf +die zuerst eindringenden Kolonnen durch die Überzahl zurück. Aber von den Toren +kam denselben Verstärkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, +auf der Suburastraße die Verteidiger zu umgehen; sie mußten zurück. Am Tempel +der Tellus, wo der Esquilin anfängt sich gegen den Großen Marktplatz zu senken, +versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor Senat und Ritter und +die gesamte Bürgerschaft, den Legionen sich entgegenzuwerfen. Aber er selbst +hatte dieselben aus Bürgern in Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk +wandte sich gegen ihn; sie gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem +Feldherrn. Selbst als die Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit +aufgefordert wurden, sich zu bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. +Es blieb den Führern nichts übrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore +zu entrinnen; nach wenigen Stunden war Sulla unumschränkter Herr von Rom. Diese +Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Großen Marktplatz der +Hauptstadt. +</p> + +<p> +Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Fehden hatte es zur +vollen Evidenz gebracht, sowohl daß die politischen Kämpfe auf dem Punkt +angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die Entscheidung +gibt, als auch daß die Gewalt des Knüttels nichts ist gegen die Gewalt des +Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst +gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums über den, +der zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfüllt hat. Für jetzt +triumphierte sie vollständig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber +formulieren. Von selbst verstand es sich, daß die Sulpicischen Gesetze als von +Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten +Anhänger hatten sich geflüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat +als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius +Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht und das +an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf +ebenderselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage +zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geächteten +wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. +Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette +von Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo der Retter des Vaterlandes +um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae und mit atemloser +Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. +In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein +widrige Winde und Mangel an Vorräten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu +landen und auf gut Glück in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem +Dach sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuß, oft vom Hunger +gepeinigt, in die Nähe der römischen Kolonie Minturnae an der Mündung des +Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden Reiter; mit genauer +Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes Handelsschiff entzog ihn +seinen Verfolgern; allein die ängstlichen Schiffer legten bald wieder an und +suchten das Weite, während Marius am Strande schlief. In dem Strandsumpf von +Minturnae, bis zum Gürtel in den Schlamm versunken und das Haupt unter einem +Schilfhaufen verborgen, fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die +Stadtbehörde von Minturnae. Er ward ins Gefängnis gelegt und der Stadtbüttel, +ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche erschrak +vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das Beil entsank ihm, als +der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn anherrschte, ob er der Mann sei, +den Gaius Marius zu töten. Als man dies vernahm, ergriff die Beamten von +Minturnae die Scham, daß der Retter Roms größere Ehrfurcht finde bei den +Sklaven, denen er die Knechtschaft, als bei den Mitbürgern, denen er die +Freiheit gebracht hatte; sie lösten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und +Reisegeld und sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme +des Sulpicius fanden in diesen Gewässern sich allmählich zusammen; sie liefen +am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die römischen Beamten wiesen +sie in Sizilien wie in Afrika zurück. So entrannen sie nach Numidien, dessen +öde Stranddünen ihnen einen Zufluchtsort für den Winter gewährten. Allein der +König Hiempsal II., den sie zu gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich +die Miene gegeben hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur +getan, um sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu +bemächtigen. Mit genauer Not entrannen die Flüchtlinge seinen Reitern und +fanden vorläufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina (Kerkena) an der +tunesischen Küste. Wir wissen es nicht, ob Sulla seinem Glücksstern auch dafür +dankte, daß es ihm erspart blieb, den Kimbrersieger töten zu lassen; wenigstens +scheint es nicht, daß die minturnensischen Beamten bestraft worden sind. +</p> + +<p> +Um die vorhandenen Übelstände zu beseitigen und künftige Umwälzungen zu +verhüten, veranlaßte Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Für die +bedrängten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als daß man die +Vorschriften über das Zinsmaximum einschärfte ^11; außerdem wurde die +Ausführung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten und +Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat ward +ergänzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl natürlich im +optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des +Wahlmodus und der legislatorischen Initiative wesentliche Änderungen +vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der +die erste Steuerklasse mit einem Vermögen von 100000 Sesterzen (7600 Talern) +oder darüber allein fast die Hälfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die +Stelle der im Jahre 513 (241) eingeführten, das Übergewicht der ersten Klasse +mildernden Ordnungen. Tatsächlich ward damit für die Wahl der Konsuln, Prätoren +und Zensoren ein Zensus eingeführt, der die nicht Wohlhabenden vom aktiven +Wahlrecht der Sache nach ausschloß. Die legislatorische Initiative wurde den +Volkstribunen dadurch beschränkt, daß jeder Antrag fortan von ihnen zunächst +dem Senat vorgelegt werden mußte und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an +das Volk gelangen konnte. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^11 Klar ist es nicht, was das “Zwölftelgesetz’, der Konsuln Sulla +und Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme +bleibt aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so daß +der höchste erlaubte Zinsfuß wieder 1/12 des Kapitals für das zehnmonatliche +oder 10 Prozent für das zwölfmonatliche Jahr ward. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfügungen +desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei +aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentümlichen Charakter. +Sulla wagte es, ohne die Bürgerschaft oder Geschworene zu fragen, über zwölf +der angesehensten Männer, darunter fungierende Beamte und den berühmtesten +General seiner Zeit, das Todesurteil zu verhängen und öffentlich zu diesen +Ächtungen sich zu bekennen, eine Verletzung der altheiligen +Provokationsgesetze, die selbst von sehr konservativen Männern, wie zum +Beispiel von Quintus Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit +anderthalb Jahrhunderten bestehende Wahlordnung umzustoßen und den seit langem +verschollenen und verfemten Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das +Recht der Legislation seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den +Komitien, tatsächlich zu entziehen und es auf eine Behörde zu übertragen, die +zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen hatte als +das, dabei um Rat gefragt werden zu können. Kaum hatte je ein Demokrat in so +tyrannischen Formen Justiz geübt, mit so rücksichtsloser Kühnheit an den +Fundamenten der Verfassung gerüttelt und gemodelt wie dieser konservative +Reformator. Sieht man aber auf die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu +sehr verschiedenen Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in +Rom beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in +mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, überwunden zu sein, +gleichsam als ein Verbrechen büßen. Wer sich erinnert an die prozessualischen +Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem Sturz der Gracchen und des +Saturninus gezogen hatte, der fühlt sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen +Markt das Lob der Offenheit und der relativen Mäßigung zu erteilen, indem er +einmal ohne viel Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die +geschlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte; zweitens die +Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenigstens das widerliche Wüten gegen +die geringen Leute nicht gestattete. Eine ähnliche Mäßigung zeigt sich in den +politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich der Gesetzgebung, die +wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte in der Tat nur den +Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben in Einklang. Die römische +Legislation, wo jeder Konsul, Prätor oder Tribun jede beliebige Maßregel bei +der Bürgerschaft beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war +von Haus aus unvernünftig gewesen und mit der steigenden Nullität der Komitien +es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich das +Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmäßig den ohne solche Vorberatung +zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte durch politische oder religiöse +Interzession. Diese Dämme hatte die Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen +fing nun jenes absurde System an, seine Konsequenzen vollständig und jedem +mutwilligen Buben den Umsturz des Staats in formell legaler Weise möglich zu +machen. Was war unter solchen Umständen natürlicher, notwendiger, im rechten +Sinne konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des +Senats jetzt förmlich und ausdrücklich anzuerkennen? Etwas Ähnliches gilt von +der Erneuerung des Wahlzensus. Die ältere Verfassung ruhte durchaus auf +demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die Bevorzugung der Vermögenden +nur beschränkt. Aber seit diesem Jahr war eine ungeheure finanzielle Umwandlung +eingetreten, welche eine Erhöhung des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. +Auch die neue Timokratie änderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem +Geiste derselben treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schändlichen +Stimmenkauf samt allem, was daran hing, in der möglichst milden Form zu wehren +wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner, die +Wiederaufnahme der Kolonisationspläne gaben den redenden Beweis, daß Sulla, +wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius’ leidenschaftlichen Anträgen +beizupflichten, doch eben wie er und wie Drusus, wie überhaupt alle heller +sehenden Aristokraten, den materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei +nicht übersehen werden darf, daß er diese Maßregel nach dem Siege und durchaus +freiwillig beantragte. Wenn man hiermit verbindet, daß Sulla die +hauptsächlichen Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen ließ und weder +an den Rittergerichten noch an den Kornverteilungen rüttelte, so wird man das +Urteil gerechtfertigt finden, daß die Sullanische Ordnung von 666 (86) an dem +seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo wesentlich festhielt +und nur teils die dem bestehenden Regiment zunächst Gefahr drohenden +überlieferten Satzungen zeitgemäß änderte, teils den vorhandenen sozialen Übeln +nach Kräften abzuhelfen suchte, soweit beides sich tun ließ, ohne die +tieferliegenden Schäden zu berühren. Energische Verachtung des +konstitutionellen Formalismus in Verbindung mit einem lebendigen Gefühl für den +inneren Gehalt der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und löbliche +Absichten bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse +Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel guter +Wille dazu gehörte, um zu glauben, daß die Feststellung des Zinsmaximums den +verwirrten Kreditverhältnissen aufhelfen und daß das Vorberatungsrecht des +Senats sich gegen die künftige Demagogie widerstandsfähiger erweisen werde als +bisher das Interzessionsrecht und die Religion. +</p> + +<p> +In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald neue Wolken +auf. Die asiatischen Verhältnisse nahmen einen immer drohenderen Charakter an. +Schon hatte der Staat dadurch, daß die Sulpicische Revolution den Abgang des +Heeres nach Asien verzögert hatte, den schwersten Schaden erlitten; die +Einschiffung konnte auf keinen Fall länger verschoben werden. Inzwischen hoffte +Sulla teils in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewählt würden, +teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen Insurrektion +beschäftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf die Oligarchie in +Italien zurückzulassen. Allein in den Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf +die von Sulla aufgestellten Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem +allerdings streng optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der +zur entschiedensten Opposition gehörte. Vermutlich war es hauptsächlich die +Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes vergalt. +Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklärung hin, daß es ihn freue, die +Bürger von ihrer verfassungsmäßigen Wahlfreiheit Gebrauch machen zu sehen, und +begnügte sich, beiden Konsuln den Schwur abzunehmen auf treue Beobachtung der +bestehenden Verfassung. Von den Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, +da die kampanische größten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla ließ +durch Volksschluß das Kommando über jene auf seinen treuergebenen Kollegen +Quintus Rufus übertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in +möglichst schonender Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der Ritterpartei +angehörte und seine passive Haltung während der Sulpicischen Unruhen der +Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt hatte. Rufus traf bei dem Heer ein +und übernahm an Strabos Stelle den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward +er von den Soldaten erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum +abgegebene Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiß ist es, daß er +ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die Früchte der +Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten strafte. Für Sulla +war Rufus’ Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft eine neue und ernste +Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando abzunehmen. Als bald darauf +sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich einerseits von seinem Nachfolger Cinna +gedrängt, endlich nach Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings +dringend not tat, andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht +geladen; es war dem blödesten Auge klar, daß ein neuer Sturm gegen ihn und +seine Partei sich vorbereitete und daß die Gegner seine Entfernung wünschten. +Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu treiben +und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen Angelegenheiten gehen +zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach einem andern Weltteil sich zu +entfernen. Sulla entschied sich - ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus +Indifferenz, wird nie ausgemacht werden - für die letztere Alternative, übergab +das in Samnium zurückbleibende Korps dem zuverlässigen und kriegskundigen +Quintus Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl in +Unteritalien übernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem Proprätor Appius +Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen Legionen nach +dem hellenischen Osten sich ein. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/> +Der Osten und König Mithradates</h2> + +<p> +Die atemlose Spannung, in welcher die Revolution mit ihrem ewig sich +erneuernden Feuerlärm und Löschruf die römische Regierung erhielt, war die +Ursache, daß dieselbe die Provinzialverhältnisse überhaupt aus den Augen +verlor, am meisten aber die des asiatischen Ostens, dessen ferne und +unkriegerische Nationen nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die +transalpinischen Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdrängten. Nach +der Einziehung des Attalischen Königreiches, die mit dem Ausbruch der +Revolution zusammenfällt, ist ein volles Menschenalter hindurch kaum irgendeine +ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen Angelegenheiten nachzuweisen, +mit Ausnahme der durch die maßlose Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den +Römern abgedrungenen Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), +welche der Sache nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden +Station für eine kleine römische Heer- und Flottenabteilung in den östlichen +Gewässern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100) die +Restaurationsregierung einigermaßen konsolidiert hatte, begann die römische +Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige Aufmerksamkeit zuzuwenden. +</p> + +<p> +In vieler Hinsicht waren die Verhältnisse noch, wie wir dreißig Jahre zuvor sie +verließen. Das Reich Ägypten mit seinen beiden Nebenländern Kyrene und Kypros +löste mit dem Tode Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils tatsächlich +sich auf. Kyrene kam an den natürlichen Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und +trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem haderten +die Witwe des letzten Königs, Kleopatra († 665 89), und dessen beide Söhne +Soter II. Lathyros († 673 81) und Alexander I. († 666 88), was die Ursache +ward, daß auch Kypros auf längere Zeit von Ägypten sich schied. Die Römer +griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im Jahre 658 (96) das Kyrenische +Reich durch das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen sie +diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überließen doch die Landschaft im +wesentlichen sich selbst, indem sie die griechischen Städte des Reiches, +Kyrene, Ptolemais, Berenike, zu Freistädten erklärten und denselben sogar die +Nutzung der königlichen Domänen überwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters +von Africa über dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr eine +bloß nominelle als die des Statthalters von Makedonien über die hellenischen +Freistädte. Die Folgen dieser Maßregel, die ohne Zweifel nicht aus dem +Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit der +römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die unter gleichen +Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bürgerkriege und Usurpation +zerrissen die Landschaft so, daß, als dort zufällig im Jahre 668 (86) ein +höherer römischer Offizier erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten, ihre +Verhältnisse zu ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begründen. +</p> + +<p> +Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten +besser geworden. Während des zwanzigjährigen Erbfolgekrieges der beiden +Halbbrüder Antiochos Grypos († 658 96) und Antiochos von Kyzikos († 659 95), +der sich nach dem Tode derselben auf ihre Söhne forterbte, ward das Reich, um +das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die kilikischen Seekönige, +die Araberscheichs der syrischen Wüste, die Fürsten der Juden und die +Magistrate der größeren Städte in der Regel mehr zu sagen hatten als die Träger +des Diadems. Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Römer sich fest und +ging das wichtige Mesopotamien definitiv über an die Parther. +</p> + +<p> +Die Monarchie der Arsakiden hatte, hauptsächlich infolge der Einfälle +turanischer Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise +durchzumachen gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Große (630 +? - 667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine überwiegende Stellung in +Innerasien zurückgegeben, die Skythen zurückgeschlagen und gegen Syrien und +Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen das Ende seines +Lebens lähmten neue Unruhen sein Regiment; und während die Großen des Reiches, +ja der eigene Bruder Orodes gegen den König sich auflehnten und endlich dieser +Bruder ihn stürzte und töten ließ, erhob sich das bis dahin unbedeutende +Armenien. Dieses Land, das seit seiner Selbständigkeitserklärung in die +nordöstliche Hälfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, +und die südwestliche oder Sophene, das Reich der Zariadriden, geteilt gewesen +war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94) zum erstenmal +zu einem Königreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung, teils die +Schwäche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen König von ganz +Armenien möglich, nicht bloß aus der Klientel der Parther sich zu lösen und die +früher an sie abgetretenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das +Oberkönigtum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Seleukiden und von +diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an Armenien zu bringen. +</p> + +<p> +In Kleinasien endlich bestand die Länderteilung, wie sie nach der Auflösung des +Attalischen Reiches unter römischer Einwirkung festgestellt worden war, noch +wesentlich ungeändert. In dem Zustande der Klientelstaaten, der Königreiche +Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fürstentümer Paphlagoniens und Galatiens, +der zahlreichen Städtebünde und Freistädte, war eine äußerliche Änderung +zunächst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der +römischen Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Teils +durch die bei jedem tyrannischen Regiment naturgemäß eintretende stetige +Steigerung des Druckes, teils durch die mittelbare Einwirkung der römischen +Revolution - man erinnere sich an die Einziehung des Bodeneigentums in der +Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die römischen Zehnten und Zölle und an +die Menschenjagden, die die Zöllner daselbst nebenbei betrieben - lastete die +schon von Haus aus schwer erträgliche römische Herrschaft in einer Weise auf +Asien, daß weder die Königskrone noch die Bauernhütte daselbst mehr sicher war +vor Konfiskation, daß jeder Halm für den römischen Zehntherrn zu wachsen, jedes +Kind freier Eltern für die römischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien. +Zwar ertrug der Asiate in seiner unerschöpflichen Passivität auch diese Qual; +allein es waren nicht Geduld und Überlegung, die ihn ruhig tragen hießen, +sondern der eigentümlich orientalische Mangel der Initiative, und es konnten in +diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare, +schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat, der es +verstand, das Zeichen zu geben. +</p> + +<p> +Es regierte damals im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem Beinamen +Eupator (geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von väterlicher +Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios Hystaspes’ Sohn, im +achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I., zurückführte, +von mütterlicher den Alexandriden und Seleukiden entstammte. Nach dem frühen +Tode seines Vaters Mithradates Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel, +war er um 634 (120) als elfjähriger Knabe König genannt worden; allein das +Diadem brachte ihm nur Not und Gefahr. Die Vormünder, ja, wie es scheint, die +eigene, durch des Vaters Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem +königlichen Knaben nach dem Leben; es wird erzählt, daß er, um den Dolchen +seiner gesetzlichen Beschützer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend +gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht für Nacht die Ruhestätte +wechselnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses Jägerleben +geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann. Wenngleich unsere +Berichte über ihn im wesentlichen auf schriftliche Aufzeichnungen der +Zeitgenossen zurückgehen, so hat nichtsdestoweniger die im Orient blitzschnell +sich bildende Sage den mächtigen König früh geschmückt mit manchen der Züge +ihrer Simson und Rustem; aber auch diese gehören zum Charakter ebenwie die +Wolkenkrone zum Charakter der höchsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes +erscheinen in beiden Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht getrübt noch +wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem riesengroßen Leibe des Königs +Mithradates paßten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr noch der +Italiker. Als Läufer überholte er das schnellste Wild; als Reiter bändigte er +das wilde Roß und vermochte mit gewechselten Pferden an einem Tage 25 deutsche +Meilen zurückzulegen; als Wagenlenker fuhr er mit sechzehn und gewann im +Wettrennen manchen Preis - freilich war es gefährlich, in solchem Spiel dem +König obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde +herab, ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen - er +veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die für den derbsten +Esser und für den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - und nicht minder in +den Freuden des Harems, wie unter anderm die zügellosen Billets seiner +griechischen Mätressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. Seine +geistigen Bedürfnisse befriedigte er im wüstesten Aberglauben -Traumdeuterei +und das griechische Mysterienwesen füllten nicht wenige der Stunden des Königs +aus - und in einer rohen Aneignung der hellenischen Zivilisation. Er liebte +griechische Kunst und Musik, das heißt er sammelte Pretiosen, reiches Gerät, +alte persische und griechische Prachtstücke - sein Ringkabinett war berühmt -, +hatte stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner +Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen für Esser und +Trinker auch welche aus für den drolligsten Spaßmacher und den besten Sänger. +So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im Orient, wo das Verhältnis des +Herrschers und der Beherrschten mehr den Charakter des Natur- als des +sittlichen Gesetzes trägt, ist der Untertan hündisch treu und hündisch falsch, +der Herrscher grausam und mißtrauisch. In beiden ist Mithradates kaum +übertroffen worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft +wegen wirklicher oder angeblicher Verräterei seine Mutter, sein Bruder, seine +ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und ebenso viele seiner Töchter. +Vielleicht noch empörender ist es, daß sich unter seinen geheimen Papieren im +voraus aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner vertrautesten Diener +vorfanden. Ebenso ist es echt sultanisch, daß er späterhin, nur um seinen +Feinden die Siegestrophäen zu entziehen, seine beiden griechischen Gattinnen, +seine Schwestern und seinen ganzen Harem töten ließ und den Frauen nur die Wahl +der Todesart freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte +betrieb er als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte und versuchte, +seinen Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen. Verrat und Mord hatte er von früh +auf von jedermann und zumeist von den Nächsten erwarten und gegen jedermann und +zumeist gegen die Nächsten üben gelernt, wovon denn die notwendige und durch +seine ganze Geschichte belegte Folge war, daß all seine Unternehmungen +schließlich mißlangen durch die Treulosigkeit seiner Vertrauten. Dabei begegnen +wohl einzelne Züge von hochherziger Gerechtigkeit; wenn er Verräter bestrafte, +schonte er in der Regel diejenigen, welche nur durch ihr persönliches +Verhältnis zu dem Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein +dergleichen Anfälle von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was +Mithradates in der Tat auszeichnet unter der großen Anzahl gleichartiger +Sultane, ist seine grenzenlose Rührigkeit. Eines schönen Morgens war er aus +seiner Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so daß man ihn +bereits verloren gab; als er zurückkam, hatte er unerkannt ganz Vorderasien +durchwandert und Land und Leute überall militärisch erkundet. Von gleicher Art +ist es, daß er nicht bloß überhaupt ein redefertiger Mann war, sondern auch den +zweiundzwanzig Nationen, über die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, +ohne eines Dolmetschers zu bedürfen - ein bezeichnender Zug für den regsamen +Herrscher des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter trägt seine ganze +Regententätigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren Verwaltung +schweigt unsere Überlieferung leider durchaus -, geht sie auf wie die eines +jeden anderen Sultans im Sammeln von Schätzen, im Zusammentreiben der Heere, +die wenigstens in seinen früheren Jahren gewöhnlich nicht der König selbst, +sondern irgendein griechischer Condottiere gegen den Feind führt, in dem +Bestreben, neue Satrapien zu den alten zu fügen; von höheren Elementen, +Förderung der Zivilisation, ernstlicher Führerschaft der nationalen Opposition, +eigenartiger Genialität finden sich, in unserer Überlieferung wenigstens, bei +Mithradates keine bewußten Spuren, und wir haben keinen Grund, auch nur mit den +großen Regenten der Osmanen, wie Muhamed II. und Suleiman waren, ihn auf eine +Linie zu stellen. Trotz der hellenischen Bildung, die ihm nicht viel besser +sitzt als seinen Kappadokiern die römische Rüstung, ist er durchaus ein +Orientale gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit, +abergläubisch, grausam, treu- und rücksichtslos, aber so kräftig organisiert, +so gewaltig physisch begabt, daß sein trotziges Umsichschlagen, sein +unverwüstlicher Widerstandsmut häufig wie Talent, zuweilen sogar wie Genie +aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, daß während der Agonie der Republik +es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in den Zeiten Scipios oder +Traians, und daß nur die Verschlingung der asiatischen Ereignisse mit den +inneren Bewegungen Italiens es Mithradates möglich machte, doppelt so lange als +Jugurtha den Römern zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr, +daß bis auf die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den Römern +ernstlich zu schaffen gemacht, und daß er gegen sie sich gewehrt hat wie gegen +den Jäger der Löwe der Wüste. Aber mehr als solchen naturkräftigen Widerstand +sind wir nach dem, was vorliegt, auch nicht berechtigt, in ihm zu erkennen. +</p> + +<p> +Indes wie man immer über die Individualität des Königs urteilen möge, seine +geschichtliche Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die Mithradatischen +Kriege sind zugleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas +gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen +Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen die römische Suprematie, der nationalen +Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch +sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herrschend am +Hofe und überhaupt unter den Vornehmen, die Religion der Landesbewohner wie die +offizielle des Hofes vorwiegend der alte Nationalkult; der Hellenismus daselbst +war wenig verschieden von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der +Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen +kurzen Augenblick für ihre politischen Träume an diesem König einen Halt zu +finden meinen; in der Tat ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge +gestritten, als worüber auf den Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung +fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem ungeheuren Zweikampf +des Westens und des Ostens, welcher von den Kämpfen bei Marathon auf die +heutige Generation sich vererbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso nach +Jahrtausenden zählen mag wie seine Vergangenheit. +</p> + +<p> +So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun des kappadokischen Königs das +fremdartige und unhellenische Wesen hervortritt, so schwierig ist es, das hier +obwaltende nationale Element bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen, +in dieser Hinsicht über Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen +Anschauung zu gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es +keinen Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster +Zeit mannigfaltig verschlungene Stämme neben- und durcheinander geschoben und +wo demzufolge die Verhältnisse der Nationalitäten weniger klar wären wie in +Kleinasien. Die semitische Bevölkerung setzt sich von Syrien her in +ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien fort, und es scheint ihr ferner +auch an der Ostküste in der karischen lydischen Landschaft der Grundstock der +Bevölkerung anzugehören, während die nordwestliche Spitze von den Bithynern, +den Stammverwandten der europäischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das +Binnenland und die Nordküste sind vorwiegend von indogermanischen, am nächsten +den iranischen verwandten Völkerschaften erfüllt. Von der armenischen und der +phrygischen Sprache ^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen +höchstwahrscheinlich, daß sie zunächst an das Zend grenzten; und wenn von den +Mysern angegeben wird, daß bei ihnen lydische und phrygische Sprache sich +begegneten, so bezeichnet dies eben eine semitisch-iranische, etwa der +assyrischen vergleichbare Mischbevölkerung. Was die zwischen Kilikien und +Karien sich ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so +mangelt es, trotz der gerade hier in Fülle vorhandenen Überreste einheimischer +Sprache und Schrift, bis jetzt über dieselbe noch an gesicherten Ergebnissen, +und es ist nur wahrscheinlich, daß diese Stämme eher den Indogermanen als den +Semiten zuzuzählen sind. Wie dann überall dieses Völkergewirre sich zuerst ein +Netz griechischer Kaufstädte, sodann der durch das kriegerische wie das +geistige Übergewicht der griechischen Nation ins Leben gerufene Hellenismus +gelegt hat, ist in seinen Umrissen bereits früher auseinandergesetzt worden. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Die als phrygisch angeführten Wörter Βαγαίος = Zeus und der alte Königsname +Μάνις sind unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und das +deutsche Mannus, indisch Manus zurückgeführt worden. Chr. Lassen in: ZDMG, 10, +1888, S. 329f. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +In diesen Gebieten herrschte König Mithradates und zwar zunächst in Kappadokien +am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo, am +nordöstlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in steter +Berührung, sich die iranische Nationalität vermutlich minder gemischt als +irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal der Hellenismus war +hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Küste, wo mehrere ursprünglich +griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze +Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats und +die blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr +primitiven Zustand. Nicht als hätte es wüst gelegen; vielmehr wie die pontische +Landschaft noch heute eine der lachendsten der Erde ist, in der Getreidefelder +mit Wäldern von wilden Obstbäumen wechseln, war sie ohne Zweifel auch zu +Mithradates’ Zeit wohl bebaut und verhältnismäßig auch bevölkert. Allein +eigentliche Städte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die den +Ackerleuten als Zufluchtsstätten und dem König als Schatzkammern zur +Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in Kleinarmenien +fünfundsiebzig solcher kleiner königlicher Kastelle gezählt wurden. Wir finden +nicht, daß Mithradates wesentlich dazu getan hätte, das städtische Wesen in +seinem Reiche emporzubringen; und wie er gestellt war, in tatsächlicher, wenn +auch vielleicht ihm selbst nicht völlig bewußter Reaktion gegen den +Hellenismus, begreift sich dies wohl. Um so tätiger erscheint er, gleichfalls +in ganz orientalischer Weise, bemüht, sein Reich, das schon nicht klein war, +wenn auch der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500 deutsche Meilen +angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer wie gegen +Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine Flotten und seine +Botschafter tätig. Nirgends aber bot sich ihm ein so freier und so weiter +Spielraum wie an den östlichen und den nördlichen Gestaden des Schwarzen +Meeres, auf deren damalige Zustände hier einen Blick zu werfen nicht +unterlassen werden darf, so schwierig oder vielmehr unmöglich es ist, ein +wirklich anschauliches Bild davon zu geben. An dem östlichen Ufer des Schwarzen +Meeres, das bisher fast unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren +Kunde aufgeschlossen ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis +(Mingrelien und Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den +einheimischen Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. +Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nördlichen Landschaften 2. +Die weiten hügel- und waldlosen Steppen, die sich nördlich vom Schwarzen Meer, +vom Kaukasus und von der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer +Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von +Stockholm und von dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz und der +nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und länger anhaltenden +absoluten Regen- und Schneelosigkeit, für den Ackerbau und überhaupt für feste +Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer, wenngleich vor zweitausend +Jahren die klimatischen Verhältnisse vermutlich etwas weniger ungünstig +standen, als dies heutzutage der Fall ist 3. Die verschiedenen Stämme, die der +Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem Gebot der Natur +und führten und führen zum Teil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben, indem +sie mit ihren Rinder- oder häufiger noch mit ihren Roßherden Wohn- und +Weideplätze wechselten und ihr Gerät auf Wagenhäusern sich nachführten. Auch +die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach: die Bewohner dieser +Steppen fochten großenteils beritten und immer aufgelöst, mit Helm und Panzer +von Leder und lederüberzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze +und Bogen - die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprünglich hier +ansässigen Skythen, die mongolischer Rasse und in Sitte und Körpergestalt den +heutigen Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein scheinen, hatten sich, +von Osten nach Westen vorrückend, sarmatische Stämme nachgeschoben, Sauromaten, +Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich für slawischer Abkunft gehalten werden, +obwohl diejenigen Eigennamen, welche man ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr +mit medischen und persischen sich verwandt zeigen und vielleicht jene Völker +vielmehr dem großen Zendstamme angehört haben. In entgegengesetzter Richtung +fluteten thrakische Schwärme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr +gelangten; dazwischen drängten sich, wahrscheinlich als Ausläufer der großen +germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht berührt zu +haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst die Bastarner, an der +Donaumündung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat bildete sich nirgends; es +lebte jeder Stamm unter seinen Fürsten und Ältesten für sich. Zu all diesen +Barbaren in scharfem Gegensatz standen die hellenischen Ansiedlungen, welche +zur Zeit des gewaltigen Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von +Miletos aus, an diesen Gestaden gegründet worden waren, teils als Emporien, +teils als Stationen für den wichtigen Fischfang und selbst für den Ackerbau, +für welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des Schwarzen +Meeres im Altertum minder ungünstige Verhältnisse darbot, als dies heutzutage +der Fall ist; für die Benutzung des Bodens zahlten hier die Hellenen, wie die +Phöniker in Libyen, den einheimischen Herren Schoß und Grundzins. Die +wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die Freistadt Chersonesos (unweit +Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in der Taurischen Halbinsel (Krim) +angelegt und unter nicht vorteilhaften Verhältnissen durch ihre gute Verfassung +und den Gemeingeist ihrer Bürger in mäßigem Wohlstand sich behauptend; ferner +auf der gegenüberliegenden Seite der Halbinsel an der Straße von dem Schwarzen +in das Asowsche Meer Pantikapäon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297) Roms +regiert von erblichen Bürgermeistern, später bosporanische Könige genannt, den +Archäanaktiden, Spartokiden und Pärisaden. Der Getreidebau und der Fischfang im +Asowschen Meer hatten die Stadt schnell zur Blüte gebracht. Ihr Gebiet umfaßte +in der Mithradatischen Zeit noch die kleinere Osthälfte der Krim mit Einschluß +der Stadt Theodosia und auf dem gegenüberliegenden asiatischen Kontinent die +Stadt Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten die +Herren von Pantikapäon zu Lande die Völker an der Ostküste des Asowschen Meeres +und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze Meer beherrscht; allein +Pantikapäon war nicht mehr, was es gewesen war. Nirgends empfand man tiefer als +an diesen fernen Grenzposten den traurigen Rückgang der hellenischen Nation. +Athen in seiner guten Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die +Pflichten der führenden Macht erfüllte, die allerdings auch den Athenern durch +ihren Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz +der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich selbst +überlassen. Die griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt, ernstlich hier +einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, und Lysimachos einigemal +dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche mit der Eroberung Makedoniens +und Kleinasiens die politische Verpflichtung überging, hier, wo die griechische +Zivilisation dessen bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten +völlig das Gebot des Vorteils wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von +Rhodos vollendeten die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen +Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenüber gibt +uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmündung bei Očakov), die nicht +allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt zu sein scheint. Die +Bürgerschaft muß dem Barbarenkönig nicht bloß jährlichen Zins an sein Hoflager +schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt lagert oder auch nur +vorbeizieht, eine Verehrung machen, in ähnlicher Weise auch geringere +Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der Barbaren mit Geschenken +abfinden, und es geht ihr übel, wenn die Gabe zu geringfügig erscheint. Die +Stadtkasse ist bankrott, und man muß die Tempelkleinode zum Pfand setzen. +Inzwischen drängen draußen vor den Toren sich die Stämme der Wilden: das Gebiet +wird verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das ärgste +ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um vor dem +Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt sich zu +bemächtigen, so daß zahlreiche Bürger dieselbe verlassen und man schon daran +denkt, sie ganz aufzugeben. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +2 Sie sind hier zusammengefaßt, da sie freilich zum Teil erst zwischen den +ersten und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom +fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und eine +Erzählung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings nicht +durchführen läßt. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos hat in dieser +Hinsicht keinen Aufschluß gegeben. Danach ist Diophantos zweimal gegen die +taurischen Skythen gesandt worden; aber daß die zweite Schilderhebung derselben +mit dem Beschluß des römischen Senats zu Gunsten der skythischen Fürsten in +Verbindung steht, erhellt aus der Urkunde nicht und ist nicht einmal +wahrscheinlich. +</p> + +<p> +3 Es hat viele Wahrscheinlichkeit, daß die ungemeine Trockenheit, die +vornehmlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden überhaupt +erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Wälder des +mittleren und südlichen Rußland, die ehemals bis zu einem gewissen Grad die +Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind schützten. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Diese Zustände fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm +des Kaukasus überschreitend hinabstieg in die Täler des Kuban und Terek und +gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich zeigte. Kein Wunder, +daß auch hier überall, wie es schon in Dioskurias geschehen war, die Hellenen +den pontischen König mit offenen Armen empfingen und in dem Halbhellenen und +seinen griechisch gerüsteten Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, +was Rom hier versäumt hatte. Den Herren von Pantikapäon waren ebendamals die +Tributforderungen zu unerschwinglicher Höhe gesteigert worden; die Stadt +Chersonesos sah sich von dem König der auf der Halbinsel hausenden Skythen, +Skiluros, und dessen fünfzig Söhnen hart bedrängt; gern gaben jene ihre +Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit hin, um ihr letztes Gut, ihr +Hellenentum, zu retten. Es war nicht umsonst. Mithradates’ tapfere +Feldherren Diophantos und Neoptolemos und seine disziplinierten Truppen wurden +leicht mit den Steppenvölkern fertig. Neoptolemos schlug sie in der Straße von +Pantikapäon teils zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde +befreit, die Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmäßig angelegte +Festungen der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie +sie später heißen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den Tauriern zu +Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor seinen 6000 +Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen 4. So erwarb +Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen verbundenes und gleich +diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer Handelsstädte gegründetes +Königreich, das Bosporanische genannt, das die heutige Krim mit der +gegenüberliegenden asiatischen Landspitze umfaßte und jährlich 200 Talente +(314000 Taler) und 180000 Scheffel Getreide in die königlichen Kassen und +Magazine lieferte. Die Steppenvölker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur +Donaumündung traten wenigstens zum großen Teil in Klientel oder in Vertrag mit +dem pontischen König und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch wenigstens +einen unerschöpflichen Werbeplatz für seine Armeen. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +4 Das kürzlich aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos für diesen +Diophantos (SIG 252) bestätigt die Überlieferung durchaus. Es zeigt uns die +Stadt in nächster Nähe - den Hafen von Balaklava müssen die Taurer, Simferopol +die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, bedrängt teils von den Taurern +an der Südküste der Krim, teils und vor allem von den Skythen, die das ganze +Innere der Halbinsel und das angrenzende Festland in der Gewalt haben; es zeigt +uns ferner, wie der Feldherr des Königs Mithradates nach allen Seiten hin der +Griechenstadt Luft macht die Taurer niederschlägt und in ihrem Gebiet eine +Zwingburg (wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den +westlichen und den östlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im Westen die +Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfürsten Saumakos überwältigt, die +Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich sie mit den Reuxinalern - so +heißen hier, wo sie zuerst auftreten, die späteren Roxolaner - in der großen +Feldschlacht besiegt, deren auch die schriftliche Überlieferung gedenkt. Eine +formelle Unterordnung der Griechenstadt unter den König scheint nicht +stattgefunden zu haben; Mithradates erscheint nur als schützender +Bundesgenosse, der gegen die als unbesiegbar geltenden (τούς ανυποστάτους +δοκούντασ ειμεν) Skythen für die Griechenstadt die Schlachten schlägt, welche +wahrscheinlich zu ihm ungefähr in dem Verhältnis gestanden hat wie Massalia und +Athen zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (υπάκοιοι) des +Mithradates. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Während also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der König +zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als die Einziehung +Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhängigen Herrschaft zum +integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die enge Verbindung, in +die er mit dem König von Großarmenien trat. Er gab dem Tigranes nicht bloß +seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern er war es auch wesentlich, durch +dessen Unterstützung Tigranes sich der Herrschaft der Arsakiden entwand und +ihre Stelle in Asien einnahm. Es scheint zwischen beiden eine Verabredung in +der Art getroffen zu sein, daß Tigranes Syrien und das innere Asien, +Mithradates Kleinasien und die Küsten des Schwarzen Meeres zu besetzen +übernahmen unter Zusage gegenseitiger Unterstützung, und ohne Zweifel war es +der tätigere und fähigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich +den Rücken zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zu sichern. +</p> + +<p> +In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke auf das binnenländische +Paphlagonien - die Küste gehörte seit langem zum Poptischen Reich - und auf +Kappadokien 5. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprüche als durch +Testament des letzten der Pylämeniden vermacht an den König Mithradates +Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das Land +selbst protestierten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen +Herrscher nicht vergessen, daß dies Land und Kappadokien am Meer einst +zusammengehört hatten, und trugen sich fortwährend mit Reunionsideen. +Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König Nikomedes +von Bithynien, mit dem er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch +erhob, fügte sich Mithradates demselben, während Nikomedes einen seiner Söhne +mit dem Namen Pylämenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an +sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbündeten in +Kappadokien. König Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es hieß im +Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes Mithradates +Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wußte den Übergriffen des Königs von +Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen Hilfe seines Oheims, für +welche dieser dann ihm ansann, dem flüchtig gewordenen Mörder seines Vaters die +Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierüber zum Bruch und zum +Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich gegenüberstanden, begehrte der +Oheim zuvor eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stieß dabei den unbewaffneten +Jüngling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Mörder des Vaters, übernahm +hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige +Bevölkerung sich gegen ihn erhob und den jüngeren Sohn des letzten Königs zur +Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats überlegenen Streitkräften +keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem Volke auf +den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen König um so mehr freie Hand, +als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent +ward, ebenwie in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert, +unter dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. +Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte König +Mithradates am nördlichen wie am südlichen Gestade des Schwarzen Meeres und +weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des Königs für den Krieg +zu Lande und zu Wasser schienen unermeßlich. Sein Werbeplatz reichte von der +Donaumündung bis zum Kaukasus und dem Kaspischen Meer; Thraker, Skythen, +Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien) drängten sich +unter seine Fahne; vor allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den +tapferen Bastarnern. Für die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie außer +Flachs, Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgeflößte +Bauholz; Steuermänner und Offiziere wurden in Phönikien und Syrien gedungen. In +Kappadokien, hieß es, sei der König eingerückt mit 600 Sichelwagen, 1000 +Pferden und 8000 Mann zu Fuß; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch +nicht aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer römischen +oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pontische Flotte, gestützt auf +Sinope und die Häfen der Krim, das Schwarze Meer ausschließlich. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +5 Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu bestimmen. Um +640 (114) etwa scheint Mithradates Eupator tatsächlich die Regierung angetreten +zu haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70), womit die +Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreißig Jahren +(662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit +fallen die paphlagonischen und kappadokischen Sukzessionshändel, mit denen die +von Mithradates, wie es scheint, in Saturninus’ erstem Tribunat 651 (103) +in Rom versuchte Bestechung (Diod. 631) wahrscheinlich schon zusammenhängt. +Marius, der 655 (99) Rom verließ und nicht lange im Osten verweilte, traf +Mithradates schon in Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen seiner +Übergriffe (Cic. Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals +schon ermordet. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Daß der römische Senat seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von ihm +abhängigen Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend machte, +beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem plötzlichen Tode +Mithradates V. Dem unmündigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem Vater für +seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr für sein gutes +Geld verliehene Großphrygien genommen und diese Landschaft dem unmittelbar +römischen Gebiet hinzugefügt 6. Aber nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren +gelangt war, bewies derselbe Senat gegen dessen allseitige Übergriffe und gegen +diese imposante Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen +zwanzigjährigen Zeitraum ausfüllt, völlige Passivität. Er ließ es geschehen, +daß einer seiner Klientelstaaten sich militärisch zu einer Großmacht +entwickelte, die über hunderttausend Bewaffnete gebot; daß er in die engste +Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die Spitze der +innerasiatischen Staaten gestellten Großkönig des Ostens; daß er die +benachbarten asiatischen Königreiche und Fürstentümer unter Vorwänden einzog, +die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und weit entfernte +Schutzmacht klangen; daß er endlich sogar in Europa sich festsetzte und als +König auf der Taurischen Halbinsel, als Schutzherr fast bis an die +makedonisch-thrakische Grenze gebot. Wohl ward über diese Verhältnisse im Senat +verhandelt; aber wenn das hohe Kollegium sich in der paphlagonischen +Erbangelegenheit schließlich dabei beruhigte, daß Nikomedes sich auf seinen +falschen Pylämenes berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getäuscht als +dankbar für jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte. +Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die Fürsten +der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdrängt hatte, wandten +sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der traditionellen +Maximen der römischen Politik gedachte, mußte sich erinnern, daß einst unter so +ganz anderen Verhältnissen der Übergang des Königs Antiochos nach Europa und +die Besetzung des thrakischen Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem +Asiatischen Krieg geworden war, und mußte begreifen, daß die Besetzung des +taurischen durch den pontischen König jetzt noch viel weniger geduldet werden +konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Königreichs +Kappadokien, wegen welcher überdies Nikomedes von Bithymen, der auch +seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz zu +nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten den seinigen +ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die römische Regierung zur +Intervention zu drängen. Der Senat beschloß, daß Mithradates die skythischen +Fürsten wiedereinzusetzen habe - so weit war man durch die schlaffe +Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen Politik gedrängt, daß man jetzt, +statt die Hellenen gegen die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben +Landsleute unterstützen mußte. Paphlagonien wurde abhängig erklärt und der +falsche Pylämenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu räumen. Ebenso sollte +der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen und, da die +Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, durch freie Volkswahl +ihm wiederum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen energisch genug; +nur war es übel, daß man, statt ein Heer zu senden, den Statthalter von +Kilikien, Lucius Sulla, mit der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die +Räuber und Piraten kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum +Glück vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Römer besser +ihr Interesse als ihr gegenwärtiges Regiment und ergänzte die Energie und +Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden vermissen ließ. +Mithradates hielt sich zurück und begnügte sich, den Großkönig Tigranes von +Armenien, der den Römern gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu +veranlassen, Truppen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine +Mannschaft und die Zuzüge der asiatischen Bundesgenossen zusammen, überstieg +den Taurus und schlug den Statthalter Gordios samt seinen armenischen +Hilfstruppen aus Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen +Stücken nach; Gordios mußte die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich +nehmen und der falsche Ariarathes verschwand; die Königswahl, die der pontische +Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den angesehenen +Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner Expedition in die Gegend +des Euphrat gelangte, in dessen Wellen damals zuerst römische Feldzeichen sich +spiegelten, fand bei dieser Gelegenheit auch die erste Berührung statt zwischen +den Römern und den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen +ihnen und Tigranes Ursache hatten, den Römern sich zu nähern. Beiderseits +schien man zu fühlen, daß etwas darauf ankam bei dieser ersten Berührung der +beiden Großmächte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf die Herrschaft +der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der parthische Bote, nahm +und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz zwischen dem König von +Kappadokien und dem parthischen Abgesandten. Mehr als durch seine Siege im +Osten mehrte Sullas Ruhm sich durch diese vielgefeierte Konferenz am Euphrat; +der parthische Gesandte büßte später seinem Herrn dafür mit dem Kopfe. Indes +für den Augenblick hatte diese Berührung keine weitere Folge. Nikomedes +unterließ es im Vertrauen auf die Gunst der Römer, Paphlagonien zu räumen; aber +die gegen Mithradates gefaßten Senatsbeschlüsse wurden ferner vollzogen, die +Wiederherstellung der skythischen Häuptlinge von ihm wenigstens zugesagt; der +frühere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662 92). +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +6 Ein vor kurzem in dem Dorfe Aresli südlich von Synnada gefundener +Senatsbeschluß vom Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus +usus sit, S. 51) bestätigt sämtliche, von dem König bis zu seinem Tode +getroffenen Anordnungen und zeigt also, daß Großphrygien nach dem Tode des +Vaters nicht bloß dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet, sondern +damit geradezu unter römische Botmäßigkeit kam. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +So hieß es; in der Tat war von einer ernstlichen Zurückführung der früheren +Ordnung der Dinge wenig zu verspüren. Kaum hatte Sulla Asien verlassen, als +König Tigranes von Großarmenien über den neuen König von Kappadokien, +Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den pontischen +Prätendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem Tode des +alten Königs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III. Philopator +vom Volk und vom römischen Senat als rechtmäßiger König anerkannt worden war. +trat dessen jüngerer Bruder Sokrates als Kronprätendent auf und bemächtigte +sich der Herrschaft. Es war klar, daß der eigentliche Urheber der +kappadokischen wie der bithynischen Wirren kein anderer als Mithradates war, +obwohl er sich jeder offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wußte, daß +Tigranes nur handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit +pontischen Truppen eingerückt und des rechtmäßigen Königs Leben durch +Mithradates’ Meuchelmörder bedroht. In der Krim gar und den benachbarten +Landschaften dachte der pontische König nicht daran zurückzuweichen und trug +vielmehr seine Waffen weiter und weiter. +</p> + +<p> +Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und Nikomedes persönlich +um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur Unterstützung des dortigen +Statthalters Lucius Cassius den Konsular Manius Aquillius, einen im Kimbrischen +und im Sizilischen Krieg erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der +Spitze einer Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen +Klientelstaaten und namentlich den Mithradates an, nötigenfalls mit gewaffneter +Hand Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische +Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen römischen +Korps, über das der Statthalter der Provinz Asia verfügte, und des Aufgebots +der Phryger und der Galater; König Nikomedes und König Ariobarzanes bestiegen +wieder ihre schwankenden Throne; Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, +Zuzug zu gewähren, unter verschiedenen Vorwänden, allein er leistete nicht bloß +den Römern keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Prätendent +Sokrates wurde sogar auf sein Geheiß getötet (664 90). +</p> + +<p> +Es war eine sonderbare Verwicklung. Mithradates war vollkommen überzeugt, gegen +die Römer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu können und es nicht zum +offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu dürfen. Wäre er nicht +also entschlossen gewesen, so fand sich kein günstigerer Augenblick, den Kampf +zu beginnen, als der gegenwärtige: eben damals, als Aquillius in Bithymen und +Kappadokien einrückte, stand die italische Insurrektion auf dem Höhepunkt ihrer +Macht und konnte selbst den Schwachen Mut machen, gegen Rom sich zu erklären; +dennoch ließ Mithradates das Jahr 664 (90) ungenutzt verstreichen. Aber +nichtsdestoweniger verfolgte er so zäh wie rührig seinen Plan, in Kleinasien +sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden +Preis mit der der Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur +aufs neue, daß Mithradates nicht zu den Staatsmännern rechter Art gehörte und +weder zum Kampf zu rüsten wußte wie König Philippos noch sich zu fügen wie +König Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hin- und hergezogen ward +zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefühl seiner eigenen Schwäche. +Aber auch so läßt sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich erinnert, daß +Mithradates in zwanzigjähriger Erfahrung die damalige römische Politik +kennengelernt hatte. Er wußte sehr genau, daß die römische Regierung nichts +weniger als kriegslustig war, ja daß sie, im Hinblick auf die ernstliche +Gefahr, die jeder berühmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer +Erinnerung an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womöglich noch mehr +fürchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, in einer +Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch egoistische +Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlaß zur +Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er vermied sorgfältig den offenen +Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu versetzt hätte. Sowie Ernst +gezeigt ward, wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius; er hoffte +unzweifelhaft darauf, daß nicht immer energische Feldherren ihm +gegenüberstehen, daß auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus +treffen würde. Es muß zugestanden werden, daß diese Hoffnung nicht unverständig +war, obwohl freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie +verkehrt es war, die Bestechung eines römischen Heerführers und die Korruption +einer römischen Armee mit der Überwindung des römischen Volkes zu verwechseln. +So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und ließen ganz dazu an, noch +lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber dies zuzulassen war +Aquillius’ Absicht nicht, und da er seine Regierung nicht zwingen konnte, +Mithradates den Krieg zu erklären, so bediente er sich dazu des Königs +Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des römischen Feldherrn gegeben und +überdies noch für die abgelaufenen Kriegskosten und die dem Feldherrn +persönlich zugesicherten Summen sein Schuldner, konnte sich dem Ansinnen +desselben, mit Mithradates den Krieg zu beginnen, nicht entziehen. Die +bithynische Kriegserklärung erfolgte; aber selbst als Nikomedes’ Schiffe +den pontischen den Bosporus sperrten, seine Truppen in die pontischen +Grenzdistrikte einrückten und die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb +Mithradates noch unerschüttert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner +über die Grenze zu werfen, führte er Klage bei der römischen Gesandtschaft und +bat dieselbe, entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung gestatten zu +wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, daß er unter allen +Umständen sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war +deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet; man ließ +das Schlachtopfer von der römischen Meute überfallen und verbot ihm, gegen +dieselbe sich zu wehren. Auch Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die +Karthager es getan hatten; aber wenn die Phöniker sich aus Verzweiflung +ergaben, so tat dagegen der König von Sinope das Gegenteil und rief seine +Truppen und Schiffe zusammen - “Wehrt nicht”, so soll er gesagt +haben, “auch wer unterliegen muß, dennoch sich gegen den Räuber?” +Sein Sohn Ariobarzanes erhielt Befehl, in Kappadokien einzurücken; es ging noch +einmal eine Botschaft an die römischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, wozu die +Notwehr den König gezwungen habe, und eine letzte Erklärung von ihnen zu +fordern. Sie lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der römische Senat noch +König Mithradates noch König Nikomedes den Bruch gewollt hatten, Aquillius +wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80). +</p> + +<p> +Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und +militärischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor allen +Dingen knüpfte er das Bündnis mit König Tigranes von Armenien fester und +erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das in Vorderasien +einrücken und Grund und Boden daselbst für König Mithradates, die bewegliche +Habe für König Tigranes in Besitz nehmen sollte. Der parthische König, verletzt +durch das stolze Verhalten Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch +nicht als Bundesgenosse der Römer auf. Den Griechen war der König bemüht, sich +in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der griechischen +Nation gegen die römische Fremdherrschaft darzustellen. Pontische Gesandte +gingen an den König von Ägypten und an den letzten Überrest des freien +Griechenlands, den kretensischen Städtebund, und beschworen sie, für die Rom +auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt im letzten Augenblick einzustehen für +die Rettung der hellenischen Nationalität; es war dies wenigstens auf Kreta +nicht ganz vergeblich, und zahlreiche Kretenser nahmen Dienste im pontischen +Heer. Man hoffte auf die sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten +Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die +Empörung der Provinzen, vor allem des maßlos gedrückten Vorderasiens. Man +arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der Insurgierung +Makedoniens. Die schon vorher blühende Piraterie wurde jetzt als willkommene +Bundesgenossin überall entfesselt, und mit furchtbarer Raschheit erfüllten bald +Korsarengeschwader, pontische Kaper sich nennend, weithin das Mittelmeer. Man +vernahm mit Spannung und Freude die Kunde von den Gärungen innerhalb der +römischen Bürgerschaft und von der zwar überwundenen, aber doch noch lange +nicht unterdrückten italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes mit +den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde in +Asien ein römisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps gebildet, dessen +Kern römische und italische Flüchtlinge waren. Streitkräfte gleich denen +Mithradats waren seit den Perserkriegen in Asien nicht gesehen worden. Die +Angaben, daß er, das armenische Hilfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuß +und 40 000 Reitern das Feld nahm, daß 300 pontische Deck- und 100 offene +Schiffe in See stachen, scheinen nicht allzu übertrieben bei einem Kriegsherrn, +der über die zahllosen Steppenbewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die +Brüder Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige griechische +Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte es nicht an tapferen +todverachtenden Männern, und die gold- und silberblinkenden Rüstungen und +reichen Gewänder der Skythen und Meder mischten sich lustig mit dem Erz und +Stahl der griechischen Reisigen. Ein einheitlicher militärischer Organismus +freilich hielt diese buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des +Mithradates war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen +Kriegsmaschinen, wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei +Magnesia einer höheren militärischen Organisation unterlegen waren; immer aber +stand doch der Osten gegen die Römer in Waffen, während auch in der westlichen +Hälfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So sehr es an sich +für Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates den Krieg zu erklären, +so war doch gerade dieser Augenblick so übel gewählt wie möglich, und auch aus +diesem Grunde ist es sehr wahrscheinlich, daß Manius Aquillius zunächst aus +Rücksichten auf seine eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates +eben jetzt herbeigeführt hat. Für den Augenblick hatte man in Asien keine +anderen Truppen zur Verfügung als die kleine römische Abteilung unter Lucius +Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der militärischen und +finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge des Insurrektionskrieges +befand, konnte eine römische Armee im günstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 +(88) in Asien landen. Bis dahin hatten die römischen Beamten daselbst einen +schweren Stand; indes hoffte man, die römische Provinz decken und sich +behaupten zu können, wo man stand: das bithynische Heer unter König Nikomedes +in seiner im vorigen Jahr eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet +zwischen Amastris und Sinope, weiter rückwärts in der bithynischen, +galatischen, kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter Lucius Cassius, +Manius Aquillius, Quintus Oppius, während die bithynisch-römische Flotte +fortfuhr, den Bosporus zu sperren. +</p> + +<p> +Mit dem Beginn des Frühjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive. An +einem Nebenfluß des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch köpri), stieß der +pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die bithynische Armee und +sprengte dieselbe trotz ihrer sehr überlegenen Zahl im ersten Anlauf so +vollständig auseinander, daß das geschlagene Heer sich auflöste und Lager und +Kriegskasse den Siegern in die Hände fielen. Es waren hauptsächlich Neoptolemos +und Archelaos, denen der König diesen glänzenden Erfolg verdankte. Die weiter +zurückstehenden, noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben hierauf sich +überwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstießen; wo Mithradates’ +Feldherren sich ihnen näherten, stoben sie auseinander. Eine römische Abteilung +ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte in Phrygien mit dem Landsturm +das Feld zu halten, allein er entließ ihn wieder, ohne mit ihm eine Schlacht +wagen zu mögen, und warf sich mit seinen wenigen zuverlässigen Leuten in die +Ortschaften am oberen Mäander, namentlich nach Apameia; Oppius räumte in +gleicher Weise Pamphylien und schloß in dem phrygischen Laodikeia sich ein; +Aquillius ward im Zurückweichen am Sangarios im bithynischen Gebiet eingeholt +und so vollständig geschlagen, daß er sein Lager verlor und sich in die +römische Provinz nach Pergamon retten mußte; bald war auch diese überschwemmt +und Pergamon selbst in den Händen des Königs, ebenso der Bosporus und die +daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte Mithradates sämtliche +Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen und nichts versäumt, die von +Anfang an ihm zugewandten nationalen Sympathien zu steigern. Jetzt war die +ganze Landschaft bis zum Mäander mit Ausnahme weniger Festungen in seiner +Gewalt; zugleich erfuhr man, daß in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, daß +der gegen Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich +einzuschiffen, gegen Rom marschiert sei, daß die gefeiertsten römischen +Generale sich untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem der +Oberbefehl im Asiatischen Kriege gebühre. Rom schien eifrigst bemüht, sich +selber zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, daß, wenngleich Minoritäten +auch jetzt noch überall zu Rom hielten, doch die große Masse der Kleinasiaten +den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten vereinigten sich in dem +Jubel, der den Befreier empfing; es ward üblich, den König, in dem wie in dem +göttlichen Indersieger Asien und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu +verehren unter dem Namen des neuen Dionysos. Die Städte und Inseln sandten, wo +er hinkam, ihm Boten entgegen, “den rettenden Gott” zu sich +einzuladen, und festlich gekleidet strömte die Bürgerschaft vor die Tore, ihn +zu empfangen. Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden römischen +Offiziere gebunden an den König ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt +Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7. Die ganze +Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine Macht bekommt, +entlud sich über den unglücklichen Urheber des Krieges. Bald zu Fuß an einen +gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, bald auf einen Esel gebunden und +seinen eigenen Namen abrufend ward der bejahrte Mann durch ganz Kleinasien +geführt und, als endlich das arme Schaustück wieder am königlichen Hof in +Pergamon anlangte, auf Befehl des Königs, um seine Habgier, die eigentlich den +Krieg veranlaßt habe, zu sättigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, +daß er unter Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen +Hohn, der allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der +adligen Männer. Von Ephesos aus erließ König Mithradates an alle von ihm +abhängigen Statthalter und Städte den Befehl, an einem und demselben Tage +sämtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker, Freie und Unfreie, ohne +Unterschied des Geschlechts und des Alters zu töten und bei schwerer Strafe +keinem der Verfemten zur Rettung behilflich zu sein, die Leichen der +Erschlagenen den Vögeln zum Fraß hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur +Hälfte an die Mörder, zur Hälfte an den König abzuliefern. Die entsetzlichen +Befehle wurden mit Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, +pünktlich vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten +hundertundfünfzigtausend wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Männer, +Frauen und Kinder mit kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - +eine grauenvolle Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich +zu entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische +Schergenwillfährigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das +vergleichungsweise edle Gefühl der Rache. Politisch war diese Maßregel nicht +bloß ohne jeden vernünftigen Zweck - denn der finanzielle ließ auch ohne diesen +Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten waren selbst durch das +Bewußtsein der ärgsten Blutschuld nicht zum kriegerischen Eifer zu treiben -, +sondern sogar zweckwidrig, indem sie einerseits den römischen Senat, soweit er +irgend noch der Energie fähig war, zur ernstlichen Kriegführung zwang, +andererseits nicht bloß die Römer traf, sondern ebensogut des Königs natürliche +Bundesgenossen, die nichtrömischen Italiker. Es ist dieser ephesische +Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden Rache, +welcher nur durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der Sultanismus +auftritt, einen falschen Schein von Großartigkeit erhält. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +7 Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf +fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithradates’ +Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Überhaupt ging des Königs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg +begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefürchteten +Sulla ließen ihn übergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete sich +häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des römischen Statthalters, Pergamon, +ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde als +Statthalterschaft an des Königs Sohn Mithradates zur Verwaltung übergeben; +Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als pontische Satrapien. Die +Großen des Reichs und des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben und Lehen +bedacht und sämtlichen Gemeinden nicht bloß die rückständigen Steuern erlassen, +sondern auch Steuerfreiheit auf fünf Jahre zugesichert - eine Maßregel, die +ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Römer, wenn der König dadurch sich +die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. +</p> + +<p> +Freilich füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die +unermeßlichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und anderen +Konfiskationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000 +Taler), welche die Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen +wurden. Der nördliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehörigen Inseln +waren in des Königs Gewalt; außer einigen kleinen paphlagonischen Dynasten gab +es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das gesamte Ägäische Meer +ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von +Karien und Lykien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar +Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand +glücklich eine schwere Belagerung, bei welcher Mithradates’ tüchtigster +Offizier Archelaos geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der +aus Asien entkommenen Römer, unter ihnen des Statthalters Lucius Cassius, wurde +von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer Übermacht angegriffen. +Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des Königs ihre Pflicht +taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor, daß rhodische Geschwader +vielfach stärkere pontische überwanden und mit erbeuteten Schiffen heimkehrten. +Auch zu Lande rückte die Belagerung nicht vor; nachdem ein Teil der Arbeiten +zerstört worden war, gab Mithradates das Unternehmen auf und die wichtige Insel +sowie das gegenüberliegende Festland blieben in den Händen der Römer. +</p> + +<p> +Aber nicht bloß die asiatische Provinz wurde, hauptsächlich infolge der zur +ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast unverteidigt von +Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon den Angriff auch gegen +Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten die Grenznachbarn Makedoniens +gegen Norden und Osten ihre Einfälle mit auffallender Heftigkeit und +Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664, 665 (90, 89) überrannten die Thraker. +Makedonien und ganz Epeiros und plünderten den Tempel von Dodona. Noch +auffallender ist es, daß damit noch einmal der Versuch verbunden ward, einen +Prätendenten auf den makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes +aufzustellen. Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern +unterhielt, war all diesen Vorgängen schwerlich fremd. Zwar erwehrte sich der +Prätor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten dieser +Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, daß ihm mächtigere Gegner kamen. +Mithradates hatte, fortgerissen von seinen Erfolgen, den kühnen Entschluß +gefaßt, wie Antiochos den Krieg um die Herrschaft über Asien in Griechenland +zur Entscheidung zu bringen, und zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen +dorthin dirigiert. Sein Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach +verteidigte Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in +pontische Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstützpunkte der +pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, geführt von +Mithradates’ bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Ägäischen Meer, wo +kaum ein römisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des römischen +Handels in diesen Gewässern, ward besetzt und bei 20000 Menschen, größtenteils +Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euböa erlitt ein gleiches Schicksal; bald +waren östlich vom Malfischen Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte +weitergehen zum Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die +pontische Flotte von Euböa aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug +Bruttius Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit +seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und besetzte +sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, daß der Feind im +eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier wirkte Mithradates nicht +bloß mit den Waffen, sondern zugleich mit der nationalen Propaganda. Sein +Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser Aristion, seiner Geburt nach ein +attischer Sklave, seines Handwerks ehemals Schulmeister der Epikurischen +Philosophie, jetzt Günstling Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetäros, der +durch die glänzende Karriere, die er bei Hof gemacht, den Pöbel zu blenden und +ihm mit Aplomb zu versichern verstand, daß aus dem seit beiläufig sechzig +Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe für Mithradates schon unterwegs +sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht, daß die wenigen +Verständigen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und ein paar toll gewordene +Literaten den Römern förmlich absagten. So ward aus dem Exphilosophen ein +Gewaltherrscher, der, gestützt auf seine pontische Söldnerbande, ein Schand- +und Blutregiment begann, und aus dem Peiräeus ein pontischer Landungsplatz. +Sowie Mithradats Truppen auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die +meisten der kleinen Freistaaten ihnen zu: Achäer, Lakonen, Böoter, bis hinauf +nach Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstärkung +herangezogen hatte, rückte in Böotien ein, um dem belagerten Thespiä Hilfe zu +bringen, und schlug sich bei Chäroneia in dreitägigen Gefechten mit Archelaos +und Aristion; aber sie führten zu keiner Entscheidung und Sura mußte +zurückgehen, als die pontischen Verstärkungen aus dem Peloponnes sich näherten +(Ende 666, Anfang 667 88, 87). +</p> + +<p> +So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daß eine Botschaft +der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, einen Landungsversuch in +Italien zu machen; allein ihre Sache war damals bereits verloren und der König +wies das Ansinnen zurück. +</p> + +<p> +Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien und +Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See +herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische +Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten Gebieten +Italiens unbestritten die Herrschaft führte; dazu die kaum beschwichtigte +Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und furchtbarer +emporzulodern; dazu endlich die durch die inneren Unruhen in Italien und die +ungeheuren Verluste der asiatischen Kapitalisten hervorgerufene fürchterliche +Handels- und Geldkrise und der Mangel an zuverlässigen Truppen. Die Regierung +hätte dreier Armeen bedurft, um in Rom die Revolution niederzuhalten, in +Italien die Insurrektion völlig zu ersticken und in Asien Krieg zu führen; sie +hatte eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem +unzuverlässigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die Wahl unter +jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied sich, wie wir sahen, für den +asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes, man darf vielleicht sagen eine große +patriotische Tat, daß in diesem Konflikt des allgemeinen vaterländischen und +des besonderen Parteiinteresses das erstere die Oberhand behielt und Sulla +trotz der Gefahren, die seine Entfernung aus Italien für seine Verfassung und +für seine Partei nach sich zog, dennoch im Frühling 667 (87) landete an der +Küste von Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst römische Oberfeldherrn im Osten +aufzutreten pflegten. Daß sein Heer von fünf Legionen oder höchstens 30000 Mann +8 wenig stärker war als eine gewöhnliche Konsulararmee, war das wenigste. Sonst +hatte in den östlichen Kriegen eine römische Flotte niemals gefehlt, ja ohne +Ausnahme die See beherrscht; Sulla, gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln +des Ägäischen Meeres wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. Sonst +hatte der Feldherr eine volle Kasse mit sich geführt und den größten Teil +seiner Bedürfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; Sulla kam mit leeren +Händen - denn die für den Feldzug von 666 (88) mit Not flüssig gemachten Summen +waren in Italien draufgegangen - und sah sich ausschließlich angewiesen auf +Requisitionen. Sonst hatte der Feldherr seinen einzigen Gegner im feindlichen +Lager gefunden und hatten dem Landesfeind gegenüber seit der Beendigung des +Ständekampfes die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter +Mithradates’ Feldzeichen fochten namhafte römische Männer, große +Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Bündnis zu treten, und es war +wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das rühmliche Beispiel, das +Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand halten werde, solange +er gegen den asiatischen König focht. Aber der rasche General, der mit all +diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war nicht gewohnt, vor Erledigung der +nächsten Aufgabe um die ferneren Gefahren sich zu bekümmern. Da seine an den +König gerichteten Friedensanträge, die im wesentlichen auf die +Wiederherstellung des Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme +fanden, so rückte er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Häfen bis nach +Böotien vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde, +Archelaos und Aristion, und bemächtigte sich nach diesem Siege fast ohne +Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der Festung Athen +und des Peiräeus, wohin Aristion und Archelaos sich geworfen hatten und die +durch einen Handstreich zu nehmen mißlang. Eine römische Abteilung unter Lucius +Hortensius besetzte Thessalien und streifte bis in Makedonien; eine andere +unter Munatius stellte vor Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euböa +stehende feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis +und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte und die +Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die hellenischen Städte, +wie immer von der nächsten Furcht regiert, unterwarfen sich den Römern auf jede +Bedingung und waren froh, wenn sie mit Lieferungen von Vorräten und Mannschaft +und mit Geldbußen schwerere Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die +Belagerungen in Attika vonstatten. Sulla sah sich genötigt, in aller Form das +schwere Belagerungszeug zu rüsten, wozu die Bäume der Akademie und des Lykeion +das Holz liefern mußten. Archelaos leitete die Verteidigung ebenso kräftig wie +besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, schlug also verstärkt die +Angriffe der Römer mit überlegener Macht ab und machte häufige und nicht selten +glückliche Ausfälle. Zwar die zum Entsatz herbeirückende pontische Armee des +Dromichätes ward unter den Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich +Sullas tapferer Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den +Römern geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von +Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv festgesetzt +hatten, kam reichliche und regelmäßige Zufuhr zur See, die Sulla nicht imstande +war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen gingen zwar die Vorräte auf die +Neige, doch konnte bei der Nähe der beiden Festungen Archelaos mehrfache +Versuche machen, Getreidetransporte nach Athen zu werfen, die nicht alle +mißlangen. So verfloß in peinlicher Resultatlosigkeit der Winter 667/68 +(87/86). Wie die Jahreszeit es erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestüm auf den +Peiräeus; in der Tat gelang es, durch Geschütze und Minen einen Teil der +gewaltigen Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort schritten die +Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er wiederholt ward, +fanden sich hinter den eingestürzten Mauerteilen halbmondförmige Verschanzungen +errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei Seiten beschossen und zur +Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die Belagerung auf und begnügte sich +mit einer Blockade. In Athen waren inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende +gegangen; die Besatzung versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber +Sulla wies ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, daß er nicht als +Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte Unterwerfung +annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal dann ihm bevorstand, +damit zögerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum noch verteidigte Stadt +erstürmt (1. März 668 86). Aristion warf sich in die Akropolis, wo er bald +darauf sich ergab. Der römische Feldherr ließ die Soldateska in der eroberten +Stadt morden und plündern und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls +hinrichten; die Stadt selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre +Besitzungen, sogar das wichtige Delos zurück und ward also noch einmal gerettet +durch ihre herrlichen Toten. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +8 Man muß sich erinnern, daß seit dem Bundesgenossenkrieg auf die Legion, da +sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet ist, mindestens nur die +halbe Mannzahl kommt wie vordem. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Über den Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes Sullas Lage +blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als ein Jahr stand er +nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt vorwärtsgekommen zu sein, +ein einziger Hafenplatz spottete all seiner Anstrengungen, während Asien +gänzlich sich selbst überlassen, die Eroberung Makedoniens von +Mithradates’ Statthaltern kürzlich durch die Einnahme von Amphipolis +vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich immer deutlicher - war es nicht +bloß unmöglich, die Verbindungen und die Zufuhr von den feindlichen und den +zahllosen Piratenschiffen zu sichern, sondern auch nur den Peiräeus, geschweige +denn Asien und die Inseln wiederzugewinnen; und doch ließ sich nicht absehen, +wie man zu Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte +Sulla einen seiner fähigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius Licinius +Lucullus, in die östlichen Gewässer entsandt, um dort womöglich Schiffe +aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von den Rhodiern und andern +kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief Lucullus aus; einem +Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote aufbrachte, entging er selbst +nur durch einen Zufall; mit gewechselten Schiffen den Feind täuschend, gelangte +er über Kreta und Kyrene nach Alexandreia; allein der ägyptische Hof schlug die +Bitte um Unterstützung mit Kriegsschiffen ebenso höflich wie entschieden ab. +Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des römischen +Staats, der einst das Angebot der Könige von Ägypten, mit ihrer ganzen Seemacht +den Römern beizustehen, dankbar abzulehnen vermocht hatte und jetzt selbst den +alexandrinischen Staatsmännern schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die +finanzielle Bedrängnis; schon hatte Sulla die Schatzhäuser des Olympischen +Zeus, des Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren müssen, wofür +die Götter entschädigt wurden durch die zur Straße eingezogene Halbscheid des +thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese militärische und +finanzielle Verlegenheit war der Rückschlag der politischen Umwälzung in Rom, +deren rasche, durchgreifende, gewaltsame Vollendung die ärgsten Befürchtungen +weit hinter sich gelassen hatte. Die Revolution führte in der Hauptstadt das +Regiment; Sulla war abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem +demokratischen Konsul Lucius Valerius Flaccus übertragen worden, den man +täglich in Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten +an Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was ließ sich +erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt und +geächtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der Krieg gegen +den zähen seemächtigen Gegner aussichtslos sich hinspann! +</p> + +<p> +König Mithradates übernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen Lage zu +befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem seiner Generale +mißbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind fördersamst zu überwinden. +Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes aus Makedonien aufgebrochen, um Sulla +im eigentlichen Griechenland zu bekämpfen; nur der plötzliche Tod, der den +Prinzen auf dem Marsch am Tisäischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die +Expedition damals rückgängig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt +(668 86), das in Thessalien stehende römische Korps vor sich hertreibend, mit +einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuß und 10000 Reitern an den +Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichätes. Auch Archelaos räumte - es +scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch Befehle seines Herrn - +den Peiräeus erst teilweise, sodann ganz und stieß in Böotien zu der pontischen +Hauptarmee. Sulla, nachdem der Peiräeus mit all seinen vielbewunderten +Bauwerken auf seinen Befehl zerstört worden war, folgte der pontischen Armee in +der Hoffnung, vor dem Eintreffen des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu +können. Vergeblich riet Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die +See und die Küsten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst unter Dareios +und Antiochos, so stürzten auch jetzt die Massen der Orientalen, wie +geängstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und blindlings in den Kampf; +und törichter als je war dies hier angewandt, wo die Asiaten vielleicht nur +einige Monate hätten warten dürfen, um bei einer Schlacht zwischen Sulla und +Flaccus die Zuschauer abzugeben. In der Ebene des Kephissos unweit Chäroneia im +März 668 (86) trafen die Heere aufeinander. Selbst mit Einschluß der aus +Thessalien zurückgedrängten Abteilung, der es geglückt war, ihre Verbindung mit +der römischen Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluß der griechischen +Kontingente fand sich das römische Heer einem dreifach stärkeren Feind +gegenüber und namentlich einer weit überlegenen und bei der Beschaffenheit des +Schlachtfeldes sehr gefährlichen Reiterei, gegen die Sulla seine Flanken durch +verschanzte Gräben zu decken nötig fand, sowie er in der Front zum Schutz gegen +die feindlichen Streitwagen zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine +Palisadenkette anbringen ließ. Als die Streitwagen den Kampf zu eröffnen +heranrollten, zog sich das erste Treffen der Römer hinter diese Pfahlreihe +zurück; die Wagen, an ihr abprallend und gescheucht durch die römischen +Schleuderer und Schützen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten +Verwirrung sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen +Flüchtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken herbei und +schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein Fußvolk wieder zu +ordnen; sie griff mit großem Feuer an und durchbrach die römischen Reihen; +allein die römische Infanterie formierte sich rasch in geschlossene Massen und +hielt den von allen Seiten auf sie anstürmenden Reitern mutig stand. Inzwischen +führte Sulla selbst auf dem rechten Flügel seine Reiterei in die entblößte +Flanke des Feindes; die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum +Schlagen gekommen zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die +Reitermassen. Ein allgemeiner Angriff des römischen Fußvolks, das durch die +schwankende Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft bekam, entschied den +Sieg. Die Schließung der Lagertore, die Archelaos anordnete, um die Flucht zu +hemmen, bewirkte nur, daß das Blutbad um so größer ward und, als die Tore +endlich sich auftaten, die Römer mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den +zwölften. Mann soll Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis +an den Euripos; den schmalen Meeresarm zu überschreiten war er nicht imstande. +</p> + +<p> +Es war ein großer Sieg, aber die Resultate waren geringfügig, was wegen des +Mangels einer Flotte, teils weil der römische Sieger sich genötigt sah, statt +die Besiegten zu verfolgen, zunächst vor seinen Landsleuten sich zu schützen. +Die See war noch immer ausschließlich bedeckt von den pontischen Geschwadern, +die jetzt selbst westlich vom Malfischen Vorgebirge sich zeigten; noch nach der +Schlacht von Chäroneia setzte Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und +machte einen Versuch, auf dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen +in der Tat Lucius Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne +unterwegs durch Stürme und durch die im Adriatischen Meer kreuzenden +feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen +seine Truppen in Thessalien; dorthin zunächst mußte Sulla sich wenden. Bei +Melitäa am nördlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide römischen Heere +sich gegenüber; ein Zusammenstoß schien unvermeidlich. Indes Flaccus, nachdem +er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeugen, daß Sullas Soldaten keineswegs +geneigt war ihren siegreichen Führer an den gänzlich unbekannten demokratischen +Oberfeldherrn zu verraten, daß vielmehr seine eigene Vorhut anfing, in das +Sullanische Lager zu desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner +Hinsicht gewachsen war, und brach auf gegen Norden, um durch Makedonien und +Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch Überwältigung Mithradats sich +den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Daß Sulla den schwächeren Gegner +ungehindert abziehen ließ und, statt ihm zu folgen, vielmehr zurück nach Athen +ging, wo er den Winter 668/69 (86/85) verweilt zu haben scheint, ist +militärisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man annehmen, daß auch hier +politische Beweggründe ihn leiteten und er gemäßigt und +</p> + +<p> +Patriotisch genug dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den Asiaten +zu tun hatte, gern einen Sieg über die Landsleute zu vermeiden und die +erträglichste Lösung der leidigen Verwicklung darin zu finden, wenn die +Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem +gemeinschaftlichen Feinde stritt. +</p> + +<p> +Mit dem Frühling 669 (85) gab es in Europa wieder neue Arbeit. Mithradates, der +in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte, hatte eine, der bei +Chäroneia aufgeriebenen an Zahl nicht viel nachstehende Armee unter Dorylaos +nach Euböa gesandt; von dort war dieselbe in Verbindung mit den Überbleibseln +der Armee des Archelaos über den Euripos nach Böotien gegangen. Der pontische +König, der in den Siegen über die bithynische und die kappadokische Miliz den +Maßstab fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die ungünstige +Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon flüsterten die Kreise der +Höflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war gegeben, mit der +neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun unfehlbar die Römer +zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo nicht im Siegen, doch wenigstens +im Schlagen. Abermals in der Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die +Römer und die Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren +warf sich ungestüm auf das römische Fußvolk, das zu schwanken und zu weichen +begann; die Gefahr ward so dringend, daß Sulla ein Feldzeichen ergriff und mit +seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind vorgehend mit lauter Stimme +den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie ihren Feldherrn im Stich +gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die +Legionen standen wieder und überwältigten die feindlichen Reiter, worauf auch +die Infanterie mit leichter Mühe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das +Lager der Asiaten umstellt und erstürmt; der weitaus größte Teil derselben fiel +oder kam in den Kopaischen Sümpfen um; nur wenige, unter ihnen Archelaos, +gelangten nach Euböa. Die böotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall +von Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu büßen. Dem Einmarsch in +Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: Philippi ward besetzt, Abdera von +der pontischen Besatzung freiwillig geräumt, überhaupt das europäische Festland +von den Feinden gesäubert. Am Ende des dritten Kriegsjahres (669 85) konnte +Sulla Winterquartiere in Thessalien beziehen, um im Frühjahr 670 (84) 9 den +asiatischen Feldzug zu beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in den +thessalischen Häfen Schiffe zu bauen. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +9 Die Chronologie dieser Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten überhaupt, in +einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur Dämmerung zu zerstreuen +vermag. Daß die Schlacht von Chäroneia, wenn auch nicht an demselben Tage wie +die Erstürmung von Athen (Paus. 1, 20), doch bald nachher, etwa im März 668 +(86), stattfand, ist ziemlich sicher. Daß die darauf folgende thessalische und +die zweite böotische Kampagne nicht bloß den Rest des Jahres 668 (86), sondern +auch das ganze Jahr 669 (85) in Anspruch nahmen, ist an sich wahrscheinlich und +wird es noch mehr dadurch, daß Sullas Unternehmungen in Asien nicht genügen, um +mehr als einen Feldzug auszufüllen. Auch scheint Licinianus anzudeuten, daß +Sulla für den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen zurückging und hier die +Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf dann die Schlacht von +Orchomenos erzählt wird. Darum ist der Übergang Sullas nach Asien nicht 669 +(85), sondern 670 (84) gesetzt worden. +</p> + +<p> +—————————————————————— +</p> + +<p> +Inzwischen hatten auch die kleinasiatischen Verhältnisse sich wesentlich +geändert. Wenn König Mithradates einst aufgetreten war als der Befreier der +Hellenen, wenn er mit Förderung der städtischen Unabhängigkeit und mit +Steuererlassen seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen +Taumel nur zu rasch und nur zu bitter die Enttäuschung gefolgt. Sehr bald war +er in seinem wahren Charakter hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei der +römischen Vögte weit überbietende Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar +die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff +dagegen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen verliehen den +zugewandten Ortschaften die Selbständigkeit, den Insassen das Bürgerrecht, den +Schuldnern vollen Schuldenerlaß, den Besitzlosen Äcker, den Sklaven die +Freiheit; an 15000 solcher freigelassener Sklaven fochten im Heer des +Archelaos. Die fürchterlichsten Szenen waren die Folge dieser von oben herab +erfolgenden Umwälzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten Kaufstädte, +Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den Vögten des Königs +die Tore oder brachten sie um und erklärten sich für Rom ^10. Dagegen ließ der +königliche Vogt Diodoros, ein namhafter Philosoph wie Aristion, von anderer +Schule, aber gleich brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines +Herrn den gesamten Stadtrat von Adramytion niedermachen. Die Chier, die der +Hinneigung zu Rom verdächtig schienen, wurden zunächst um 2000 Talente (3150000 +Taler) gebüßt und, da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf +Schiffe gesetzt und gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen Sklaven, an die +kolchische Küste deportiert, während ihre Insel mit pontischen Kolonisten +besetzt ward. Die Häuptlinge der kleinasiatischen Kelten befahl der König +sämtlich an einem Tage mit ihren Weibern und Kindern umzubringen und Galatien +in eine pontische Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wurden +auch entweder an Mithradates’ eigenem Hoflager oder im galatischen Lande +vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer +kräftigen Stämme und schlugen den Statthalter des Königs, Eumachos, aus ihren +Grenzen hinaus. Daß diesen König die Dolche der Mörder verfolgten, ist +begreiflich; sechzehnhundert Menschen wurden als in solche Komplotte verwickelt +von den königlichen Untersuchungsgerichten zum Tode verurteilt. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^10 Es ist kürzlich (Waddington, Zusätze zu Lebas, 3, 136a) der desfällige +Beschluß der Bürgerschaft von Ephesos aufgefunden worden. Sie seien, erklären +die Bürger, in die Gewalt des “Königs von Kappadokien” Mithradates +geraten, erschreckt durch die Masse seiner Streitkräfte und die Plötzlichkeit +seines Angriffs; wie aber die Gelegenheit dazu sich darbiete, erklärten sie +“für die Herrschaft (ηγεμονία) der Römer und die gemeine Freiheit” +ihm den Krieg. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Wenn also der König durch dies selbstmörderische Wüten seine derzeitigen +Untertanen gegen sich unter die Waffen rief, so begannen gleichzeitig die Römer +auch in Asien, ihn zur See und zu Lande zu drängen. Lucullus hatte, nachdem der +Versuch, die ägyptische Flotte gegen Mithradates vorzuführen, gescheitert war, +sein Bemühen, sich Kriegsschiffe zu verschaffen, in den syrischen Seestädten +mit besserem Erfolg wiederholt und seine werdende Flotte in den kyprischen, +pamphylischen und rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug fand, zum +Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es, mit überlegenen Streitkräften sich +zu messen und errang dennoch nicht unbedeutende Erfolge. Die knidische Insel +und Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios den +Feinden entrissen. +</p> + +<p> +Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und Thrakien nach +Byzantion und von dort, die Meerenge passierend, nach Kalchedon gelangt (Ende +668 86). Hier brach gegen den Feldherrn eine Militärinsurrektion aus, angeblich +weil er den Soldaten die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der +höchsten Offiziere des Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwörtlich +geworden war für den rechten Pöbelredner, Gaius Flavius Fimbria, welcher, +nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt +begonnene Demagogengeschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem Heer +abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalchedon getötet; an seine +Stelle trat nach Beschluß der Soldaten Fimbria. Es versteht sich, daß er seinen +Leuten alles nachsah: in dem befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der +Bürgerschaft befohlen, ihre gesamte Habe an die Soldaten bei Todesstrafe +auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei der angesehensten Bürger sogleich +vorläufig hingerichtet. Allein militärisch war der Wechsel des Oberbefehls +dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfähiger General, +sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos westlich von +Brussa) schlug er den jüngeren Mithradates, der als Statthalter der pontischen +Satrapie ihm entgegengezogen war, vollständig in einem nächtlichen Überfall und +öffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der römischen +Provinz, jetzt des pontischen Königs, Pergamon, von wo er den König vertrieb +und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um dort +sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte in diesen +Gewässern; Fimbria beschwor ihn, durch seinen Beistand ihm die Gefangennehmung +des Königs möglich zu machen. Aber der Optimat war mächtiger in Lucullus als +der Patriot; er segelte weiter, und der König entkam nach Mytilene. Auch so war +Mithradates’ Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war Europa +verloren, Kleinasien gegen ihn teils im Aufstand begriffen, teils von einem +römischen Heer eingenommen und er selbst von diesem in unmittelbarer Nähe +bedroht. Die römische Flotte unter Lucullus hatte an der Küste der troischen +Landschaft in zwei glücklichen Seegefechten am Vorgebirg Lekton und bei der +Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie zog daselbst die inzwischen nach +Sullas Anordnung in Thessalien erbauten Schiffe an sich und verbürgte in ihrer +den Hellespont beherrschenden Stellung dem Feldherrn der römischen Senatsarmee +für das nächste Frühjahr den sicheren und bequemen Übergang nach Asien. +</p> + +<p> +Mithradates versuchte zu unterhandeln. Unter anderen Verhältnissen zwar hätte +der Urheber des ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen dürfen, zum +Frieden mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren Konvulsionen der +römischen Republik, wo die herrschende Regierung den gegen Mithradates +ausgesandten Feldherrn in die Acht erklärt hatte und daheim gegen seine +Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wütete, wo ein römischer General +gegen den andern und doch wieder beide gegen denselben Feind standen, hoffte er +nicht bloß einen Frieden, sondern einen günstigen Frieden erlangen zu können. +Er hatte die Wahl, sich an Sulla oder an Fimbria zu wenden; mit beiden ließ er +unterhandeln, doch scheint seine Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit +Sulla abzuschließen, der wenigstens in dem Horizont des Königs als seinem +Nebenbuhler entschieden überlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos forderte +nach Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den König abzutreten und dafür +die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei in Rom zu gewärtigen. Aber +Sulla, kühl und klar wie immer, wünschte zwar wegen der Lage der Dinge in +Italien dringend die schleunige Erledigung der asiatischen Angelegenheiten, +schlug aber die Vorteile der kappadokischen Allianz für den ihm in Italien +bevorstehenden Krieg sehr niedrig an und war überhaupt viel zu sehr Römer, um +in eine so entehrende und so nachteilige Abtretung zu willigen. In den +Friedenskonferenzen, die im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der böotischen +Küste, Euböa gegenüber, stattfanden, weigerte er sich bestimmt, auch nur einen +Fußbreit Landes abzutreten, ging aber, der alten römischen Sitte, die vor dem +Kampfe erhobenen Forderungen nach dem Siege nicht zu steigern, aus gutem Grunde +getreu, über die früher gestellten Bedingungen nicht hinaus. Er forderte die +Rückgabe aller von dem König gemachten und ihm noch nicht wiederentrissenen +Eroberungen, Kappadokiens, Paphlagoniens, Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens +und der Inseln, die Auslieferung der Gefangenen und Überläufer, die Übergabe +der achtzig Kriegsschiffe des Archelaos zur Verstärkung der immer noch geringen +römischen Flotte, endlich Sold und Verpflegung für das Heer und Ersatz der +Kriegskosten mit der sehr mäßigen Summe von 3000 Talenten (4¾ Mill. Taler). Die +nach dem Schwarzen Meer weggeführten Chier sollten heimgesandt, den römisch +gesinnten Makedoniern ihre weggeführten Familien zurückgegeben, den mit Rom +verbündeten Städten eine Anzahl Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, +der streng genommen gleichfalls mit in den Frieden hätte eingeschlossen werden +sollen, schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, die +seine Beiziehung machen mußte, keinem der kontrahierenden Teile gelegen war. +Der Besitzstand also, den der König vor dem Kriege gehabt hatte, blieb ihm und +es ward ihm keine ehrenkränkende Demütigung angesonnen ^11. Archelaos, deutlich +erkennend, daß verhältnismäßig unerwartet viel erreicht und mehr nicht zu +erreichen sei, schloß auf diese Bedingungen die Präliminarien und den +Waffenstillstand ab und zog die Truppen aus den Plätzen heraus, die die Asiaten +noch in Europa innehatten. Allein Mithradates verwarf den Frieden und begehrte +wenigstens, daß die Römer auf die Auslieferung der Kriegsschiffe verzichten und +ihm Paphlagonien einräumen wollten; indem er zugleich geltend machte, daß +Fimbria ihm weit günstigere Bedingungen zu gewähren bereit sei. Sulla, +beleidigt durch dies Gleichstellen seiner Anerbietungen mit denen eines +amtlosen Abenteurers und bei dem äußersten Maß der Nachgiebigkeit bereits +angelangt, brach die Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit benutzt, um +Makedonien wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Mäder zu züchtigen, wobei +er zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich Asien näherte; denn dahin zu +gehen war er auf jeden Fall entschlossen, um mit Fimbria abzurechnen. Nun +setzte er sofort seine in Thrakien stehenden Legionen sowie seine Flotte in +Bewegung nach dem Hellespont. Da endlich gelang es Archelaos, seinem +eigensinnigen Herrn die widerstrebende Einwilligung zu dem Traktat zu +entreißen; wofür er später am königlichen Hofe als der Urheber des nachteiligen +Friedens scheel angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so daß einige Zeit +nachher er sich genötigt sah, das Land zu räumen und zu den Römern zu flüchten, +die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren überhäuften. Auch die römischen +Soldaten murrten; daß die gehoffte asiatische Kriegsbeute ihnen entging, mochte +dazu freilich mehr beitragen als der an sich wohl gerechtfertigte Unwille, daß +man den Barbarenfürsten, der achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und über +Italien und Asien unsägliches Elend gebracht hatte, mit dem größten Teil der in +Asien zusammengeplünderten Schätze ungestraft abziehen ließ in seine Heimat. +Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, daß die politischen +Verwicklungen seine militärisch so einfache Aufgabe in peinlichster Weise +durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen sich mit einem solchen +Frieden zu begnügen. Indes zeigt sich die Selbstverleugnung und die Einsicht, +mit der er diesen ganzen Krieg geführt hat, nur aufs neue in diesem +Friedensschluß; denn der Krieg gegen einen Fürsten, dem fast die ganze Küste +des Schwarzen Meeres gehorchte und dessen Starrsinn noch die letzten +Verhandlungen deutlich offenbarten, nahm selbst im günstigsten Fall Jahre in +Anspruch, und die Lage Italiens war von der Art, daß es fast schon für Sulla zu +spät schien, um mit den wenigen Legionen, die er besaß, der dort regierenden +Partei entgegenzutreten ^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es +schlechterdings notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der in Asien an +der Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe nicht, wie Sulla +jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu unterdrücken hoffte, so +dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu Hilfe komme. Bei Kypsela am +Hebros erreichte Sulla die Nachricht von der Ratifikation des Friedens durch +Mithradates; allein der Marsch nach Asien ging weiter. Der König, hieß es, +wünsche persönlich mit dem römischen Feldherrn zusammenzutreffen und den +Frieden mit ihm zu vereinbaren; vermutlich war dies nichts als ein schicklicher +Vorwand, um das Heer nach Asien überzuführen und dort mit Fimbria ein Ende zu +machen. So überschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von Archelaos, +den Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in Dardanos mit +Mithradates zusammengetroffen war und mündlich den Vertrag abgeschlossen hatte, +ließ er den Marsch fortsetzen, bis er bei Thyateira unweit Pergamon auf das +Lager des Fimbria traf. Hart an demselben schlug er das seinige auf. Die +Sullanischen Soldaten, an Zahl, Zucht, Führung und Tüchtigkeit den Fimbrianern +weit überlegen, sahen mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten +Haufen und deren unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den +Fimbrianern wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten +die Soldaten sich, gegen ihre Mitbürger zu fechten, ja sogar den geforderten +Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Hände abzulegen. Ein +Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria erbetenen Zusammenkunft +erschien Sulla nicht, sondern begnügte sich, ihm durch einen seiner Offiziere +eine Aussicht auf persönliche Rettung zu eröffnen. Fimbria war eine frevelhafte +Natur, aber keine Memme; statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen +und zu den Barbaren zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des +Asklepios in sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem Heer +begaben sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie bereitwillige Aufnahme +fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle Sullas. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^11 Die Angabe, daß Mithradates den Städten, die seine Partei ergriffen hatten +im Frieden Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint schon nach dem +Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich und fehlt auch bei +Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche Abfassung des Friedensvertrages +ward versäumt, was später zu vielen Entstellungen benutzt ward. +</p> + +<p> +^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten Mithradatischen Krieg. König +Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khorene, begnügte sich nicht mit +dem zweiten Rang, der ihm im Persischen (Parthischen) Reich von Rechts wegen +zukam, sondern zwang den Partherkönig Arschagan, ihm die höchste Gewalt +abzutreten, worauf er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Münzen +mit eigenem Bildnis schlagen ließ und den Arschagan zum Unterkönig Persiens, +seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter +Ardaschama aber vermählte mit dem Großfürsten der Iberer Mihrdates +(Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und Statthalters +Alexanders über die besiegten Iberer, abstammte und in den nördlichen Bergen +sowie über das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm darauf den König der Lydier +Krösos gefangen, unterwarf das Festland zwischen den beiden großen Meeren +(Kleinasien) und ging über das Meer mit unzähligen Schiffen, um den Westen zu +bezwingen. Da in Rom damals Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen +Widerstand, aber seine Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der +Hand seiner Leute. Nach Ardasches’ Tode rückte sein Nachfolger Dicran +gegen die Armee der Griechen (d. i. der Römer), die jetzt ihrerseits in das +armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel, übergab seinem +Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag (Mazaka in Kappadokien) und +des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen Streitmacht und kehrte zurück nach +Armenien. Viele Jahre später zeigte man noch in den armenischen Städten Statuen +griechischer Götter von bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug. +</p> + +<p> +Man erkennt hier verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen Kriegs ohne +Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augenscheinlich +durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet und namentlich +durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen. Ganz ebenso wird später +der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt. Diese orientalischen Nachrichten +sind mit um so größerer Vorsicht aufzunehmen, als sie keineswegs reine +Volkssage sind, sondern teils die Nachrichten des Josephus, Eusebius und +anderer, den Christen des fünften Jahrhunderts geläufiger Quellen darin mit den +armenischen Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der +Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des Moses +dafür ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere +okzidentalische Überlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der +orientalischen in diesem und in ähnlichen Fällen, wie zum Beispiel der +unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin führen, sie noch +stärker zu trüben. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Sulla beschloß, diese beiden Legionen, denen er für den bevorstehenden Krieg +doch nicht traute, in Asien zurückzulassen, wo die entsetzliche Krise noch +lange in den einzelnen Städten und Landschaften nachzitterte. Das Kommando über +dieses Korps und die Statthalterschaft im römischen Asien übergab er seinem +besten Offizier Lucius Licinius Murena. Die revolutionären Maßregeln +Mithradats, wie die Befreiung der Sklaven und die Kassation der Forderungen, +wurden natürlich aufgehoben; eine Restauration, die freilich an vielen Orten +nicht ohne Waffengewalt durchgesetzt werden konnte. Die Städte des östlichen +Grenzgebiets unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit +dem Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner Gerechtigkeit +geübt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten Anhänger Mithradats und +die Urheber der an den Italikern verübten Mordtaten traf die Todesstrafe. Die +Steuerpflichtigen mußten die sämtlichen von den letzten fünf Jahren her +rückständigen Zehnten und Zölle sofort nach Abschätzung bar erlegen; außerdem +hatten sie eine Kriegsentschädigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu +entrichten, zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurückblieb. Es waren die +Maßregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man sich indes +des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so fühlt man sich +geneigt, dieselben als eine verhältnismäßig noch gelinde Vergeltung zu +betrachten. Daß die sonstigen Erpressungen nicht ungewöhnlich drückend waren, +beweist der Betrag der später im Triumph aufgeführten Beute, der an edlem +Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler belief. Die wenigen treugebliebenen +Gemeinden dagegen, namentlich die Insel Rhodos, die lykische Landschaft, +Magnesia am Mäander wurden reich belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil +der nach dem Kriege gegen Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurück. +Desgleichen wurden die Chier für die ausgestandene Not, die Ilienser für die +wahnsinnig grausame Mißhandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla +angeknüpften Verhandlungen zugefügt hatte, nach Möglichkeit durch Freibriefe +und Vergünstigungen entschädigt. Die Könige von Bithynien und Kappadokien hatte +Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen König zusammengeführt und sie alle +Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei freilich der stolze +Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von königlichem Blute stammenden +Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn nannte, persönlich vor sich zu lassen. +Gaius Scribonius Curio ward beauftragt, in den beiden von Mithradates geräumten +Reichen die Wiederherstellung der gesetzlichen Zustände zu überwachen. +</p> + +<p> +So war man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische König wieder ein +Klient der Römer und in Griechenland, Makedonien und Kleinasien ein +einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; die Gebote des +Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genüge, doch zur Notdurft befriedigt. +Sulla hatte nicht bloß als Soldat und Feldherr glänzend sich hervorgetan, +sondern die schwere Mittelstraße zwischen kühnem Ausharren und klugem Nachgeben +auf seinem von tausendfachen Hindernissen durchkreuzten Gange einzuhalten +verstanden. Fast wie Hannibal hatte er gekriegt und gesiegt, um mit den +Streitkräften, die der erste Sieg ihm gab, alsbald zu einem zweiten und +schwereren Kampfe sich zu schicken. Nachdem er seine Soldaten durch die üppigen +Winterquartiere in dem reichen Vorderasien einigermaßen für ihre ausgestandenen +Strapazen entschädigt hatte, ging er im Frühjahr 671 (83) auf 1600 Schiffen von +Ephesos nach dem Peiräeus und von da auf dem Landweg nach Paträ, wo die Schiffe +wiederum bereit standen, um die Truppen nach Brundisium zu führen. Ihm vorauf +ging ein Bericht an den Senat über seine Feldzüge in Griechenland und Asien, +dessen Schreiber von seiner Absetzung nichts zu wissen schien; es war die +stumme Ankündigung der bevorstehenden Restauration. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/> +Cinna und Sulla</h2> + +<p> +Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt +nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 (87) Italien zurückließ, sind früher +dargelegt worden: die halb erstickte Insurrektion, die Hauptarmee unter dem +mehr als halb usurpierten Kommando eines politisch sehr zweideutigen Generals, +die Verwirrung und die vielfach tätige Intrige in der Hauptstadt. Der Sieg der +Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Mäßigung +vielfältige Mißvergnügte gemacht. Die Kapitalisten, von den Schlägen der +schwersten Finanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen, +grollten der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des +Italischen und des Asiatischen Krieges, die sie nicht verhütet hatte. Die +Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht bloß den +Verlust ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte mit der +herrschenden Bürgerschaft, sondern auch den ihrer althergebrachten Verträge und +ihre neue völlig rechtlose Untertanenstellung. Die Gemeinden zwischen Alpen und +Po waren ebenfalls unzufrieden mit den ihnen gemachten halben Zugeständnissen +und die Neubürger und Freigelassenen erbittert durch die Kassation der +Sulpicischen Gesetze. Der Stadtpöbel litt unter der allgemeinen Bedrängnis und +fand es unerlaubt, daß das Säbelregiment sich die verfassungsmäßige +Knüttelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. Der +hauptstädtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwälzung Geächteten, der +infolge der ungemeinen Mäßigung Sullas sehr zahlreich geblieben war, arbeitete +eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur Rückkehr zu erwirken; namentlich einige +reiche und angesehene Frauen sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. +Keine dieser Verstimmungen war eigentlich von der Art, daß sie einen neuen +gewaltsamen Zusammenstoß der Parteien in nahe Aussicht stellte; größtenteils +waren sie zielloser und vorübergehender Art: aber sie alle nährten das +allgemeine Mißbehagen und hatten schon mehr oder minder mitgewirkt bei der +Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordversuchen gegen Sulla, dem zum Teil +oppositionellen Ausfall der Konsul- und Tribunenwahlen für 667 (87). Der Name +des Mannes, den die Mißvergnügten an die Spitze des Staats berufen hatten, des +Lucius Cornelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, außer insofern er +als Offizier im Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; über die +Persönlichkeit desselben und seine ursprünglichen Absichten sind wir weniger +unterrichtet als über die irgendeines andern Parteiführers in der römischen +Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine andere, als daß dieser +ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus geleitete Gesell weitergehende +politische Pläne von Haus aus gar nicht gehabt hat. Es ward gleich bei seinem +Auftreten behauptet, daß er gegen ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern +und der Koterie des Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr +glaublich aus; wäre sie aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger +charakteristisch, daß ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und +Sulpicius geäußert worden war, an Cinna haftete. In der Tat hat die Bewegung, +an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit sowohl +der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer Partei aus als +von einer Anzahl Mißvergnügter ohne eigentlich politische Zwecke und +nennenswerten Rückhalt, die hauptsächlich die Rückberufung der Verbannten in +gesetzlicher oder ungesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. +Cinna scheint in die Verschwörung nur nachträglich und nur deshalb +hineingezogen zu sein, weil die Intrige, die infolge der Beschränkung der +tribunizischen Gewalt zur Vorbringung ihrer Anträge einen Konsul brauchte, +unter den Konsularkandidaten für 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug ersah +und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie erscheinenden +Leitern der Bewegung fanden sich einige fähigere Köpfe, so der Volkstribun +Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische Volksberedsamkeit sich einen +Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus Sertorius, einer der talentvollsten +römischen Offiziere und in jeder Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit +seiner Bewerbung um das Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch +diesen Hader in die Reihen der Mißvergnügten geführt worden war, wohin er +seiner Art nach keineswegs gehörte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der +Regierung gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich +einzulassen. +</p> + +<p> +Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbündeten aus guten Gründen sich +still. Als indes der gefürchtete Prokonsul, nicht den Mahnungen des Konsuls +Cinna, sondern dem dringenden Stand der Dinge im Osten nachgebend, sich +eingeschifft hatte, legte Cinna, unterstützt von der Majorität des +Tribunenkollegiums, sofort die Gesetzentwürfe vor, wodurch man übereingekommen +war, gegen die Sullanische Restauration von 666 (88) teilweise zu reagieren; +sie enthielten die politische Gleichstellung der Neubürger und der +Freigelassenen, wie Sulpicius sie beantragt hatte, und die Wiedereinsetzung der +infolge der Sulpicischen Revolution Geächteten in den vorigen Stand. In Masse +strömten die Neubürger nach der Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen +zugleich die Gegner einzuschüchtern und nötigenfalls zu zwingen. Aber auch die +Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul gegen +Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen Tribun; +beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung großenteils bewaffnet auf dem +Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten Interzession ein; als gegen +sie auf der Rednerbühne selbst die Schwerter gezückt wurden, brauchte Octavius +gegen die Gewalttäter Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Männer +säuberten nicht bloß die Heilige Straße und den Marktplatz, sondern wüteten +auch, der Befehle ihres milder gesinnten Führers nicht achtend, in grauenhafter +Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an diesem +“Octaviustag”, wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend +schätzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich durch +Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf war ebenso +erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es blieb den Führern +der Bewegung nichts übrig, als zu flüchten. Weiter gegen die Häupter der +Verschwörung, solange ihr Amtsjahr lief, zu verfahren gab die Verfassung kein +Mittel an die Hand. Allein ein vermutlich mehr loyaler als frommer Prophet +hatte geweissagt, daß die Verbannung des Konsuls Cinna und der sechs mit ihm +haltenden Volkstribune dem Lande Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in +Gemäßheit zwar nicht der Verfassung, aber wohl dieses glücklich von den +Orakelbewahrern aufgefangenen Götterratschlags wurde durch Beschluß des Senats +der Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius Cornelius +Merula gewählt und gegen die flüchtigen Häupter die Acht ausgesprochen. Die +ganze Krise schien damit endigen zu sollen, daß die Zahl der ausgetretenen +Männer in Numidien um einige Köpfe sich vermehrte. +</p> + +<p> +Ohne Zweifel wäre auch bei der Bewegung nichts weiter herausgekommen, wenn +nicht teils der Senat in seiner gewöhnlichen Schlaffheit es unterlassen hätte, +die Flüchtlinge rasch wenigstens zur Räumung Italiens zu nötigen, teils diese +in der Lage gewesen wären, zu ihren Gunsten als der Verfechter der Emanzipation +der Neubürger gewissermaßen den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert +erschienen sie in Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden Neubürgergemeinden +Latiums und Kampaniens und forderten und erhielten überall zur Durchführung der +gemeinschaftlichen Sache Geld und Mannschaft. So unterstützt zeigten sie sich +bei der Belagerungsarmee von Nola. Die Heere dieser Zeit waren demokratisch und +revolutionär gesinnt, wo immer nicht der Feldherr durch seine imponierende +Persönlichkeit sie an sich selber fesselte; die Reden der flüchtigen Beamten, +die überdies zum Teil, wie namentlich Cinna und Sertorius, aus den letzten +Feldzügen in gutem Andenken bei den Soldaten standen, machten tiefen Eindruck; +die verfassungswidrige Absetzung des popularen Konsuls, der Eingriff des Senats +in die Rechte des souveränen Volkes wirkten auf den gemeinen Mann, und den +Offizieren machte das Gold des Konsuls oder vielmehr der Neubürger den +Verfassungsbruch deutlich. Das kampanische Heer erkannte den Cinna als Konsul +an und schwor ihm Mann für Mann den Eid der Treue; es ward der Kern für die von +den Neubürgern und selbst den bundesgenössischen Gemeinden herbeiströmenden +Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn auch meistens aus Rekruten bestehende +Haufen sich von Kampanien auf die Hauptstadt zu. Andere Schwärme nahten ihr von +Norden. Auf Cinnas Einladung waren die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an +der etruskischen Küste gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 Bewaffnete, +größtenteils Sklaven der Flüchtlinge und geworbene numidische Reiter; aber +Gaius Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem hauptstädtischen Gesindel hatte +Gemeinschaft machen wollen, ließ jetzt die Zwinghäuser erbrechen, in denen die +Gutsbesitzer dieser Gegend ihre Feldarbeiter zur Nachtzeit einschlossen, und +die Waffen, die er diesen bot, um sich die Freiheit zu erfechten, wurden nicht +verschmäht. Durch diese Mannschaft und die Zuzüge der Neubürger sowie der von +allen Seiten mit ihrem Anhang herbeiströmenden landflüchtigen Leute verstärkt, +zählte er bald 6000 Mann unter seinen Adlern und konnte vierzig Schiffe +bemannen, die sich vor die Tibermündung legten und auf die nach Rom segelnden +Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte er sich dem +“Konsul” Cinna zur Verfügung. Die Führer der kampanischen Armee +schwankten; die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten ernstlich vor der +allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an die Spitze +der Bewegung geführt werden mußte und doch notorisch ebenso jedes +staatsmännischen Handelns unfähig wie von wahnsinnigem Rachedurst gepeinigt +war; indes Cinna achtete diese Bedenklichkeiten nicht und bestätigte dem Marius +den Oberbefehl in Etrurien und zur See mit prokonsularischer Gewalt. +</p> + +<p> +So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt zusammen, und es konnte nicht länger +verschoben werden, zu ihrem Schutz die Regierungstruppen heranzuziehen ^1. Aber +die Streitkräfte des Metellus wurden in Samnium und vor Nola durch die Italiker +festgehalten; Strabo allein war imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er +erschien auch und schlug sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner starken und +krieggewohnten Armee wäre er wohl imstande gewesen, die noch schwachen +Insurgentenhaufen rasch und völlig zu vernichten; allein dies schien nicht in +seiner Absicht zu liegen. Vielmehr ließ er es geschehen, daß Rom von den +Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna mit seinem Korps und dem des Carbo +stellten sich am rechten Tiberufer dem Ianiculum gegenüber auf, Sertorius am +linken, Pompeius gegenüber gegen den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem +allmählich auf drei Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl +von Kriegsschiffen, besetzte einen Küstenplatz nach dem andern, bis zuletzt +sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum Vorspiel der +herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von dem Feldherrn zu Mord +und Plünderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt schwebte, schon durch die +bloße Hemmung des Verkehrs, in großer Gefahr; auf Befehl des Senats wurden +Mauern und Tore in Verteidigungszustand gesetzt und das Bürgeraufgebot auf das +Ianiculum befehligt. Strabos Untätigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen +gleichmäßig Befremden und Entrüstung. Der Verdacht, daß er mit Cinna insgeheim +unterhandle, lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegründet; ein ernstliches +Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und die Unterstützung, die +er dem Konsul Octavius gewährte, als Marius durch Einverständnis mit einem der +Offiziere der Besatzung in das Ianiculum eingedrungen war, und durch die es in +der Tat gelang, die Insurgenten mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, +bewiesen es, daß er nichts weniger beabsichtigte, als sich den +Insurgentenführern anzuschließen oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint +seine Absicht gewesen zu sein, der geängsteten hauptstädtischen Regierung und +Bürgerschaft seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis des Konsulats +für das nächste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des Regiments selber in +die Hände zu bekommen. Der Senat war indes nicht geneigt, um dem einen +Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme zu werfen, und suchte sich +anderweitig zu helfen. Den sämtlichen, an dem Aufstand der Bundesgenossen +beteiligten italischen Gemeinden, die die Waffen niedergelegt und infolgedessen +ihr altes Bündnis eingebüßt hatten, wurde durch Senatsbeschluß nachträglich das +Bürgerrecht verliehen 2. Es schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu +sollen, daß Rom in dem Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines +großen Zweckes, sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt hatte: in +der ersten augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar tausend Soldaten +mehr auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was in dem +Bundesgenossenkrieg um so fürchterlich teuren Preis errungen worden war. In der +Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese Nachgiebigkeit zugute +kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen betrug ihr Zuzug im ganzen +nicht mehr als höchstens zehntausend Mann. Wichtiger noch wäre es gewesen, mit +den Samniten und Nolanern zu einem Abkommen zu gelangen, um die Truppen des +durchaus zuverlässigen Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu können. +Allein die Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch +erinnerten: Rückgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer +Gefangenen und Überläufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Römern +entrissene Beute; Bewilligung des Bürgerrechts an die Samniten selbst sowie an +die zu ihnen übergetretenen Römer. Der Senat verwarf selbst in dieser Not so +entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch den Metellus an, mit +Zurücklassung einer kleinen Abteilung alle im südlichen Italien irgend +entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach Rom zu führen. Er gehorchte; aber +die Folge war, daß die Samniten den gegen sie zurückgelassenen Legaten des +Metellus Plautius mit seinem schwachen Haufen angriffen und schlugen, daß die +nolanische Besatzung ausrückte und die benachbarte, mit Rom verbündete Stadt +Abella in Brand steckte; daß ferner Cinna und Marius den Samniten alles +bewilligten, was sie begehrten - was lag ihnen an römischer Ehre! -und +samnitischer Zuzug die Reihen der Insurgenten verstärkte. Ein empfindlicher +Verlust war es auch, daß nach einem für die Regierungstruppen unglücklichen +Gefecht Ariminum von den Insurgenten besetzt und dadurch die wichtige +Verbindung zwischen Rom und dem Potal, von wo Mannschaft und Zufuhren erwartet +wurden, unterbrochen ward. Mangel und Hunger stellten sich ein. Die große +volkreiche, stark mit Truppen besetzte Stadt war nur ungenügend mit Vorräten +versehen; und namentlich Marius ließ es sich angelegen sein, ihr die Zufuhr +mehr und mehr abzuschneiden. Schon früher hatte er den Tiber durch eine +Schiffbrücke gesperrt; jetzt brachte er durch die Eroberung von Antium, +Lanuvium, Aricia und anderen Ortschaften die noch offenen Landverbindungswege +in seine Gewalt und kühlte zugleich vorläufig seine Rache, indem er, wo immer +Gegenwehr geleistet worden war, die gesamte Bürgerschaft mit Ausnahme derer, +die etwa die Stadt ihm verraten hatten, über die Klinge springen ließ. +Ansteckende Krankheiten waren die Folge der Not und räumten in den dicht um die +Hauptstadt zusammengedrängten Heermassen fürchterlich auf von Strabos +Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann denselben +erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung nicht; und ein glückliches +Ereignis für sie war Strabos plötzlicher Tod. Er starb an der Pest 3; die aus +vielen Gründen gegen ihn erbitterten Massen rissen seinen Leichnam von der +Bahre und schleiften ihn durch die Straßen. Was von seinen Truppen übrig war, +vereinigte der Konsul Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus’ +Eintreffen und Strabos Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern +wenigstens gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum +Kampfe sich stellen. Allein die Gemüter der Regierungssoldaten waren tief +erschüttert; als Cinna ihnen gegenüber erschien, empfingen sie ihn mit Zuruf, +als wäre er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand es geraten, es nicht +auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die Truppen in das Lager +zurückzuführen. Die Optimaten selbst wurden unsicher und unter sich uneins. +Während eine Partei, an ihrer Spitze der ehrenwerte, aber störrige und +kurzsichtige Konsul Octavius, sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, +versuchte der kriegskundigere und verständigere Metellus einen Vergleich +zustande zu bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der +Ultras beider Parteien: Cinna hieß dem Marius ein Schwächling, Metellus dem +Octavius ein Verräter. Die Soldaten, ohnehin verstört und nicht ohne Ursache +der Führung des unerprobten Octavius mißtrauend, sannen Metellus an, den +Oberbefehl zu übernehmen, und begannen, da dieser sich weigerte, haufenweise +die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu desertieren. Die Stimmung der +Bürgerschaft wurde täglich gedrückter und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde +Cinnas, daß den überlaufenden Sklaven die Freiheit zugesichert sei, strömten +dieselben scharenweise aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem +Vorschlage aber, daß der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten würden, +die Freiheit zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die +Regierung konnte es sich nicht verbergen, daß sie geschlagen war und daß nichts +übrig blieb, als mit den Führern der Bande womöglich ein Abkommen zu treffen, +wie der überwältigte Wanderer es trifft mit dem Räuberhauptmann. Boten gingen +an Cinna; allein da sie törichterweise Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul +anzuerkennen und Cinna während dieser Weiterungen sein Lager hart vor die +Stadttore verlegte, so griff das Überlaufen so sehr um sich, daß es nicht mehr +möglich war, irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich +einfach dem in die Acht erklärten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte +hinzufügte, des Blutvergießens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, aber +weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius, ihm zur Seite +den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem Schweigen. +</p> + +<p> +—————————————————— +</p> + +<p> +^1 Die ganze folgende Darstellung beruht wesentlich auf dem neu aufgefundenen +Bericht des Licinianus, der eine Anzahl früher unbekannter Tatsachen mitteilt +und vor allem die Folge und Verknüpfung dieser Vorgänge deutlicher, als bisher +möglich war, erkennen läßt. +</p> + +<p> +2 3, 258. Daß eine Bestätigung durch die Komitien nicht stattfand, geht aus +Cic. Phil. 12, 11, 27 hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben, +die Frist des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach zu verlängern, was ihm +nach Herkommen freistand und tatsächlich hinauslief auf Erteilung des +Bürgerrechts an alle Italiker. +</p> + +<p> +3 Adflatus sidere wie Livius (nach Obsequens 56) sagt, heißt “von der +Pest ergriffen” (Petr. 2; Plin. nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht +“vom Blitz getroffen”, wie die Späteren es mißverstanden haben. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Die Tore der Hauptstadt öffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen Legionen; +aber Marius, spöttisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich, die Stadt zu +betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und eilig versammelten sich die +Bürger auf dem Markt, um den kassierenden Beschluß zu fassen. So kam er denn +und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, nicht einzelne Opfer +auszuwählen, sondern die namhaften Männer der Optimatenpartei sämtlich +niedermachen zu lassen und ihre Güter einzuziehen. Die Tore wurden gesperrt; +fünf Tage und fünf Nächte währte unausgesetzt die Schlächterei; einzelne +Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher noch täglich erschlagen und +monatelang ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war +das erste Opfer. Seinem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den Tod zu +leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugeständnis zu machen, weigerte +er auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen Schmuck harrte er auf dem +Ianiculum des Mörders, der nicht lange säumte. Es starben Lucius Caesar (Konsul +644 90), der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen unzeitiger +Ehrgeiz den Sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und +Dichter und als liebenswürdiger Gesellschafter; Marcus Antonius (Konsul 665 +99), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner +Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im Spanischen und im +Bundesgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit Auszeichnung +kommandiert hatte: überhaupt eine Menge der angesehensten Männer der +Regierungspartei, unter denen von den gierigen Häschern namentlich die reichen +mit besonderem Eifer verfolgt wurden. Jammervoll vor allen schien der Tod des +Lucius Merula, der sehr wider seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und +nun deswegen peinlich angeklagt und vor die Komitien geladen, um der +unvermeidlichen Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern öffnete und am Altar +des Höchsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der priesterlichen +Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden Flamen mit sich brachte, +den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod des Quintus Catulus (Konsul 652 +102), einst in besseren Tagen in dem herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte +desselben Marius, der jetzt für die flehenden Verwandten seines alten Kollegen +keine andere Antwort hatte als den einsilbigen Bescheid: “Er muß +sterben!” Der Urheber all dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete +die Opfer und die Henker - nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und +Catulus, eine Rechtsform beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das +Stillschweigen, womit er die Begrüßenden empfing, das Todesurteil, das stets +sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache +nicht; er verbot, die Leichen zu bestatten; er ließ - worin freilich Sulla ihm +vorangegangen war - die Köpfe der getöteten Senatoren an die Rednerbühne auf +dem Marktplatz heften; einzelne Leichen ließ er über den Markt schleifen, die +des Gaius Caesar an der Grabstätte des vermutlich einst von Caesar angeklagten +Quintus Varius noch einmal durchbohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der +ihm, während er bei Tafel saß, den Kopf des Antonius überreichte, den selber in +seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum hatte +abgehalten werden können. Hauptsächlich seine Sklavenlegionen, namentlich eine +Abteilung Ardyäer, dienten ihm als Schergen und versäumten nicht, in diesen +Saturnalien ihrer neuen Freiheit die Häuser ihrer ehemaligen Herren zu plündern +und was ihnen darin vorkam, zu schänden und zu morden. Seine eigenen Genossen +waren in Verzweiflung über dieses wahnsinnige Wüten; Sertorius beschwor den +Konsul, demselben um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war +erschrocken. Aber in Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine +Macht; man stürzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es +war nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu +fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er wählte den Marius +vielmehr für das nächste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das +Schreckensregiment terrorisierte die gemäßigteren Sieger nicht viel weniger als +die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht unzufrieden damit, daß +eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen Oligarchen einmal gründlich zu +demütigen, und zugleich infolge der umfassenden Konfiskationen und +Versteigerungen der beste Teil der Beute an sie kam - sie erwarben in diesen +Schreckenszeiten bei dem Volke sich den Beinamen der “Einsäckler”. +</p> + +<p> +Dem Urheber dieses Terrorismus, dem alten Gaius Marius, hatte also das +Verhängnis seine beiden höchsten Wünsche gewährt. Er hatte Rache genommen an +der ganzen vornehmen Meute, die ihm seine Siege vergällt, seine Niederlagen +vergiftet hatte; er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten +können. Er trat ferner das neue Jahr noch einmal an als Konsul; das Traumbild +des siebenten Konsulates, das der Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er +seit dreizehn Jahren gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er +wünschte, hatten die Götter ihm gewährt; aber auch jetzt noch, wie in der alten +Sagenzeit, übten sie die verhängnisvolle Ironie, den Menschen zu verderben +durch die Erfüllung seiner Wünsche. In seinen ersten Konsulaten der Stolz, im +sechsten das Gespött seiner Mitbürger, stand er jetzt im siebenten belastet mit +dem Fluche aller Parteien, mit dem Haß der ganzen Nation; er, der von Haus aus +rechtliche, tüchtige, kernbrave Mann, gebrandmarkt als das wahnwitzige +Oberhaupt einer ruchlosen Räuberbande. Er selbst schien es zu fühlen. Wie im +Taumel vergingen ihm die Tage, und des Nachts versagte ihm seine Lagerstatt die +Ruhe, so daß er zum Becher griff, um nur sich zu betäuben. Ein hitziges Fieber +ergriff ihn; nach siebentägigem Krankenlager, in dessen wilden Phantasien er +auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla +bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er eine Leiche. Er starb, über siebzig +Jahr alt, im Vollbesitz dessen, was er Macht und Ehre nannte, und in seinem +Bette; aber die Nemesis ist mannigfaltig und sühnt nicht immer Blut mit Blut. +Oder war es etwa keine Vergeltung, daß Rom und Italien bei der Nachricht von +dem Tode des gefeierten Volkserretters jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde +von der Schlacht auf dem Raudischen Feld? +</p> + +<p> +Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne Auftritte vor, die an die +Schreckenszeit erinnerten; so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein +anderer bei den Marianischen Schlächtereien seine Hand in Blut getaucht hatte, +bei dem Leichenbegängnis des Marius selbst einen Versuch, den allgemein +verehrten und selbst von Marius verschonten Oberpontifex Quintus Scaevola +(Konsul 659 95) umzubringen und klagte dann, als derselbe von der empfangenen +Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich +ausdrückte, daß er sich nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des +Mordens waren doch vorüber. Unter dem Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius +die Marianischen Banditen zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlässigen +keltischen Truppen und ließ sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, +sämtlich niederhauen. +</p> + +<p> +Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis gekommen. Cinna stand +nicht bloß vier Jahre nacheinander (667-670 87-84) als Konsul an der Spitze des +Staats, sondern er ernannte auch regelmäßig sich und seine Kollegen, ohne das +Volk zu befragen; es war, als ob diese Demokraten die souveräne +Volksversammlung mit absichtlicher Geringschätzung beiseite schöben. Kein +anderes Haupt der Popularpartei vor- oder nachher hat eine so vollkommen +absolute Gewalt in Italien wie in dem größten Teil der Provinzen so lange Zeit +hindurch fast ungestört besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu nennen, +dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen wäre. Man nahm +natürlich das von Sulpicius und später von Cinna selbst beantragte, den +Neubürgern und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht mit den Altbürgern +zusichernde Gesetz wieder auf und ließ dasselbe durch einen Senatsbeschluß +förmlich als zu Recht bestehend bestätigen (670 84). Man ernannte Zensoren (668 +86), um demgemäß sämtliche Italiker in die fünfunddreißig Bürgerbezirke zu +verteilen - eine seltsame Fügung dabei war es, daß infolge des Mangels von +fähigen Kandidaten zur Zensur derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91) +hauptsächlich den Plan des Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu verleihen, +hatte scheitern machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als Zensor in die +Bürgerrollen einzuschreiben. Man stieß natürlich die von Sulla im Jahre 666 +(88) begründeten reaktionären Institutionen um. Man tat einiges, um dem +Proletariat sich gefällig zu erweisen - so wurden wahrscheinlich die vor +einigen Jahren eingeführten Beschränkungen der Getreideverteilung jetzt +wiederum beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Iunius +Brutus die von Gaius Gracchus beabsichtigte Koloniegründung in Capua im +Frühjahr 671 (83) in der Tat ins Werk gesetzt; so veranlaßte Lucius Valerius +Flaccus der Jüngere ein Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten +Teil ihres Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der Schuldner +kassierte. Diese Maßregeln aber, die einzigen konstitutiven während des ganzen +Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme vom Augenblick diktiert; es liegt - +und vielleicht ist dies das Entsetzlichste bei dieser ganzen Katastrophe - +derselben nicht etwa ein verkehrter, sondern gar kein politischer Plan zu +Grunde. Man liebkoste den Pöbel und verletzte ihn zugleich in höchst unnötiger +Weise durch zwecklose Mißachtung der verfassungsmäßigen Wahlordnung. Man konnte +an der Kapitalistenpartei einen Halt finden und schädigte sie aufs +empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stütze des Regiments +waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubürger; man ließ sich ihren +Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame Stellung der +Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt römische Bürger waren, aber +offenbar tatsächlich ihre landschaftliche Unabhängigkeit als den eigentlichen +Zweck und Preis des Kampfes betrachteten und diese gegen all und jeden zu +verteidigen in Waffen blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie +tolle Hunde; aber nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der +Regierung zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so daß +dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus den Sturz +der Oligarchie nicht verstanden, daß der neue Herr sich auf seinem +selbstgeschaffenen Thron verhalten könne, wie es legitime Nullkönige zu tun +belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen, sondern der reine Zufall +emporgetragen; war es ein Wunder, daß er blieb, wo die Sturmflut der Revolution +ihn hingespült hatte, bis eine zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen? +</p> + +<p> +Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der vollständigsten +Impotenz und Inkapazität der Machthaber zeigte die Kriegführung der +revolutionären Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch zunächst ihre +Existenz hing. In Italien gebot sie unumschränkt. Unter den Altbürgern war ein +sehr großer Teil grundsätzlich demokratisch gesinnt; die noch größere Masse der +ruhigen Leute mißbilligte zwar die Marianischen Greuel, sahen aber in einer +oligarchischen Restauration nichts als die Eröffnung eines zweiten +Schreckensregiments der entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Untaten des +Jahres 667 (87) auf die Nation insgesamt war verhältnismäßig gering gewesen, da +sie vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie betroffen hatten, und +ward überdies einigermaßen ausgelöscht durch das darauffolgende dreijährige, +leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubürger endlich, vielleicht +drei Fünftel der Italiker, stand entschieden wo nicht für die gegenwärtige +Regierung, doch gegen die Oligarchie. +</p> + +<p> +Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien, Sardinien, +beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus Metellus, der den +Mördern glücklich entkommen war, einen Versuch, diese Provinz für die Optimaten +zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien Marcus Crassus, der jüngste Sohn des +in dem Marianischen Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstärkte ihn +durch einen in Spanien zusammengebrachten Haufen. Allein sie mußten, da sie +sich untereinander entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Regierung, +Gaius Fabius Hadrianus, weichen. Asien war in den Händen Mithradats; somit +blieb als einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz Makedonien, +soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin und +Kinder, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige entkommene +Senatoren, so daß bald in seinem Hauptquartier eine Art von Senat sich bildete. +An Dekreten gegen den oligarchischen Prokonsul ließ es die Regierung nicht +fehlen. Sulla ward durch die Komitien seines Kommandos und seiner sonstigen +Ehren und Würden entsetzt und geächtet, wie das in gleicher Weise auch gegen +Metellus, Appius Claudius und andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein Haus +in Rom wurde geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indes damit freilich war +die Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius länger gelebt, so wäre er ohne +Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch auf seinem Todbette +die Fieberbilder ihn führten; welche Maßregeln nach seinem Tode die Regierung +ergriff, ward schon erzählt. Lucius Valerius Flaccus der jüngere 4, der nach +Marius’ Tode das Konsulat und das Kommando im Osten übernahm (668 86), +war weder Soldat noch Offizier, sein Begleiter Gaius Fimbria nicht unfähig, +aber unbotmäßig, das ihnen mitgegebene Heer schon der Zahl nach dreifach +schwächer als die Sullanische Armee. Man vernahm nacheinander, daß Flaccus, um +nicht von Sulla erdrückt zu werden, an ihm vorüber nach Asien abgezogen sei +(668 86), daß Fimbria ihn beseitigt und sich selbst an seine Stelle gesetzt +habe (Anfang 669 85), daß Sulla Frieden geschlossen habe mit Mithradates +(669/70 85/84). Bis dahin hatte Sulla den in der Hauptstadt regierenden +Behörden gegenüber geschwiegen; jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat +ein, worin er die Beendigung des Krieges berichtete und seine Rückkehr nach +Italien ankündigte; die den Neubürgern erteilten Rechte werde er achten; +Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie würden nicht die Massen, +sondern die Urheber treffen. Diese Ankündigung schreckte Cinna aus seiner +Untätigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen Sulla getan hatte, als daß einige +Mannschaft unter die Waffen gestellt und eine Anzahl Schiffe im Adriatischen +Meere versammelt worden war, so beschloß er jetzt, schleunigst nach +Griechenland überzugehen. Aber andererseits weckte Sullas Schreiben, das den +Umständen nach äußerst gemäßigt zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen +auf eine friedliche Ausgleichung. Die Majorität des Senats beschloß nach dem +Vorschlag des älteren Flaccus, einen Sühneversuch einzuleiten und zu dem Ende +Sulla aufzufordern, sich unter Verbürgung sicheren Geleits in Italien +einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, bis zum Eingang +von Sullas Antwort die Rüstungen einzustellen. Sulla wies die Vorschläge nicht +unbedingt von der Hand; er kam zwar natürlich nicht selbst, aber ließ durch +Boten erklären, daß er nichts fordere als Wiedereinsetzung der Verbannten in +den vorigen Stand und gerichtliche Bestrafung der begangenen Verbrechen, +Sicherheit übrigens nicht geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen +gedenke. Seine Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich +verändert. Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluß sich weiter zu bekümmern, +sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die Einschiffung +desselben betrieben. Die Aufforderung, in der bösen Jahreszeit sich dem Meer +anzuvertrauen, rief unter den schon schwierigen Truppen im Hauptquartier zu +Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer Cinna ward (Anfang 670 84), worauf +sein Kollege Carbo sich genötigt sah, die schon übergegangenen Abteilungen +zurückzuführen und, auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend, +Winterquartiere in Ariminum zu beziehen. Sullas Anträge aber fanden darum keine +bessere Aufnahme: der Senat wies seine Vorschläge zurück, ohne auch nur die +Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die Waffen niederzulegen. Es +war nicht zunächst die Koterie der Marianer, welche dies entschiedene Auftreten +bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, mußte diese Faktion die bisher usurpierte +Besetzung des höchsten Amtes abgeben und für das entscheidende Jahr 671 (83) +wieder Konsulwahlen veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht +auf den bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere der bis +dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den Sohn, +sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitäten, von denen +keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand, und von denen +jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als politischer Gegner +der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die Marianer wurden nicht so sehr +ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer Nichtigkeit wegen verachtet; aber +wenn die Nation nichts von diesen, so wollte sie in ihrer großen Majorität noch +viel weniger von Sulla und einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man +dachte ernstlich an Abwehr. Während Sulla nach Asien überging, das Heer des +Fimbria zum Übertritt bestimmte und dessen Führer durch seine eigene Hand fiel, +benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr gegönnte +weitere Jahresfrist zu energischen Rüstungen: es sollen bei Sullas Landung +100000, später sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten gegen ihn gestanden +haben. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +4 Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen, ist nicht +der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger jüngerer Mann, +vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das die Wiederwahl zum +Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81) rechtlich in Kraft +geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, daß dasselbe, war für Scipio +Aemilianus und Marius, auch für Flaccus geschah. Zweitens wird nirgends, wo der +eine oder der andere Flaccus genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, +auch nicht, wo es notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der +Lucius Valerius Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als +Konsulat in Rom tätig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 (86) sein, +da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und wahrscheinlich schon tot +war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), ist derjenige, den Cicero (Att. 8, +3, 6) unter den 667 (87) in Rom anwesenden Konsulaten nennt; er war 669 (85) +unzweifelhaft der älteste lebende Altzensor und also geeignet zum Vormann des +Senats; er ist auch der Zwischenkönig und der Reiterführer von 672 (82). +Dagegen ist der Konsul 668 (86), der in Nikomedeia umkam, der Vater des von +Cicero verteidigten Lucius Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77). +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu legen als +seine fünf Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im +Peloponnes aufgebotener Zuzüge, kaum auf 40000 Mann sich belaufen mochten. +Allerdings hatte dies Heer in siebenjährigen Kämpfen in Italien, Griechenland +und Asien des Politisierens sich entwöhnt und hing seinem Feldherrn, der den +Soldaten alles, Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei gegen die Offiziere, +nachsah, nichts verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und für +den Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem +jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als dabei die +edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben Brust sich +begegnen. Freiwillig schworen nach römischer Sitte die Sullanischen Soldaten +sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, und freiwillig brachte ein jeder +dem Feldherrn seinen Sparpfennig als Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so +ansehnlich diese geschlossene Kernschar gegen die feindlichen Massen ins +Gewicht fiel, so erkannte doch Sulla sehr wohl, daß Italien nicht mit fünf +Legionen bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig +zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfähigen Autokraten fertig zu +werden, wäre nicht schwierig gewesen; aber er sah sich gegenüber und mit dieser +vereinigt die ganze Masse derer, die keine oligarchische Schreckensrestauration +wollten, und vor allen Dingen die gesamte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen, +die durch das Julische Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten +abhalten lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an +den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla übersah vollkommen die Lage der +Verhältnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung und der +eigensinnigen Starrheit, die die Majorität seiner Partei charakterisierten. +Während das Staatsgebäude in vollen Flammen stand, während man seine Freunde +ermordete, seine Häuser zerstörte, seine Familie ins Elend trieb, war er +unbeirrt auf seinem Posten verblieben, bis der Landesfeind überwältigt und die +römische Grenze gesichert war. In demselben Sinne patriotischer und +einsichtiger Mäßigung behandelte er auch jetzt die italischen Verhältnisse und +tat, was er irgend tun konnte, um die Gemäßigten und die Neubürger zu beruhigen +und um zu verhindern, daß nicht unter dem Namen des Bürgerkrieges der weit +gefährlichere Krieg zwischen den Altrömern und den italischen Bundesgenossen +abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das Sulla an den Senat +richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit gefordert und eine +Schreckensherrschaft ausdrücklich zurückgewiesen; im Einklang damit stellte er +nun allen denen, die noch jetzt von der revolutionären Regierung sich lossagen +würden, unbedingte Begnadigung in Aussicht und veranlaßte seine Soldaten, Mann +für Mann, zu schwören, daß sie den Italikern durchaus als Freunden und +Mitbürgern begegnen würden. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern +die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so daß Carbo deshalb von jeder +italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was indes an der +allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats scheiterte. Die +Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat darin, daß bei der +eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubürger allen Grund hatten, wenn +nicht an seinen persönlichen Absichten, doch daran zu zweifeln, ob er es +vermögen werde, seine Partei zum Worthalten nach dem Siege zu bestimmen. +</p> + +<p> +Im Frühling 671 (83) landete Sulla mit seinen Legionen in dem Hafen von +Brundisium. Der Senat erklärte auf die Nachricht davon das Vaterland in Gefahr +und übertrug den Konsuln unbeschränkte Vollmacht; aber diese unfähigen Leiter +hatten sich nicht vorgesehen und waren durch die seit Jahren in Aussicht +stehende Landung dennoch überrascht. Das Heer befand sich noch in Ariminum, die +Häfen waren unbesetzt und überhaupt unglaublicherweise in dem ganzen +südöstlichen Litoral kein Mann unter den Waffen. Die Folgen zeigten sich bald. +Gleich Brundisium selbst, eine ansehnliche Neubürgergemeinde, öffnete ohne +Widerstand dem oligarchischen General die Tore und dem gegebenen Beispiel +folgte ganz Messapien und Apulien. Die Armee marschierte durch diese Gegenden +wie durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk, durchgängig die +strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten die versprengten Reste der +Optimatenpartei in das Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er +von Afrika sich gerettet hatte, kam Quintus Metellus und übernahm wieder, als +Kollege Sullas, das im Jahr 667 (87) ihm übertragene und von der Revolution ihm +aberkannte prokonsularische Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit einer +kleinen Schar Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten freilich kamen +als vornehme Emigranten mit großen Ansprüchen und geringer Kampflust, so daß +sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die adligen Herren, +die zum Heil des Staates sich wollten retten lassen und nicht einmal dazu zu +bringen seien, ihre Sklaven zu bewaffnen. Wichtiger war es, daß schon +Überläufer aus dem demokratischen Lager sich einstellten - so der feine und +angesehene Lucius Philippus, nebst ein paar notorisch unfähigen Leuten der +einzige Konsular, der mit der revolutionären Regierung sich eingelassen und +unter ihr Ämter angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste +Aufnahme und erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz +Sardinien für ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia und +andere brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschäftigt; selbst Publius +Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von Sulla geächteten +Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung im Heer. Wichtiger noch als die +einzelnen Übertritte war der der Landschaft Picenum, der wesentlich dem Sohne +des Strabo, dem jungen Gnaeus Pompeius, verdankt ward. Dieser, gleich seinem +Vater von Haus aus kein Anhänger der Oligarchie, hatte die revolutionäre +Regierung anerkannt und sogar in Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward +ihm nicht vergessen, daß sein Vater die Waffen gegen die Revolution getragen +hatte; er sah sich vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage auf Herausgabe +der nach der Einnahme von Asculum von seinem Vater wirklich oder angeblich +unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines sehr beträchtlichen Vermögens +bedroht. Zwar wendete mehr als die Beredsamkeit des Konsulars Lucius Philippus +und des jungen Quintus Hortensius der Schutz des ihm persönlich gewogenen +Konsuls Carbo den ökonomischen Ruin von ihm ab; aber die Verstimmung blieb. Auf +die Nachricht von Sullas Landung ging er nach Picenum, wo er ausgedehnte +Besitzungen und von seinem Vater und dem Bundesgenossenkriege her die besten +munizipalen Verbindungen hatte und pflanzte in Auximum (Osimo) die Fahne der +optimatischen Partei auf. Die meistens von Altbürgern bewohnte Landschaft fiel +ihm zu; die junge Mannschaft, welche großenteils mit ihm unter seinem Vater +gedient hatte, stellte sich bereitwillig unter den beherzten Führer, der, noch +nicht dreiundzwanzigjährig, ebensosehr Soldat wie General war, im Reitergefecht +den Seinen voraussprengte und tüchtig mit in den Feind einhieb. Das picenische +Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen; den aus der Hauptstadt zur +Dämpfung der picenischen Insurrektion ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, +Gaius Carrinas, Lucius Iunius Brutus Damasippus 5 wußte der improvisierte +Feldherr, die unter denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, +sich zu entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas, +wie es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begrüßte ihn als +Imperator, das heißt als einen im eigenen Namen kommandierenden und nicht +unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete den Jüngling durch +Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner vornehmen Klienten erwies - +vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, der charakterlosen Schwäche seiner +eigenen Parteigenossen damit eine indirekte Züchtigung zukommen zu lassen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +5 Nur an diesen kann hier gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater des +sogenannten Befreiers, im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht im Felde +kommandieren konnte. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Also moralisch und materiell ansehnlich verstärkt gelangten Sulla und Metellus +nach Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen Gegenden nach +Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche Hauptmacht, und es schien +die Entscheidung hier fallen zu müssen. Das Heer des Konsuls Gaius Norbanus +stand bereits bei Capua, wo eben die neue Kolonie mit allem demokratischen Pomp +sich konstituierte; die zweite Konsulararmee rückte ebenfalls auf der Appischen +Straße heran. Aber bevor sie eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenüber. +Ein letzter Vermittlungsversuch, den Sulla machte, führte nur dazu, daß man an +seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine kampfgewohnten +Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoß vom Berge Tifata herab +zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im ersten Anlauf; mit dem Rest +seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die revolutionäre Kolonie Capua und die +Neubürgerstadt Neapolis und ließ dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher +nicht ohne Besorgnis ihre schwache Zahl mit den feindlichen Massen +vergleichend, hatten durch diesen Sieg das Vollgefühl militärischer +Überlegenheit gewonnen; statt mit der Belagerung der Trümmer der geschlagenen +Armee sich aufzuhalten, ließ Sulla die Städte umstellen, wo sie sich befanden, +und rückte auf der Appischen Straße vor gegen Teanum, wo Scipio stand. Auch ihm +bot er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; es scheint in +gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; ein Waffenstillstand +ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen die beiden Feldherren, beide +Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, beide gebildet und feingesittet und +langjährige Kollegen im Senat, persönlich zusammen; man ließ sich auf die +einzelnen Fragen ein; schon war man so weit, daß Scipio einen Boten nach Capua +absandte, um die Meinung seines Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich +die Soldaten beider Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit Geld +versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim Becher leicht +begreiflich, daß es besser sei, sie zu Kameraden als zu Feinden zu haben; +vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem gefährlichen Verkehr ein Ende +zu machen. Die Verständigung, die so nahe geschienen, trat doch nicht ein; +Scipio war es, welcher den Waffenstillstand kündigte. Aber Sulla behauptete, +daß es zu spät und der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen sei; und unter dem +Vorwand, daß ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen +Scipios Soldaten in Masse über in die feindlichen Reihen. Die Szene schloß mit +einer allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden Offiziere der +Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla ließ den Konsul auffordern, sein Amt +niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem Stab durch seine Reiter dahin +eskortieren, wohin sie begehrten; allein kaum in Freiheit gesetzt, legte Scipio +die Abzeichen seiner Würde wieder an und begann aufs neue, Truppen +zusammenzuziehen, ohne indes weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und +Metellus nahmen Winterquartiere in Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter +Versuch, mit Norbanus sich zu verständigen, gescheitert war, Capua den Winter +über blockiert. +</p> + +<p> +Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Unterwerfung von +Apulien, Picenum und Kampanien, die Auflösung der einen, die Besiegung und +Blockierung der anderen konsularischen Armee. Schon traten die italischen +Gemeinden, genötigt, zwischen ihren zwiefachen Drängern jede für sich Partei zu +ergreifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und ließen sich die von der +Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch förmliche Separatverträge von +dem Feldherrn der Oligarchie garantieren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung +und trug sie absichtlich zur Schau, die revolutionäre Regierung in dem nächsten +Feldzug niederzuwerfen und wieder in Rom einzuziehen. +</p> + +<p> +Aber auch der Revolution schien die Verzweiflung neue Kräfte zu geben. Das +Konsulat übernahmen zwei ihrer entschiedensten Führer, Carbo zum dritten Male +und Gaius Marius der Sohn; daß der letztere eben zwanzigjährige Mann +gesetzmäßig das Konsulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig wie jeden +anderen Punkt der Verfassung. Quintus Sertorius, der in dieser und in anderen +Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde angewiesen, um neue +Werbungen vorzunehmen, nach Etrurien und von da in seine Provinz, das +Diesseitige Spanien, abzugehen. Die Kasse zu füllen, mußte der Senat die +Einschmelzung des goldenen und silbernen Tempelgeräts der Hauptstadt verfügen; +wie bedeutend der Ertrag war, erhellt daraus, daß nach mehrmonatlicher +Kriegführung davon noch über 4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und 6000 Pfund +Silber) vorrätig waren. In dem beträchtlichen Teile Italiens, der gezwungen +oder freiwillig noch zu der Revolution hielt, wurden die Rüstungen lebhaft +betrieben. Aus Etrurien, wo die Neubürgergemeinden sehr zahlreich waren, und +dem Pogebiet kamen ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf den Ruf des +Sohnes stellten die Marianischen Veteranen in großer Anzahl sich bei den Fahnen +ein. Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so leidenschaftlich gerüstet wie +in dem insurgierten Samnium und einzelnen Strichen von Lucanien. Es war nichts +weniger als Ergebenheit gegen die revolutionäre römische Regierung, daß +zahlreicher Zuzug aus den oskischen Gegenden ihre Heere verstärkte; wohl aber +begriff man daselbst, daß eine von Sulla restaurierte Oligarchie sich die jetzt +faktisch bestehende Selbständigkeit dieser Landschaften nicht so gefallen +lassen werde wie die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum erwachte in dem +Kampf gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalität der Sabeller gegen die +Latiner. Für Samnium und Latium war dieser Krieg so gut ein Nationalkampf wie +die Kriege des fünften Jahrhunderts; man stritt nicht um ein Mehr oder Minder +von politischen Rechten, sondern um den lange verhaltenen Haß durch Vernichtung +des Gegners zu sättigen. Es war darum kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges +einen ganz anderen Charakter trug als die übrigen Kämpfe, wenn hier keine +Verständigung versucht, kein Quartier gegeben oder genommen, die Verfolgung bis +aufs äußerste fortgesetzt ward. +</p> + +<p> +So trat man den Feldzug des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstärkten +Streitkräften und gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die Revolution warf +die Scheide weg; auf Carbos Antrag ächteten die römischen Komitien alle in +Sullas Lager befindlichen Senatoren. Sulla schwieg; er mochte denken, daß man +im voraus sich selber das Urteil spreche. +</p> + +<p> +Die Armee der Optimaten teilte sich. Der Prokonsul Metellus übernahm es, +gestützt auf die picenische Insurrektion, nach Oberitalien vorzudringen, +während Sulla von Kampanien aus geradeswegs gegen die Hauptstadt marschierte. +Jenem warf Carbo sich entgegen; der feindlichen Hauptarmee wollte Marius in +Latium begegnen. Auf der Launischen Straße heranrückend, traf Sulla unweit +Signia auf den Feind, der vor ihm zurückwich bis nach dem sogenannten +“Hafen des Sacer” zwischen Signia und dem Hauptwaffenplatz der +Marianen dem festen Praeneste. Hier stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer +war etwa 40000 Mann stark und er an wildem Grimme und persönlicher Tapferkeit +seines Vaters rechter Sohn; aber es waren nicht die wohlgeübten Scharen, mit +denen dieser seine Schlachten geschlagen hatte, und noch minder durfte der +unerfahrene junge Mann mit dem alten Kriegsmeister sich vergleichen. Bald +wichen seine Truppen; der Übertritt einer Abteilung noch während des Gefechts +beschleunigte die Niederlage. Über die Hälfte der Marianer waren tot oder +gefangen; der Überrest, weder imstande, das Feld zu halten, noch, das andere +Ufer des Tiber zu gewinnen, genötigt, in den benachbarten Festungen Schutz zu +suchen; die Hauptstadt, die zu verproviantieren man versäumt hatte, unrettbar +verloren. Infolgedessen gab Marius dem daselbst befehligten Prätor Lucius +Brutus Damasippus den Befehl, sie zu räumen, vorher aber alle bisher noch +verschonten angesehenen Männer der Gegenpartei niederzumachen. Der Auftrag, +durch den der Sohn die Ächtungen des Vaters noch überbot, ward vollzogen; +Damasippus berief unter einem Vorwand den Senat, und die bezeichneten Männer +wurden teils in der Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem Rathaus +niedergestoßen. Trotz der vorhergegangenen gründlichen Aufräumung fanden sich +doch noch einzelne namhaftere Opfer: so der gewesene Ädil Publius Antistius, +der Schwiegervater des Gnaeus Pompeius, und der gewesene Prätor Gaius Carbo, +der Sohn des bekannten Freundes und nachherigen Gegners der Gracchen, nach dem +Tode so vieler ausgezeichneter Talente die beiden besten Gerichtsredner auf dem +verödeten Markt; der Konsular Lucius Domitius und vor allem der ehrwürdige +Oberpriester Quintus Scaevola, der dem Dolch des Fimbria nur entgangen war, um +jetzt während der letzten Krämpfe der Revolution in der Halle des seiner Obhut +anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit stummem Entsetzen sah die Menge die +Leichen dieser letzten Opfer des Terrorismus durch die Straßen schleifen und +sie in den Fluß werfen. +</p> + +<p> +Marius’ aufgelöste Haufen warfen sich in die nahen und festen +Neubürgerstädte Norba und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem größten +Teil der Flüchtlinge in die letztere. Sulla ließ, ebenwie das Jahr zuvor vor +Capua, vor Praeneste einen tüchtigen Offizier, den Quintus Ofelia, zurück, mit +dem Auftrag, seine Kräfte nicht an die Belagerung der festen Stadt zu +vergeuden, sondern sie mit einer weiten Blockadelinie einzuschließen und sie +auszuhungern; er selbst rückte von verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, +welche er wie die ganze Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr +besetzte. Kaum nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu +beruhigen und die nötigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach +Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien zu +vertreiben. +</p> + +<p> +Metellus war inzwischen am Fluß Aesis (Esino zwischen Ancona und Sinigaglia), +der die picenische Landschaft von der gallischen Provinz schied, auf Carbos +Unterfeldherrn Carrinas gestoßen und hatte diesen geschlagen; als Carbo selbst +mit seiner überlegenen Armee herbeikam, hatte er das weitere Vordringen +aufgeben müssen. Allein auf die Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war +Carbo, um seine Kommunikationen besorgt, zurückgegangen bis auf die Flaminische +Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen und von +dort teils die Pässe des Apennin, teils das Potal zu behaupten. Bei dieser +rückgängigen Bewegung gerieten nicht bloß verschiedene Abteilungen dem Feinde +in die Hände, sondern ward auch von Pompeius Sena gallica erstürmt und Carbos +Nachhut in einem glänzenden Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im +ganzen seinen Zweck. Der Konsulat Norbanus übernahm im Potal das Kommando; +Carbo selbst begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen +siegreichen Legionen nach Etrurien änderte die Lage der Dinge: bald reichten +von Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Hände. +Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und schnitt bei +Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, in das auf der +großen Straße nach Placentia er eine Abteilung vorgehen ließ unter Marcus +Lucullus, dem Quästor Sullas und dem Bruder seines Flottenführers im +Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein Altersgenosse und +Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen auf Bergwegen in Umbrien ein +und gewannen die Flaminische Straße bei Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn +Carrinas schlugen und in die Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in +einer regnerischen Nacht, aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht +ohne Verlust, zum Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rückte von Rom +aus in zwei Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Küste +vorgehend bei Saturnia (zwischen den Flüssen Ombrone und Albegna) das ihm +entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Führung im +Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glückliches Gefecht mit dessen +spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die zwischen Carbo und +Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward, endigte zwar ohne eigentliche +Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten Carbos, als Sullas siegreiches +Vordringen gehemmt ward. Auch in der Umgegend von Rom schienen die Dinge für +die revolutionäre Partei sich günstiger wenden und der Krieg wieder sich +hauptsächlich nach dieser Gegend ziehen zu wollen. Denn während die +oligarchische Partei alle ihre Kräfte um Etrurien konzentrierte, machte die +Demokratie aller Orten die äußerste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste +zu sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte sich +dazu auf; es scheint indes nicht, daß er nach Praeneste gelangte. Ebensowenig +glückte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen Korps unter Marcius; +von den bei Spoletium stehenden feindlichen Truppen überfallen und geschlagen, +durch Unordnung, Mangel an Zufuhr und Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu +Carbo zurück, ein anderer nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche +Hilfe dagegen kam aus Süditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von +Telesia, die Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne +daß der Abmarsch ihnen gewehrt worden wäre, zogen im Kampanien, wo Capua noch +immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich und rückten +also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla selbst kehrte darauf, +mit Zurücklassung eines Korps gegen Carbo, nach Latium zurück und nahm in den +Engpässen vorwärts Praeneste 6 eine wohlgewählte Stellung, in der er dem +Entsatzheer den Weg sperrte. Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien +zu durchbrechen, vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide +verharrten unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo +gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstärkt hatte. Während +aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte, kam es im Potal +zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der Demokratie Gaius Norbanus +die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn des Metellus, Marcus Lucullus, mit +überlegener Macht angegriffen und ihn genötigt, sich in Placentia +einzuschließen, endlich sich gegen Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf +er auf diesen und griff am späten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermüdeten +Truppen sofort an; die Folge war eine vollständige Niederlage und die totale +Auflösung seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurückkamen. +Auf die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und +schlug die gegen ihn zurückgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen Piacenza +und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in Masse über; ihr +Führer machte seine anfängliche Zögerung wieder gut, indem er die vornehmsten +Offiziere der revolutionären Armee zu einem Bankett bei sich einlud und sie +dabei niedermachen ließ; überhaupt schloß, wer irgend nur durfte, jetzt seinen +Frieden. Ariminum mit allen Vorräten und Kassen geriet in Metellus’ +Gewalt; Norbanus schiffte nach Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen +und Apenninen erkannte das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten +Truppen konnten sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo +die Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese +Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer +ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch +heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich ein. Die im +Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit dem der Feldherr +ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils wurden sie von Pompeius +aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas zusammen und führte sie nach +Latium zu der Armee von Praeneste. Hier hatte inzwischen nichts sich verändert; +und die letzte Entscheidung nahte heran. Carrinas’ Haufen waren nicht +zahlreich genug, um Sullas Stellung zu erschüttern; schon näherte sich der +Vortrab der bisher in Etrurien beschäftigten Armee der oligarchischen Partei +unter Pompeius; in wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten +und der Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Führer desselben, von +Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken +Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit verloren; +ihre Rückzugslinie, die Latinische Straße, geriet durch diesen Marsch in Sullas +Hand, und wenn sie auch Roms sich bemächtigten, so wurden sie, eingeschlossen +in die zur Verteidigung keineswegs geeignete Stadt und eingekeilt zwischen +Metellus und Sullas weit überlegene Armeen, darin unfehlbar erdrückt. Aber es +handelte sich auch nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem +Zug nach Rom, dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und +vor allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius von +Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit geraubt +hätten, loszuwerden, müsse man den Wald vernichten, in dem sie hausten. Nie hat +Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt als am 1. November 672 (82), als +Pontius, Lamponius, Carrinas, Damasippus auf der Latinischen Straße gegen Rom +herangezogen, etwa eine Viertelmeile vom Collinischen Tor lagerten. Es drohte +ein Tag wie der 20. Juli 365 der Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die +Tage der Kelten und der Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein +Handstreich gegen Rom ein törichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in der +Hauptstadt konnte es den Anrückenden nicht fehlen. Die Freiwilligenschar, die +aus der Stadt ausrückte, meist vornehme Jünglinge, zerstob wie Spreu vor der +ungeheuren Übermacht. Die einzige Hoffnung der Rettung beruhte auf Sulla. +Dieser war, auf die Nachricht vom Abmarsch des samnitischen Heeres in der +Richtung auf Rom, gleichfalls eiligst aufgebrochen der Hauptstadt zu Hilfe. Den +sinkenden Mut der Bürgerschaft belebte im Laufe des Morgens das Erscheinen +seiner ersten Reiter unter Balbus; am Mittag erschien er selbst mit der +Hauptmacht und ordnete sofort am Tempel der Erykinischen Aphrodite vor dem +Collinischen Tor (unweit Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine +Unterbefehlshaber beschworen ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch erschöpften +Truppen sofort in den Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, was die Nacht über +Rom bringen könne, und befahl noch am späten Nachmittag den Angriff. Die +Schlacht war hart bestritten und blutig. Der linke Flügel Sullas, den er selbst +anführte, wich zurück bis an die Stadtmauer, so daß es notwendig ward, die +Stadttore zu schließen; schon brachten Versprengte die Nachricht an Ofelia, daß +die Schlacht verloren sei. Allein auf den rechten Flügel warf Marcus Crassus +den Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch auch der andere Flügel wider +Luft bekam und eine Stunde nach Sonnenuntergang seinerseits ebenfalls zum +Vorrücken überging. Die ganze Nacht und noch den folgenden Morgen ward +gefochten; erst der Übertritt einer Abteilung von 3000 Mann, die sofort die +Waffen gegen die früheren Kameraden wandten, setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war +gerettet. Die Insurgentenarmee, für die es nirgends einen Rückzug gab, wurde +vollständig aufgerieben. Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 bis +4000 an der Zahl, darunter die Generale Damasippus, Carrinas und den schwer +verwundeten Pontius, ließ Sulla am dritten Tage nach der Schlacht in das +städtische Meierhaus auf dem Marsfeld führen und daselbst bis auf den letzten +Mann niederhauen, so daß man in dem nahen Tempel der Bellona, wo Sulla eben +eine Senatssitzung abhielt, deutlich das Klirren der Waffen und das Stöhnen der +Sterbenden vernahm. Es war eine gräßliche Exekution und sie soll nicht +entschuldigt werden; aber es ist nicht gerecht zu verschweigen, daß diese +selben Menschen, die dort starben, wie eine Räuberbande über die Hauptstadt und +die Bürgerschaft hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden hätten, so +weit vernichtet haben würden, als Feuer und Schwert eine Stadt und eine +Bürgerschaft zu vernichten vermögen. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +6 Es wird gemeldet, daß Sulla in dem Engpaß stand, durch den Praeneste allein +zugänglich war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, daß sowohl ihm +als dem Entsatzheer die Straße nach Rom offenstand. Ohne Zweifel stand Sulla +auf der Querstraße, die von der Latinischen, auf der sie Samniten herankamen, +bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in diesem Fall kommunizierte Sulla auf +der praenestinischen, die Feinde auf der Launischen oder labicanischen mit der +Hauptstadt. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Damit war der Krieg in der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von Praeneste +ergab sich, als die aus den über die Mauer geworfenen Köpfen des Carrinas und +anderer Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom erfuhr. Die Führer, der +Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, stürzten, nachdem ein Versuch zu +entkommen ihnen vereitelt war, sich einer in des andern Schwert. Die Menge gab +der Hoffnung sich hin und ward durch Cethegus darin bestärkt, daß der Sieger +für sie auch jetzt noch Gnade walten lassen werde. Aber deren Zeiten waren +vorbei. Je unbedingter Sulla bis zum letzten Augenblick den Übertretenden volle +Verzeihung gewährt hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die Führer +und Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den praenestinischen +Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar außer den Kindern und Frauen die +meisten Römer und einzelne Pränestiner entlassen, aber die römischen Senatoren, +fast alle Pränestiner und sämtliche Samniten wurden entwaffnet und +zusammengehauen, die reiche Stadt geplündert. Es ist begreiflich, daß nach +solchem Vorgang die noch nicht übergegangenen Neubürgerstädte den Widerstand in +hartnäckigster Weise fortsetzten. So töteten in der latinischen Stadt Norba, +als Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Bürger sich +untereinander und zündeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern die Rache +und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits früher Neapolis +erstürmt und, wie es scheint, Capua freiwillig aufgegeben worden; Nola aber +wurde erst im Jahr 674 (80) von den Samniten geräumt. Auf der Flucht von hier +fiel der letzte noch übrige namhafte Führer der Italiker, der Insurgentenkonsul +des hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von +seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der er einen +Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tür des eigenen Hauses in Teanum +in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklärte der Diktator, daß Rom +nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe, und daß darum der samnitische +Name von der Erde vertilgt werden müsse; und wie er diese Worte an den vor Rom +und in Praeneste Gefangenen in schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er +auch noch einen Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 +eingenommen (674? 80) und die bis dahin blühende und bevölkerte Landschaft in +die Einöde umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward in +Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstürmt. Länger wehrten sich in Etrurien +Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das aus den Resten der +geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um sich sammelte und eine +zweijährige, zuerst von Sulla persönlich, sodann von dem gewesenen Prätor Gaius +Carbo, dem Bruder des demokratischen Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, +bis endlich im dritten Jahre nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die +Besatzung gegen freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit +galt weder Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien über Verrat und +steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der römischen Regierung +geschickte Reiterschar hieb die gemäß der Kapitulation abziehende Besatzung +nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien verteilt und alle unsicheren +Ortschaften mit starken Besatzungen belegt; unter der eisernen Hand der +Sullanischen Offiziere verendeten langsam die letzten Zuckungen der +revolutionären und nationalen Opposition. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +7 Ein anderer Name kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in Samnio sich +verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Noch gab es in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter der +revolutionären Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius Philippus +entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische Gallien leistete +geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, Spanien, Africa schien +die Sache der in Italien geschlagenen Partei noch keineswegs verloren. Sizilien +regierte für sie der zuverlässige Statthalter Marcus Perpenna. Quintus +Sertorius hatte im Diesseitigen Spanien die Provinzialen an sich zu fesseln und +aus den in Spanien ansässigen Römern eine nicht unansehnliche Armee sich zu +bilden gewußt, welche zunächst die Pyrenäenpässe sperrte; er hatte auch hier +wieder bewiesen, daß, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und +unter all den revolutionären Inkapazitäten er der einzige praktisch brauchbare +Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da er das +Revolutionieren allzu gründlich betrieb und den Sklaven die Freiheit zu +schenken anfing, bei einem durch die römischen Kaufleute von Utica +angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung überfallen und mit seinem Gesinde +verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz nichtsdestoweniger zu der +revolutionären Regierung, und Cinnas Schwiegersohn, der junge fähige Gnaeus +Domitius Ahenobarbus, übernahm daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort +aus die Propaganda in die Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen +worden. Deren legitime Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus +Sohn, hielten zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den +demokratischen Prätendenten Hiarbas vom Thron gestoßen worden, und ähnliche +Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien geflüchtete Konsul +Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria) zwischen Afrika und +Sizilien, unschlüssig, wie es scheint, ob er nach Ägypten sich flüchten oder in +einer der treuen Provinzen versuchen sollte, den Kampf zu erneuern. +</p> + +<p> +Sulla sandte nach Spanien den Gaius Annius und den Gaius Valerius Flaccus, als +Statthalter jenen der jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. Das schwierige +Geschäft, die Pyrenäenpässe mit Gewalt sich zu eröffnen, ward ihnen dadurch +erspart, daß der von Sertorius dort hingestellte General durch einen seiner +Offiziere ermordet ward und darauf die Truppen desselben sich verliefen. +Sertorius, viel zu schwach, um sich im gleichen Kampfe zu behaupten, raffte +eilig die nächststehenden Abteilungen zusammen und schiffte in Neukarthago sich +ein - wohin, wußte er selbst nicht, vielleicht an die afrikanische Küste oder +nach den Kanarischen Inseln, nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche. +Spanien unterwarf hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 81), und +Flaccus focht glücklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er marschierte, und +mit den spanischen Keltiberern (674 80). +</p> + +<p> +Nach Sizilien ward Gnaeus Pompeius als Proprätor gesandt und die Insel, als +Pompeius mit 120 Segeln und sechs Legionen sich an der Küste zeigte, von +Perpenna ohne Gegenwehr geräumt. Pompeius schickte von dort ein Geschwader nach +Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen Offiziere aufhob; Marcus +Brutus und die übrigen wurden sofort hingerichtet, den Konsul Carbo aber hatte +Pompeius befohlen, vor ihn selbst nach Lilybäon zu führen, um ihn hier, +uneingedenk des in gefährlicher Zeit ihm von ebendiesem Manne zuteil gewordenen +Schutzes, persönlich dem Henker zu überliefern (672 82). Von hier weiter +beordert nach Afrika, schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas +gesammelten, nicht unbedeutenden Streitkräfte mit seinem allerdings weit +zahlreicheren Heer aus dem Felde und gab, die Begrüßung als Imperator vorläufig +ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das feindliche Lager. So ward er +an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus war unter den Gefallenen; mit Hilfe +des Königs Bogud ward Hiarbas in Bulla ergriffen und getötet und Hiempsal in +sein angestammtes Reich wiedereingesetzt; eine große Razzia gegen die Bewohner +der Wüste, von denen eine Anzahl gätulischer, von Marius als frei anerkannter +Stämme Hiempsal untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des +römischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius’ Landung in +Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer +aufzulösen, worin die Andeutung lag, daß er nicht zum Triumph gelassen werden +solle, auf welchen er als außerordentlicher Beamter dem Herkommen nach keinen +Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte heimlich, die Soldaten laut; es +schien einen Augenblick, als werde die afrikanische Armee gegen den Senat +revoltieren und Sulla gegen seinen Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab +nach und ließ den jungen Mann sich berühmen, der einzige Römer zu sein, der +eher Triumphator (12. März 675 79) als Senator geworden war; ja bei der +Heimkehr von diesen bequemen Großtaten begrüßte der “Glückliche”, +vielleicht nicht ohne einige Ironie, den Jüngling als den “Großen”. +</p> + +<p> +Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Frühling 671 (83) die Waffen +nicht geruht. Die Restauration der alten Verhältnisse und die Unterwerfung +einzelner Städte kostete, wie in Italien so auch in Asien, noch manchen +blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene mußte Lucius +Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte, endlich Truppen +führen, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem eigensinnigen Widerstand +der Bürgerschaft kein Ende. +</p> + +<p> +Mittlerweile war der römische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit dem +König Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich nach dem +Frieden beschäftigt, seine auch in den nördlichen Provinzen erschütterte +Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier beruhigt, indem er +seinen tüchtigen Sohn Mithradates ihnen zum Statthalter setzte, dann diesen +selbst aus dem Wege geräumt, und rüstete nun zu einem Zug in sein +Bosporanisches Reich. Auf die Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen +bei Murena eine Freistatt hatte suchen müssen, daß diese Rüstungen gegen Rom +gerichtet seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, daß Mithradates noch +kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen nach dem +kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische Grenze (671 +83). Mithradates begnügte sich, bei Murena und, da dies vergeblich war, bei der +römischen Regierung Beschwerde zu führen. In der Tat erschienen Beauftragte +Sullas den Statthalter abzumahnen; allein er fügte sich nicht, sondern +überschritt den Halys und betrat das unbestritten pontische Gebiet, worauf +Mithradates beschloß, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios +mußte das römische Heer festhalten, bis der König mit weit überlegenen +Streitkräften herankam und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit +großem Verlust bis über die römische Grenze nach Phrygien zurückgeworfen, die +römischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte zwar die +Stirn, wegen dieser Vorgänge sich Sieger zu nennen und den Imperatorentitel +anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und eine zweite Mahnung Sullas +bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht weiterzutreiben; der Friede zwischen +Rom und Mithradates ward erneuert (673 81). +</p> + +<p> +Über diese törichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenäer verzögert worden; +erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer Belagerung zu Lande und zur See, +wobei die bithynische Flotte gute Dienste tat, die Stadt mit Sturm einzunehmen +(675 79). +</p> + +<p> +Die zehnjährige Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten zu Ende; +der Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden nach außen und +innen. Nach den fürchterlichen Konvulsionen der letzten Jahre war schon diese +Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewähren sollte, ob der bedeutende Mann, +dem das schwere Werk der Bewältigung des Landesfeindes, das schwerere der +Bändigung der Revolution gelungen war, auch dem schwersten von allen, der +Wiederherstellung der in ihren Grundfesten schwankenden sozialen und +politischen Ordnung zu genügen vermochte, mußte demnächst sich entscheiden. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap10"></a>KAPITEL X.<br/> +Die Sullanische Verfassung</h2> + +<p> +Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen Römern und Römern geschlagen +ward, in der Nacht des 6. Juli 671 (83), war der ehrwürdige Tempel, den die +Könige errichtet, die junge Freiheit geweiht, die Stürme eines halben +Jahrtausends verschont hatten, der Tempel des Römischen Jupiter, auf dem +Kapitol in Flammen aufgegangen. Es war kein Anzeichen, aber wohl ein Abbild des +Zustandes der römischen Verfassung. Auch diese lag in Trümmern und bedurfte +eines neuen Aufbaus. Die Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte doch viel, +daß damit von selber das alte Regiment wieder sich hergestellt hätte. +Allerdings meinte die Masse der Aristokratie, daß jetzt nach dem Tode der +beiden revolutionären Konsuln es genügen werde, die gewöhnliche Ergänzungswahl +zu veranstalten und es dem Senat zu überlassen, was ihm zur Belohnung der +siegreichen Armee, zur Bestrafung der schuldigsten Revolutionäre, etwa auch zur +Verhütung ähnlicher Ausbrüche weiter erforderlich erscheinen werde. Allein +Sulla, in dessen Händen der Sieg für den Augenblick alle Macht vereinigt hatte, +urteilte richtiger über die Verhältnisse und die Personen. Die Aristokratie +Roms war in ihrer besten Epoche nicht hinausgekommen über ein halb großartiges, +halb borniertes Festhalten an den überlieferten Formen; wie sollte das +schwerfällige kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine umfassende +Staatsreform energisch und konsequent durchzuführen? Und eben jetzt, nachdem +die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats weggerafft hatte, war in +demselben die zu einem solchen Beginnen erforderliche Kraft und Intelligenz +weniger als je zu finden. Wie unbrauchbar durchgängig das aristokratische +Vollblut und wie wenig Sulla über dessen Nichtsnutzigkeit im unklaren war, +beweist die Tatsache, daß mit Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus +er sich seine Werkzeuge sämtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den +Überläufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus, Lucius Philippus, +Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die Wiederherstellung der alten +Verfassung so sehr Ernst wie nur dem leidenschaftlichsten aristokratischen +Emigranten; aber er begriff, wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - +wie hätte er sonst überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch +besser als seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses +Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich betrachtete er teils umfassende +Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit möglich war, ohne das Wesen der Oligarchie +anzutasten, teils die Herstellung eines energischen Repressiv- und +Präventivsystems; und er sah es deutlich, daß der Senat, wie er war, jede +Konzession verweigern oder verstümmeln, jeden systematischen Neubau +parlamentarisch ruinieren werde. Hatte Sulla schon nach der Sulpicischen +Revolution, ohne viel zu fragen, in der einen und der andern Richtung +durchgesetzt, was er für nötig erachtete, so war er auch jetzt unter weit +schärferen und gespannteren Verhältnissen entschlossen, die Oligarchie nicht +mit, sondern trotz der Oligarchen auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber +war nicht wie damals Konsul, sondern bloß mit prokonsularischer, das heißt rein +militärischer Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer möglichst nahe an den +verfassungsmäßigen Formen sich haltenden, aber doch außerordentlichen Gewalt, +um Freunden und Feinden seine Reform zu oktroyieren. In einem Schreiben an den +Senat eröffnete er demselben, daß es ihm unumgänglich scheine, die Ordnung des +Staates in die Hände eines einzigen, mit unumschränkter Machtvollkommenheit +ausgerüsteten Mannes zu legen, und daß er sich für geeignet halte, diese +schwierige Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, +war unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte +der Vormann desselben, der Zwischenkönig Lucius Valerius Flaccus der Vater, als +interimistischer Inhaber der höchsten Gewalt bei der Bürgerschaft den Antrag +ein, daß dem Prokonsul Lucius Cornelius Sulla für die Vergangenheit die +nachträgliche Billigung aller von ihm als Konsul und Prokonsul vollzogenen +Amtshandlungen, für die Zukunft aber das Recht erteilt werden möge, über Leben +und Eigentum der Bürger in erster und letzter Instanz zu erkennen, mit den +Staatsdomänen nach Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des +Staats nach Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzulösen oder +zu gründen, über die Provinzen und die abhängigen Staaten zu verfügen, das +höchste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und Proprätoren +zu ernennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den Staat zu ordnen; +daß es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle, wann er seine Aufgabe +gelöst und es an der Zeit erachte, dies außerordentliche Amt niederzulegen; daß +endlich während desselben es von seinem Gutfinden abhängen solle, die +ordentliche höchste Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es +versteht sich, daß die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), +und nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul die +Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von Rom. Den Namen +entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen Kriege tatsächlich +abgeschafften Diktatur; aber sie außer seinem bewaffneten Gefolge ihm doppelt +so viele Liktoren vorausschritten als dem Diktator der älteren Zeit, so war +auch in der Tat diese neue “Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur +Ordnung des Gemeinwesens”, wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz +anderes als jenes ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschränkte, die +Provokation an die Bürgerschaft nicht ausschließende und die ordentliche +Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem der +“Zehnmänner zur Abfassung von Gesetzen”, die gleichfalls als +außerordentliche Regierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter +Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und tatsächlich +wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes verwaltet hatten. Oder +vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem Volksbeschluß ruhenden, durch keine +Befristung und Kollegialität eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes +als das alte Königtum, das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung +der Bürgerschaft, einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. +Selbst von Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, daß +ein König besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich ward auch +der Diktatortitel nur gewählt um anzudeuten, daß, wie die ehemalige Diktatur +eine vielfach beschränkte, so diese neue eine vollständige Wiederaufnahme der +königlichen Gewalt in sich enthalte. So fiel denn seltsamerweise Sullas Weg +auch hier zusammen mit dem, den in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus +eingeschlagen hatte. Auch hier mußte die konservative Partei von ihren Gegnern +borgen, der Schirmherr der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als +Tyrann, um die ewig andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage +in diesem letzten Siege der Oligarchie. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22). +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des Restaurationswerkes nicht +gesucht und nicht gewünscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie +gänzlich unfähigen Händen zu überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er +sie an mit rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen mußte eine Feststellung +hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war an sich zum Verzeihen +geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, konnte er wohl zornig +aufbrausen, und der mochte sich hüten, der sein Auge flammen und seine Wangen +sich färben sah; aber die chronische Rachsucht, wie sie Marius in seiner +greisenhaften Verbitterung eigen war, war seinem leichten Naturell durchaus +fremd. Nicht bloß nach der Revolution von 666 (88) war er mit verhältnismäßig +großer Milde aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel verübt und +ihn persönlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem +Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Körper seiner +Freunde durch die Straßen der Hauptstadt schleifte, hatte er dem blutbefleckten +Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser freiwillig den Tod nahm, +Befehl gegeben, seine Leiche anständig zu bestatten. Bei der Landung in Italien +hatte er ernstlich sich erboten, zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der +seinen Frieden zu machen kam, war zurückgewiesen worden. Noch nach den ersten +Erfolgen hatte er in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die +Revolutionspartei war es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloß +abgebrochen, sondern nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, +die Mordtaten abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur +Vernichtung der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. +Nun war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar nach +Übernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei sämtliche Zivil- +und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung zufolge rechtsbeständig +abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch für die Revolution tätig gewesen +wären, und von den übrigen Bürgern diejenigen, die in auffallender Weise +derselben Vorschub getan hätten. Wer einen dieser Vogelfreien tötete, war nicht +bloß straffrei wie der Henker, der ordnungsmäßig eine Exekution vollzieht, +sondern erhielt auch für die Hinrichtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3600 +Tälern); jeder dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der nächste +Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der Geächteten verfiel +dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und Enkel wurden von der +politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch aber, insofern sie senatorischen +Standes waren, verpflichtet, die senatorischen Lasten für ihren Teil zu +übernehmen. Die letzten Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter und +die Nachkommen derjenigen, die im Kampfe für die Revolution gefallen waren; was +noch hinausging selbst über die im ältesten Recht gegen solche, die die Waffen +gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das Schrecklichste in +diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der aufgestellten Kategorien, +gegen die sofort im Senat remonstriert ward und der Sulla selber dadurch +abzuhelfen suchte, daß er die Namen der Geächteten öffentlich anschlagen ließ +und als letzten Termin für den Schluß der Ächtungsliste den 1. Juni 673 (81) +festsetzte. Sosehr diese täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen +steigende Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Bürger war, so war doch damit +der reinen Schergenwillkür in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht der +persönliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel; sein grimmiger +Haß richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber der scheußlichen +Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen Befehl ward das Grab des +Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen und die Asche desselben in den Anio +gestreut, die Denkmäler seiner Siege über Afrikaner und Deutsche umgestürzt +und, da ihn selbst sowie seinen Sohn der Tod seiner Rache entrückt hatte, sein +Adoptivneffe Marcus Marius Gratidianus, der zweimal Prätor gewesen und bei der +römischen Bürgerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des bejammernswertesten +der Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter den grausamsten Martern +hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon die namhaftesten der Gegner +hingerafft; von den Führern waren nur noch übrig Gaius Norbanus, der in Rhodos +Hand an sich selbst legte, während die Ekklesia über seine Auslieferung beriet; +Lucius Scipio, dem seine Bedeutungslosigkeit und wohl auch seine vornehme +Geburt Schonung verschafften und die Erlaubnis, in seiner Zufluchtsstätte +Massalia seine Tage in Ruhe beschließen zu dürfen; und Quintus Sertorius, der +landflüchtig an der mauretanischen Küste umherirrte. Aber dennoch häuften sich +am Servilischen Bassin, da wo die Jugarische Gasse in den Marktplatz +einmündete, die Häupter der getöteten Senatoren, welche hier öffentlich +auszustellen der Diktator befohlen hatte, und vor allem unter den Männern +zweiten und dritten Ranges hielt der Tod eine furchtbare Ernte. Außer denen, +die für Ehre Dienste in der oder für die revolutionäre Armee ohne viele Wahl, +zuweilen wegen eines einem der Offiziere derselben gemachten Vorschusses oder +wegen der mit einem solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die Liste +eingetragen wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die über die Senatoren +zu Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen spekuliert hatten, +“die Einsäckler”, die Vergeltung; etwa sechzehnhundert der +sogenannten Ritter 3 waren auf der Ächtungsliste verzeichnet. Ebenso büßten die +gewerbsmäßigen Ankläger, die schwerste Geißel der Vornehmen, die sich ein +Geschäft daraus machten, die Männer senatorischen Standes vor die +Rittergerichte zu ziehen - “Wie geht es nur zu”, fragte bald darauf +ein Sachwalter, “daß sie uns die Gerichtsbänke gelassen haben, da sie +doch Ankläger und Richter totschlugen?” Die wildesten und schändlichsten +Leidenschaften rasten viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. In der +Hauptstadt war es ein Keltentrupp, dem zunächst die Exekutionen aufgetragen +wurden, und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere durchzogen zu gleichem +Zweck die verschiedenen Distrikte Italiens; aber auch jeder Freiwillige war ja +willkommen, und vornehmes und niederes Gesindel drängte sich herbei, nicht +bloß, um die Mordprämie zu verdienen, sondern auch, um unter dem Deckmantel der +politischen Verfolgung die eigene Rachsucht oder Habsucht zu befriedigen. Es +kam wohl vor, daß der Eintragung in die Ächtungsliste die Ermordung nicht +nachfolgte, sondern voranging. Ein Beispiel zeigt, in welcher Art diese +Exekutionen erfolgten. In Larinum, einer marianisch gesinnten Neubürgerstadt, +trat ein gewisser Statius Albius Oppianicus, der um einer Anklage wegen Mordes +zu entgehen in das Sullanische Hauptquartier entwichen war, nach dem Sieg auf +als Kommissarius des Regenten, setzte die Stadtobrigkeit ab und sich und seine +Freunde an deren Stelle und ließ den, der ihn mit der Anklage bedroht hatte, +nebst dessen nächsten Verwandten und Freunden ächten und töten. So fielen +unzählige, darunter nicht wenige entschiedene Anhänger der Oligarchie, als +Opfer der Privatfeindschaft oder ihres Reichtums; die fürchterliche Verwirrung +und die sträfliche Nachsicht, die Sulla wie überall so auch hier gegen die ihm +näher Stehenden bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der hierbei mit +untergelaufenen gemeinen Verbrechen. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +2 Diese Gesamtzahl gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, 9.5) +wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträglich noch einige +hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus Aug. civ. 3, 28) +2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) wurden in den ersten drei +Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den ersten Tagen 580 Namen in die +Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist ein wesentlicher +Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils nicht bloß Senatoren und Ritter +getötet wurden, teils die Liste monatelang offenblieb, Wenn an einer anderen +Stelle Appian (civ. 1, 103) als von Sulla getötet oder verbannt aufführt +fünfzehn Konsulare, 90 Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der +Zusammenhang zeigt, die Opfer des Bürgerkriegs überhaupt und die Opfer Sullas +verwechselt. Die fünfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 (102), +Marcus Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus Scaevola 659 (95), +Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), Quintus Rufus 666 (88), +Lucius Cinna 667-670 (87-84), Gnaeus Octavius 667 (87), Lucius Merula 667 (87), +Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo 669, 670, 672 (85, 84, 82), Gaius +Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 (83), Gaius Marius 672 (82), von denen +vierzehn getötet, einer, Lucius Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der +Livianische Bericht bei Eutrop (5, 9) und Orosius (5, 22) als im +Bundesgenossen- und Bürgerkrieg weggerafft (consumpti) angibt 24 Konsulare, +sieben Prätorier, sechs Ädilizier, 200 Senatoren, so sind hier teils die im +Italischen Kriege gefallenen Männer mitgezählt, wie die Konsulare Aulus +Albinus, Konsul 655 (99), Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius +Cato 665 (89), teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius Aquillius, +Gaius Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls auch als Opfer dieser +Zeit ansehen konnte, oder andere Männer, deren Schicksal uns nicht bekannt ist. +Von den vierzehn getöteten Konsularen sind drei, Rufus, Cinna und Flaccus, +durch Militärrevolten, dagegen acht Sullanische, drei Marianische Konsulate als +Opfer der Gegenpartei gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen +Ziffern galten als Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des +Sulla 40 Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz +willkürlichen Maßstab zur Abschätzung des Umfangs der beiderseitigen Frevel. +</p> + +<p> +3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede für Publius Quinctius öfter genannte +Senator Sextus Alfenus. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +In ähnlicher Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus +politischen Rücksichten dahin, daß die angesehenen Bürger sich bei dessen +Ersteigerung beteiligten; ein großer Teil drängte übrigens freiwillig sich +herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. Unter den obwaltenden +Umständen war die ärgste Schleuderwirtschaft nicht zu vermeiden, die übrigens +zum Teil schon aus der römischen Weise folgte, die vom Staat eingezogenen +Vermögen gegen eine Pauschalsumme zur Realisierung zu verkaufen; es kam noch +hinzu, daß der Regent teils sich selbst nicht vergaß, teils besonders seine +Gemahlin Metella und andere ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, +selbst Freigelassene und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen ließ, bald +ihnen den Kaufschilling ganz oder teilweise erließ - so soll zum Beispiel einer +seiner Freigelassenen ein Vermögen von 6 Millionen (457000 Talern) für 2000 +Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und einer seiner Unteroffiziere durch +derartige Spekulationen zu einem Vermögen von 10 Mill. Sesterzen (761000 +Talern) gelangt sein. Der Unwille war groß und gerecht; schon während Sollas +Regentschaft fragte ein Advokat, ob der Adel den Bürgerkrieg nur geführt habe, +um seine Freigelassenen und Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser +Schleuderei indes betrug der Gesamterlös aus den konfiszierten Gütern nicht +weniger als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem ungeheuren Umfang +dieser hauptsächlich auf den reichsten Teil der Bürgerschaft fallenden +Einziehungen einen ungefähren Begriff gibt. Es war durchaus ein fürchterliches +Strafgericht. Es gab keinen Prozeß, keine Begnadigung mehr; bleischwer lastete +der dumpfe Schrecken auf dem Lande, und das freie Wort war auf dem Markte der +Haupt- wie der Landstadt verstummt. Das oligarchische Schreckensregiment trug +wohl einen anderen Stempel als das revolutionäre; wenn Marius seine persönliche +Rachsucht im Blute seiner Feinde gelöscht hatte, so schien Sulla den +Terrorismus man möchte sagen abstrakt als zur Einführung der neuen +Gewaltherrschaft notwendig zu erachten und die Metzelei fast gleichgültig zu +betreiben oder betreiben zu lassen. Aber nur um so entsetzlicher erschien das +Schreckensregiment, indem es von der konservativen Seite her und gewissermaßen +ohne Leidenschaft auftrat; nur um so unrettbarer schien das Gemeinwesen +verloren, indem der Wahnsinn und der Frevel auf beiden Seiten im Gleichgewicht +standen. +</p> + +<p> +In der Ordnung der Verhältnisse Italiens und der Hauptstadt hielt Sulla, obwohl +er sonst im allgemeinen alle während der Revolution vorgenommenen, nicht bloß +die laufenden Geschäfte erledigenden Staatshandlungen als nichtig behandelte, +doch fest an dem von ihr aufgestellten Grundsatz, daß jeder Bürger einer +italischen Gemeinde damit von selbst auch Bürger von Rom sei; die Unterschiede +zwischen Bürgern und italischen Bundesgenossen, zwischen Altbürgern besseren +und Neubürgern beschränkteren Rechts waren und blieben beseitigt. Nur den +Freigelassenen ward das unbeschränkte Stimmrecht abermals entzogen und für sie +das alte Verhältnis wiederhergestellt. Den aristokratischen Ultras mochte dies +als eine große Konzession erscheinen; Sulla sah, daß den revolutionären Führern +jene mächtigen Hebel notwendig aus der Hand gewunden werden mußten und daß die +Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung der Zahl der Bürger nicht +wesentlich gefährdet ward. Aber mit dieser Nachgiebigkeit im Prinzip verband +sich das härteste Gericht über die einzelnen Gemeinden in sämtlichen +Landschaften Italiens, ausgeführt durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung +der durch die ganze Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Städte wurden +belohnt, wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen +hatte, Brundisium, jetzt die für diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit +erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden Geldbußen, +Niederreißung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; den hartnäckigsten +Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer Feldmark, zum Teil sogar das +ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich allerdings als verwirkt angesehen werden +konnte, mochte man nun sie als Bürgergemeinden behandeln, die die Waffen gegen +ihr Vaterland getragen, oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag +zuwider mit Rom Krieg geführt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus +dem Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich das +römische Bürgerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste latinische +empfingen 4. Man vermied also an italischen Untertanengemeinden geringeren +Rechts der Opposition einen Kern zu gewähren; die heimatlosen Expropriierten +mußten bald in der Masse des Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward +nicht bloß, wie sich von selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua +aufgehoben und die Domäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch, +wahrscheinlich um diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) +entzogen. In Latium wurde die gesamte Mark der großen und reichen Stadt +Praeneste und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die +von Spoletium. Sulmo in der pälignischen Landschaft ward sogar geschleift. Aber +vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden Landschaften, +die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am Collinischen Tor ernstlichen +Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien und Samnium. Dort traf die +Gesamtkonfiskation eine Reihe der ansehnlichsten Kommunen, zum Beispiel +Florentia, Faesulae, Arretium, Volaterrae. Von Samniums Schicksal ward schon +gesprochen; hier ward nicht konfisziert, sondern das Land für immer verwüstet, +seine blühenden Städte, selbst die ehemalige latinische Kolonie Aesernia, öde +gelegt und die Landschaft der bruttischen und lucanischen gleichgestellt. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +4 Es kam hierbei noch die eigentümliche Erschwerung hinzu, daß das latinische +Recht sonst regelmäßig, ebenwie das peregrinische, die Mitgliedschaft in einer +bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloß, hier aber - +ähnlich wie bei den späteren Freigelassenen latinischen und deditizischen +Rechts (vgl. 3, 258 A.) - ohne ein solches eigenes Stadtrecht auftrat. Die +Folge war, daß diese Latiner die an die Stadtverfassung geknüpften Privilegien +entbehrten, genau genommen auch nicht testieren konnten, da niemand anders ein +Testament errichten kann als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie +aus römischen Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich wie mit Römern +oder Latinern in den Formen des römischen Rechts verkehren. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Diese Anordnungen über das italische Bodeneigentum stellten teils diejenigen +römischen Domanialländereien, welche den ehemaligen Bundesgenossengemeinden zur +Nutznießung übertragen waren und jetzt mit deren Auflösung an die römische +Regierung zurückfielen, teils die eingezogenen Feldmarken der straffälligen +Gemeinden zur Verfügung des Regenten; und er benutzte sie, um darauf die +Soldaten der siegreichen Armee ansässig zu machen. Die meisten dieser neuen +Ansiedlungen kamen nach Etrurien, zum Beispiel nach Faesulae und Arretium, +andere nach Latium und Kampanien, wo unter andern Praeneste und Pompeii +Sullanische Kolonien wurden. Samnium wiederzubevölkern lag, wie gesagt, nicht +in der Absicht des Regenten. Ein großer Teil dieser Assignationen erfolgte in +gracchanischer Weise, so daß die Angesiedelten zu einer schon bestehenden +Stadtgemeinde hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung war, zeigt die Zahl +der verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben wird; wobei dennoch einige +Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, wie zum Beispiel der Dianentempel +auf dem Berg Tifata mit Ländereien beschenkt ward, andere, wie die +volaterranische Mark und ein Teil der arretinischen, unverteilt blieben, andere +endlich nach dem alten, gesetzlich untersagten, aber jetzt wiederauftauchenden +Mißbrauch von Sullas Günstlingen nach Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die +Zwecke, die Sulla bei dieser Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher Art. +Zunächst löste er damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner nahm er damit +den Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die gemäßigten Konservativen +zusammentrafen und demgemäß er selbst schon im Jahre 666 (88) die Gründung +einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: die Zahl der ackerbauenden +Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung größerer Besitzungen von Seiten der +Regierung zu vermehren; wie ernstlich ihm hieran gelegen war, zeigt das +erneuerte Verbot des Zusammenschlagens der Ackerlose. Endlich und vor allem sah +er in diesen angesiedelten Soldaten gleichsam stehende Besatzungen, die mit +ihrem Eigentumsrecht zugleich seine neue Verfassung schirmen würden; weshalb +auch, wo nicht die ganze Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in Pompeii, die +Kolonisten nicht mit der Stadtgemeinde verschmolzen, sondern die Altbürger und +die Kolonisten als zwei in demselben Mauerring vereinigte Bürgerschaften +konstituiert wurden. Diese Kolonialgründungen ruhten wohl auch wie die älteren +auf Volksschluß, aber doch nur mittelbar, insofern sie der Regent auf Grund der +desfälligen Klausel des Valerischen Gesetzes konstituierte; der Sache nach +gingen sie hervor aus der Machtvollkommenheit des Herrschers und erinnerten +insofern an das freie Schalten der ehemaligen königlichen Gewalt über das +Staatsgut. Insofern aber, als der Gegensatz des Soldaten und des Bürgers, der +sonst eben durch die Deduktion der Soldaten aufgehoben ward, bei den +Sullanischen Kolonien noch nach ihrer Ausführung lebendig bleiben sollte und +blieb, und als diese Kolonisten gleichsam das stehende Heer des Senats +bildeten, werden sie nicht unrichtig im Gegensatz gegen die älteren als +Militärkolonien bezeichnet. +</p> + +<p> +Dieser faktischen Konstituierung einer stehenden Armee des Senats verwandt ist +die Maßregel des Regenten, aus den Sklaven der Geächteten über 10000 der +jüngsten und kräftigsten Männer auszuwählen und insgesamt freizusprechen. Diese +neuen Cornelier, deren bürgerliche Existenz an die Rechtsbeständigkeit der +Institutionen ihres Patrons geknüpft war, sollten eine Art von Leibwache für +die Oligarchie sein und ihr den städtischen Pöbel beherrschen helfen, auf den +nun einmal in der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam. +</p> + +<p> +Diese außerordentlichen Stützen, auf die zunächst der Regent die Oligarchie +lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber erscheinen mochten, +waren doch die einzig möglichen, wenn man nicht zu Mitteln greifen wollte, wie +die förmliche Aufstellung eines stehendes Heeres in Rom und dergleichen +Maßregeln mehr, die der Oligarchie noch weit eher ein Ende gemacht haben würden +als ,die demagogischen Angriffe. Das dauernde Fundament der ordentlichen +Regierungsgewalt der Oligarchie mußte natürlich der Senat sein mit einer so +gesteigerten und so konzentrierten Gewalt, daß er an jedem einzelnen +Angriffspunkt den nichtorganisierten Gegnern überlegen gegenüberstand. Das +vierzig Jahre hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die +Gracchische Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von +666, ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die +Regierung dem hauptstädtischen Proletariat gleichsam das Recht der Erneute +zugestanden und es abgekauft durch regelmäßige Getreideverteilungen an die in +der Hauptstadt domizilierten Bürger; Sulla schaffte dieselben ab. Durch die +Verpachtung der Zehnten und Zölle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus +den Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der +Mittelsmänner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten in +feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der Rückstände +entworfenen Schätzungslisten auf die einzelnen Bezirke umgelegt wurden 5. Gaius +Gracchus hatte durch Übergabe der Geschworenenposten an die Männer vom +Ritterzensus dem Kapitalistenstand eine indirekte Mitverwaltung und +Mitregierung erwirkt, die nicht selten sich stärker als die offizielle +Verwaltung und Regierung erwies; Sulla schaffte die Rittergerichte ab und +stellte die senatorischen wieder her. Gaius Gracchus oder doch die gracchische +Zeit hatte den Rittern einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeräumt, wie +ihn schon seit längerer Zeit die Senatoren besaßen; Sulla hob ihn auf und wies +die Ritter zurück auf die Plebejerbänke 6. Der Ritterstand, als solcher durch +Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch Sulla. +Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die höchste Macht in +Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten überkommen und auch äußerlich nicht bloß +als privilegierter, sondern als einzig privilegierter Stand auftreten. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +5 Daß Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahresziele und der Kriegskosten auf +die Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch für die Zukunft +maßgebend war, zeigt schon die Zurückführung der Einteilung Asias in vierzig +Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) und die Zugrundelegung der +sullanischen Repartition bei späteren Ausschreibungen (Cic. Flacc. 14, 32), +ferner, daß bei dem Flottenbau 672 (81) die hierzu verwandten Summen an der +Steuerzahlung (ex pecunia vectigali populo Romano) gekürzt werden (Cic. Verr. +1, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad Q. fr. 1, 11, 33), daß die +Griechen “nicht imstande waren, von sich aus den von Sulla ihnen +auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpächter”. +</p> + +<p> +6 Überliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen ward, +welches die Erneuerung des älteren Privilegs durch das Roscische Theatergesetz +687 (67) nötig machte (Friedländer in Becker, Handbuch, Bd. 4, S. 531), aber +nach der Lage der Sache war der Urheber dieses Gesetzes unzweifelhaft Sulla. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Vor allem mußte zu diesem Ende die Regierungsbehörde ergänzt und selber +unabhängig gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der Senatoren +furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die Rittergerichte +Verbannten jetzt die Rückkehr frei, wie dem Konsular Publius Rutilius Rufus, +der übrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch machte, und dem Freunde des +Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies ein geringer Ersatz für die Lücken, die +der revolutionäre wie der reaktionäre Terrorismus in die Reihen des Senats +gerissen hatte. Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat +außerordentlicherweise ergänzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die +Distriktversammlung aus den Männern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die +sie, wie begreiflich, vorzugsweise teils aus den jüngeren Männern der +senatorischen Häuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen, durch die +letzte Umwälzung Emporgekommenen auslas. Aber auch für die Zukunft ward die +Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich andere Grundlagen +gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in den Senat ein entweder +durch zensorische Berufung, was der eigentliche und ordentliche Weg war, oder +durch die Bekleidung eines der drei kurulischen Ämter: des Konsulats, der +Prätur oder der Ädilität, an welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen +Sitz und Stimme im Senat geknüpft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des +Tribunats oder der Quästur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz +im Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Männer sich +lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen beiden +Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens tatsächliche +Beseitigung der Zensur und änderte den zweiten dahin ab, daß der gesetzliche +Eintritt in den Senat statt an die Ädilität an die Quästur geknüpft und +zugleich die Zahl der jährlich zu ernennenden Quästoren auf zwanzig 7 erhöht +ward. Die bisher den Zensoren rechtlich zustehende, obwohl tatsächlich längst +nicht mehr in ihrem ursprünglichen ernstlichen Sinn geübte Befugnis, bei den +von fünf zu fünf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter Angabe +von Gründen von der Liste zu streichen, fiel für die Zukunft ebenfalls fort; +die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren ward also von Sulla +schließlich festgestellt. Die Gesamtzahl der Senatoren, die bis dahin +vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht viel überstiegen und oft wohl +nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch beträchtlich, vielleicht +durchschnittlich um das Doppelte erhöht, 8 was auch schon die durch die +Übertragung der Geschworenenfunktionen stark vermehrten Geschäfte des Senats +notwendig machten. Indem ferner sowohl die außerordentlich eintretenden +Senatoren als die Quästoren ernannt wurden von den Tributkomitien, wurde der +bisher mittelbar auf den Wahlen des Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf +direkte Volkswahl gegründet, derselbe also einem repräsentativen Regiment so +weit genähert, als dies mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des +Altertums überhaupt sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten +bestimmten Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten +befehlende und selbstregierende Behörde geworden; es war hiervon nur eine +konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten ursprünglich zustehende +Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben entzogen und der +Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt wurde, auf welcher die +Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante Befugnis der Zensoren, die Ratliste +zu revidieren und nach Gutdünken Namen zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in +der Tat sich nicht mit einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt +durch die Quästorenwahl für eine genügende regelmäßige Ergänzung gesorgt ward, +wurden die zensorischen Revisionen überflüssig und durch deren Wegfall das +wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die Inamovibilität und +Lebenslänglichkeit der zu Sitz und Stimme gelangten Glieder des Herrenstandes, +endgültig konsolidiert. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +7 Wieviele Quästoren bis dahin jährlich gewählt wurden, ist nicht bekannt. Im +Jahre 487 (267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei städtische, zwei Militär- +und vier Flottenquästoren; wozu dann die in den Ämtern beschäftigten Quästoren +hinzugetreten sind. Denn die Flottenquästuren in Ostia, Cales und so weiter +gingen keineswegs ein, und auch die Militärquästoren konnten nicht anderweitig +verwendet werden, da sonst der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne +Quästor gewesen sein würde. Da es nun bis auf Sulla neun Ämter gab, überdies +nach Sizilien zwei Quästoren gingen, so könnte er möglicherweise schon achtzehn +Quästoren vorgefunden haben. Wie indes auch die Zahl der Oberbeamten dieser +Zeit beträchtlich geringer als die ihrer Kompetenzen gewesen und hier stets +durch Fristerstreckung und andere Aushilfen Rat geschafft worden ist, überhaupt +die Tendenz der römischen Regierung darauf ging, die Zahl der Beamten möglichst +zu beschränken, so mag es auch mehr quästorische Kompetenzen gegeben haben als +Quästoren, und es kann selbst sein, daß in kleine Provinzen, wie zum Beispiel +Kilikien, in dieser Zeit gar kein Quästor ging. Aber sicher hat es doch schon +vor Sulla mehr als acht Quästoren gegeben. +</p> + +<p> +8 Von einer festen Zahl der Senatoren kann genau genommen überhaupt nicht die +Rede sein. Wenn auch die Zensoren vor Sulla jedesmal eine Liste von 300 Köpfen +anfertigten, so traten doch zu dieser immer noch diejenigen Nichtsenatoren +hinzu, die nach Abfassung der Liste bis zur Aufstellung der nächsten ein +kurulisches Amt bekleideten; und nach Sulla gab es so viele Senatoren, als +gerade Quästorier am Leben waren. Wohl aber ist anzunehmen, daß Sulla den Senat +auf ungefähr 500 bis 600 Köpfe zu bringen bedacht war; und diese Zahl ergibt +sich, wenn jährlich 20 neue Mitglieder von durchschnittlich 30 Jahren eintraten +und man die durchschnittliche Dauer der senatorischen Würde auf 25 bis 30 Jahre +ansetzt. In einer stark besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit waren +417 Mitglieder anwesend. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Hinsichtlich der Gesetzgebung begnügte sich Sulla, die im Jahre 666 (88) +getroffenen Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische Initiative, +wie sie längst tatsächlich dem Senat zustand, wenigstens den Tribunen gegenüber +auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Bürgerschaft blieb der formelle Souverän; +allein was ihre Urversammlungen anlangt, so schien es dem Regenten notwendig, +die Form zwar sorgfältig zu konservieren, aber jede wirkliche Tätigkeit +derselben noch sorgfältiger zu verhüten. Sogar mit dem Bürgerrecht selbst ging +Sulla in der geringschätzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder +den Neubürgergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse damit +zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht, +schlechterdings gar nichts für die Feststellung der Bürgerliste, die doch nach +so gewaltigen Umwälzungen einer Revision dringend bedurfte, wenn es überhaupt +der Regierung noch mit den hieran sich knüpfenden Rechtsbefugnissen Ernst war. +Geradezu beschränkt wurde die legislatorische Kompetenz der Komitien übrigens +nicht; es war auch nicht nötig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative +des Senats das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die +Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen konnte und +seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder zurückgeführt ward auf das +Recht, zu Änderungen der Verfassung ja zu sagen. +</p> + +<p> +Wichtiger war die Beteiligung der Bürgerschaft bei den Wahlen, deren man nun +einmal nicht entbehren zu können schien, ohne mehr aufzurütteln, als Sullas +obenhin sich haltende Restauration aufrütteln konnte und wollte. Die Eingriffe +der Bewegungspartei in die Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloß das +Domitische Gesetz von 650 (104), das die Wahlen zu den höchsten Priesterämtern +überhaupt dem Volke übertrug, sondern auch die älteren gleichartigen +Verfügungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von Sulla +kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergänzung in seiner +ursprünglichen Unbeschränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der Wahlen zu den +Staatsämtern aber blieb es im ganzen bei der bisherigen Weise; außer insofern +die sogleich zu erwähnende neue Regulierung des militärischen Kommandos +allerdings folgeweise eine wesentliche Beschränkung der Bürgerschaft in sich +schloß, ja gewissermaßen das Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der +Bürgerschaft auf den Senat übertrug. Es scheint nicht einmal, daß Sulla die +früher versuchte Restauration der Servianischen Stimmordnung jetzt +wiederaufnahm, sei es nun, daß er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob +die Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es, daß diese ältere +Ordnung ihm den gefährlichen Einfluß der Kapitalisten zu steigern schien. Nur +die Qualifikationen wurden wiederhergestellt und teilweise gesteigert. Die zur +Bekleidung eines jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs neue +eingeschärft; ebenso die Bestimmung, daß jeder Bewerber um das Konsulat vorher +die Prätur, jeder Bewerber um die Prätur vorher die Quästur bekleidet haben +müsse, wogegen es gestattet war, die Ädilität zu übergehen. Mit besonderer +Strenge wurde, in Hinblick auf die jüngst mehrfach vorgenommenen Versuche, in +der Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten Konsulats die Tyrannis +zu begründen, gegen diesen Mißbrauch eingeschritten und verfügt, daß zwischen +der Bekleidung zweier ungleicher Ämter mindestens zwei, zwischen der +zweimaligen Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfließen +sollten; mit welcher letzteren Bestimmung, anstatt der in der jüngsten +ultraoligarchischen Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder Wiederwahl zum +Konsulat, wieder die ältere Ordnung vom Jahre 412 (342) aufgenommen ward. Im +ganzen aber ließ Sulla den Wahlen ihren Lauf und suchte nur die Beamtengewalt +in der Art zu fesseln, daß, wen auch immer die unberechenbare Laune der +Komitien zum Amte berief, der Gewählte außerstande sein würde, gegen die +Oligarchie sich aufzulehnen. +</p> + +<p> +Die höchsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsächlich die drei +Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Prätoren und der Zensoren. Sie alle +gingen aus der Sullanischen Restauration mit wesentlich geschmälerten Rechten +hervor; vor allem das tribunizische Amt, das dem Regenten erschien als ein zwar +auch für das Senatsregiment unentbehrliches, aber dennoch, als von der +Revolution erzeugt und stets geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, +strenger und dauernder Fesselung bedürftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die +Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den +Kontravenienten eventuell zu brächen und dessen weitere Bestrafung zu +veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den Tribunen +auch jetzt, nur daß auf den Mißbrauch des Interzessionsrechts eine schwere, die +bürgerliche Existenz regelmäßig vernichtende Geldstrafe gesetzt ward. Die +weitere Befugnis des Tribuns, mit dem Volke nach Gutdünken zu verhandeln, teils +um Anklagen einzubringen, insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur +Rechenschaft zu ziehen, teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der +Hebel gewesen, durch den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat +umgewälzt hatten; sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgängig bei +dem Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhängig gemacht 9. Endlich wurde +hinzugefügt, daß die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur Übernahme eines +höheren Amtes unfähig machen solle - eine Bestimmung, die wie so manches andere +in Sullas Restauration wieder auf die altpatrizischen Satzungen zurückkam und, +ganz wie in den Zeiten vor der Zulassung der Plebejer zu den bürgerlichen +Ämtern, das Tribunat einer- und die kurulischen Ämter andererseits miteinander +unvereinbar erklärte. Auf diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie, +der tribunizischen Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und aufstrebenden +Männer von dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe festzuhalten als +Werkzeug des Senats, sowohl zur Vermittlung zwischen diesem und der +Bürgerschaft, als auch vorkommendenfalls zur Niederhaltung der Magistratur; und +wie die Herrschaft des Königs und später der republikanischen Beamten über die +Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satze, daß +ausschließlich sie das Recht haben, öffentlich zum Volke zu reden, so zeigt +sich die jetzt zuerst rechtlich festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am +bestimmtesten in dieser von dem Vormann des Volkes für jede Verhandlung mit +demselben vom Senat zu erbittenden Erlaubnis. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +9 Darauf gehen die Worte des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 Dietsch): +populus Romanus exutus … iure agitandi, auf die Tacitus (ann. 3, 27) anspielt: +statim turbidis Lepidi rogationibus neque multo post tribunis reddita licentia +quoquo vellent populum agitandi. Daß die Tribune nicht überhaupt das Recht +verloren, mit dem Volke zu verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. leg. 3, 4, 10 +das Plebiszit de Thermensibus, welches aber auch in der Eingangsformel sich +bezeichnet als de senatus sententia erlassen. Daß die Konsuln dagegen auch nach +der Sullanischen Ordnung ohne vorgängigen Senatsbeschluß Anträge an das Volk +bringen konnten, beweist nicht bloß das Stillschweigen der Quellen, sondern +auch der Verlauf der Revolutionen von 667 (87) und 676 (78), deren Führer eben +aus diesem Grunde nicht Tribune, sondern Konsuln gewesen sind. Darum begegnen +auch in dieser Zeit konsularische Gesetze über administrative Nebenfragen, wie +zum Beispiel das Getreidegesetz von 681 (73), für die zu andern Zeiten sicher +Plebiszite eingetreten sein würden. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Auch Konsulat und Prätur, obwohl sie von dem aristokratischen Regenerator Roms +mit günstigeren Augen betrachtet wurden als das an sich verdächtige Tribunat, +entgingen doch keineswegs dem Mißtrauen gegen das eigene Werkzeug, welches +durchaus die Oligarchie bezeichnet. Sie wurden in schonenderen Formen, aber in +sehr fühlbarer Weise beschränkt. Sulla knüpfte hier an die Geschäftsteilung an. +Zu Anfang dieser Periode bestand dafür die folgende Ordnung. Den beiden Konsuln +lag immer noch, wie ehemals der Inbegriff der Geschäfte des höchsten Amtes +überhaupt, so jetzt derjenige Inbegriff der höchsten Amtsgeschäfte ob, für +welchen nicht gesetzlich besondere Kompetenzen festgestellt waren. Dies +letztere war der Fall mit dem hauptstädtischen Gerichtswesen, womit die Konsuln +sich nach einer unverbrüchlich festgehaltenen Regel nicht befassen durften, und +mit den damals bestehenden überseeischen Ämtern: Sizilien, Sardinien und den +beiden Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar führen konnte, aber nur +ausnahmsweise führte. Im ordentlichen Lauf der Dinge wurden demnach sechs +Spezialkompetenzen, die beiden hauptstädtischen Gerichtsvorstandschaften und +die vier überseeischen Ämter unter die sechs Prätoren vergeben, woneben den +beiden Konsuln kraft ihrer Generalkompetenz die Leitung der hauptstädtischen +nichtgerichtlichen Geschäfte und das militärische Kommando in den +festländischen Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also doppelt +besetzt war, blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfügung der Regierung, +und für gewöhnliche Zeiten kam man demnach mit jenen acht höchsten +Jahresbeamten vollständig, ja reichlich aus. Für außerordentliche Fälle blieb +es ferner vorbehalten, teils die nicht militärischen Kompetenzen zu kumulieren, +teils die militärischen über die Endfrist hinaus fortdauern zu lassen +(prorogare). Es war nicht ungewöhnlich, die beiden Gerichtsvorstandschaften +demselben Prätor zu übertragen und die regelmäßig von den Konsuln zu +beschaffenden hauptstädtischen Geschäfte durch den Stadtprätor versehen zu +lassen; wogegen es verständigerweise möglichst vermieden ward, mehrere +Kommandos in derselben Hand zu vereinigen. Hier half vielmehr die Regel aus, +daß im militärischen Imperium es kein Interregnum gab, also dasselbe, obwohl +gesetzlich befristet, doch nach Eintritt des Endtermines von Rechts wegen noch +so lange fortdauerte, bis der Nachfolger erschien und dem Vorgänger das +Kommando abnahm, oder, was dasselbe ist, daß der kommandierende Konsul oder +Prätor nach Ablauf seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht erschien, an +Konsuls oder Prätors Statt weiter fungieren konnte und mußte. Der Einfluß des +Senats auf diese Geschäftsverteilung bestand darin, daß es observanzmäßig von +ihm abhing, entweder die Regel walten, also die sechs Prätoren die sechs +Spezialkompetenzen unter sich verlosen und die Konsuln die festländischen, +nichtgerichtlichen Geschäfte besorgen zu lassen, oder irgendeine Abweichung von +derselben anzuordnen, etwa dem Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges +überseeisches Kommando zuzuweisen oder eine außerordentliche militärische und +gerichtliche Kommission, zum Beispiel das Flottenkommando oder eine wichtige +Kriminaluntersuchung, unter die zur Verteilung kommenden Kompetenzen +aufzunehmen und die dadurch weiter nötig werdenden Kumulationen und +Fristerstreckungen zu veranlassen - wobei übrigens lediglich die Absteckung der +jedesmaligen konsularischen und respektiv prätorischen Kompetenzen, nicht die +Bezeichnung der für das einzelne Amt eintretenden Personen dem Senate zustand, +die letztere vielmehr durchgängig durch Vereinbarung der konkurrierenden +Beamten oder durch das Los erfolgte. Die Bürgerschaft war in der älteren Zeit +wohl veranlaßt worden, die in dem Unterlassen der Ablösung enthaltene +tatsächliche Verlängerung des Kommandos durch besonderen Gemeindebeschluß zu +regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, als dem Buchstaben der +Verfassung nach notwendig und bald griff die Bürgerschaft hierbei nicht weiter +ein. Im Laufe des siebenten Jahrhunderts traten nun allmählich zu den +bestehenden sechs Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fünf neuen +Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien und die +Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen Erpressungen. Mit dem +immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der römischen Regierung trat +überdies immer häufiger der Fall ein, daß die Oberbeamten für außerordentliche +militärische oder prozessualische Kommissionen in Anspruch genommen wurden. +Dennoch wurde die Zahl der ordentlichen höchsten Jahrbeamten nicht vermehrt; +und es kamen also auf acht jährlich zu ernennende Beamte, von allem andern +abgesehen, mindestens zwölf jährlich zu besetzende Spezialkompetenzen. +Natürlich war es nicht Zufall, daß man dies Defizit nicht durch Kreierung neuer +Prätorenstellen ein für allemal deckte. Dem Buchstaben der Verfassung gemäß +sollten die sämtlichen höchsten Beamten Jahr für Jahr von der Bürgerschaft +ernannt werden; nach der neuen Ordnung oder vielmehr Unordnung, derzufolge die +entstehenden Lücken wesentlich durch Fristerstreckung ausgefüllt wurden und den +gesetzlich ein Jahr fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites +Jahr zugelegt, nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die +wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die Bürgerschaft, +sondern aus einer durch die Bürgerschaftswahlen gebildeten Konkurrentenliste +der Senat. Üblich ward es dabei, da unter diesen Stellen die überseeischen +Kommandos als die einträglichsten vor allem gesucht waren, denjenigen Beamten, +die ihr Amt entweder rechtlich oder doch tatsächlich an die Hauptstadt +fesselte, also den beiden Vorstehern der städtischen Gerichtsbarkeit und häufig +auch den Konsuln, nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein überseeisches Kommando zu +übertragen, was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die Amtsgewalt +des in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten wohl anders bezogen, +aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine qualitativ andere war. +</p> + +<p> +Diese Verhältnisse fand Sulla vor und sie lagen seiner neuen Ordnung zu Grunde. +Der Grundgedanke derselben war die vollständige Scheidung der politischen +Gewalt, welche in den Bürger-, und der militärischen, welche in den +Nichtbürgerdistrikten regierte, und die durchgängige Erstreckung der Dauer des +höchsten Amtes von einem Jahr auf zwei, von denen das erstere den bürgerlichen, +das zweite den militärischen Geschäften gewidmet ward. Räumlich waren die +bürgerliche und die militärische Gewalt allerdings längst schon durch die +Verfassung geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese begann; allein +immer noch hielt derselbe Mann die höchste politische und die höchste +militärische Macht in seiner Hand vereinigt. Künftig sollte der Konsul und +Prätor mit Rat und Bürgerschaft verhandeln, der Prokonsul und Proprätor die +Armee kommandieren, jenem aber jede militärische, diesem jede politische +Tätigkeit gesetzlich abgeschnitten sein. Dies führte zunächst zu der +politischen Trennung der norditalischen Landschaft von dem eigentlichen +Italien. Bisher hatten dieselben wohl in einem nationalen Gegensatz gestanden, +insofern Norditalien vorwiegend von Ligurern und Kelten, Mittel- und Süditalien +von Italikern bewohnt ward; allein politisch und administrativ stand das +gesamte festländische Gebiet des römischen Staates von der Meerenge bis an die +Alpen mit Einschluß der illyrischen Besitzungen, Bürger-, latinische und +Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen Laufe der Dinge unter +der Verwaltung der in Rom eben fungierenden höchsten Beamten, wie denn ja auch +die Kolonialgründungen sich durch dies ganze Gebiet erstreckten. Nach Sullas +Ordnung wurde das eigentliche Italien, dessen Nordgrenze zugleich statt des +Aesis der Rubico ward, als ein jetzt ohne Ausnahme von römischen Bürgern +bewohntes Gebiet, den ordentlichen römischen Obrigkeiten untergeben und daß in +diesem Sprengel regelmäßig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer der +Fundamentalsätze des römischen Staatsrechts; das Keltenland diesseits der Alpen +dagegen, in dem schon der beständig fortwährenden Einfälle der Alpenvölker +wegen ein Kommando nicht entbehrt werden konnte, wurde nach dem Muster der +älteren überseeischen Kommandos als eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. +Indem nun endlich die Zahl der jährlich zu ernennenden Prätoren von sechs auf +acht erhöht ward, stellte sich die neue Geschäftsordnung dahin, daß die +jährlich zu ernennenden zehn höchsten Beamten während ihres ersten Amtsjahrs +als Konsuln oder Prätoren den hauptstädtischen Geschäften - die beiden Konsuln +der Regierung und Verwaltung, zwei der Prätoren der Zivilrechtspflege, die +übrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz - sich widmeten, während ihres +zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln oder Proprätoren das Kommando in einer der +zehn Statthalterschaften: Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, +Asia, Africa, Narbo, Kilikien und dem italischen Keltenland übernahmen. Die +schon erwähnte Vermehrung der Quästorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehört +ebenfalls in diesen Zusammenhang ^11. +</p> + +<p> +————————————————- +</p> + +<p> +^10 Für diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als daß das italische +Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen geschlossenen und von +einem jährlich erneuerten Statthalter verwalteten Sprengel bedeutet, in den +älteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist wie allerdings in der caesarischen +es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data erat et Sullae provincia Gallia +cisalpina). +</p> + +<p> +Nicht viel anders steht es mit der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, daß +ehemals der Aesis, zu Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von Italien +schied, aber nicht, wann die Vorrückung stattfand. Man hat zwar daraus, daß +Marcus Terentius Varro Lucullus als Proprätor in dem Distrikt zwischen Aesis +und Rubico eine Grenzregulierung vornahm (Orelli 570), geschlossen, daß +derselbe wenigstens im Jahre nach Lucullus’ Prätur 679 (75) noch +Provinzialland gewesen sein müsse, da auf italischem Boden der Proprätor nichts +zu schaffen habe. Indes nur innerhalb des Pomerium hört jedes prorogierte +Imperium von selber auf; in Italien dagegen ist auch nach Sullas Ordnung ein +solches zwar nicht regelmäßig vorhanden, aber doch zulässig, und ein +außerordentliches ist das von Lucullus bekleidete Amt doch auf jeden Fall +gewesen. Wir können aber auch nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in +dieser Gegend bekleidet hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen +Reorganisation 672 (82) als kommandierender Offizier eben hier tätig und +wahrscheinlich, ebenwie Pompeius, von Sulla mit proprätorischer Gewalt +ausgestattet; in dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 (81) (vgl. App. +1, 95) die fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser Inschrift folgt also +für die rechtliche Stellung Norditaliens überhaupt nichts und am wenigsten für +die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist es ein bemerkenswerter Fingerzeig, +daß Sulla das römische Pomerium vorschob (Sen. dial. 10, 14; Dio Cass. 43, 50), +was nach römischem Staatsrecht nur dem gestattet war, der nicht etwa die +Reichs-, sondern die Stadt-, d. h. die italische Grenze vorgerückt hatte. +</p> + +<p> +^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere Provinz ein Quästor gingen, überdies +die zwei städtischen und die zwei den Konsuln bei der Kriegsführung +beigeordneten und die vier Flottenquästoren bestehen blieben, so waren hierfür +neunzehn Beamte jährlich erforderlich. Die zwanzigste Quästorenkompetenz läßt +sich nicht nachweisen. +</p> + +<p> +———————————————— +</p> + +<p> +Zunächst ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und zu allen +möglichen schlechten Manövern und Intrigen einladenden Ämterverteilung eine +klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den Ausschreitungen der +Beamtengewalt nach Möglichkeit vorgebeugt und der Einfluß der obersten +Regierungsbehörde wesentlich gesteigert. Nach der bisherigen Ordnung ward in +dem Reiche rechtlich nur unterschieden die Stadt, welche der Mauerring +umschloß, und die Landschaft außerhalb des Pomerium; die neue Ordnung setzte an +die Stelle der Stadt das neue, fortan als ewig befriedet dem regelmäßigen +Kommando entzogene Italien ^12 und ihm gegenüber das festländische und +überseeische Gebiet, das umgekehrt notwendig unter Militärkommandanten steht, +die von jetzt an sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war +derselbe Mann sehr häufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte +verblieben; die neue Ordnung beschränkte die hauptstädtischen Ämter wie die +Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfügung, daß jeder +Statthalter binnen dreißig Tagen, nachdem der Nachfolger in seinem Sprengel +eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen habe, zeigt sehr klar, +namentlich wenn man damit noch das früher erwähnte Verbot der unmittelbaren +Wiederwahl des gewesenen Beamten zu demselben oder einem anderen Volksamt +zusammennimmt, was die Tendenz dieser Einrichtungen war: es war die alterprobte +Maxime, durch die einst der Senat das Königtum sich dienstbar gemacht hatte, +daß die Beschränkung der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der +Zeit nach der Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung hatte Gaius +Marius zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr des Staates amtiert; +wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben hatte, daß es +ihm mißlang, mittels dieser doppelten Amtsgewalt die Oligarchie zu stürzen, so +schien nun dafür gesorgt, daß nicht etwa ein klügerer Nachfolger denselben +Hebel besser gebrauche. Nach der bisherigen Ordnung hatte auch der vom Volke +unmittelbar ernannte Beamte eine militärische Stellung haben können; die +sullanische dagegen behielt diese ausschließlich denjenigen Beamten vor, die +der Senat durch Erstreckung der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt bestätigte. Zwar +war diese Amtsverlängerung jetzt stehend geworden; dennoch wurde sie den +Auspizien und dem Namen, überhaupt der staatsrechtlichen Formulierung nach auch +ferner als außerordentliche Fristerstreckung behandelt. Es war dies nicht +gleichgültig. Den Konsul oder den Prätor konnte nur die Bürgerschaft seines +Amtes entsetzen; den Prokonsul und den Proprätor ernannte und entließ der +Senat, so daß durch diese Verfügung die gesamte Militärgewalt, auf die denn +doch zuletzt alles ankam, formell wenigstens vom Senat abhängig wurde. +</p> + +<p> +————————————————————————— +</p> + +<p> +^12 Die italische Eidgenossenschaft ist viel älter; aber sie ist ein +Staatenbund, nicht, wie das sullanische Italien, ein innerhalb des Römischen +Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Daß endlich das höchste aller Ämter, die Zensur, nicht förmlich aufgehoben, +aber in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die Diktatur, ward schon +bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls entraten. Für die Ergänzung +des Senats war anderweitig gesorgt. Seit Italien tatsächlich steuerfrei war und +das Heer wesentlich durch Werbung gebildet ward, hatte das Verzeichnis der +Steuer- und Dienstpflichtigen in der Hauptsache seine Bedeutung verloren; und +wenn in der Ritterliste und dem Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung +einriß, so mochte man dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also nur die +laufenden Finanzgeschäfte, welche die Konsuln schon bisher verwaltet hatten, +wenn, wie dies häufig vorkam, die Zensorenwahl unterblieben war, und nun als +einen Teil ihrer ordentlichen Amtstätigkeit übernahmen. Gegen den wesentlichen +Gewinn, daß der Magistratur in den Zensoren ihre höchste Spitze entzogen ward, +kam nicht in Betracht und tat der Alleinherrschaft des höchsten +Regierungskollegiums durchaus keinen Eintrag, daß, um die Ambition der jetzt so +viel zahlreicheren Senatoren zu befriedigen, die Zahl der Pontifices und die +der Augurn von neun, die der Orakelbewahrer von zehn auf je fünfzehn, die der +Schmausherren von drei auf sieben vermehrt ward. +</p> + +<p> +In dem Finanzwesen stand schon nach der bisherigen Verfassung die entscheidende +Stimme bei dem Senat; es handelte sich demnach hier um die Wiederherstellung +einer geordneten Verwaltung. Sulla hatte anfänglich sich in nicht geringer +Geldnot befunden; die aus Kleinasien mitgebrachten Summen waren für den Sold +des zahlreichen und stets anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch nach dem +Siege am Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse nach Praeneste +entführt worden war, sich zu Notschritten entschließen müssen. Verschiedene +Bauplätze in der Hauptstadt und einzelne Stücke der kampanischen Domäne wurden +feilgeboten, die Klientelkönige, die befreiten und bundesgenössischen Gemeinden +außerordentlicherweise in Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz +und ihre Zölle eingezogen, anderswo denselben für Geld neue Privilegien +zugestanden. Indes der bei der Übergabe von Praeneste vorgefundene Rest der +Staatskasse von beiläufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden Versteigerungen +und andere außerordentliche Hilfsquellen halfen der augenblicklichen +Verlegenheit ab. Für die Zukunft aber ward gesorgt weniger durch die asiatische +Abgabenreform, bei der vorzugsweise die Steuerpflichtigen gewannen und die +Staatskasse wohl nur nicht verlor, als durch die Wiedereinziehung der +kampanischen Domäne, wozu jetzt noch Aenaria gefügt ward, und vor allem durch +die Abschaffung der Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an +den römischen Finanzen gezehrt hatten. +</p> + +<p> +Dagegen ward das Gerichtswesen wesentlich umgestaltet, teils aus politischen +Rücksichten, teils um in die bisherige sehr unzulängliche und +unzusammenhängende Prozeßlegislation größere Einheit und Brauchbarkeit zu +bringen. Nach der bisherigen Ordnung gingen die Prozesse zur Entscheidung teils +an die Bürgerschaft, teils an Geschworene. Die Gerichte, in denen die ganze +Bürgerschaft auf Provokation von dem Urteil des Magistrats hin entschied, lagen +bis auf Sulla in den Händen in erster Reihe der Volkstribune, in zweiter der +Ädilen, indem sämtliche Prozesse, durch die ein Beamter oder Beauftragter der +Gemeinde wegen seiner Geschäftsführung zur Verantwortung gezogen ward, mochten +sie auf Leib und Leben oder auf Geldbußen gehen, von den Volkstribunen, alle +übrigen Prozesse, in denen schließlich das Volk entschied, von den kurulischen +oder plebejischen Ädilen in erster Instanz abgeurteilt, in zweiter geleitet +wurden. Sulla hat den tribunizischen Rechenschaftsprozeß wenn nicht geradezu +abgeschafft, so doch, ebenwie die legislatorische Initiative der Tribune, von +der vorgängigen Einwilligung des Senats abhängig gemacht und vermutlich auch +den ädilizischen Strafprozeß in ähnlicher Weise beschränkt. Dagegen erweiterte +er die Kompetenz der Geschworenengerichte. Es gab damals ein doppeltes +Verfahren vor Geschworenen. Das ordentliche, welches anwendbar war in allen +nach unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder Zivilprozeß sich eignenden +Fällen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen den Staat gerichteten Verbrechen, +bestand darin, daß der eine der beiden hauptstädtischen Gerichtsherren die +Sache instruierte und ein von ihm ernannter Geschworener auf Grund dieser +Instruktion entschied. Der außerordentliche Geschworenenprozeß trat ein in +einzelnen wichtigen Zivil- oder Kriminalfällen, wegen welcher durch besondere +Gesetze anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof bestellt +worden war. Dieser Art waren teils die für einzelne Fälle konstituierten +Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden Kommissionalgerichtshöfe, wie sie +für Erpressungen, für Giftmischerei und Mord, vielleicht auch für +Wahlbestechung und andere Verbrechen im Laufe des siebenten Jahrhunderts +niedergesetzt worden waren; teils endlich die beiden Höfe der Zehnmänner für +den Freiheits- und der Hundertundfünf- oder kürzer der Hundertmänner für den +Erbschaftsprozeß, auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten +Lanzenschaft das Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmännerhof (decemviri +litibus iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze der Plebejer gegen +ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung des Schaftgerichts liegen im +Dunkeln, werden aber vermutlich ungefähr dieselben sein wie bei den oben +erwähnten wesentlich gleichartigen Kriminalkommissionen. Über die Leitung +dieser verschiedenen Gerichtshöfe war in den einzelnen Gerichtsordnungen +verschieden bestimmt; so standen dem Erpressungsgericht ein Prätor, dem +Mordgericht ein aus den gewesenen Ädilen besonders ernannter Vorstand, dem +Schaftgericht mehrere aus den gewesenen Quästoren genommene Direktoren vor. Die +Geschworenen wurden wenigstens für das ordentliche wie für das außerordentliche +Verfahren in Gemäßheit der Gracchischen Ordnung aus den nichtsenatorischen +Männern von Ritterzensus genommen; die Auswahl stand im allgemeinen den +Magistraten zu, die die Gerichtsleitung hatten, jedoch in der Weise, daß sie +mit dem Antritt ihres Amts die Geschworenenliste ein für allemal aufzustellen +hatten und dann das einzelne Geschworenenkollegium aus diesen nicht durch freie +Auswahl des Magistrats, sondern durch Losung und durch Rejektion der Parteien +gebildet ward. Aus der Volkswahl gingen nur die Zehnmänner für den +Freiheitsprozeß hervor. +</p> + +<p> +Sullas Reformen waren hauptsächlich dreifacher Art. Einmal vermehrte er die +Zahl der Geschworenenhöfe sehr beträchtlich. Es gab späterhin besondere +Geschworenenkommissionen für Erpressung; für Mord mit Einschluß von +Brandstiftung und falschem Zeugnis; für Wahlbestechung; ferner für Hochverrat +und jede Entehrung des römischen Namens; für die schwersten Betrugsfälle: +Testaments- und Münzfälschung; für Ehebruch; für die schwersten +Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und Störung des Hausfriedens; +vielleicht auch für Unterschlagung öffentlicher Gelder, für Zinswucher und +andere Vergehen; und wenigstens die meisten dieser Höfe sind von Sulla entweder +vorgefunden oder ins Leben gerufen und von ihm mit einer besonderen Kriminal- +und Kriminalprozeßordnung versehen worden. Übrigens blieb es der Regierung +unbenommen, vorkommendenfalls für einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhöfe +zu bestellen. Folgeweise wurden hierdurch die Volksgerichte im wesentlichen +abgeschafft, namentlich die Hochverratsprozesse an die neue +Hochverratskommission gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozeß bedeutend +beschränkt, indem ihm die schwereren Fälschungen und Injurien entzogen wurden. +Was zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie schon +erwähnt ward, jetzt für die Leitung der verschiedenen Geschworenenhöfe sechs +Prätoren zur Disposition, denen noch für die am meisten in Anspruch genommene +Kommission für Mordtaten eine Anzahl anderer Dirigenten zugegeben wurden. In +die Geschworenenstellen traten drittens statt der gracchischen Ritter wieder +die Senatoren ein. +</p> + +<p> +Der politische Zweck dieser Verfügungen, der bisherigen Mitregierung der Ritter +ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig läßt es sich +verkennen, daß dieselben nicht bloß politische Tendenzmaßregeln waren, sondern +hier der erste Versuch gemacht wurde, dem seit den ständischen Kämpfen immer +mehr verwilderten römischen Kriminalprozeß und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. +Von dieser Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem älteren Recht +unbekannte Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch +heute damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von dem +Prätor geleitete Geschworenenbank gehört, als Zivilsache dasjenige Verfahren, +wo der oder die Geschworenen nicht unter prätorischem Vorsitz funktionieren. +Die Gesamtheit der Sullanischen Quästionenordnungen läßt sich zugleich als das +erste römische Gesetzbuch nach den Zwölf Tafeln und als das erste überhaupt je +besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im einzelnen zeigt +sich ein löblicher und liberaler Geist. So seltsam es von dem Urheber der +Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum nichtsdestoweniger wahr, daß er +die Todesstrafe für politische Vergehen abgeschafft hat; denn da nach +römischer, auch von Sulla unverändert festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht +die Geschworenenkommission auf Verlust des Lebens oder auf gefängliche Haft +erkennen konnte, so kam die Übertragung der Hochverratsprozesse von der +Bürgerschaft auf eine stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung der +Todesstrafe für solche Vergehen, während andererseits in der Beschränkung der +verderblichen Spezialkommissionen für einzelne Hochverratsfälle, wie deren eine +die Varische im Bundesgenossenkrieg gewesen war; gleichfalls ein Fortschritt +zum Besseren lag. Die gesamte Reform ist von ungemeinem und dauerndem Nutzen +gewesen und ein bleibendes Denkmal des praktischen, gemäßigten, +staatsmännischen Geistes, der ihren Urheber wohl würdig machte, gleich den +alten Dezemvirn als souveräner Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen +die Parteien zu treten. +</p> + +<p> +Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen mag man die polizeilichen Ordnungen +betrachten, durch welche Sulla, das Gesetz an die Stelle des Zensors setzend, +gute Zucht und strenge Sitte wieder einschärfte und durch Feststellung neuer +Maximalsätze anstatt der alten längst verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, +Begräbnissen und sonst zu beschränken versuchte. +</p> + +<p> +Endlich ist wenn nicht Sullas, doch das Werk der sullanischen Epoche die +Entwicklung eines selbständigen römischen Munizipalwesens. Dem Altertum ist der +Gedanke, die Gemeinde als ein untergeordnetes politisches Ganze dem höheren +Staatsganzen organisch einzufügen, ursprünglich fremd; die Despotie des Ostens +kennt städtische Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in der +ganzen hellenisch-italischen Welt fällt Stadt und Staat notwendig zusammen. +Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus ein eigenes +Munizipalwesen nicht. Vor allem die römische Politik hielt mit der ihr eigenen +zähen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten Jahrhundert wurden die +abhängigen Gemeinden Italiens entweder, um ihnen ihre munizipale Verfassung zu +bewahren, als formell souveräne Nichtbürgerstaaten konstituiert oder, wenn sie +römisches Bürgerrecht erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu +organisieren, aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so daß in +allen Bürgerkolonien und Bürgermunizipien selbst die Rechtspflege und das +Bauwesen von den römischen Prätoren und Zensoren verwaltet ward. Das Höchste, +wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernannten Stellvertreter +(praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die dringendsten Rechtssachen an Ort +und Stelle erledigen zu lassen. Nicht anders verfuhr man in den Provinzen, +außer daß hier an die Stelle der hauptstädtischen Behörden der Statthalter +trat. In den freien, das heißt formell souveränen Städten ward die Zivil- oder +Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten verwaltet; +nur daß freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien entgegenstanden, jeder +Römer sowohl als Beklagter wie als Kläger verlangen konnte, seine Sache vor +italischen Richtern nach italischem Recht entschieden zu sehen. Für die +gewöhnlichen Provinzialgemeinden war der römische Statthalter die einzige +regelmäßige Gerichtsbehörde, der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war +schon viel, wenn, wie in Sizilien, in dem Fall, daß der Beklagte ein Siculer +war, der Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten war, einen +einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch entscheiden zu +lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des +instruierenden Beamten abgehangen zu haben. +</p> + +<p> +Im siebenten Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des öffentlichen +Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom wenigstens für +Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische Gemeinde war und das +Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sizilischen Meerenge reichte, +mußte man wohl sich entschließen, innerhalb dieser großen wiederum kleinere +Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach Vollbürgergemeinden organisiert, +bei welcher Gelegenheit man zugleich die durch ihren Umfang gefährlichen +größeren Gaue, soweit dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere +kleinere Stadtbezirke aufgelöst haben mag. Die Stellung dieser neuen +Vollbürgergemeinden war ein Kompromiß zwischen derjenigen, die ihnen bis dahin +als Bundesstaaten zugekommen war, und derjenigen, die ihnen als integrierenden +Teilen der römischen Gemeinde nach älterem Recht zugekommen sein würde. +Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der bisherigen formell souveränen +latinischen oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzügen der +römischen gleich ist, die der römischen altpatrizisch-konsularischen Gemeinde; +nur daß darauf gehalten ward, für dieselben Institutionen in dem Munizipium +andere und geringere Namen zu verwenden als in der Hauptstadt, das heißt im +Staat. Eine Bürgerversammlung tritt an die Spitze mit der Befugnis, +Gemeindestatute zu erlassen und die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein +Gemeinderat von hundert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen Senats. +Das Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei ordentlichen +Richtern, die den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die den kurulischen +Ädilen entsprechen. Die Zensurgeschäfte, die wie in Rom von fünf zu fünf Jahr +sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung der +Gemeindebauten bestanden, wurden von den höchsten Gemeindebeamten, also den +beiden ordentlichen Gerichtsherren, mit übernommen, welche in diesem Fall den +auszeichnenden Titel der “Gerichtsherren mit zensorischer oder +Fünfjahrgewalt” annahmen. Die Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren. +Für das Sakralwesen sorgten zunächst die beiden der ältesten latinischen +Verfassung allein bekannten Kollegien priesterlicher Sachverständigen, die +munizipalen Pontifices und Augurn. +</p> + +<p> +Was das Verhältnis dieses sekundären politischen Organismus zu dem primären des +Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie diesem die politischen +Befugnisse vollständig zu und band also der Gemeindebeschluß und das Imperium +der Gemeindebeamten den Gemeindebürger ebenso wie der Volksbeschluß und das +konsularische Imperium den Römer. Dies führte im ganzen zu einer +konkurrierenden Tätigkeit der Staats- und der Stadtbehörden: Es hatten +beispielsweise beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne daß bei den +etwaigen städtischen Schatzungen und Steuern die von Rom ausgeschriebenen oder +bei diesen jene berücksichtigt worden wären; es durften öffentliche Bauten +sowohl von den römischen Beamten in ganz Italien als auch von den städtischen +in ihrem Sprengel angeordnet werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall +wich natürlich die Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluß den +Stadtschluß. Eine förmliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege +statt, wo das reine Konkurrenzsystem zu der größten Verwirrung geführt haben +würde; hier wurden im Kriminalprozeß vermutlich alle Kapitalsachen, im +Zivilverfahren die schwereren, und ein selbständiges Auftreten der +dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen Behörden +und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte auf die +geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden Rechtshändel +beschränkt. +</p> + +<p> +Die Entstehung dieses italischen Gemeindewesens ist nicht überliefert. Es ist +wahrscheinlich, daß sie in ihren Anfängen zurückgeht auf Ausnahmebestimmungen +für die großen Bürgerkolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegründet +wurden; wenigstens deuten einzelne, an sich gleichgültige formelle Differenzen +zwischen Bürgerkolonien und Bürgermunizipien darauf hin, daß die neue, damals +praktisch an die Stelle der latinischen tretende Bürgerkolonie ursprünglich +eine bessere staatsrechtliche Stellung gehabt hat als das weit ältere +Bürgermunizipium, und diese Bevorzugung kann wohl nur bestanden haben in einer +der latinischen sich annähernden Gemeindeverfassung, wie sie späterhin +sämtlichen Bürgerkolonien wie Bürgermunizipien zukam. Bestimmt nachweisen läßt +sich die neue Ordnung zuerst für die revolutionäre Kolonie Capua, und keinem +Zweifel unterliegt es, daß sie ihre volle Anwendung erst fand, als die +sämtlichen bisher souveränen Städte Italiens infolge des Bundesgenossenkriegs +als Bürgergemeinden organisiert werden mußten. Ob schon das Julische Gesetz, ob +die Zensoren von 668 (86), ob erst Sulla das einzelne geordnet hat, läßt sich +nicht entscheiden; die Übertragung der zensorischen Geschäfte auf die +Gerichtsherren scheint zwar nach Analogie der Sullanischen, die Zensur +beseitigenden Ordnung eingeführt zu sein, kann aber auch ebensogut auf die +älteste latinische Verfassung zurückgehen, die ja auch die Zensur nicht kannte. +Auf alle Fälle ist diese dem eigentlichen Staat sich ein- und unterordnende +Stadtverfassung eines der merkwürdigsten und folgenreichsten Erzeugnisse der +sullanischen Zeit und des römischen Staatslebens überhaupt. Staat und Stadt +ineinanderzufügen hat allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als es +vermocht hat, das repräsentative Regiment und andere große Grundgedanken +unseres heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; aber es hat seine +politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen geführt, wo diese die +gegebenen Maße überwächst und sprengt, und vor allem ist dies in Rom geschehen, +das in jeder Beziehung an der Scheide und in der Verbindung der alten und der +neuen geistigen Welt steht. In der Sullanischen Verfassung sind einerseits die +Urversammlung und der städtische Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur +bedeutungslosen Form zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des +Staates stehende Gemeinde schon in der italischen vollständig entwickelt; bis +auf den Namen, der freilich in solchen Dingen die Hälfte der Sache ist, hat +diese letzte Verfassung der freien Republik das Repräsentativsystem und den auf +den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgeführt. +</p> + +<p> +Das Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geändert; die +Gemeindebehörden der unfreien Städte blieben vielmehr, von besonderen Ausnahmen +abgesehen, beschränkt auf Verwaltung und Polizei und auf diejenige +Jurisdiktion, welche die römischen Behörden vorzogen, nicht selbst in die Hand +zu nehmen. +</p> + +<p> +Dieses war die Verfassung, die Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom gab. +Senat und Ritterstand, Bürgerschaft und Proletariat, Italiker und Provinzialen +nahmen sie hin, wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, wenn nicht ohne zu +grollen, doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die Sullanischen Offiziere. Das +römische Heer hatte seinen Charakter gänzlich verändert. Es war allerdings +durch die Marianische Reform wieder schlagfertiger und militärisch brauchbarer +geworden, als da es vor den Mauern von Numantia nicht focht; aber es hatte +zugleich sich aus einer Bürgerwehr in eine Schar von Lanzknechten verwandelt, +welche dem Staat gar keine und dem Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er +verstand, sie persönlich an sich zu fesseln. Diese völlige Umgestaltung des +Armeegeistes hatte der Bürgerkrieg in gräßlicher Weise zur Evidenz gebracht: +sechs kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, Cinna und Gaius +Carbo, waren während desselben gefallen von der Hand ihrer Soldaten; einzig +Sulla hatte bisher es vermocht, der gefährlichen Meute Herr zu bleiben, +freilich nur, indem er allen ihren wilden Begierden den Zügel schießen ließ wie +noch nie vor ihm ein römischer Feldherr. Wenn deshalb ihm der Verderb der alten +Kriegszucht schuld gegeben wird, so ist dies nicht gerade unrichtig, aber +dennoch ungerecht; er war eben der erste römische Beamte, der seiner +militärischen und politischen Aufgabe nur dadurch zu genügen imstande war, daß +er auftrat als Condottiere. Aber er hatte die Militärdiktatur nicht übernommen, +um den Staat der Soldateska untertänig zu machen, sondern vielmehr, um alles im +Staat, vor allem aber das Heer und die Offiziere, unter die Gewalt der +bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen. Wie dies offenbar ward, erhob sich gegen +ihn eine Opposition mit seinem eigenen Stab. Mochte den übrigen Bürgern +gegenüber die Oligarchie den Tyrannen spielen; aber daß auch die Generale, die +mit ihrem guten Schwert die umgestürzten Senatorensessel wieder aufgerichtet +hatten, jetzt ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert +wurden, schien unerträglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das meiste +Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung der Dinge. Als +Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von Sizilien und Afrika beauftragt +und zu seinem Tochtermanne erkoren hatte, nach Vollzug seiner Aufgabe vom Senat +den Befehl erhielt, sein Heer zu entlassen, unterließ er es zu gehorsamen und +wenig fehlte an offenem Aufstand. Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor +Praeneste wesentlich der Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt +ward, bewarb sich in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu erlassenen +Ordnungen um das Konsulat, ohne die niederen Ämter bekleidet zu haben. Mit +Pompeius kam, wenn nicht eine herzliche Aussöhnung, doch ein Vergleich +zustande. Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn nicht zu fürchten, nahm +die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins Gesicht sagte, daß mehr Leute sich um +die aufgehende Sonne kümmerten als um die untergehende, und bewilligte dem +eitlen Jüngling die leeren Ehrenbezeigungen, an denen sein Herz hing. Wenn er +hier sich läßlich zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, daß er nicht +der Mann war, sich von seinen Marschällen imponieren zu lassen: So wie dieser +verfassungswidrig als Bewerber vor das Volk trat, ließ ihn Sulla auf +öffentlichem Marktplatz niederstoßen und setzte sodann der versammelten +Bürgerschaft auseinander, daß die Tat auf seinen Befehl und warum sie vollzogen +sei. So verstummte zwar für jetzt diese bezeichnende Opposition des +Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb bestehen und +gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, daß das, was er diesmal tue, +nicht zum zweitenmal getan werden könne. +</p> + +<p> +Eines blieb noch übrig -vielleicht das schwerste von allem: die Zurückführung +der Ausnahmezustände in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch +erleichtert, daß Sulla dieses letzte Ziel nie aus den Augen verloren hatte. +Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner Verordnungen +Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exorbitanten Befugnis sich nur +bei Maßregeln bedient, die von vorübergehender Bedeutung waren und wo die +Beteiligung Rat und Bürgerschaft bloß nutzlos kompromittiert haben würde, +namentlich bei den Ächtungen. Regelmäßig hatte er schon selbst diejenigen +Bestimmungen beobachtet, die er für die Zukunft vorschrieb. Daß das Volk +befragt ward, lesen wir in dem Quästorengesetz, das zum Teil noch vorhanden +ist, und von anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen über +die Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wichtigeren +Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und Zurückberufung der +afrikanischen Armee und bei Erteilung von städtischen Freibriefen, der Senat +vorangestellt. In demselben Sinn ließ Sulla schon für 673 (81) Konsuln wählen, +wodurch wenigstens die gehässige offizielle Datierung nach der Regentschaft +vermieden ward; doch blieb die Macht noch ausschließlich bei dem Regenten und +ward die Wahl auf sekundäre Persönlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf +(674 80) setzte Sulla die ordentliche Verfassung wieder vollständig in +Wirksamkeit und verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem Waffengenossen +Quintus Metellus den Staat, während er die Regentschaft zwar noch beibehielt, +aber vorläufig ruhen ließ. Er begriff es wohl, wie gefährlich es eben für seine +eigenen Institutionen war, die Militärdiktatur zu verewigen. Da die neuen +Zustände sich haltbar zu erweisen schienen, und von den neuen Einrichtungen +zwar manches, namentlich in der Kolonisierung, noch zurück, aber doch das +meiste und wichtigste vollendet war, so ließ er den Wahlen für 675 (79) freien +Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat als mit seinen eigenen Verordnungen +unvereinbar ab und legte, bald nachdem die neuen Konsuln Publius Servilius und +Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten, im Anfang des Jahres 675 (79) die +Regentschaft nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis +dahin mit dem Leben und dem Eigentum von Millionen nach Willkür geschaltet +hatte, auf dessen Wink so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse +Roms, in jeder Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen ebenbürtigen +Verbündeten, ja genau genommen ohne den Rückhalt einer festen Partei sein +tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk der Reorganisation des +Staates zu Ende geführt hatte, als dieser Mann auf den Marktplatz der +Hauptstadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig begab, seine bewaffneten +Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener entließ und die dichtgedrängte +Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre. +Alles schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbühne und zu Fuß, nur von den +Seinigen begleitet, ging er mitten durch ebenjenen Pöbel, der ihm vor acht +Jahren das Haus geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung. +</p> + +<p> +Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk richtig zu +würdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die +Persönlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der Tat ist +Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen eine einzige +Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein Sanguiniker, +blauäugig, blond, von auffallend weißer, aber bei jeder leidenschaftlichen +Bewegung sich rötender Gesichtsfarbe, übrigens ein schöner, feurig blickender +Mann, schien er nicht eben bestimmt, dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, +die seit seines Großvaters Großvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 +290, 277), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten +Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten Ranges verharrt hatten. Er +begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuß. Aufgewachsen in dem Raffinement +des gebildeten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den minder reichen +senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemächtigte er rasch und bebend +sich der ganzen Fülle sinnlich geistiger Genüsse, welche die Verbindung +hellenischer Feinheit und römischen Reichtums zu gewähren vermochten. Im +adligen Salon und unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als angenehmer +Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm +den teilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der Not, der sein +Geld weit lieber seinem bedrängten Genossen als seinem reichen Gläubiger +gönnte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den +Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er nicht mehr Regent, wenn er nach +vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der Ironie, man +könnte vielleicht sagen der Bouffonnerie, geht durch seine ganze Natur. Noch +als Regent befahl er, während er die Versteigerung der Güter der Geächteten +leitete, für ein ihm überreichtes schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine +Verehrung aus der Beute zu verabreichen unter der Bedingung, daß er gelobe, ihn +niemals wieder zu besingen. Als er vor der Bürgerschaft Ofenas Hinrichtung +rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten die Fabel erzählte von dem +Ackersmann und den Läusen. Seine Gesellen wählte er gern unter den +Schauspielern und liebte es, nicht bloß mit Quintus Roscius, dem römischen +Talma, sondern auch mit viel geringeren Bühnenleuten beim Weine zu sitzen; wie +er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Aufführung in seinem +Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm +weder die körperliche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der +ländlichen Muße seiner letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob, und daß er aus +dem eroberten Athen die Aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist +doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer Lektüre. Das spezifische +Römertum stieß ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die römischen Großen +gegenüber den Griechen zu entwickeln liebten, und von der Feierlichkeit +beschränkter großer Männer hatte Sulla nichts, vielmehr ließ er gern sich +gehen, erschien wohl zum Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen +Städten in griechischer Tracht oder veranlaßte seine adligen Gesellen, bei den +Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den halb +patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in Ländern freier +Verfassung jede jugendliche Kapazität auf den politischen Tummelplatz locken +und die auch er wie jeder andere einmal empfunden haben mag; in einem Leben, +wie das seine war, schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als +nüchternem Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen und Streben +mochte ihm eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall +regiert ward und wo, wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts spannen +konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der Zeit, zugleich dem +Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben folgte auch er. Seine +wunderliche Gläubigkeit ist nicht der plebejische Köhlerglaube des Marius, der +von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen und seine Handlungen durch ihn +bestimmen läßt; noch weniger der finstere Verhängnisglaube des Fanatikers, +sondern jener Glaube an das Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf +eine zusammenhängende Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen +Menschen notwendig sich einstellt, der Aberglaube des glücklichen Spielers, der +sich vom Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und überall die rechte +Nummer zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den +Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die Schatzkammern +der griechischen Tempel leerte, äußerte er, daß es demjenigen nimmermehr fehlen +könne, dem die Götter selbst die Kasse füllten. Als die delphischen Priester +ihm berichteten, daß sie sich scheuten, die verlangten Schätze zu senden, da +die Zither des Gottes hell geklungen, als man sie berührt, ließ er ihnen +zurücksagen, daß man sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der +Gott seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem +Gedanken, der auserwählte Liebling der Götter zu sein, ganz besonders jener, +der er bis in seine späten Jahre vor allen den Preis gab, der Aphrodite. In +seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie rühmte er sich vielfach +des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die Unsterblichen mit ihm gepflogen. +Er hatte wie wenig andere ein Recht, auf seine Taten stolz zu sein; er war es +nicht, wohl aber stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen, +daß jedes improvisierte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmäßig +angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den +Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regelmäßig als null anzugeben, ist +doch auch nichts als die Kinderei eines Glückskindes. Es war nur der Ausdruck +der ihm natürlichen Stimmung, als er, auf dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt +und alle seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die +Bezeichnung des Glücklichen, Sulla Felix, als förmlichen Beinamen annahm und +auch seinen Kindern entsprechende Benennungen beilegte. +</p> + +<p> +Nichts lag Sulla ferner als der planmäßige Ehrgeiz. Er war zu gescheit, um +gleich den Dutzendaristokraten seiner Zeit die Verzeichnung seines Namens in +die konsularischen Register als das Ziel seines Lebens zu betrachten; zu +gleichgültig und zu wenig Ideolog, um sich mit der Reform des morschen +Staatsgebäudes freiwillig befassen zu mögen. Er blieb, wo Geburt und Bildung +ihn hinwiesen, in dem Kreis der vornehmen Gesellschaft und machte wie üblich +die Ämterlaufbahn durch; Ursache sich anzustrengen hatte er nicht und überließ +dies den politischen Arbeitsbienen, an denen es ja nicht fehlte. So führte ihn +im Jahre 647 (107) bei der Verlosung der Quästorenstellen der Zufall nach +Afrika in das Hauptquartier des Gaius Marius. Der unversuchte hauptstädtische +Elegant ward von dem rauben bäurischen Feldherrn und seinem erprobten Stab +nicht zum besten empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte Sulla, +furchtlos und anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk sich zu eigen +und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien zuerst jene +eigentümliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, wegen deren seine +Zeitgenossen von ihm sagten, daß er halb Löwe, halb Fuchs und der Fuchs in ihm +gefährlicher sei als der Löwe. Dem jungen, hochgeborenen, brillanten Offizier, +der anerkanntermaßen der eigentliche Beendiger des lästigen Numidischen Krieges +war, öffnete jetzt sich die glänzendste Laufbahn; er nahm auch teil am +Kimbrischen Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen +Verpflegungsgeschäftes sein ungemeines Organisationstalent; nichtsdestoweniger +zogen ihn auch jetzt die Freuden des hauptstädtischen Lebens weit mehr an als +Krieg oder gar Politik. In der Prätur, welches Amt er, nachdem er sich einmal +vergeblich beworben hatte, im Jahre 661 (93) übernahm, fügte es sich abermals, +daß ihm in seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg über +König Mithradates und der erste Vertrag mit den mächtigen Arsakiden sowie deren +erste Demütigung gelang. Der Bürgerkrieg folgte. Sulla war es wesentlich, der +den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion zu Roms Gunsten entschied +und dabei mit dem Degen das Konsulat sich gewann; er war es ferner, der als +Konsul den Sulpicischen Aufstand mit energischer Raschheit zu Boden schlug. Das +Glück schien sich ein Geschäft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch +diesen jüngeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die +Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte, wurden in +untergeordneten Stellungen von Sulla vollführt; im Bundesgenossenkrieg, in dem +Marius seinen Feldherrnruhm einbüßte und abgesetzt ward, gründete Sulla seinen +militärischen Ruf und stieg empor zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), +die zugleich und vor allem ein persönlicher Konflikt zwischen den beiden +Generalen war, endigte mit Marius’ Ächtung und Flucht. Fast ohne es zu +wollen war Sulla der berühmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie +geworden. Es folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische Krieg, +die Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. Wie der +Kapitän, der das brennende Schiff nicht löscht, sondern fortfährt, auf den +Feind zu feuern, harrte Sulla, während die Revolution in Italien tobte, in +Asien unerschüttert aus, bis der Landesfeind gezwungen war. Mit diesem fertig, +zerschmetterte er die Anarchie und rettete die Hauptstadt vor der Brandfackel +der verzweifelnden Samniten und Revolutionäre. Der Moment der Heimkehr war für +Sulla ein überwältigender in Freude und in Schmerz; er selbst erzählt in seinen +Memoiren, daß er die erste Nacht in Rom kein Auge habe zutun können, und wohl +mag man es glauben. Aber immer noch war seine Aufgabe nicht zu Ende, sein Stern +in weiterem Steigen. Absoluter Selbstherrscher wie nur je ein König und doch +durchaus verharrend auf dem Boden des formellen Rechts, zügelte er die +ultrareaktionäre Partei, vernichtete die seit vierzig Jahren die Oligarchie +einengende Gracchische Verfassung und zwang zuerst die der Oligarchie +Konkurrenz machenden Mächte der Kapitalisten und des hauptstädtischen +Proletariats, endlich den im Schoße seines eigenen Stabes erwachsenen Übermut +des Säbels wieder unter das neu befestigte Gesetz. Selbständiger als je stellte +er die Oligarchie hin, legte die Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre +Hände, verlieh ihr die Gesetzgebung, die Gerichte, die militärische und +finanzielle Obergewalt und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten Sklaven, +eine Art Heer in den angesiedelten Militärkolonisten. Endlich, als das Werk +vollendet war, trat der Schöpfer zurück von seiner Schöpfung; freiwillig ward +der absolute Selbstherrscher wieder einfacher Senator. In dieser ganzen langen +militärischen und politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht verloren, nie +einen Schritt zurücktun müssen und ungeirrt von Feinden und Freunden sein Werk +geführt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl hatte er Ursache, seinen Stern zu +preisen. Die launenhafte Göttin des Glücks schien hier einmal die Laune der +Beständigkeit angewandelt und sie darin sich gefallen zu haben, auf ihren +Liebling an Erfolgen und Ehren zu häufen, was er begehrte und nicht begehrte. +Aber die Geschichte wird gerechter gegen ihn sein müssen, als er es gegen sich +selber war, und ihn in eine höhere Reihe stellen als in die der bloßen +Favoriten der Fortuna. +</p> + +<p> +Nicht als wäre die Sullanische Verfassung ein Werk politischer Genialität, wie +zum Beispiel die Gracchische und die Caesarische. Es begegnet in ihr, wie dies +ja schon das Wesen der Restauration mit sich bringt, auch nicht ein +staatsmännisch neuer Gedanke; alle ihre wesentlichsten Momente: der Eintritt in +den Senat durch Bekleidung der Quästur, die Aufhebung des zensorischen Rechts, +den Senator aus dem Senate zu stoßen, die legislatorische Initiative des +Senats, die Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug des Senats zur +Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer des Oberamts auf zwei Jahre, +der Übergang des Kommandos von dem Volksmagistrat auf den senatorischen +Prokonsul oder Proprätor, selbst die neue Kriminal- und Munizipalordnung sind +nicht von Sulla geschaffene, sondern früher schon aus dem oligarchischen +Regiment entwickelte und durch ihn nur regulierte und fixierte Institutionen. +Ja selbst die seiner Restauration anhaftenden Greuel, die Ächtungen und +Konfiskationen, sind sie, verglichen mit den Taten der Nasica, Popillius, +Opimius, Caepio und so weiter, etwas anderes als die rechtliche Formulierung +der hergebrachten oligarchischen Weise, sich der Gegner zu entledigen? Über die +römische Oligarchie dieser Zeit nun gibt es kein Urteil als unerbittliche und +rücksichtslose Verdammung; und wie alles andere, was ihr anhängt, ist davon +auch die Sullanische Verfassung vollständig mitbetroffen. Das von der +Genialität des Bösen bestochene Lob versündigt sich an dem heiligen Geist der +Geschichte; aber daran wird man doch erinnern dürfen, daß weit weniger Sulla +die Sullanische Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten als +Clique regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften Entnervung und +Verbissenheit verfallende römische Aristokratie insgesamt, und daß alles, was +darin schal, und alles, was darin verrucht ist, am letzten Ende auf diese +zurückfällt. Sulla hat den Staat reorganisiert, aber nicht wie der Hausherr, +der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde nach eigener Einsicht in Ordnung +bringt, sondern wie der zeitweilige Geschäftsführer, der seiner Anweisung +getreu nachkommt; es ist flach und falsch, in diesem Falle die schließliche und +wesentliche Verantwortung von dem Geschäftsherrn ab auf den Verwalter zu +wälzen. Man schlägt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder findet vielmehr mit +jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden und nie wiedergutgemachten +Proskriptionen, Expropriationen und Restaurationen viel zu leicht sich ab, wenn +man sie als das Werk eines zufällig an die Spitze des Staats geratenen +Wüterichs ansieht. Adelstaten waren dies und Restaurationsterrorismus, Sulla +aber nicht mehr dabei als, mit dem Dichter zu reden, das hinter dem bewußten +Gedanken unbewußt herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit +wunderbarer, ja dämonischer Vollkommenheit durchgeführt; innerhalb der Grenzen +aber, die sie ihm gezogen, hat er nicht bloß großartig, sondern selbst nützlich +gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und stetig tiefer sinkende +Aristokratie, wie die römische damals war, einen Vormund gefunden, der so wie +Sulla willig und fähig war, ohne jede Rücksicht auf eigenen Machtgewinn für sie +den Degen des Feldherrn und den Griffel des Gesetzgebers zu führen. Es ist +freilich ein Unterschied, ob ein Offizier aus Bürgersinn das Szepter verschmäht +oder aus Blasiertheit es wegwirft; aber in der völligen Abwesenheit des +politischen Egoismus - freilich auch nur in diesem einen - verdient Sulla neben +Washington genannt zu werden. Aber nicht bloß die Aristokratie, das gesamte +Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla hat +die italische Revolution, insoweit sie beruhte auf der Zurücksetzung einzelner +minder berechtigter gegen andere besser berechtigte Distrikte, endgültig +geschlossen und ist, indem er sich und seine Partei zwang, die +Gleichberechtigung aller Italiker vor dem Gesetz anzuerkennen, der wahre und +letzte Urheber der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, +der mit endloser Not und Strömen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft war. +Aber Sulla hat noch mehr getan. Seit länger als einem halben Jahrhundert war +Roms Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in Permanenz; denn das Regiment +des Senats mit der Gracchischen Verfassung war Anarchie und gar das Regiment +Cinnas und Carbos noch weit ärgere Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild +sich am deutlichsten in jenem ebenso verwirrten wie naturwidrigen Bündnis mit +den Samniten widerspiegelt, der unklarste, unerträglichste, heilloseste aller +denkbaren politischen Zustände, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist nicht +zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß das lange unterhöhlte römische +Gemeinwesen notwendig hätte zusammenstürzen müssen, wenn nicht durch die +Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz desselben gerettet +hätte. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig Bestand gehabt wie die +Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, daß sein Bau kein solider war; +aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, darüber zu übersehen, daß ohne Sulla +höchstwahrscheinlich der Bauplatz selbst von den Fluten wäre fortgerissen +worden; und auch jener Tadel trifft zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut +nur, was er in dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ +Gesinnter tun konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; +und geahnt hat er es selbst, daß er wohl eine Festung, aber keine Besatzung zu +schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen jeden Versuch, +die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine Verfassung glich einem +in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm; es ist kein Vorwurf für den +Baumeister, wenn ein Jahrzehnt später die Wellen den naturwidrigen und von den +Geschützten selbst nicht verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird +nicht der Hinweisung auf höchst löbliche Einzelformen, zum Beispiel des +asiatischen Steuerwesens und der Kriminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere +Restauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin eine richtig +entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten im großen und ganzen +konsequent durchgeführte Reorganisation des römischen Gemeinwesens bewundern +und den Retter Roms, den Vollender der italischen Einheit unter, aber doch auch +neben Cromwell stellen. +</p> + +<p> +Freilich ist es nicht bloß der Staatsmann, der im Totengericht Stimme hat, und +das empörte menschliche Gefühl wird mit Recht sich nie mit dem versöhnen, was +Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla hat seine +Gewaltherrschaft nicht bloß mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit begründet, +sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen Offenheit beim +rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich verdorben hat mit der +großen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor dem Namen als vor der Sache sich +entsetzen, durch die er aber allerdings auch dem sittlichen Urteil wegen der +Kühle und Klarheit seines Frevels noch empörender erscheint als der +leidenschaftliche Verbrecher. Ächtungen, Belohnungen der Henker, +Güterkonfiskationen, kurzer Prozeß gegen unbotmäßige Offiziere waren hundertmal +vorgekommen, und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation +hatte für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhört, daß die +Namen der vogelfreien Männer öffentlich angeschlagen und die Köpfe öffentlich +ausgestellt wurden, daß den Banditen eine feste Summe ausgesetzt und dieselbe +in die öffentlichen Kassenbücher ordnungsmäßig eingetragen ward, daß das +eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer +kam, daß der Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen ließ +und vor allem Volk sich zu der Tat bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der +Humanität ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu beigetragen, +spätere revolutionäre Krisen im voraus zu vergiften, und noch jetzt ruht +deswegen verdientermaßen ein finsterer Schatten auf dem Andenken des Urhebers +der Proskriptionen. +</p> + +<p> +Mit Recht darf man ferner tadeln, daß Sulla, während er in allen wichtigen +Dingen rücksichtslos durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in +Personenfragen sehr häufig seinem sanguinischen Temperament nachgab und nach +Neigung oder Abneigung verfuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Haß empfand, wie +gegen die Marier, ihm zügellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von +sich selbst gerühmt, daß niemand besser als er Freunden und Feinden vergolten +habe ^13. Er verschmähte es nicht, bei Gelegenheit seiner Machtstellung, ein +kolossales Vermögen zu sammeln. Der erste absolute Monarch des römischen +Staats, bewährte er den Kernspruch des Absolutismus, daß den Fürsten die +Gesetze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst erlassenen Ehebruchs- und +Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich +selbst ward dem Staat sein läßliches Verfahren gegen seine Partei und seinen +Kreis. Schon seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische +Notwendigkeit geboten war, läßt sich hierher rechnen; viel schädlicher aber +noch war die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang. Es ist kaum glaublich, +was er gelegentlich hinnahm; so zum Beispiel ward dem Lucius Murena für die +durch die schlimmste Verkehrtheit und Unbotmäßigkeit erlittenen Niederlagen +nicht bloß die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestanden; so wurde +Gnaeus Pompeius, der sich noch schwerer vergangen hatte, von Sulla noch +verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die ärgsten Frevel der Ächtungen +und Konfiskationen sind wahrscheinlich weniger aus Sullas eigenem Wollen, als +aus diesem freilich in seiner Stellung kaum verzeihlicheren Indifferentismus +hervorgegangen. Daß Sulla bei seinem innerlich energischen und doch dabei +gleichgültigen Wesen sehr verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald +unerbittlich streng auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, +daß er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein +blutdürstiger Wüterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das +Gegenteil der früheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen müssen, +daß er mit demselben nachlässigen Gleichmut strafte, mit dem er verzieh. Diese +halb ironische Leichtfertigkeit geht überhaupt durch sein ganzes politisches +Tun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm gefiel, sein Verdienst +um den Sieg Glück zu schelten, auch der Sieg selber nichts wert; als habe er +eine halbe Empfindung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eigenen +Werkes; als ziehe er nach Verwalterart das Ausbessern dem Einreißen und Umbauen +vor und lasse sich am Ende auch mit einer leidlichen Übertünchung der Schäden +genügen. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^13 Euripides, Medeia, 807: +</p> + +<p> +Es soll mich keiner achten schwächlich und gering, +</p> + +<p> +Gutmütig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff, +</p> + +<p> +Den Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. +Sein ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines Wesens; in den +verschiedensten Lagen blieb Sulla unverändert derselbe. Es war derselbe Sinn, +der nach den glänzenden Erfolgen in Afrika ihn wieder den hauptstädtischen +Müßiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und +Erholung finden ließ in seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine +Phrase, daß ihm die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so +wie er durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er völlig sich +gleich, ohne Unmut und ohne Affektation, froh, der öffentlichen Geschäfte +entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich +bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren füllten seine müßigen +Stunden; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen Bürger die +inneren Verhältnisse der benachbarten Kolonie Puteoli ebenso sicher und rasch +wie früher die Verhältnisse der Hauptstadt. Seine letzte Tätigkeit auf dem +Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem +Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr +vergönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im sechzigsten +Lebensjahr, frisch an Körper und Geist, ward er vom Tode ereilt; nach kurzem +Krankenlager - noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner +Selbstbiographie - raffte ein Blutsturz ^14 ihn hinweg (676 78). Sein getreues +Glück verließ ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wünschen, noch einmal in +den widerwärtigen Strudel der Parteikämpfe hineingezogen zu werden und seine +alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution führen zu müssen; und nach +dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien hätte bei +längerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner +feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, wurden zahlreiche +Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwiegen hatten, dort gegen die letzte +Ehre laut, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die +Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig; es +wurde beschlossen, die Leiche nach der Hauptstadt bringen zu lassen und dort +die Exequien zu begehen. Nie hat Italien eine großartigere Trauerfeier gesehen. +Überall wo der königlich geschmückte Tote hindurchgetragen ward, ihm vorauf +seine wohlbekannten Feldzeichen und Rutenbündel, da schlossen die Einwohner und +vor allem seine alten Lanzknechte an das Trauergefolge sich an; es schien, als +wollte die gesamte Truppe um den Mann, der sie im Leben so oft und nie anders +als zum Siege geführt hatte, noch einmal im Tode sich vereinigen. So gelangte +der endlose Leichenzug in die Hauptstadt, wo die Gerichte feierten und alle +Geschäfte ruhten und zweitausend goldene Kränze, als letzte Ehrengabe der +treuen Legionen, der Städte und der näheren Freunde, des Toten harrten. Sulla +hatte, dem Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemäß, seinen Körper unverbrannt +beizusetzen verordnet; aber andere waren besser als er dessen eingedenkt, was +vergangene Tage gebracht hatten und künftige Tage bringen mochten - auf Befehl +des Senats ward die Leiche des Mannes, der die Gebeine des Marius aus ihrer +Ruhe im Grabe aufgestört hatte, den Flammen übergeben. Geleitet von allen +Beamten und dem gesamten Senat, den Priestern und Priesterinnen in ihrer +Amtstracht und der ritterlich gerüsteten adligen Knabenschar gelangte der Zug +auf den großen Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast noch von dem +Klange seiner gefürchteten Worte erfüllten Platz ward dem Toten die Leichenrede +gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern der Senatoren nach dem +Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen errichtet war. Während er in Flammen +loderte, hielten die Ritter und die Soldaten den Ehrenlauf um die Leiche; die +Asche des Regenten aber ward auf dem Marsfeld neben den Gräbern der alten +Könige beigesetzt, und ein Jahr hindurch haben die römischen Frauen um ihn +getrauert. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^14 Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfachen +Grunde, daß eine solche Krankheit nur in der Phantasie existiert. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap11"></a>KAPITEL XI.<br/> +Das Gemeinwesen und seine Ökonomie</h2> + +<p> +Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahr tiefen Friedens, fünfzig einer fast +permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, +die die römische Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und östlicher +Richtung die Alpen überschritten und gelangten die römischen Waffen auf der +spanischen Halbinsel bis zum Atlantischen Ozean, auf der +makedonisch-griechischen bis zur Donau; aber es waren so wohlfeile wie +unfruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der “auswärtigen Völkerschaften in der +Willkür, Botmäßigkeit, Herrschaft oder Freundschaft der römischen +Bürgerschaft” ^1 ward nicht wesentlich erweitert; man begnügte sich, den +Erwerb einer besseren Zeit zu realisieren und die in loseren Formen der +Abhängigkeit an Rom geknüpften Gemeinden mehr und mehr in die volle +Untertänigkeit zu bringen. Hinter dem glänzenden Vorhang der +Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fühlbares Sinken der römischen Macht. +Während die gesamte antike Zivilisation immer bestimmter in dem römischen Staat +zusammengefaßt, immer altgemeingültiger in demselben formuliert ward, fingen +zugleich jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr +ausgeschlossenen Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff überzugehen. Auf +den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chäroneia und +Orchomenos wurden die ersten Schläge desjenigen Gewitters vernommen, das über +die italisch-griechische Welt zu bringen die germanischen Stämme und die +asiatischen Horden bestimmt waren und dessen letztes dumpfes Rollen fast noch +bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Aber auch in der inneren Entwicklung +trägt diese Epoche denselben Charakter. Die alte Ordnung stürzt +unwiederbringlich zusammen. Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine +Stadtgemeinde, welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und +die Gesetze gab, welche von diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser +gesetzlichen Schranken mit königlicher Freiheit geleitet ward, um welche teils +die italische Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, der römischen +wesentlich gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, teils die +außeritalische Bundesgenossenschaft als ein Inbegriff griechischer Freistädte +und barbarischer Völker und Herrschaften, beide von der Gemeinde Rom mehr +bevormundet als beherrscht, in zweifachem Kreise sich schlossen. Es war das +letzte Ergebnis der Revolution - und beide Parteien, die nominell konservative +wie die demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen +-, daß von diesem ehrwürdigen Bau, der am Anfang der gegenwärtigen Epoche zwar +rissig und schwankend, aber doch noch aufrecht gestanden, am Schluß derselben +kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveräne Machthaber war +jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der +Vornehmen, bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden rechtlichen Anteil am +Regiment verloren. Die Beamten waren unselbständige Werkzeuge in der Hand des +jedesmaligen Machthabers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre +widernatürliche Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische +Eidgenossenschaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die außeritalische +Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine Untertanenschaft zu +verwandeln. Die gesamte organische Gliederung des römischen Gemeinwesens war +zugrunde gegangen und nichts übrig geblieben, als eine rohe Masse mehr oder +minder disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere +und äußere Auflösung des Staats überzugehen. Die politische Bewegung lenkte +durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darüber noch ward gestritten, ob der +geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der Kapitalistensenat oder ein +Monarch Despot sein solle. Die politische Bewegung ging durchaus die zum +Despotismus führenden Wege: der Grundgedanke des freien Gemeinwesens, daß die +ringenden Mächte gegenseitig sich auf mittelbaren Zwang beschränken, war allen +Parteien gleichmäßig abhanden gekommen, und hüben und drüben fingen zuerst die +Knüttel, bald auch die Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. Die +Revolution, insofern zu Ende, als die alte Verfassung von beiden Seiten als +definitiv beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen +Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch für diese Reorganisation des +Staates selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen gefunden; weder die +Gracchische noch die Sullanische Konstituierung der Gemeinde trugen einen +abschließenden Charakter. Das aber war das Bitterste dieser bitteren Zeit, daß +dem klarsehenden Patrioten selbst das Hoffen und das Streben sich versagten. +Die Sonne der Freiheit mit all ihrer unendlichen Segensfülle ging unaufhaltsam +unter, und die Dämmerung senkte sich über die eben noch so glänzende Welt. Es +war keine zufällige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie hätten wehren +können; es waren uralte soziale Schäden, im letzten Kern der Ruin des +Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das römische Gemeinwesen +zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der Lage des Arztes, +dem es gleich peinlich ist, die Agonie zu verlängern und zu verkürzen. Ohne +Zweifel war Rom um so besser beraten, je rascher und durchgreifender ein Despot +alle Reste der alten freiheitlichen Verfassung beseitigte und für das +bescheidene Maß menschlichen Gedeihens, wofür in dem Absolutismus Raum ist, die +neuen Formen und Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter den +gegebenen Verhältnissen gegenüber jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich +ebendarin, daß ein solcher energisch nivellierender und energisch aufbauender +Despotismus von einer kollegialischen Behörde nimmermehr geübt werden konnte. +Allein diese kühlen Erwägungen machen keine Geschichte; nicht der Verstand, nur +die Leidenschaft baut für die Zukunft. Man mußte eben erwarten, wie lange das +Gemeinwesen fortfahren werde, nicht leben und nicht sterben zu können, und ob +es schließlich an einer mächtigen Natur seinen Meister und, soweit dies möglich +war, seinen Neuschöpfer finden oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen +werde. +</p> + +<p> +———————————————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi Romani +(Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der nichtitalischen Untertanen +und Klienten im Gegensatz der italischen “Eidgenossen und +Stammverwandten” (socii nominisve Latini). +</p> + +<p> +———————————————————————————————————- +</p> + +<p> +Es bleibt noch übrig, die ökonomische und soziale Seite dieses Verlaufs +hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits früher geschehen ist. +</p> + +<p> +Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich auf den +Einkünften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, die hier stets +nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Gefällen als außerordentliche +Abgabe vorgekommen war, seit der Schlacht von Pydna nicht wieder erhoben, so +daß die unbedingte Grundsteuerfreiheit anfing, als ein verfassungsmäßiges +Vorrecht des römischen Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des +Staats, wie das Salzmonopol und das Münzrecht, wurden, wenn überhaupt je, so +wenigstens jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue +Erbschaftssteuer ließ man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht +geradezu ab. Demnach zog die römische Staatskasse aus Italien einschließlich +des diesseitigen Galliens nichts als teils den Domänenertrag, namentlich von +dem kampanischen Gebiet und den Goldgruben im Lande der Kelten, teils die +Abgabe von den Freilassungen und den nicht zu eigenem Verbrauch des +Einführenden in das römische Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche +beide wesentlich als Luxussteuern betrachtet werden können und allerdings durch +die Ausdehnung des römischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz Italien, +wahrscheinlich mit Einschluß des diesseitigen Galliens, ansehnlich gesteigert +werden mußten. +</p> + +<p> +In den Provinzen nahm der römische Staat zunächst als Privateigentum in +Anspruch teils in den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte Mark, +teils in denjenigen Staaten, wo die römische Regierung an die Stelle der +ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen innegehaltenen Grundbesitz, +kraft welches Rechts die Feldmarken von Leontinoi, Karthago, Korinth, das +Domanialgut der Könige von Makedonien, Pergamon und Kyrene, die Gruben in +Spanien und Makedonien als römische Domänen galten und, ähnlich wie das Gebiet +von Capua, von den römischen Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer +Ertragsquote oder einer bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Daß Gaius +Gracchus noch weiter ging, das gesamte Provinzialland als Domäne ansprach und +zunächst für die Provinz Asia diesen Satz insofern praktisch durchführte, als +er den Bodenzehnten, die Hut- und Hafengelder daselbst rechtlich motivierte +durch das Eigentumsrecht des römischen Staats an Acker, Wiese und Küste der +Provinz, mochten diese nun früher dem König oder Privaten gehört haben, ward +bereits früher ausgeführt. +</p> + +<p> +Nutzbare Staatsregalien scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen gegenüber +noch nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und Ölbaues im +Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher nicht zugute. Dagegen +wurden direkte und indirekte Steuern in großem Umfang erhoben. Die als +vollständig souverän anerkannten Klientelstaaten, also zum Beispiel die +Königreiche Numidien und Kappadokien, die Bundesstädte (civitates foederatae) +Rhodos, Messana, Tauromenion, Massalia, Gades waren rechtlich steuerfrei und +durch ihren Vertrag nur verpflichtet, die römische Republik in Kriegszeiten +teils durch regelmäßige Stellung einer festen Anzahl von Schiffen oder +Mannschaften auf ihre Kosten, teils, wie natürlich, im Notfall durch +außerordentliche Hilfsleistung jeder Art zu unterstützen. Das übrige +Provinzialgebiet dagegen, selbst mit Einschluß der Freistädte, unterlag +durchgängig der Besteuerung, und nur die mit römischem Bürgerrecht beliehenen +Städte, wie Narbo, und die speziell mit der Steuerfreiheit beschenkten +Gemeinden (civitates immunes), wie Kentoripa in Sizilien, waren hiervon +ausgenommen. Die direkten Abgaben bestanden teils, wie in Sizilien und +Sardinien, in einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben und sonstigen +Feldfrüchte wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das Land zur Weide lag, +einem entsprechenden Hutgeld; teils, wie in Makedonien, Achaia, Kyrene, dem +größten Teil von Africa, beiden Spanien, nach Sulla auch in Asia, in einer von +jeder einzelnen Gemeinde jährlich nach Rom zu entrichtenden festen Geldsumme +(stipendium, tributum), welche zum Beispiel für ganz Makedonien 600000 (183000 +Taler), für die kleine Insel Gyaros bei Andros 150 Denare (46 Taler) betrug und +allem Anschein nach im ganzen niedrig und geringer war als die vor der +römischen Herrschaft entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten und Hutgelder +verdang der Staat gegen Lieferung fester Quantitäten Korn oder fester +Geldsummen an Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen hielt er sich an die +einzelnen Gemeinden und überließ es diesen, den Betrag nach den von der +römischen Regierung im allgemeinen festgestellten Prinzipien auf die +Steuerpflichtigen zu repartieren und von diesen einzuziehen 3. Die indirekten +Abgaben bestanden, abgesehen von den untergeordneten Chaussee-, Brücken- und +Kanalgeldern, wesentlich in den Zöllen. Die Zölle des Altertums waren, wo nicht +ausschließlich doch sehr vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzölle auf die zur +Feilbietung bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden von jeder Gemeinde +in ihren Häfen und ihrem Gebiet nach Ermessen erhoben. Die Römer erkannten dies +auch insofern im allgemeinen an, als sich ihr ursprüngliches Zollgebiet nicht +weiter erstreckte als der römische Bürgerbezirk, und die Reichsgrenze +keineswegs Zollgrenze, ein allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf +dem Wege des Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden für den römischen +Staat wohl durchaus Zollfreiheit, für den römischen Bürger vielfach wenigstens +Zollbegünstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken, die nicht zum +Bündnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher Untertänigkeit +standen, auch nicht die Immunität erworben hatten, fielen die Zölle doch +selbstverständlich an den eigentlichen Souverän, das heißt an die römische +Gemeinde; und infolgedessen wurden einzelne größere Gebiete innerhalb des +Reiches als besondere römische Zolldistrikte konstituiert, in welchen die +einzelnen verbündeten oder mit Immunität beliehenen Gemeinden als vom römischen +Zoll befreit enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der +karthagischen Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von allen +aus- und eingehenden Waren eine Abgabe von fünf Prozent vom Wert erhoben ward; +so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen Gesetzes eine +ähnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward in ähnlicher Weise die +Provinz Narbo, ausschließlich der Feldmark der römischen Kolonie, als römischer +Zollbezirk organisiert. Bei dieser Einrichtung mag außer den fiskalischen +Zwecken auch die löbliche Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen +Kommunalzöllen unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmäßige +Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zölle gleich den +Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmänner verdungen. +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +2 Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum erhebt, ist +wohl zu unterscheiden von dem Eigentümerzehnten, den er auf das Dominalland +legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein für allemal fest; diesen, +insonderheit den des Leontinischen Ackers, verpachteten die Zensoren in Rom und +regulierten die zu entrichtende Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach +Ermessen (Cic. Verr. 3, 6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein +Römisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 730. +</p> + +<p> +3 Das Verfahren war, wie es scheint, folgendes. Die römische Regierung +bestimmte zunächst die Gattung und die Höhe der Abgabe: so zum Beispiel ward in +Asien auch nach der Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte Garbe erhoben +(App. civ. 5 4); so steuerten nach Caesars Verordnung die Juden jedes andere +Jahr ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, 6; vgl. 2, 5); so ward in +Kilikien und Syrien später 5 vom Hundert des Vermögens (App. Syr. 50) und auch +in Africa eine, wie es scheint, ähnliche Abgabe entrichtet, wobei übrigens das +Vermögen nach gewissen Präsumtionen, z. B. nach der Größe des Bodenbesitzes, +der Zahl der Türöffnungen, der Kopfzahl der Kinder und Sklaven abgeschätzt +worden zu sein scheint (exactio capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, +von Kilikien; φόρος επί τή γή καί τοίς σώμασιν, App. Pun. 135, für Africa). +Nach dieser Norm wurde von den Gemeindebehörden unter Oberaufsicht des +römischen Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23) +festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen Steuerpflichtigen +zu leisten sei (imperata επικεφάλια Cic. Att. 5, I6); wer dies nicht +rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward ebenwie in Rom verkauft, d. +h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur Einziehung übertragen (venditio +tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; ωνάς omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der +Ertrag dieser Steuern floß den Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden +ihr Korn nach Sidon zu senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der +festgesetzte Geldbetrag nach Rom abgeführt. Auch diese Steuern also wurden +mittelbar erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umständen, entweder +einen Teil des Ertrags der Steuer für sich oder setzte aus eigenem Vermögen zu; +der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch Publikanen lag lediglich +darin, daß dort die Gemeindebehörde der Kontribuablen, hier römische +Privatunternehmer den Vermittler machten. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Hierauf waren die ordentlichen Lasten der römischen Steuerpflichtigen +beschränkt, wobei übrigens nicht übersehen werden darf, daß die Erhebungskosten +höchst beträchtlich waren und die Kontribuablen unverhältnismäßig mehr zahlten, +als die römische Regierung empfing. Denn wenn das System der Steuereinziehung +durch Mittelsmänner, namentlich durch Generalpächter, schon an sich von allen +das verschwenderischste ist, so ward in Rom noch durch die geringe Teilung der +Pachtungen und die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame Konkurrenz +aufs äußerste erschwert. +</p> + +<p> +Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen noch erstlich die Requisitionen +hinzu. Die Kosten der Militärverwaltung trug von Rechts wegen die römische +Gemeinde. Sie versah die Kommandanten jeder Provinz mit den Transportmitteln +und allen sonstigen Bedürfnissen; sie besoldete und versorgte die römischen +Soldaten in der Provinz. Nur Dach und Fach, Holz, Heu und ähnliche Gegenstände +hatten die Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich zu +gewähren; ja die freien Städte waren sogar auch von der Wintereinquartierung - +feste Standlager kannte man noch nicht - regelmäßig befreit. Wenn der +Statthalter also Getreide, Schiffe, Sklaven zu deren Bemannung, Leinwand, +Leder, Geld oder anderes bedurfte, so stand es ihm zwar im Kriege unbedingt und +nicht viel anders auch in Friedenszeiten frei, solche Lieferungen nach Ermessen +und Bedürfnis von den Untertanengemeinden oder den souveränen Klientelstaaten +einzufordern, allein dieselben wurden, gleich der römischen Grundsteuer, +rechtlich als Käufe oder Vorschüsse behandelt und der Wert von der römischen +Staatskasse sogleich oder später ersetzt. Aber dennoch wurden, wenn nicht in +der staatsrechtlichen Theorie, so doch praktisch, diese Requisitionen eine der +drückendsten Belastungen der Provinzialen; um so mehr, als die +Entschädigungsziffer regelmäßig von der Regierung oder gar dem Statthalter +einseitig festgesetzt ward. Es begegnen wohl einzelne gesetzliche +Beschränkungen dieses gefährlichen Requisitionsrechts der römischen Oberbeamten +- so die schon erwähnte Vorschrift, daß in Spanien dem Landmann durch +Getreiderequisitionen nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch +hierfür der Preis nicht einseitig ausgemacht werden dürfte; die Bestimmung +eines Maximalquantums des von dem Statthalter für seine und seines Gefolges +Bedürfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgängige Anordnung einer +festbestimmten und hochgegriffenen Vergütung für das Getreide, das wenigstens +in Sizilien häufig für die Bedürfnisse der Hauptstadt eingefordert ward. Allein +durch dergleichen Festsetzungen wurde der Druck jener Requisitionen auf die +Ökonomie der Gemeinden und der einzelnen in den Provinzen wohl hier und da +gelindert, aber keineswegs beseitigt. In außerordentlichen Krisen steigerte +dieser Druck sich unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann +die Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der der +erzwungenen freiwilligen Beiträge erfolgten, die Vergütung also ganz wegfiel. +So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die kleinasiatischen Provinzialen, die +allerdings sich aufs schwerste gegen Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen +einquartierten Gemeinen vierzigfachen (für den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), +jedem Centurio fünfundsiebzigfachen Sold zu gewähren, außerdem Kleidung und +Tisch nebst dem Recht, nach Belieben Gäste einzuladen; so schrieb derselbe +Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und +Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natürlich keine Rede war. +</p> + +<p> +Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. Sie müssen +verhältnismäßig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da die Verwaltungskosten, die +Instandhaltung der öffentlichen Gebäude, überhaupt alle Zivilausgaben von den +städtischen Budgets getragen wurden und die römische Regierung lediglich das +Militärwesen aus ihrer Kasse zu bestreiten übernahm. Sogar von diesem +Militärbudget aber wurden noch beträchtliche Posten auf die Gemeinden abgewälzt +- so die Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militärstraßen, +die der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu einem großen Teil +die Ausgaben für das Heerwesen, insofern die Wehrmannschaft der Klientelstaaten +wie die der Untertanen auf Kosten ihrer Gemeinden innerhalb ihrer Provinz +regelmäßig zum Dienst herangezogen wurden und auch außerhalb derselben Thraker +in Afrika, Afrikaner in Italien und so weiter an jedem beliebigen Ort immer +häufiger anfingen, mitverwendet zu werden. Wenn nur die Provinzen, nicht aber +Italien direkte Abgaben an die Regierung entrichtete, so war dies wo nicht +politisch, doch finanziell billig, solange als Italien die Lasten und Kosten +des Militärwesens allein trug; seit dies aber aufgegeben ward, waren die +Provinzialen auch finanziell entschieden überlastet. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +4 Beispielsweise entrichtete in Judäa die Stadt Joppe 26075 römische Scheffel +Korn, die übrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfürsten; wozu dann noch +der Tempelschoß und die für die Römer bestimmte sidonische Abgabe kamen. Auch +in Sizilien ward neben dem römischen Zehnten eine sehr ansehnliche +Gemeindeschatzung vom Vermögen erhoben. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Endlich ist das große Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch das die +römischen Beamten und Steuerpächter in der mannigfaltigsten Weise die +Steuerlast der Provinzen steigerten. Man mochte jedes Geschenk, das der +Statthalter nahm, gesetzlich als erpreßtes Gut behandeln, und selbst das Recht +zu kaufen ihm durch Gesetz beschränken, seine öffentliche Tätigkeit bot ihm, +wenn er unrecht tun wollte, dennoch der Handhaben mehr als genug. Die +Einquartierung der Truppen; die freie Wohnung der Beamten und des Schwarmes von +Adjutanten senatorischen oder Ritterranges, von Schreibern, Gerichtsdienern, +Herolden, Ärzten und Pfaffen; das den Staatsboten zukommende Recht +unentgeltlicher Beförderung; die Approbierung und der Transport der schuldigen +Naturallieferungen; vor allem die Zwangsverkäufe und die Requisitionen gaben +allen Beamten Gelegenheit, aus den Provinzen fürstliche Vermögen heimzubringen; +und das Stehlen ward immer allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung +sich als null erwies und die der Kapitalistengerichte sogar als gefährlich +allein für den ehrlichen Beamten. Die durch die Häufigkeit der Klagen über +Beamtenerpressung in den Provinzen veranlaßte Einrichtung einer stehenden +Kommission für dergleichen Fälle im Jahre 605 (149) und die rasch sich +folgenden und die Strafe stets steigernden Erpressungsgesetze zeigen, wie die +Flutmesser den Wasserstand, die immer wachsende Höhe des Übels. +</p> + +<p> +Unter all diesen Verhältnissen konnte selbst eine der Anlage nach mäßige +Besteuerung effektiv äußerst drückend werden, und daß sie dies war, ist außer +Zweifel, wenngleich der ökonomische Druck, den die italischen Kaufleute und +Bankiers auf die Provinzen übten, noch weit schwerer auf denselben gelastet +haben mag als die Besteuerung mit allen daran hängenden Mißbräuchen. +</p> + +<p> +Fassen wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen zog, +nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den wir jetzt +damit verbinden, sondern vielmehr überwiegend eine den attischen Tributen +vergleichbare Hebung, womit der führende Staat die Kosten des von demselben +übernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus erklärt sich auch die auffallende +Geringfügigkeit des Roh- wie des Reinertrags. Es findet sich eine Angabe, +wonach die römische Einnahme, vermutlich mit Ausschluß der italischen Einkünfte +und des von den Zehntpächtern in Natur nach Italien abgelieferten Getreides, +bis zum Jahr 691 (63) nicht mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. +Taler); also nur zwei Drittel der Summe, die der König von Ägypten jährlich aus +seinem Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das Verhältnis befremden. Die +Ptolemäer beuteten das Niltal aus wie große Plantagenbesitzer und zogen +ungeheure Summen aus dem von ihnen monopolisierten Handelsverkehr mit dem +Orient; das römische Ärar war nicht viel mehr als die Bundeskriegskasse der +unter Roms Schutz geeinigten Gemeinden. Der Reinertrag war wahrscheinlich +verhältnismäßig noch geringer. Einen ansehnlichen Überschuß lieferten wohl nur +Sizilien, wo das karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem Asia, seit +Gaius Gracchus, um seine Getreideverteilung möglich zu machen, daselbst die +Bodenkonfiskation und die allgemeine Domanialbesteuerung durchgesetzt hatte; +nach vielfältigen Zeugnissen ruhten die römischen Staatsfinanzen wesentlich auf +den Abgaben von Asia. Die Versicherung klingt ganz glaublich, daß die übrigen +Provinzen durchschnittlich ungefähr so viel kosteten als sie einbrachten; ja +diejenigen, welche eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide Spanien, +das Jenseitige Gallien, Makedonien, mögen oft mehr gekostet als getragen haben. +Im ganzen blieb dem römischen Ärar allerdings in gewöhnlichen Zeiten ein +Überschuß, welcher es möglich machte, die Staats- und Stadtbauten reichlich zu +bestreiten und einen Notpfennig aufzusammeln; aber auch die für diese Beträge +vorkommenden Ziffern, zusammengehalten mit dem weiten Gebiet der römischen +Herrschaft, sprechen für die Geringfügigkeit des Reinertrags der römischen +Steuern. In gewissem Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verständige +Grundsatz: die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu behandeln, +ebenwie die römisch-italische so auch noch die provinziale Finanzverfassung +beherrscht. Was die römische Gemeinde von ihren überseeischen Untertanen erhob, +ward der Regel nach auch für die militärische Sicherung der überseeischen +Besitzungen wieder verausgabt; und wenn diese römischen Hebungen dadurch die +Pflichtigen schwerer trafen als die ältere Besteuerung, daß sie großenteils im +Ausland verausgabt wurden, so schloß dagegen die Ersetzung der vielen kleinen +Herren und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte +Militärverwaltung eine sehr ansehnliche ökonomische Ersparnis ein. Aber +freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in der +Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstört und durchlöchert +durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich gestattete. Der +hieronisch-karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging weit hinaus über den +Betrag eines jährlichen Kriegsbeitrags. Mit Recht ferner sagt Scipio Aemilianus +bei Cicero, daß es der römischen Bürgerschaft übel anstehe, zugleich den +Gebieter und den Zöllner der Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzölle +war mit dem Grundsatz der uneigennützigen Hegemonie nicht vereinbar, und die +Höhe der Zollsätze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das +Gefühl des hier zugefügten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehört wohl schon +dieser Zeit an, daß der Name des Zöllners den östlichen Völkerschaften +gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Räubers ward; keine Belastung hat +so wie diese dazu beigetragen, den römischen Namen besonders im Osten +widerwärtig und gehässig zu machen. Als dann aber Gaius Gracchus und diejenige +Partei an das Regiment kam, die sich in Rom die populäre nannte, ward die +politische Herrschaft unumwunden für ein Recht erklärt, das jedem der Teilhaber +Anspruch gab auf eine Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in +Bodeneigentum verwandelt, das vollständige Exploitierungssystem nicht bloß +eingeführt, sondern mit unverschämter Offenherzigkeit rechtlich motiviert und +proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, daß dabei eben die beiden am +wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und Asia das härteste Los traf. +</p> + +<p> +Einen ungefähren Messer des römischen Finanzstandes dieser Zeit gewähren in +Ermangelung bestimmter Angaben noch am ersten die öffentlichen Bauten. In den +ersten Dezennien dieser Epoche wurden dieselben in größtem Umfange betrieben, +und vor allem die Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefördert +worden. In Italien schloß sich an die große, vermutlich schon ältere +Südchaussee, die als Verlängerung der Appischen von Rom über Capua, Beneventum, +Venusia nach den Häfen von Tarent und Brundisium lief, eine Seitenstraße an von +Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des Publius Popillius, Konsul 622 +(132). An der Ostküste, wo bisher nur die Strecke von Fanum nach Ariminum als +Teil der Flaminischen Straße chaussiert gewesen war, wurde die Küstenstraße +südwärts bis nach Brundisium, nordwärts über Hatria am Po bis nach Aquileia +verlängert und wenigstens das Stück von Ariminum bis Hatria von dem +ebengenannten Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden großen +etrurischen Chausseen, die Küsten- oder Aurelische Straße von Rom nach Pisa und +Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, und die über Sutrium +und Clusium nach Arretium und Florentia geführte Cassische, die nicht vor 583 +(171) gebaut zu sein scheint, dürften als römische Staatschausseen erst dieser +Zeit angehören. Um Rom selbst bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die +Mulvische Brücke (Ponte Molle), auf der die Flaminische Straße unweit Rom den +Tiber überschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in +Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende +Flaminisch-Ämilische Kunststraße gehabt hatte, wurde im Jahre 606 (148) die +große Postumische Straße gebaut, die von Genua über Dertona, wo wahrscheinlich +gleichzeitig eine Kolonie gegründet ward, weiter über Placentia, wo sie die +Flaminisch-Ämilische Straße aufnahm, Cremona und Verona nach Aquileia führte +und also das Tyrrhenische und das Adriatische Meer miteinander verband; wozu +noch die im Jahre 645 (109) durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte +Verbindung zwischen Luna und Genua hinzukam, welche die Postumische Straße +unmittelbar mit Rom verknüpfte. In einer anderen Weise war Gaius Gracchus für +das italische Wegewesen tätig. Er sicherte die Instandhaltung der großen +Landstraßen, indem er bei der Ackerverteilung längs derselben Grundstücke +anwies, auf denen die Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last +haftete; auf ihn ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission scheint, +wie die Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu bezeichnen, so +auch die der Errichtung von Meilensteinen zurückzugehen; er sorgte endlich für +gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau zu fördern. Aber weit +folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in dieser Epoche beginnende Anlage +von Reichschausseen in den Provinzen: die Domitische Straße stellte nach langen +Vorbereitungen den Landweg von Italien nach Spanien sicher und hing mit der +Gründung von Aquae Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die +Egnatische führten von den Hauptplätzen an der Ostküste des Adriatischen +Meeres, jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland +hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im Jahre +625 (129) von Manius Aquillius angelegte Straßennetz führte von der Hauptstadt +Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an die Reichsgrenze - alles Anlagen, +über deren Entstehung in der trümmerhaften Überlieferung dieser Epoche keine +Angabe zu finden ist, die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der +römischen Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien +unzweifelhaft in Zusammenhang standen und für die Zentralisierung des Staats +und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte von der größten +Bedeutung geworden sind. +</p> + +<p> +Wie für die Straßen war man wenigstens in Italien auch für die großen +Entsumpfungsarbeiten tätig. So ward im Jahre 594 (160) die Trockenlegung der +Pomptinischen Sümpfe, die Lebensfrage für Mittelitalien, mit großem +Kraftaufwand und wenigstens vorübergehendem Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 +(109) in Verbindung mit den norditalischen Chausseebauten zugleich die +Entsumpfung der Niederungen zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt. +Endlich tat die Regierung viel für die zur Gesundheit und Annehmlichkeit der +Hauptstadt ebenso unentbehrlichen wie kostspieligen römischen Wasserleitungen. +Nicht bloß wurden die beiden seit den Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits +bestehenden, die Appische und die Anioleitung, im Jahre 610 (144) von Grund aus +repariert, sondern auch zwei neue Leitungen angelegt: im Jahre 610 (144) die +Marcische, die an Güte und Fülle des Wassers auch später unübertroffen blieb, +und neunzehn Jahre nachher die sogenannte Laue. Welche Operationen die römische +Staatskasse, ohne vom Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels reiner +Barzahlung auszuführen vermochte, zeigt nichts deutlicher als die Art, wie die +Marcische Leitung zustande kam: die dazu erforderliche Summe von 180 Mill. +Sesterzen (in Gold 13½ Mill. Taler) ward innerhalb dreier Jahre disponibel +gemacht und verwandt. Es läßt dies schließen auf eine sehr ansehnliche Reserve +des Staatsschatzes, die denn auch schon im Anfang dieser Periode nahe an 6 +Mill. Taler betrug und ohne Zweifel beständig im Steigen war. +</p> + +<p> +Alle diese Tatsachen zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im +allgemeinen günstigen Stand der römischen Finanzen dieser Zeit schließen. Nur +darf auch in finanzieller Hinsicht nicht übersehen werden, daß die Regierung +während der ersten zwei Drittel dieses Zeitabschnitts zwar glänzende und +großartige Bauten ausführte, aber dafür andere wenigstens ebenso notwendige +Ausgaben zu machen unterließ. Wie ungenügend sie für das Militärwesen sorgte, +ist bereits hervorgehoben worden: in den Grenzlandschaften, ja im Potal +plünderten die Barbaren, im Innern hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, +Italien die Räuberbanden. Die Flotte gar ward völlig vernachlässigt; römische +Kriegsschiffe gab es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die +Untertanenstädte bauen und erhalten ließ, reichten nicht aus, so daß man nicht +bloß schlechterdings keinen Seekrieg zu führen, sondern nicht einmal den +Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst unterblieben eine +Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich die Flußbauten wurden +seltsam vernachlässigt. Immer noch besaß die Hauptstadt keine andere Brücke +über den Tiber als den uralten hölzernen Steg, der über die Tiberinsel nach dem +Ianiculum führte; immer noch ließ man den Tiber jährlich die Straßen unter +Wasser setzen und Häuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne +etwas für die Uferbefestigung zu tun; immer mehr ließ man, wie gewaltig auch +der überseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Reede von +Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den günstigsten Verhältnissen und in +einer Epoche vierzigjährigen Friedens nach außen und innen solche Pflichten +versäumt, kann leicht Steuern schwinden lassen und dennoch einen jährlichen +Überschuß der Einnahme über die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz +erzielen; aber eine derartige Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen +ihrer nur scheinbar glänzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben Vorwürfe +der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten +Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet gegen das +senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden mußten. +</p> + +<p> +Weit schlimmer gestalteten sich natürlich die finanziellen Verhältnisse, als +die Stürme der Revolution hereinbrachen. Die neue und, auch bloß finanziell +betrachtet, höchst drückende Belastung, die dem Staat aus der durch Gaius +Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung erwuchs, den hauptstädtischen Bürgern +das Getreide zu Schleuderpreisen zu verabfolgen, ward allerdings durch die in +der Provinz Asia neu eröffneten Einnahmequellen zunächst wieder ausgeglichen. +Nichtsdestoweniger scheinen die öffentlichen Bauten seitdem fast gänzlich ins +Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die erweislichermaßen von der Schlacht +bei Pydna bis auf Gaius Gracchus angelegten öffentlichen Werke sind, so werden +dagegen aus der Zeit nach 632 (122) kaum andere genannt als die Brücken-, +Straßen und Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645 +(109) anordnete. Es muß dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der +Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge des +gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer mehr zur +Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in der Angabe, daß +der römische Reservefonds seinen höchsten Stand im Jahre 663 (91) erreichte. +Der fürchterliche Insurrektions- und Revolutionssturm in Verbindung mit dem +fünfjährigen Ausbleiben der kleinasiatischen Gefälle war die erste nach dem +Hannibalischen Krieg wieder den römischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie +haben dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den +Unterschied der Zeiten, als daß im Hannibalischen Krieg erst im zehnten +Kriegsjahre, als die Bürgerschaft den Steuern fast erlag, der Sparschatz +angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von Haus aus auf den +Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei Feldzügen derselbe bis auf +den letzten Pfennig ausgegeben war, man lieber die öffentlichen Plätze in der +Hauptstadt versteigerte und die Tempelschätze angriff, als eine Steuer auf die +Bürger ausschrieb. Indes der Sturm, so arg er war, ging vorüber; Sulla stellte, +freilich unter ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen +Revolutionären aufgebürdeten ökonomischen Opfern, die Ordnung in den Finanzen +wieder her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, die asiatischen +Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem Gemeinwesen wenigstens +in dem Sinn einen befriedigenden ökonomischen Zustand, als die ordentlichen +Ausgaben weit unter den ordentlichen Einnahmen blieben. +</p> + +<p> +In der Privatökonomie dieser Zeit tritt kaum ein neues Moment hervor; die +früher dargelegten Vorzüge und Nachteile der sozialen Verhältnisse Italiens +werden nicht verändert, sondern nur weiter und schärfer entwickelt. In der +Bodenwirtschaft sahen wir bereits früher die steigende römische Kapitalmacht +den mittleren und kleinen Grundbesitz in Italien sowohl wie in den Provinzen +allmählich verzehren, wie die Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung +sah nicht bloß zu ohne zu wehren, sondern förderte noch die schädliche +Bodenteilung durch einzelne Maßregeln, vor allem durch das zu Gunsten der +großen italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot der +transalpinischen Wein- und Ölproduktion 5. Zwar wirkten sowohl die Opposition +als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der Konservativen energisch dem +übel entgegen: indem die beiden Gracchen die Aufteilung fast des gesamten +Domaniallandes durchsetzten, gaben sie dem Staat 80000 neue italische Bauern; +indem Sulla 120000 Kolonisten in Italien ansiedelte, ergänzte er wenigstens +einen Teil der von der Revolution und von ihm selbst in die Reihen der +italischen Bauernschaft gerissenen Lücken; allein dem durch stetigen Abfluß +sich leerenden Gefäß ist nicht durch Einschöpfen auch beträchtlicher Massen, +sondern nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche +vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar geschah +nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem Auskaufen durch die +römischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen waren ja bloß Menschen und +keine Partei. Die Folge war, daß mehr und mehr auch die außeritalische +Bodenrente nach Rom floß. Übrigens war die Plantagenwirtschaft, die um die +Mitte dieser Epoche selbst in einzelnen Landschaften Italiens, zum Beispiel in +Etrurien, bereits durchaus überwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen +und rationellen Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher Blüte +gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die Eröffnung +gezwungener Märkte in einem Teil der Provinzen, teils das zum Beispiel in dem +Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot der ausländischen Weine in +Italien auch künstlich förderten, erzielte sehr bedeutende Erfolge; der Amineer +und der Falerner fingen an, neben dem Thasier und Chier genannt zu werden, und +der “Opimische Wein” vom Jahre 633 (121), der römische Elfer, blieb +im Andenken, lange nachdem der letzte Krug geleert war. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor Varro lebenden +römischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5) zusammenhängen, daß der Wein- +und Ölbau sich beständig weiter nach Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluß +wegen Übersetzung der Magonischen Bücher gehört hierher. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Von Gewerben und Fabrikation ist nichts zu sagen, als daß die italische Nation +in dieser Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivität verharrte. Man +zerstörte wohl die korinthischen Fabriken, die Depositare so mancher wertvollen +gewerblichen Tradition, aber nicht um selbst ähnliche Fabriken zu gründen, +sondern um zu Schwindelpreisen zusammenzukaufen, was die griechischen Häuser an +korinthischen Ton- oder Kupfergefäßen und ähnlichen “alten +Arbeiten” bewahrten. Was von Gewerken noch einigermaßen gedieh, wie zum +Beispiel die mit dem Bauwesen zusammenhängenden, trug für das Gemeinwesen +deshalb kaum einen Nutzen, weil auch hier bei jeder größeren Unternehmung die +Sklavenwirtschaft sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die Anlage der +Marcischen Wasserleitung in der Art erfolgte, daß die Regierung mit 3000 +Meistern zugleich Bau- und Lieferungsverträge abschloß, von denen dann jeder +mit seiner Sklavenschar die übernommene Arbeit beschaffte. +</p> + +<p> +Die glänzendste oder vielmehr die allein glänzende Seite der römischen +Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze stehen die +Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein großer, vielleicht der größte +Teil der römischen Staatseinnahmen in die Taschen der römischen Kapitalisten +floß. Der Geldverkehr ferner war im ganzen Umfang des römischen Staats von den +Römern monopolisiert; jeder in Gallien umgesetzte Pfennig, heißt es in einer +bald nach dem Ende dieser Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die +Bücher der römischen Kaufleute, und so war es ohne Zweifel überall. Wie das +Zusammenwirken der rohen ökonomischen Zustände und der rücksichtslosen +Ausnutzung der politischen Übermacht zu Gunsten der Privatinteressen eines +jeden vermögenden Römers eine wucherliche Zinswirtschaft allgemein machte, +zeigt zum Beispiel die Behandlung der von Sulla der Provinz Asia 670 (84) +auferlegten Kriegssteuer, die die römischen Kapitalisten vorschossen; sie +schwoll mit gezahlten und nichtgezahlten Zinsen binnen vierzehn Jahren auf das +Sechsfache ihres ursprünglichen Betrags an. Die Gemeinden mußten ihre +öffentlichen Gebäude, ihre Kunstwerke und Kleinodien, die Eltern ihre +erwachsenen Kinder verkaufen, um dem römischen Gläubiger gerecht zu werden; es +war nichts Seltenes, daß der Schuldner nicht bloß der moralischen Tortur +unterworfen, sondern geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu kam +endlich der Großhandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr beträchtlich. +Jene bestand vornehmlich in Wein und Öl, womit Italien neben Griechenland fast +ausschließlich - die Weinproduktion in der massaliotischen und turdetanischen +Landschaft kann damals nur gering gewesen sein - das gesamte Mittelmeergebiet +versorgte; italischer Wein ging in bedeutenden Quantitäten nach den +Balearischen Inseln und Keltiberien, nach Africa, das nur Acker- und Weideland +war, nach Narbo und in das innere Gallien. Bedeutender noch war die Einfuhr +nach Italien, wo damals aller Luxus sich konzentrierte und die meisten +Luxusartikel, Speisen, Getränke, Stoffe, Schmuck, Bücher, Hausgerät, +Kunstwerke, über See eingeführt wurden. Vor allem aber der Sklavenhandel nahm +infolge der stets steigenden Nachfrage der römischen Kaufleute einen +Aufschwung, dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch nicht gekannt hatte und +der mit dem Aufblühen der Piraterie im engsten Zusammenhang steht; alle Länder +und alle Nationen wurden dafür in Kontribution gesetzt, die Hauptfangplätze +aber waren Syrien und das innere Kleinasien. In Italien konzentrierte die +überseeische Einfuhr sich vorzugsweise in den beiden großen Emporien am +Tyrrhenischen Meer, Ostia und Puteoli. Nach Ostia, dessen Reede wenig taugte, +das aber, als der nächste Hafen an Rom, für weniger werthafte Waren der +geeignetste Stapelplatz war, zog sich die für die Hauptstadt bestimmte +Korneinfuhr, dagegen der Luxushandel mit dem Osten überwiegend nach Puteoli, +das durch seinen guten Hafen für Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl und +in der mehr und mehr mit Landhäusern sich füllenden Gegend von Baiae den +Kaufleuten einen dem hauptstädtischen wenig nachstehenden Markt in nächster +Nähe darbot. Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr durch Korinth und nach +dessen Vernichtung durch Delos vermittelt, wie denn in diesem Sinne Puteoli bei +Lucilius das italische “Klein-Delos” heißt; nach der Katastrophe +aber, die Delos im Mithradatischen Kriege betraf, und von der es sich nicht +wieder erholt hat, knüpften die Puteolaner direkte Handelsverbindungen mit +Syrien und Alexandreia an und entwickelte damit ihre Stadt immer entschiedener +sich zu dem ersten überseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloß der +Gewinn, der bei der italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich +den Italikern zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel mit den +Massalioten, und überhaupt leidet es keinen Zweifel, daß die überall +fluktuierend oder ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den besten +Teil aller Spekulationen für sich nahm. +</p> + +<p> +Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den +hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der politischen +ebenbürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der römischen Kapitalisten. +In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente fast des ganzen Italiens und der +besten Stücke des Provinzialgebiets, die wucherliche Rente des von ihnen +monopolisierten Kapitals, der Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in +Form der Pachtnutzung ein sehr beträchtlicher Teil der römischen +Staatseinkünfte. Die immer zunehmende Anhäufung der Kapitalien zeigt sich in +dem Steigen des Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 +Taler) war jetzt ein mäßiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein +anständiges Rittervermögen; das Vermögen des reichsten Mannes der Gracchischen +Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 Mill. Sesterzen +(7½Mill. Taler) geschätzt. Es ist kein Wunder, wenn dieser Kapitalistenstand +die äußere Politik vorwiegend bestimmt, wenn er aus Handelsrivalität Karthago +und Korinth zerstört, wie einst die Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere +zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz die Gründung von Narbo aufrecht erhält. +Es ist ebenfalls kein Wunder, wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren +Politik der Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz +macht. Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die +Spitze empörter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft daran +erinnert, daß aus dem eleganten Bordell der Übergang zu der Räuberhöhle leicht +gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder finanzielle Babelturm mit seiner +nicht rein ökonomischen, sondern der politischen Übermacht Roms entlehnten +Grundlage bei jeder ernsten politischen Krise ungefähr in derselben Art +schwankt wie unser sehr ähnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, +die im Verfolg der italisch-asiatischen Bewegungen 664f. (90) über den +römischen Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und der +Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstücke und der Gesellschaftsparten +können wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; wohl aber lassen im allgemeinen +keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung +des Gerichtsherrn durch einen Gläubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von +Schulden freien Senatoren aus dem Senat zu stoßen, die Erneuerung des +Zinsmaximum durch Sulla, die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch +die revolutionäre Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natürlich in den +Provinzen allgemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische +Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im Steigen war. +In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen italischer Abkunft umgekommen +sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos waren, beweisen die noch auf der Insel +vorhandenen Denksteine und die Angabe, daß hier 20000 Fremde, meistens +italische Kaufleute, auf Mithradates’ Befehl getötet wurden. In Afrika +waren der Italiker so viele, daß sogar die numidische Stadt Cirta hauptsächlich +durch sie gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heißt es, war +angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien finden sich, vielleicht +nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst ist dagegen der +Stand der freien Bevölkerung in dieser Epoche ohne Zweifel im ganzen +zurückgegangen. Allerdings haben die Bürgerkriege hierzu wesentlich mitgewirkt, +welche nach allgemeingehaltenen und freilich wenig zuverlässigen Angaben 100000 +bis 150000 Köpfe von der römischen Bürgerschaft, 300000 von der italischen +Bevölkerung überhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der +ökonomische Ruin des Mittelstandes und die maßlose Ausdehnung der +kaufmännischen Emigration, die einen großen Teil der italischen Jugend während +ihrer kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlaßte. Einen Ersatz sehr +zweifelhaften Wertes gewährte dafür die freie parasitische +hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als königliche oder +Gemeindediplomaten, als Ärzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente, Schmarotzer und +in den tausendfachen Ämtern der Industrieritter- und Gaunerschaft in der +Hauptstadt, als Händler und Schiffer namentlich in Ostia, Puteoli und +Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das unverhältnismäßige Steigen der +Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die italische Bürgerschaft zählte nach der +Schätzung des Jahres 684 (70) 910000 waffenfähige Männer, wobei, um den Betrag +der freien Bevölkerung auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schätzung +zufällig übergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den Alpen und dem +Po und die in Italien domizilierten Ausländer, hinzu-, die auswärts +domizilierten römischen Bürger dagegen abzurechnen sind. Es wird demnach kaum +möglich sein, die freie Bevölkerung der Halbinsel höher als auf 6 bis 7 Mill. +Köpfe anzusetzen. Wenn die damalige Gesamtbevölkerung derselben der +gegenwärtigen gleichkam, so hätte man danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 +Mill. Köpfen anzunehmen. Es bedarf indes solcher trüglichen Berechnungen nicht, +um die gefährliche Spannung dieser Verhältnisse anschaulich zu machen; laut +genug reden die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der +Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an die +Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit sich zu +erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords, seinen Squires und +vor allem seiner City, aber die Freeholders und Pächter in Proletarier, die +Arbeiter und Matrosen in Sklaven verwandelt, so wird man ein ungefähres Bild +der damaligen Bevölkerung der italischen Halbinsel gewinnen. +</p> + +<p> +Wie im klaren Spiegel liegen die ökonomischen Verhältnisse dieser Epoche noch +heute uns vor in dem römischen Münzwesen. Die Behandlung desselben zeigt +durchaus den einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit standen Gold und Silber +als allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so daß zwar zum Zweck allgemeiner +Kassebilanzen ein festes Wertverhältnis zwischen beiden Metallen gesetzlich +normiert war, aber doch regelmäßig es nicht freistand, ein Metall für das +andere zu geben, sondern je nach dem Inhalt der Verschreibung in Gold oder +Silber zu zahlen war. Auf diesem Wege wurden die großen Übelstände vermieden, +die sonst an die Aufstellung eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich +knüpfen; die starken Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge +der Entdeckung der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal in +Italien um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt auf die +Silbermünze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der Sache, daß, je +mehr der überseeische Verkehr sich ausdehnte, desto entschiedener das Gold aus +der zweiten in die erste Stelle eintrat, was denn auch die Angaben über die +Staatskassenbestände und die Staatskassengeschäfte bestätigen; aber die +Regierung ließ sich dadurch nicht bewegen, das Gold auch in die Münze +einzuführen. Die in der Not des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man +längst wieder fallen lassen; die wenigen Goldstücke, die Sulla als Regent +schlug, sind kaum mehr gewesen als Gelegenheitsmünze für seine +Triumphalgeschenke. Nach wie vor zirkulierte als wirkliche Münze ausschließlich +das Silber; das Gold ward, mochte es nun, wie gewöhnlich, in Barren umlaufen +oder ausländisches oder allenfalls auch inländisches Gepräge tragen, lediglich +nach dem Gewicht genommen. Dennoch standen Gold und Silber als Verkehrsmittel +gleich, und die betrügliche Legierung des Goldes wurde gleich der Prägung +falscher Silbermünzen rechtlich als Münzvergehen betrachtet. Man erreichte +hierdurch den unermeßlichen Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel selbst die +Möglichkeit der Münzdefraude und Münzveruntreuung abzuschneiden. übrigens war +die Münzprägung ebenso reichlich wie musterhaft. Nachdem im Hannibalischen +Kriege das Silberstück von 1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, ist +dasselbe mehr als drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich schwer und +gleich fein geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die Kupfermünze wurde +um den Anfang dieser Periode völlig zur Scheidemünze und hörte auf, wie früher, +im Großverkehr gebraucht zu werden; aus diesem Grunde wurde etwa seit dem +Anfang des siebenten Jahrhunderts der As nicht mehr geschlagen und die +Kupferprägung beschränkt auf die im Silber nicht füglich herzustellenden +Kleinwerte von einem Semis (fast 3 Pfennig) und darunter. Die Münzsorten waren +nach einem einfachen Prinzip geordnet und in der damals kleinsten Münze +gewöhnlicher Prägung, dem Quadrans (1½ Pfennig), hinabgeführt bis an die Grenze +der fühlbaren Werte. Es war ein Münzsystem, das an prinzipieller Verständigkeit +der Grundlagen wie an eisern strenger Durchführung derselben im Altertum einzig +dasteht und auch in der neueren Zeit nur selten erreicht worden ist. Doch hat +auch dies seinen wunden Fleck. Nach einer im ganzen Altertum gemeinen, in ihrer +höchsten Entwicklung in Karthago auftretenden Sitte gab auch die römische +Regierung mit den guten silbernen Denaren zugleich kupferne, mit Silber +plattierte aus, welche gleich jenen genommen werden mußten und nichts waren als +ein unserem Papiergeld analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung auf +die Staatskasse, insofern auch diese nicht befugt war, die plattierten Stücke +zurückzuweisen. Eine offizielle Falschmünzerei war dies so wenig wie unsere +Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz offen betrieb: Marcus Drusus +beantragte 663 (91), um die Mittel für seine Kornspenden zu gewinnen, die +Emission von einem plattierten auf je sieben silberne, neu aus der Münze +hervorgehende Denare; allein nichtsdestoweniger bot diese Maßregel nicht bloß +der privaten Falschmünzerei eine bedenkliche Handhabe, sondern sie ließ auch +das Publikum absichtlich darüber im ungewissen, ob es Silber- oder Zeichengeld +empfange und in welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf sei. In der +bedrängten Zeit des Bürgerkrieges und der großen finanziellen Krise scheint man +der Planierung sich so über die Gebühr bedient zu haben, daß zu der Finanzkrise +eine Münzkrise sich gesellte und die Masse der falschen und faktisch +entwerteten Stücke den Verkehr höchst unsicher machte. Deshalb wurde während +des Cinnanischen Regiments von den Prätoren und Tribunen, zunächst von Marcus +Marius Gratidianus, die Einlösung des sämtlichen Zeichengeldes durch Silbergeld +verfügt und zu dem Ende ein Probierbüro eingerichtet. Inwieweit die Aufrufung +durchgeführt ward, ist nicht überliefert; die Zeichengeldprägung selbst blieb +bestehen. +</p> + +<p> +Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemäßheit der grundsätzlichen Beseitigung +der Goldmünze die Goldprägung nirgends, auch in den Klientelstaaten nicht +gestattet; so daß die Goldprägung in dieser Zeit nur vorkommt, wo Rom gar +nichts zu sagen hatte, namentlich bei den Kelten nordwärts von den Cevennen und +bei den gegen Rom sich auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie +auch Mithradates Eupator Goldmünzen schlugen. Auch die Silberprägung zeigt die +Regierung sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, vornehmlich im +Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische Gold- und Silbermünze auch +nach dem Sturz des karthagischen Staats im Umlauf geblieben sein; aber +geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen weder auf karthagischen noch auf +römischen Fuß, und sicher hat sehr bald nach der Besitzergreifung der Römer +auch in dem Verkehr beider Landschaften der von Italien eingeführte Denar das +Übergewicht erhalten. In Spanien und Sizilien, die früher an Rom gekommen sind +und überhaupt eine mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter römischer +Herrschaft in Silber geprägt, ja in dem ersteren Lande die Silberprägung erst +durch die Römer und auf römischen Fuß ins Leben gerufen worden; aber es sind +gute Gründe vorhanden für die Annahme, daß auch in diesen beiden Landschaften +wenigstens seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts die provinziale und +städtische Prägung sich auf die kupferne Scheidemünze hat beschränken müssen. +Nur im Narbonesischen Gallien konnte der altverbündeten und ansehnlichen +Freistadt Massalia das Recht der Silberprägung nicht entzogen werden; und +dasselbe gilt vermutlich von den illyrischen Griechenstädten Apollonia und +Dyrrhachion. Indes beschränkte man doch diesen Gemeinden indirekt ihr Münzrecht +dadurch, daß der Dreivierteldenar, der nach Anordnung der römischen Regierung +dort wie hier geprägt ward und der unter dem Namen des Victoriatus in das +römische Münzsystem aufgenommen worden war, um die Mitte des 7. Jahrhunderts in +diesem beseitigt ward; wovon die Folge sein mußte, daß das massaliotische und +illyrische Courant aus Oberitalien verdrängt wurde und außer seinem +einheimischen Gebiete nur noch etwa in den Alpen- und Donaulandschaften gangbar +blieb. So weit war man also bereits in dieser Epoche, daß in der gesamten +Westhälfte des römischen Staates der Denarfuß ausschließlich herrschte: denn +Italien, Sizilien - von dem es für den Anfang der nächsten Epoche ausdrücklich +bezeugt ist, daß daselbst kein anderes Silbergeld umlief als der Denar -, +Sardinien, Afrika brauchten ausschließlich römisches Silbergeld, und das in +Spanien noch umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermünze der Massalioten +und Illyriker war wenigstens auf Denarfuß geschlagen. Anders war es im Osten. +Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit münzenden Staaten und die Masse der +umlaufenden Landesmünze sehr ansehnlich war, drang der Denar nicht in größerem +Umfang ein, wenn er auch vielleicht gesetzlich gangbar erklärt ward: vielmehr +blieb hier entweder der bisherige Münzfuß, wie zum Beispiel Makedonien noch als +Provinz, wenn auch teilweise mit Hinzufügung der Namen von römischen Beamten zu +dem der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiß +wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter römischer +Autorität ein den Verhältnissen entsprechender eigentümlicher Münzfuß neu +eingeführt, wie denn bei der Einrichtung der Provinz Asia derselben ein neuer +Stater, der sogenannte Cistophorus, von der römischen Regierung geordnet und +dieser seitdem von den Bezirkshauptstädten daselbst unter römischer +Oberaufsicht geschlagen ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des +okzidentalischen und des orientalischen Münzwesens ist von der größten +geschichtlichen Bedeutung geworden: die Romanisierung der unterworfenen Länder +hat in der Annahme der römischen Münze einen ihrer wichtigsten Hebel gefunden, +und es ist kein Zufall, daß dasjenige, was wir in dieser Epoche als Gebiet des +Denars bezeichnet haben, späterhin zu der lateinischen, dagegen das Gebiet der +Drachme späterhin zu der griechischen Reichshälfte geworden ist. Noch +heutigentags stellt jenes Gebiet im wesentlichen den Inbegriff der romanischen +Kultur dar, während dieses dagegen aus der europäischen Zivilisation sich +ausgeschieden hat. +</p> + +<p> +Wie bei solchen ökonomischen Zuständen die sozialen Verhältnisse sich gestalten +mußten, ist im allgemeinen leicht zu ermessen, die Steigerung aber des +Raffinements, der Preise, des Ekels und der Leere im besonderen zu verfolgen +weder erfreulich noch lehrreich. Verschwendung und sinnlicher Genuß war die +Losung überall, bei den Parvenus so gut wie bei den Liciniern und Metellern; +nicht der feine Luxus gedieh, der die Blüte der Zivilisation ist, sondern +derjenige, der in der verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens und +Alexandreias sich entwickelt hatte, der alles Schöne und Bedeutende zur +Dekoration entadelte und auf den Genuß studierte mit einer mühseligen +Pedanterie, einer zopfigen Tüftelei, die ihn dem sinnlich wie dem geistig +frischen Menschen gleich ekelhaft macht. Was die Volksfeste anlangt, so wurde, +es scheint um die Mitte dieses Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus Aufidius +beantragten Bürgerschluß die in der catonischen Zeit untersagte Einfuhr +überseeischer Bestien förmlich wieder gestattet, wodurch denn die Tierhetzen in +schwunghaften Betrieb kamen und ein Hauptstück der Bürgerfeste wurden. Um 651 +(103) erschienen in der römischen Arena zuerst mehrere Löwen, 655 (99) die +ersten Elefanten; 661 (93) ließ Sulla als Prätor schon hundert Löwen auftreten. +Dasselbe gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die Bilder großer +Schlachten öffentlich ausgestellt hatten, so fingen die Enkel an, dasselbe von +ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen Haupt- und Staatsaktionen der +Zeit sich selber vor den Nachkommen zu verspotten. Welche Summen dafür und für +die Begräbnisfeierlichkeiten überhaupt aufgingen, kann man aus dem Testament +des Marcus Aemilius Lepidus (Konsul 567, 579 187, 175; † 592 152) abnehmen; +derselbe befahl seinen Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem +Gepränge, sondern in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste +bestehe, auf seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 Taler) zu +verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das prachtvolle und +namentlich wegen der alten Bäume des Gartens berühmte Stadthaus des Redners +Crassus († 663 91) ward mit den Bäumen auf 6 Mill. Sesterzen (457000 Taler), +ohne diese auf die Hälfte geschätzt, während der Wert eines gewöhnlichen +Wohnhauses in Rom etwa auf 60000 Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden +kann 6. Wie rasch die Preise der Luxusgrundstücke stiegen, zeigt das Beispiel +der Misenischen Villa, die Cornelia, die Mutter der Gracchen, für 75000 +Sesterzen (5700 Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den +dreiunddreißigfachen Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- +und Badeleben machten Baiae und überhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum +Eldorado des vornehmen Müßiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es keineswegs +mehr, wie bei dem italischen Knöchelspiel, um Nüsse ging, wurden gemein und +schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen erlassen. Gazestoffe, die die +Formen mehr zeigten als verhüllten, und seidene Kleider fingen an, bei Frauen +und selbst bei Männern die alten wollenen Röcke zu verdrängen. Gegen die +rasende Verschwendung, die mit ausländischen Parfümerien getrieben ward, +stemmten sich vergeblich die Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und +Brennpunkt dieses vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise +- bis 100000 Sesterzen (7600 Taler) - für einen ausgesuchten Koch; man baute +mit Rücksicht darauf und versah namentlich die Landhäuser an der Küste mit +eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit frisch auf die +Tafel liefern zu können; man nannte es schon ein elendes Diner, wenn das +Geflügel ganz und nicht bloß die erlesenen Stücke den Gästen vorgelegt wurden +und wenn diesen zugemutet ward, von den einzelnen Gerichten zu essen und nicht +bloß zu kosten; man bezog für schweres Geld ausländische Delikatessen und +griechischen Wein, der bei jeder anständigen Mahlzeit wenigstens einmal +herumgereicht werden mußte. Vor allem bei der Tafel glänzte die Schar der +Luxussklaven, die Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die +goldstrotzenden oder gemäldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das +antike Bronzegerät, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunächst richteten +sich die Luxusgesetze, die häufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89, 82) und +ausführlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und Weine wurden darin +gänzlich untersagt, für andere nach Gewicht und Preis ein Maximum festgesetzt, +ebenso die Quantität des silbernen Tafelgeschirrs gesetzlich beschränkt, +endlich allgemeine Maximalbeträge der Kosten der gewöhnlichen und der +Festtagsmahlzeit vorgeschrieben, zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17½ +Groschen und 5½ Taler), 673 (81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen +und 17 Taler). Zur Steuer der Wahrheit muß leider hinzugefügt werden, daß von +allen vornehmen Römern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die Gesetzgeber +selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen; auch diesen dreien aber +beschnitt nicht das Gesetz des Staates den Küchenzettel, sondern das der Stoa. +Es lohnt der Mühe, einen Augenblick noch bei dem trotz all dieser Gesetze +steigenden Luxus im Silbergerät zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war +silbernes Tafelgeschirr mit Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses +eine Ausnahme; die karthagischen Gesandtschaften spotteten darüber, daß sie in +jedem Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne Tafelgerät wiedergefunden +hätten. Noch Scipio Aemilianus besaß nicht mehr als 32 Pfund (800 Taler) an +verarbeitetem Silber; sein Neffe Quintus Fabius (Konsul 633 121) brachte es +zuerst auf 1000 (25 000 Taler), Marcus Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf +10000 Pfund (250000 Taler); in Sullas Zeit zählte man in der Hauptstadt bereits +gegen 150 hundertpfündige silberne Prachtschüsseln, von denen manche ihren +Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfür verschwendeten +Summen zu ermessen, muß man sich erinnern, daß auch die Arbeit schon mit +ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn für ausgezeichnetes Silbergerät Gaius +Gracchus den fünfzehn-, Lucius Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen +Metallwert bezahlte, der letztere für ein Becherpaar eines namhaften +Silberarbeiters 100 000 Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhältnismäßig +überall. +</p> + +<p> +Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen +Ackergesetze, die zuerst darauf eine Prämie setzten. Die Scheidung, einst in +Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereignis; wenn bei der ältesten +römischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so hätte man den jetzigen +vornehmen Römern vorschlagen mögen, um zu der Sache auch den Namen zu haben, +eine Ehemiete einzuführen. Selbst ein Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch +seine ehrenwerte Häuslichkeit und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung +seiner Zeitgenossen war, schärfte als Zensor 623 (131) den Bürgern die Pflicht, +im Ehestande zu leben, in der Art ein, daß er denselben bezeichnete als eine +drückende, aber von den Patrioten pflichtmäßig zu übernehmende öffentliche +Last. 7 +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +6 In dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er für das +Erdgeschoß 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen Miete (Plut. Sull. +1), was zu 2/3 des gewöhnlichen Kapitalzinses kapitalisiert, ungefähr den +obigen Betrag ergibt. Dies war eine wohlfeile Wohnung. Wenn ein +hauptstädtischer Mietzins von 6000 Sesterzen (460 Taler) für das Jahr 629 (125) +ein hoher genannt wird (Vell. 1, 10), so müssen dabei besondere Umstände +obgewaltet haben. +</p> + +<p> +7 “Wenn wir könnten, ihr Bürger”, hieß es in seiner Rede, würden +wir freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so +eingerichtet hat, daß weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne die Frauen +überhaupt sich leben läßt, so ziemt es sich auf dauernde Wohlfahrt mehr zu +sehen als auf kurzes Wohlleben.” +</p> + +<p> +——————————————————— +</p> + +<p> +Allerdings gab es Ausnahmen. Die landstädtischen Kreise, namentlich die der +größeren Gutsbesitzer, hatten die alte ehrenwerte latinische Nationalsitte +treuer bewahrt. In der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase +geworden; die moderne Richtung herrschte souverän und, wenn auch einzelne fest +und fein organisierte Naturen, wie Scipio Aemilianus, römische Sitte mit +attischer Bildung zu vereinigen wußten, war doch bei der großen Menge der +Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sittlicher Verderbnis. Den +Rückschlag dieser sozialen Übelstände auf die politischen Verhältnisse darf man +niemals aus den Augen verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen +will. Es war nicht gleichgültig, daß von den beiden vornehmen Männern, die im +Jahre 662 (92) als oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der eine dem +andern öffentlich vorrückte, daß er einer Muräne, dem Stolz seines Fischteichs, +bei ihrem Tode Tränen nachgeweint habe, und dieser wieder jenem, daß er drei +Frauen begraben und um keine eine Träne geweint habe. Es war nicht +gleichgültig, daß im Jahre 593 (161) auf offenem Markt ein Redner folgende +Schilderung eines senatorischen Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den +der angesetzte Termin in dem Kreise seiner Zechbrüder findet. “Sie +spielen Hasard, fein parfümiert, die Mätressen um sie herum. Wie der Nachmittag +herankommt, lassen sie den Bedienten kommen und heißen ihn auf der Dingstätte +sich umhören, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer für und wer gegen den +neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafür, welche dagegen +gestimmt hätten. Endlich gehen sie selbst auf den Gerichtsplatz, eben früh +genug, um sich den Prozeß nicht selbst auf den Hals zu ziehen. Unterwegs ist in +keinem Winkelgäßchen eine Gelegenheit, die sie nicht benutzen, denn sie haben +sich den Leib voll Wein geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstätte +und geben den Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der +Geschworene heißt die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie er +zurückkommt, erklärt er alles gehört zu haben und fordert die Urkunden. Ersieht +hinein in die Schriften; kaum hält er vor Wein die Augen auf. Wie er sich dann +zurückzieht, das Urteil auszufüllen, läßt er zu seinen Zechbrüdern sich +vernehmen: ‘Was gehen mich die langweiligen Leute an? Warum gehen wir +nicht lieber einen Becher Süßen mit griechischem Wein trinken und essen dazu +einen fetten Krammetsvogel und einen guten Fisch, einen veritablen Hecht von +der Tiberinsel?’” Die den Redner hörten, lachten; aber war es nicht +auch sehr ernsthaft, daß dergleichen Dinge belacht wurden? +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap12"></a>KAPITEL XII.<br/> +Nationalität, Religion, Erziehung</h2> + +<p> +In dem großen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des weiten Umfangs des +Römischen Reiches erscheinen die sekundären Nationen in dieser Zeit im +Zurückweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste unter allen, die +phönikische, empfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde, an der sie +sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die ihre alte Sprache +und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien und Samnium, wurden nicht +bloß von den schwersten Schlägen der Sullanischen Reaktion getroffen, sondern +die politische Nivellierung Italiens nötigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr +die lateinische Sprache und Weise auf und drückte die alten Landessprachen +herab zu rasch verkümmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen +Umfange des römischen Staates eine Nationalität als befugt, mit der römischen +und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie intensiv die +latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie seit dem +Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem Italiker zu vollem +römischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott römische Gabe empfangen +kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der transpadanischen Landschaft seitdem +das römische Recht mit Beseitigung aller anderen Stadt- und Landrechte +ausschließlich gilt: so ist damals die römische Sprache auch die allgemeine +Geschäfts- und bald gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs +auf der ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie +beschränkte sich schon nicht mehr auf diese natürlichen Grenzen. Die in Italien +zusammenströmende Kapitalmasse, der Reichtum seiner Produkte, die Intelligenz +seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner Kaufleute fand keinen hinreichenden +Spielraum auf der Halbinsel; hierdurch und durch den öffentlichen Dienst wurden +die Italiker massenweise in die Provinzen geführt. Ihre privilegierte Stellung +daselbst privilegierte auch die römische Sprache und das römische Recht, selbst +wo nicht bloß Römer miteinander verkehrten; überall standen die Italiker +zusammen als festgeschlossene und organisierte Massen, die Soldaten in ihren +Legionen, die Kaufleute jeder größeren Stadt als eigene Korporationen, die in +dem einzelnen provinzialen Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden +römischen Bürger als “Kreise” (conventus civium Romanorum) mit +ihrer eigenen Geschworenenliste und gewissermaßen mit Gemeindeverfassung; und +wenn auch diese provinzialen Römer regelmäßig früher oder später nach Italien +zurückgingen, so bildete sich dennoch allmählich aus ihnen der Stamm einer +festen, teils römischen, teils an die römische sich anlehnenden +Mischbevölkerung der Provinzen. Daß in Spanien, wo das römische Heer zuerst +stehend ward, auch zuerst eigene Provinzialstädte italischer Verfassung, +Carteia 583 (171), Valentia 616 (133), später Palma und Pollentia organisiert +worden sind, ward bereits erwähnt. Wenn das Binnenland noch wenig zivilisiert +war, das Gebiet der Vaccäer zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den +rauhesten und widerwärtigsten Aufenthaltsorten für den gebildeten Italiker +genannt wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, daß schon +um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und sonst an der Küste +die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In bewußter Weise entwickelte +zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die Provinzen des römischen Staats durch +die italische Emigration zu kolonisieren, das heißt zu romanisieren, und legte +Hand an die Ausführung desselben; und obgleich die konservative Opposition +gegen den kühnen Entwurf sich auflehnte, die gemachten Anfänge größtenteils +zerstörte und die Fortführung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo erhalten, +schon an sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen Sprachgebiets und +noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines großen Gedankens, der +Grundstein eines gewaltigen künftigen Baues. Der antike Gallizismus, ja das +heutige Franzosentum sind von dort ausgegangen und in ihrem letzten Grunde +Schöpfungen des Gaius Gracchus. Aber die latinische Nationalität erfüllte nicht +bloß die italischen Grenzen und fing an sie zu überschreiten, sondern sie +gelangte auch in sich zu tieferer geistiger Begründung. Wir finden sie im Zuge, +eine klassische Literatur, einen eigenen höheren Unterricht sich zu schaffen; +und wenn man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und der hellenischen +Bildung sich versucht fühlen kann, die schwächliche italische +Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch für die geschichtliche +Entwicklung zunächst weit weniger darauf an, wie die lateinische klassische +Literatur und die lateinische Bildung, als darauf, daß sie neben der +griechischen stand; und herabgekommen wie die gleichzeitigen Hellenen auch +literarisch waren, durfte man wohl das Wort des Dichters auch hier anwenden, +daß der lebendige Tagelöhner mehr ist als der tote Achill. +</p> + +<p> +Wie rasch und ungestüm aber die lateinische Sprache und Nationalität vorwärts +dringt, sie erkennt zugleich die hellenische an als durchaus gleich, ja früher +und besser berechtigt und tritt mit dieser überall in das engste Bündnis oder +durchdringt sich mit ihr zu gemeinschaftlicher Entwicklung. Die italische +Revolution, die sonst alle nichtlatinischen Nationalitäten auf der Halbinsel +nivellierte, rührte nicht an die Griechenstädte Tarent, Rhegion, Neapolis, +Lokri. Ebenso blieb Massalia, obwohl jetzt umschlossen von römischem Gebiet, +fortwährend eine griechische Stadt und eben als solche fest verbunden mit Rom. +Mit der vollständigen Latinisierung Italiens ging die steigende Hellenisierung +Hand in Hand. In den höheren Schichten der italischen Gesellschaft wurde die +griechische Bildung zum integrierenden Bestandteil der eigenen. Der Konsul des +Jahres 623 (131), der Oberpontifex Publius Crassus, erregte des Staunen selbst +der geborenen Griechen, da er als Statthalter von Asia seine gerichtlichen +Entscheidungen, wie der Fall es erforderte, bald in gewöhnlichem Griechisch +abgab, bald in einem der vier zu Schriftsprachen gewordenen Dialekte. Und wenn +die italische Literatur und Kunst längst unverwandt nach Osten blickten, so +begann jetzt auch die hellenische das Antlitz nach Westen zu wenden. Nicht bloß +die griechischen Städte in Italien blieben fortwährend zu regem geistigen +Verkehr mit Griechenland, Kleinasien, Ägypten und gönnten den dort gefeierten +griechischen Poeten und Schauspielern auch bei sich den gleichen Verdienst und +die gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem von dem Zerstörer Korinths bei +seinem Triumph 608 (146) gegebenen Beispiel, die gymnastischen und musischen +Spiele der Griechen: Wettkämpfe im Ringen sowie im Musizieren, Spielen, +Rezitieren und Deklamieren in Aufnahme ^1. Die griechischen Literaten schlugen +schon ihre Fäden bis in die vornehme römische Gesellschaft, vor allem in den +Scipionischen Kreis, dessen hervorragende griechische Mitglieder, der +Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios, bereits mehr der römischen +als der griechischen Entwicklungsgeschichte angehören. Aber auch in anderen, +minderhochstehenden Zirkeln begegnen ähnliche Beziehungen. Wir gedenken eines +anderen Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil in seinem +Leben zugleich die gewaltige Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge +tritt: ein geborener Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Karneades und +später dessen Nachfolger in seiner Professur, verkehrte er von Athen aus mit +den gebildetsten Männern Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter +Lucilius, und widmete teils dem römischen Konsul, der die Belagerung Karthagos +eröffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, teils seinen als +Sklaven nach Italien geführten Mitbürgern eine philosophische Trostschrift. +Hatten namhafte griechische Literaten bisher wohl vorübergehend als Gesandte, +Verbannte oder sonstwie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt +schon an, dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon genannte +Panätios in Scipios Hause lebte, und der Hexametermacher Archias von Antiocheia +im Jahre 652 (102) sich in Rom niederließ und von der Improvisierkunst und von +Heldengedichten auf römische Konsulare sich anständig ernährte. Sogar Gaius +Marius, der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und überhaupt zum +Mäzen möglichst übel sich schickte, konnte nicht umhin, den Verskünstler zu +patronisieren. Während also das geistige und literarische Leben wenn nicht die +reineren, doch die vornehmeren Elemente der beiden Nationen miteinander in +Verbindung brachte, flossen andererseits durch das massenhafte Eindringen der +kleinasiatischen und syrischen Sklavenscharen und durch die kaufmännische +Einwanderung aus dem griechischen und halbgriechischen Osten die rohesten und +stark mit orientalischen und überhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten +Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und gaben +auch diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung Ciceros, daß neue Sprache +und neue Weise zuerst in den Seestädten aufkommt, dürfte zunächst auf das +halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium sich beziehen, wo mit +der fremden Ware auch die fremde Sitte zuerst Eingang und von da aus weiteren +Vertrieb fand. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Daß vor 608 (146) keine “griechischen Spiele” in Rom gegeben +seien (Tac. ann. 14, 21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische +“Künstler” (τεχνίται) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) +griechische Flötenspieler, Tragöden und Faustkämpfer auf (Polyb. 30, 13). +</p> + +<p> +————————————————————————— +</p> + +<p> +Das unmittelbare Resultat dieser vollständigen Revolution in den +Nationalitätsverhältnissen war allerdings nichts weniger als erfreulich. +Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phönikern, Juden, Ägyptern, die +Provinzen von Römern; die scharf ausgeprägten Volkstümlichkeiten rieben sich +überall aneinander und verschliffen sich zusehends; es schien nichts +übrigbleiben zu sollen als der allgemeine Charakter der Vernutzung. Was das +lateinische Wesen an Ausdehnung gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom +selbst, wo der Mittelstand am frühesten und vollständigsten verschwand und +nichts übrig blieb als die großen Herren und die Bettler, beide in gleichem +Maße Kosmopoliten. Cicero versichert, daß um 660 (190) die allgemeine Bildung +in den launischen Städten höher gestanden habe als in Rom; dies bestätigt die +Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, gesundeste und eigentümlichste +Erzeugnisse, wie die nationale Komödie und die Lucilische Satire, mit größerem +Recht latinisch heißen als römisch. Daß der italische Hellenismus der unteren +Schichten in der Tat nichts war als ein zugleich mit allen Auswüchsen der +Kultur und mit oberflächlich übertünchter Barbarei behafteter widerwärtiger +Kosmopolitismus, versteht sich von selbst; aber auch für die bessere +Gesellschaft blieb der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf die Dauer +maßgebend. Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich für das griechische +Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff sie statt zu der klassischen +Literatur vielmehr zu den modernsten und frivolsten Erzeugnissen des +griechischen Geistes; statt im hellenischen Sinn das römische Wesen zu +gestalten, begnügte man sich mit Entlehnung desjenigen Zeitvertreibs, der den +eigenen Geist möglichst wenig in Tätigkeit setzte. In diesem Sinn äußerte der +arpinatische Gutsbesitzer Marcus Cicero, der Vater des Redners, daß der Römer, +wie der syrische Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch +verstehe. +</p> + +<p> +Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze Zeit, aber auch +wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Völkerkreis, den wir die alte Welt zu +nennen gewohnt sind, schreitet fort von der äußerlichen Einigung unter der +Machtgewalt Roms zu der inneren unter der Herrschaft der modernen, wesentlich +auf hellenischen Elementen ruhenden Bildung. Über den Trümmern der +Völkerschaften zweiten Ranges vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden +Nationen stillschweigend der große geschichtliche Kompromiß; die griechische +und die lateinische Nationalität schließen miteinander Frieden. Auf dem Gebiete +der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die Römer auf ihre +exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem Latein eine freilich +beschränkte und unvollständige Gleichstellung mit dem Griechischen eingeräumt; +andererseits gestattet zuerst Sulla den fremden Gesandten, vor dem römischen +Senat ohne Dolmetscher griechisch zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das +römische Gemeinwesen in einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte +Erbe des Thrones und der Gedanken Alexanders des Großen im Westen aufstehen +wird, zugleich ein Römer und ein Grieche. +</p> + +<p> +Was schon der Überblick der nationalen Verhältnisse also zeigt, die +Unterdrückung der sekundären und die gegenseitige Durchdringung der beiden +primären Nationalitäten, das ist im Gebiete der Religion, der Volkserziehung, +der Literatur und der Kunst noch im einzelnen genauer darzulegen. +</p> + +<p> +Die römische Religion war mit dem römischen Gemeinwesen und dem römischen +Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme +Widerspiegelung der römischen Bürgerwelt, daß die politische und soziale +Revolution notwendigerweise auch das Religionsgebäude über den Haufen warf. Der +alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über seinen Trümmern erheben sich, +wie über den Trümmern des politischen Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so +auf der einen Seite der Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der +anderen der Aberglaube, das Sektenwesen, die Religion der Orientalen. +Allerdings gehen die Anfänge von beiden, wie ja auch die Anfänge der +politisch-sozialen Revolution, bereits in die vorige Epoche zurück. Schon +damals rüttelte die hellenische Bildung der höheren Kreise im stillen an dem +Glauben der Väter; schon Ennius bürgerte die Allegorisierung und Historisierung +der hellenischen Religion in Italien ein; schon der Senat, der Hannibal +bezwang, mußte die Übersiedlung des kleinasiatischen Kybelekults nach Rom +gutheißen und gegen anderen noch schlimmeren Aberglauben, namentlich das +bakchische Muckertum, aufs ernstlichste einschreiten. Indes wie überhaupt in +der vorhergehenden Periode die Revolution mehr in den Gemütern sich +vorbereitete als äußerlich sich vollzog, so ist auch die religiöse Umwälzung im +wesentlichen dort erst das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit. +</p> + +<p> +Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anlehnende Richtung zu +verfolgen. Die hellenische Nation, weit früher als die italische erblüht und +abgeblüht, hatte längst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich +ausschließlich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation und Reflexion; seit langem +gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch Philosophie. Aber auch die +philosophische Tätigkeit des hellenischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu +wirken begann, die Epoche der produktiven Spekulation bereits weit hinter sich +und war in dem Stadium angekommen, wo nicht bloß keine wahrhaft neuen Systeme +mehr entstehen, sondern wo auch die Fassungskraft für die vollkommensten der +älteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmäßige und bald scholastische +Überlieferung der unvollkommneren Philosopheme der Vorfahren sich beschränkt; +in dem Stadium also, wo die Philosophie, statt den Geist zu vertiefen und zu +befreien, vielmehr ihn verflacht und ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die +selbstgeschmiedeten, schlägt. Der Zaubertrank der Spekulation, immer +gefährlich, ist, verdünnt und abgestanden, sicheres Gift. So schal und +verwässert reichten die gleichzeitigen Griechen ihn den Römern, und diese +verstanden weder ihn zurückzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern auf die +toten Meister zurückzugehen. Platon und Aristoteles, um von den vorsokratischen +Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluß auf die römische Bildung +geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern genannt, ihre faßlicheren +Schriften auch wohl gelesen und übersetzt wurden. So wurden denn die Römer in +der Philosophie nichts als schlechter Lehrer schlechtere Schüler. Außer der +historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen +auflöste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit lebender +Wohltäter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube Götter gemacht +habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind hauptsächlich drei +Philosophenschulen für Italien von Bedeutung geworden: die beiden dogmatischen +des Epikuros († 484 270) und des Zenon († 491 263) und die skeptische des +Arkesilas († 513 241) und Karneades (541-625 231-129) oder mit den Schulnamen +der Epikureismus, die Stoa und die Neuere Akademie. Die letzte dieser +Richtungen, welche von der Unmöglichkeit des überzeugten Wissens ausging und an +dessen Stelle nur ein für das praktische Bedürfnis ausreichendes vorläufiges +Meinen als möglich zugab, bewegte sich hauptsächlich polemisch, indem sie jeden +Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen Dogmatismus in den +Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern ungefähr auf einer Linie mit +der älteren Sophistik, nur daß begreiflicherweise die Sophisten mehr gegen den +Volksglauben, Karneades und die Seinen mehr gegen ihre philosophischen Kollegen +ankämpften. Dagegen trafen Epikuros und Zenon überein sowohl in dem Ziel einer +rationellen Erklärung des Wesens der Dinge als auch in der physiologischen, von +dem Begriff der Materie ausgehenden Methode. Auseinander gingen sie, insofern +Epikuros, der Atomenlehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie +faßt und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die Mannigfaltigkeit +der Dinge überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend an den Ephesier Herakleitos, +schon in den Urstoff eine dynamische Gegensätzlichkeit und eine auf- und +niederwogende Bewegung hineinlegt; woraus denn die weiteren Unterschiede sich +ableiten: daß im epikureischen System die Götter gleichsam nicht vorhanden und +höchstens der Traum der Träume sind, die stoischen Götter die ewig rege Seele +der Welt und als Geist, als Sonne, als Gott mächtig über den Körper, die Erde, +die Natur; daß Epikuros nicht, wohl aber Zenon eine Weltregierung und eine +persönliche Unsterblichkeit der Seele anerkennt; daß das Ziel des menschlichen +Strebens nach Epikuros ist das unbedingte, weder von körperlichem Begehren noch +von geistigem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch +das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und Körpers immer gesteigerte und +zu dem Einklang mit der ewig streitenden und ewig friedlichen Natur +aufstrebende menschliche Tätigkeit. In einem Punkte aber stimmten der Religion +gegenüber alle diese Schulen zusammen: daß der Glaube als solcher nichts sei +und notwendig ersetzt werden müsse durch die Reflexion, mochte diese übrigens +mit Bewußtsein darauf verzichten, zu einem Resultat zu gelangen, wie die +Akademie, oder die Vorstellungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule +Epikurs, oder dieselben teils motiviert festhalten, teils modifizieren, wie die +Stoiker taten. +</p> + +<p> +Es war danach nur folgerichtig, daß die erste Berührung der hellenischen +Philosophie mit der römischen, ebenso glaubensfesten als antispekulativen +Nation durchaus feindlicher Art war. Die römische Religion hatte vollkommen +recht, von diesen philosophischen Systemen sowohl die Befehdung wie die +Begründung sich zu verbitten, die beide ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der +römische Staat, der in der Religion instinktmäßig sich selber angegriffen +fühlte, verhielt sich billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die +Eclaireurs der anrückenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den +Rhetoren auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch +gleich das erste größere Debüt der Philosophie in Rom eine förmliche +Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlaßt durch die Okkupation +von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor dem Senat diese drei +der angesehensten Professoren der Philosophie, darunter den Meister der +modernen Sophistik, Karneades, beauftragten (599 155). Die Wahl war insofern +zweckmäßig, als der ganz schandbare Handel jeder Rechtfertigung im gewöhnlichen +Verstand spottete; dagegen paßte es vollkommen für den Fall, wenn Karneades +durch Rede und Gegenrede bewies, daß sich gerade ebenso viele und ebenso +nachdrückliche Gründe zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen ließen wie zum +Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form dartat, daß man +mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne, Oropos herauszugeben und +von den Römern, sich wieder zu beschränken auf ihre alten Strohhütten am +Palatin. Die der griechischen Sprache mächtige Jugend ward durch den Skandal +wie durch den raschen und emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes +scharenweise herbeigezogen; aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht +unrecht geben, wenn er nicht bloß die dialektischen Gedankenreihen der +Philosophen unhöflich genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber +verglich, sondern auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der +die Kunst verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und dessen +Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast höhnisches +Eingeständnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen reichten nicht weit, +um so weniger, da es doch der römischen Jugend nicht verwehrt werden konnte, in +Rhodos oder Athen philosophische Vorträge zu hören. Man gewöhnte sich, die +Philosophie zuerst wenigstens als notwendiges Übel zu dulden, bald auch für die +in ihrer Naivität nicht mehr haltbare römische Religion in der fremden +Weisheitslehre eine Stütze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinierte, aber +dafür doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des +Volksglaubens anständigerweise einigermaßen festzuhalten. Indes diese Stütze +konnte weder der Euhemerismus sein noch das System des Karneades oder des +Epikuros. Die Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu schroff +entgegen, indem sie die Götter geradezu für Menschen erklärte; Karneades zog +gar ihre Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden +Einfluß auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der +römischen Religion war ein Bündnis unmöglich; sie waren und blieben verfemt. +Noch in Ciceros Schriften wird es für Bürgerpflicht erklärt, dem Euhemerismus +Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe trete; und von den in +seinen Gesprächen auftretenden Akademikern und Epikureern muß jener sich +entschuldigen, daß er als Philosoph zwar ein Jünger des Karneades, aber als +Bürger und Pontifex ein rechtgläubiger Bekenner des Kapitolinischen Jupiter +sei, der Epikureer sogar schließlich sich gefangen geben und sich bekehren. +Keines dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte Begreiflichkeit +des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft auf die Römer geübt, +namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms nur zu tief eingewirkt mit +ihrer zugleich kindischen und altersschwachen Historisierung der Fabel; auf die +römische Religion aber blieb er deshalb ohne wesentlichen Einfluß, weil diese +von Haus aus nur allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in +Hellas möglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu +schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen, die +geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und überdies die langen Reihen +gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe Schuttlagen geistiger +Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den Epikurischen Quietismus endlich +lehnte alles sich auf, was in dem römischen, so durchaus auf Tätigkeit +gerichteten Wesen tüchtig und brav war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als +der Euhemerismus und die Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, +weshalb die Polizei fortgefahren hat, ihm am längsten und ernstlichsten den +Krieg zu machen. Indes dieser römische Epikureismus war nicht so sehr ein +philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem - sehr +gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der gedankenlose +Sinnesgenuß für die gute Gesellschaft sich maskierte; wie denn einer der +frühesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, in Lucilius’ Gedichten +figuriert als der Prototyp des übel hellenisierenden Römers. +</p> + +<p> +Gar anders stand und wirkte in Italien die stoische Philosophie. Im geraden +Gegensatz gegen jene Richtungen schloß sie an die Landesreligion so eng sich +an, wie das Wissen sich dem Glauben zu akkommodieren überhaupt nur vermag. An +dem Volksglauben mit seinen Göttern und Orakeln hielt der Stoiker insofern +grundsätzlich fest, als er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche +die wissenschaftliche Rücksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Fällen sich ihr +unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk als +eigentlich anderes: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war ihm die +Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war wiederum Gott, die +Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der Weinstock, die Seele des hohen +Sterblichen, den das Volk als Heros ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene +Geist eines gewordenen Menschen. Diese Philosophie paßte in der Tat besser nach +Rom als in die eigene Heimat. Der Tadel des frommen Gläubigen, daß der Gott des +Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus einer +Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland einen Sinn, nicht +aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche Purifizierung, wie sie der +stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den besten Kern der hellenischen +Mythologie; aber die auch in ihrer naiven Zeit dürftige plastische Kraft der +Römer hatte nicht mehr erzeugt als eine leichte, ohne sonderlichen Schaden +abzustreifende Umhüllung der ursprünglichen Anschauung oder des ursprünglichen +Begriffes, woraus die Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zürnen, +wenn sie sich plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; +Minerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supranaturalische +stoische und die allegorische römische Theologie fielen in ihrem Ergebnis im +ganzen zusammen. Selbst aber wenn der Philosoph einzelne Sätze der +Priesterlehre als zweifelhaft oder als falsch bezeichnen mußte, wie denn zum +Beispiel die Stoiker, die Vergötterungslehre verwerfend, in Hercules, Kastor, +Pollux nichts als die Geister ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das +Götterbild nicht als Repräsentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war +es wenigstens nicht die Art der Anhänger Zenons, gegen diese Irrlehren +anzukämpfen und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie überall +der Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht, auch in ihren Schwächen. Auch die +Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und auf die rationelle Behandlung +der Fachwissenschaften war ganz im Sinne der Römer, zumal der Römer dieser +Zeit, welche nicht mehr wie die Väter in unbefangener Weise Zucht und gute +Sitte übten, sondern deren naive Sittlichkeit auflösten in einen Katechismus +erlaubter und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz überdies +dringend eine methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die Fähigkeit zu +besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So inkorporierte diese +Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem Boden +akklimatisiertes Gewächs sich durchaus dem römischen Volkshaushalt, und wir +begegnen ihren Spuren auf den verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge +reichen ohne Zweifel weiter zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren +Schichten der römischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis, +der sich um Scipio Aemilianus gruppierte. Panätios von Rhodos, der Lehrmeister +Scipios und aller ihm nahestehender Männer in der stoischen Philosophie und +beständig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein gewöhnlicher Begleiter, +verstand es, das System geistreichen Männern nahe zu bringen, dessen +spekulative Seite zurücktreten zu lassen und die Dürre der Terminologie, die +Flachheit des Moralkatechismus einigermaßen zu mildern, namentlich auch durch +Herbeiziehung der älteren Philosophen, unter denen Scipio selbst den +Xenophonteischen Sokrates vorzugsweise liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich +die namhaftesten Staatsmänner und Gelehrten, unter anderen die Begründer der +wissenschaftlichen Philologie und der wissenschaftlichen Jurisprudenz, Stilo +und Quintus Scaevola. Der schulmäßige Schematismus, der in diesen +Fachwissenschaften seitdem wenigstens äußerlich herrscht und namentlich +anknüpft an eine wunderliche, scharadenhaft geistlose Etymologisiermethode, +stammt aus der Stoa. Aber unendlich wichtiger ist die aus der Verschmelzung der +stoischen Philosophie und der römischen Religion hervorgehende neue +Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das spekulative Element, von Haus aus in +dem Zenonischen System wenig energisch ausgeprägt und schon weiter +abgeschwächt, als dasselbe in Rom Eingang fand, nachdem bereits ein Jahrhundert +hindurch die griechischen Schulmeister sich beflissen hatten, diese Philosophie +in die Knabenköpfe hinein und damit den Geist aus ihr hinauszutreiben, trat +völlig zurück in Rom, wo niemand spekulierte als der Wechsler; es war wenig +mehr die Rede von der idealen Entwicklung des in der Seele des Menschen +waltenden Gottes oder göttlichen Weltgesetzes. Die stoischen Philosophen +zeigten sich nicht unempfänglich für die recht einträgliche Auszeichnung, ihr +System zur halboffiziellen römischen Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und +erwiesen sich überhaupt geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen +Prinzipien hätte erwarten sollen. Ihre Lehre von den Göttern und vom Staat +zeigte bald eine seltsame Familienähnlichkeit mit den realen Institutionen +ihrer Brotherren; statt über den kosmopolitischen Philosophenstaat stellten sie +Betrachtungen an über die weise Ordnung des römischen Beamtenwesens; und wenn +die feineren Stoiker, wie Panätios, die göttliche Offenbarung durch Wunder und +Zeichen als denkbar, aber ungewiß dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar +entschieden verworfen hatten, so verfochten schon seine nächsten Nachfolger +jene Offenbarungslehre, das heißt die römische Auguraldisziplin, so steif und +fest wie jeden anderen Schulsatz und machten sogar der Astrologie höchst +unphilosophische Zugeständnisse. Das Hauptstück des Systems ward immer mehr die +kasuistische Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen Tugendstolz entgegen, bei +welchem die Römer dieser Zeit in der vielfach demütigenden Berührung mit den +Griechen Entschädigung suchten, und formulierte den angemessenen Dogmatismus +der Sittlichkeit, der, wie jede wohlerzogene Moral, mit herzerstarrender +Rigorosität im ganzen die höflichste Nachsicht im einzelnen verbindet 2. Ihre +praktischen Resultate werden kaum viel höher anzuschlagen sein als daß, wie +gesagt, in zwei oder drei vornehmen Häusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen +ward. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +2 Ein ergötzliches Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) nachlesen. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Dieser neuen Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite +ist die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewußte +Festhalten der als irrationell erkannten Sätze des Volksglaubens aus äußeren +Zweckmäßigkeitsgründen ist. Schon einer der hervorragendsten Männer des +Scipionischen Kreises, der Grieche Polybios, spricht es unverhohlen aus, daß +das wunderliche und schwerfällige römische Religionszeremoniell einzig der +Menge wegen erfunden sei, die, da die Vernunft nichts über sie vermöge, mit +Zeichen und Wundern beherrscht werden müsse, während verständige Leute +allerdings der Religion nicht bedürften. Ohne Zweifel teilten Polybios’ +römische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie auch nicht in so +kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion sich entgegensetzten. +Weder Laelius noch Scipio Aemilianus können in der Auguraldisziplin, an die +auch Polybios zunächst denkt, etwas anderes gesehen haben als eine politische +Institution; doch war der Nationalsinn in ihnen zu mächtig und das +Anstandsgefühl zu fein, als daß sie mit solchen bedenklichen Erörterungen +öffentlich hätten auftreten mögen. Aber schon in der folgenden Generation trug +der Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens in +seiner mündlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Sätze vor, daß es eine +zweifache Religion gebe, eine verstandesmäßige philosophische und eine +nichtverstandesmäßige traditionelle, daß jene sich nicht eigne zur +Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu wissen unnütz oder +sogar schädlich sei, daß demnach die überlieferte Staatsreligion bleiben müsse, +wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung desselben Grundgedankens ist die +Varronische Theologie, in der die römische Religion durchaus behandelt wird als +ein Staatsinstitut. Der Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des +Staats, wie der Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte, die +Götter neu zu machen, würde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und den +Teilen der Weltseele prinzipmäßig entsprechender zu machen und zu benennen, +auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Götterbilder 3 und das verkehrte +Opferwesen zu beseitigen; allein da diese Einrichtungen einmal beständen, so +müsse jeder gute Bürger sie kennen und befolgen und dazu tun, daß der +“gemeine Mann” die Götter vielmehr höher achten als geringschätzen +lerne. Daß der gemeine Mann, zu dessen Besten die Herren ihren Verstand +gefangen gaben, diesen Glauben jetzt verschmähte und sein Heil anderswo suchte, +versteht sich von selbst und wird weiterhin sich zeigen. So war denn die +römische Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und +eine glaubenslose Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion für eine +politische Institution erklärte, desto entschiedener betrachteten die +politischen Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff +und Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Maße der Fall war mit der +Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu den Priesterkollegien. Die alte und +natürliche Übung, die Bürgerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter +heraufzog, hatte unter den Händen der römischen Augurn sich zu einem +weitläufigen System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knüpfender +Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Dezennien dieser Epoche ward sogar +durch das Älische und das Fufische Gesetz geradezu verordnet, daß jede +Volksversammlung auseinanderzugehen genötigt sei, wenn es einem höheren Beamten +einfalle, nach Gewitterzeichen am Himmel zu schauen; und die römische +Oligarchie war stolz auf den schlauen Gedanken, fortan durch eine einzige +fromme Lüge jedem Volksbeschluß den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu +können. Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf gegen die alte Übung, +daß die vier höchsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich selber +ergänzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die Stellen +selbst, wie sie für die Vorstandschaften dieser Kollegien schon früher +eingeführt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste dieser +Körperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darüber sich zu beklagen, +nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren und zum Beispiel der +Regierung mit religiösen Kassationsgründen politischer Akte auf Verlangen an +die Hand gingen. Diese Angelegenheit ward ein Zankapfel der Parteien. Den +ersten Sturm im Jahre 609 (145) schlug der Senat ab, wobei namentlich der +Scipionische Kreis für die Verwerfung des Antrags den Ausschlag gab. Aber im +Jahre 650 (104) ging sodann der Vorschlag durch mit der früher schon bei der +Wahl der Vorstände gemachten Beschränkungen zum Besten bedenklicher Gewissen, +daß nicht die ganze Bürgerschaft, sondern nur der kleinere Teil der Bezirke zu +wählen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in vollem Umfang wieder +her. Mit dieser Fürsorge der Konservativen für die reine Landesreligion vertrug +es natürlich sich aufs beste, daß eben in den vornehmsten Kreisen mit derselben +offen Spott getrieben ward. Die praktische Seite des römischen Priestertums war +die priesterliche Küche; die Augural- und Pontifikalschmäuse waren gleichsam +die offiziellen Silberblicke eines römischen Feinschmeckerlebens und manche +derselben machten Epoche in der Geschichte der Gastronomie, wie zum Beispiel +die Antrittsmahlzeit des Augurs Quintus Hortensius die Pfauenbraten aufgebracht +hat. Sehr brauchbar ward auch die Religion befunden, um den Skandal pikanter zu +machen. Es war ein Lieblingsvergnügen vornehmer junger Herren, zur Nachtzeit +auf den Straßen die Götterbilder zu schänden oder zu verstümmeln. Gewöhnliche +Liebeshändel waren längst gemein und Verhältnisse mit Ehefrauen fingen an es zu +werden; aber ein Verhältnis zu einer Vestalin war so pikant wie in der Welt des +Decamerone die Nonnenliebschaft und das Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge +Handel des Jahres 640 (114), in welchem drei Vestalinnen, Töchter der +vornehmsten Familien, und deren Liebhaber, junge Männer gleichfalls aus den +besten Häusern, zuerst vor dem Pontifikalkollegium und, da dies die Sache zu +vertuschen suchte, vor einem durch eigenen Volksschluß eingesetzten +außerordentlichen Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung gezogen und sämtlich +zum Tode verurteilt wurden. Solchen Skandal nun konnten freilich gesetzte Leute +nicht billigen; aber dagegen war nichts einzuwenden, daß man die positive +Religion im vertrauten Kreise albern fand: die Augurn konnten, wenn einer den +andern fungieren sah, sich einander ins Gesicht lachen, unbeschadet ihrer +religiösen Pflichten. Man gewinnt die bescheidene Heuchelei verwandter +Richtungen ordentlich lieb, wenn man die krasse Unverschämtheit der römischen +Priester und Leviten damit vergleicht. Ganz unbefangen ward die offizielle +Religion behandelt als ein hohles, nur für die politischen Maschinisten noch +brauchbares Gerüste; in dieser Eigenschaft konnte es mit seinen zahllosen +Winkeln und Falltüren, wie es fiel, jeder Partei dienen und hat einer jeden +gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in der +Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; aber auch die Gegenpartei +machte keine prinzipielle Opposition gegen ein Institut, das nur noch ein +Scheinleben hatte, sondern betrachtete dasselbe im ganzen als eine Schanze, die +aus dem Besitz des Feindes in den eigenen übergehen könne. +</p> + +<p> +—————————————————————————————- +</p> + +<p> +3 Auch in Varros Satire ‘Die Aboriginer’ wurde in spöttischer Weise +dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit dem Gott, +den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach Götterpuppen und +Götterbilderchen. +</p> + +<p> +—————————————————————————————- +</p> + +<p> +Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst stehen die +verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und pflegte und denen +wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen werden kann. +Sie begegnen überall, bei den vornehmen Damen und Herren wie in den +Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in Italien wie in den +Provinzen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf dieser Aberglaube bereits +reicht. Als im Kimbrischen Krieg eine syrische Prophetin Martha sich erbot, die +Wege und Mittel zur Überwindung der Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, +wies dieser zwar sie mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und +namentlich Marius’ eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem +Hauptquartier, wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumführte, +bis die Teutonen geschlagen waren. Die Führer der verschiedensten Parteien im +Bürgerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben an Zeichen +und Orakel. Selbst der Senat maßte während desselben in den Wirren des Jahres +667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer verrückten Prophetin gemäß +Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren der römisch-hellenischen Religion, +wie für das im Steigen begriffene Bedürfnis der Menge nach stärkeren religiösen +Stimulantien ist es bezeichnend, daß der Aberglaube nicht mehr, wie in den +Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion; selbst die etruskische +Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in erster Linie erscheinen die in den +heißen Landschaften des Orients gezeitigten Kulte. Sehr viel hat dazu +beigetragen das massenhafte Eindringen kleinasiatischer und syrischer Elemente +in die Bevölkerung, teils durch die Sklaveneinfuhr, teils durch den +gesteigerten Verkehr Italiens mit dem Osten. Die Macht dieser fremdländischen +Religion tritt sehr scharf hervor in den Aufständen der sizilischen, +größtenteils aus Syrien herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las +in den Sternen; die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln +tragen großenteils Götternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der +geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig +verehrten Mütter. Ähnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich seitdem die +Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen Häfen gingen: +Ostia und Puteoli wurden die großen Stapelplätze wie für die syrischen Salben +und die ägyptische Leinwand so auch für den Glauben des Ostens. Überall ist mit +der Völker- auch die Religionsmengung beständig im Steigen. Von allen erlaubten +Kulten war der populärste der der pessinuntischen Göttermutter, der mit seinem +Eunuchenzölibat, mit den Schmäusen, der Musik, den Bettelprozessionen und dem +ganzen sinnlichen Gepränge der Menge imponierte; die Hauskollekten wurden +bereits als eine ökonomische Last empfunden. In der gefährlichsten Zeit des +Kimbrischen Krieges erschien der Hohepriester Battakes von Pessinus in eigener +Person in Rom, um die Interessen des dortigen, angeblich entweihten Tempels +seiner Göttin zu vertreten, redete im besonderen Auftrag der Göttermutter zum +römischen Volk und tat auch verschiedene Wunder. Die verständigen Leute +ärgerten sich, aber die Weiber und die große Menge ließen es sich nicht nehmen, +dem Propheten beim Abzug in hellen Haufen das Geleit zu geben. Gelübde, nach +dem Osten zu wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie denn selbst +Marius also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja es gaben schon +(zuerst 653 101) römische Bürger sich zu dem Eunuchenpriestertum her. Aber weit +populärer noch waren natürlich die unerlaubten und Geheimkulte. Schon zu Catos +Zeit hatte der chaldäische Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen +Eingeweide-, dem marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die +Sternguckerei und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem +traumseligen Heimatland. Schon 615 (139) wies der römische Fremdenprätor die +sämtlichen “Chaldäer” an, binnen zehn Tagen Rom und Italien zu +räumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, welche zu ihrem Sabbat +italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso hatte Scipio das Lager von +Numantia von Wahrsagern und frommen Industrierittern jeder Art zu reinigen. +Einige Jahrzehnte später (657 97) sah man sogar sich genötigt, die +Menschenopfer zu verbieten. Der wilde Kult der kappadokischen Ma oder, wie die +Römer sie nannten, der Bellona, welcher bei den festlichen Aufzügen die +Priester das eigene Blut zum Opfer verspritzten, und die düstere ägyptische +Götterverehrung beginnen sich zu melden; schon Sulla erschien jene +Kappadokierin im Traume, und von den späteren römischen Isis- und +Osirisgemeinden führten die ältesten ihre Entstehung bis in die sullanische +Zeit zurück. Man war irre geworden, nicht bloß an dem alten Glauben, sondern +auch an sich selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fünfzigjährigen +Revolution, das instinktmäßige Gefühl, daß der Bürgerkrieg noch keineswegs am +Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die trübe Beklommenheit der +Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Höhe und versenkte sich in +jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in die drohenden Verhängnisse, +neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe gegen das Geschick oder vielleicht +auch nur neue Angst zu finden wähnte. Der ungeheuerliche Mystizismus fand in +der allgemeinen politischen, ökonomischen, sittlichen, religiösen Zerfahrenheit +den ihm genehmen Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als +wären Riesenbäume über Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wußte woher und +wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue Wunder und +ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemüter. +</p> + +<p> +In ähnlicher Weise wie auf dem religiösen Gebiet vollendete sich die in der +vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und Bildung. Wie der +Grundgedanke des römischen Wesens, die bürgerliche Gleichheit, bereits im Laufe +des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem Gebiet ins Schwanken gekommen war, +ist früher dargestellt worden. Schon zu Pictors und Catos Zeit war die +griechische Bildung in Rom weit verbreitet und gab es eine eigene römische +Bildung; allein man war doch mit beiden nicht über die Anfänge hinausgelangt. +Was man unter römisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefähr +verstand, zeigt Catos ‘Encyklopädie’; es ist wenig mehr als die +Formulierung des alten römischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen +hellenischen Bildung verglichen, dürftig genug. Auf wie niedriger Stufe noch im +Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in Rom durchgängig +stand, läßt aus den Äußerungen bei Polybios sich abnehmen, welcher in dieser +einen Hinsicht gegenüber der verständigen privaten und öffentlichen Fürsorge +seiner Landsleute die sträfliche Gleichgültigkeit der Römer tadelnd hervorhebt +- in den dieser Gleichgültigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der +bürgerlichen Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu finden +vermocht. +</p> + +<p> +Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben der aufgeklärte stoische +Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte auch in der Erziehung neben dem +einfachen Volksunterricht sich eine besondere Bildung, eine exklusive Humanitas +und vertilgte die letzten Überreste der alten geselligen Gleichheit. Es wird +nicht überflüssig sein, auf die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl +des griechischen wie des höheren lateinischen, einen Blick zu werfen. +</p> + +<p> +Es ist eine wundersame Fügung, daß derselbe Mann, der politisch die hellenische +Nation definitiv überwand, Lucius Aemilius Paullus, zugleich zuerst oder als +einer der ersten die hellenische Zivilisation vollständig anerkannte als das, +was sie seitdem unwidersprochen geblieben ist, die Zivilisation der antiken +Welt. Er selber zwar war ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die +Homerischen Lieder im Sinn, hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein +Herz war jung genug, um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die +unbezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden in seiner +Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an dem fremden Mann einen +ernsteren und innigeren Gläubigen gefunden, als irgendeiner war von den klugen +Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf Homeros oder +Pheidias, aber er ließ seine Kinder einführen in die Reiche des Geistes. Ohne +die nationale Erziehung zu vernachlässigen, soweit es eine solche gab, sorgte +er wie die Griechen für die physische Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht +durch die nach römischen Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch +Unterweisung in der bei den Griechen fast kunstmäßig entwickelten Jagd, und +steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daß nicht mehr bloß die +Sprache um des Sprechens willen gelernt und geübt, sondern nach griechischer +Art der Gesamtstoff allgemeiner höherer Bildung an die Sprache geknüpft und aus +ihr entwickelt ward - also vor allem die Kenntnis der griechischen Literatur +mit der zu deren Verständnis nötigen mythologischen und historischen Kunde, +sodann Rhetorik und Philosophie. Die Bibliothek des Königs Perseus war das +einzige Stück, das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute für sich nahm, um +sie seinen Söhnen zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden +sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kinder. Daß +die Zeit vorüber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus gegenüber +bloß ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato empfunden; die Besseren +mochten jetzt ahnen, daß der edle Kern römischer Art durch den ganzen +Hellenismus weniger gefährdet werde als durch dessen Verstümmelung und +Mißbildung: die Masse der höheren Gesellschaft Roms und Italiens machte die +neue Weise mit. An griechischen Schulmeistern war seit langem in Rom kein +Mangel; jetzt strömten sie scharenweise, und nicht bloß als Sprach-, sondern +als Lehrer der Literatur und Bildung überhaupt, nach dem neu eröffneten +ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und Lehrer der +Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sklaven waren, regelmäßig wie +Bediente 4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palästen Roms; man +raffinierte darauf, und es findet sich, daß für einen griechischen +Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (15200 Taler) gezahlt worden +sind. Schon 593 (161) bestanden in der Hauptstadt eine Anzahl besonderer +Lehranstalten für griechische Deklamationsübung. Schon begegnen einzelne +ausgezeichnete Namen unter diesen römischen Lehrern: des Philosophen Panätios +ward bereits gedacht; der angesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, +Aristarchs Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 585 (169) in Rom ein +Publikum für die Vorlesung und sprachliche und sachliche Erläuterung der +Homerischen Gedichte. Zwar stieß diese neue Weise des Jugendunterrichts, +revolutionär und antinational wie sie war, zum Teil auf den Widerstand der +Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die Behörden 593 (161) gegen +Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb, zumal bei dem steten Wechsel der +römischen Oberbeamten, wie alle ähnlichen Befehle ohne nennenswerten Erfolg, +und nach des alten Cato Tode ward in seinem Sinne wohl noch öfters geklagt, +aber nicht mehr gehandelt. Der höhere Unterricht im Griechischen und in den +griechischen Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein wesentlicher +Teil der italischen Bildung. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +4 Cicero sagt, daß er seinen gelehrten Sklaven Dionysios rücksichtsvoller +behandelt habe als Scipio den Panätios; und in gleichem Sinne hieß es bei +Lucilius: +</p> + +<p> +Nützlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel und Zeltdach +</p> + +<p> +Als der Philosoph. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Aber ihm zur Seite entwickelte sich ein höherer lateinischer Unterricht. Es ist +in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der lateinische +Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an die Stelle der +Zwölf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die lateinische Odyssee getreten +war und nun der römische Knabe an dieser Übersetzung, wie der griechische an +dem Original, die Kunde und den Vortrag der Muttersprache ausbildete; wie +namhafte griechische Sprach- und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere +mehr, die doch wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern +heranreifende Knaben und Jünglinge lehrten, es nicht verschmähten, neben der +griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das die +Anfänge eines höheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch ein solcher +nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht überschreiten, +solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht bloß lateinische +Schulbücher, sondern eine lateinische Literatur gab und diese in den Werken der +Klassiker des sechsten Jahrhunderts in einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, +traten die Muttersprache und die einheimische Literatur wahrhaft ein in den +Kreis der höheren Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen +Sprachmeistern ließ nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt durch die +Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Römer die rezitativen +Werke auch ihrer Literatur, Naevius’ ‘Punischen Krieg’, +Ennius’ ‘Chronik’, späterhin auch Lucilius’ Gedichte +zuerst einem erlesenen Kreis, dann öffentlich an fest bestimmten Tagen und +unter großem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen +Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vorträge, die +gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar kein +förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel, die Jugend in +das Verständnis und den Vortrag der klassischen lateinischen Literatur +einzuführen. +</p> + +<p> +Ähnlich ging es mit der Bildung der lateinischen Rede. Die vornehme römische +Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen Reden öffentlich +aufzutreten angehalten ward, wird es an Redeübungen nie haben fehlen lassen; +indes erst in dieser Epoche und infolge der neuen exklusiven Bildung entstand +eine eigentliche Redekunst. Als der erste römische Sachwalter, der Sprache und +Stoff kunstmäßig behandelte, wird Marcus Lepidus Porcina (Konsul 617 137) +genannt; die beiden berühmten Advokaten der marianischen Zeit, der männliche +und lebhafte Marcus Antonius (611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner +Lucius Crassus (614-663 140-91), waren schon vollständig Kunstredner. Die +Übungen der Jugend im Sprechen stiegen natürlich an Umfang und Bedeutung, aber +blieben doch, eben wie die lateinischen Literaturübungen, wesentlich darauf +beschränkt, daß der Anfänger an den Meister der Kunst persönlich sich anschloß +und durch sein Beispiel und seine Lehre sich ausbildete. +</p> + +<p> +Förmliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in lateinischer +Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius Praeconinus von Lanuvium, der +“Griffelmann” (Stilo) genannt, ein angesehener, streng konservativ +gesinnter römischer Ritter, der mit einem auserlesenen Kreise jüngerer Männer - +darunter Varro und Cicero - den Plautus und ähnliches las, auch wohl Entwürfe +zu Reden mit den Verfassern durchging oder dergleichen seinen Freunden an die +Hand gab. Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmäßiger Schulmeister war +Stilo nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom die +Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund der aufstrebenden +jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote stehender Mann. Aber um +seine Zeit begann auch der schulmäßige höhere Unterricht im Lateinischen, +getrennt sowohl von dem elementaren lateinischen als von dem griechischen +Unterricht, und von bezahlten Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen +Sklaven, in besonderen Anstalten erteilt. Daß Geist und Methode durchaus den +griechischen Literatur- und Sprachübungen abgeborgt wurden, versteht sich von +selbst; und auch die Schüler bestanden wie bei diesen aus Jünglingen, nicht aus +Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, wie der griechische, in +einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die lateinische Literatur +wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-, Staats- und Gerichtsreden +kunstmäßige Anleitung gegeben ward. Die erste römische Literaturschule +eröffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius Nicanor Postumus, die erste besondere +Schule für lateinische Rhetorik um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in +der Regel auch in den lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst +gegeben. Dieser neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten +Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und lateinischer +Rede, wie sie früher von hochgestellten Kennern und Meistern erteilt worden +war, hatte den Griechen gegenüber eine gewisse Selbständigkeit sich bewahrt. +Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl unter dem Einfluß +des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der griechischen Schulgrammatik +und Schulrhetorik; namentlich die letztere wurde entschieden perhorresziert. +Der Stolz wie der gesunde Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die +griechische Behauptung, daß die Fähigkeit, über Dinge, die der Redner verstand +und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache zu seinesgleichen zu +reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden könne. Dem tüchtigen +praktischen Advokaten mußte das gänzlich dem Leben entfremdete Treiben der +griechischen Rhetoren für den Anfänger schlimmer als gar keine Vorbereitung +erscheinen; dem durchgebildeten und durch das Leben gereiften Manne dünkte die +griechische Rhetorik schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten +entging die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäßig entwickelten +Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der +Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen, und wenn +die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern, zunächst wohl als +Übungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so war doch die griechische +Rhetorik damit weder in die lateinische Rede noch in den lateinischen +Redeunterricht eingedrungen. In den neuen lateinischen Rhetorschulen aber +wurden die römischen Jungen zu Männern und Staatsrednern dadurch gebildet, daß +sie paarweise den bei der Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben +gefundenen Odysseus der Ermordung seines Waffengefährten anklagten und dagegen +ihn verteidigten; daß sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in +Schutz nahmen; daß sie vielleicht auch dem Hannibal nachträglich mit einem +guten Rat darüber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung nach Rom Folge zu +leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht zu ergreifen. Es ist +begreiflich, daß gegen diese widerwärtigen und verderblichen Wortmühlen noch +einmal die catonische Opposition sich regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) +erließen eine Warnung an Lehrer und Eltern, die jungen Menschen nicht den +ganzen Tag mit Übungen hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts +gewußt hätten; und der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als +der erste Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natürlich sprach +die Kassandra vergebens; lateinische Deklamierübungen über die gangbaren +griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des römischen +Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die Knaben zu advokatischen +und politischen Schauspielern zu erziehen und jede ernste und wahre +Beredsamkeit im Keime zu ersticken. +</p> + +<p> +Als Gesamtergebnis aber dieser modernen römischen Erziehung entwickelte sich +der neue Begriff der sogenannten “Menschlichkeit”, der Humanität, +welche bestand teils in der mehr oder minder oberflächlich angeeigneten +musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder +nachgestümperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanität sagte, wie +schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch römischen Wesen, ja trat +dagegen in Opposition und vereinigte in sich, ebenwie unsere eng verwandte +“allgemeine Bildung”, einen national kosmopolitischen und sozial +exklusiven Charakter. Auch hier war die Revolution, die die Stände schied und +die Völker verschmolz. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap13"></a>KAPITEL XIII.<br/> +Literatur und Kunst</h2> + +<p> +Das sechste Jahrhundert ist, politisch wie literarisch, eine frische und große +Zeit. Zwar begegnet auf dem schriftstellerischen Gebiet so wenig wie auf dem +politischen ein Mann ersten Ranges; Naevius, Ennius, Plautus, Cato, begabte und +lebendige Schriftsteller von scharf ausgeprägter Individualität, sind nicht im +höchsten Sinn schöpferische Talente; aber nichtsdestoweniger fühlt man dem +Schwung, der Rührigkeit, der Keckheit ihrer dramatischen, epischen, +historischen Versuche es an, daß sie ruhen auf den Riesenkämpfen der Punischen +Kriege. Es ist vieles nur künstlich verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach +gefehlt, Kunstform und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales +barock ineinandergefügt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des +schulmäßigen Urspungs nicht und ist unselbständig und unvollkommen; aber +dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo nicht die +volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und die Hoffnung, mit den +Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser Epoche. Die Morgennebel sanken; +was man im frischen Gefühl der im Kriege gestählten Volkskraft begonnen hatte, +mit jugendlichem Mangel an Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in +das Maß des eigenen Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum +Werke, das vermochte man nicht weiterzuführen, als teils die dumpfe Schwüle der +heraufziehenden revolutionären Gewitter die Luft zu erfüllen begann, teils den +Einsichtigeren allmählich die Augen aufgingen über die unvergleichliche +Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und über die sehr bescheidene +künstlerische Begabung der eigenen Nation. Die Literatur des sechsten +Jahrhunderts war hervorgegangen aus der Einwirkung der griechischen Kunst auf +halb gebildete, aber angeregte und empfängliche Gemüter. Die gesteigerte +hellenische Bildung des siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, +welche die in jenen naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen +Blütenkeime mit dem Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der +älteren Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunächst und +hauptsächlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich schloß und +dessen hervorragendste Glieder unter der römischen vornehmen Welt außer Scipio +dessen älterer Freund und Berater Gaius Laelius (Konsul 614 140) und Scipios +jüngere Genossen, Lucius Furius Philus (Konsul 618 136) und Spurius Mummius, +der Bruder des Zerstörers von Korinth, unter den römischen und griechischen +Literaten der Komiker Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der +Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios waren. Wem die Ilias, wem +Xenophon und Menandros geläufig waren, dem konnte der römische Homer nicht +imponieren und noch weniger die schlechten Übersetzungen Euripideischer +Tragödien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu liefern fortfuhr. +Mochten der Kritik gegen die vaterländische Chronik patriotische Rücksichten +Schranken stecken, so richtete doch Lucilius sehr spitzige Pfeile gegen +“die traurigen Figuren aus den geschraubten Expositionen des +Pacuvius”; und ähnliche strenge, aber nicht ungerechte Kritiken des +Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, “die einen Freibrief zu +haben scheinen, schwülstig zu reden und unlogisch zu schließen”, begegnen +bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser Periode geschriebenen, dem +Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte die Achseln über die Interpolationen, +mit denen der derbe römische Volkswitz die eleganten Komödien des Philemon und +des Diphilos staffiert hatte. Halb lächelnd, halb neidisch wandte man sich ab +von den unzulänglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise +erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblätter aus seiner +Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, ließ man in Poesie +und Prosa die höheren Kunstgattungen wesentlich fallen und beschränkte sich +hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich einsichtig zu erfreuen. Die +Produktivität dieser Epoche bewegt sich vorwiegend auf den untergeordneten +Gebieten, der leichteren Komödie, der poetischen Miszelle, der politischen +Broschüre, den Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die +Korrektheit, im Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer +Kreis von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits +ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der höheren Gesellschaft und das +vulgäre des gemeinen Mannes. “Reine Sprache” verheißen die +Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der Lucilischen +Satire; und ebendamit hängt es zusammen, daß die griechische Schriftstellerei +der Römer jetzt entschieden zurücktritt. Insofern ist ein Fortschritt zum +Besseren allerdings vorhanden; es begegnen in dieser Epoche weit seltener +unzulängliche, weit häufiger in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche +Leistungen als vorher oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero +die Zeit des Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfälschten +Latein. Desgleichen steigt die literarische Tätigkeit in der öffentlichen +Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser Periode +galt, wenn auch nicht die Veröffentlichung rezitativer Poesien, doch jedenfalls +die Anfertigung von Theaterstücken als nicht schicklich für den vornehmen +Römer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren Stücken; das Dramenschreiben war +lediglich ein Handwerk und keines mit goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten +die Verhältnisse sich völlig verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser +Zeit beweisen, daß auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine +Bezahlung Anspruch machen durfte, deren Höhe den Makel entfernte. Damit wurde +die Bühnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch Männer +aus den höchsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar (Ädil 664 90, † +667 87) für die römische Bühne tätig und stolz darauf, in der römischen +“Dichtergilde” neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen. Die Kunst +gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist hin im Leben wie in der +Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, die den Dichter zum Dichter macht, +und die vor allem bei Plautus sehr entschieden hervortritt, kehrt bei keinem +der späteren wieder - die Epigonen der Hannibalskämpfer sind korrekt, aber +matt. +</p> + +<p> +Betrachten wir zuerst die römische Bühnenliteratur und die Bühne selbst. Im +Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitäten auf; die Tragödiendichter dieser +Epoche kultivierten nicht, wie die der vorigen, nebenbei das Lustspiel und das +Epos. Die Wertschätzung dieses Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden +Kreisen war offenbar im Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. +Der nationalen Tragödie (praetexta), der Schöpfung des Naevius, begegnen wir +nur noch bei dem gleich zu erwähnenden Pacuvius, einem Spätling der +Ennianischen Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern +griechischer Tragödie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. Marcus +Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in seinen früheren +Jahren im Rom vom Malen, erst im höheren Alter vom Trauerspieldichten lebte, +gehört seinen Jahren wie seiner Art nach mehr dem sechsten als dem siebenten +Jahrhundert an, obwohl seine poetische Tätigkeit in dieses fällt. Er dichtete +im ganzen in der Weise seines Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer +feilend und nach höherem Schwunge strebend als sein Vorgänger, galt er +günstigen Kunstkritikern später als Muster der Kunstpoesie und des reichen +Stils; in den auf uns gekommenen Bruchstücken fehlt es indes nicht an Belegen, +die Ciceros sprachlichen und Lucilius’ ästhetischen Tadel des Dichters +rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines Vorgängers, +seine Dichtweise schwülstig und tüftelnd ^1. Es finden sich Spuren, daß er wie +Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion gab; aber er bevorzugte doch nicht +wie dieser die der neologischen Richtung zusagenden sinnliche Leidenschaft oder +moderne Aufklärung predigenden Dramen und schöpfte ohne Unterschied bei +Sophokles und bei Euripides - von jener entschiedenen und beinahe genialen +Tendenzpoesie des Ennius kann in dem jüngeren Dichter keine Ader gewesen sein. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 So hieß es im ‘Paulus’, einem Originalstück, wahrscheinlich in +der Beschreibung des Passes von Pythion (2, 296): +</p> + +<p> +Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est. +</p> + +<p> +Wo kaum +</p> + +<p> +Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang. +</p> + +<p> +Und in einem andern Stück wird den Zuhörern angesonnen, folgende Beschreibung +zu verstehen: +</p> + +<p> +Vierfüßig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh, +</p> + +<p> +Niedrig, kurzköpfig, schlangenhalsig, starr zu schaun, +</p> + +<p> +Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton. +</p> + +<p> +Worauf dieselben natürlich erwidern: +</p> + +<p> +Mit dichtverzäuntem Worte schilderst du uns ab, +</p> + +<p> +Was ratend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut; +</p> + +<p> +Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht. +</p> + +<p> +Es erfolgt nun das Geständnis, daß die Schildkröte gemeint ist. übrigens +fehlten solche Rätselreden auch bei den attischen Trauerspieldichtern nicht, +die deshalb von der Mittleren Komödie oft und derb mitgenommen wurden. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Lesbarere und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragödie lieferte des +Pacuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen Sohn von +Pisaurum (584 - nach 651 170-108), außer Pacuvius der einzige namhafte +tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch +literarhistorisch und grammatisch tätiger Schriftsteller, bemüht, statt der +kruden Weise seiner Vorgänger größere Reinheit in Sprache und Stil in die +lateinische Tragödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und +Inkorrektheit von den Männern der strengen Observanz, wie Lucilius, +nachdrücklich getadelt. +</p> + +<p> +Weit größere Tätigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem Gebiete +des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen die gangbare und +volksmäßige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte Reaktion. Ihr Vertreter +Terentius (558-595 196-159) ist eine der geschichtlich interessantesten +Erscheinungen in der römischen Literatur. Geboren im phönikischen Afrika, in +früher Jugend als Sklave nach Rom gebracht und dort in die griechische Bildung +der Zeit eingeführt, schien er von Haus aus dazu berufen, der neuattischen +Komödie ihren kosmopolitischen Charakter zurückzugeben, den sie in der +Zustutzung für das römische Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer Genossen +derben Händen einigermaßen eingebüßt hatte. Schon in der Wahl und der +Verwendung der Musterstücke zeigt sich der Gegensatz zwischen ihm und +demjenigen seiner Vorgänger, den wir jetzt allein mit ihm vergleichen können. +Plautus wählt seine Stücke aus dem ganzen Kreise der neueren attischen Komödie +und verschmäht die keckeren und populäreren Lustspieldichter, wie zum Beispiel +den Philemon, durchaus nicht; Terenz hält sich fast ausschließlich an +Menandros, den zierlichsten, feinsten und züchtigsten unter allen Poeten der +neueren Komödie. Die Weise, mehrere griechische Stücke zu einem lateinischen +zusammenzuarbeiten, wird von Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage der +Sache für den römischen Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, aber mit +unvergleichlich mehr Geschicklichkeit und Sorgsamkeit gehandhabt. Der +Plautinische Dialog entfernte sich ohne Zweifel sehr häufig von seinen Mustern; +Terenz rühmt sich des wörtlichen Anschlusses seiner Nachbildungen an die +Originale, wobei freilich nicht an eine wörtliche Übersetzung in unserm Sinn +gedacht werden darf. Die nicht selten rohe, aber immer drastische Auftragung +römischer Lokaltöne auf den griechischen Grund, wie Plautus sie liebte, wird +vollständig und absichtlich verbannt, nicht eine Anspielung erinnert an Rom, +nicht ein Sprichwort, kaum eine Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel +werden durch griechische ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in der +künstlerischen Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die Schauspieler die ihnen +gebührenden Masken zurück und wird für eine sorgfältigere Inszenierung Sorge +getragen, so daß nicht mehr wie bei Plautus alles, was dahin und nicht dahin +gehört, auf der Straße vorzugehen braucht. Plautus schürzt und löst den Knoten +leichtsinnig und lose, aber seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, +weit minder drastisch, trägt überall, nicht selten auf Kosten der Spannung, der +Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdrücklich gegen die allerdings +zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe seiner Vorgänger, zum +Beispiel gegen die allegorischen Träume 3. Plautus malt seine Charaktere mit +breiten Strichen, oft schablonenhaft, immer für die Wirkung aus der Ferne und +im ganzen und groben; Terenz behandelt die psychologische Entwicklung mit einer +sorgfältigen und oft vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den +‘Brüdern’ die beiden Alten, der bequeme städtische Lebemann und der +vielgeplackte, durchaus nicht parfümierte Gutsherr, einen meisterhaften +Kontrast bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe, +Terenz im guten bürgerlichen Haushalt. Die rüpelhafte Plautinische Wirtschaft, +die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den obligaten Wirten +dazu, die säbelrasselnden Landsknechte, die ganz besonders launig gemalte +Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren Fatum die Peitsche ist, sind bei +Terenz verschwunden oder doch zum Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man +sich, im ganzen genommen, unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei +Terenz dagegen regelmäßig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein +Mädchenwirt ausgeplündert oder ein junger Mensch ins Bordell geführt, so +geschieht es in moralischer Absicht, etwa aus brüderlicher Liebe oder um den +Knaben vom Besuch schlichter Häuser abzuschrecken. In den Plautinischen Stücken +herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen das Haus: überall werden die +Frauen heruntergemacht zur Ergötzung aller zeitweilig emanzipierten und einer +liebenswürdigen Begrüßung daheim nicht völlig versicherten Eheleute. In den +Terenzischen Komödien herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine +schicklichere Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmäßig +schließen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womöglich mit zweien - +ebenwie von Menandros gerühmt wird, daß er jede Verführung durch eine Hochzeit +wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose Leben, die bei Menandros so +häufig sind, werden von seinem römischen Bearbeiter nur mit charakteristischer +Schüchternheit wiederholt 4, dagegen der Verliebte in seiner Pein, der +zärtliche Ehemann am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im +‘Verschnittenen’ und im ‘Mädchen von Andros’ gar +anmutig geschildert; ja in der ‘Schwiegermutter’ erscheint sogar am +Schluß als rettender Engel ein tugendhaftes Freudenmädchen, ebenfalls eine echt +Menandrische Figur, die das römische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei +Plautus sind die Väter durchaus nur dazu da, um von den Söhnen gefoppt und +geprellt zu werden; bei Terenz wird im ‘Selbstquäler’ der verlorene +Sohn durch väterliche Weisheit gebessert und, wie er überhaupt voll trefflicher +Pädagogik ist, geht in dem vorzüglichsten seiner Stücke, den +‘Brüdern’, die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen +Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu finden. +Plautus schreibt für den großen Haufen und führt gottlose und spöttische Reden +im Munde, soweit die Bühnenzensur es irgend gestattet; Terenz bezeichnet +vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu gefallen und, wie Menandros, niemand zu +verletzen. Plautus liebt den raschen, oft lärmenden Dialog, und es gehört zu +seinen Stücken das lebhafte Körperspiel der Schauspieler; Terenz beschränkte +sich auf “ruhiges Gespräch”. Plautus’ Sprache fließt über von +burlesken Wendungen und Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen +Neubildungen, aristophanischen Wörterverklitterungen, spaßhaft entlehnten +griechischen Schlagwörtern. Dergleichen Capricci kennt Terenz nicht: sein +Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmaß, und die Pointen sind zierliche +epigrammatische und sentenziöse Wendungen. Kein Lustspiel des Terenz ist dem +Plautinischen gegenüber, weder in poetischer noch in sittlicher Hinsicht, ein +Fortschritt zu nennen. Von Originalität kann bei beiden nicht, aber wo möglich +noch weniger bei Terenz, die Rede sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer +Kopierung wird wenigstens aufgewogen dadurch, daß der jüngere Dichter wohl die +Vergnüglichkeit, aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben verstand, so daß +die dem Menander nachgedichteten Lustspiels des Plautus, wie der +‘Stichus’, die Kästchenkomödie, ‘Die beiden Backchis’, +wahrscheinlich weit mehr von dem sprudelnden Zauber des Originals bewahren als +die Komödien des “halbierten Menander”. Ebensowenig wie in dem +Übergang vom Rohen zum Matten der Ästhetiker, kann der Sittenrichter in dem +Übergang von der Plautinischen Zote und Indifferenz zu der Terenzischen +Akkommodierungsmoral einen Fortschritt erkennen. Aber ein sprachlicher +Fortschritt fand allerdings statt. Die elegante Sprache war der Stolz des +Dichters, und ihrem unnachahmlichen Reiz vor allem verdankte er es, daß die +feinsten Kunstrichter der Folgezeit, wie Cicero, Caesar, Quintilian, unter +allen römischen Dichtern der republikanischen Zeit ihm den Preis zuerkannten. +Insofern ist es auch wohl gerechtfertigt, in der römischen Literatur, deren +wesentlicher Kern ja nicht die Entwicklung der lateinischen Poesie, sondern die +der lateinischen Sprache ist, von den Terenzischen Lustspielen als der ersten +künstlerisch reinen Nachbildung hellenischer Kunstwerke eine neue Ära zu +datieren. Im entschiedensten literarischen Krieg brach die moderne Komödie sich +Bahn. Die Plautinische Dichtweise hatte in dem römischen Bürgerstand Wurzel +gefaßt; die Terenzischen Lustspiele stießen auf den lebhaftesten Widerstand bei +dem Publikum, das ihre “matte Sprache”, ihren “schwachen +Stil” unleidlich fand. Der, wie es scheint, ziemlich empfindliche Dichter +antwortete in den eigentlich keineswegs hierzu bestimmten Prologen mit +Antikritiken voll defensiver und offensiver Polemik und provozierte von der +Menge, die aus seiner ‘Schwiegermutter’ zweimal weggelaufen war, um +einer Fechter- und Seiltänzerbande zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der +vornehmen Welt. Er erklärte, nur nach dem Beifall der “Guten” zu +streben, wobei freilich die Andeutung nicht fehlt, daß es durchaus nicht +anständig sei, Kunstwerke zu mißachten, die den Beifall der +“Wenigen” erhalten hätten. Er ließ die Rede sich gefallen oder +begünstigte sie sogar, daß vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rat und +sogar mit der Tat unterstützten 5. In der Tat drang er durch; selbst in der +Literatur herrschte die Oligarchie und verdrängte die kunstmäßige Komödie der +Exklusiven das volkstümliche Lustspiel: wir finden, daß um 620 (134) die +Plautinischen Stücke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so +bezeichnender, als nach dem frühen Tode des Terenz durchaus kein +hervorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet tätig war; über die Komödien +des Turpilius († 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder fast ganz +verschollene Lückenbüßer urteilte schon am Ende dieser Periode ein Kenner, daß +die neuen Komödien noch viel schlechter seien als die schlechten neuen +Pfennige. +</p> + +<p> +Daß wahrscheinlich bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der +griechisch-römischen Komödie (palliata) die nationale (togata) hinzugetreten +war als Abbild zwar nicht des spezifischen hauptstädtischen, aber doch des Tuns +und Treibens im latinischen Land, ist früher gezeigt worden. Natürlich +bemächtigte die Terenzische Schule rasch sich auch dieser Gattung; es war ganz +in ihrem Sinn, die griechische Komödie einerseits in getreuer Übersetzung, +andererseits in rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der +Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um 660 90). Die +Bruchstücke, die uns von ihm vorliegen, geben keinen bestimmten Eindruck, aber +sie widersprechen auch nicht dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn +bemerken. Seine zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus +dem griechischen Intrigenstück nachgebildet, nur daß sie, wie bei der +Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfielen. Auch im einzelnen +borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils aus der älteren +Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltönen aber, die bei dem Schöpfer +dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt hervortreten, begegnet bei Afranius +nicht viel 6; seine Sujets halten sich sehr allgemein und mögen wohl +durchgängig Nachbildungen bestimmter griechischer Komödien nur mit verändertem +Kostüm sein. Ein feiner Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - +literarische Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem +Terenz; auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schauspiel näherte, +die polizeimäßige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein. Als +Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren ihn hinreichend +das Urteil der Späteren, daß er die Toga trage wie Menandros sie als Italiker +getragen haben würde, und seine eigene Äußerung, daß ihm Terenz über alle +andern Dichter gehe. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +2 Vielleicht die einzige Ausnahme ist im ‘Mädchen von Andros’ (4, +5) die Antwort auf die Frage, wie es gehe: +</p> + +<p> +Nun, +</p> + +<p> +Wie wir können, heißt’s ja, da, wie wir möchten, es nicht geht, +</p> + +<p> +mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen Sprichwort +nachgebildete Zeile des Caecilius: +</p> + +<p> +Geht’s nicht so, wie du magst, so lebe wie du kannst. +</p> + +<p> +Das Lustspiel ist das älteste der Terenzischen und ward auf Empfehlung des +Caecilius von dem Theatervorstand zur Aufführung gebracht. Der leise Dank ist +bezeichnend. +</p> + +<p> +3 Ein Seitenstück zu der von Hunden gehetzten, weinend einen jungen Menschen um +Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm. prol. 4) verspottet, wird man in +der wenig geistreichen Plautinischen Allegorie von der Ziege und dem Affen +(Merc. 2, 1) erkennen dürfen. Schließlich gehen auch dergleichen Auswüchse auf +die Euripideische Rhetorik zurück (z. B. Eur. Hek. 90). +</p> + +<p> +4 Micio in den ‘Brüdern’ (I, 1) preist sein Lebenslos und +namentlich auch, daß er nie eine Frau gehabt, “was jene (die Griechen) +für ein Glück halten”. +</p> + +<p> +5 Im Prolog des ‘Selbstquälers’ läßt er von seinen Rezensenten sich +vorwerfen: +</p> + +<p> +Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie, +</p> + +<p> +Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang; +</p> + +<p> +und in dem späteren (594 160) zu den ‘Brüdern’ heißt es: +</p> + +<p> +Denn wenn Mißgünstige sagen, daß vornehme Herrn +</p> + +<p> +Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück, +</p> + +<p> +So rechnet dies, was herber Tadel jenen scheint, +</p> + +<p> +Der Dichter zum Ruhm sich: daß den Männern er gefällt, +</p> + +<p> +Die euch und allem Volke wohlgefällig sind, +</p> + +<p> +Die in Kriegsläuften seinerzeit mit Rat und Tat +</p> + +<p> +Hilfreich erprobt ihr all’ und ohne Übermut. +</p> + +<p> +Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, daß hier Laelius und +Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Szenen die von denselben +herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen +vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und fand es unverzeihlich, daß +dieselben für die Verbesserung seiner ökonomischen Lage gar nichts getan +hätten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekanntlich nirgends mächtiger als +in der Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon besonnene römische +Kritiker haben es erkannt, daß diese Zeilen unmöglich auf den damals 25jährigen +Scipio und auf seinen nicht viel älteren Freund Laelius gehen können. +Verständiger wenigstens dachten andere an die vornehmen Poeten Quintus Labeo +(Konsul 571 183) und Marcus Popillius (Konsul 581 173) und den gelehrten +Kunstfreund und Mathematiker Lucius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166); doch ist +auch dies offenbar nur Vermutung. Daß Terenz dem Scipionischen Hause nahe +stand, ist übrigens nicht zu bezweifeln; es ist bezeichnend, daß die erste +Aufführung der ‘Brüder’ und die zweite der +‘Schwiegermutter’ stattfand bei den Begräbnisfeierlichkeiten des +Lucius Paullus, die dessen Söhne Scipio und Fabius ausrichteten. +</p> + +<p> +6 Dabei haben vermutlich auch äußerliche Umstände mitgewirkt. Nachdem infolge +des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das römische Bürgerrecht +erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die Szene eines Lustspiels in eine +solche zu verlegen, und mußte der Dichter sich entweder allgemein halten oder +untergegangene oder ausländische Orte auswählen. Gewiß hat auch dieser Umstand, +der selbst bei der Aufführung der älteren Lustspiele in Betracht kam, auf das +Nationallustspiel ungünstig eingewirkt. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Neu trat in dieser Epoche in das Gebiet der lateinischen Literatur die Posse +ein. Sie selbst war uralt; lange bevor Rom stand, mögen Latiums lustige +Gesellen bei festlichen Gelegenheiten in den ein für allemal feststehenden +Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen Hintergrund erhielten +diese Späße an dem lateinischen Schildburg, wozu man die im Hannibalischen +Kriege zerstörte und damit der Komik preisgegebene ehemals oskische Stadt +Atella ausersah; seitdem ward für diese Aufführungen der Name der +“Oskischen Spiele” oder “Spiele von Atella” üblich 7. +Aber mit der Bühne 8 und mit der Literatur hatten diese Scherze nichts zu tun; +sie wurden von Dilettanten wo und wie es ihnen beliebte aufgeführt, und die +Texte nicht geschrieben oder doch nicht veröffentlicht. Erst in dieser Periode +überwies man das Atellanenstück an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, +ähnlich wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den +Tragödien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische Tätigkeit +hierauf zu erstrecken. Ob die römische Kunstposse ganz selbständig sich +entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht verwandte unteritalische zu ihr +den Anstoß gegeben hat ^10, läßt sich nicht mehr entscheiden; daß die einzelnen +Stücke durchgängig Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiß. Als Begründer +dieser neuen Literaturgattung trat in der ersten Hälfte des siebenten +Jahrhunderts ^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben +dessen Stücken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich beliebt +machten. Soweit die nicht zahlreichen Trümmer und die Berichte der alten +Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze, regelmäßig wohl +einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der tollen und locker geknüpften Fabel +beruhte als auf der drastischen Abkonterfeiung einzelner Stände und +Situationen. Gern wurden Festtage und öffentliche Akte komisch geschildert: +‘Die Hochzeit’, ‘Der erste März’, ‘Pantalon +Wahlkandidat’; ebenso fremde Nationalitäten: die transalpinischen +Gallier, die Syrer; vor allem häufig erschienen auf den Brettern die einzelnen +Gewerbe: der Küster, der Wahrsager, der Vogelschauer, der Arzt, der Zöllner, +der Maler, Fischer, Bäcker gingen über die Bühne; die Ausrufer hatten viel zu +leiden und mehr noch die Walker, die in der römischen Narrenwelt die Rolle +unserer Schneider gespielt zu haben scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen +städtischen Leben sein Recht geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden +und Freuden nach allen Seiten dargestellt - von der Fülle dieses ländlichen +Repertoires geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen Titel, wie zum +Beispiel ‘Die Kuh’, ‘Der Esel’, ‘Das +Zicklein’, ‘Die Sau’, ‘Das Schwein’, ‘Das +kranke Schwein, ‘Der Bauer, ‘Der Landmann, ‘Pantalon +Landmann, ‘Der Rinderknecht, ‘Die Winzer, ‘Der +Feigensammler’, ‘Das Holzmachen’, ‘Das Behacken, +‘Der Hühnerhof’. Immer noch waren es in diesen Stücken die +stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen Dieners, des guten Alten, des +weisen Mannes, die das Publikum ergötzten; namentlich der erste durfte nicht +fehlen, der Pulcinell dieser Posse, der gefräßige, unflätige ausstaffiert +häßliche und dabei ewig verliebte Maccus, immer im Begriff, über seine eigenen +Füße zu fallen, von allen mit Hohn und mit Prügeln bedacht und endlich am +Schluß der regelmäßige Sündenbock - die Titel ‘Pulcinell Soldat, +‘Pulcinell Wirt’, ‘Jungfer Pulcinell’, ‘Pulcinell +in der Verbannung, ‘Die beiden Pulcinelle’ mögen dem gutgelaunten +Leser eine Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der römischen +Mummenschanz herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit sie geschrieben +wurden, den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich fügten und in den Versmaßen +zum Beispiel der griechischen Bühne sich anschlossen, so hielten sie doch sich +natürlicherweise bei weitem latinischer und volkstümlicher als selbst das +nationale Lustspiel; in die griechische Welt begab sich die Posse nur in der +Form der travestierten Tragödie ^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius +und überhaupt nicht sehr häufig kultiviert worden zu sein. Die Posse dieses +Dichters wagte sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch wenigstens bis +zu dem menschlichsten der Götter, dem Hercules; er schrieb einen +‘Hercules Auctionator’. Daß der Ton nicht der feinste war, versteht +sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkörnige Bauernzoten, Kinder +schreckende und gelegentlich fressende Gespenster gehörten hier einmal mit +dazu, und persönliche Anzüglichkeiten, sogar mit Nennung der Namen, schlüpften +nicht selten durch. Aber es fehlte auch nicht an lebendiger Schilderung, an +grotesken Einfällen, schlagenden Späßen, kernigen Sprüchen, und die Harlekinade +gewann sich rasch eine nicht unansehnliche Stellung im Bühnenleben der +Hauptstadt und selbst in der Literatur. +</p> + +<p> +—————————————————— +</p> + +<p> +7 Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irrtümern. Das +arge Versehen griechischer Berichterstatter, daß diese Possen in Rom in +oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein +verworfen; allein es stellt bei genauerer Betrachtung sich nicht minder als +unmöglich heraus diese, in der Mitte des latinischen Stadt- und Landlebens +stehenden Stücke überhaupt auf das national oskische Wesen zu beziehen. Die +Benennung des “Atellanischen Spiels” erklärt sich auf eine andere +Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und stehenden Späßen +bedurfte einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt sucht überall sich ein +Schildburg. Natürlich konnte bei der römischen Bühnenpolizei keine der +römischen oder auch nur mit Rom verbündeten latinischen Gemeinden dazu genommen +werden, obwohl die togatae in diese zu verlegen gestattet war. Atella aber, das +mit Capua zugleich im Jahre 543 (211) rechtlich vernichtet ward, tatsächlich +aber als ein von römischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu +in jeder Beziehung. Zur Gewißheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung, +daß einzelne dieser Possen auch in anderen überhaupt oder doch rechtlich nicht +mehr existierenden Gemeinden des lateinisch redenden Gebiets spielen: so des +Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi und seine Quinquatria in +Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa Pometia, während keine +bestehende Gemeinde ähnlich gemißhandelt wird. Die wirkliche Heimat dieser +Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schauplatz die latinisierte +Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie nichts zu tun. Daß ein +Stück des Naevius († nach 550 200) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von +“Atellanenspielern” aufgeführt ward und deshalb personata hieß +(Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem Fall; die Benennung +“Atellanenspieler” wird hier proleptisch stehen, und man könnte +sogar danach vermuten, daß sie früher “Maskenspieler” (personati) +hießen. +</p> + +<p> +Ganz in gleicher Weise erklären sich endlich auch die “Lieder von +Fescennium”, die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Römer gehören +und in der südetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert wurden, ohne darum +mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu dürfen als die Atellanen +zur oskischen. Daß Fescennium in historischer Zeit nicht Stadt, sondern Dorf +war, läßt sich allerdings nicht unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, +wie die Schriftsteller des Ortes gedenken und nach dem Schweigen der +Inschriften im höchsten Grade wahrscheinlich. +</p> + +<p> +8 Die enge und ursprüngliche Verbindung, in die namentlich Livius die +Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser sich entwickelnden Schauspiel +bringt, ist schlechterdings nicht haltbar. Zwischen dem Histrio und dem +Atellanenspieler war der Unterschied ungefähr ebenso groß wie heutzutage +zwischen dem, der auf die Bühne und dem, der auf den Maskenball geht; auch +zwischen dem Schauspiel, das bis auf Terenz keine Masken kannte, und der +Atellane, die wesentlich auf der Charaktermaske beruhte, besteht ein +ursprünglicher, in keiner Weise auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel +ging aus von dem Flötenstücke, das anfangs ohne alle Rezitation bloß auf Gesang +und Tanz sich beschränkte, sodann einen Text (satura), endlich durch Andronicus +ein der griechischen Schaubühne entlehntes Libretto erhielt, worin die alten +Flötenlieder ungefähr die Stelle des griechischen Chors einnahmen. Mit der +Dilettantenposse berührt sich dieser Entwicklungsgang in den früheren Stadien +nirgends. +</p> + +<p> +9 In der Kaiserzeit ward die Atellane durch Schauspieler von Profession +dargestellt (Friedländer in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit, wo +diese anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht überliefert, kann aber kaum +eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die Atellane unter die +regelmäßigen Bühnenspiele eintrat, das heißt die vorciceronische Epoche, (Cic. +ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im Widerspruch, daß noch zu Livius’ (7, +2) Zeit die Atellanenspieler im Gegensatz der übrigen Schauspieler ihre +Ehrenrechte behielten; denn damit, daß Schauspieler von Profession gegen +Bezahlung die Atellane mitaufzuführen anfingen, ist noch gar nicht gesagt, daß +dieselbe nicht mehr, zum Beispiel in den Landstädten, von unbezahlten +Dilettanten aufgeführt ward und das Privilegium also fortwährend anwendbar +blieb. +</p> + +<p> +^10 Es verdient Beachtung, daß die griechische Posse nicht bloß vorzugsweise in +Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer Stücke (zum Beispiel unter +denen des Sopatros ‘Das Linsengericht, ‘Bakchis’ Freier, +‘Des Mystakos Lohnlakai, ‘Die Gelehrtem, ‘Der +Physiolog’) lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muß diese +Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen in und um +Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien bildeten; denn einer +dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, führt schon einen römischen Namen +und schrieb eine Posse ‘Saturnus’. +</p> + +<p> +^11 Nach Eusebius blühte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn Zeitgenossen +des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius (611-667 143-87). Die +erste Ansetzung dürfte um ein Menschenalter zu spät sein; die um 650 100 +abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt in seinen ‘Malern’ noch +vor, und um das Ende dieser Periode begegnen auch schon die Mimen, welche die +Atellanen von der Bühne verdrängten. +</p> + +<p> +^12 Lustig genug mochte sie auch hier sein. So hieß es in Novius’ +‘Phönissen’: +</p> + +<p> +Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot! +</p> + +<p> +ganz wie Menanders ‘falscher Herakles’ auftritt. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Was endlich die Entwicklung des Bühnenwesens anlangt, so sind wir nicht +imstande, im einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, daß das +allgemeine Interesse an den Bühnenspielen beständig im Steigen war und +dieselben immer häufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloß ward jetzt +wohl kaum ein ordentliches oder außerordentliches Volksfest ohne Bühnenspiele +begangen, auch in den Landstädten und Privathäusern wurden Vorstellungen +gemieteter Schauspielertruppen gewöhnlich. Zwar entbehrte, während +wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser Zeit ein steinernes +Theater besaß, die Hauptstadt eines solchen noch immer; den schon verdungenen +Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599 (185) auf Veranlassung des Publius +Scipio Nasica wieder inhibiert. Es war das ganz im Geiste der scheinheiligen +Politik dieser Zeit, daß man aus Respekt vor den Sitten der Väter die Erbauung +eines stehenden Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele +reißend zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden ließ, um +Brettergerüste für dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die +Bühneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung und die +Wiedereinführung der Masken um die Zeit des Terenz hängt wohl ohne Zweifel +damit zusammen, daß die Einrichtung und Instandhaltung der Bühne und des +Bühnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse übernommen ward ^13. +Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die Spiele, welche Lucius Mummius +nach der Einnahme von Korinth gab (609 145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst +ein nach griechischer Art akustisch gebautes und mit Sitzplätzen versehenes +Theater aufgeschlagen und überhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. +Nun ist auch von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer +Stücke, von lebhafter Parteinahme des Publikums für und gegen die +Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. Dekorationen und +Maschinerie wurden verbessert: kunstmäßig gemalte Kulissen und hörbare +Theaterdonner kamen unter der Ädilität des Gaius Claudius Pulcher 655 (99) auf +^15, zwanzig Jahre später (675 79) unter der Ädilität der Brüder Lucius und +Marcus Lucullus, die Verwandlung der Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. +Dem Ende dieser Epoche gehört der größte römische Schauspieler an, der +Freigelassene Quintus Roscius († um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere +Generationen hindurch der Schmuck und Stolz der römischen Bühne ^16, Sullas +Freund und gern gesehener Tischgenosse, auf den noch später zurückzukommen sein +wird. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^13 Bisher hatte der Spielgeber die Bühne und den szenischen Apparat aus der +ihm überwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand setzen müssen und +wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden sein. Im Jahre 580 (174) +aber gaben die Zensoren die Einrichtung der Bühne für die Spiele der Ädilen und +Prätoren besonders in Verding (Liv. 41, 27); daß der Bühnenapparat jetzt nicht +mehr bloß für einmal angeschafft ward, wird zu einer merklichen Verbesserung +desselben geführt haben. +</p> + +<p> +^14 Die Berücksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen folgt wohl +aus Vitr. 5, 5, B. Über die Sitzplätze hat F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus +und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX) gesprochen; doch dürften (nach +Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen, welche nicht capite censi waren, +Anspruch auf einen solchen gehabt haben. Wahrscheinlich gehen übrigens zunächst +auf diese epochemachenden Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die +Worte des Horaz, daß “das gefangene Griechenland den Sieger gefangen +nahm”. +</p> + +<p> +^15 Die Kulissen des Pulcher müssen ordentlich gemalt gewesen sein, da die +Vögel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu setzen (Plin nat. +35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die Donnermaschinerie darin +bestanden, daß Nägel und Steine in einem kupfernen Kessel geschüttelt wurden; +erst Pulcher stellte einen besseren Donner durch gerollte Steine her - das +nannte man seitdem “Claudischen Donner” (Festus v. Claudiana p. +57). +</p> + +<p> +^16 Unter den wenigen, aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten findet +</p> + +<p> +sich folgendes Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler: +</p> + +<p> + Constiteram, exorientem Auroram forte salutans, +</p> + +<p> + Cum subito a laeva Roscius exoritur. +</p> + +<p> + Pace mihi liceat, caelestes, dicere vestra: +</p> + +<p> + Mortalis visust pulchrior esse deo. +</p> + +<p> + Jüngsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn: +</p> + +<p> + Da zur Linken mir, schau! plötzlich geht Roscius auf. +</p> + +<p> + Zürnet, ihr Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe: +</p> + +<p> + Schöner fürwahr als der Gott deuchte der Sterbliche mir. +</p> + +<p> +Der Verfasser dieses griechisch gehaltenen und von griechischem +Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms ist kein geringerer Mann als der +Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius Catulus, Konsul 652 (102). +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +In der rezitativen Poesie fällt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf, das im +sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur entschieden den +ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar zahlreiche Vertreter fand, +aber nicht einen einzigen von auch nur vorübergehendem Erfolg. Aus der +gegenwärtigen Epoche ist kaum etwas zu nennen als eine Anzahl roher Versuche, +den Homer zu übersetzen und einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbücher, +wie des Hostius ‘Histrischer Krieg’ und des Aulus Furius (um 650 +100) ‘Jahrbücher (vielleicht) des Gallischen Krieges’, die allem +Anschein nach unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des +Histrischen Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehört hatte. Auch in der +didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein hervorragender Name. +Die einzigen Erfolge, welche die rezitative Dichtkunst dieser Epoche +aufzuweisen hat, gehören dem Gebiete der sogenannten Satura an, derjenigen +Kunstgattung, die gleich dem Briefe oder der Broschüre jede Form zuläßt und +jeden Inhalt aufnimmt, darum auch aller eigentlichen Gattungskriterien +ermangelnd, durchaus nach der Individualität eines jeden Dichters sich +individualisiert und nicht bloß auf der Grenze von Poesie und Prosa, sondern +schon mehr als zur Hälfte außerhalb der eigentlichen Literatur steht. Die +launigen poetischen Episteln, die einer der jüngeren Männer des Scipionischen +Kreises, Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus dem Lager +von Korinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert +später gern gelesen; und es mögen dergleichen nicht zur Veröffentlichung +bestimmte poetische Scherze aus dem reichen geselligen und geistigen Leben der +besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der +Literatur ist Gaius Lucilius (606-651 148-103), einer angesehenen Familie der +latinischen Kolonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein Glied des +Scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte sind gleichsam offene Briefe an das +Publikum, ihr Inhalt, wie ein geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das ganze +Leben des gebildeten unabhängigen Mannes, der den Vorgängen auf der politischen +Schaubühne vom Parkett und gelegentlich von den Kulissen aus zusieht, der mit +den Besten seiner Zeit verkehrt als mit seinesgleichen, der Literatur und +Wissenschaft mit Anteil und Einsicht verfolgt, ohne doch selbst für einen +Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich für alles, was im +Guten und Bösen ihm begegnet, für politische Erfahrungen und Erwartungen, für +Sprachbemerkungen und Kunsturteile, für eigene Erlebnisse, Besuche, Diners, +Reisen wie für vernommene Anekdoten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. +Kaustisch, kapriziös, durchaus individuell hat die Lucilische Poesie doch eine +scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, +literarisch sowohl wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der +Auflehnung der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefühl des +rein redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das große +Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbnis. Die Richtung des Scipionischen +Kreises auf literarische, namentlich sprachliche Korrektheit findet kritisch +ihren vollendetsten und geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich +sein erstes Buch dem Begründer der römischen Philologie, Lucius Stilo, und +bezeichnete als das Publikum, für das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise +reiner und mustergültiger Rede, sondern die Tarentiner, die Brettier, die +Siculer, das heißt die Halbgriechen Italiens, deren Lateinisch allerdings eines +Korrektivs wohl bedürfen mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäftigen sich +mit der Feststellung der lateinischen Orthographie und Prosodie, mit der +Bekämpfung pränestinischer, sabinischer, etruskischer Provinzialismen, mit der +Ausmerzung gangbarer Solözismen, woneben der Dichter aber keineswegs vergißt, +den geistlos schematischen Isokrateischen Wort- und Phrasenpurismus zu +verhöhnen ^17 und selbst dem Freunde Scipio die exklusive Feinheit seiner Rede +in recht ernsthaften Scherzen vorzurücken ^18. Aber weit ernstlicher noch als +das reine einfache Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat- und im +öffentlichen Leben. Seine Stellung begünstigte ihn hierbei in eigener Art. +Obwohl durch Herkunft, Vermögen und Bildung den vornehmen Römern seiner Zeit +gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen Hauses in der Hauptstadt, war er +doch nicht römischer Bürger, sondern latinischer; selbst sein Verhältnis zu +Scipio, unter dem er in seiner ersten Jugend den Numantinischen Krieg +mitgemacht hatte und in dessen Hause er häufig verkehrte, mag damit +zusammenhängen, daß Scipio in vielfachen Beziehungen zu den Latinern stand und +in den politischen Fehden der Zeit ihr Patron war. Die öffentliche Laufbahn war +ihm hierdurch verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmähte er - er +mochte nicht, wie er einmal sagt, “aufhören, Lucilius zu sein, um +asiatischer Steuerpächter zu werden”. So stand er in der schwülen Zeit +der Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden Bundesgenossenkrieges, +verkehrend in den Palästen und Villen der römischen Großen und doch nicht +gerade ihr Klient, zugleich mitten in den Wogen des politischen Koterien- und +Parteikampfes und doch nicht unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; ähnlich +wie Béranger, an den gar vieles in Lucilius’ politischer und poetischer +Stellung erinnert. Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwüstlichem +gesunden Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem +Witz hinein in das öffentliche Leben. +</p> + +<p> +Jetzt aber am Fest- und Werkeltag +</p> + +<p> +Den ganzen lieben langen Tag +</p> + +<p> +Auf dem Markte von früh bis Spat +</p> + +<p> +Drängen die Bürger und die sich vom Rat +</p> + +<p> +Und weichen und wanken nicht von der Statt. +</p> + +<p> +Ein Handwerk einzig und allein +</p> + +<p> +Betreiben alle insgemein, +</p> + +<p> +Den andern zu prellen mit Verstand, +</p> + +<p> +Im Lügen zu haben die Vorderhand +</p> + +<p> +Und zu werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt. +</p> + +<p> +All’ untereinandern belauern sie sich, +</p> + +<p> +Als läge jeder mit jedem im Krieg ^19. +</p> + +<p> +—————————————————————————————- +</p> + +<p> +^17 Quam lepide λέξεις, compostae ut tesserulae omnes +</p> + +<p> +Arte pavimento atque emblemate vermiculato! +</p> + +<p> +Ei, die niedliche Phrasenfabrik! +</p> + +<p> +Gefügt so zierlich Stück für Stück, +</p> + +<p> +Wie die Stifte im bunten Mosaik. +</p> + +<p> +^18 Der Dichter rät ihm: +</p> + +<p> +Quo facetior videare et scire plus quam ceteri, +</p> + +<p> +Daß du gebildeter als die andern heißest und ein feinerer Mann, +</p> + +<p> +- nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen. +</p> + +<p> +^19 Nunc vero a mane ad noctem, festo atque profesto +</p> + +<p> +Toto itidem pariterque die populusque patresque +</p> + +<p> +Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam. +</p> + +<p> +Uni se atque eidem studio omnes dedere et arti: +</p> + +<p> +Verba dare ut acute possint, pugnare dolose, +</p> + +<p> +Blanditia certare, bonun simulare virum se, +</p> + +<p> +Insidias facere ut si hostes sint omnibus omnes. +</p> + +<p> +—————————————————————————————— +</p> + +<p> +Die Erläuterungen zu diesem unerschöpflichen Text griffen schonungslos, ohne +die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die Übelstände der Zeit +an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen Kriegsdienst und was dessen mehr +war; gleich die Eröffnung seiner Satiren war eine große Debatte des olympischen +Göttersenats über die Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der +Himmlischen sich zu erfreuen. Körperschaften, Stände, Individuen wurden überall +einzeln mit Namen genannt; die der römischen Bühne verschlossene Poesie der +politischen Polemik ist das rechte Element und der Lebenshauch der Lucilischen +Gedichte, die mit einer selbst in den auf uns gekommenen Trümmern noch +entzückenden Macht des schlagendsten und bilderreichsten Witzes +“gleichwie mit gezogenem Schwerte” auf den Feind eindringen und ihn +zermalmen. Hier, in dem sittlichen Übergewicht und dem stolzen Freiheitsgefühl +des Dichters von Suessa, liegt der Grund, weshalb der feine Venusianer, der in +der alexandrinischen Zeit der römischen Poesie die Lucilische Satire +wiederaufnahm, trotz aller Überlegenheit im Formgeschick mit richtiger +Bescheidenheit dem älteren Poeten weicht als “seinem Besseren”. Die +Sprache ist die des griechisch und lateinisch durchgebildeten Mannes, der +durchaus sich gehen läßt; ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch +zweihundert und nach Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu +eilig, um knapp zu sein; unnützige Weitläufigkeit, schluderige Wiederholung +derselben Wendung, arge Nachlässigkeiten begegnen. häufig; das erste Wort, +lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Ähnlich sind die Maße, +namentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man die Worte +umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde kein Mensch merken, daß er +etwas anderes vor sich habe als einfache Prosa; der Wirkung nach lassen sie +sich nur mit unseren Knüttelversen vergleichen 20. Die Terenzischen und die +Lucilischen Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und verhalten sich wie +die sorgsam gepflegte und gefeilte literarische Arbeit zu dem mit fliegender +Feder geschriebenen Brief. Aber die unvergleichlich höhere geistige Begabung +und freiere Lebensanschauung, die der Ritter von Suessa vor dem afrikanischen +Sklaven voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch und glänzend, wie der +des Terenz mühsam und zweifelhaft gewesen war; Lucilius war sofort der Liebling +der Nation und auch er konnte wie Béranger von seinen Gedichten sagen, +“daß sie allein unter allen vom Volke gelesen würden”. Die +ungemeine Popularität der Lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein +bemerkenswertes Ereignis; man sieht daraus, daß die Literatur schon eine Macht +war, und ohne Zweifel würden wir die Spuren derselben, wenn eine eingehende +Geschichte dieser Zeit sich erhalten hätte, darin mehrfach antreffen. Die +Folgezeit hat das Urteil der Zeitgenossen nur bestätigt; die antialexandrinisch +gesinnten römischen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang unter +allen lateinischen Dichtern zu. Soweit die Satire überhaupt als eigene +Kunstform angesehen werden kann, hat Lucilius sie erschaffen und in ihr die +einzige Kunstgattung, welche den Römern eigentümlich und von ihnen auf die +Nachwelt vererbt worden ist. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +20 Folgendes längere Bruchstück ist charakteristisch für die stilistische und +metrische Behandlung, deren Lotterigkeit sich in deutschen Hexametern unmöglich +wiedergeben läßt: +</p> + +<p> +Virtus, Albine, est pretium persolvere verum +</p> + +<p> +Queis in versamur, queis vivimu’ rebu potesse; +</p> + +<p> +Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res; +</p> + +<p> +Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum, +</p> + +<p> +Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum; +</p> + +<p> +Virtus quaerendae rei finem scire modumque; +</p> + +<p> +Virtus divitiis pretium persolvere posse; +</p> + +<p> +Virtus id dare quod re ipsa debetur honori, +</p> + +<p> +Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum. +</p> + +<p> +Contra defensorem hominum morumque bonorum, +</p> + +<p> +Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum; +</p> + +<p> +Commoda praeterea patriae sibi prima putare, +</p> + +<p> +Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra. +</p> + +<p> +Tugend ist zahlen den rechten Preis +</p> + +<p> +Zu können nach ihrer Art und Weis +</p> + +<p> +Für jede Sach’ in unserm Kreis; +</p> + +<p> +Tugend, zu wissen, was jedes Ding +</p> + +<p> +Mit sich für den Menschen bring’; +</p> + +<p> +Tugend, zu wissen, was nützlich und recht, +</p> + +<p> +Was gut und übel, unnütz und schlecht; +</p> + +<p> +Tugend, wenn man dem Erwerb und Fleiß +</p> + +<p> +Zu setzen die rechte Grenze weiß +</p> + +<p> +Und dem Reichtum den rechten Preis; +</p> + +<p> +Tugend, dem Rang zu geben sein Recht, +</p> + +<p> +Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht, +</p> + +<p> +Freund Menschen und Sitten gut und recht; +</p> + +<p> +Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu, +</p> + +<p> +Zu ihnen zu halten in Lieb’ und Treu; +</p> + +<p> +Immer zu sehen am ersten Teil +</p> + +<p> +Auf des Vaterlandes Heil, +</p> + +<p> +Sodann auf das, was den Eltern frommt, +</p> + +<p> +Und drittens der eigene Vorteil kommt. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Von der an den Alexandrinismus anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche +noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen Epigrammen übersetzte +oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht ihrer selbst wegen, aber wohl +als der erste Vorbote der jüngeren Literaturepoche Roms Erwähnung verdienen. +Abgesehen von einigen wenig bekannten und auch der Zeit nach nicht mit +Sicherheit zu bestimmenden Dichtern gehören hierher Quintus Catulus (Konsul 622 +102) und Lucius Manlius, ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) +schrieb. Der letztere scheint manche der bei den Griechen landläufigen +geographischen Märchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die Fabeln von +der Europa und von dem Wundervogel Phönix zuerst bei den Römern in Umlauf +gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten war, auf seinen Reisen in +Dodona jenen merkwürdigen Dreifuß zu entdecken und abzuschreiben, worauf das +den Pelasgern vor ihrer Wanderung in das Land der Sikeler und Aboriginer +erteilte Orakel zu lesen war - ein Fund, den die römischen Geschichtsbücher +nicht versäumten, andächtig zu registrieren. +</p> + +<p> +Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen bezeichnet durch +einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt noch nach seinem geistigen +und literarischen Standpunkt der italischen Entwicklung angehört, der aber +zuerst oder vielmehr allein die Weltstellung Roms zur schriftstellerischen +Geltung und Darstellung gebracht hat und dem alle späteren Geschlechter und +auch wir das Beste verdanken, was wir von der römischen Entwicklung wissen. +Polybios (ca. 546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des +achäischen Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) +den Zug der Römer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später, +vielfach namentlich während des Dritten Makedonischen Krieges, von seinen +Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften verwendet. Nach der +durch diesen Krieg in Hellas herbeigeführten Krise wurde er mit den anderen +achäischen Geiseln nach Italien abgeführt, wo er siebzehn Jahre (587-604 +167-150) in der Konfinierung lebte und durch die Söhne des Paullus in die +vornehmen hauptstädtischen Kreise eingeführt ward. Die Rücksendung der +achäischen Geiseln führte ihn in die Heimat zurück, wo er fortan den stehenden +Vermittler zwischen seiner Eidgenossenschaft und den Römern machte. Bei der +Zerstörung von Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwärtig. Er schien +vom Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung deutlicher +zu erfassen, als die damaligen Römer selbst es vermochten. Auf dem Platze, wo +er stand, ein griechischer Staatsmann und ein römischer Gefangener, seiner +hellenischen Bildung wegen geschätzt und gelegentlich beneidet von Scipio +Aemilianus und überhaupt den ersten Männern Roms, sah er die Ströme, die so +lange getrennt geflossen waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die +Geschichte der Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der römischen +Macht und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte +Hellene, der mit ernster Überzeugung auf die Weltanschauung des Scipionischen +Kreises einging und die Überlegenheit des Hellenismus auf dem geistigen, des +Römertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen anerkannte, über die die +Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte und denen man beiderseits sich +zu unterwerfen berechtigt und verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als +praktischer Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend +dem ehrenwerten, aber unhaltbaren achäischen Lokalpatriotismus gehuldigt haben, +so vertrat er in seinen späteren Jahren, in deutlicher Einsicht der +unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des engsten +Anschlusses an Rom. Es war das eine höchst verständige und ohne Zweifel +wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und stolze Politik. Auch von +der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen hellenischen Staatsmannstums +hat Polybios nicht vermocht, sich persönlich völlig frei zu machen. Kaum aus +der Konfinierung entlassen, stellte er an den Senat den Antrag, daß er den +Entlassenen, jedem in seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch förmlich +verbriefen möge, worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn +Odysseus noch einmal in die Höhle des Polyphemos zurückkehre, um sich von dem +Riesen Hut und Gürtel auszubitten. Sein Verhältnis zu den römischen Großen hat +er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, wie er der hohen +Protektion sich unterwirft und sich berühmt, nähert sich doch einigermaßen dem +Oberkammerdienertum. Durchaus denselben Geist, den seine praktische, atmet auch +seine literarische Tätigkeit. Es war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte +der Einigung der Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom +ersten Punischen Krieg bis zur Zerstörung von Karthago und Korinth faßt sein +Werk die Schicksale der sämtlichen Kulturstaaten, das heißt Griechenlands, +Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Ägyptens, Karthagos und Italiens zusammen +und stellt deren Eintreten in die römische Schutzherrschaft im ursächlichen +Zusammenhang dar; insofern bezeichnet er es als sein Ziel, die Zweck- und +Vernunftmäßigkeit der römischen Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der +Ausführung steht diese Geschichtschreibung in scharfem und bewußtem Gegensatz +gegen die gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische +Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem Chronikenstandpunkt; +hier gab es wohl einen bedeutungsvollen geschichtlichen Stoff, aber die +sogenannte Geschichtschreibung beschränkte sich - mit Ausnahme der sehr +achtbaren, aber rein individuellen und doch auch nicht über die Anfänge der +Forschung wie der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf +Ammenmärchen, teils auf Notizenbündel. Die Griechen hatten eine +Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; aber der +zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und Staat so +vollständig abhanden gekommen, daß es keinem der zahllosen Historiker gelang, +der Spur der großen attischen Meister im Geiste und in der Wahrheit zu folgen +und den weltgeschichtlichen Stoff der Zeitgeschichte weltgeschichtlich zu +behandeln. Ihre Geschichtschreibung war entweder rein äußerliche Aufzeichnung, +oder es durchdrang sie der Phrasen- und Lügenkram der attischen Rhetorik, und +nur zu oft die Feilheit und die Gemeinheit, die Speichelleckerei und die +Erbitterung der Zeit. Bei den Römern wie bei den Griechen gab es nichts als +Stadt- oder Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit +Recht erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern stehend wie +den Römern, überschritt diese kümmerlichen Schranken, behandelte den römischen +Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab zwar nicht eine universale, aber +doch eine von den Lokalstaaten losgelöste und den im Werden begriffenen +römisch-griechischen Staat erfassende Geschichte. Vielleicht niemals hat ein +Geschichtschreiber so vollständig wie Polybios alle Vorzüge eines +Quellenschriftstellers in sich vereinigt. Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm +vollkommen deutlich und jeden Augenblick gegenwärtig; und durchaus haftet der +Blick auf dem wirklich geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die +Masse der wertlosen Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der +Länder und Völker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen +Verhältnisse, all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem Annalisten +entschlüpfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr aufnageln lassen, +werden eingesetzt in ihr lange verkümmertes Recht. In der Herbeischaffung des +historischen Materials zeigt Polybios eine Umsicht und Ausdauer, wie sie im +Altertum vielleicht nicht wiedererscheinen; er benutzt die Urkunden, +berücksichtigt umfassend die Literatur der verschiedenen Nationen, macht von +seiner günstigen Stellung zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und +Augenzeugen den ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmäßig das ganze +Gebiet der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Küste des Atlantischen Ozeans +21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen großen Dingen hat er kein +Interesse für diesen oder gegen jenen Staat, für diesen oder gegen jenen Mann, +sondern einzig und allein für den wesentlichen Zusammenhang der Ereignisse, den +im richtigen Verhältnis der Ursachen und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloß +die erste, sondern die einzige Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die +Erzählung endlich ist musterhaft vollständig, einfach und klar. Aber alle diese +ungemeinen Vorzüge machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber ersten +Ranges. Polybios faßt seine literarische Aufgabe, wie er seine praktische +faßte, mit großartigem Verstand, aber auch nur mit dem Verstande. Die +Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der Freiheit, ist ein sittliches +Problem; Polybios behandelt sie, als wäre sie ein mechanisches. Nur das Ganze +gilt für ihn, in der Natur wie im Staat; das besondere Ereignis, der +individuelle Mensch, wie wunderbar sie auch erscheinen mögen, sind doch +eigentlich nichts als einzelne Momente, geringe Räder in dem höchst künstlichen +Mechanismus, den man den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein +anderer geschaffen zur Darstellung der Geschichte des römischen Volkes, welches +in der Tat das einzige Problem gelöst hat, sich zu beispielloser innerer und +äußerer Größe zu erheben ohne auch nur einen im höchsten Sinne genialen +Staatsmann, und das auf seinen einfachen Grundlagen mit wunderbarer fast +mathematischer Folgerichtigkeit sich entwickelt. Aber das Moment der sittlichen +Freiheit waltet in jeder Volksgeschichte und wurde auch in der römischen von +Polybios nicht ungestraft verkannt. Polybios’ Behandlung aller Fragen, in +denen Recht, Ehre, Religion zur Sprache kommen, ist nicht bloß platt, sondern +auch gründlich falsch. Dasselbe gilt überall, wo eine genetische Konstruktion +erfordert wird; die rein mechanischen Erklärungsversuche, die Polybios an deren +Stelle setzt, sind mitunter geradezu zum Verzweifeln, wie es denn kaum eine +törichtere politische Spekulation gibt, als die vortreffliche Verfassung Roms +aus einer verständigen Mischung monarchischer, aristokratischer und +demokratischer Elemente her- und aus der Vortrefflichkeit der Verfassung die +Erfolge Roms abzuleiten. Die Auffassung der Verhältnisse ist überall bis zum +Erschrecken nüchtern und phantasielos, die geringschätzige und superkluge Art, +die religiösen Dinge zu behandeln, geradezu widerwärtig. Die Darstellung, in +bewußter Opposition gegen die übliche, künstlerisch stilisierte griechische +Historiographie gehalten, ist wohl richtig und deutlich, aber dünn und matt, +öfter als billig in polemische Exkurse oder in memoirenhafte, nicht selten +recht selbstgefällige Schilderung der eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein +oppositioneller Zug geht durch die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte seine +Schrift zunächst für die Römer und fand doch auch hier nur einen sehr kleinen +Kreis, der ihn verstand; er fühlte es, daß er den Römern ein Fremder, seinen +Landsleuten ein Abtrünniger blieb und daß er mit seiner großartigen Auffassung +der Verhältnisse mehr der Zukunft als der Gegenwart angehörte. Darum blieb er +nicht frei von einer gewissen Verstimmtheit und persönlichen Bitterkeit, die in +seiner Polemik gegen die flüchtigen oder gar feilen griechischen und die +unkritischen römischen Historiker öfters zänkisch und kleinlich auftritt und +aus dem Geschichtschreiber- in den Rezensententon fällt. Polybios ist kein +liebenswürdiger Schriftsteller; aber wie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit mehr +ist als alle Zier und Zierlichkeit, so ist vielleicht kein Schriftsteller des +Altertums zu nennen, dem wir so viele ernstliche Belehrung verdanken wie ihm. +Seine Bücher sind wie die Sonne auf diesem Gebiet; wo sie anfangen, da heben +sich die Nebelschleier, die noch die Samnitischen und den Pyrrhischen Krieg +bedecken, und wo sie endigen, beginnt eine neue, womöglich noch lästigere +Dämmerung. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +21 Dergleichen gelehrte Reisen waren übrigens bei den Griechen dieser Zeit +nichts Seltenes. So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, der das ganze +Mittelländische Meer durchschifft hat: +</p> + +<p> +Warum geh’ ich nicht +</p> + +<p> +nach Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will? +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +In einem seltsamen Gegensatz zu dieser großartigen Auffassung und Behandlung +der römischen Geschichte durch einen Ausländer steht die gleichzeitige +einheimische Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser Periode begegnen noch einige +griechisch geschriebene Chroniken, wie die schon erwähnte des Aulus Postumius +(Konsul 603 151), voll übler Pragmatik, und die des Gaius Acilius (schloß in +hohem Alter um 612 142); doch gewann unter dem Einfluß teils des catonischen +Patriotismus, teils der feineren Bildung des Scipionischen Kreises die +lateinische Sprache auf diesem Gebiet so entschieden die Vorhand, daß nicht +bloß unter den jüngeren Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch +geschriebene vorkommt 22, sondern auch die älteren griechischen Chroniken ins +Lateinische übersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in diesen Übersetzungen +gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch geschriebenen Chroniken dieser +Epoche außer dem Gebrauch der Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie +waren zahlreich und ausführlich genug - genannt werden zum Beispiel die des +Lucius Cassius Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 +188), des Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius +(Konsul 632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in +achtzig Büchern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein auch als +Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und veröffentlichte und +damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluß gab, als die +Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhörten, doch wenigstens +bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten nicht weiter literarisch +in Betracht kamen. Alle diese Jahrbücher, mochten sie nun als Privat- oder als +offizielle Werke sich ankündigen, waren wesentlich gleichartige +Zusammenarbeitungen des vorhandenen geschichtlichen und quasigeschichtlichen +Materials; und der Quellen- wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in +demselben Maße, wie ihre Ausführlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der +Chronik nirgends Wahrheit ohne Dichtung, und es wäre sehr töricht, mit Naevius +und Pictor zu rechten, daß sie es nicht anders gemacht als Hekatäos und Saxo +Grammaticus; aber die späteren Versuche, aus solchen Nebelwolken Häuser zu +bauen, stellen auch die geprüfteste Geduld auf eine harte Probe. Keine Lücke +der Überlieferung klafft so tief, daß diese glatte und platte Lüge sie nicht +mit spielender Leichtigkeit überkleisterte. Ohne Anstoß werden die +Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen, Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden +Jahre bis auf Anno eins rückwärts geführt; es steht geschrieben zu lesen, in +welchem Jahr, Monat und Tag König Romulus gen Himmel gefahren ist und wie König +Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai 187 +(567) über die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im besten +Einklang, daß man in den römischen Docks den Gläubigen das Fahrzeug wies, auf +welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, ja sogar ebendieselbe Sau, +welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, wohl eingepökelt im römischen +Vestatempel konservierte. Mit dem Lügemut eines Dichters verbinden diese +vornehmen Chronikschreiber die langweiligste Kanzlistengenauigkeit und +behandeln durchaus ihren großen Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem +Austreiben zugleich aller poetischen und aller historischen Elemente notwendig +resultiert. Wenn wir zum Beispiel bei Piso lesen, daß Romulus sich gehütet +habe, dann zu pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; daß die +Tarpeia die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um die Feinde +ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verständiger Zeitgenossen über +diese ganze Schreiberei nicht befremden, “daß das nicht heiße Geschichte +schreiben, sondern den Kindern Geschichten erzählen”. Weit vorzüglicher +waren einzelne Werke über die Geschichte der jüngsten Vergangenheit und der +Gegenwart, namentlich die Geschichte des Hannibalischen Krieges von Lucius +Coelius Antipater (um 633 121) und des wenig jüngeren Publius Sempronius +Asellio Geschichte seiner Zeit. Hier fand sich wenigstens schätzbares Material +und ernster Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark +manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und Bruchstücken +zu schließen, keines dieser Bücher weder in markiger Form noch in Originalität +an die “Ursprungsgeschichten” Catos, der leider auf dem +historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen Schule gemacht hat. Stark +vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, die untergeordneten, mehr +individuellen und ephemeren Gattungen der historischen Literatur, die Memorien, +die Briefe, die Reden. Schon zeichneten die ersten Staatsmänner Roms selbst +ihre Erlebnisse auf: so Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul +649 105), Quintus Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch +scheint keine dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt für +die Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der Cornelia, +der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die musterhaft reine +Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als die erste in Rom +publizierte Korrespondenz und zugleich die erste literarische Produktion einer +römischen Frau. Die Redeschriftstellerei bewahrte in dieser Periode den von +Cato ihr aufgedrückten Stempel; Advokatenplädoyers wurden noch nicht als +literarische Produktion angesehen, und was von Reden veröffentlicht ward, waren +politische Pamphlete. Während der revolutionären Bewegung nahm diese +Broschürenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse ephemerer +Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes’ Philippiken und +Couriers fliegende Blätter, durch die bedeutende Stellung ihrer Verfasser und +durch ihr eigenes Schwergewicht einen bleibenden Platz in der Literatur sich +erwarben. So die Staatsreden des Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, +Musterstücke des trefflichsten Latein wie des edelsten Vaterlandsgefühls; so +die sprudelnden Reden des Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und +Zeitbildern - die Schilderung des senatorischen Geschworenen ward früher +mitgeteilt - das nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die +zahlreichen Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den +leidenschaftlichen Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhängnis +dieser hohen Natur im treuen Spiegelbild bewahrten. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +22 Die einzige wirkliche Ausnahme, soweit wir wissen, ist die griechische +Geschichte des Gnaeus Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, 38, 112) Knabenzeit, +also um 660 (90) blühte. Die griechischen Memoiren des Publius Rutilius Rufus +(Konsul 649 105) sind kaum als Ausnahme anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil +zu Smyrna schrieb. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen +Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150) veröffentlicht +ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen übliche dialogische +Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom zu verpflanzen und durch eine +nach Personen, Zeit und Ort bestimmte Szenerie des Gesprächs der Abhandlung +eine künstlerische, halb dramatische Form zu geben. Indes die späteren +Gelehrten, schon der Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, ließen sowohl in +den allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese mehr +poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert der Wissenschaft +als solcher und das in Rom überwiegende stoffliche Interesse an derselben +spiegelt sich deutlich in diesem raschen Abwerfen der Fessel künstlerischer +Form. Im einzelnen ist von den allgemein humanen Wissenschaften, der Grammatik +oder vielmehr der Philologie, der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon +gesprochen worden, als dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der +gewöhnlichen römischen Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den +eigentlichen Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem +literarischen Gebiet blüht die lateinische Philologie fröhlich auf, im engen +Anschluß an die längst sicher gegründete philologische Behandlung der +griechischen Literatur. Es ward bereits erwähnt, daß um den Anfang dieses +Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und Textrevisoren +fanden; ebenso ward hervorgehoben, daß nicht bloß der Scipionische Kreis +überhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang, sondern auch einzelne der +namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius und Lucilius, sich mit Regulierung der +Orthographie und der Grammatik beschäftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne +Versuche, von der historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; +freilich werden die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie +die des Hemina ‘über die Zensoren’, des Tuditanus ‘über die +Beamten’ schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter +sind die Bücher über die Ämter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus +Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung für politische Zwecke +nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefaßten Didaskalien des Tragikers +Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des lateinischen Dramas. Indes +jene Anfänge einer wissenschaftlichen Behandlung der Muttersprache tragen noch +ein sehr dilettantisches Gepräge und erinnern lebhaft an unsere +Orthographieliteratur der Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen +Untersuchungen dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen +Platz verweisen dürfen. Derjenige Römer, der die lateinische Sprach- und +Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister wissenschaftlich +begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er zuerst ging zurück auf die +ältesten Sprachdenkmäler und kommentierte die Saliarischen Litaneien und das +römische Stadtrecht. Er wandte der Komödie des sechsten Jahrhunderts seine +besondere Aufmerksamkeit zu und stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner +Ansicht echten Plautinischen Stücke auf. Er suchte nach griechischer Art die +Anfänge einer jeden einzelnen Erscheinung des römischen Lebens und Verkehrs +geschichtlich zu bestimmen und für jede den “Erfinder” zu +ermitteln, und zog zugleich die gesamte annalistische Überlieferung in den +Kreis seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen ward, +zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des bedeutendsten +Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius und der Geschichtsbücher +des Antipater; und auch für die Zukunft hat dieser erste römische Philolog die +Studien seiner Nation bestimmt, indem er seine zugleich sprachliche und +sachliche Forschung auf seinen Schüler Varro vererbte. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +23 Die Behauptung zum Beispiel, daß die Quästoren in der Königszeit von der +Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher falsch als sie +den Parteicharakter an der Stirn trägt. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Mehr untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische Tätigkeit auf +dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu tun als Hand- und +Übungsbücher nach dem Muster der griechischen Kompendien des Hermagoras und +anderer zu schreiben, woran es denn freilich die Schulmeister, teils um des +Bedürfnisses, teils um der Eitelkeit und des Geldes willen, nicht fehlen +ließen. Von einem unbekannten Verfasser, der nach der damaligen Weise zugleich +lateinische Literatur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide schrieb, +ist uns ein solches, unter Sullas Diktatur abgefaßtes Handbuch der Redekunst +erhalten; eine nicht bloß durch die knappe, klare und sichere Behandlung des +Stoffes, sondern vor allem durch die verhältnismäßige Selbständigkeit den +griechischen Mustern gegenüber bemerkenswerte Lehrschrift. Obwohl in der +Methode gänzlich abhängig von den Griechen, weist der Römer doch bestimmt und +sogar schroff alles das ab, “was die Griechen an nutzlosem Kram +zusammengetragen haben, einzig damit die Wissenschaft schwerer zu lernen +erscheine”. Der bitterste Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese +“geschwätzige Wissenschaft der Redeunkunst”, deren vollendeter +Meister, vor lauter Angst, sich zweideutig auszudrücken, zuletzt nicht mehr +seinen eigenen Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird +durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor +der Viellehrerei und schärft die goldene Regel ein, daß der Schüler von dem +Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst zu helfen; ebenso ernstlich +erkennt er es an, daß die Schule Neben-, das Leben die Hauptsache ist, und gibt +in seinen durchaus selbständig gewählten Beispielen den Widerhall derjenigen +Sachwalterreden, die während der letzten Dezennien in der römischen +Advokatenwelt Aufsehen gemacht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, daß die +Opposition gegen die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Aufkommen +einer eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren Aufkommen +in dieser selbst sich fortsetzt und damit der römischen Beredsamkeit im +Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen theoretisch und praktisch eine +höhere Würde und eine größere Brauchbarkeit sichert. +</p> + +<p> +Die Philosophie endlich ist in der Literatur noch nicht vertreten, da weder +sich aus innerem Bedürfnis eine nationalrömische Philosophie entwickelte noch +äußere Umstände eine lateinische philosophische Schriftstellerei hervorriefen. +Mit Sicherheit als dieser Zeit angehörig sind nicht einmal lateinische +Übersetzungen populärer philosophischer Kompendien nachzuweisen; wer +Philosophie trieb, las und disputierte griechisch. +</p> + +<p> +In den Fachwissenschaften ist die Tätigkeit gering. So gut man auch in Rom +verstand zu ackern und zu rechnen, so fand doch die physikalische und +mathematische Forschung dort keinen Boden. Die Folgen der vernachlässigten +Theorie zeigen sich praktisch in dem niedrigen Stande der Arzneikunde und +einesteils der militärischen Wissenschaften. Unter allen Fachwissenschaften +blüht nur die Jurisprudenz. Wir können ihre innerliche Entwicklung nicht +chronologisch genau verfolgen; im ganzen trat das Sakralrecht mehr und mehr +zurück und stand am Ende dieser Periode ungefähr wie heutzutage das kanonische; +die feinere und tiefere Rechtsauffassung dagegen, welche an die Stelle der +äußerlichen Kennzeichen die innerlich wirksamen Momente setzt, zum Beispiel die +Entwicklung der Begriffe der böswilligen und der fahrlässigen Verschuldung, des +vorläufig schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit der Zwölf Tafeln noch +nicht, wohl aber in der ciceronischen Zeit vorhanden und mag der gegenwärtigen +Epoche ihre wesentliche Ausbildung verdanken. Die Rückwirkung der politischen +Verhältnisse auf die Rechtsentwicklung ist schon mehrfach angedeutet worden; +sie war nicht immer vorteilhaft. Durch die Einrichtung des +Erbschaftsgerichtshofs der Hundertmänner zum Beispiel trat auch in dem +Vermögensrecht ein Geschworenenkollegium auf, das gleich den Kriminalbehörden, +statt das Gesetz einfach anzuwenden, sich über dasselbe stellte und mit der +sogenannten Billigkeit die rechtlichen Institutionen untergrub; wovon unter +anderm eine Folge die unvernünftige Satzung war, daß es jedem, den ein +Verwandter im Testament übergangen hat, freisteht, auf Kassierung des +Testaments vor dem Gerichtshof anzutragen, und das Gericht nach Ermessen +entscheidet. Bestimmter läßt die Entwicklung der juristischen Literatur sich +erkennen. Sie hatte bisher auf Formulariensammlungen und Worterklärungen zu den +Gesetzen sich beschränkt; in dieser Periode bildete sich zunächst eine +Gutachtenliteratur, die ungefähr unseren heutigen Präjudikatensammlungen +entspricht. Die Gutachten, die längst nicht mehr bloß von Mitgliedern des +Pontifikalkollegiums, sondern von jedem, der Befrager fand, zu Hause oder auf +offenem Markt erteilt wurden, und an die schon rationelle und polemische +Erörterungen und die der Rechtswissenschaft eigentümlichen stehenden +Kontroversen sich anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts +an, aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah dies +zuerst von dem jüngeren Cato († um 600 150) und von Marcus Brutus (etwa +gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint, nach Materien +geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich systematischen +Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der Oberpontifex Quintus Mucius +Scaevola (Konsul 659, † 672 95, 82), in dessen Familie die Rechtswissenschaft +wie das höchste Priestertum erblich war. Seine achtzehn Bücher ‘vom +Landrecht, welche das positive juristische Material: die gesetzlichen +Bestimmungen, die Präjudikate und die Autoritäten teils aus den älteren +Sammlungen, teils aus der mündlichen Überlieferung in möglichster +Vollständigkeit zusammenfaßten, sind der Ausgangspunkt und das Muster der +ausführlichen römischen Rechtssysteme geworden; ebenso wurde seine resümierende +Schrift ‘Definitionen’ (όρος) die Grundlage der juristischen +Kompendien und namentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwicklung +natürlich im wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor sich ging, so hat +doch die Bekanntschaft mit dem philosophisch-praktischen Schematismus der +Griechen im allgemeinen unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen +Behandlung der Rechtswissenschaft den Anstoß gegeben, wie denn der griechische +Einfluß bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel hervortritt. Daß in +einzelnen mehr äußerlichen Dingen die römische Jurisprudenz durch die Stoa +bestimmt ward, ward schon bemerkt. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +24 Catos Buch führte wohl den Titel ‘De iuris disciplina’ (Gell. +13, 20), das des Brutus den ‘De iure civili’ (Cic. Cluent. 51, 141; +De orat. 2, 55, 223); daß es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero +(De orat. 2, 33, 142). +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur, +Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen immer +allgemeiner sich aus, aber die eigene Übung ging eher rück- als vorwärts. Immer +gewöhnlicher ward es bei dem Aufenthalt in griechischen Gegenden, die +Kunstwerke sich zu betrachten, wofür namentlich die Winterquartiere der +Sullanischen Armee in Kleinasien 670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die +Kunstkennerschaft entwickelte sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem +Gerät hatte man angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloß +griechische Bildsäulen, sondern auch griechische Gemälde zu schätzen. Das erste +im Rom öffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des Aristeides, den Lucius +Mummius aus der Versteigerung der korinthischen Beute zurücknahm, weil König +Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler) darauf bot. Die Bauten wurden +glänzender, und namentlich kam der überseeische, besonders der hymettische +Marmor (Cipollin) dabei in Gebrauch - die italischen Marmorbrüche waren noch +nicht in Betrieb. Der prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte +Säulengang, den der Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), +auf dem Marsfelde anlegte, schloß den ersten Marmortempel ein, den die +Hauptstadt sah; bald folgten ähnliche Anlagen auf dem Kapitol durch Scipio +Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus Octavius (Konsul 626 +128). Das erste mit Marmorsäulen geschmückte Privathaus war das des Redners +Lucius Crassus († 663 91) auf dem Palatin. Aber wo man plündern und kaufen +konnte, statt selber zu schaffen, da geschah es; es ist ein schlimmes +Armutszeugnis für die römische Architektur, daß sie schon anfing, die Säulen +der alten griechischen Tempel zu verwenden, wie zum Beispiel das römische +Kapitol durch Sulla mit denen des Zeustempels in Athen geschmückt ward. Was +dennoch in Rom gearbeitet ward, ging aus den Händen von Fremden hervor; die +wenigen römischen Künstler dieser Zeit, die namentlich erwähnt werden, sind +ohne Ausnahme eingewanderte italische oder überseeische Griechen: so der +Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der unter anderm die römischen +Docks wiederherstellte und für Quintus Metellus (Konsul 611 143) den Tempel des +Jupiter Stator in der von diesem angelegten Halle, für Decimus Brutus (Konsul +616 138) den Marstempel im Flaminischen Circus baute; der Bildhauer Pasiteles +(um 665 89) aus Großgriechenland, der für römische Tempel Götterbilder aus +Elfenbein lieferte; der Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der +verschrieben ward, um die Bilder für den Triumph des Lucius Paullus (587 168) +zu malen. Es ist bezeichnend, daß die Münzen dieser Epoche im Vergleich mit +denen der vorigen zwar eine größere Mannigfaltigkeit der Typen, aber im +Stempelschnitt eher einen Rück- als einen Fortschritt zeigen. +</p> + +<p> +Endlich Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas über nach Rom, +einzig, um daselbst zur Erhöhung des dekorativen Luxus verwandt zu werden. +Solche fremdländischen Künste waren allerdings nicht neu in Rom; der Staat +hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische Flötenbläser und Tänzer +auftreten lassen und die Freigelassenen und die niedrigste Klasse des römischen +Volkes auch bisher schon mit diesem Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, +daß griechische Tänze und musikalische Aufführungen die stehende Begleitung +einer vornehmen Tafel wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in +einer seiner Reden sie voll Unwillen schildert, in der über fünfhundert Knaben +und Mädchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Würden +durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig ehrbaren +Kastagnettentänzen, zu entsprechenden Gesängen und zum Gebrauch der verrufenen +griechischen Saiteninstrumente. Neu war es auch - nicht so sehr, daß ein +Konsular und Oberpontifex, wie Publius Scaevola (Konsul 621 133), auf dem +Spielplatz ebenso bebend die Bälle fing, wie er daheim die verwickeltsten +Rechtsfragen löste, als daß vornehme junge Römer bei den Festspielen Sullas vor +allem Volke ihre Jockeykünste produzierten. Die Regierung versuchte wohl +einmal, diesem Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) +alle musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen +einfachen Flöte von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein Sparta; +das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Übelstände durch solche Verbote, +als daß es durch scharfe und folgerichtige Anwendung ihnen abzuhelfen auch nur +versucht hätte. +</p> + +<p> +Werfen wir schließlich einen Blick zurück auf das Gesamtbild, das die Literatur +und die Kunst Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den Anfang der +ciceronischen Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich +mit der vorhergehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Produktivität. Die +höheren Gattungen der Literatur sind abgestorben oder im Verkümmern, so das +Epos, das Trauerspiel, die Geschichte. Was gedeiht, sind die untergeordneten +Arten, die Übersetzung und die Nachbildung des Intrigenstücks, die Posse, die +poetische und prosaische Broschüre; in diesem letzten, von der vollen +Windsbraut der Revolution durchrasten Gebiet der Literatur begegnen wir den +beiden größten literarischen Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem +Gaius Lucilius, die beide über eine Menge mehr oder minder mittelmäßiger +Schriftsteller emporragen, wie in einer ähnlichen Epoche der französischen +Literatur über eine Unzahl anspruchsvoller Nullitäten Courier und Béranger. +Ebenso ist in den bildenden und zeichnenden Künsten die immer schwache +Produktivität jetzt völlig null. Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst- und +Literaturgenuß; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet die +ihren Vätern angefallenen Erbschaften einziehen und ausnutzen, so finden wir +sie auch hier als fleißige Schauspielbesucher, als Literaturfreunde, als +Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die achtungswerteste Seite dieser +Tätigkeit ist die gelehrte Forschung, die vor allem in der Rechtswissenschaft +und in der Sprach- und Sachphilologie eigene geistige Anstrengung offenbart. +Mit der Begründung dieser Wissenschaften, welche recht eigentlich in die +gegenwärtige Epoche fällt, und zugleich mit den ersten geringen Anfängen der +Nachdichtung der alexandrinischen Treibhauspoesie kündigt bereits die Epoche +des römischen Alexandrinismus sich an. Alles, was diese Epoche geschaffen hat, +ist glatter, fehlerfreier, systematischer als die Schöpfungen des sechsten +Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht sahen die Literaten und Literaturfreunde +dieser Zeit auf ihre Vorgänger wie auf stümperhafte Anfänger herab. Aber wenn +sie die Mangelhaftigkeit jener Anfängerarbeiten belächelten oder beschalten, so +mochten doch auch eben die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, daß die +Jugendzeit der Nation vorüber war, und vielleicht diesen oder jenen doch wieder +im stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht beschleichen, den lieblichen Irrtum +der Jugend abermals zu irren. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + +***** This file should be named 3063-h.htm or 3063-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/3/0/6/3063/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, +and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive +specific permission. If you do not charge anything for copies of this +eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook +for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, +performances and research. They may be modified and printed and given +away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks +not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the +trademark license, especially commercial redistribution. + +START: FULL LICENSE + +THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE +PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK + +To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free +distribution of electronic works, by using or distributing this work +(or any other work associated in any way with the phrase "Project +Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full +Project Gutenberg-tm License available with this file or online at +www.gutenberg.org/license. + +Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project +Gutenberg-tm electronic works + +1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm +electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to +and accept all the terms of this license and intellectual property +(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all +the terms of this agreement, you must cease using and return or +destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your +possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a +Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound +by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the +person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph +1.E.8. + +1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be +used on or associated in any way with an electronic work by people who +agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few +things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works +even without complying with the full terms of this agreement. See +paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project +Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this +agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm +electronic works. See paragraph 1.E below. + +1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the +Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection +of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual +works in the collection are in the public domain in the United +States. If an individual work is unprotected by copyright law in the +United States and you are located in the United States, we do not +claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, +displaying or creating derivative works based on the work as long as +all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope +that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting +free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm +works in compliance with the terms of this agreement for keeping the +Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily +comply with the terms of this agreement by keeping this work in the +same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when +you share it without charge with others. + +1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern +what you can do with this work. Copyright laws in most countries are +in a constant state of change. If you are outside the United States, +check the laws of your country in addition to the terms of this +agreement before downloading, copying, displaying, performing, +distributing or creating derivative works based on this work or any +other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no +representations concerning the copyright status of any work in any +country outside the United States. + +1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: + +1.E.1. The following sentence, with active links to, or other +immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear +prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work +on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the +phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, +performed, viewed, copied or distributed: + + This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and + most other parts of the world at no cost and with almost no + restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it + under the terms of the Project Gutenberg License included with this + eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the + United States, you'll have to check the laws of the country where you + are located before using this ebook. + +1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is +derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not +contain a notice indicating that it is posted with permission of the +copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in +the United States without paying any fees or charges. If you are +redistributing or providing access to a work with the phrase "Project +Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply +either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or +obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm +trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. + +1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted +with the permission of the copyright holder, your use and distribution +must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any +additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms +will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works +posted with the permission of the copyright holder found at the +beginning of this work. + +1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm +License terms from this work, or any files containing a part of this +work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. + +1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this +electronic work, or any part of this electronic work, without +prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with +active links or immediate access to the full terms of the Project +Gutenberg-tm License. + +1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, +compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including +any word processing or hypertext form. However, if you provide access +to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format +other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official +version posted on the official Project Gutenberg-tm web site +(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense +to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means +of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain +Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the +full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. + +1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, +performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works +unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. + +1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing +access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works +provided that + +* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from + the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method + you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed + to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has + agreed to donate royalties under this paragraph to the Project + Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid + within 60 days following each date on which you prepare (or are + legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty + payments should be clearly marked as such and sent to the Project + Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in + Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg + Literary Archive Foundation." + +* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies + you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he + does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm + License. You must require such a user to return or destroy all + copies of the works possessed in a physical medium and discontinue + all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm + works. + +* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of + any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the + electronic work is discovered and reported to you within 90 days of + receipt of the work. + +* You comply with all other terms of this agreement for free + distribution of Project Gutenberg-tm works. + +1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project +Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than +are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing +from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The +Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm +trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. + +1.F. + +1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable +effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread +works not protected by U.S. copyright law in creating the Project +Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm +electronic works, and the medium on which they may be stored, may +contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate +or corrupt data, transcription errors, a copyright or other +intellectual property infringement, a defective or damaged disk or +other medium, a computer virus, or computer codes that damage or +cannot be read by your equipment. + +1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right +of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project +Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project +Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all +liability to you for damages, costs and expenses, including legal +fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT +LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE +PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE +TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE +LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR +INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH +DAMAGE. + +1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a +defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can +receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a +written explanation to the person you received the work from. If you +received the work on a physical medium, you must return the medium +with your written explanation. The person or entity that provided you +with the defective work may elect to provide a replacement copy in +lieu of a refund. If you received the work electronically, the person +or entity providing it to you may choose to give you a second +opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If +the second copy is also defective, you may demand a refund in writing +without further opportunities to fix the problem. + +1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth +in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO +OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT +LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. + +1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied +warranties or the exclusion or limitation of certain types of +damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement +violates the law of the state applicable to this agreement, the +agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or +limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or +unenforceability of any provision of this agreement shall not void the +remaining provisions. + +1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the +trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone +providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in +accordance with this agreement, and any volunteers associated with the +production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm +electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, +including legal fees, that arise directly or indirectly from any of +the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this +or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or +additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any +Defect you cause. + +Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm + +Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of +electronic works in formats readable by the widest variety of +computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org + + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. Compliance requirements are not uniform and it takes a +considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up +with these requirements. We do not solicit donations in locations +where we have not received written confirmation of compliance. To SEND +DONATIONS or determine the status of compliance for any particular +state visit www.gutenberg.org/donate + +While we cannot and do not solicit contributions from states where we +have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition +against accepting unsolicited donations from donors in such states who +approach us with offers to donate. + +International donations are gratefully accepted, but we cannot make +any statements concerning tax treatment of donations received from +outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. + +Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation +methods and addresses. Donations are accepted in a number of other +ways including checks, online payments and credit card donations. To +donate, please visit: www.gutenberg.org/donate + +Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. + +Professor Michael S. Hart was the originator of the Project +Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be +freely shared with anyone. For forty years, he produced and +distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of +volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in +the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search +facility: www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + + + +</pre> + +</body> + +</html> diff --git a/3063.txt b/3063.txt new file mode 100644 index 0000000..2b6a2f2 --- /dev/null +++ b/3063.txt @@ -0,0 +1,17930 @@ +The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by Theodor +Mommsen (#4 in our series by Theodor Mommsen) + +Copyright laws are changing all over the world, be sure to check the +laws for your country before redistributing these files!!! + +Please take a look at the important information in this header. We +encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic +path open for the next readers. + +Please do not remove this. + +This should be the first thing seen when anyone opens the book. Do not +change or edit it without written permission. The words are carefully +chosen to provide users with the information they need about what they +can legally do with the texts. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**Etexts Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*These Etexts Prepared By Hundreds of Volunteers and Donations* + +Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further +information is included below. We need your donations. + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. As the requirements for other states are met, additions +to this list will be made and fund raising will begin in the additional +states. These donations should be made to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University +Ave. Oxford, MS 38655 + + +Title: Rmische Geschichte Book 4 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3063] [Yes, we are about one year +ahead of schedule] + +Edition: 10 + +Language: German + +The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by Theodor +Mommsen ******This file should be named 3063.txt or 3063.zip****** + +Thanks to KGSchon for preparing this etext. + +Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions, +all of which are in the Public Domain in the United States, unless a +copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of +these books in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our books one year in advance of the +official release dates, leaving time for better editing. Please be +encouraged to send us error messages even years after the official +publication date. + +Please note: neither this list nor its contents are final till midnight +of the last day of the month of any such announcement. The official +release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central +Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may +often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to +do so. + +Most people start at our sites at: https://gutenberg.org +http://promo.net/pg + + +Those of you who want to download any Etext before announcement can surf +to them as follows, and just download by date; this is also a good way +to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers +produce obviously take a while after an announcement goes out in the +Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 + +Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, as it +appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The time +it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get +any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and +analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience +is one hundred million readers. If our value per text is nominally +estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this +year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts +in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's +population then the total should reach over 300 billion Etexts given +away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files +by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten +thousand titles each to one hundred million readers, which is only about +4% of the present number of computer users. + +At our revised rates of production, we will reach only one-third of that +goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get +some real funding. + +Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the +next 100 years. + +We need your donations more than ever! + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. As the requirements for other states are met, additions +to this list will be made and fund raising will begin in the additional +states. + +All donations should be made to the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law. + +Mail to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University +Avenue Oxford, MS 38655 [USA] + +We are working with the Project Gutenberg Literary Archive Foundation to +build more stable support and ensure the future of Project Gutenberg. + +We need your donations more than ever! + +You can get up to date donation information at: + +https://www.gutenberg.org/donation.html + + +*** + +You can always email directly to: + +Michael S. Hart <hart@pobox.com> + +hart@pobox.com forwards to hart@prairienet.org and archive.org if your +mail bounces from archive.org, I will still see it, if it bounces from +prairienet.org, better resend later on. . . . + +We would prefer to send you this information by email. + + +Example command-line FTP session: + +ftp ftp.ibiblio.org login: anonymous password: your@login cd +pub/docs/books/gutenberg cd etext90 through etext99 or etext00 through +etext02, etc. dir [to see files] get or mget [to get files. . .set bin +for zip files] GET GUTINDEX.?? [to get a year's listing of books, e.g., +GUTINDEX.99] GET GUTINDEX.ALL [to get a listing of ALL books] + + +**The Legal Small Print** + + +(Three Pages) + +***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS**START*** Why is +this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you +might sue us if there is something wrong with your copy of this etext, +even if you got it for free from someone other than us, and even if +what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small +Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells +you how you can distribute copies of this etext if you want to. + +*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS ETEXT By using or reading any part of +this PROJECT GUTENBERG-tm etext, you indicate that you understand, agree +to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can +receive a refund of the money (if any) you paid for this etext by +sending a request within 30 days of receiving it to the person you got +it from. If you received this etext on a physical medium (such as a +disk), you must return it with your request. + +ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM ETEXTS This PROJECT GUTENBERG-tm etext, like +most PROJECT GUTENBERG-tm etexts, is a "public domain" work distributed +by Professor Michael S. Hart through the Project Gutenberg Association +(the "Project"). Among other things, this means that no one owns a +United States copyright on or for this work, so the Project (and you!) +can copy and distribute it in the United States without permission and +without paying copyright royalties. Special rules, set forth below, +apply if you wish to copy and distribute this etext under the Project's +"PROJECT GUTENBERG" trademark. + +Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market any +commercial products without permission. + +To create these etexts, the Project expends considerable efforts to +identify, transcribe and proofread public domain works. Despite these +efforts, the Project's etexts and any medium they may be on may contain +"Defects". Among other things, Defects may take the form of incomplete, +inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other +intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other +etext medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot +be read by your equipment. + +LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES But for the "Right of +Replacement or Refund" described below, [1] the Project (and any other +party you may receive this etext from as a PROJECT GUTENBERG-tm +etext) disclaims all liability to you for damages, costs and expenses, +including legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR +UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT, INCLUDING +BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL +DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES. + +If you discover a Defect in this etext within 90 days of receiving +it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by +sending an explanatory note within that time to the person you received +it from. If you received it on a physical medium, you must return it +with your note, and such person may choose to alternatively give you +a replacement copy. If you received it electronically, such person may +choose to alternatively give you a second opportunity to receive it +electronically. + +THIS ETEXT IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER WARRANTIES +OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS TO THE ETEXT OR +ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF +MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A PARTICULAR PURPOSE. + +Some states do not allow disclaimers of implied warranties or the +exclusion or limitation of consequential damages, so the above +disclaimers and exclusions may not apply to you, and you may have other +legal rights. + +INDEMNITY You will indemnify and hold the Project, its directors, +officers, members and agents harmless from all liability, cost and +expense, including legal fees, that arise directly or indirectly from +any of the following that you do or cause: [1] distribution of this +etext, [2] alteration, modification, or addition to the etext, or [3] +any Defect. + +DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm" You may distribute copies of +this etext electronically, or by disk, book or any other medium if you +either delete this "Small Print!" and all other references to Project +Gutenberg, or: + +[1] Only give exact copies of it. Among other things, this requires +that you do not remove, alter or modify the etext or this "small print!" +statement. You may however, if you wish, distribute this etext in +machine readable binary, compressed, mark-up, or proprietary form, +including any form resulting from conversion by word processing or +hypertext software, but only so long as *EITHER*: + +[*] The etext, when displayed, is clearly readable, and does *not* +contain characters other than those intended by the author of the work, +although tilde (~), asterisk (*) and underline (_) characters may +be used to convey punctuation intended by the author, and additional +characters may be used to indicate hypertext links; OR + +[*] The etext may be readily converted by the reader at no expense into +plain ASCII, EBCDIC or equivalent form by the program that displays the +etext (as is the case, for instance, with most word processors); OR + +[*] You provide, or agree to also provide on request at no additional +cost, fee or expense, a copy of the etext in its original plain ASCII +form (or in EBCDIC or other equivalent proprietary form). + +[2] Honor the etext refund and replacement provisions of this "Small +Print!" statement. + +[3] Pay a trademark license fee to the Project of 20% of the gross +profits you derive calculated using the method you already use to +calculate your applicable taxes. If you don't derive profits, no royalty +is due. Royalties are payable to "Project Gutenberg Literary Archive +Foundation" the 60 days following each date you prepare (or were legally +required to prepare) your annual (or equivalent periodic) tax return. +Please contact us beforehand to let us know your plans and to work out +the details. + +WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO? The Project +gratefully accepts contributions of money, time, public domain +etexts, and royalty free copyright licenses. If you are interested +in contributing scanning equipment or software or other items, please +contact Michael Hart at: hart@pobox.com + +*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS*Ver.04.07.00*END* + + + + + +Theodor Mommsen Roemische Geschichte + +Viertes Buch Die Revolution + +"Aber sie treiben's toll; Ich fuercht', es breche". Nicht jeden +Wochenschluss Macht Gott die Zeche. Goethe 1. Kapitel Die untertaenigen +Landschaften bis zu der Gracchenzeit Mit der Vernichtung des +Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms eine Tatsache, +die von den Saeulen des Hercules bis zu den Muendungen des Nil und des +Orontes nicht bloss feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort +des Verhaengnisses auf den Voelkern lastete mit dem ganzen Druck +der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in +hoffnungslosem Widerstreben oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren. +Wenn nicht die Geschichte von dem ernsten Leser es als ihr Recht +fordern duerfte, sie durch gute und boese Tage, durch Fruehlings- +und Winterlandschaft zu begleiten, so moechte der Geschichtschreiber +versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, diesem Kampf +der Uebermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Roemischen Reich +gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht +beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in +seinen mannigfaltigen und doch eintoenigen Wendungen zu folgen. Aber +wie unbedeutend und untergeordnet auch die einzelnen Kaempfe erscheinen +moegen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer +Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die italischen Verhaeltnisse dieser +Zeit werden erst verstaendlich durch die Einsicht in den Rueckschlag, +der von den Provinzen aus auf die Heimat traf. Ausser in den +naturgemaess als Nebenlaender Italiens anzusehenden Gebieten, wo +uebrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollstaendig unterworfen +waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen +fortwaehrend Gelegenheit zu "Dorftriumphen" lieferten, bestand eine +foermliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden +spanischen Provinzen, die den groesseren oestlichen und suedlichen Teil +der Pyrenaeischen Halbinsel umfassten. Es ist schon frueher versucht +worden, die Zustaende der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, +Phoeniker, Hellenen, Roemer mischten sich hier bunt durcheinander; +gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die +verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische +Kultur neben vollstaendiger Barbarei, die Bildungsverhaeltnisse +phoenikischer und griechischer Kaufstaedte neben der aufkeimenden +Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken +zahlreich beschaeftigten Italiker und durch die starke stehende +Besatzung gefoerdert ward. In dieser Hinsicht erwaehnenswert sind die +roemische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie +Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste ueberseeische +Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica wurde +von dem aelteren Scipio, noch ehe er Spanien verliess (548 206), fuer +seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegruendet, +wahrscheinlich indes nicht als Buergergemeinde, sondern nur als Marktort +^1; Carteias Gruendung faellt in das Jahr 583 (171) und ward veranlasst +durch die Menge der von roemischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen +erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsaechlich als +freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in +Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie +konstituiert wurden. Beinahe dreissig Jahre nach der Ordnung der +Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178) +genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestoert die Segnungen +des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszuegen gegen die Keltiberer +und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse traten im Jahre 600 +(154) ein. Unter Fuehrung eines Haeuptlings Punicus fielen die Lusitaner +ein in das roemische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie vereinigten +roemischen Statthalter und toeteten ihnen eine grosse Anzahl Leute. +Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch +bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so +verstaerkt vermochten diese ihre Streifzuege bis an das Mittellaendische +Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der Bastulophoeniker unweit der +roemischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man +nahm in Rom die Sache ernst genug, um die Absendung eines Konsuls nach +Spanien zu beschliessen, was seit 559 (195) nicht geschehen war, und +liess sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei +und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es +war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. Maerz +sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich +feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch +der Konsul Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es +zwischen dem Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Praetor Lucius +Mummius, und den jetzt nach Punicus' Fall von seinem Nachfolger Kaesarus +gefuehrten Lusitanern am rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften +Treffen (601 158). Das Glueck war anfangs den Roemern guenstig; das +lusitanische Heer ward zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils +bereits vom Marsch ermuedet, teils in der Unordnung des Nachsetzens +sich aufloesend, wurden sie von den schon besiegten Gegnern schliesslich +vollstaendig geschlagen und buessten zu dem feindlichen Lager das +eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die +Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich +unter Anfuehrung des Kaukaenus auf die den Roemern untertaenigen +Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den +Keltiberern sandten die Lusitaner die dem Mummius abgenommenen +Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als Mahnung zu; und auch +hier fehlte es nicht an Gaerungsstoff. Zwei kleine, den maechtigen +Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte +Voelkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten +beschlossen, in eine ihrer Staedte, Segeda, sich zusammenzusiedeln. +Waehrend sie mit dem Mauerbau beschaeftigt waren, ward ihnen dieser +roemischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den +unterworfenen Gemeinden jede eigenmaechtige Staedtegruendung verboeten, +und zugleich die vertragsmaessig schuldige, aber seit laengerer Zeit +nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden +Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um +Erweiterung, nicht um Gruendung einer Stadt handle, die Leistungen +aber nicht bloss suspendiert, sondern von den Roemern erlassen seien. +Darueber erschien Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 +Mann starken Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn +Elefanten sich befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt +nicht vollstaendig; die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein +die entschlossensten fluechteten mit Weib und Kind zu den maechtigen +Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Roemer +gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg +der Lusitaner ueber Mummius, gingen darauf ein und waehlten einen der +fluechtigen Segedaner, Karus, zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach +seiner Wahl war der tapfere Fuehrer eine Leiche, aber das roemische Heer +geschlagen und bei 6000 roemische Buerger getoetet - der Tag des 23. +August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Roemern in schlimmer +Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in +ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua noerdlich von Soria am +Duero) zurueckzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern +der Stadt kam es zu einem zweiten Treffen, in welchem die +Roemer anfaenglich durch ihre Elefanten die Spanier in die Stadt +zurueckdraengten, aber dabei infolge der Verwundung eines der Tiere in +Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrueckenden Feinde +eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfaelle, wie die +Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten +roemischen Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Roemer in +der diesseitigen Provinz so unguenstig, dass die Festung Okilis, wo die +Kasse und die Vorraete der Roemer sich befanden, zum Feinde uebertrat +und die Arevaker daran denken konnten, freilich ohne Erfolg, den Roemern +den Frieden zu diktieren. Einigermassen wurden indes diese Nachteile +aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der suedlichen Provinz +erfocht. So geschwaecht auch durch die erlittene Niederlage sein +Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig +sich zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage +beizubringen und, uebergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze +roemische Gebiet ueberrannt, ja bis nach Afrika gestreift hatten, die +suedliche Provinz von den Feinden zu saeubern. In die noerdliche +sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat ausser betraechtlichen +Verstaerkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des unfaehigen +Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Praetor +586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten +sein Feldherrntalent bewaehrt hatte. Seine geschickte Fuehrung und mehr +noch seine Milde aenderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab +sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung +bestaerkt, dass ihnen gegen eine maessige Busse Friede gewaehrt werden +wuerde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach Rom. +Marcellus konnte sich nach der suedlichen Provinz begeben, wo die +Vettonen und Lusitaner sich dem Praetor Marcus Atilius zwar botmaessig +erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach +seiner Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die roemischen +Verbuendeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung +wieder her, und waehrend er in Corduba ueberwinterte, ruhten auf der +ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom ueber den Frieden +mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend fuer die inneren +Verhaeltnisse Spaniens, dass vornehmlich die Sendlinge der bei +den Arevakern bestehenden roemischen Partei die Verwerfung der +Friedensvorschlaege in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, dass, +wenn man die roemisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die +Wahl bleibe, entweder jaehrlich einen Konsul mit entsprechendem Heer +nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrueckliches Exempel +zu statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne +entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des +Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genoetigt, im folgenden +Fruehjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen. +Indes sei es nun, wie behauptet wird, dass er den Ruhm, den Krieg +beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht goennte, +sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, dass er gleich Gracchus in +der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften +Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des roemischen +Feldherrn mit den einflussreichsten Maennern der Arevaker kam unter den +Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den +Roemern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung +zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmaessigen +Rechte wiedereingesetzt wurden. --------------------------------------- +^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et +conciliabulum civium Romanorum hiess; aehnlich ist spaeter Aquae Sextiae +in Gallien entstanden. Die Entstehung ueberseeischer Buergergemeinden +beginnt erst spaeter mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwuerdig, +dass in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte. +---------------------------------------- Als der neue Oberfeldherr, der +Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, fand er den Krieg, den +zu fuehren er gekommen war, bereits durch foermlichen Friedensschluss +beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus Spanien +heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafuer gab es Rat. Auf eigene +Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccaeer, +an, eine noch unabhaengige keltiberische Nation, die mit den Roemern +im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn +gefehlt haetten, war die Antwort: der Ueberfall der Stadt Cauca (Coca, +acht Leguas westlich von Segovia); und als die erschreckte Stadt mit +schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu haben meinte, +rueckten roemische Truppen in sie ein und knechteten oder mordeten die +Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser Heldentat, die etwa +20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben soll, ging der Marsch +weiter. Weit und breit standen die Doerfer und Ortschaften leer oder +schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccaeer, +Pallantia (Palencia), dem roemischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte +in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die +mit dem treubruechigen Feldherrn eine Kapitulation haette abschliessen +moegen, und die allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloss die +Beute karg, sondern auch das laengere Verweilen in diesen unwirtlichen +Gegenden fast unmoeglich. Vor Intercatia gelang es einem angesehenen +Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von +Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da +das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum Abschluss eines +Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das roemische Heer gegen Lieferung +von Vieh und Kleidungsstuecken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia +musste wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das +roemische Heer ward auf dem Rueckmarsch von den Vaccaeern bis zum Duero +verfolgt. Lucullus begab sich darauf nach der suedlichen Provinz, wo +der Praetor Servius Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern +sich hatte schlagen lassen; beide ueberwinterten nicht fern voneinander, +Lucullus im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen +im folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus +errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile ueber sie. Galba +richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Staemmen am rechten +Ufer des Tajo einen Vertrag abschloss und sie in bessere Wohnsitze +ueberzusiedeln verhiess, worauf die Barbaren, die der gehofften Aecker +wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen +geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggefuehrt, teils +niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit, +Grausamkeit und Habgier Krieg gefuehrt worden wie von diesen beiden +Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schaetze +der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den +Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahr, +wenige Monate vor seinem Tode, vor der Buergerschaft zur Verantwortung +zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein +heimgebrachtes Gold erwiesen dem roemischen Volke seine Unschuld. Nicht +so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht +hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten +Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, dass man die +spanischen Angelegenheiten zunaechst wieder den gewoehnlichen +Statthaltern ueberliess. So verwuesteten denn die Lusitaner, durch +Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als gedemuetigt, unaufhoerlich das +reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der roemische Statthalter +Gaius Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloss, sondern +draengte auch den ganzen Haufen auf einen Huegel zusammen, wo derselbe +rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie +abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst +als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden +Tiere und Raeuber, so jetzt in ernsteren Kaempfen ein gefuerchteter +Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Ueberfall Galbas +zufaellig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf roemisches +Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhiess, wenn sie ihm folgen +wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer uebertrug ihm +den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in +einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten +Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und +zuverlaessigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug +der Seinigen deckte. Die Roemer, denen es an leichter Kavallerie fehlte, +wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung +zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem +Haufen das ganze roemische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er +ploetzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der +roemische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten +Hinterhalt, in dem er die Haelfte seines Heeres verlor und selber +gefangen und getoetet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an +die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom Ebro her +5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstaerkung der geschlagenen Roemer +gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem Marsch und +gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschraenkt, dass die +Roemer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als +Herr und Koenig der saemtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das +volle Gewicht seiner fuerstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des +Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem +gemeinen Soldaten; von der reichgeschmueckten Hochzeitstafel seines +Schwiegervaters, des Fuersten Astolpa im roemischen Spanien, stand er +auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen beruehrt zu +haben, hob seine Braut auf das Ross und ritt mit ihr zurueck in seine +Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch +jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem +treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber +daran, dass er es in Maessigkeit und in Muehsal jedem der Seinigen +zuvortat, nie anders als in voller Ruestung schlief und in der Schlacht +allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gruendlich prosaischen +Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl +in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation meinte endlich +in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu +brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im noerdlichen wie im suedlichen +Spanien bezeichneten die naechsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den +Praetor Gaius Plautius (608/09 146) wusste er, nachdem er dessen Vorhut +vernichtet hatte, hinueber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn +dort so nachdruecklich zu schlagen, dass der roemische Feldherr mitten +im Sommer in die Winterquartiere ging - spaeter ward dafuer gegen ihn +die Anklage wegen Entehrung der roemischen Gemeinde vor dem Volk erhoben +und er genoetigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen wurde das Heer des +Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz - Claudius Unimanus +vernichtet, das des Gaius Negidius ueberwunden und weithin das +platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich +Siegeszeichen, die mit den Insignien der roemischen Statthalter und +mit den Waffen der Legionen geschmueckt waren; bestuerzt und beschaemt +vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkoenigs. Zwar uebernahm +jetzt ein zuverlaessiger Offizier die Fuehrung des Spanischen Krieges, +der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus +Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und +Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den verhassten Spanischen +Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die beiden Legionen, +die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder +unzuverlaessig als das alte, gaenzlich demoralisierte spanische +Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder fuer die Lusitaner guenstig +ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des Jahres +seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna suedoestlich von Sevilla) +zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im +folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffaehig +geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die Ueberlegenheit zu +behaupten vermochte und nach gluecklichen Waffentaten nach Corduba ins +Winterlager ging. Als aber an Maximus' Stelle der feige und ungeschickte +Praetor Quinctius den Befehl uebernahm, erlitten die Roemer wiederum +eine Niederlage ueber die andere und schloss ihr Feldherr sich wieder +mitten im Sommer in Corduba ein, waehrend Viriathus' Scharen die +suedliche Provinz ueberschwemmten (611 143). Sein Nachfolger, des +Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus Servilianus, mit +zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel gesendet, +versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer +Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem muehsam abgeschlagenen +Sturm auf das roemische Lager sah er sich genoetigt, auf das roemische +Gebiet zurueckzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber +seine Truppen nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere ploetzlich +sich verliefen, musste auch er nach Lusitanien zurueckkehren (612 142). +Im naechsten Jahre (613 141) ergriff Servilianus wieder die Offensive, +durchzog die Gegenden am Baetis und Anas und besetzte sodann, in +Lusitanien einrueckend, eine Menge Ortschaften. Eine grosse Zahl der +Insurgenten fiel in seine Hand; die Fuehrer - es waren deren gegen 500 +- wurden hingerichtet, den aus roemischem Gebiet zum Feinde +Uebergegangenen die Haende abgehauen, die uebrige Masse in die Sklaverei +verkauft. Aber der Spanische Krieg bewaehrte auch hier seine tueckische +Unbestaendigkeit. Das roemische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei +der Belagerung von Erisane von Viriathus angegriffen, geworfen und auf +einen Felsen gedraengt, wo es gaenzlich in der Gewalt der Feinde war. +Viriathus indes begnuegte sich, wie einst der Samnitenfeldherr in den +Caudinischen Paessen, mit Servilianus einen Frieden abzuschliessen, +worin die Gemeinde der Lusitaner als souveraen und Viriathus als Koenig +derselben anerkannt ward. Die Macht der Roemer war nicht mehr gestiegen +als das nationale Ehrgefuehl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, +des laestigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem +Vertrage die Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und +Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit +wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu +heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmaechtigen und +bald ihm den offenen, unbeschoenigten Bruch des gegebenen Treuworts +wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog +das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus vermied +den Kampf mit der Uebermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen +dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht +bloss Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der noerdlichen +Provinz inzwischen verfuegbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in +Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er +ward geheissen, alle aus dem roemischen Gebiet zu ihm uebergetretenen +Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die Roemer +auszuliefern; es geschah, und die Roemer liessen dieselben hinrichten +oder ihnen die Haende abhauen. Allein es war damit nicht genug; nicht +auf einmal pflegten die Roemer den Unterworfenen anzukuendigen, was +ueber sie verhaengt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer +der folgende unertraeglicher als die vorhergehenden, erging an die +Lusitaner, und schliesslich ward sogar die Auslieferung der Waffen von +ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals seiner +Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs neue +zum Schwert, aber zu spaet. Sein Schwanken hatte in seiner naechsten +Umgebung die Keime des Verrats gesaet; drei seiner Vertrauten, Audas, +Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Moeglichkeit, jetzt +noch zu siegen, erwirkten von dem Koenig die Erlaubnis, noch einmal mit +Caepio Friedensunterhandlungen anzuknuepfen, und benutzten sie, um gegen +Zusicherung persoenlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben +des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurueckgekehrt in +das Lager, versicherten sie den Koenig des guenstigsten Erfolgs ihrer +Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem +Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier +ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele +fochten; hoeher noch dadurch, dass sie den Kampf nicht aufgaben, sondern +an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn +ernannten. Kuehn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den +Roemern Sagunt zu entreissen; allein der neue Feldherr besass weder +seines Vorgaengers weise Maessigung noch dessen Kriegsgeschick. Die +Expedition scheiterte voellig, und auf der Rueckkehr ward das Heer bei +dem Uebergang ueber den Baetis angegriffen und genoetigt, sich unbedingt +zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von +Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen. +----------------------------------------- 2 Die Chronologie des +Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, dass +Viriathus' Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. 61; +Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und dass er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p. +110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63), +zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fuenfzehn (Liv. 54; Eutr. 4, +16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90) +berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil +Viriathus' Auftreten sowohl bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie +auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die Zerstoerung von Korinth angeknuepft +wird. Von den roemischen Statthaltern, mit denen sich Viriathus schlug, +gehoeren ohne Zweifel mehrere der noerdlichen Provinz an, da Viriathus +zwar vorwiegend, aber nicht ausschliesslich in der suedlichen taetig war +(Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl +der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen. +--------------------------------------- Waehrend die suedliche Provinz +durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht ward, war nicht ohne deren +Zutun in der noerdlichen bei den keltiberischen Nationen ein zweiter, +nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus' glaenzende Erfolge +bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen die Roemer +sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur Abloesung +des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius +Metellus nicht nach der suedlichen Provinz ging, sondern gegen die +Keltiberer sich wandte. Auch gegen sie bewaehrte er, namentlich waehrend +der Belagerung der fuer unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, +dieselbe Tuechtigkeit, die er bei der Ueberwindung des makedonischen +Pseudophilipp bewiesen hatte; nach zweijaehriger Verwaltung (611, 612 +143, 142) war die noerdliche Provinz zum Gehorsam zurueckgebracht. Nur +die beiden Staedte Termantia und Numantia hatten noch den Roemern die +Tore nicht geoeffnet; auch mit diesen aber war die Kapitulation fast +schon abgeschlossen und der groesste Teil der Bedingungen von den +Spaniern erfuellt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff +auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den +Besitz des wohlgefuehrten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem +kuehnen Megaravicus den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das +konsularische Heer, dessen Befehl 613 (141) der Konsul Quintus +Pompeius uebernahm, war viermal so stark als die gesamte waffenfaehige +Bevoelkerung von Numantia. Allein der voellig kriegsunkundige Feldherr +erlitt unter den Mauern beider Staedte so harte Niederlagen (613, +614 141, 140), dass er endlich es vorzog, den Frieden, den er nicht +erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muss +ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte +der roemische Feldherr ihre Gefangenen zurueck und forderte die Gemeinde +unter dem geheimen Versprechen guenstiger Behandlung auf, sich ihm auf +Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges muede, gingen +darauf ein, und der Feldherr beschraenkte in der Tat seine Forderungen +auf das moeglichst geringe Mass. Gefangene, Ueberlaeufer, Geiseln waren +abgeliefert und die bedungene Geldsumme groesstenteils gezahlt, als +im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager +eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf fremde Schultern +gewaelzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden +Verantwortung fuer den nach roemischen Begriffen ehrlosen Frieden zu +entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloss zu brechen, sondern +zu verleugnen und, als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung +zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluss des +Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die Sache ging zur rechtlichen +Entscheidung an den Senat nach Rom; waehrend dort darueber verhandelt +ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschaeftigte sich Laenas +mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus +beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern +benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam, +lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man beteiligte sich also von +Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwaechtem Mut +und erhoehter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; +Laenas focht ungluecklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger +Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die Katastrophe fuehrten weit +weniger die Waffen der Numantiner herbei als die schlaffe und elende +Kriegszucht der roemischen Feldherrn und die Folge derselben, die von +Jahr zu Jahr ueppiger wuchernde Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit und +Feigheit der roemischen Soldaten. Das blosse, ueberdies falsche +Geruecht, dass die Kantabrer und Vaccaeer zum Entsatz von Numantia +heranrueckten, bewog das roemische Heer, ungeheissen in der Nacht das +Lager zu raeumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior +angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch +in Kenntnis gesetzt, draengten der fliehenden Armee nach und +umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich +durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen +Frieden zu schliessen. Mehr als der Konsul, der persoenlich ein +Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius +Gracchus, der als Quaestor im Heere diente, durch sein von dem Vater, +dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den +Keltiberern, dass die Numantiner sich mit einem billigen, von allen +Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genuegen liessen. Allein +der Senat rief nicht bloss den Feldherrn sofort zurueck, sondern liess +auch nach langer Beratung bei der Buergerschaft darauf antragen, den +Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heisst, ihm +die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafuer auf +diejenigen abzuwaelzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen +haetten dies saemtliche Offiziere sein muessen, die den Vertrag +beschworen hatten; allein Gracchus und die uebrigen wurden durch ihre +Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der +hoechsten Aristokratie angehoerte, ward bestimmt, fuer eigene und fremde +Schuld zu buessen. Seiner Insignien entkleidet, ward der roemische +Konsular zu den feindlichen Vorposten gefuehrt, und da die Numantiner +ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als +nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und +die Haende auf den Ruecken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von +Numantia, Freunden und Feinden ein klaegliches Schauspiel. Jedoch fuer +Mancinus' Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius +Lepidus, schien die bittere Lehre voellig verloren. Waehrend die +Verhandlungen ueber den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er +unter nichtigen Vorwaenden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das +freie Volk der Vaccaeer an und begann in Gemeinschaft mit dem +Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein +Senatsbeschluss befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger +setzte er, unter dem Vorwand, dass die Umstaende inzwischen sich +geaendert haetten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade +so schlecht wie als Buerger; nachdem er so lange vor der grossen und +festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die +Zufuhr ausgegangen war, musste er mit Zuruecklassung aller Verwundeten +und Kranken den Rueckzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner +die Haelfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht +zu frueh abgebrochen haetten, das schon in voller Aufloesung begriffene +roemische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben wuerden. Dafuer +ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbusse +auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus +Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu +fuehren, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie gluecklich +ohne Niederlage heim. Selbst die roemische Regierung fing endlich an +einzusehen, dass man so nicht laenger fortfahren koenne; man +entschloss sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt +ausserordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu +uebertragen. Die Geldmittel zur Kriegfuehrung wurden ihm freilich dabei +mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten +auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die +Furcht, der souveraenen Buergerschaft laestig zu werden, zusammengewirkt +haben moegen. Indes begleitete ihn freiwillig eine grosse Anzahl von +Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der +vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert +hatte. Gestuetzt auf diese zuverlaessige Schar, die als Feldherrnwache +konstituiert ward, begann Scipio das tief zerruettete Heer zu +reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen musste der Tross das Lager +raeumen - es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und +Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar +war, musste er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer +vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnuegte sich, +die Vorraete in der Umgegend zu vernichten und die Vaccaeer, die den +Numantinern Korn verkauften, zu zuechtigen und zur Anerkennung der +Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer +um Numantia zusammen; ausser dem numidischen Kontingent von Reitern, +Fusssoldaten und zwoelf Elefanten unter Anfuehrung des Prinzen Jugurtha +und den zahlreichen spanischen Zuzuegen waren es vier Legionen, +ueberhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer +waffenfaehigen Buergerschaft von hoechstens 8000 Koepfen einschloss. +Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl +erkennend, dass die vieljaehrige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag +sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei +den Ausfaellen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum +durch das persoenliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der +Legionaere diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten +veraechtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht +bloss mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr, +was er von ihr halte. Zum erstenmal fuehrten die Roemer, wo es nur auf +sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten. +Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile +im Umfang ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Tuermen und +Graeben versehene zwiefache Umwallungslinie aufgefuehrt und auch der +Duerofluss, auf dem den Belagerten anfangs noch durch kuehne Schiffer +und Taucher einige Vorraete zugekommen waren, endlich abgesperrt. So +musste die Stadt, die zu stuermen man nicht wagte, wohl durch Hunger +erdrueckt werden, um so mehr, als es der Buergerschaft nicht moeglich +gewesen war, sich waehrend des letzten Sommers zu verproviantieren. Bald +litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer kuehnsten Maenner, +Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die feindlichen +Linien durch, und seine ruehrende Bitte, die Stammesgenossen +nicht hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der +Arevakerstaedte, in Lutia, von grosser Wirkung. Bevor aber die Buerger +von Lutia sich entschieden hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von +den roemisch Gesinnten in der Stadt, mit Uebermacht vor ihren Mauern +und zwang die Behoerden, ihm die Fuehrer der Bewegung, vierhundert der +trefflichsten Juenglinge, auszuliefern, denen saemtlich auf Befehl des +roemischen Feldherrn die Haende abgehauen wurden. Die Numantiner, +also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um ueber die +Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der +Tapferen zu schonen; allein als die rueckkehrenden Boten meldeten, dass +Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der wuetenden Menge +zerrissen, und eine neue Frist verfloss, bis Hunger und Seuchen ihr Werk +vollendet hatten. Endlich kam in das roemische Hauptquartier eine zweite +Botschaft, dass die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade und Ungnade sich +zu unterwerfen. Als demnach die Buergerschaft angewiesen wurde, am +folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage +Frist, um denjenigen Buergern, die den Untergang der Freiheit nicht zu +ueberleben beschlossen haetten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward +ihnen gewaehrt, und nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der +elende Rest vor den Toren. Scipio las fuenfzig der Ansehnlichsten aus, +um sie in seinem Triumphe aufzufuehren; die uebrigen wurden in die +Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, ihr Gebiet unter +die Nachbarstaedte verteilt. Das geschah im Herbst 621 (133), fuenfzehn +Monate nachdem Scipio den Oberbefehl uebernommen hatte. Mit Numantias +Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom in der +Wurzel getroffen; militaerische Spaziergaenge und Geldbussen reichten +aus, um die roemische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur +Anerkennung zu bringen. Auch im jenseitigen ward durch die Ueberwindung +der Lusitaner die roemische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der +Konsul Decimus Iunius Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die +kriegsgefangenen Lusitaner an in der Naehe von Sagunt und gab ihrer +neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung +(616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen +Richtungen die iberische Westkueste und gelangte zuerst von den Roemern +an das Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, +Maennern und Frauen, hartnaeckig verteidigten Staedte der dort wohnenden +Lusitaner wurden durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhaengigen +Callaeker nach einer grossen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein +sollen, mit der roemischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der +Vaccaeer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordkueste +die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Roemern untertan. Eine +senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio +das neugewonnene Provinzialgebiet roemisch zu ordnen, und Scipio tat, +was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner +Vorgaenger zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren +schmachvolle Misshandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als +Kriegstribun mit hatte ansehen muessen, von ihm eingeladen wurden, in +ihre Stadt zurueckzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum +fuer Spanien eine leidlichere Zeit. Die Unterdrueckung des Seeraubes, +der auf den Balearen gefaehrliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus +Caecilius Metellus' Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem +Aufbluehen des spanischen Handels ungemein foerderlich, und auch sonst +waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst +unuebertroffenen Bevoelkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. +Wie zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevoelkerung auf der +Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern +in den Staedten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen +Inseln. Trotz mancher schwerer Missstaende bewahrte die roemische +Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit +und zunaechst Tiberius Gracchus ihr aufgepraegt hatten. Das roemische +Grenzgebiet zwar hatte von den Ueberfaellen der halb oder gar nicht +bezwungenen Staemme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei +den Lusitanern namentlich tat die aermere Jugend regelmaessig sich in +Raeuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute +oder die Nachbarn, weshalb noch in viel spaeterer Zeit die einzeln +gelegenen Bauernhoefe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im +Notfall verteidigungsfaehig waren; und es gelang den Roemern nicht, +diesem Raeuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugaenglichen +lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege +nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den +jeder leidlich tuechtige Statthalter mit den gewoehnlichen +Mitteln niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung +der Grenzdistrikte war Spanien unter allen roemischen Gebieten das +bluehendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die +Mittelsmaenner waren daselbst unbekannt, die Bevoelkerung zahlreich +und die Landschaft reich an Korn und Vieh. In einem weit unleidlicheren +Mittelzustand zwischen formeller Souveraenitaet und tatsaechlicher +Untertaenigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und +asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Roemer gegen Karthago, +Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der roemischen +Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhaengige Staat bezahlt den Preis +seiner Selbstaendigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges +auf sich nimmt, wenn es sein muss; der Staat, der die Selbstaendigkeit +eingebuesst hat, mag wenigstens einen Ersatz darin finden, dass +der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese +Klientelstaaten Roms hatten weder Selbstaendigkeit noch Frieden. In +Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsaechlich ein ewiger +Grenzkrieg. In Aegypten hatte zwar der roemische Schiedsspruch +den Sukzessionsstreit der beiden Brueder Ptolemaeos Philometor und +Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Aegypten +und von Kyrene fuehrten nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von +Kypros. In Asien waren nicht bloss die meisten Koenigreiche, Bithynien, +Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und +dadurch hervorgerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich +zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege gefuehrt +zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den +bithynischen Koenigen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten +im eigentlichen Hellas die dort landueblichen zwerghaften Fehden, und +selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem +inneren Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die +Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, dass die letzte Lebenskraft +und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen ziellosen Fehden +vergeudet ward. Die Klientelstaaten haetten einsehen muessen, dass der +Staat, der nicht gegen jeden, ueberhaupt nicht Krieg fuehren kann +und dass, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten +tatsaechlich unter roemischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz +nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Guete sich zu +vergleichen oder die Roemer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die +achaeische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt +ward und ernstlich ueber deren Absendung beratschlagte (601 153), so +war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Fuehrer der +roemisch gesinnten Partei damals aufstellte, dass es den Achaeern nicht +mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Roemer Krieg zu fuehren, drueckte, +freilich mit uebelklingender Schaerfe, die einfache Wahrheit aus, dass +die Souveraenitaet der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und +jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin fuehren +musste, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer +als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde +zu richten. Es ist fuer den Menschen wie fuer den Staat keine leichte +Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des +Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft aufzugeben +oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen Ueberlegenheit +die Beherrschten zur Resignation zu noetigen. Der roemische Senat tat +keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestuermt, griff +der Senat bestaendig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen, +asiatischen, aegyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten +und schlaffen Weise, dass durch diese Schlichtungsversuche die +Verwirrung gewoehnlich nur noch aerger ward. Es war die Zeit der +Kommissionen. Bestaendig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago +und Alexandreia, an die achaeische Tagsatzung und die Hoefe der +vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten, +und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und +gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, dass +Kypros, welches der Senat dem Kyrenaeischen Reich zugeschieden hatte, +nichtsdestoweniger bei Aegypten blieb; dass ein syrischer Prinz den +Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Roemern +zugesprochen erhalten zu haben, waehrend in der Tat ihm derselbe vom +Senate ausdruecklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von +Rom entkommen war; ja dass die offenkundige Ermordung eines roemischen +Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment von +Syrien fuehrte, gaenzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wussten zwar +sehr wohl, dass sie nicht imstande seien, den roemischen Legionen zu +widerstehen; aber sie wussten nicht minder, wie wenig der Senat +geneigt war, den Buergern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil +zu erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in +der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment +brachte die Voelker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um +die der Ordnung. Fuer die Roemer selbst aber war diese Lage der Dinge +insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermassen +preisgab. Ohne dass Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern +vermochte, konnten hier, gestuetzt auf die ausserhalb des Bereiches der +roemischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen +die schwachen roemischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer +fuer Rom gefaehrlichen und frueher oder spaeter mit ihm rivalisierenden +Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermassen der +ueberall zerspaltene und nirgends einer grossartigen staatlichen +Entwicklung guenstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch +erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, dass +in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des +Augustus noch nicht am Euphrat standen. Diesem Zustand der Halbheit ein +Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig moegliche Ende aber war die +Verwandlung der Klientelstaaten in roemische Aemter, was um so eher +geschehen konnte, als ja die roemische Provinzialverfassung wesentlich +nur die militaerische Gewalt in der Hand des roemischen Vogts +zusammenfasste und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den +Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten +politischen Selbstaendigkeit ueberhaupt noch lebensfaehig war, sich +in der Form der Gemeindefreiheit bewahren liess. Zu verkennen war die +Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich +nur, ob der Senat dieselbe verzoegern und verkuemmern, oder ob er +den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen und +energisch durchzufuehren. Blicken wir zunaechst auf Afrika. Die von den +Roemern in Libyen gegruendete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf +dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. +Waehrend jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment +sich erweiterte, befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch +die blossen Folgen des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und +Volkszahl wieder, was es auf der Hoehe seiner politischen Macht gewesen +war. Die Roemer sahen mit uebelverhehlter, neidischer Furcht die, wie +es schien, unverwuestliche Bluete der alten Nebenbuhlerin; hatten sie +bisher den bestaendig fortgesetzten Uebergriffen Massinissas gegenueber +derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt +an, offen zu Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als +dreissig Jahren zwischen der Stadt und dem Koenig schwebende Streit +ueber den Besitz der Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der +fruchtbarsten des karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von +roemischen Kommissarien dahin entschieden, dass die Karthager die noch +in ihrem Besitz verbliebenen emporitanischen Staedte zu raeumen und als +Entschaedigung fuer die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente +(860000 Taler) an den Koenig zu zahlen haetten. Die Folge war, dass +Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der +Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der grossen +Felder am Bagradas, bemaechtigte; den Karthagern blieb nichts uebrig, +als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozess anhaengig zu machen. +Nach langem und ohne Zweifel absichtlichem Zoegern erschien in Afrika +eine zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, +ohne genaue vorgaengige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben +zu faellenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten, +sondern auf eingehender Eroerterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten +die Kommissare ohne weiteres wieder zurueck nach Rom. Die Rechtsfrage +zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die Sendung +fuehrte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser Kommission +war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der einflussreichste +Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege noch von dem +vollen Poenerhass und der vollen Poenerfurcht durchdrungen. Betroffen +und missguenstig hatte dieser mit eigenen Augen den bluehenden Zustand +der Erbfeinde Roms, die ueppige Landschaft und die wogenden Gassen, +die gewaltigen Waffenvorraete in den Zeughaeusern und das reiche +Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal +all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und +mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem Ergebnis, +dass Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom Erdboden +verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht +sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Maenner der +Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kuemmerlichen +Politik mit grossem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse +vor einer Kaufstadt, deren phoenikische Bewohner mehr und mehr der +kriegerischen Kuenste und Gedanken sich entwoehnten, und die vollkommene +Vertraeglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der +politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine +roemische Provinzialstadt waere ausfuehrbar, ja, verglichen mit +dem gegenwaertigen Zustand, den Phoenikern selbst vielleicht nicht +unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, +sondern den Untergang der verhassten Stadt. Seine Politik fand, wie es +scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmaennern, die geneigt waren, +die ueberseeischen Gebiete in unmittelbare Abhaengigkeit von Rom zu +bringen, teils und vor allem an dem maechtigen Einfluss der roemischen +Bankiers und Grosshaendler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld- +und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen musste. Die Majoritaet +beschloss, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten +forderte die Ruecksicht auf die oeffentliche Meinung - den Krieg mit +Karthago oder vielmehr die Zerstoerung der Stadt zu bewirken. +Die gewuenschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden +Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Roemer brachten in +Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Fuehrer +der Patriotenpartei, welche, aehnlich der achaeischen, zwar nicht daran +dachte, gegen die roemische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens +die den Karthagern vertragsmaessig zustehenden Rechte gegen Massinissa, +wenn noetig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die +Patrioten liessen vierzig der entschiedensten Anhaenger Massinissas aus +der Stadt verbannen und das Volk schwoeren, ihnen unter keiner Bedingung +je die Rueckkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen +die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern +ein starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154). +Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu ruesten, sondern sich +wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch +der Roemer zu unterwerfen; und so konnte man roemischerseits mit einigem +Schein behaupten, dass die karthagischen Ruestungen gegen die Roemer +gerichtet sein muessten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und +Vernichtung der Flottenvorraete dringen. Der karthagische Rat +wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausfuehrung des +Beschlusses, und die roemischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago +ueberbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte +seinen Sohn Gulussa nach Rom, um ueber die fortdauernden Vorbereitungen +Karthagos fuer den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und +die Kriegserklaerung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine +Gesandtschaft von zehn Maennern es bestaetigt hatte, dass in Karthago in +der Tat geruestet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte +Kriegserklaerung, die Cato begehrte, beschloss aber in geheimer Sitzung, +dass der Krieg erklaert sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu +verstehen wuerden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu +verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen. +Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter +Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurueckgesandt. Da die +Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern +einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und +auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. +Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der +gewoehnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren +zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein +Theaterkoenig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war +der eitle und schwerfaellige Mann wenig geeignet, den Helfer zu +machen in einer Bedraengnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und +Hannibals Arm nicht mehr haetten abwenden koennen. Vor den Augen des +Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, +an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische +Elefanten zuzufuehren, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge +herab "wie Zeus vom Ida" der Schlacht zuschaute, lieferten die Karthager +und die Numidier sich ein grosses Treffen, in welchem jene, obwohl +durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugefuehrte +numidische Reiter verstaerkt und an Zahl dem Feinde ueberlegen, dennoch +den kuerzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager +gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio +versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein +an der Weigerung der karthagischen Patrioten, die Ueberlaeufer +auszuliefern, scheiterte das Friedensgeschaeft. Hasdrubal aber, eng +eingeschlossen von den Truppen des Gegners, wurde genoetigt, alles +zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung der Ueberlaeufer, +Rueckkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem Joch, +Zahlung von jaehrlich 100 Talenten (155000 Talern) fuer die naechsten +fuenfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht +gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der +Heimkehr von ihnen zusammengehauen. Die Roemer, die sich wohl gehuetet +hatten, den Krieg selbst durch zeitige Dazwischenkunft zu verhindern, +hatten jetzt, was sie wuenschten: einen brauchbaren Kriegsgrund - denn +die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen roemische Bundesgenossen noch +ausserhalb der eigenen Grenzen Krieg zu fuehren, waren jetzt allerdings +von den Karthagern uebertreten worden - und einen bereits im voraus +geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom +gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die +Kriegserklaerung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden +Schlag abzuwenden. Die Fuehrer der Patriotenpartei, Hasdrubal und +Karthalo, wurden zum Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom +geschickt, um auf sie die Verantwortung zu waelzen. Allein, zugleich +trafen Boten von Utica, der zweiten Stadt der libyschen Phoeniker, dort +ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde den Roemern voellig zu eigen +zu geben - mit dieser zuvorkommenden Unterwuerfigkeit verglichen, schien +es fast Trotz, dass die Karthager sich begnuegt hatten, die Hinrichtung +ihrer angesehensten Maenner unverlangt anzuordnen. Der Senat erklaerte, +dass die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf +die Frage, was denn genuegen werde, hiess es, das sei den Karthagern ja +bekannt. Freilich konnte man es wissen, was die Roemer wollten; allein +es schien doch wieder unmoeglich zu glauben, dass nun wirklich fuer die +liebe Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen +karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreissig und mit unbeschraenkter +Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklaert +(Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch +versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollstaendige Unterwerfung +zu beschwoeren. Der Senat beschied sie, dass Rom bereit sei, der +karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre staedtische Freiheit und ihr +Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermoegen zu garantieren, wofern +sie den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in +Lilybaeon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen +und die weiteren Befehle erfuellen wuerden, die ihnen die Konsuln +nach ihrer Instruktion wuerden zugehen lassen. Man hat den Bescheid +zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende +Maenner selbst unter den Karthagern hervorhoben. Dass alles, was man nur +begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und +dass keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika +zu sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat +verfuhr mit furchtbarer Haerte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab +er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich +kein Staatsmann, der die haltlose staedtische Menge entweder zum vollen +Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht haette. +Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die ertraegliche +Geiselforderung vernahm, fuegte man zunaechst sich dieser und hoffte +weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heisse, +sich der Willkuer eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln +sandten die Geiseln von Lilybaeon zurueck nach Rom und beschieden die +karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand +geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt. +Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago +erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die +Konsuln zunaechst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der +Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten, +gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch +die Flucht entronnenen Hasdrubal beschuetzen solle, ward ihnen erwidert, +dass dies die Sorge der Roemer sein werde. Gehorsam erschien demnach +der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen +Kriegsvorraeten der oeffentlichen Zeughaeuser, allen im Privatbesitz +befindlichen Waffen - man zaehlte 3000 Wurfgeschuetze und 200000 volle +Ruestungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob +sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eroeffnete dem Rat, dass +in Gemaessheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt +zerstoert werden muesse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst +wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom +Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fuerchterliche Befehl +ruettelte in den Phoenikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder +wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander +und spaeter die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die +Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen +vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat +und Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der +Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empoerung +der kaufmaennischen und seefahrenden Bevoelkerung. Von Hoffnung und +Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne +Frage auch jetzt sich zu fuegen - aber die Stimme der wenigen, welche +mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf +des Faehrmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in +ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff, +welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils +die unschuldigen Traeger der Botschaft, so viele von ihnen ueberhaupt +heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten liess, teils +die zufaellig in der Stadt verweilenden Italiker zerriss, um wenigstens +an diesen die Rache vorwegzunehmen fuer die Vernichtung der Heimat. Man +beschloss nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies +von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen +entbloessten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal, +den Tochtersohn Massinissas, uebertragen, die Sklaven saemtlich frei +erklaert. Das Emigrantenheer unter dem fluechtigen Hasdrubal, das +mit Ausnahme der von den Roemern besetzten Staedte an der Ostkueste, +Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, +das ganze karthagische Gebiet innehatte und fuer die Verteidigung eine +unschaetzbare Stuetze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in +dieser hoechsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt +phoenikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der +Demut versteckend, den Feind zu taeuschen. Es ging eine Botschaft an +die Konsuln, um dreissigtaegigen Waffenstillstand zur Absendung einer +Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wussten wohl, dass die +Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewaehren +wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestaerkt in +der natuerlichen Voraussetzung, dass nach dem ersten Ausbruch der +Verzweiflung die gaenzlich wehrlose Stadt sich fuegen werde, und +verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt, +um Wurfgeschuetze und Ruestungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne +Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen +gezimmert und gehaemmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die +oeffentlichen Gebaeude niedergerissen; um die fuer die Wurfgeschuetze +unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar; +in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Maenner wieder +bewehrt. Dass dies alles geschehen konnte, ohne dass die wenige Meilen +entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten +wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja +daemonischen Volkshass getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des +Wartens muede, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloss mit Leitern +die nackten Mauern ersteigen zu koennen meinten, fanden sie mit Staunen +und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekroent und die +grosse volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu +besetzen gehofft hatte, faehig und bereit, sich bis auf den letzten Mann +zu verteidigen. Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie +durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen +Bewohner. In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, +oestlich Kap Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach +Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und +nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhaengt. Diese Landspitze, an +der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im +ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in +den beiden Hoehen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen +die Flaeche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem suedlichen, mit der +Hoehe von Sidi bu Said abschliessenden Teil derselben lag die Stadt +Karthago. Der ziemlich steile Abfall jener Hoehe gegen den Golf und +dessen zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt +natuerliche Festigkeit, und es genuegte hier eine einfache Umwallung. +Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen +Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst +vermochte. Sie bestand, wie die kuerzlich aufgedeckten, mit der +Beschreibung des Polybios genau uebereinstimmenden Ueberreste +gezeigt haben, aus einer Aussenmauer von 6 Fuss Dicke und an diese +hinterwaerts, wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten +ungeheuren Kasematten, welche durch einen 6 Fuss breiten bedeckten +Gang von der Aussenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuss +breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 +Fuss hatten 4. Dieser ungeheure, durchaus aus maechtigen Quadern +zusammengefuegte Wall erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die +maechtigen vier Stockwerke hohen Tuerme ungerechnet, zu einer Hoehe von +45 Fuss 5 und gewaehrte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung +und Futtermagazine fuer 300 Elefanten, in dem oberen Pferdestaelle, +Magazin- und Kasernenraeume 6. Der Burghuegel, die Byrsa (syrisch birtha += Burg), ein verhaeltnismaessig bedeutender Fels von 188 Fuss Hoehe und +an der Unterflaeche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten +7, griff in diese Mauer an ihrem suedlichen Ende ein, aehnlich wie die +Felswand des Kapitols in den roemischen Stadtwall. Die obere Flaeche +desselben trug den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen +ruhenden Tempel des Heilgottes. Die Suedseite der Stadt bespuelte teils +der seichte Tunesische See im Suedwesten, den eine von der karthagischen +Halbinsel suedwaerts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast +gaenzlich von dem Golfe schied, teils im Suedosten der offene Golf. An +dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk +von Menschenhand: der aeussere oder der Handelshafen, ein laengliches, +die schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuss +breiter Muendung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen, +und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das +Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den aeusseren +gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa +ostwaerts sich wendend, die Landzunge und den Aussenhafen aus-, dagegen +den Kriegshafen einschloss, so dass die Einfahrt in den letzteren gleich +einem Tor verschliessbar gedacht werden muss. Unweit des Kriegshafens +lag der Marktplatz, der durch drei enge Strassen mit der nach der +Stadtseite offenen Burg verbunden war. Noerdlich von und ausserhalb der +eigentlichen Stadt hatte der ziemlich betraechtliche, schon zu jener +Zeit grossenteils mit Landhaeusern und wohlbewaesserten Gaerten +gefuellte Raum der heutigen El Mersa, damals Magalia genannt, +eine eigene, an die Stadtmauer sich anlehnende Umwallung. Auf der +gegenueberliegenden Spitze der Halbinsel, dem Dschebel-Khawi bei dem +heutigen Dorfe Qamart, lag die Graeberstadt. Diese drei, die Alt-, +die Vor- und die Graeberstadt, fuellten zusammen die ganze Breite +der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus und waren nur +zugaenglich auf den beiden Hauptstrassen nach Utica und Tunes ueber jene +schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer geschlossen war, +aber doch fuer die unter dem Schutze der Hauptstadt und wieder zu deren +Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste Stellung darbot. +------------------------------------------- 3 Der Zug der Kueste ist +im Laufe der Jahrhunderte so veraendert worden, dass man an der +alten Staette die ehemaligen Lokalverhaeltnisse nur unvollkommen +wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch +von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in +den Golf hineinragende oestliche Spitze der Halbinsel und ihr hoechster +393 Fuss ueber dem Meere gelegener Punkt. 4 Die von C. E. Beule +(Fouilles a Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmasse sind in Metern +und in griechischen Fuss (1 = 0,309): Aussenmauer 2 Meter = 6 Fuss +Korridor 9 Meter = 6 Fuss Vordermauer der Kasematten 1 Meter = 3Fuss +Kasemattensaele 4,2 Meter = 14 Fuss Hintermauer der Kasematten 1 Meter += 3Fuss Gesamttiefe der Mauer 10,1 Meter = 33 Fuss oder, wie Diodor (p. +522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1 Fuss), waehrend Livius +(bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, minder +genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die +Mauertiefe auf 30 Fuss ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, ueber die +bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet +war, ist die Aussenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der +Kasematten. Dass dies Zusammentreffen nicht zufaellig ist und wir hier +in der Tat die Ueberreste der beruehmten karthagischen Mauer vor uns +haben, wird jedem einleuchten; N. Davis' Einwuerfe (Carthage and +her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, dass gegen die wesentlichen +Ergebnisse Beules auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. Nur +muss man festhalten, dass die alten Berichterstatter die Angaben, um die +es sich handelt, saemtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern von +der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Suedseite +des Burghuegels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu +stimmt, dass die Ausgrabungen auf dem Burghuegel gegen Osten, Norden und +Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Suedseite eben +jene grossartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund +vorhanden, dieselben als Ueberreste einer besonderen, von der +Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen +in entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen +Stadtmauer liegt 56 Fuss unter dem heutigen Boden - werden vermutlich +laengs der ganzen Landseite gleiche oder doch aehnliche Fundamente zu +Tage foerdern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt +Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von +Haus aus schwaecher gewesen oder frueh vernachlaessigt worden ist. Wie +lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; +doch ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren +Futtermagazine und vielleicht noch andere Raeumlichkeiten sowie die +Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche +Laengenentwicklung. Dass die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa +einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten +Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117; +Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich. 5 So rechnet +Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung der Zinnen, +die Hoehe auf 40 Ellen oder 60 Fuss. Der erhaltene Ueberrest ist noch +12-16 Fuss (4-5 Meter) hoch. 6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen +hufeisenfoermigen Saele haben eine Tiefe von 14, eine Breite von 11 +griechischen Fuss; die Weite der Eingaenge wird nicht angegeben. Ob +diese Masse und die Verhaeltnisse des Korridors ausreichen, um in +ihnen Elefantenstaelle zu erkennen, bleibt durch genauere Ermittlung +festzustellen. Die Zwischenmauern, die die Saele voneinander scheiden, +haben die Dicke von 1,1 Meter = 3 Fuss. 7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich +2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt haben wird - 16 Stadien sind +ungefaehr 3000 Meter. Der Burghuegel, auf dem jetzt die Kirche des hl. +Ludwig steht, misst oben etwa 1400, auf der halben Hoehe etwa 2600 Meter +im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf den unteren Umfang wird jene +Angabe recht gut auskommen. 8 Sie traegt jetzt das Fort Goletta. 9 +Dass dieses phoenikische Wort das kreisfoermig ausgegrabene Bassin +bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der +die Griechen dasselbe verwenden. Es passt also nur auf den inneren +Hafen Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es +eigentlich fuer die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones +p. 37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den +viereckigen Vorhafen des Kothon als Teil desselben. +--------------------------------------- Die schwierige Arbeit, eine so +wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch dadurch erschwert, dass +teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch immer 800 +Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei groesstenteils +beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten +Staemme der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten, +sich nicht auf die Verteidigung der Stadt zu beschraenken, sondern +zugleich ein zahlreiches Heer im Felde zu halten, welches bei der +verzweifelten Stimmung der Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten +numidischen Reiterei von den Belagerern nicht ausser acht gelassen +werden durfte. Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte +Aufgabe zu loesen, als sie nun doch sich genoetigt sahen, die Belagerung +regelrecht zu beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, +schlug sein Lager der Burgmauer gegenueber, waehrend Lucius Censorinus +mit der Flotte an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die +Operationen begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an +dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den +zum Holzfaellen fuer den Maschinenbau ausgeschickten roemischen Soldaten +ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tuechtige Reiterfuehrer +Himilkon Phameas den Roemern viele Leute toetete. Indes stellte +Censorinus auf der Landzunge zwei grosse Sturmboecke her und brach mit +ihnen Bresche an dieser schwaechsten Stelle der Mauer; der Sturm indes +musste, da es Abend geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang +es den Belagerten, einen grossen Teil der Bresche zu fuellen und durch +einen Ausfall die roemischen Maschinen so zu beschaedigen, dass sie am +naechsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die +Roemer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die naechsten +Mauerabschnitte und Haeuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig +vor, dass sie mit starkem Verlust zurueckgeschlagen wurden und noch weit +groessere Nachteile erlitten haben wuerden, wenn nicht der Kriegstribun +Scipio Aemilianus, den Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend, +seine Leute vor den Mauern zusammengehalten und mit ihnen die +Fluechtenden aufgenommen haette. Noch viel weniger richtete Manilius +gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die Belagerung sich in +die Laenge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten Krankheiten, +die Abreise des faehigeren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung +und Untaetigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Roemer sehr +ungern die laengst begehrte Beute fuer sich selber nehmen sah, und der +bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjaehrigen Koenigs +brachten die Offensivoperationen der Roemer voellig ins Stocken. Sie +hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander +und ihr Lager gegen die naechtlichen Ueberfaelle zu schuetzen und durch +Anlegung eines Hafenkastells und Streifzuege in die Umgegend Nahrung +fuer Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete +Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste haette bei +der schlechten Fuehrung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer +foermlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg fuer den +Feldherrn wie fuer das Heer verlief, so glaenzend tat der Kriegstribun +Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde +auf das roemische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrueckend und +den Feind in den Ruecken fassend, ihn zum Umkehren noetigte. Auf dem +ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Flussuebergang, der wider +seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres +geworden waere, durch einen verwegenen Seitenangriff dem rueckkehrenden +Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung durch +seinen aufopfernden Heldenmut. Waehrend die uebrigen Offiziere, der +Konsul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen +geneigten Staedte und Parteifuehrer zurueckschreckten, gelang es Scipio, +einen der tuechtigsten von diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern +zum Uebertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des +sterbenden Massinissa erfuellend, unter dessen drei Soehne, die Koenige +Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, fuehrte er in +Gulussa einen seines Vaters wuerdigen Reiterfuehrer dem roemischen Heer +zu und half damit dem bisher empfindlich gefuehlten Mangel an leichter +Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen +leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang +auch den Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf +allen Lippen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, +wandte wenige Monate vor seinem Tode - er starb am Ende des Jahres +605 (149), ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, +erfuellt gesehen zu haben - auf den jungen Offizier und seine unfaehigen +Kameraden die Homerische Zeile an: "Einzig er ist ein Mann, die +andern sind wandelnde Schatten ^10." +--------------------------------------------- ^10 Oios pepytai, toi de +skiai aissoysin. --------------------------------------------- Ueber +diese Vorgaenge war der Jahresschluss und damit der Kommandowechsel +herangekommen: ziemlich spaet erschien der Konsul Lucius Piso (606 148) +und uebernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den +der Flotte. Indes, hatten die Vorgaenger wenig geleistet, so geschah nun +gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Ueberwindung +der Armee Hasdrubals beschaeftigte Piso sich damit, die kleinen +phoenikischen Seestaedte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, +wie zum Beispiel Clupea ihn zurueckschlug und er von Hippon +Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und das +Belagerungsgeraet ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen +musste. Neapolis ward zwar genommen; aber die Pluenderung der Stadt +gegen das gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der roemischen Waffen +nicht sonderlich guenstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer +Scheik Bithyas ging mit 800 Pferden zu ihnen ueber; karthagische +Gesandte konnten es versuchen, mit den Koenigen von Numidien und +Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von Makedonien Verbindungen +einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwuerfnisse - Hasdrubal der +Emigrant verdaechtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt +befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und liess ihn im +Rathause erschlagen - als die Taetigkeit der Roemer verhinderten eine +fuer Karthago noch guenstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom, +um dem besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu +schaffen, zu der ausserordentlichen Massregel, dem einzigen Mann, der +bis jetzt von den libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein +Name selbst fuer diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Aedilitaet, +um die er eben sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden +Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch besonderen Beschluss die +Fuehrung des Afrikanischen Krieges zu uebertragen. Er traf (607 147) +in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der +roemische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung +der Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem +bewohnten Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der +schwer zugaenglichen Seite der Aussenstadt Magalia besetzt und fast +seine gesamte, nicht zahlreiche Mannschaft dort vereinigt, in der +Hoffnung, von hier aus in die Aussenstadt eindringen zu koennen. In +der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick innerhalb der Tore +derselben gewesen, und schon war der Lagertross in der Hoffnung +auf Beute in Masse herbeigestroemt, als sie wieder auf die Klippe +zurueckgedraengt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der +groessten Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum +angekommen, entsandte er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz +von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, und es gelang, dessen +Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu behaupten. Nachdem diese +Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr sich in das Lager Pisos, +um das Heer zu uebernehmen und nach Karthago zurueckzufuehren. Hasdrubal +aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr Lager unmittelbar +an die Stadt zu ruecken und den Angriff auf die Besatzung der Klippe von +Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem Vortrab +der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu leisten. +Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen Dingen +saeuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender +und zog die erschlafften Zuegel der Disziplin wieder mit Strenge an. +Bald nahmen auch die militaerischen Operationen einen lebhafteren Gang. +Bei einem naechtlichen Angriff auf die Aussenstadt gelangten von einem +Turme aus, der den Mauern an Hoehe gleich vor denselben stand, die +Roemer auf die Zinnen und oeffneten ein Pfoertchen, durch das das ganze +Heer eindrang. Die Karthager gaben die Aussenstadt und das Lager vor den +Toren auf und uebertrugen den Oberbefehl ueber die auf 30000 Mann sich +belaufende staedtische Besatzung an Hasdrubal. Der neue Kommandant +bewies seine Energie zuvoerderst dadurch, dass er saemtliche roemische +Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des +Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stuerzen liess; +und als hierueber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die +Buerger die Schreckensherrschaft eingefuehrt. Scipio inzwischen suchte, +nachdem er die Stadt auf sich selber beschraenkt hatte, ihr den Verkehr +nach aussen hin voellig abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier +auf dem Erdruecken, durch den die karthagische Halbinsel mit dem +Festland zusammenhaengt, und schlug hier trotz der vielfachen Versuche +der Karthager, den Bau zu stoeren, ein grosses, diesen Ruecken in seiner +ganzen Breite schliessendes Lager, das die Stadt nach der Landseite hin +vollstaendig absperrte. Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den +Hafen ein, teils kuehne Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils +Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus +jeden guenstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu +bringen; wie auch daselbst die Buergerschaft schon litt, die Besatzung +war noch hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge +zwischen See und Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96 +Fuss Breite, um damit die Hafenmuendung zu sperren. Die Stadt schien +verloren, als das Gelingen dieses anfangs von den Karthagern als +unausfuehrbar verspotteten Unternehmens offenbar ward. Aber eine +Ueberraschung machte die andere wett. Waehrend die roemischen Arbeiter +an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate +lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne dass selbst die Ueberlaeufer zu +sagen wussten, was die Belagerten beabsichtigten. Ploetzlich, als eben +die Roemer mit der Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten +aus demselben Hafen fuenfzig karthagische Dreidecker und eine Anzahl +Boote und Kaehne hinaus in den Golf -die Karthager hatten, waehrend +die Feinde die alte Hafenmuendung gegen Sueden sperrten, durch einen in +oestlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen Ausgang geschaffen, +welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmoeglich gesperrt +werden konnte. Haetten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu +begnuegen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte +und voellig unvorbereitete roemische Flotte gestuerzt, so war diese +verloren; als sie am dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht +zu liefern, fanden sie die Roemer geruestet. Der Kampf verlief ohne +Entscheidung; bei der Rueckfahrt aber stopften sich die karthagischen +Schiffe so sehr in und vor der Hafenmuendung, dass der dadurch +entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun +seine Angriffe auf den aeusseren Hafenkai, welcher ausserhalb der +Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall +notduerftig geschuetzt war. Die Maschinen wurden auf der Landzunge +aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit beispielloser +Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen durchwatend, das +Belagerungszeug an, verjagten die Besatzungsmannschaft, welche so ins +Laufen kam, dass Scipio seine eigenen Reiter auf sie einhauen lassen +musste, und zerstoerten die Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie +Zeit, die Bresche zu schliessen. Scipio stellte indes die Maschinen +wieder her und schoss die Holztuerme der Feinde in Brand, wodurch er den +Kai und damit den Aussenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer +an Hoehe gleichkommender Wall wurde hier aufgefuehrt, und es war jetzt +endlich die Stadt von der Land- wie von der Seeseite vollstaendig +abgesperrt, da man nur durch den aeusseren in den inneren Hafen +gelangte. Um die Blockade vollstaendig zu sichern, liess Scipio das +Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius Laelius +angreifen; durch eine glueckliche Kriegslist ward es erobert und die +ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getoetet oder gefangen. +Darueber war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die +Operationen ein, es dem Hunger und den Seuchen ueberlassend, das +Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar die Gewaltigen des Herrn +inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, waehrend Hasdrubal +freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so wie im +Fruehling 608 (146) das roemische Heer zum Angriff gegen die innere +Stadt ueberging. Hasdrubal liess den Aussenhafen anzuenden und machte +sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber +Laelius gelang es, weiter aufwaerts die von der ausgehungerten Besatzung +kaum noch verteidigte Mauer zu uebersteigen und so bis an den inneren +Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber der Kampf noch +keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den kleinen Hafen +anstossenden Markt und drangen in den drei schmalen, von diesem nach +der Burg zu fuehrenden Strassen langsam vor - langsam, denn von den +gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Haeusern musste eines nach +dem andern erstuermt werden; auf den Daechern oder auf ueber die Strasse +gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser festungsaehnlichen +Gebaeude in das benachbarte oder gegenueberstehende vor und stiess +nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, schreckliche +fuer die Bewohner der Stadt und auch fuer die Angreifer voll Not und +Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den sich +Hasdrubal und die noch uebrige Mannschaft zurueckgezogen hatten. +Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten +Strassen anzuzuenden und den Schutt zu planieren, bei welcher +Veranlassung eine Menge in den Haeusern versteckter kampfunfaehiger +Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg +zusammengedraengte Rest der Bevoelkerung um Gnade. Das nackte Leben ward +ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Maenner und +25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevoelkerung. Einzig +die roemischen Ueberlaeufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal +mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel +des Heilgottes geworfen: fuer sie, fuer die desertierten Soldaten wie +fuer den Moerder der roemischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber +als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den +Tempel anzuendeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu +sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefaellig um sein +Leben. Es ward ihm gewaehrt; aber wie seine Gattin, die mit ihren +Kindern unter den uebrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den +Fuessen Scipios erblickte, schwoll ihr das stolze Herz ueber diese +Schaendung der teuren untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren +Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu schonen, stuerzte sie erst +die Soehne und dann sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. +Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des +Volkes schaemten im stillen sich der neuesten Grosstat der Nation. Die +Gefangenen wurden groesstenteils zu Sklaven verkauft; einzelne liess man +im Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als +roemische Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich +behandelt. Das bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder +Weihgeschenk, ward den Soldaten zur Pluenderung preisgegeben; von +den Tempelschaetzen ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den +sizilischen Staedten weggefuehrte Beute diesen zurueckgestellt, wie zum +Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das uebrige, fiel +an den roemischen Staat. Indes noch stand die Stadt zum bei weitem +groessten Teil. Es ist glaublich, dass Scipio die Erhaltung derselben +wuenschte; wenigstens richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage +an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der +Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat +befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Aussenstadt Magalia dem +Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt +mit Karthago gehalten; sodann ueber den Boden Karthagos den Pflug zu +fuehren, um der Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, +und Grund und Boden auf ewige Zeiten zu verwuenschen, also dass weder +Haus noch Kornfeld je dort entstehen moege. Es geschah wie befohlen war. +Siebzehn Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Ueberreste der +karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit +einer vier bis fuenf Fuss tiefen, von halb verkohlten Holzstuecken, +Eisentruemmern und Schleuderkugeln erfuellten Aschenlage. Wo die +fleissigen Phoeniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt +hatten, weideten fortan roemische Sklaven die Herden ihrer fernen +Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser +Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und +statt der Siegesfreude erfasste den Sieger selber die Ahnung der solcher +Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung. Es blieb noch uebrig, +fuer die kuenftige Organisation der Landschaft die Einrichtungen +zu treffen. Die fruehere Weise, mit den gewonnenen ueberseeischen +Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt. +Micipsa und seine Brueder behielten im wesentlichen ihr bisheriges +Gebiet mit Einschluss der kuerzlich am Bagradas und in Emporia den +Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genaehrte Hoffnung, Karthago +zur Hauptstadt zu erhalten, ward fuer immer vereitelt; dafuer verehrte +ihnen der Senat die karthagischen Buechersammlungen. Die karthagische +Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heisst der +schmale, Sizilien zunaechst gegenueberliegende Kuestenstrich von +Afrika, vom Tuscafluss (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena +gegenueber), ward eine roemische Provinz. Im Binnenland, wo die +uebergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwaehrend weiter +beschraenkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Koenigen gehoerten, +blieb den Numidiern, was sie besassen. Allein die sorgfaeltige +Regulierung der Grenze zwischen der roemischen Provinz und dem auf drei +Seiten dieselbe einschliessenden numidischen Koenigreich zeugte davon, +dass Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago +verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, +andererseits darauf hinzudeuten schien, dass Rom die gegenwaertig +abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die +Oberverwaltung der neuen Provinz uebernahm ein roemischer Statthalter, +dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmaessigen Grenzverteidigung bedurfte +dieselbe nicht, da das verbuendete Numidische Reich sie ueberall von +den Bewohnern der Wueste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im +ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf +seiten der Roemer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestaedte +Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die +Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistaedte; +dasselbe Recht empfing die neugegruendete Gemeinde der Ueberlaeufer. +Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten +Striches, und das der uebrigen zerstoerten Ortschaften ward roemisches +Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die uebrigen +Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum +und ihre staedtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre +Verfassung bis auf weitere Anordnung der roemischen Regierung vorlaeufig +als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden fuer die +Nutzung des roemisch gewordenen Bodens jaehrlich nach Rom eine ein +fuer allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits +mittels einer Vermoegenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen +wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstoerung +der ersten Handelsstadt des Westens waren die roemischen Kaufleute, +welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica stroemten +und von dort aus nicht bloss die roemische Provinz, sondern auch die +bis dahin ihnen verschlossenen numidischen und gaetulischen Landschaften +auszubeuten begannen. Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand +auch Makedonien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen +Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des roemischen Senats das alte +Koenigreich zerstueckelt hatte, konnten in sich und untereinander nicht +zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner, +zufaellig erwaehnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat +einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos +ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete +(590 164), noch die nach griechischer Sitte von den Makedoniern +herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio +Aemilianus (603 151), vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. +Da erschien ploetzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos +nannte, den Sohn des Koenigs Perseus, welchem er auffallend glich, und +der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt +Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise seiner +hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem +vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich +an seiner Mutter Bruder, Koenig Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es +fanden sich in der Tat einige Maenner, die dem Adramytener glaubten oder +zu glauben vorgaben und den Koenig bestuermten, den Prinzen entweder +in sein angeerbtes Reich wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens +abzutreten; worauf Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, +den Praetendenten festnahm und den Roemern zuschickte. Indes der Senat +achtete des Menschen so wenig, dass er ihn in einer italischen Stadt +konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war +er nach Milet entflohen, wo die staedtischen Behoerden ihn abermals +aufgriffen und bei roemischen Kommissarien anfragten, was sie mit +dem Gefangenen machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es +geschah. Jetzt versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glueck; und +wunderbarerweise fand er hier Anerkennung und Unterstuetzung, nicht +bloss bei den thrakischen Barbarenfuersten Teres, dem Gemahl seiner +Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. +Mit thrakischer Unterstuetzung drang der sogenannte Philipp in +Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er +doch bald einen Sieg ueber das makedonische Aufgebot in der Odomantike +jenseits des Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der +ihm den Besitz von ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine +Erzaehlung klang und so entschieden es feststand, dass der echte +Philippos Perseus' Sohn achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und +dieser Mensch nichts weniger als ein makedonischer Prinz, sondern der +adramytenische Walker Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der +Koenigsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitaetsfrage +sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. +Schon kamen Boten von den Thessalern, dass der Praetendent in ihr Gebiet +eingerueckt sei; der roemische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, +dass das erste ernste Wort dem toerichten Beginnen ein Ende machen +werde, vom Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, +musste die achaeische und pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den +Achaeern Thessalien gegen die Uebermacht, soweit es anging, schirmen, +bis (605? 149) der Praetor Juventius mit einer Legion erschien. Dieser +griff mit seiner geringen Streitmacht die Makedonier an; allein er +selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum +groessten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der sein Regiment +hier und in Makedonien in grausamer und uebermuetiger Weise handhabte. +Endlich betrat ein staerkeres roemisches. Heer unter Quintus Caecilius +Metellus den Kampfplatz und drang, unterstuetzt durch die pergamenische +Flotte, in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht +die Makedonier die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und +Desertionen im makedonischen Heer ein, und der Fehler des Praetendenten, +sein Heer zu teilen und die eine Haelfte nach Thessalien zu detachieren, +verschaffte den Roemern einen leichten und entscheidenden Sieg (606 +148). Philippos fluechtete nach Thrakien zu dem Haeuptling Byzes, wohin +Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine Auslieferung +erlangte. Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem +Praetendenten nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der +Gewalt gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund +vor, den Makedoniern den Schatten von Selbstaendigkeit zu nehmen, den +die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das +Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine +roemische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, dass die +roemische Regierung ihr System geaendert und das Klientel- durch das +Untertanenverhaeltnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde +die Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem +ganzen Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag +empfunden. Die frueher nach den ersten roemischen Siegen von Makedonien +abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Haefen +Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen Beamtensprengel +gehoert hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien vereinigt, so dass +dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im Nordosten bis jenseits +Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die Schutzherrlichkeit, +die Rom ueber das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, von selbst +dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die +Einigkeit zurueck und auch ungefaehr wieder die Grenzen, wie es sie +in seiner bluehendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges +Reich, sondern eine einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es +scheint landschaftlicher Organisation, jedoch unter einem italischen +Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch wohl auf den Landesmuenzen +neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer blieb die alte maessige +Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von 100 Talenten +(155000 Talern), die in festen Betraegen auf die einzelnen Gemeinden +umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen +Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung +des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn, +Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und +hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quaestor Lucius +Tremellius ward des Aufstandes ohne Muehe Herr und verfolgte den +fliehenden Praetendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist +auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der zwei +Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so grosse Dinge vollbracht hatte; +seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als +dass sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der +Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zaehlen. Fortan waren +es die Roemer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und +Ostgrenzen, das heisst der Grenze der hellenischen Zivilisation +gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulaenglichen +Streitkraeften und im ganzen nicht mit der gebuehrenden Energie +gefuehrt; doch ist zunaechst fuer diesen militaerischen Zweck die grosse +Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios' Zeit von +den beiden Haupthaefen an der Westkueste, Apollonia und Dyrrhachion, +quer durch das Binnenland nach Thessalonike, spaeter noch weiter bis +an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die natuerliche +Basis teils fuer die Zuege gegen die unruhigen Dalmater, teils fuer die +zahlreichen Expeditionen gegen die nordwaerts der griechischen Halbinsel +ansaessigen illyrischen, keltischen und thrakischen Staemme, die +spaeter in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden. +------------------------------------------- ^11 Als Handelsstrasse +zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als diejenige naemlich, in +deren Mitte die kerkyraeischen Weinkruege den thasischen und lesbischen +begegnen, kennt diese Strasse schon der Verfasser der pseudo- +aristotelischen Schrift 'Von den merkwuerdigen Dingen'. Auch heute noch +laeuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die +Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida +(Lychnitis) durchschneidend, ueber Monastir nach Saloniki. +------------------------------------------ Mehr als Makedonien hatte +das eigentliche Griechenland sich der Gunst der herrschenden Macht zu +erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der Ansicht sein, dass +daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im Verschwinden und +die Verhaeltnisse ueberhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. Die +verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der +Aetoler, Mnasippos der Boeoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare +Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Roemer ihr Haus verboten, +stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs +heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten Gegensaetze verblasst +waren. Der roemische Senat meinte die Zeit des allgemeinen Vergebens und +Vergessens gekommen und entliess im Jahre 604 (150) die noch uebrigen +der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achaeischen Patrioten, +deren Freigebung die achaeische Tagsatzung nicht aufgehoert hatte zu +fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Roemern mit all ihrem +Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich +zu versoehnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung +der Griechen zu den Attaliden. Koenig Eumenes II. war als Roemerfreund +in Griechenland im hoechsten Grade verhasst gewesen; kaum aber war +zwischen ihm und den Roemern eine Verstimmung eingetreten, als er +in Griechenland ploetzlich populaer ward; wie frueher von Makedonien +erwartete der hellenische Euelpides den Erloeser aus der Fremdherrschaft +jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg in der sich selbst +ueberlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die soziale +Zerruettung. Das Land veroedete, nicht durch Krieg und Pest, sondern +durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der hoeheren Staende, +mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafuer stroemte wie bisher +das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach +Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden +versanken in immer tiefere Verschuldung und in oekonomische Ehr- und die +daranhaengende Kreditlosigkeit; einzelne Staedte, namentlich Athen und +Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum Raeuberhandwerk und +pluenderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere Hader in den +Buenden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den gezwungenen +Mitgliedern der Achaeischen Eidgenossenschaft, war keineswegs beigelegt. +Wenn die Roemer, wie es scheint, glaubten, was sie wuenschten, und +der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald +erfahren, dass die juengere Generation in Hellas um nichts besser und um +nichts klueger als die aeltere war. Die Gelegenheit, um mit den Roemern +Haendel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune. Um einen schmutzigen +Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige Vorstand der +Achaeischen Eidgenossenschaft, Diaeos, auf der Tagsatzung die +Behauptung hin, dass die den Lakedaemoniern als Glied der Achaeischen +Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die +Befreiung von der achaeischen Kriminaljurisdiktion und das Recht, +Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den +Roemern gewaehrleistet seien. Es war eine freche Luege; allein die +Tagsatzung glaubte natuerlich, was sie wuenschte, und da sich die +Achaeer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand +wahrzumachen, gaben die schwaecheren Spartaner vorlaeufig nach, oder +vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achaeern begehrt +ward, verliessen die Stadt, um als Klaeger vor dem roemischen Senat +aufzutreten. Der Senat antwortete wie gewoehnlich, dass er eine +Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses +Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide +falsch, dass der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achaeer, +die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den +falschen Philippos sich mehr als je in bundesgenoessischer Gleichheit +und politischer Gewichtigkeit fuehlten, rueckten im Jahre 606 (148) +unter ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, +von Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende roemische +Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu +erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner +fielen, und Sparta haette genommen werden koennen, wenn Damokritos nicht +als Offizier ebenso untuechtig gewesen waere wie als Staatsmann. Er ward +abgesetzt, und sein Nachfolger Diaeos, der Anstifter all dieses Unfugs, +setzte den Krieg eifrig fort, waehrend er gleichzeitig den gefuerchteten +Kommandanten von Makedonien der vollen Botmaessigkeit der Achaeischen +Eidgenossenschaft versichern liess. Darueber erschien die lange +erwartete roemische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun +ruhten die Waffen und die achaeische Tagsatzung versammelte sich in +Korinth, um ihre Eroeffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter +und unerfreulicher Art. Die Roemer hatten sich entschlossen, die +unnatuerliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die +achaeischen Staaten wiederaufzuheben und ueberhaupt gegen die Achaeer +durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die +aetolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen muessen; jetzt wurden +sie angewiesen auf saemtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg +gemachte Erwerbungen, das heisst auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta +im Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder +auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurueckzufuehren. Wie +dies die achaeischen Abgeordneten vernahmen, stuermten sie sofort +auf den Markt, ohne die Roemer auch nur auszuhoeren, und teilten die +roemischen Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der +regierte Poebel einhellig beschloss, zu allervoerderst saemtliche in +Korinth anwesende Lakedaemonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglueck +ueber sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der +tumultuarischsten Weise, so dass Lakonername oder Lakonerschuhe als +hinreichende Einsperrungsgruende erschienen: ja man drang sogar in +die Wohnungen der roemischen Gesandten, um die dorthin gefluechteten +Lakedaemonier festzunehmen, und es fielen gegen die Roemer harte Reden, +obgleich man an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten +dieselben heim und fuehrten bittere, selbst uebertriebene Beschwerde im +Senat; dennoch beschraenkte sich dieser mit derselben Maessigung, +die all seine Massregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunaechst +auf Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung fuer die +erlittenen Beleidigungen kaum erwaehnend, wiederholte Sextus Iulius +Caesar auf der Tagsatzung in Aegion (Fruehling 607 147) die Befehle der +Roemer. Aber die Leiter der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue +Strateg Kritolaos (Strateg Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als +staatskluge und in der hoeheren Politik wohlbewanderte Leute daraus +bloss den Schluss, dass die roemischen Angelegenheiten gegen Karthago +und Viriathus sehr schlecht stehen muessten, und fuhren fort, die +Roemer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht, +zur Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der +streitenden Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem +Caesar und die lakedaemonischen Gesandten daselbst lange vergeblich +auf die Achaeer gewartet hatten, erschien endlich Kritolaos allein und +zeigte an, dass lediglich die allgemeine Volksversammlung der Achaeer +in dieser Sache kompetent sei und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das +heisst in sechs Monaten, erledigt werden koenne. Caesar ging darauf nach +Rom zurueck; die naechste Volksversammlung der Achaeer aber erklaerte +auf Kritolaos' Antrag foermlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt +noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Guete beizulegen, +und schickte Gesandte nach Korinth; allein die laermende Ekklesia, +groesstenteils bestehend aus dem Poebel der reichen Handels- und +Fabrikstadt, uebertobte die Stimme der roemischen Gesandten und zwang +sie, die Rednerbuehne zu verlassen. Kritolaos' Erklaerung, dass man +die Roemer wohl zu Freunden, aber nicht zu Herren wuensche, ward mit +unsaeglichem Jubel aufgenommen, und als die Mitglieder der Tagsatzung +sich ins Mittel legen wollten, schuetzte der Poebel den Mann seines +Herzens und beklatschte die Stichwoerter von dem Landesverrat der +Reichen und der notwendigen Militaerdiktatur sowie die geheimnisvollen +Winke ueber die nahe bevorstehende Schilderhebung unzaehliger Voelker +und Koenige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war, +zeigten die beiden Beschluesse, dass bis zum hergestellten Frieden alle +Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also +Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die Thebaner und Boeoter +naemlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu Anfang des Jahres 608 +(146) rueckten die Achaeer in Thessalien ein, um Herakleia am Oeta, +das in Gemaessheit des Senatsbeschlusses sich von der Achaeischen +Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen. +Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden +beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach uebernahm es +Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schuetzen. Als dem +achaeisch-thebanischen Heer das Anruecken der Roemer gemeldet ward, war +von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl +gelingen moechte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst +machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei +den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung +und erreichte und schlug das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris. +Der Verlust an Gefangenen und Toten war betraechtlich; von Kritolaos +ward nach der Schlacht nie wieder eine Kunde vernommen. Die Truemmer +der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps in den hellenischen +Landschaften umher und baten ueberall umsonst um Aufnahme; die Abteilung +von Patrae ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei Chaeroneia +aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geraeumt, und von dem +Achaeerheer und der in Masse fluechtenden Buergerschaft von Theben +gelangte nur ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte +durch die moeglichste Milde die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen +Widerstandes zu bestimmen und befahl zum Beispiel, alle Thebaner mit +Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine wohlgemeinten Versuche +scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an der Desperation +der um ihren eigenen Kopf besorgten Fuehrer. Diaeos, der nach Kritolaos' +Fall wieder den Oberbefehl uebernommen hatte, berief alle Waffenfaehigen +auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene Sklaven in +das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschuessen angehalten +und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der +Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeraeumt. +Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achaeische +Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief +sich, sowie sie die roemischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf +dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul Lucius +Mummius mit wenigen Begleitern im roemischen Hauptquartier eintraf und +das Kommando uebernahm. Inzwischen boten die Achaeer, ermutigt durch +einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen roemischen +Vorposten, der roemischen um das Doppelte ueberlegenen Armee bei +Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Roemer zoegerten nicht +sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achaeischen Reiter in Masse +aus vor der sechsfach staerkeren roemischen Reiterei; die Hopliten +standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des roemischen Elitenkorps +auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu +Ende. Diaeos floh in seine Heimat, toetete sein Weib und nahm selber +Gift; die Staedte unterwarfen sich saemtlich ohne Gegenwehr, und sogar +das unbezwingliche Korinth, in das einzuruecken Mummius drei Tage +zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich +von den Roemern besetzt. Die neue Regelung der griechischen +Verhaeltnisse ward in Gemeinschaft mit einer Kommission von zehn +Senatoren dem Konsul Mummius uebertragen, der sich in dem eroberten +Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind +gesagt, eine Torheit, dass er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den +Namen des "Achaikers" annahm und dem Hercules Sieger dankerfuellt +einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in +aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption aufgewachsen, +sondern ein "neuer Mann" und verhaeltnismaessig unbemittelt war, sich +gerecht und mild. Es ist eine rednerische Uebertreibung, dass von den +Achaeern bloss Diaeos, von den Boeotern bloss Pytheas umgekommen seien; +in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward aber +doch in den Strafgerichten Mass gehalten. Den Antrag, die Statuen +des Begruenders der achaeischen Patriotenpartei, des Philopoemen, +umzustuerzen, wies Mummius zurueck; die den Gemeinden auferlegten +Geldbussen wurden nicht fuer die roemische Kasse, sondern fuer die +geschaedigten griechischen Staedte bestimmt, groesstenteils auch spaeter +erlassen und das Vermoegen derjenigen Hochverraeter, die Eltern +oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen +ueberwiesen. Nur die Kunstschaetze wurden aus Korinth, Thespiae und +anderen Staedten weggefuehrt und teils in der Hauptstadt, teils in +den Landstaedten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stuecke auch den +isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der +definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die +Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte, +die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achaeische, als solche +aufgeloest, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, dass +niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben duerfe, der +Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus versucht +hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in +jeder Gemeinde einem aus den Vermoegenden gebildeten Rat das Regiment +in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom +zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie saemtlich dem Statthalter +von Makedonien in der Art untergeordnet, dass diesem als oberstem +Militaerchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine Oberleitung +zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur Entscheidung +an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen Gemeinden die +"Freiheit", das heisst eine, freilich durch die roemische Hegemonie zum +Namen zusammengeschwundene, formelle Souveraenitaet, welche das Eigentum +an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit +in sich schloss ^13. Einige Jahre spaeter ward sogar nicht bloss ein +Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet, sondern auch +die drueckende Beschraenkung in der Veraeusserung des Grundbesitzes +beseitigt. ---------------------------------------- ^12 Aus den +sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind noch +mehrere mit Mummius' Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst solche +Beutegaben trugen. ^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) +roemische Provinz geworden sei oder nicht, laeuft in der Hauptsache auf +einen Wortstreit hinaus. Dass die griechischen Gemeinden durchgaengig +"frei" blieben (CIG 1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. +9, 31), ist ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, dass +Griechenland damals von den Roemern "in Besitz genommen ward" (Tac. arm. +14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); dass von da an jede Gemeinde einen festen +Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die +kleine Insel Gyaros zum Beispiel jaehrlich 150 Drachmen (Strab. 10, +485); dass die "Ruten und Beile" des roemischen Statthalters fortan auch +in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, +55) und derselbe die Oberaufsicht ueber die Stadtverfassungen (CIG 1543) +sowie in gewissen Faellen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim. +2) fortan ebenso uebte wie bis dahin der roemische Senat; dass endlich +die makedonische Provinzialaera auch in Griechenland im Gebrauch war. +Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein +anderer als derjenige, welcher ueberhaupt in der Stellung der freien +Staedte liegt, welche bald als ausserhalb der Provinz stehend (z. B. +Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B. +los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der roemische Domanialbesitz +in Griechenland beschraenkte sich zwar auf den Korinthischen Acker und +etwa einige Stuecke von Euboea (CIG 5879) und eigentliche Untertanen +gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn man auf das +tatsaechlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem makedonischen +Statthalter bestehende Verhaeltnis sieht, ebenso wie Massalia zur +Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu +der makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch +viel weitergehende Faelle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655 +(89) aus lauter Buerger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch +durch Sulla Provinz; ja in der caesarischen Zeit begegnen Landschaften, +die ausschliesslich aus Buergergemeinden bestehen und die dennoch +keineswegs aufhoeren, Provinzen zu sein. Sehr klar tritt hier der +Grundbegriff der roemischen provincia hervor; sie ist zunaechst nichts +als das "Kommando" und alle Verwaltungs- und Jurisdiktionstaetigkeit des +Kommandanten sind urspruenglich Nebengeschaefte und Korollarien seiner +militaerischen Stellung. Andererseits muss dagegen, wenn man die +formelle Souveraenitaet der freien Gemeinden ins Auge fasst, zugestanden +werden, dass durch die Ereignisse des Jahres 608 (146) Griechenlands +Stellung staatsrechtlich sich nicht aenderte: es waren mehr faktische +als rechtliche Verschiedenheiten, dass statt der Achaeischen +Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributaere +Klientelstaaten neben Rom standen und dass seit Einrichtung +der roemischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der +hauptstaedtischen Behoerden die Oberaufsicht ueber die griechischen +Klientelstaaten uebernahm. Man kann demnach, je nachdem die +tatsaechliche oder die formelle Auffassung ueberwiegt, Griechenland als +Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes +wird der ersteren Auffassung mit Recht das Uebergewicht eingeraeumt. +--------------------------------------------- Strengere Behandlung aber +traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es laesst sich +nichts dawider erinnern, dass die ersten beiden entwaffnet und durch +Niederreissung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden; +dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstoerung der ersten +Handelsstadt Griechenlands, des bluehenden Korinth, ein duesterer +Schandfleck in den Jahrbuechern Roms. Auf ausdruecklichen Befehl des +Senats wurden die korinthischen Buerger aufgegriffen, und was dabei +nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa +bloss ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe +nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war, +sondern dem Boden gleichgemacht und in den ueblichen Bannformen jeder +Wiederanbau der oeden Staette untersagt, das Gebiet derselben zum Teil +an Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten +des isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, groesstenteils aber zu +roemischem Gemeinland erklaert. Also erlosch der "Augapfel von Hellas", +der letzte koestliche Schmuck des einst so staedtereichen griechischen +Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so +muss die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser +Zeit selbst unumwunden eingestanden, dass an dem Kriege selbst nicht die +Roemer die Schuld trugen, sondern dass die unkluge Treubruechigkeit und +die schwaechliche Tollkuehnheit der Griechen die roemische Intervention +erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveraenitaet der Buende und alles +damit verknuepften unklaren und verderblichen Schwindels war ein +Glueck fuer das Land und das Regiment des roemischen Oberfeldherrn von +Makedonien, wieviel es auch zu wuenschen uebrig liess, immer noch bei +weitem besser als die bisherige Wirr- und Missregierung der griechischen +Eidgenossenschaften und der roemischen Kommissionen. Der Peloponnes +hoerte auf, die grosse Soeldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und +begreiflich, dass ueberhaupt mit dem unmittelbaren roemischen +Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermassen zurueckkehrten. Das +Themistokleische Epigramm, dass der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde +von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den +Untergang der griechischen Selbstaendigkeit. Die ungemeine Nachsicht, +welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht +in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben +Behoerden gegen die Spanier und die Phoeniker zusammenhaelt; Barbaren +grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie spaeter Kaiser +Traianus hielten es auch die Roemer dieser Zeit "fuer hart und +barbarisch, Athen und Sparta den noch uebrigen Schatten von Freiheit zu +entreissen". Um so schaerfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde +die empoerende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der +numantinischen Katastrophe gemissbilligte Behandlung von Korinth, welche +durch die auf den Gassen von Korinth gegen die roemischen Abgeordneten +ausgestossenen Schmaehreden auch nach roemischem Voelkerrecht nichts +weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor +aus der Brutalitaet eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius, +sondern war eine vom roemischen Rat erwogene und beschlossene Massregel. +Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei +erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie +anfaengt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen +Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die roemischen Grosshaendler bei +der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift man, +weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und weshalb +man nicht bloss die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die +Ansiedlung an dieser fuer den Handel so ueberaus guenstigen Staette fuer +die Zukunft verbot. Fuer die auch in Hellas sehr zahlreichen roemischen +Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos; +wichtiger aber fuer den roemischen Grosshandel ward Delos, das, schon +seit 586 (168) roemischer Freihafen, einen guten Teil der Geschaefte +von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in aehnlicher Weise in +die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb fuer laengere Zeit der +Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14. +---------------------------------- ^14 Ein merkwuerdiger Beleg dafuer +ist die Benennung der feinen griechischen Bronze- und Kupferwaren die in +der ciceronischen Zeit ohne Unterschied "korinthisches" oder +"delisches Kupfer" genannt werden. Die Bezeichnung ist in Italien +begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, sondern von den +Exportplaetzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit natuerlich nicht +geleugnet wird, dass dergleichen Gefaesse auch in Korinth und Delos +selbst fabriziert wurden. ------------------------------------ +Unvollstaendiger als in der nur durch schmale Meere von Italien +getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft +entwickelte sich die roemische Herrschaft in dem dritten entfernteren +Weltteil. In Vorderasien war durch die Zurueckdraengung der Seleukiden +das Reich von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die +Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kuehl genug, um auf +das Unmoegliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und +strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der roemischen Hegemonie +sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die +Roemer es erlaubten, zu foerdern und die Kuenste des Friedens zu +pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms +nicht. Im Besitz der europaeischen Kueste der Propontis, der Westkueste +Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen +und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Koenigen, +von denen Antiochos Epiphanes (+ 590 164) durch die Hilfe der Attaliden +auf den Thron gelangt war, hatte Koenig Eumenes II. durch seine bei +dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher +erscheinende Macht selbst den Begruendern derselben Bedenken +eingefloesst; es ist schon erzaehlt worden, wie der Senat darauf bedacht +war, nach dem Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch +unfeine diplomatische Kuenste zu demuetigen und zu schwaechen. Die an +sich schon schwierigen Verhaeltnisse der Herren von Pergamon zu den +ganz und halb freien Handelsstaedten innerhalb ihres Reichs und zu den +barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung +der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, +ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushoehen in der +pamphylischen und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum +Pergamenischen Reich gehoerten, leisteten die tapferen Selger, es +scheint unter nomineller Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den +Koenigen Eumenes Il. und Attalos II. langjaehrigen und energischen +Widerstand in den schwer zugaenglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die +asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung der Roemer +unter pergamenischer Botmaessigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes +ab und begannen im Einverstaendnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem +Koenig Prusias von Bithynien, um 587 (167) ploetzlich gegen ihn Krieg. +Der Koenig hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine +Einsicht und Tapferkeit konnte nicht verhindern, dass sie die asiatische +Miliz schlugen und das Gebiet ueberschwemmten; wir kennen bereits die +eigentuemliche Vermittlung, zu der die Roemer auf Eumenes' Bitte sich +herbeiliessen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner +wohlgefuellten Kasse eine kampffaehige Armee aufzustellen, trieb er auch +die wilden Scharen schnell zurueck ueber die Grenze seines Reiches; und +obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnaeckig fortgesetzten +Versuche, dort die Haende im Spiel zu behalten, durch roemischen +Einfluss vereitelt wurden ^15, hinterliess er dennoch trotz aller +offenen Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und +die Roemer gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das +Reich in ungeschmaelertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos +(+ 616 138) wies den Versuch des Koenigs Pharnakes von Pontos, sich +der Vormundschaft ueber Eumenes' unmuendigen Sohn zu bemaechtigen, +mit roemischer Hilfe zurueck und regierte anstatt seines Neffen wie +Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tuechtig, fuegsam, +ein echter Attalide, verstand er es, den argwoehnischen Senat von +der Nichtigkeit der frueher gehegten Besorgnisse zu ueberzeugen. Die +antiroemische Partei beschuldigte ihn, dass er sich dazu hergebe, das +Land fuer die Roemer zu hueten und jede Beleidigung und Erpressung von +ihnen sich gefallen lasse; indes konnte er, des roemischen +Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und bithynischen +Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefaehrlichen +bithynischen Krieg, den Koenig Prusias II., der Jaeger genannt (572 ? - +605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten +Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die roemische +Intervention - freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt +belagert und eine erste Mahnung der Roemer von Prusias unbefolgt +gelassen, ja verhoehnt worden war (598-600 156-154). Allein mit der +Thronbezeigung seines Muendels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) +trat an die Stelle des friedlichen und maessigen Buergerkoenigtums ein +asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, dass +der Koenig, um des unbequemen Rats seiner vaeterlichen Freunde sich zu +entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen +und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen liess; nebenher schrieb +er Buecher ueber den Gartenbau, zog Giftkraeuter und bossierte in Wachs, +bis ein ploetzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht +der Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens fuer +die Klientelstaaten Roms gueltigen Staatsrecht der letzte Regent +testamentarisch ueber die Sukzession verfuegen. Ob der Gedanke, +das Reich den Roemern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den +wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der +ihn bei Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloss eine weitere +Anerkennung der tatsaechlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu +entscheiden. Das Testament lag vor ^16; die Roemer traten die Erbschaft +an und die Frage ueber das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom +als neuer Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber +auch in Asien entzuendete dies Koenigstestament den Buergerkrieg. +Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende +Fremdherrschaft trat ein natuerlicher Sohn Eumenes' II., Aristonikos +in Leukae, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokaea, als +Kronpraetendent auf. Phokaea und andere Staedte fielen ihm zu; indes +von den Ephesiern, die in dem festen Anschluss an Rom die einzige +Moeglichkeit erkannten, ihre Privilegien sich zu erhalten, zur See auf +der Hoehe von Kyme geschlagen, musste er in das Binnenland fluechten. +Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er ploetzlich wieder an +der Spitze der neuen "Buerger der Sonnenstadt" ^17, das heisst der von +ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, bemaechtigte, sich +der lydischen Staedte Thyateira und Apollonis sowie eines Teils der +attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte unter +seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Roemische Truppen standen +in Asien nicht; die asiatischen Freistaedte und die Kontingente der +Klientelfuersten von Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos, +Armenien konnten des Praetendenten sich nicht erwehren; er drang mit +gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein und gebot schon fast +ueber das gesamte vaeterliche Reich, als am Ende des Jahres 623 (131) +ein roemisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der Konsul und +Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten +und zugleich einer der gebildetsten Maenner Roms und als Redner wie als +Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Praetendenten +in Leukae zu belagern, liess aber waehrend der Vorbereitungen dazu von +dem allzu gering geschaetzten Gegner sich ueberraschen und schlagen und +ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den +Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu stellen, goennte er einem +solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten, +ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben (Anfang 624 130), und erst als +Leiche ward der Konsular erkannt. Mit ihm, wie es scheint, fiel Koenig +Ariarathes von Kappadokien. Indes ward Aristonikos nicht lange nach +diesem Siege von Crassus' Nachfolger Marcus Perpenna ueberfallen, sein +Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert und gefangen und +bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, noch +Widerstand leistenden Staedte und die definitive Regulierung der +Landschaft uebernahm nach Perpennas ploetzlichem Tode Manius Aquillius +(625 129). Man verfuhr aehnlich wie im karthagischen Gebiet. +Der oestliche Teil des Attalidenreichs ward den Klientelkoenigen +ueberwiesen, um die Roemer von dem Grenzschutz und damit von der +Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; Telmissos +kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europaeischen Besitzungen in +Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das uebrige +Gebiet ward als neue roemische Provinz eingerichtet, der gleich der +karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward, +in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren, +wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie +Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat +eine roemische Vogtei. ---------------------------------------- ^15 +Mehrere vor kurzem (SB Muenchen, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene +Schreiben der Koenige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester +von Pessinus, welcher durchgaengig Attis heisst (vgl. Polyb. 22, 20), +erlaeutern diese Verhaeltnisse sehr anschaulich. Das aelteste derselben +und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des Eumenes +am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiaeos, also 590/91 der Stadt +(164/63), bietet dem Priester militaerische Hilfe an, um den (sonst +nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreissen. +Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den Koenig als Partei in +der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix. +Ohne Zweifel gehoerten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen, +die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche +desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch fernerhin zu +mengen und dort seine Parteigenossen zu stuetzen (Polyb. 31, 6, 9; 32, +3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines Nachfolgers Attalos +hervor, wie sich die Zeiten geaendert und die Wuensche herabgestimmt +hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in Apameia +von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu +haben; nachher aber schreibt ihm der Koenig, dass in einem deswegen +abgehaltenen Staatsrat, dem Athenaeos (sicher der bekannte Bruder des +Koenigs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere Verwandte (anagkaioi) +beigewohnt haetten, nach langem Schwanken endlich die Majoritaet dem +Chloros dahin beigetreten sei, dass nichts geschehen duerfe, ohne die +Roemer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg erreicht werde, +setzte man sich dem Wiederverlust und dem boesen Verdacht aus, "den sie +auch gegen den Bruder" (Eumenes II.) "gehegt haetten". ^16 In demselben +Testament gab der Koenig seiner Stadt Pergamon die "Freiheit", das +heisst die d/e/mokratia, das staedtische Selbstregiment. Laut +einer merkwuerdigen, kuerzlich dort gefundenen Urkunde (Roemisches +Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloss nach Eroeffnung des +Testaments, aber vor dessen Bestaetigung durch die Roemer der also +konstituierte Demos den bisher vom Buergerrecht ausgeschlossenen Klassen +der Bevoelkerung, insbesondere den im Zensus aufgefuehrten Paroeken und +den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das +staedtische Buergerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverstaendnis +in der gesamten Bevoelkerung herbeizufuehren. Offenbar wollte die +Buergerschaft, indem sie die Roemer vor die vollendete Tatsache dieser +umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der +roemischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den +fremden Gebietern die Moeglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten +innerhalb der Bevoelkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu +benutzen. ^17 Diese seltsamen "Heliopoliten" sind, nach der mir von +einem Freunde geaeusserten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, dass +die befreiten Sklaven als Buerger einer umgenannten oder auch vielleicht +fuer jetzt nur gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die +ihren Namen von dem in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing. +---------------------------------------------------- Die zahlreichen +andern Kleinstaaten und Staedte Vorderasiens, das Koenigreich Bithynien, +die paphlagonischen und gallischen Fuerstentuemer, die lykische und +die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistaedte Kyzikos und Rhodos +blieben in ihren bisherigen beschraenkten Verhaeltnissen bestehen. +Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem Koenig Ariarathes +V. Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsaechlich durch Hilfe der +Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstuetzten Bruder und +Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische +Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung +auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin fast +barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswuechse, +wie der Bakchosdienst und das wueste Treiben der wandernden +Schauspielertruppen, der sogenannten "Kuenstler". Zum Lohn der Treue +gegen Rom, die dieser Fuerst in dem Kampfe gegen den pergamenischen +Praetendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmuendiger Erbe +Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem Koenig von Pontos +versuchte Usurpation durch die Roemer geschirmt, sondern ihm auch der +suedoestliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der +oestlich daran grenzenden, .in aelterer Zeit zu Kilikien gerechneten +Landschaft. Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte +"Kappadokien am Meer" oder kurzweg der "Meerstaat", Pontos, zu +steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von +Magnesia hatte Koenig Pharnakes I. sein Gebiet weit ueber den Halys +bis nach Tios an, der bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des +reichen Sinope sich bemaechtigt, das aus einer griechischen Freistadt +dieser Koenige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Uebergriffe +gefaehrdeten Nachbarstaaten, Koenig Eumenes II. an ihrer Spitze, +deswegen Krieg gegen ihn gefuehrt (571-575 183-179) und unter roemischer +Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien +zu raeumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, dass Pharnakes +sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120), +treue Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen +Aristonikos, nicht bloss jenseits des Halys sitzen geblieben +sind, sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit ueber die +paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter +dieser Voraussetzung ist es erklaerlich, wie Mithradates, angeblich +wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat +fuer betraechtliche an den roemischen Feldherrn gezahlte Summen, +von demselben nach Aufloesung des Attalischen Reiches Grossphrygien +empfangen konnte. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die +Euphratquellen das :Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, +ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von +Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien +als abhaengige Satrapie umfasst zu haben, waehrend Gross -Armenien +und Sophene eigene unabhaengige Reiche bildeten. Wenn also auf der +kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment fuehrte und, so +vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand +im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des +Taurus und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache +sich selber ueberlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565 +(189) zugrunde gelegte Satz, dass der Halys die Ostgrenze der roemischen +Klientel bilden solle, ward vom Senat nicht eingehalten und trug +auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der politische Horizont ist +Selbsttaeuschung so gut wie der physische; wenn dem Staate Syrien +die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im +Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl +des roemischen Senats das halb gewonnene Aegypten raeumte, so lag da +in die vollstaendige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum +gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Aegypten +zur Beilegung an die roemische Regierung. Dort stritten nach Antiochos +Epiphanes' Tode (590 164) der als Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos +des vierten, Demetrios, spaeter Soter genannt, und des letzten Koenigs +Antiochos Epiphanes unmuendiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone; +hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich regierenden +Bruedern der aeltere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch den +juengeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken (+ 637 117) aus dem +Lande getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken, +persoenlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat +lediglich auf diplomatischem Wege und wesentlich nach Massgabe des +roemischen Vorteils. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung +des besser berechtigten Demetrios als Koenig anerkannt und mit der +Fuehrung der Vormundschaft ueber den koeniglichen Knaben der roemische +Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie begreiflich, +durchaus im roemischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das +Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemaess reduzierte und +im besten Zuge war, den militaerischen Ruin des Landes zu vollenden. In +Aegypten ward nicht bloss Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, +teils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer +ansehnliche Macht Aegyptens zu schwaechen, Kyrene vom Reich getrennt +und Euergetes mit demselben abgefunden. "Koenige sind, wen die Roemer +wollen", schrieb nicht lange nachher ein juedischer Mann, "und wen sie +nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten". Allein dies +war fuer lange Zeit das letzte Mal, dass der roemische Senat in den +Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tuechtigkeit und Tatkraft +auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos +und Perseus durchgaengig bewaehrt hatte. Der innerliche Verfall des +Regiments wirkte am spaetesten, aber wirkte doch endlich auch zurueck +auf die Behandlung der auswaertigen Angelegenheiten. Das Regiment ward +unstet und unsicher; man liess die eben erfassten Zuegel erschlaffen und +beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in +Laodikeia ermordet; der zurueckgewiesene Praetendent Demetrios entfloh +aus Rom und bemaechtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, dass der +roemische Senat ihn dazu bevollmaechtigt habe, nach Beseitigung des +koeniglichen Knaben der Regierung seines vaeterlichen Reiches (592 162). +Bald nachher brach zwischen den Koenigen von Aegypten und Kyrene Krieg +aus ueber den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem +aelteren, sodann dem juengeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch +mit der neuesten roemischen Entscheidung blieb dieselbe schliesslich bei +Aegypten. So wurde die roemische Regierung, in der Fuelle ihrer Macht +und waehrend des tiefsten inneren und aeusseren Friedens daheim, von den +ohnmaechtigen Koenigen des Ostens mit ihren Dekreten verhoehnt, ihr Name +gemissbraucht, ihr Muendel und ihr Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre +zuvor die Illyriker in aehnlicher Weise sich an roemischen Abgeordneten +vergriffen, hatte der damalige Senat dem Ermordeten auf dem Marktplatz +ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die Moerder zur +Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit liess dem Gnaeus Octavius +gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Vaeter es vorschrieb; +aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als +Koenig des Landes anerkannt - man war ja jetzt so maechtig, dass es +ueberfluessig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloss +Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Aegypten, +sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte und +dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, liess der Senat auch +dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgaengen war der roemische +Einfluss in diesen Landschaften tatsaechlich gebrochen und entwickelten +sich die Verhaeltnisse daselbst zunaechst ohne Zutun der Roemer; doch +ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den +naeheren und selbst den ferneren Osten nicht voellig aus den Augen zu +verlieren. Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Aegypten der Status +quo sich so leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- +und jenseits des Euphrat waehrend und zum Teil infolge dieser momentanen +Stockung der roemischen Oberleitung die Voelker und Staaten sich +wesentlich anders. Jenseits der grossen iranischen Wueste hatten nicht +lange nach Alexander dem Grossen am Indus das Reich von Palimbothra +unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der maechtige +baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und +der oestlichsten Auslaeufer hellenischer Zivilisation sich gebildet. +Westwaerts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos +dem Grossen zwar geschmaelert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont +bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und +das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloss. Noch jener +Koenig hatte seine Waffen bis jenseits der Wueste in das Gebiet der +Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat +angefangen sich aufzuloesen. Nicht bloss Vorderasien war infolge der +Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gaenzliche Loesung der +beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im +Nordosten und der Landschaft Sophene im Suedwesten, und ihre Verwandlung +in selbstaendige Koenigreiche aus syrischen Lehnsfuerstentuemern, +gehoert dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte namentlich +Grossarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen Stellung. +Vielleicht noch gefaehrlichere Wunden schlug dem Reiche seines +Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175- 164) toerichte +Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, dass sein Reich mehr einem +Laenderbuendel als einem Staate glich und dass die Verschiedenheiten +der Nationalitaeten und der Religionen der Untertanen der Regierung +die wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan, +hellenisch-roemische Weise und hellenisch-roemischen Kultus ueberall +in seinem Lande einzufuehren und seine Voelker in politischer wie in +religioeser Hinsicht auszugleichen unter allen Umstaenden eine Torheit, +auch abgesehen davon, dass dieser karikierte Joseph II. persoenlich +einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war +und durch Tempelpluenderung im grossartigsten Massstab und die tollste +Ketzerverfolgung seine Reformen in der uebelsten Weise einleitete. +Die eine Folge hiervon war, dass die Bewohner der Grenzprovinz gegen +Aegypten, die Juden, sonst bis zur Demuetigkeit fuegsame und aeusserst +taetige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang +zur offenen Empoerung gedraengt wurden (um 587 167). Die Sache kam an +den Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter +mit gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und +Seleukiden besorgte, ueberhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht +zwischen Syrien und Aegypten im Interesse Roms lag, so machte er keine +Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation sofort +anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom fuer die Juden +nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemuehen; trotz der Klausel +des zwischen den Roemern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die den +Juden, im Fall sie angegriffen wuerden, den Beistand Roms versprach, und +trotz des an die Koenige von Syrien und Aegypten gerichteten Verbots, +ihre Truppen durch das juedische Land zu fuehren, blieb es natuerlich +lediglich jenen selbst ueberlassen, der syrischen Koenige sich zu +erwehren. Mehr als die Briefe ihrer maechtigen Verbuendeten tat fuer +sie die tapfere und umsichtige Leitung des Aufstandes durch das +Heldengeschlecht der Makkabaeer und die innere Zerrissenheit des +Syrischen Reiches: waehrend des Haders zwischen den syrischen Koenigen +Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und +Steuerfreiheit foermlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das +Haupt des Makkabaeerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation +wie von dem syrischen Grosskoenig als Hochpriester und Fuerst +Israels foermlich anerkannt ^18 (615 139). +----------------------------------------- ^18 Von ihm ruehren die +Muenzen her mit der Aufschrift "Shekel Israel" und der Jahreszahl des +"heiligen Jerusalem" oder "der Erloesung Sions". Die aehnlichen mit dem +Namen Simons, des Fuersten (Nessi) Israel, gehoeren nicht ihm, +sondern dem Insurgentenfuehrer Bar Kochba unter Hadrian. +------------------------------------------ Folgenreicher noch als diese +Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig und wahrscheinlich aus +gleicher Ursache entstandene Bewegung in den oestlichen Landschaften, +wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Goetter nicht minder +leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhaengern des Ahuramazda und +des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des +Jehova. Wie in Judaea, nur in weiterem Umfang und in grossartigeren +Verhaeltnissen, war das Ergebnis eine Reaktion der einheimischen +Weise und der einheimischen Religion gegen den Hellenismus und die +hellenischen Goetter; die Traeger dieser Bewegung waren die Parther und +aus ihr entsprang das grosse Partherreich. Die "Parthwa" oder Parther, +die als eine der zahllosen in das grosse Perserreich aufgegangenen +Voelkerschaften frueh, zuerst im heutigen Khorasan suedoestlich vom +Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter dem +skythischen, das heisst turanischen Fuerstengeschlecht der Arsakiden +als ein selbstaendiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert spaeter aus +seiner Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I. +(579? - 618? 175-136), ist der eigentliche Gruender der parthischen +Grossmacht. Ihm erlag das an sich weit maechtigere, aber teils durch die +Fehden mit den skythischen Reiterscharen von Turan und mit den Staaten +am Indus, teils durch innere Wirren bereits in allen Fugen erschuetterte +Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften +westlich von der grossen Wueste. Das Syrische Reich war eben damals, +teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des +Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden +Sukzessionswirren, aufs tiefste zerruettet und die inneren Provinzen im +vollen Zuge, sich von Antiocheia und der Kuestenlandschaft abzuloesen; +in Kommagene zum Beispiel, der noerdlichsten Landschaft Syriens an +der kappadokischen Grenze, machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem +entgegengesetzten Ufer des Euphrat im noerdlichen Mesopotamien oder +der Landschaft Osrhoene der Fuerst von Edessa, in der wichtigen Provinz +Medien der Satrap Timarchos sich unabhaengig; ja der letztere liess sich +vom roemischen Senat seine Unabhaengigkeit bestaetigen und herrschte, +gestuetzt auf das verbuendete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am +Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, +sowohl die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhaengigen Satrapen +in ewigem Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem +roemischen und dem alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen +Poebel. Die gesamte Meute der Nachbarkoenige, Aegypten, Armenien, +Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhoerlich sich in die Angelegenheiten +Syriens und naehrte die Erbfolgestreitigkeiten, so dass der Buergerkrieg +und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr +Praetendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die roemische +Schutzmacht, wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untaetig zu. +Zu allem diesem draengte von Osten her das neue Partherreich, nicht +bloss mit seiner materiellen Macht, sondern auch mit dem ganzen +Uebergewicht seiner nationalen Sprache und Religion, seiner nationalen +Heer- und Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein. Es ist hier noch +nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es genuegt im +allgemeinen, daran zu erinnern, dass, so maechtig auch in ihm noch der +Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem +der Seleukiden, auf einer nationalen und religioesen Reaktion beruht und +die alte iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die +orientalische Lehnsverfassung, die Reiterei der Wueste und Pfeil und +Bogen hier zuerst dem Hellenismus wieder uebermaechtig entgegentraten. +Die Lage der Reichskoenige diesem allem gegenueber war in der Tat +beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt +wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es +nicht an Tapferkeit und Faehigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder +den andern jener zahllosen Rebellen, Praetendenten und Intervenienten +in seine Schranken zurueck; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an +einer festen Grundlage, dass sie dennoch der Anarchie nicht auch nur +voruebergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein +musste. Die oestlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschuetzten +oder gar aufruehrerischen Satrapen gerieten unter parthische +Botmaessigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom +Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden +Seiten der grossen Wueste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur +Arabischen Wueste, wiederum gleich dem Perserreich und all den aelteren +asiatischen Grossstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum +eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit +den Voelkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische +Staat umfasste ausser der Kuestenlandschaft hoechstens noch Mesopotamien +und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerruettung als seiner +Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Grossstaaten. Wenn die +mehrfach drohende gaenzliche Unterjochung des Landes durch die Parther +unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden, +noch weniger dem Einfluss Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den +vielfaeltigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem +den Einfaellen der turanischen Steppenvoelker in dessen oestliche +Landschaften. Diese Umwandlung der Voelkerverhaeltnisse im inneren Asien +ist der Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Voelkerflut, +die bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem grossen +Alexander ihren letzten und hoechsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die +Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloss verloren, was in +Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten +haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurueck in +das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. +Der roemische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik +Alexanders und leitet damit jene ruecklaeufige Bewegung ein, deren +letzte Auslaeufer im Alhambra von Granada und in der Grossen Moschee von +Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragae und Persepolis +bis zum Mittelmeer dem Koenig von Antiochia gehorchte, erstreckte auch +Roms Macht sich bis an die Grenze der grossen Wueste; der Partherstaat, +nicht weil er so gar maechtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt +fern von der Kueste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in +die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den +Okzidentalen allein gehoert und schien der Orient fuer diese nur zu +sein, was spaeter Amerika und Australien fuer die Europaeer wurden; +mit Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen +Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren. Es ist noch uebrig, auf +die maritimen Verhaeltnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl +darueber sich kaum etwas anderes sagen laesst, als dass es nirgends +mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte +vertragsmaessig zugrunde gerichtet, Aegyptens einst so gewaltige +Kriegsmarine unter seinen gegenwaertigen schlaffen Regenten in tiefem +Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstaedte hatten +wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genuegten nicht einmal +fuer die im Mittelmeere so schwierige Unterdrueckung des Seeraubs. Mit +Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der fuehrenden Macht im Mittelmeer. +Wie ein Jahrhundert zuvor die Roemer eben hierin mit besonderer und +wohltaetiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten +ihre Suprematie zunaechst eingefuehrt hatten durch die zum allgemeinen +Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die +vollstaendige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den +furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene +Flotte besass Rom nicht mehr; man begnuegte sich, wenn es noetig schien, +von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestaedten +Schiffe einzufordern. Die Folge war natuerlich, dass das Flibustierwesen +sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrueckung geschah +nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare Macht +der Roemer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die gegen +die dalmatischen und ligurischen Kuesten in dieser Epoche gerichteten +Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrueckung des Seeraubs in +den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631 +(123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen +und den griechischen Gewaessern blieb es den Anwohnern und den Schiffern +ueberlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich +abzufinden, da die roemische Politik daran festhielt sich um diese +entfernteren Gegenden so wenig wie irgend moeglich zu kuemmern. Die +zerruetteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich selbst +ueberlassenen Kuestenstaaten wurden hierdurch natuerlich zu Freistaetten +der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht. +Am aergsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine +glueckliche Lage und die Schwaeche oder Schlaffheit der Grossstaaten des +Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine +Unabhaengigkeit bewahrt hatte; die roemischen Kommissionen kamen und +gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch weniger +aus als selbst in Syrien und Aegypten. Fast schien es aber, als habe +das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen, +was herauskomme bei der hellenischen Unabhaengigkeit. Es war ein +schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen +war aehnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wueste Demokratie, der +ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein +achtbarer Hellene selbst bezeugt es, dass allein auf Kreta nichts fuer +schimpflich gelte, was eintraeglich sei, und noch der Apostel Paulus +fuehrt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: "Luegner sind +all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter." Die ewigen Buergerkriege +verwandelten trotz der roemischen Friedensstiftungen auf der alten +"Insel der hundert Staedte" eine bluehende Ortschaft nach der andern in +Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Raeuber die Heimat und +die Fremde, die Laender und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz +fuer die umliegenden Koenigreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht +mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie +denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische +Korsarenflotte voellig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem +Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel +zugefuegten Schlaegen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine +letzten Kraefte in den Kriegen, die es zur Unterdrueckung der Piraterie +gegen die Kreter zu fuehren sich genoetigt sah (um 600 150) und in denen +die Roemer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es +scheint, ohne Erfolg. Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, fuer diese +Flibustierwirtschaft eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht +bloss die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: +der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich vom Sklaven zum Koenig +Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), foerderte, um durch +Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem +Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die +Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die +zugleich die hauptsaechlichsten Sklavenfaenger und Sklavenhaendler +waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmaennischen Publikum, sogar in +Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die +Regierungen wenigstens durch Passivitaet sich beteiligten. Das Uebel +ward so ernsthaft, dass der Senat um 611 (143) seinen besten Mann, +Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und +Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische +Vorstellungen der Roemer machten die schwachen Regierungen nicht +stark; es gab keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen +Gewaessern zu unterhalten, wozu es wieder der roemischen Regierung an +Energie und Konsequenz gebrach. So blieb eben alles beim alten, die +Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der +Menschenfang das einzige daselbst bluehende Gewerbe. Die roemische +Regierung sah den Dingen zu, die roemischen Kaufleute aber standen als +die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den Piratenkapitaenen als den +bedeutendsten Grosshaendlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in +regem und freundlichem Geschaeftsverkehr. Wir haben die Umgestaltung +der aeusseren Verhaeltnisse Roms und der roemisch-hellenischen Welt +ueberhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei Pydna bis auf +die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum Euphrat +begleitet. Es war eine grosse und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem +Regimente dieser roemisch-hellenischen Welt uebernahm; sie ward nicht +voellig verkannt, aber keineswegs geloest. Die Unhaltbarkeit des +Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschraenken +und ausserhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen, ward von den +leitenden Maennern der folgenden Generation wohl begriffen und wohl die +Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses Klientelregiments eine +die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare Herrschaft Roms zu +setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und gleichmaessig +durchzufuehren, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben +Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu fuehrten, wogegen +der groessere Teil des Klientelgebiets entweder in der unertraeglichen +Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich +Syrien, sich gaenzlich dem Einfluss Roms entzog. Aber auch das Regiment +selbst ging mehr und mehr auf in einem schwaechlichen und kurzsichtigen +Egoismus. Man begnuegte sich von heute auf morgen zu regieren und nur +eben die laufenden Geschaefte notduerftig zu erledigen. Man war gegen +die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in Karien dem +Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks einen +andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt +deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein +streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermisst, wo sie +an ihrem Platz gewesen waere, wie gegen die angrenzenden Barbaren und +gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung auf jede Oberleitung und +jede Uebersicht der Provinzialverhaeltnisse Verzicht tat, gab sie dem +jedesmaligen Vogt nicht bloss die Interessen der Untertanen, sondern +auch die des Staates vollstaendig preis. Die spanischen Vorgaenge, +unbedeutend an sich, sind hierfuer belehrend. Hier, wo die Regierung +weniger als in den uebrigen Provinzen sich auf die blosse Zuschauerrolle +beschraenken konnte, wurde nicht bloss von den roemischen Statthaltern +das Voelkerrecht geradezu mit Fuessen getreten und durch eine Wort- +und Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit +Kapitulationen und Vertraegen, durch Niedermetzelung untertaeniger Leute +und Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die roemische +Ehre dauernd im Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den +ausgesprochenen Willen der roemischen Oberbehoerde Krieg gefuehrt und +Friede geschlossen und aus unbedeutenden Vorfaellen; wie zum Beispiel +dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine seltene Vereinigung von +Verkehrtheit und Verruchtheit eine fuer den Staat verhaengnisvolle +Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne dass in Rom auch nur +eine ernstliche Bestrafung deswegen verfuegt ward. Ueber die Besetzung +der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen +Fragen entschieden nicht bloss die Sympathien und Rivalitaeten der +verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold +der auswaertigen Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der +erste, der mit Erfolg versuchte, den roemischen Senat zu bestechen, +wird Timarchos genannt, der Gesandte des Koenigs Antiochos Epiphanes von +Syrien (+ 590 164); bald wurde die Beschenkung einflussreicher Senatoren +durch auswaertige Koenige so gewoehnlich, dass es auffiel, als Scipio +Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem Koenig von Syrien +zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus liess man +den alten Grundsatz fallen, dass der Lohn der Herrschaft einzig die +Herrschaft und die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie +ein Recht und ein Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft +auf, welche von der Besteuerung der Buerger absah und dagegen die +Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz der Gemeinde teils von +Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch die Buerger +ueberlieferte; nicht bloss wurde dem ruecksichtslosen Geldhunger des +roemischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter +Nachgiebigkeit Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm +missliebigen Handelsrivalen durch die Heere des Staats aus dem Wege +geraeumt und die herrlichsten Staedte der Nachbarlaender nicht der +Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit scheusslicheren Barbarei +der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der aelteren, der Buergerschaft +allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten +Ende doch nur auf seinem militaerischen Uebergewicht ruhende Staat +sich selber die Stuetze ab. Die Flotte liess man ganz eingehen, das +Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung +der asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen +abgewaelzt und was man nicht von sich abwaelzen konnte, wie die +italische, makedonische und spanische Grenzverteidigung, in der +elendesten Weise verwaltet. Die besseren Klassen fingen an so sehr +aus dem Heere zu verschwinden, dass es schon schwer hielt, fuer die +spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren aufzutreiben. +Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen +Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung +bewiesenen Parteilichkeit noetigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der +alten Uebung, die Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der +dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen der Offiziere zu +ueberlassen, und zu deren Ersetzung durch das Losen der saemtlichen +Dienstpflichtigen - sicher nicht zum Vorteil des militaerischen +Gemeingeistes und der Kriegstuechtigkeit der einzelnen Abteilungen. Die +Behoerden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die leidige +Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul fuer den +spanischen Dienst pflichtmaessig strenge Aushebungen veranstaltete, so +machten die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmaessigen Recht, ihn +zu verhaften (603, 616 151,138); und es ward schon bemerkt, dass Scipios +Ansuchen, ihm fuer den Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten, +vom Senat geradezu abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die +roemischen Heere vor Karthago oder Numantia an jene syrischen Armeen, +in denen die Zahl der Baecker, Koeche, Schauspieler und sonstigen +Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um das Vierfache +ueberstieg; schon geben die roemischen Generale ihren karthagischen +Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege +in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmaessig mit +Niederlagen eroeffnet; schon schweigt man still zu der Ermordung des +Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus' Meuchelmord ein Meisterwerk der +roemischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia eine Grosstat. +Wie voellig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits den Roemern +abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schaerfe die +Bildsaeule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser +selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen +liess. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie +seine aeussere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkaempfen gewonnene +Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal +behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu +bewahren; jenes hatte der roemische Senat vermocht, an diesem ist er +gescheitert. 2. Kapitel Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus Ein +volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der roemische +Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberflaeche bewegten +Ruhe. Das Gebiet dehnte ueber die drei Weltteile sich aus; der Glanz der +roemischen Macht und der Ruhm des roemischen Namens waren in dauerndem +Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum +stroemten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen +Lebensgenusses schien dort beginnen zu muessen. Mit Bewunderung +erzaehlten sich die Orientalen dieser Zeit von der maechtigen Republik +des Westens, "die die Koenigreiche bezwang fern und nah, und wer +ihren Namen vernahm, der fuerchtete sich; mit den Freunden und +Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war +bei den Roemern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte +keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn +machten, auf den hoerten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch +Zwietracht." So schien es in der Ferne; in der Naehe sahen die Dinge +anders aus. Das Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein +eigenes Werk zu verderben. Nicht als waeren die Soehne und Enkel der +Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so voellig aus der Art +ihrer Vaeter und Grossvaeter geschlagen; es waren weniger andere +Menschen, die jetzt im Senate sassen, als eine andere Zeit. Wo eine +geschlossene Zahl alter Familien festgegruendeten Reichtums und ererbter +staatsmaennischer Bedeutung das Regiment fuehrt, wird sie in den Zeiten +der Gefahr eine ebenso unvergleichlich zaehe Folgerichtigkeit und +heldenmuetige Opferfaehigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe +kurzsichtig, eigensuechtig und schlaff regieren - zu dem einen wie dem +andern liegen die Keime im Wesen der Erblichkeit und der Kollegialitaet. +Der Krankheitsstoff war laengst vorhanden, aber ihn zu entwickeln +bedurfte es der Sonne des Glueckes. In Catos Frage, was aus Rom werden +solle, wenn es keinen Staat mehr zu fuerchten haben werde, lag ein +tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man haette +fuerchten moegen, war politisch vernichtet, und von den Maennern, +welche unter der alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des +Hannibalischen Krieges erzogen waren und aus denen der Nachklang jener +gewaltigen Zeit bis in ihr spaetestes Alter noch widerhallte, rief der +Tod einen nach dem andern ab, bis endlich auch die Stimme des letzten +von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte. +Eine juengere Generation kam an das Regiment, und ihre Politik war +eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das +Untertanenregiment und die aeussere Politik unter ihren Haenden sich +gestalteten, ist bereits dargelegt worden. Womoeglich noch mehr liess +man in den inneren Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben; +wenn man unter innerem Regiment mehr versteht als die Erledigung der +laufenden Geschaefte, so ward in dieser Zeit ueberhaupt in Rom nicht +regiert. Der einzige leitende Gedanke der regierenden Korporation war +die Erhaltung und womoeglich Steigerung ihrer usurpierten Privilegien. +Nicht der Staat hatte fuer sein hoechstes Amt ein Anrecht auf den +rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der Kamaraderie ein +angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der Standesgenossen noch +durch Uebergriffe der Ausgeschlossenen zu verkuerzendes Anrecht auf +das hoechste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem wichtigsten +politischen Ziel sich die Beschraenkung der Wiederwahl zum Konsulat und +die Ausschliessung der "neuen Menschen"; es gelang denn auch in der +Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten ^1 +und auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitaeten. Auch die +Tatenlosigkeit der Regierung nach aussen hin haengt ohne Zweifel mit +dieser gegen die Buergerlichen ausschliessenden und gegen die einzelnen +Standesglieder misstrauischen Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine +Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den lauteren Kreisen der +Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem man ueberhaupt es +keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch wuerde dem bestehenden +Regiment der allgemeinen Mittelmaessigkeit selbst ein adliger Eroberer +Syriens oder Aegyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte +es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu +einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege. +Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst +oder gelegentlich durch ausserordentliche Kommissionen ueber die +Provinzialbeamten ausuebte, reichte anerkanntermassen nicht aus; es +war eine fuer das ganze oeffentliche Leben der roemischen Gemeinde +folgenreiche Neuerung, dass im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius +Calpurnius Piso eine staendige Senatorenkommission (quaestio ordinaria) +niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die +vorgesetzten roemischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen +Formen zu pruefen. Man suchte die Komitien von dem uebermaechtigen +Einfluss der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der +roemischen Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen +der Buergerschaft, welche zuerst fuer die Magistratswahlen durch das +Gabinische (615 139), dann fuer die Volksgerichte durch das Cassische +(617 137), endlich fuer die Abstimmung ueber Gesetzvorschlaege durch das +Papirische Gesetz (623 131) eingefuehrt ward. In aehnlicher Weise wurden +bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluss angewiesen, +bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den +bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten. +In diesen auf die Emanzipation der Waehlerschaft von dem regierenden +Herrenstand gerichteten Massregeln mochte die Partei, die sie +veranlasste, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates +erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit +des gesetzlich hoechsten Organs der roemischen Gemeinde auch nicht das +mindeste geaendert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging, +nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel +war die foermliche Anerkennung der Unabhaengigkeit und Souveraenitaet +der Buergerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres +Versammlungsplatzes von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf +den Marktplatz zuteil ward (um 609 145). +---------------------------------------- ^1 Im Jahre 537 (217) wurde +das die Wiederwahl zum Konsulat beschraenkende Gesetz auf die Dauer des +Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach +Marcellus' Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum Konsulat, wenn +die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet werden, +ueberhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586, +591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152); +also nicht oefter in diesen sechsundfuenfzig als zum Beispiel in den +zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte, +ist mit Verletzung des zehnjaehrigen Intervalls erfolgt; und ohne +Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und +599 (155), zum dritten Konsulat fuer 602 (152), deren naehere Umstaende +wir nicht kennen, die Veranlassung der gesetzlichen Untersagung der +Wiederwahl zum Konsulat ueberhaupt (Liv. ep. 56) geworden; zumal da +dieser Antrag, als von Cato unterstuetzt (p. 55 Jordan), vor 605 (149) +eingebracht worden sein muss. ------------------------------------- +Aber diese Fehde der formalen Volkssouveraenitaet gegen die tatsaechlich +bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die +Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war +in den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig +zu spueren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die +jaehrlichen Gemeindewahlen zu den buergerlichen Aemtern, namentlich +zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und +den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen +Faellen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte +politische Prinzipien verkoerpert; regelmaessig blieben dieselben +rein persoenliche Fragen und war es fuer den Gang der Angelegenheiten +gleichgueltig, ob die Majoritaet der Wahlkoerper dem Caecilier oder dem +Cornelier zufiel. Man entbehrte also dessen, was die Uebelstaende +des Parteilebens alle uebertraegt und verguetet, der freien und +gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmaessig +erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des +kleinen Spiels der herrschenden Koterien. Es war dem roemischen +Adligen verhaeltnismaessig leicht, die Aemterlaufbahn als Quaestor und +Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der Zensur +war auch ihm nur durch grosse und jahrelange Anstrengungen moeglich. Der +Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kaempfer liefen, +wie ein roemischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken +weiten, allmaehlich mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht, +solange das Amt war, wie es hiess, eine "Ehre", und militaerische, +politische, juristische Kapazitaeten wetteifernd um die seltenen Kraenze +warben; jetzt aber hob die tatsaechliche Geschlossenheit der Nobilitaet +den Nutzen der Konkurrenz auf und liess nur ihre Nachteile uebrig. Mit +wenigen Ausnahmen draengten die den regierenden Familien angehoerenden +jungen Maenner sich in die politische Laufbahn, und der hastige und +unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln, als nuetzliche +Taetigkeit fuer das gemeine Beste war. Die erste Bedingung fuer die +oeffentliche Laufbahn wurden maechtige Verbindungen; dieselbe +begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der +einflussreichen Maenner. Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene +getan, dass sie ihrem Herrn am fruehen Morgen aufzuwarten kamen und +oeffentlich in seinem Gefolge erschienen, das uebertrug sich jetzt auf +die neue vornehme Klientel. Aber auch der Poebel ist ein grosser Herr +und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es als +sein Recht zu fordern, dass der kuenftige Konsul in jedem Lumpen von der +Gasse das souveraene Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem +"Umgang" (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begruesse und +ihm die Hand druecke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen +entwuerdigenden Aemterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloss +im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge +durch Liebaeugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder +groeberer Qualitaet. Der Ruf nach Reformen und die Demagogie wurden dazu +vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und beliebt zu machen; und sie +wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die Sache angriffen, sondern die +Person. Es ward Sitte, dass die bartlosen Juenglinge vornehmer Geburt, +um sich glaenzend in das oeffentliche Leben einzufuehren, mit der +unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die Rolle Catos +weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womoeglich gegen +einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwaelten des +Staats aufwarfen; man liess es geschehen, dass das ernste Institut +der Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel fuer den +Aemterbewerb ward. Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die +Verheissung prachtvoller Volkslustbarkeiten war laengst die gleichsam +gesetzliche Vorbedingung zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen +auch schon, wie das um 595 (159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die +Stimmen der Waehler geradezu mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die +schlimmste Folge des dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie +um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und +Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den +Regierten gegenueber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch +aus einem Segen fuer das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, ueber +Gut und Blut der Buerger zum Besten des Vaterlandes nach Beduerfnis +zu verfuegen. Man liess die Buergerschaft sich an den gefaehrlichen +Gedanken gewoehnen, dass sie selbst von der vorschussweisen Entrichtung +direkter Abgaben gesetzlich befreit sei - nach dem Kriege gegen Perseus +ist kein Schoss mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man liess lieber +das Heerwesen verfallen, als dass man die Buerger zu dem verhassten +ueberseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging, +die die Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzufuehren +versuchten, ist schon gesagt worden. In verhaengnisvoller Weise +verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die zwiefachen Missstaende +einer ausgearteten Oligarchie und einer noch unentwickelten, aber schon +im Keime vom Wurmfrass ergriffenen Demokratie. Ihren Parteinamen nach, +welche zuerst in dieser Periode gehoert werden, wollten die "Optimaten" +den Willen der Besten, die "Popularen" den der Gemeinde zur Geltung +bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder eine wahre +Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde. Beide +Parteien stritten gleichermassen fuer Schatten und zaehlten in ihren +Reihen nur entweder Schwaermer oder Heuchler. Beide waren von der +politischen Faeulnis gleichmaessig ergriffen und in der Tat beide gleich +nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da +weder hueben noch drueben ein politischer Gedanke, geschweige denn ein +politischer Plan sich fand, der ueber diesen hinausgegangen waere, und +so vertrugen denn auch beide sich miteinander so vollkommen, dass sie +auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken begegneten und +der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik als der +politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen haette ohne Zweifel gewonnen, +wenn entweder die Aristokratie statt der Buergerschaftswahlen geradezu +einen erblichen Turnus eingefuehrt oder die Demokratie ein wirkliches +Demagogenregiment aus sich hervorgebracht haette. Aber diese Optimaten +und diese Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die +einen fuer die andern viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und +Leben zu bekriegen; sie konnten nicht bloss nicht einander vernichten, +sondern, wenn sie es gekonnt haetten, haetten sie es nicht gewollt. +Darueber wich denn freilich politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer +mehr aus den Fugen und ging seiner voelligen Aufloesung entgegen. +Es ging denn auch die Krise, durch welche die roemische Revolution +eroeffnet ward, nicht aus diesem duerftigen politischen Konflikt hervor, +sondern aus den oekonomischen und sozialen Verhaeltnissen, welche die +roemische Regierung wie alles andere lediglich gehen liess und welche +also Gelegenheit fanden, den seit langem gaerenden Krankheitsstoff jetzt +ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit +uralter Zeit beruhte die roemische Oekonomie auf den beiden ewig +sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der baeuerlichen und der +Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem +grossen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg +gefuehrt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnaechst +des ganzen Gemeinwesens endigen zu muessen schien, aber ohne eigentliche +Entscheidung abgebrochen ward infolge der gluecklichen Kriege und +der hierdurch moeglich gemachten umfaenglichen und grossartigen +Domanialaufteilung. Es ward schon frueher gezeigt, dass in derselben +Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter +veraenderten Namen erneuerte, das unverhaeltnismaessig anschwellende +Kapital einen zweiten Sturm gegen die baeuerliche Wirtschaft +vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer +ruiniert worden durch Vorschuesse, die ihn tatsaechlich zum Meier seines +Glaeubigers herabdrueckten; jetzt ward er erdrueckt durch die Konkurrenz +des ueberseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort +mit der Zeit; das Kapital fuehrte gegen die Arbeit, das heisst gegen die +Freiheit der Person, den Krieg, natuerlich wie immer in strengster Form +Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise, dass der freie Mann +der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus mit rechtmaessig +gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige hauptstaedtische Zinsherr +trat auf in zeitgemaesser Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer. +Allein das letzte Ergebnis war in beiden Faellen das gleiche: +die Entwertung der italischen Bauernstellen, die Verdraengung der +Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in Italien +durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in +Italien auf Viehzucht und auf Oel- und Weinbau; schliesslich die +Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch +Sklaven. Eben wie die Nobilitaet deshalb gefaehrlicher war als das +Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine Verfassungsaenderung +sich beseitigen liess, so war auch diese neue Kapitalmacht darum +gefaehrlicher als die des vierten und fuenften Jahrhunderts, weil gegen +sie mit Aenderungen des Landrechts nichts auszurichten war. Ehe wir es +versuchen, den Verlauf dieses zweiten grossen Konflikts von Arbeit und +Kapital zu schildern, wird es notwendig, ueber das Wesen und den Umfang +der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir +haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermassen unschuldigen +Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte +ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er bewirtschaften +kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter Verpflichtung +zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermassen als Paechter ueber +einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhaeltnisse bestanden zwar +zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch in der Kaiserzeit +die Regel -, allein als Ausnahmezustaende bevorzugter Landschaften +und milde verwalteter Gueter. Hier ist die Grosswirtschaft mit Sklaven +gemeint, welche im roemischen Staat wie einst im karthagischen aus +der Uebermacht des Kapitals sich entwickelte. Waehrend fuer den +Sklavenbestand der aelteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und +die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese +Sklavenwirtschaft, voellig wie die amerikanische, auf systematisch +betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der +Sklaven wenig Ruecksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevoelkerung +bestaendig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den +Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten. +Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon +verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhoert, dass der +arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward. +Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und +kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmaessigen Sklavenjaeger +und Sklavenhaendler, die Kuesten Syriens und die griechischen Inseln +ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die roemischen Zollpaechter in den +Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter +ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang, +dass um 650 (100) der Koenig von Bithynien sich unfaehig erklaerte, den +verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfaehigen +Leute von den Zollpaechtern weggeschleppt seien. Auf dem grossen +Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhaendler ihre Ware +an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu +10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft +gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven +geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot +ueberstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der +roemischen Oekonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, +dass dieselbe wie ueberhaupt die gesamte Grosswirtschaft des Altertums +auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf, +ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte +Mensch. Durch Sklaven wurden grossenteils die Handwerke betrieben, +so dass der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der +Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der oeffentlichen Gefaelle +in den untern Graden regelmaessig beschafft. Ihre Haende besorgten den +Grubenbau, die Pechhuetten und was derart sonst vorkommt; schon frueh +kam es auf, Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden, +deren Vorsteher sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die +Wein- und Olivenlese wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut +bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Huetung +des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten, +haeufig berittenen Hirtensklaven auf den grossen Weidestrecken Italiens +ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward +bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der roemischen +Spekulation - so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), +als die roemischen Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise +die Viehzucht im grossen zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit +schlimmer noch war der eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der +Felder durch eine Herde nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven, +welche mit Fussschellen an den Beinen unter Aufsehern des Tags die +Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen, haeufig +unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese +Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert +und scheint durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo, +wahrscheinlich aus diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft frueher +und vollstaendiger als in irgendeinem anderen Gebiet der roemischen +Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die Leontinische Feldmark von etwa +30 000 Jugera urbaren Landes, die als roemische Domaene von den Zensoren +verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien nach der Gracchenzeit +geteilt unter nicht mehr als 84 Paechter, von denen also +durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein +einziger Leontiner, die uebrigen fremde, meistens roemische Spekulanten +waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die roemischen Spekulanten +hier in die Fussstapfen ihrer Vorgaenger traten und welche grossartigen +Geschaefte mit sizilischem Vieh und sizilischem Sklavenkorn die +roemischen und nichtroemischen Spekulanten gemacht haben werden, die +mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schoene Insel bedeckten. Italien +indes blieb von dieser schlimmsten Form der Sklavenwirtschaft fuer +jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien, wo die +Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo +sie wenigstens vierzig Jahre spaeter in ausgedehntestem Umfange bestand, +hoechstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht +fehlte, so ward doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch +ueberwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte, +daneben durch Akkordierung groesserer Arbeiten an Unternehmer betrieben. +Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sklavenwesens +von dem sizilischen darin, dass bei dem sizilischen Sklavenaufstand +619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise +lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten. +------------------------------------------ 2 Auch damals wurde es +geltend gemacht, dass die Menschenrasse daselbst durch besondere +Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon Plautus +(Trip. 542) preist "den Syrerschlag, der mehr vertraegt als ein andrer +sonst". 3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses +(ergastulum von ergazomai nach Analogie von stabulum, operculum) deutet +darauf, dass diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen +Sprachgebiets und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit +den Roemern zukam. ------------------------------------------ Das Meer +von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich +vor unsern Augen auftut, mag ergruenden, wer den Blick in solche +Tiefen wagt; es ist leicht moeglich, dass mit denen der roemischen +Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist. +Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft selbst an als +auf die Gefahren, die sie ueber den roemischen Staat brachte und auf +das Verhalten der Regierung denselben gegenueber. Dass dies Proletariat +weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von ihr +beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es haette dies nur geschehen +koennen durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen waeren als das +Uebel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr fuer +Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die Staatsangehoerigen +bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf +die moeglichste Beschraenkung des Proletariats durch Hebung der freien +Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die roemische Aristokratie diesen +beiden Aufgaben nachkam. Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die +allerorts ausbrechenden Sklavenverschwoerungen und Sklavenkriege. In +Italien schienen die wuesten Vorgaenge, wie sie in den unmittelbaren +Nachwehen des Hannibalischen Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu +erneuern; auf einmal musste man in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450, +in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und hinrichten lassen (621 133). +Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem +grossen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen Silbergruben hatte +man um dieselbe Zeit die aufstaendischen Sklaven mit den Waffen +zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine +kleinasiatischen "Sonnenstaedter" war wesentlich ein Krieg der +Besitzenden gegen die empoerten Sklaven. Am aergsten aber stand es +natuerlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in +Sizilien. Die Raeuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande, +laengst ein stehendes Uebel; sie fing an, sich zur Insurrektion zu +steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in industrieller +Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder Pflanzer von Enna +(Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen erbitterten Feldsklaven +ueberfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die Stadt Enna +stroemte und dort derselbe Vorgang in groesserem Massstab sich +erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, toeteten +oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen +Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer +zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt, +jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der Koenig der Syrer. Warum +auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht, +der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia selbst das koenigliche +Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere "Feldherr" des neuen +Koenigs, der griechische Sklave Achaeos, durchstreifte die Insel, und +nicht bloss die wilden Hirten stroemten von nah und fern unter die +seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die den Pflanzern alles +Ueble goennten, machten mit den empoerten Sklaven gemeinschaftliche +Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein kilikischer Sklave, +Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Raeuber, dem gegebenen +Beispiel und besetzte Akragas, und da die Haeupter miteinander sich +vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den +Praetor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner groesstenteils aus sizilischen +Milizen bestehenden Armee gaenzlich zu schlagen und sein Lager +zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der +Aufstaendischen, deren Zahl nach den maessigsten Angaben sich auf 70000 +Waffenfaehige belaufen haben soll; die Roemer sahen sich genoetigt, drei +Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und konsularische Heere +nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, ja zum Teil +ungluecklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion und +von Enna der Aufstand ueberwaeltigt war. Vor der letzteren Stadt, in die +sich die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um +sich in dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Maenner +verteidigen, die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die +Konsuln Lucius Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch +und bezwangen sie endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen 4. +------------------------------------------------- 4 Noch jetzt finden +sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten jaeh ist, +nicht selten roemische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von +621 (133): L. Piso L. f. cos. +------------------------------------------------- Das waren die +Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem roemischen Senat und +dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die +Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit +der Regierung erfordert und nur zu oft uebersteigt, so ist dagegen die +polizeiliche Niederhaltung desselben fuer jedes groessere Gemeinwesen +verhaeltnismaessig leicht. Es staende wohl um die Staaten, wenn die +besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr bereiteten, als wie sie +auch droht von Baeren und Woelfen; nur der Aengsterling und wer mit der +albernen Angst der Menge Geschaefte macht, prophezeit den Untergang +der buergerlichen Ordnung in Sklavenaufstaenden oder +Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der +Baendigung der gedrueckten Massen ward von der roemischen Regierung +trotz des tiefsten Friedens und der unerschoepflichen Hilfsquellen des +Staats keineswegs genuegt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwaeche; +aber nicht ihrer Schwaeche allein. Von Rechts wegen war der roemische +Statthalter verpflichtet, die Landstrassen rein zu halten und die +aufgegriffenen Raeuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu +lassen; natuerlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht moeglich ohne +Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch +mitunter, wenn die Strassen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter +eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht +zu verderben, wurden die gefangenen Raeuber von der Behoerde in der +Regel an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese +Herren waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie +Kleider begehrten, mit Pruegel antworteten und mit der Frage, ob denn +die Reisenden nackt durch das Land zoegen. Die Folge solcher Konnivenz +war denn, dass nach Ueberwaeltigung des Sklavenaufstandes der Konsul +Publius Rupilius alles, was lebend in seine Haende kam, es heisst ueber +20000 Menschen, ans Kreuz schlagen liess. Es war freilich nicht laenger +moeglich, das Kapital zu schonen. Unendlich schwerer zu gewinnende, +freilich auch unendlich reichere Fruechte verhiess die Fuersorge +der Regierung fuer Hebung der freien Arbeit und folgeweise fuer +Beschraenkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser +Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte +man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner +Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt +ward auf Veranlassung der Regierung eine punische Schrift ueber den +Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach +karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der italischen Spekulation ins +Lateinische uebersetzt -das erste und einzige Beispiel einer von dem +roemischen Senat veranlassten literarischen Unternehmung! Dieselbe +Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder vielmehr +in der Lebensfrage fuer Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte +nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten +sozialen Krise Roms, um zu begreifen, dass gegen ein agrikoles +Proletariat die einzige ernstliche Abhilfe in einem umfassenden +und regularisierten Emigrationssystem bestand, wozu die aeusseren +Verhaeltnisse Roms die guenstigste Gelegenheit darboten. Bis gegen das +Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem fortwaehrenden +Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwaehrende +Gruendung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs +in dem Masse geschehen, wie es haette geschehen koennen und sollen; +man hatte nicht bloss das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte +Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere Okkupationen +neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige Erwerbungen, wie +namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der Okkupation preisgegeben, +aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern als nutzbare +Domaene verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt, +vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach +der Gruendung von Luna (577 177) findet sich, ausser der vereinzelt +stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597 +(157), von weiteren Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die +Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der Boier und Apuaner ausser +den wenig lockenden ligurischen Taelern neues Gebiet in Italien nicht +gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land zu verteilen als +das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen Antastung der +Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie +vor dreihundert Jahren. Das ausserhalb Italien! gewonnene Gebiet zur +Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gruenden unzulaessig; +Italien sollte das herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen +italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn +man nicht die Ruecksichten der hoeheren Politik oder gar die +Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts +uebrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und +also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer +auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Aecker ohne +Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer guetlich abging +- eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, waehrend er im Felde +stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stossen und ihn mittels der Theorie +der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer +fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu +bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum Kriegsdienst +abgerufen werden konnten, und dadurch das freie Proletariat auf das +gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft herabzudruecken. +Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische Sklavenkorn das +italische von dem hauptstaedtischen Markt zu verdraengen und dasselbe +auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte +einheimische Aristokratie im Bunde mit den roemischen Kapitalisten +schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, dass es dort keinen freien +Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt +werden, dass die Tiere ihr Lager haetten, den Buergern aber nichts +geblieben sei als Luft und Sonnenschein und dass die, welche die Herren +der Welt hiessen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den Kommentar +zu diesen Worten lieferten die Zaehlungslisten der roemischen +Buergerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre +595 (159) ist die Buergerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache +wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen +Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zaehlung 328000 +waffenfaehige Buerger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmaessiges +Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607 +(147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfaehige Buerger +stellt - ein erschreckendes Ergebnis fuer eine Zeit tiefen inneren und +aeusseren Friedens. Wenn das so fortging, loeste die Buergerschaft sich +auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schliesslich der roemische Staat, +wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt +kaufen. So standen die aeusseren und inneren Verhaeltnisse Roms, als der +Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin +man auch das Auge wandte, fiel es auf Missbraeuche und Verfall; +jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann musste die Erwaegung sich +aufdraengen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte +an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem grossen +Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des +Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des grossen Scipio, der dessen +glorreichen Afrikanernamen nicht bloss kraft Erb-, sondern auch kraft +eigenen Rechtes trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus +(570-625 184-129). Gleich seinem Vater war er ein massvoller, durch und +durch gesunder Mann, nie krank am Koerper und nie unsicher ueber den +naechsten und notwendigen Entschluss. Schon in seiner Jugend hatte +er sich ferngehalten von dem gewoehnlichen Treiben der politischen +Anfaenger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren +und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd - als +Siebzehnjaehriger hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter +seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafuer +sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberuehrten Wildhag der +Koenige von Makedonien erbeten - und vor allen Dingen wandte er gern +seine Musse auf wissenschaftlichen und literarischen Genuss. Durch die +Fuersorge seines Vaters war er frueh in diejenige echte griechische +Bildung eingefuehrt worden, welche ueber das geschmacklose Hellenisieren +der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und treffende +Wuerdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und +durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Roemer den Hoefen des +Ostens, ja sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus +erkannte man vor allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem +klassisch reinen Latein. Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller, +zeichnete er doch wie Cato seine politischen Reden auf - sie wurden +gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der Mutter der Gracchen, +von den spaeteren Literatoren als Meisterstuecke mustergueltiger +Prosa geschaetzt - und zog mit Vorliebe die besseren griechischen und +roemischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm +freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat, +die auf ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein +sittlich fester und zuverlaessiger Mann, galt sein Wort bei Freund +und Feind; er mied Bauten und Spekulationen und lebte einfach; +dafuer handelte er in Geldangelegenheiten nicht bloss ehrlich und +uneigennuetzig, sondern auch mit einer dem kaufmaennischen Sinn seiner +Zeitgenossen seltsam duenkenden Zartheit und Liberalitaet. Er war ein +tuechtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er +den Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefaehrdeter Buerger mit eigener +Lebensgefahr erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als +Feldherr, den er als Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen +Aufgaben sein Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstaende ihm +keine Gelegenheit. Scipio war so wenig wie sein Vater eine geniale +Natur - davon zeugt schon seine Vorliebe fuer Xenophon, den nuechternen +Militaer und korrekten Schriftsteller -, aber ein rechter und echter +Mann, der vor andern berufen schien, dem beginnenden Verfall durch +organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender ist es, dass er es +nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte, Missbraeuche +abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf Verbesserung +der Rechtspflege. Hauptsaechlich durch seinen Beistand vermochte +Lucius Cassius, ein tuechtiger Mann von altvaeterischer Strenge und +Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein +Stimmgesetz durchzubringen, welches fuer die noch immer den wichtigsten +Teil der Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime +Abstimmung einfuehrte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht +hatte mitmachen moegen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der +schuldigsten Maenner der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem +Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber +und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und das +Soldatengesindel wieder zurueck gezwungen unter den eisernen Druck der +alten Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der +glattkinnigen Manschettentraeger aufgeraeumt und mit ernsten Worten die +Buergerschaft ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Vaeter +treulich zu halten. Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es +verkennen, dass die Verschaerfung der Rechtspflege und das vereinzelte +Dazwischenfahren nicht einmal Anfaenge waren zur Heilung der organischen +Uebel, an denen der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht geruehrt. +Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios aelterer Freund und sein +politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefasst, die +Einziehung des unvergebenen, aber vorlaeufig okkupierten italischen +Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends +verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand +von dem Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff +war, und ward fortan "der Verstaendige" genannt. Auch Scipio dachte +also. Er war von der Groesse des Uebels voellig durchdrungen und griff, +wo er nur sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person +ruecksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch ueberzeugt, dass +dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im +vierten und fuenften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen +hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel +schlimmer als das Uebel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner +Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befuerwortung des +Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch +auch nicht genuegte noch genuegen wollte, waehrend seines Lebens einsam, +nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der +Aristokratie, bald als Beguenstiger der Reform. Bis auf seine Zeit +hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Goetter +angerufen, dem Staat groessere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der +Zensor Scipio betete, dass sie geneigen moechten, den Staat zu erhalten. +Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf. Aber +wo der Mann verzagte, der zweimal das roemische Heer aus tiefem Verfall +zum Siege gefuehrt hatte, da getraute sich ein tatenloser Juengling, zum +Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hiess Tiberius Sempronius Gracchus +(591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585 +177, 163;169) war das rechte Musterbild eines roemischen Aristokraten. +Die glaenzende, nicht ohne Bedrueckung der abhaengigen Gemeinden zuwege +gebrachte Pracht seiner aedilizischen Spiele hatte ihm schweren +und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, waehrend er durch sein +Einschreiten in dem leidigen Prozess gegen die persoenlich ihm +verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein +Standesgefuehl, durch sein energisches Auftreten gegen die +Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betaetigte +und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem +durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst +und zugleich in den Gemuetern der unterworfenen Nation ein dauerndes +Gedaechtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb. Seine Mutter Cornelia war +die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes hochherzigen +Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum Schwiegersohn +erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau, die +nach dem Tode ihres viel aelteren Gemahls die Hand des Koenigs von +Aegypten zurueckgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den +Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der aeltere von den beiden +Soehnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur, sanften Blicks +und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher bestimmt als +zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und Anschauungen +gehoerte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine griechische +und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten. Scipio +Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter +ihm hatte Tiberius als Achtzehnjaehriger die Erstuermung Karthagos +mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und +kriegerische Auszeichnungen erworben. Dass der tuechtige junge Mann die +Anschauungen ueber den Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie +in diesem Kreise gangbar waren, die Gedanken namentlich ueber die Hebung +des italischen Bauernstandes mit aller Lebendigkeit und allem Rigorismus +der Jugend in sich aufnahm und steigerte, ist begreiflich; waren es doch +nicht bloss die jungen Leute, denen das Zurueckweichen des Laelius vor +der Durchfuehrung seiner Reformideen nicht verstaendig erschien, sondern +schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618 +136), einer der angesehensten Maenner des Senats, tadelte mit all der +gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier +erblich war und blieb, dass der Scipionische Kreis den Plan der +Domaenenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, +wie es scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die +Zensur in persoenliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius +Crassus Mucianus sich aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und +Rechtsgelehrter im Senat wie in der Buergerschaft allgemein verehrt. +Sogar dessen Bruder Publius Mucius Scaevola, der Begruender der +wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht +abgeneigt, und seine Stimme war von um so groesserem Gewicht, als er +gewissermassen ausserhalb der Parteien stand. Aehnlich dachte Quintus +Metellus, der Ueberwinder Makedoniens und der Achaeer, mehr aber noch +als seiner Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und +Sitte in seinem haeuslichen wie in seinem oeffentlichen Leben. Tiberius +Gracchus stand diesen Maennern nahe, namentlich dem Appius, dessen +Tochter er, und dem Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib +genommen hatte; es war kein Wunder, dass der Gedanke sich in ihm +regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer +Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmaessig die Initiative +gestatte. Persoenliche Motive mochten ihn hierin bestaerken. Der +Friedensvertrag, den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloss, +war wesentlich Gracchus' Werk; dass der Senat ihn kassiert hatte, dass +der Feldherr deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit +den uebrigen hoeheren Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die +groessere Gunst, deren er bei der Buergerschaft genoss, entgangen war, +konnte den jungen rechtschaffenen und stolzen Mann nicht milder stimmen +gegen die herrschende Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen +er gern philosophierte und politisierte, der Mytilenaeer Diophanes, der +Kymaeer Gaius Blossius, naehrten in seiner Seele die Ideale, mit denen +er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden, +fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher oeffentliche +Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, +der Rettung Italiens zu gedenken. Am 10. Dezember 620 (134) uebernahm +Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die entsetzlichen Folgen der +bisherigen Missregierung, der politische, militaerische, oekonomische, +sittliche Verfall der Buergerschaft lagen eben damals nackt und bloss +jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine +ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufstaendischen Sklaven und war +der andere, Scipio Aemilianus, seit Monaten beschaeftigt, eine kleine +spanische Landstadt nicht zu besiegen, sondern zu erdruecken. Wenn es +noch einer besonderen Aufforderung bedurfte, um Gracchus' Entschluss +zur Tat werden zu lassen, sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemuet mit +unnennbarer Angst erfuellenden Zustaenden. Sein Schwiegervater versprach +Beistand mit Rat und Tat, man durfte hoffen auf die Unterstuetzung des +Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul fuer 621 (133) erwaehlt +worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die +Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine +Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es +sollten danach die saemtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne +Entgelt benutzten Staatslaendereien - die verpachteten, wie zum Beispiel +das Gebiet von Capua, beruehrte das Gesetz nicht - von Staats wegen +eingezogen werden, jedoch mit der Beschraenkung, dass der einzelne +Okkupant fuer sich 500 und fuer jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht +ueber 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten +oder dafuer Ersatz in Land in Anspruch nehmen duerfen. Fuer etwaige, von +den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebaeude und +Pflanzungen, scheint man Entschaedigung bewilligt zu haben. Das also +eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und +diese teils an Buerger, teils an italische Bundesgenossen verteilt +werden, nicht als freies Eigentum, sondern als unveraeusserliche +Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine +maessige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein +Kollegium von drei Maennern, die als ordentliche und stehende Beamte +der Gemeinde angesehen und jaehrlich von der Volksversammlung gewaehlt +wurden, ward mit dem Einziehungs- und Aufteilungsgeschaeft beauftragt, +wozu spaeter noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich +festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die +Aufteilung war demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, +bis dass die sehr ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen +Domaenen reguliert sein wuerden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz +verglichen waren neu in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel +zu Gunsten der beerbten Besitzer, teils die fuer die neuen Landstellen +beantragte Erbpachtgutsqualitaet und Unveraeusserlichkeit, teils und +vor allem die regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in +dem aelteren Gesetz hauptsaechlich bewirkt hatte, dass dasselbe +ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war. Den grossen +Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen +Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklaert, und seit langem +zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter +Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf +in der fuer solche Faelle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen +des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege +des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der +Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich ueberzeugter +Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte; +womit verfassungsmaessig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistierte +nun seinerseits die Staatsgeschaefte und die Rechtspflege und legte +seine Siegel auf die oeffentlichen Kassen; man nahm es hin - es war +unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos, +brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung; natuerlich +wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die flehentliche Bitte +seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die Rettung Italiens nicht +zu wehren, mochte er erwidern, dass darueber, wie Italien gerettet +werden koenne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmaessiges +Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen, +ausser allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus +einen leidlichen Rueckzug zu eroeffnen; zwei Konsulare forderten ihn +auf, die Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging +der Tribun hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, dass +der Senat damit die Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; +allein weder lag dies darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der +Sache nachzugeben; die Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die +verfassungsmaessigen Wege waren erschoepft. In frueheren Zeiten hatte +man unter solchen Verhaeltnissen es sich nicht verdriessen lassen, +den gestellten Antrag fuer dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem +folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der +Druck der oeffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man +rascher. Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf +die Reform ueberhaupt verzichten oder die Revolution beginnen musste; +er tat das letztere, indem er mit der Erklaerung vor die Buergerschaft +trat, dass entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden +muesse, und diesem ansann, die Buerger darueber abstimmen zu lassen, +welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich +natuerlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die +Interzession war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der +Kollegen Raum zu gewaehren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem +Kollegen ab und wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob +nicht der Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt +habe; und die Versammlung, laengst gewohnt, zu allen an sie gebrachten +Antraegen ja zu sagen und groesstenteils zusammengesetzt aus dem +vom Lande hereingestroemten und bei der Durchfuehrung des Gesetzes +persoenlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast +einstimmig die Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus' Befehl durch +die Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter +allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten +Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des +Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjaehrigen Bruder Gaius und seinem +Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die +Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie ueblich +an den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu +erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24 +Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer +gehaessiger und persoenlicher. Das schwierige und verwickelte Geschaeft +der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domaenen trug den Hader in +jede Buergergemeinde, ja selbst in die verbuendeten italischen Staedte. +Die Aristokratie hatte es kein Hehl, dass sie das Gesetz vielleicht, +weil sie muesse, sich gefallen lassen, der unberufene Gesetzgeber aber +ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die Ankuendigung des Quintus +Pompeius, dass er den Gracchus an demselben Tage, wo er das Tribunat +niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den Drohungen, +die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste. +Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persoenliche +Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine +Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worueber er selbst von dem +der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte +hoeren wusste. Ueberhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung +seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, dass +er erst am Anfang stand. Das "Volk" war ihm zu Dank verpflichtet; aber +er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte +als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich +blieb und durch andere und weitergreifende Vorschlaege neue und immer +neue Interessen und Hoffnungen an sich knuepfte. Ebendamals war durch +das Testament des letzten Koenigs von Pergamon den Roemern Reich und +Vermoegen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk, +den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung +des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte ueberhaupt, +gegen die bestehende Uebung, der Buergerschaft das Recht, ueber die +neue Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populaere Gesetze, ueber +Abkuerzung der Dienstzeit, ueber Ausdehnung des Provokationsrechts, +ueber die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschliesslich als +Zivilgeschworene zu fungieren, sogar ueber die Aufnahme der italischen +Bundesgenossen in den roemischen Buergerverband, soll er vorbereitet +haben; wie weit seine Entwuerfe in der Tat gereicht haben, laesst sich +nicht entscheiden, gewiss ist nur, dass Gracchus seine einzige Rettung +darin sah, das Amt, das ihn schuetzte, von der Buergerschaft auf +ein zweites Jahr verliehen zu erhalten, und dass er, um diese +verfassungswidrige Verlaengerung zu bewirken, weitere Reformen in +Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen +zu retten, so wusste er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen +aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen +fuer das naechste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre +Stimmen fuer Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch +schliesslich wenigstens insoweit durch, dass die Versammlung +unverrichteter Sache aufgeloest und die Entscheidung auf den folgenden +Tag verschoben ward. Fuer diesen setzte Gracchus alle Mittel in +Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im +Trauergewand und empfahl ihm seinen unmuendigen Knaben; fuer den Fall, +dass die Wahl abermals durch Einspruch gestoert werden wuerde, traf +er Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem +Versammlungsplatz vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam +der zweite Wahltag heran; die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden +und wieder erfolgte der Einspruch; der Auflauf begann. Die Buerger +zerstreuten sich; die Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der +Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzaehlte sich in der Stadt, +bald dass Tiberius die saemtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald dass +er ohne Wiederwahl sein Amt fortzufuehren entschlossen sei. Der Senat +versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die +erbittertsten Gegner des Gracchus fuehrten in der Sitzung das Wort; als +Tiberius die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getuemmel dem +Volke zu erkennen zu geben, dass sein Leben bedroht sei, hiess es, er +fordere schon die Leute auf, sein Haupt mit der koeniglichen Binde +zu schmuecken. Der Konsul Scaevola ward angegangen, den Hochverraeter +sofort toeten zu lassen; als der gemaessigte, der Reform an sich +keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige wie barbarische Begehren +unwillig zurueckwies, rief der Konsular Publius Scipio Nasica, ein +harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich +zu bewaffnen, wie sie koennten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten +war zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk +wich scheu auseinander, als es die vornehmen Maenner mit Stuhlbeinen +und Knuetteln in den Haenden zornigen Auges heranstuermen sah; Gracchus +versuchte, von wenigen begleitet, zu entkommen. Aber er stuerzte auf der +Flucht am Abhang des Kapitols und ward von einem der Wuetenden - Publius +Satureius und Lucius Rufus stritten sich spaeter um die Henkerehre - +vor den Bildsaeulen der sieben Koenige am Tempel der Treue durch einen +Knuettelschlag auf die Schlaefe getoetet; mit ihm dreihundert andere +Maenner, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die +Koerper in den Tiberfluss gestuerzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche +seines Bruders zur Bestattung zu vergoennen. Solch einen Tag hatte +Rom noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjaehrige Hader der Parteien +waehrend der ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe gefuehrt, +wie diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der +Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurueck. Man +hatte nur die Wahl, eine grosse Zahl der zuverlaessigsten Parteigenossen +der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf +die Gesamtheit zu uebernehmen; das letztere geschah. Man hielt +offiziell daran fest, dass Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und +rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man +ueberwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus' Mitschuldige +einer besonderen Kommission und liess deren Vormann, den Konsul Publius +Popillius, dafuer sorgen, dass durch Blutsentenzen gegen eine grosse +Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachtraeglich eine Art +rechtlichen Gepraeges aufgedrueckt ward (622 132). Nasica, gegen den +vor allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut +hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu +vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwaenden nach Asien gesandt und bald +darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die +gemaessigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius +Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner; +Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte, +verteidigte sie spaeter im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner +Rueckkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich oeffentlich +darueber zu erklaeren, ob er die Toetung seines Schwagers billige oder +nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, dass, wofern er nach +der Krone getrachtet habe, er mit Recht getoetet worden sei. Versuchen +wir ueber diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen. +Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefaehrlichen +Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gruendung neuer +Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfuegung stehenden +italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein +Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den +obwaltenden politischen und sozialen Verhaeltnissen zweckmaessig. Die +Aufteilung der Domaenen ferner war an sich keine politische Parteifrage; +sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgefuehrt werden, ohne dass +die bestehende Verfassung geaendert, das Regiment der Aristokratie +irgend erschuettert ward. Ebensowenig konnte hier von einer +Rechtsverletzung die Rede sein. Anerkanntermassen war der Eigentuemer +des okkupierten Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloss +geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den gutglaeubigen +Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte, +stand ihm entgegen, dass gegen den Staat nach roemischem Landrecht die +Verjaehrung nicht lief. Die Domaenenaufteilung war keine +Aufhebung, sondern eine Ausuebung des Eigentums; ueber die formelle +Rechtsbestaendigkeit derselben waren alle Juristen einig. Allein damit, +dass die Domaenenaufteilung weder der bestehenden Verfassung Eintrag +tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloss, war der Versuch, +diese Rechtsansprueche des Staats jetzt durchzufuehren, politisch noch +keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert hat, +wenn ein grosser Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsaechlich +seit langen Jahren nicht erhobene Ansprueche ploetzlich in ihrem ganzen +Umfang geltend zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem +Rechte auch gegen die Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar +hatten diese okkupierten Domaenen zum Teil seit dreihundert Jahren sich +in erblichem Privatbesitz befunden; das Bodeneigentum des Staats, +das seiner Natur nach ueberhaupt leichter als das des Buergers den +privatrechtlichen Charakter verliert, war an diesen Grundstuecken so gut +wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgaengig durch Kauf oder +sonstigen laestigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der Jurist +mochte sagen was er wollte; den Geschaeftsleuten erschien die Massregel +als eine Expropriation der grossen Grundbesitzer zum Besten des +agrikolen Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie +anders bezeichnen. Dass die leitenden Maenner der catonischen Epoche +nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr klar die Behandlung eines +aehnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen Falles. Das im Jahre 543 (211) +zur Domaene geschlagene Gebiet von Capua und den Nachbarstaedten war +in den folgenden unruhigen Zeiten tatsaechlich groesstenteils in +Privatbesitz uebergegangen. In den letzten Jahren des sechsten +Jahrhunderts, wo man vielfaeltig, besonders durch Catos Einfluss +bestimmt, die Zuegel des Regiments wieder straffer anzog, beschloss die +Buergerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum +Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172). Dieser Besitz beruhte +auf einer nicht durch vorgaengige Aufforderung, sondern hoechstens durch +Konnivenz der Behoerden gerechtfertigten und nirgends viel ueber ein +Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die +Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem +Stadtpraetor Publius Lentulus ausgeworfene Entschaedigungssumme aus dem +Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger bedenklich vielleicht, aber +doch auch nicht unbedenklich war es, dass fuer die neuen Landlose +Erbpachtqualitaet und Unveraeusserlichkeit festgestellt ward. Die +liberalsten Grundsaetze in bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten +Rom gross gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der +roemischen Institutionen, dass diese neuen Bauern von oben herab +angehalten wurden, ihr Grundstueck in einer bestimmten Weise zu +bewirtschaften, und dass fuer dasselbe Retraktrechte und alle der +Verkehrsbeschraenkung anhaengenden Einschnuerungsmassregeln festgestellt +wurden. ----------------------------------------------- 5 Die bisher nur +aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) teilweise bekannte +Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p. 4) wesentlich +vervollstaendigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen, +dass Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte +Entschaedigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentuemern +aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war +und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten. +---------------------------------------------- Man wird einraeumen, dass +diese Einwuerfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht leicht wogen. +Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsaechliche Expropriation der +Domaenenbesitzer war sicher ein grosses Uebel; aber sie war dennoch das +einzige Mittel, um einem noch viel groesseren, ja den Staat geradezu +vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens +auf lange hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die +ausgezeichnetsten und patriotischsten Maenner auch der konservativen +Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und Scipio Aemilianus, die +Domaenenaufteilung an sich billigten und wuenschten. Aber wenn der +Zweck des Tiberius Gracchus wohl der grossen Majoritaet der einsichtigen +Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen der +Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen +Mannes Billigung gefunden und finden koennen. Rom wurde um diese Zeit +regiert durch den Senat. Wer gegen die Majoritaet des Senats eine +Verwaltungsmassregel durchsetzte, der machte Revolution. Es +war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die +Domaenenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den +Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der +Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmaessig beseitigte, +die tribunizische Interzession durch die mit unwuerdiger Sophistik +gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloss fuer jetzt, +sondern fuer alle Folgezeit zerstoerte. Indes nicht hierin liegt die +sittliche und politische Verkehrtheit von Gracchus' Tun. Fuer die +Geschichte gibt es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat +zum Kampf aufruft gegen die andere, der ist gewiss ein Revolutionaer, +aber vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswuerdiger Staatsmann. +Der wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur +zu oft uebersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen +Buergerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das +des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und +denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Maenner nicht weniger +verschieden als die ehemalige roemische Buergerschaft, welche mit den +Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die +Provinzen Asia und Africa einrichten liess. Jene war eine staedtische +Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein +grosser Staat, dessen Angehoerige in einer und derselben Urversammlung +zu vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso +klaegliches wie laecherliches Resultat gab. Es raechte sich hier der +Grundfehler der Politie des Altertums, dass sie nie vollstaendig von der +staedtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem +System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist. +Die souveraene Versammlung Roms war, was die souveraene Versammlung in +England sein wuerde, wenn statt der Abgeordneten die saemtlichen Waehler +Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von +allen Interessen und allen Leidenschaften wuest bewegte Masse, in +der die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die +Verhaeltnisse zu uebersehen noch auch nur einen eigenen Entschluss +zu fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen +Ausnahmefaellen abgesehen, unter dem Namen der Buergerschaft ein +paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufaellig +aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Buergerschaft fand +sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen +Repraesentanten in der Regel ungefaehr ebenso genuegend vertreten wie +in den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repraesentierenden +dreissig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluss +nichts war als ein Beschluss desjenigen Magistrats, der die +Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und +Zenturienbeschluss in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige +obligate Jaherren legalisierter Beschluss des vorschlagenden Beamten. +Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man +es auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Buerger +erschienen, so war dagegen in den blossen Volksversammlungen, den +Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte, +Aegypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes +bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht +abstimmen noch beschliessen. Allein tatsaechlich beherrschte dasselbe +die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam +etwas darauf an, ob diese wueste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt +ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den +Redner auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen +anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner +Aeusserung ueber den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da, +sprach er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt +zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, +dass ich die losgebunden fuerchten werde, die ich in Ketten auf den +Sklavenmarkt geschickt habe? Dass man der verrosteten Maschine der +Komitien sich fuer die Wahlen und fuer die Gesetzgebung bediente, war +schon uebel genug. Aber wenn man diesen Massen, zunaechst den Komitien +und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die Verwaltung gestattete +und dem Senat das Werkzeug zur Verhuetung solcher Eingriffe aus den +Haenden wand; wenn man gar diese sogenannte Buergerschaft aus dem +gemeinen Saeckel sich selber Aecker samt Zubehoer dekretieren liess; +wenn man einem jeden, dem die Verhaeltnisse und sein Einfluss beim +Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu +beherrschen, die Moeglichkeit eroeffnete, seinen Projekten den legalen +Stempel des souveraenen Volkswillens aufzudruecken, so war man nicht +am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie +angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in der vorigen +Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die +Buergerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt. +Darum bezeichnen Gracchus' Zeitgenossen, die Maenner des Scipionischen +Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt +auf jener verhaengnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles +der roemischen Groesse. Darum liessen dieselben den Urheber der +Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende +gleichsam einen Damm gegen kuenftige aehnliche Versuche, waehrend sie +doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie +festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, dass +redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedraengt +wurden, den Uebeltaeter preiszugeben und die Frucht der Uebeltat sich +anzueignen. Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne +nicht unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es +ist fuer ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, dass +dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische +Regiment war so durchaus verderblich, dass der Buerger, der den Senat +ab- und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem +Gemeinwesen mehr noch nuetzte, als er ihm schadete. Allein dieser kuehne +Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich faehiger, +durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht +wusste, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den +Poebel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis +die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam draengte in +die demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission, +den Eingriffen in das oeffentliche Kassenwesen, den durch Not und +Verzweiflung erpressten weiteren "Reformen", der Leibwache von der Gasse +und den Strassengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt fuer +Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten +Geister der Revolution den unfaehigen Beschwoerer packten und +verschlangen. Die ehrlose Schlaechterei, durch die er endigte, richtet +sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging; allein +die Maertyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus' Namen geschmueckt +hat, kam hier wie gewoehnlich an den unrechten Mann. Die besten seiner +Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe +gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: "Also verderb' ein jeder, der +aehnliche Werke vollfuehrt hat!" Und als des Tiberius juengerer Bruder +Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene +Mutter: "Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird +die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schaemen, den +Staat verwirrt und zerruettet zu haben?" So sprach nicht die besorgte +Mutter, sondern die Tochter des Ueberwinders der Karthager, die noch +ein groesseres Unglueck kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder. 3. +Kapitel Die Revolution und Gaius Gracchus Tiberius Gracchus war tot; +indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die Revolution, +ueberlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat +gegenueber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen +Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den +wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr +befestigt als erschuettert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der +Aristokratie, welche die Domanialteilung offen beguenstigte, an ihrer +Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623 131) Zensor, und +Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei des Scipio +Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war, selbst +im Senat fuer jetzt die Oberhand, und ausdruecklich wies ein +Senatsbeschluss die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach +dem Sempronischen Gesetz sollten dieselben jaehrlich von der Gemeinde +ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein +bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natuerlich, dass die Wahl +wieder und wieder auf dieselben Maenner fiel und eigentliche Neuwahlen +nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat +fuer Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders +Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und +auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschaeft in +Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der taetigsten Fuehrer +der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo. +Schon die Namen dieser Maenner buergen dafuer, dass man das Geschaeft +der Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer +und Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafuer nicht an +Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius, +derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhaenger des Tiberius Gracchus +leitete, verzeichnet auf einem oeffentlichen Denkmal sich als "den +ersten, der auf den Domaenen die Hirten aus- und dafuer die Bauern +eingewiesen habe", und auch sonst ist es ueberliefert, dass sich die +Aufteilung ueber ganz Italien erstreckte und ueberall in den bisherigen +Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch +Gruendung neuer Gemeinden, sondern durch Verstaerkung der bestehenden +die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen +Ackergesetzes. Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser +Aufteilungen bezeugen die zahlreichen in der roemischen Feldmesserkunst +auf die Gracchischen Landanweisungen zurueckgehenden Einrichtungen; wie +denn zum Beispiel eine gehoerige und kuenftigen Irrungen vorbeugende +Marksteinsetzung zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und +Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten +aber reden die Zahlen der Buergerliste. Die Schaetzung, die im Jahre +623 (131) veroeffentlicht ward und tatsaechlich wohl Anfang 622 (132) +stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfaehige Buerger, wogegen +sechs Jahre spaeter (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die +Ziffer auf 395000, also um 76000 hebt - ohne allen Zweifel lediglich +infolge dessen, was die Teilungskommission fuer die roemische +Buergerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den Italikern die Bauernstellen +in demselben Verhaeltnis vermehrt hat, laesst sich bezweifeln; auf +alle Faelle war das, was sie erreichte, ein grosses und segensreiches +Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache Verletzung +achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt, besetzt +mit den entschiedensten Parteimaennern und durchaus Richter in eigener +Sache, ging mit seinen Arbeiten ruecksichtslos und selbst tumultuarisch +vor; oeffentliche Anschlaege forderten jeden, der dazu imstande sei, +auf ueber die Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; +unerbittlich wurde zurueckgegangen auf die alten Erdbuecher und nicht +bloss neue und alte Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert, +sondern auch vielfaeltig wirkliches Privateigentum, ueber das der +Inhaber sich nicht genuegend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie +laut und grossenteils begruendet auch die Klagen waren, der Senat liess +die Aufteiler gewaehren: es war einleuchtend, dass, wenn man einmal +die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches ruecksichtsloses +Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte +dies Gewaehrenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland +war nicht lediglich in den Haenden roemischer Buerger; grosse Strecken +desselben waren einzelnen bundesgenoessischen Gemeinden durch Volks- +oder Senatsbeschluesse zu ausschliesslicher Benutzung zugewiesen, +andere Stuecke von latinischen Buergern erlaubter- oder unerlaubterweise +okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen +an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbuergern +einfach okkupierten Stuecke unzweifelhaft zulaessig, nicht minder +vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschluesse, ja selbst +des durch Gemeindebeschluesse den italischen Gemeinden ueberwiesenen +Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum +verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private +nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder +Untertanengemeinden, dass Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht +einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt +verletzten roemischen Buerger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich +mochten jene nicht besser begruendet sein als diese; aber wenn es in +diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehoerigen handelte, +so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es +politisch richtig sei, die militaerisch so wichtigen und schon +durch zahlreiche rechtliche und faktische Zuruecksetzungen Rom sehr +entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche +Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die +Entscheidung lag in den Haenden der Mittelpartei; sie war es gewesen, +die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhaengern die +Reform gegen die Oligarchie geschuetzt hatte, und sie allein vermochte +jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu +setzen. Die Latiner wandten sich persoenlich an den hervorragendsten +Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu +schuetzen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluss ^1 +ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluss der Teilkommission die +Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was +Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die Konsuln +gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam. +Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren +Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs +gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen +Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr, +zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschaeft +unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber da +die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch +sie notgedrungen untaetig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst +Maenner wie Publius Mucius und Quintus Metellus missbilligten Scipios +Zwischentreten. In anderen Kreisen begnuegte man sich nicht mit der +Missbilligung. Auf einen der naechsten Tage hatte Scipio einen Vortrag +ueber die Verhaeltnisse der Latiner angekuendigt; am Morgen dieses Tages +ward er tot in seinem Bette gefunden. Dass der sechsundfuenfzigjaehrige +in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher +oeffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede fuer den +naechsten Tag zu entwerfen, sich frueher als gewoehnlich in sein +Schlafgemach zurueckgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes +geworden ist, kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher +der gegen ihn gerichteten Mordanschlaege oeffentlich erwaehnt. Welche +meuchelnde Hand den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner +Zeit bei naechtlicher Weile erwuergt hat, ist nie an den Tag +gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen +Stadtklatsch ueberlieferten Geruechte zu wiederholen noch den kindischen +Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur +dass der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehoert haben muss, ist +einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die +aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten +nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fuerchtend, dass ihre Fuehrer, +Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozess +moechten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kraeften der +Einleitung einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio +ebensosehr einen Gegner wie einen Verbuendeten verlor, liess nicht +ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemaessigten Maenner standen +entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten +gegen die Reform gemissbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen +schaudernd sich abwandte und seinen vier Soehnen befahl, die Bahre des +grossen Gegners zur Feuerstaette zu tragen. Die Leichenbestattung ward +beschleunigt; verhuellten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht +des Siegers von Zama hinausgetragen, ohne dass jemand zuvor des Toten +Antlitz haette sehen duerfen, und die Flammen des Scheiterhaufens +verzehrten mit der Huelle des hohen Mannes zugleich die Spuren des +Verbrechens. ---------------------------------------------------------- +^1 Hierher gehoert ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit +nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz ueber Quaestionengerichte +gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut +triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. +ep. 28; oben S. 95). +---------------------------------------------------------- Die +Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus, +aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an voelliger Abwesenheit des +politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; +vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere Rolle +zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Faehigkeiten sich +bewusst, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor seinen +Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer +Rettung, in der klaren Einsicht, nur uebel damit aerger zu machen, +in sich niederzukaempfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica +gutheissen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Moerder +verteidigen zu muessen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst +gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des +Sempronischen Gesetzes, dem die roemische Buergerschaft einen Zuwachs +von gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese +Domanialteilung hemmte, als sie genuetzt hatte, was sie nuetzen konnte. +Dass es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von +wohlmeinenden Maennern bestritten; aber die Tatsache, dass auch Gaius +Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und +unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurueckkam, spricht +gar sehr dafuer, dass Scipio im wesentlichen den richtigen Moment +traf. Beide Massregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der +Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber +mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld +fuer sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort +den Tod von Moerderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer +nicht minder fuer Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern +gefallen waere. Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging +an. Die revolutionaere Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine +konstituierte Vorstandschaft besass, hatte schon bei Scipios Lebzeiten +hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplaenkelt; namentlich +Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als +Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die +geheime Abstimmung in den Buergerschaftsversammlungen durchgesetzt, +soweit es nicht bereits frueher geschehen war, und sogar den +bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um +dasselbe Amt fuer das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also +das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunaechst gescheitert war, +gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand +Scipios vereitelt worden; einige Jahre spaeter, wie es scheint nach +dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschraenkenden Klauseln, +wieder ein- und durchgebracht 2. Die hauptsaechliche Absicht der Partei +ging indes auf Reaktivierung des faktisch ausser Taetigkeit gesetzten +Teilungsamts: unter den Fuehrern ward der Plan ernstlich besprochen, +die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben +entgegenstellten, durch Erteilung des Buergerrechts an dieselben zu +beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu +begegnen, liess der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius +Pennus die Ausweisung saemtlicher Nichtbuerger aus der Hauptstadt +beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des +Gaius Gracchus, und der durch diese gehaessige Massregel hervorgerufenen +Gaerung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus +Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul +mit dem Antrag, den Buergern der Bundesgemeinden die Gewinnung der +roemischen Buergerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht +gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an die roemischen +Komitien einzuraeumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte +inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius +Gracchus abwesend als Quaestor in Sardinien - und scheiterte an dem +Widerstand nicht bloss des Senats, sondern auch der Buergerschaft, die +der Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig +geneigt war. Flaccus verliess Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten +zu uebernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den +grossen Plaenen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit +aus der ueblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten +Bundesgenossen die Waffen tragen zu muessen. Fregellae, an der Grenze +von Latium und Kampanien am Hauptuebergang ueber den Liris inmitten +eines grossen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die +zweite Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewoehnliche +Wortfuehrer fuer die saemtlichen latinischen Kolonien, begann infolge +der Zurueckweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen +Rom - seit hundertfuenfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen, +nicht durch auswaertige Maechte herbeigefuehrten Schilderhebung Italiens +gegen die roemische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den +Brand, ehe er andere bundesgenoessische Gemeinden ergriff, im Keime zu +ersticken; nicht durch die Ueberlegenheit der roemischen Waffen, sondern +durch den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward +der Praetor Lucius Opimius rasch Meister ueber die empoerte Stadt, die +ihr Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. +Auf einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria +gegruendet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die +umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare Strafgericht +schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose Hochverratsprozesse +verfolgten nicht bloss die Fregellaner, sondern auch die Fuehrer der +Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als an +dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius +Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefuerchteten +Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die uebliche +Abloesung unterliess und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren +dennoch zurueckkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen +Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die +Buergerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh +auf, bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewoehnlich +zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631 +(123) ernannt. Der Krieg war also erklaert. Die demokratische Partei, +immer arm an leitenden Kapazitaeten, hatte neun Jahre hindurch +notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu Ende +und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo +und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Fuehrerschaft +berufen war. ---------------------------------------------------- 2 Die +Restriktion, dass die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an +anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer +zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den aelteren Ordnungen +anzugehoeren (Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473), +sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein. +---------------------------------------------------- Gaius Gracchus +(601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre aelteren +Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt, +ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia +unter seinem Schwager und spaeter in Sardinien mit Auszeichnung +gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war +er dem Tiberius entschieden ueberlegen. An der Klarheit und +Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich spaeter in dem Drang der +verschiedenartigsten, zur praktischen Durchfuehrung seiner zahlreichen +Gesetze erforderlichen Geschaefte zu bewegen wusste, erkannte man die +echte staatsmaennische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum +Tode getreuen Hingebung, mit der seine naeheren Freunde an ihm hingen, +die Liebefaehigkeit dieses adligen Gemuetes. Der Energie seines Wollens +und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene +Zurueckhaltung waehrend der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht +mit geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in +die innerste Brust zurueckgedraengte Erbitterung gegen die Partei, die +das Vaterland zerruettet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch +diese furchtbare Leidenschaft seines Gemuetes ist er der erste +Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie wuerden wir +ihn wahrscheinlich den ersten Staatsmaennern aller Zeiten beizaehlen +duerfen. Noch unter den wenigen Truemmern seiner aufgezeichneten +Reden sind manche selbst in diesem Zustande von herzerschuetternder +Maechtigkeit 3, und wohl begreift man, dass, wer sie hoerte oder auch +nur las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. +Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn +selber der Zorn, so dass dem glaenzenden Sprecher die Rede truebe oder +stockend floss. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und +Leidens. In Gaius' Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, +von jener etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren +Gutmuetigkeit, die den politischen Gegner mit Bitten und Traenen +umstimmen moechte; mit voller Sicherheit betrat er den Weg der +Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache. "Auch mir", schrieb +ihm seine Mutter, "scheint nichts schoener und herrlicher, als dem +Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen kann, ohne dass das Vaterland +zugrunde geht. Ist aber dies nicht moeglich, da moegen unsere Feinde +bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als dass das +Vaterland verderbe." Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis +war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung, +Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darueber +zugrunde gehen - die Ahnung, dass das Verhaengnis ihn so sicher ereilen +werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem toedlich +Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber +auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus +italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, +und sie hat recht daran getan. +------------------------------------------------------- 3 So die bei der +Ankuendigung seiner Gesetzvorschlaege gesprochenen Worte: "Wenn ich zu +euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft bin und +meinen Bruder um euretwillen eingebuesst habe und nun niemand weiter +uebrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus +Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich fuer jetzt feiern zu lassen, +damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein +Sproessling dieses Geschlechts uebrig bleibe: so moechte wohl +solches mir von euch bereitwillig zugestanden werden." +------------------------------------------------------ Tiberius Gracchus +war mit einer einzelnen Administrativreform vor die Buergerschaft +getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschlaege einbrachte, +war nichts anderes als eine vollstaendig neue Verfassung, als deren +erster Grundstein die schon frueher durchgesetzte Neuerung erscheint, +dass es dem Volkstribun freistehen solle, sich fuer das folgende +Jahr wiederwaehlen zulassen. Wenn hiermit fuer das Volkshaupt die +Moeglichkeit einer dauernden und den Inhaber schuetzenden Stellung +gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu +sichern, das heisst die hauptstaedtische Menge - denn dass auf das nur +von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlass war, +hatte sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Fuehrer +zu knuepfen. Hierzu diente zuvoerderst die Einfuehrung der +hauptstaedtischen Getreideverteilung. Schon frueher war das dem +Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu +Schleuderpreisen an die Buergerschaft abgegeben worden. Gracchus +verfuegte, dass fortan jedem persoenlich in der Hauptstadt sich +meldenden Buerger monatlich eine bestimmte Quantitaet - es scheint 5 +Modii (5/6 preuss. Scheffel) -aus den oeffentlichen Magazinen verabfolgt +werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2 Groschen) oder noch nicht die +Haelfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch +Anlage der neuen Sempronischen Speicher die oeffentlichen Kornmagazine +erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die ausserhalb der +Hauptstadt lebenden Buerger ausschloss und notwendig die ganze Masse des +Buergerproletariats nach Rom ziehen musste, sollte das hauptstaedtische +Buergerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie +abgehangen hatte, in die Klientel der Fuehrer der Bewegungspartei +bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und +eine feste Majoritaet in den Komitien gewaehren. Zu mehrerer Sicherheit +hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Zenturiatkomitien noch +bestehende Stimmordnung, wonach die fuenf Vermoegensklassen in jedem +Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, abgeschafft; statt dessen +sollten in Zukunft saemtliche Zenturien durcheinander in einer +jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn diese +Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstaedtische +Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollstaendige Herrschaft ueber +die Hauptstadt und damit ueber den Staat, die freieste Disposition ueber +die Maschine der Komitien und die Moeglichkeit zu verschaffen, den +Senat und die Beamten noetigenfalls zu terrorisieren, so fasste doch der +Gesetzgeber daneben allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen +Schaeden mit Ernst und Nachdruck an. Zwar die italische Domaenenfrage +war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und +selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius +durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die +Zurueckgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Dass +hiermit nur das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung +wenn ueberhaupt, doch nur in sehr beschraenktem Umfang wiederaufgenommen +ward, zeigt die Buergerliste, die fuer die Jahre 629 (125) und 639 (115) +genau dieselbe Kopfzahl ergibt. Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb +nicht weiter, weil das von roemischen Buergern in Besitz genommene +Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die Frage aber wegen +der von den Latinern benutzten Domaenen nur in Verbindung mit der sehr +schwierigen ueber die Ausdehnung des Buergerrechts wiederaufgenommen +werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus ueber +das Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gruendung von Kolonien in +Italien, namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also +auch das von Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung +ausgeschlossene Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar +nicht zur Verteilung nach dem bisherigen, die Gruendung neuer Gemeinden +ausschliessenden Verfahren, sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne +Zweifel sollten auch diese Kolonien die Revolution, der sie ihre +Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen. Bedeutender und +folgenreicher noch war es, dass Gaius Gracchus zuerst dazu schritt, +das italische Proletariat in den ueberseeischen Gebieten des Staats +zu versorgen, indem er an die Staette, wo Karthago gestanden, 6000 +vielleicht nicht bloss aus den roemischen Buergern, sondern auch aus +den italischen Bundesgenossen erwaehlte Kolonisten sendete und der neuen +Stadt Iunonia das Recht einer roemischen Buergerkolonie verlieh. Die +Anlage war wichtig, aber wichtiger noch das damit hingestellte Prinzip +der ueberseeischen Emigration, womit fuer das italische Proletariat ein +bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als provisorische Hilfe +eroeffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen Staatsrechts +aufgegeben ward, Italien als das ausschliesslich regierende, das +Provinzialgebiet als das ausschliesslich regierte Land zu betrachten. +Zu diesen auf die grosse Frage hinsichtlich des Proletariats +unmittelbar bezueglichen Massregeln kam eine Reihe von Verfuegungen, die +hervorgingen aus der allgemeinen Tendenz, gegenueber der altvaeterischen +Strenge der bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemaessere +Grundsaetze zur Geltung zu bringen. Hierher gehoeren die Milderungen im +Militaerwesen. Hinsichtlich der Laenge der Dienstzeit bestand nach +altem Recht keine andere Grenze, als dass kein Buerger vor vollendetem +siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum +ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung +Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich +verfuegt zu sein, dass, wer sechs Jahre hintereinander im Felde +gestanden, dadurch zunaechst ein Recht erhalte auf den Abschied, +wenngleich dieser vor der Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht +schuetzte; spaeter, vielleicht um den Anfang dieses Jahrhunderts, kam +der Satz auf, dass zwanzigjaehriger Dienst zu Fuss oder zehnjaehriger zu +Ross ueberhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte +die vermutlich oefter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Buerger +vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und +beschraenkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der +Militaerpflicht erforderliche Zahl von Feldzuegen; ueberdies wurde +den Soldaten die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde +gekuerzt worden war, fortan vom Staat unentgeltlich geliefert. +----------------------------------------------- 4 So moechte die Angabe +Appians (Hisp. 78), dass sechsjaehriger Dienst berechtige, den Abschied +zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios (6, 19), +ueber welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die +Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, laesst sich nicht weiter bestimmen, +als dass die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die +Gracchen, S. 231), die zweite sicher schon zu Polybios' Zeit bestand. +Dass Gracchus die Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint +aus Asconius (Corn. p. 68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio +fr. 83; 7 Bekker. --------------------------------------------- +Hierher gehoert ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung +hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch +mehr, als es schon geschehen war, zu beschraenken, die zum Teil +selbst in der Militaergerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit +Einfuehrung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, ueber den +Buerger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhaengen ausser +nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Buergers bald nach +der Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn, +Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen +beschraenkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu +suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das +Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhaengen oder vielmehr zu +bestaetigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschraenkt, +dass Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am haeufigsten zu +Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und ueberhaupt Mord, +der Buergerschaft entzog und an staendige Kommissionsgerichte ueberwies, +welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns +gesprengt werden konnten und von denen nicht bloss keine Appellation an +die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprueche auch so wenig wie die +der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde +unterlagen. Bei den Buergerschaftsgerichten war es, namentlich bei den +eigentlich politischen Prozessen, zwar auch laengst Regel, dass der +Angeklagte auf freiem Fuss prozessiert und ihm gestattet ward, durch +Aufgebung seines Buergerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten; +denn die Vermoegensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den +Exilierten noch treffen. Allein vorgaengige Verhaftung und vollstaendige +Exekution blieben hier wenigstens rechtlich moeglich und wurden +selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel +Lucius Hostilius Tubulus, Praetor 612 (142), der wegen eines schweren +Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts +festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozess +hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus +aus Freiheit und Leben des Buergers nicht antasten und hoechstens auf +Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann +gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur foermlichen Strafe. Auch +dieses unfreiwillige Exil liess gleich dem freiwilligen dem Verbannten +das Vermoegen, soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen +und in Geldbussen daraufging. Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus +zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr achtbare Zeugen, dass er den +verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlass der Forderungen Hoffnung +gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radikal +populaeren Massregeln beizuzaehlen ist. Waehrend Gracchus also sich +lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle Verbesserung ihrer +Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie +an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloss +auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war +er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen +Teil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen +Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein +Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei +wesentlich ungleichen Massen, die man einigermassen der Lords- und +der Cityaristokratie Englands vergleichen kann. Die eine umfasste den +tatsaechlich geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien, +die der unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre +ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille +Gesellschafter bei den grossen Assoziationen verwerteten. Den Kern der +zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschaeftsfuehrer +dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Gross- und Geldgeschaefte +im ganzen Umfang der roemischen Hegemonie betrieben. Es ist schon +dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des +sechsten Jahrhunderts allmaehlich der senatorischen Aristokratie an die +Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschliessung der Senatoren von dem +kaufmaennischen Betrieb durch den von dem Vorlaeufer der Gracchen +Gaius Flaminius veranlassten Claudischen Volksschluss, eine aeussere +Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In +der gegenwaertigen Epoche beginnt die kaufmaennische Aristokratie unter +dem Namen der "Ritterschaft" einen entscheidenden Einfluss auch +in politischen Angelegenheiten zu ueben. Diese Bezeichnung, die +urspruenglich nur der diensttuenden Buergerreiterei zukam, uebertrug +sich allmaehlich, wenigstens im gewoehnlichen Sprachgebrauch, auf alle +diejenigen, die als Besitzer eines Vermoegens von mindestens 400000 +Sesterzen zum Rossdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff +also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme roemische +Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die +Inkompatibilitaet des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes +gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfaehigen +ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im grossen und +ganzen genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die +Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat +eingetretenen, namentlich also die juengeren Glieder der senatorischen +Familien nicht aufhoerten, als Ritter zu dienen und also zu heissen, +ja die eigentliche Buergerreiterei, das heisst die achtzehn +Ritterzenturien, infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren, +fortfuhren, vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich +zu ergaenzen. Dieser Stand der Ritter, das heisst wesentlich der +vermoegenden Kaufleute, beruehrte vielfaeltig sich unsanft mit dem +regierenden Senat. Es war eine natuerliche Antipathie zwischen den +vornehmen Adligen und den Maennern, denen mit dem Gelde der Rang +gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren von ihnen, +standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und +Koteriefehden den Maennern der materiellen Interessen gleichgueltig +waren. Jene und diese waren namentlich in den Provinzen schon oefter +hart zusammengestossen; denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen +weit mehr Grund hatten, sich ueber die Parteilichkeit der roemischen +Beamten zu beschweren als die roemischen Kapitalisten, so liessen +doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu herbei, den +Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmaenner auf Kosten +der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von +jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen +Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adels- +und Geldaristokratie ein tief gehender Riss; und geschickter als sein +Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das Buendnis gesprengt war und die +Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. Dass die aeusseren Vorrechte, +durch die spaeterhin die Maenner von Ritterzensus von der uebrigen Menge +sich unterschieden - der goldene Fingerreif statt des gewoehnlichen +eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei den +Buergerfesten -, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen +worden sind, ist nicht gewiss, aber nicht unwahrscheinlich. Denn +aufgekommen sind sie auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die +Erstreckung dieser bisher im wesentlichen senatorischen Privilegien auf +den von ihm emporgehobenen Ritterstand ganz in Gracchus' Art ist, so war +es auch recht eigentlich sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines +zwischen der senatorischen Aristokratie und der gemeinen Menge in der +Mitte stehenden, ebenfalls geschlossenen und privilegierten Standes +aufzudruecken; und ebendies haben jene Standesabzeichen, wie gering sie +an sich auch waren und wie viele Ritterfaehige auch ihrer sich nicht +bedienen mochten, mehr gefoerdert als manche an sich weit wichtigere +Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie +dergleichen Ehren auch keineswegs verschmaeht, ist doch dafuer +allein nicht zu haben. Gracchus erkannte es wohl, dass sie zwar dem +Meistbietenden von Rechts wegen zufaellt, aber es auch eines hohen und +reellen Gebotes bedurfte; und so bot er ihr die asiatischen Gefaelle und +die Geschworenengerichte. Das System der roemischen Finanzverwaltung, +sowohl die indirekten Steuern wie auch die Domanialgefaelle durch +Mittelsmaenner zu erheben, gewaehrte an sich schon dem roemischen +Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die ausgedehntesten +Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in +den meisten Aemtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden +Geldsummen, was die Dazwischenkunft roemischer Kapitalisten von selber +ausschloss, oder, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten, +dessen Erhebung fuer jede einzelne Gemeinde in den Provinzen +selbst verpachtet ward und wobei also regelmaessig die vermoegenden +Provinzialen, und sehr haeufig die zehntpflichtigen Gemeinden selbst, +den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die gefaehrlichen +roemischen Mittelsmaenner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor +die Provinz Asia an die Roemer gefallen war, hatte der Senat sie im +wesentlichen nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius Gracchus 5 +stiess diese Verfuegung durch einen Volksschluss um und belastete nicht +bloss die bis dahin fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten +indirekten und direkten Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er +verfuegte auch, dass diese Hebungen fuer die gesamte Provinz und in Rom +verpachtet werden sollten - eine Bestimmung, die die Beteiligung der +Provinzialen tatsaechlich ausschloss und die in der Mittelsmaennerschaft +fuer Zehnten, Hutgeld und Zoelle der Provinz Asia eine +Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief. +Charakteristisch fuer Gracchus' Bestreben, den Kapitalistenstand vom +Senat unabhaengig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, dass der +voellige oder teilweise Erlass der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher, +vom Senat nach Ermessen bewilligt werden, sondern unter bestimmten +Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand +eine Goldgrube eroeffnet und in den Mitgliedern der neuen Gesellschaft +ein selbst der Regierung imponierender Kern der hohen Finanz, ein "Senat +der Kaufmannschaft" konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den +Geschworenengerichten eine bestimmte oeffentliche Taetigkeit zugewiesen. +Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die +Buergerschaft gehoerte, war bei den Roemern von Haus aus sehr eng und +ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten +Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen, +wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils +ausserordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese +ausschliesslich aus dem Senat genommen worden; Gracchus ueberwies +sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den staendigen +und nichtstaendigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an +den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der +Ritterzenturien aus den saemtlichen ritterfaehigen Individuen jaehrlich +neu formieren liess und die Senatoren geradezu, die jungen Maenner der +senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze +von den Gerichten ausschloss 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die +Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Maenner gelenkt ward, die in +den grossen kaufmaennischen Assoziationen namentlich der asiatischen und +sonstigen Steuerpaechter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein +sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen; +und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietaeten in +ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des +also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war, +dass, waehrend bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die +Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Buergerschaft als +legislative Behoerde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren, +jetzt die Geldaristokratie nicht bloss auf der soliden Basis der +materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse +sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende +Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast +ebenbuertig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute +gegen den Adel mussten fortan in den Wahrspruechen der Geschworenen +einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den +Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator +nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Grosshaendlern und +Bankiers die Entscheidung zu erwarten ueber seine buergerliche Existenz. +Die Fehden zwischen den roemischen Kapitalisten und den roemischen +Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den +bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der +Reichen war nicht bloss gespalten, sondern es war auch dafuer +gesorgt, dass der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand. +----------------------------------------------------- 5 Dass er und +nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto in +den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep. +3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6. 6 Die zunaechst durch diese +Veraenderung des Richterpersonals veranlasste neue Gerichtsordnung +fuer die staendige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir noch zum +grossen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen +oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes. +------------------------------------------------- Mit den also +bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging Gracchus +an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den Senat +stuerzen hiess einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine +wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Massregeln +mehr persoenlicher und transitorischer Art die bestehende Aristokratie +zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die Verwaltung +hatte bisher dem Senat ausschliesslich zugestanden; Gracchus nahm +sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen +durch Komitialgesetze, das heisst tatsaechlich durch tribunizische +Machtsprueche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den +Senat moeglichst beschraenkte, teils selbst in der umfassendsten Weise +die Geschaefte an sich zog. Die Massregeln der ersten Gattung sind +schon erwaehnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu +fragen, ueber die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den +oeffentlichen Finanzen eine dauernde und drueckende Last aufbuerdete, +ueber die Domaenen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats- +und Volks-, sondern allein nach Volksschluss aussandte, ueber die +Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene +Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstiess und eine durchaus +andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden +Geschaeften des Senats, die willkuerliche Feststellung der jedesmaligen +Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der +bisher dabei geuebte indirekte Druck auf die hoechsten Beamten +dadurch beschraenkt, dass der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen +festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewaehlt seien. +Mit beispielloser Taetigkeit endlich konzentrierte Gaius die +verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschaefte in +seiner Person: Er selbst ueberwachte die Getreideverteilung, erlas die +Geschworenen, gruendete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden +Amtes persoenlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloss +die Bauvertraege ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die +Konsulwahlen - kurz er gewoehnte das Volk daran, dass in allen +Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme +Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kraeftiges und +gewandtes persoenliches Regiment. Noch energischer als in die Verwaltung +griff Gracchus ein in die senatorische Gerichtsallmacht. Dass er die +Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon gesagt; +dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste +Verwaltungsbehoerde sich in Ausnahmefaellen gestattete. Bei +scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten +Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung ausserordentlicher +Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluss, wie diejenige gewesen +war, welche nach seines Bruders Ermordung ueber dessen Anhaenger zu +Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Massregeln ist, dass der Senat +die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das +Staatshaupt ihm zu lassen fuer gut befand. Indes diese konstitutiven +Massregeln genuegten nicht; auch der gegenwaertig regierenden +Aristokratie wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein blosser Akt der +Rache war es, dass dem zuletzt erwaehnten Gesetz rueckwirkende Kraft +beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen +erfolgtem Tode der Hass der Demokraten hauptsaechlich traf, Publius +Popillius, genoetigt ward, das Land zu meiden. Merkwuerdigerweise +ging dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der +Bezirksversammlung durch - ein Zeichen, was wenigstens in Fragen +persoenlichen Interesses noch der Einfluss der Aristokratie bei der +Menge vermochte. Ein aehnliches, aber weit minder zu rechtfertigendes +Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten Antrag, dass, wer durch +Volksschluss sein Amt verloren habe, auf immer unfaehig sein solle, +einen oeffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurueck auf +Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die +Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu +verhoehnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius +gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie +verstand, gemaess gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von +ganz anderer Wichtigkeit als diese Massregeln war Gaius' freilich wohl +schwerlich zur Ausfuehrung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue +Mitglieder, das heisst ungefaehr ebenso viele als er bisher hatte, zu +verstaerken und diese aus dem Ritterstand durch Komitien waehlen zu +lassen - eine Pairskreierung im umfassendsten Stil, die den Senat in +die vollstaendigste Abhaengigkeit von dem Staatsoberhaupt gebracht haben +wuerde. ------------------------------------------------ 7 Dies und +das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur duerften identisch sein. +------------------------------------------------ Dies ist die +Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und waehrend der +beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren +wesentlichsten Punkten durchgefuehrt hat, soweit wir sehen, ohne auf +irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stossen und ohne zur Erreichung +seiner Zwecke Gewalt anwenden zu muessen. Die Reihenfolge, in der die +Massregeln durchgebracht sind, laesst in der zerruetteten Ueberlieferung +sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende Frage muessen wir +die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, dass uns mit +dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da ueber die +Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie +sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedraengt +ward, sondern offenbar einen wohl ueberlegten, umfassenden Plan in einer +Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen vollstaendig realisierte. Dass +nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmuetige Leute in alter und +neuer Zeit gemeint haben, die roemische Republik auf neue demokratische +Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form +eines durch stehende Wiederwahl lebenslaenglich und durch unbedingte +Beherrschung der formell souveraenen Komitien absolut gemachten Amtes, +eines unumschraenkten Volkstribunats auf Lebenszeit, anstatt der +Republik die Tyrannis, das heisst nach heutigem Sprachgebrauch die +nicht feudalistische und nicht theokratische, die napoleonisch absolute +Monarchie einfuehren wollte, das offenbart die Sempronische Verfassung +selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen hat und haben +will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und deutlicher +seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was blieb +in einem Gemeinwesen, das ueber die Urversammlungen hinaus und fuer +das der Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des +aristokratischen Regiments fuer eine andere politische Ordnung +moeglich als die Tyrannis? Traeumer, wie sein Vorgaenger einer war, und +Schwindler, wie sie die Folgezeit herauffuehrte, mochten dies in Abrede +stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann, und wenn auch die +Formulierung, die der grosse Mann fuer sein grosses Werk bei sich selber +aufstellte, uns nicht ueberliefert und in sehr verschiedener Weise +denkbar ist, so wusste er doch unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die +beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen laesst, +so wenig wird, wer die Verhaeltnisse uebersieht, den Gracchus deswegen +tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein grosses Unglueck fuer die +Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der +Nation statt des groesseren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die +Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaftlich ernste +und allem Gemeinen so fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein +nichtsdestoweniger darf sie es nicht verschweigen, dass durch die ganze +Gesetzgebung desselben eine Zwiespaeltigkeit verderblichster Art geht, +indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andererseits den +persoenlichen Zwecken, ja der persoenlichen Rache des Herrschers dient. +Gracchus war ernstlich bemueht, fuer die sozialen Schaeden eine Abhilfe +zu finden und dem einreissenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er +zugleich durch seine Getreideverteilungen, die fuer alles arbeitsscheue +hungernde Buergergesindel eine Praemie werden sollten und wurden, ein +hauptstaedtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich +gross. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des +Senats und deckte namentlich den skandaloesen Schacher, den +Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit +schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben +Mannes Werk, dass der souveraene Poebel der Hauptstadt fuer seine +Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren liess. +Gracchus missbilligte lebhaft die schaendliche Auspluenderung der +Provinzen und veranlasste nicht bloss, dass in einzelnen Faellen mit +heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der +durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio +Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein +ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch ueberlieferte er +zugleich durch die Einfuehrung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen +mit gebundenen Haenden der Partei der materiellen Interessen und damit +einer noch ruecksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen +war, und fuehrte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die +nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind +und menschlich heissen konnte - beides, weil er teils der Partei der +Geldmaenner, teils fuer seine Getreideverteilungen und die sonstigen den +Finanzen neu aufgebuerdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen +bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und +eine geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmaessige +Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem +auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter +Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete +Staat, soweit irgend moeglich, zwar nicht ueber die politischen +Parteien, aber doch ausserhalb derselben zu stellen bemueht sein wird, +absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings faellt die +Schuld dieser Zwiespaeltigkeit in Gaius Gracchus' Tendenzen zu einem +sehr grossen Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich +hier an der Schwelle der Tyrannis entwickelt sich das verhaengnisvolle +sittlich-politische Dilemma, dass derselbe Mann zugleich, man moechte +sagen, als Raeuberhauptmann sich behaupten und als der erste Buerger +den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon +bedenkliche Opfer haben bringen muessen. Indes ganz laesst sich Gaius +Gracchus' Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklaeren; es wirkt +daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die gluehende Rache, die, +den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das +Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er ueber seine +Geschworenenordnung und aehnliche auf die Spaltung der Aristokratie +abzweckende Massregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den +Markt geworfen, damit die Buerger - die vornehmen, versteht sich - mit +ihnen sich untereinander zerfleischen moechten. Er war ein politischer +Brandstifter; nicht bloss die hundertjaehrige Revolution, die von ihm +datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des +Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes +entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten +hauptstaedtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden +von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollstaendig +demoralisiert, teils seiner Macht sich bewusst ward und mit seinen +bald pinselhaften, bald buebischen Anspruechen und seiner Fratze von +Volkssouveraenitaet ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem +roemischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und +doch - dieser groesste der politischen Verbrecher ist auch wieder der +Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der +roemischen Monarchie, der nicht zurueckreichte bis auf Gaius Gracchus. +Von ihm ruehrt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten +Kriegsrechts begruendete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser +praktischen Anwendung doch dem aelteren Staatsrecht fremde Satz +her, dass aller Grund und Boden der untertaenigen Gemeinden als +Privateigentum des Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunaechst +benutzt ward, um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden +beliebig zu besteuern, wie es in Asien, oder auch zur Anlegung von +Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika geschah, und der spaeterhin ein +fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward. Von ihm ruehrt die Taktik +der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen Interessen sich +stuetzend die regierende Aristokratie zu sprengen, ueberhaupt aber durch +eine strenge und zweckmaessige Administration anstatt des bisherigen +Missregiments die Verfassungsaenderung nachtraeglich zu legitimieren. +Auf ihn gehen vor allem zurueck die Anfaenge einer Ausgleichung +zwischen Rom und den Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie +unvermeidlich mit sich bringen musste; der Versuch, das durch die +italische Rivalitaet zerstoerte Karthago wiederaufzubauen und ueberhaupt +der italischen Emigration den Weg in die Provinzen zu eroeffnen, ist +das erste Glied in der langen Kette dieser folgen- und segensreichen +Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser wunderbaren +politischen Konstellation Recht und Schuld, Glueck und Unglueck so +ineinander verschlungen, dass es hier sich wohl ziemen mag, was +der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen. +------------------------------------------- 8 Auf diesen Handel um den +Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des Attalischen Reiches +von Manius Aquillius den Koenigen von Bithynien und von Pontos zu Kauf +geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward, bezieht +sich ein noch vorhandenes laengeres Redebruchstueck des Gracchus. +Er bemerkt darin, dass von den Senatoren keiner umsonst sich um die +oeffentlichen Angelegenheiten bekuemmere, und fuegt hinzu: in Beziehung +auf das in Rede stehende Gesetz (ueber die Verleihung Phrygiens an +Koenig Mithradates) teile der Senat sich in drei Klassen: solcher, +die dafuer seien, solcher, die dagegen seien, und solcher, die +stillschwiegen - die ersten seien bestochen von Koenig Mithradates, die +zweiten von Koenig Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn +diese liessen sich von den Gesandten beider Koenige bezahlen und +jede Partei glauben, dass in ihrem Interesse geschwiegen werde. +-------------------------------------------------------- Als Gracchus +die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet hatte, +legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die +Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Fuehrer der +demokratischen Partei darueber dachten, hatte sich sattsam gezeigt; +sie wuenschten natuerlich die moeglichste Ausdehnung des roemischen +Buergerrechts, nicht bloss, um die von den Latinern okkupierten Domaenen +zur Verteilung bringen zu koennen, sondern vor allem, um mit der +ungeheuren Masse der Neubuerger ihre Klientel zu verstaerken, um +die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten +Waehlerschaft immer vollstaendiger in ihre Gewalt zu bringen, +ueberhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der +republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor. +Allein hier stiessen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und +vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, +was sie verstand und nicht verstand, ihr souveraenes Ja gab; aus +dem einfachen Grunde, dass diesen Leuten das roemische Buergerrecht +sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei +sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz +und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionaere zu vermehren. Die +Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus +entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der +eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden +Fraktion der Buergerschaft als auch des ungeduldigen Draengens der +Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte +Gracchus, wahrscheinlich durch uebernommene Verpflichtungen gegen die +Bundesgenossen gedraengt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit +Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das frueher von ihm ohne Erfolg +beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat +uebernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle +Buerger-, den uebrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht +der Latiner zu gewaehren. Allein der Antrag stiess auf die vereinigte +Opposition des Senats und des hauptstaedtischen Poebels; welcher Art +diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus +der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Buergerschaft gegen den +Antrag hielt, zufaellig erhaltenes Bruchstueck. "So meint ihr also", +sprach der Optimat, "wenn ihr den Latinern das Buergerrecht +erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch kuenftig in der +Buergerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz +finden zu koennen? Glaubt ihr nicht vielmehr, dass jene Leute jeden +Fleck besetzen werden?" Bei der Buergerschaft des fuenften Jahrhunderts, +die an einem Tage allen Sabinern das Buergerrecht verlieh, haette ein +solcher Redner wohl moegen ausgezischt werden: die des siebenten fand +seine Gruende ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen +Preis der Assignation der latinischen Domaenen weitaus zu niedrig. Schon +dass der Senat es durchsetzte, die saemtlichen Nichtbuerger vor dem +entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu duerfen, zeigte +das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der +Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz +einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, dass Gracchus +nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des +Marcus Octavius zu bereiten. Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der +dem Senat den Mut gab, den Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen. +Die Angriffsmittel waren wesentlich dieselben, mit denen frueher +Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus' Macht ruhte auf der +Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunaechst auf dem letzteren, das +in diesem Kampf, in welchem militaerischer Rueckhalt beiderseits +nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es +war einleuchtend, dass der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem +Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen maechtig genug war; jeder +Versuch, die Getreidegesetze oder die neue Geschworenenordnung +anzugreifen, haette, in etwas plumperer oder etwas zivilisierterer +Form, zu einem Strassenkrawall gefuehrt, dem der Senat voellig wehrlos +gegenueberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, dass Gracchus +selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten +wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und dass sowohl die Maenner +der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Poebel sein +Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von +Gaius Gracchus. Gracchus' Institutionen standen, fuer den Augenblick +wenigstens, unerschuetterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner +eigenen Oberhauptschaft. Die Schwaeche dieser lag darin, dass in +Gracchus' Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein +Treuverhaeltnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle +anderen Elemente der Lebensfaehigkeit vorhanden waren, nur ein einziges +nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das +jeder Staat auf toenernen Fuessen steht. In der Verwerfung des Antrags, +die Latiner in den Buergerverband aufzunehmen, war es mit schneidender +Deutlichkeit zu Tage gekommen, dass die Menge in der Tat niemals fuer +Gracchus stimmte, sondern immer nur fuer sich; die Aristokratie entwarf +den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf seinem +eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von selbst, dass +der Senat dem Proletariat nicht bloss das gleiche bot, was Gracchus ihm +an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im Auftrag +des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den +Gracchischen Landempfaengern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre +Landlose fuer freies und veraeusserungsfaehiges Eigentum zu erklaeren; +ferner, statt in den ueberseeischen, das Proletariat zu versorgen +in zwoelf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu deren +Ausfuehrung das Volk die geeigneten Maenner ernennen moege; nur +Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische +Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen +Geschaeft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen +haetten, wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes +Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht +mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne +Verfuegungen des Drusus, wie die Bestimmung, dass dem latinischen +Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem +roemischen Offizier Stockpruegel sollten zuerkannt werden duerfen, die +allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner fuer andere +Verluste zu entschaedigen. Der Plan war nicht von den feinsten. +Die Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das +Bestreben, das schoene Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere +gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, +die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die +italischen Domaenen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn +man die gesamten, den Latinern ueberwiesenen konfiszierte -, das fuer +zwoelf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Buergerschaften +erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein moege, +endlich Drusus' Erklaerung, dass er mit der Ausfuehrung seines Gesetzes +nichts zu tun haben wolle, so verwuenscht gescheit, dass sie beinahe +herzlich albern war. Indes fuer das plumpe Wild, das man fangen wollte, +war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht +entscheidend, dass Gracchus, auf dessen persoenlichen Einfluss alles +ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete +und sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch +sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Haende +arbeitete. Das "Volk" ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso +bereitwillig wie frueher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem +neuesten Wohltaeter wie ueblich dadurch, dass es dem frueheren einen +maessigen Tritt versetzte und, als dieser sich fuer das Jahr 633 (121) +zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwaehlte; wobei +uebrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus frueher +beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach +die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter +Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloss im allgemeinen +gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius +der Mann, der als Praetor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die +Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am +wenigsten bedenklichen Haeupter der strengen Adelspartei, ein Mann +fest entschlossen, den gefaehrlichen Gegner bei erster Gelegenheit +zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hoerte +Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius +sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nuetzlichste und +die unpopulaerste Massregel des Gracchus, die Wiederherstellung von +Karthago. Hatte man bisher die ueberseeischen Kolonien nur mittelbar +durch die lockenderen italischen angegriffen, so wuehlten jetzt +afrikanische Hyaenen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und +die roemischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, dass solches +Wunder und Zeichen ausdruecklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der +gottverfluchten Staette. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen +gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausfuehrung der +Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung +derselben ernannten Maennern eben damals die Kolonisten auslas, erschien +an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Buergerschaft +berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu +bewirken. Gewalttaetigkeiten wuenschte er zu vermeiden, um den Gegnern +nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes +hatte er nicht wehren koennen, dass ein grosser Teil seiner Getreuen, +der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit +den Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der +ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Haendel kaum zu vermeiden. +In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius +Opimius das uebliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen +Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide in +der Hand, die "schlechten Buerger" an, die Halle zu raeumen, und +schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger +Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstiess. Es entstand +ein furchtbarer Laerm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen +und die Urheberschaft der gotteslaesterlichen Mordtat von sich +abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund +mehr, indem er, ohne dessen in dem Getuemmel gewahr zu werden, +einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein +verschollenes Statut aus der Zeit des alten Staendehaders die schwerste +Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Massregeln, +um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die +Vorgaenge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand +zu unterdruecken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel +am Markte; mit dem fruehesten Morgen fuellte das Kapitol sich mit +kretischen Bogenschuetzen, Rathaus und Markt mit den Maennern der +Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhaengigen Fraktion der +Ritterschaft, welche auf Geheiss des Konsuls saemtlich bewaffnet und +jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es +fehlte keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwuerdige, hochbejahrte +und der Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert +erschienen. Ein tuechtiger und in den spanischen Kriegen erprobter +Offizier, Decimus Brutus, uebernahm das Kommando der bewaffneten +Macht; der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche +des Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam +ueberrascht, erschien in Masse an der Tuer, um die Leiche in Augenschein +zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurueck, um das weitere zu +beschliessen. Die Fuehrer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre +Haeuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum +Strassenkrieg zu ruesten, waehrend Gracchus es zu verschmaehen schien, +mit dem Verhaengnis zu kaempfen. Als man am andern Morgen die auf dem +Kapitol und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben +beide sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den +Kaempfen der Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging +Gracchus dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte +sich im Tempel der Diana, waehrend er zugleich seinen juengeren Sohn +Quintus in das feindliche Lager sandte, um womoeglich einen Vergleich +zu vermitteln. Dieser kam zurueck mit der Meldung, dass die Aristokratie +unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des +Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen +Verletzung der tribunizischen Majestaet sich zu verantworten. Gracchus +wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und +wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwaechlichen +Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der +beiden vorgeladenen Fuehrer bloss der junge Quintus Flaccus abermals +sich einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu +stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung; +er liess den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den +Aventin, indem er zugleich in den Strassen ausrufen liess, dass dem, der +das Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe +buchstaeblich mit Gold aufwiegen werde, sowie dass sie jedem, der +vor dem Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit +gewaehrleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der +tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstuermte den +fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist +geringe Leute. Marcus Flaccus fluechtete mit seinem aeltesten Sohn in +ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden. +Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva +zurueckgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als +sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor, +womoeglich sich fuer bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus liess sich +bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu +entkommen; allein den Berg hinabeilend stuerzte er und verstauchte +sich den Fuss. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden +Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin, +Publius Laetorius auf der Tiberbruecke, da wo einst Horatius Cocles +allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern +sich entgegen und liessen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur +von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer +des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man spaeter die beiden Leichen; +es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber +den Tod gegeben. Die Koepfe der beiden gefallenen Fuehrer wurden der +Regierung, wie befohlen, eingehaendigt, auch dem Ueberbringer des Kopfes +des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene +Preis und darueber ausgezahlt, dagegen die Moerder des Flaccus, geringe +Leute, mit leeren Haenden fortgeschickt. Die Koerper der Getoeteten +wurden in den Fluss geworfen, die Haeuser der Fuehrer zur Pluenderung +der Menge preisgegeben. Gegen die Anhaenger des Gracchus begann der +Prozesskrieg im grossartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker +aufgeknuepft worden sein, unter ihnen der achtzehnjaehrige Quintus +Flaccus, der an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner +Jugend und seiner Liebenswuerdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem +Freiplatz unter dem Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem +Frieden von Camillus geweihte Altar und andere, bei aehnlichen +Veranlassungen errichtete Heiligtuemer der Eintracht sich befanden, +wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermoegen der +getoeteten oder verurteilten Hochverraeter, das bis auf die Mitgift +ihrer Frauen hin konfisziert ward, nach Beschluss des Senats von dem +Konsul Lucius Opimius ein neuer glaenzender Tempel der Eintracht mit +dazugehoeriger Halle errichtet - allerdings war es zeitgemaess, die +Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und eine neue zu inaugurieren +ueber den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama, die nun alle, +zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der +juengste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution +verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell +geaechtet; nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den +Tod ihres letzten Sohnes anlegen. Allein die leidenschaftliche +Anhaenglichkeit, die gar viele im Leben fuer die beiden edlen Brueder +und vornehmlich fuer Gaius empfunden hatten, zeigte sich in ruehrender +Weise auch nach ihrem Tode in der fast religioesen Verehrung, die die +Menge ihrem Andenken und an den Staetten, wo sie gefallen waren, allen +polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen. 4. Kapitel +Die Restaurationsherrschaft Das neue Gebaeude, das Gaius Gracchus +aufgefuehrt hatte, war mit seinem Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie +der seines Bruders zunaechst nichts als ein Akt der Rache; allein es war +doch zugleich ein sehr wesentlicher Schritt zur Restauration der alten +Verfassung, dass aus der Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu +begruenden, die Person des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle +um so mehr, weil nach der Katastrophe des Gaius und dem gruendlichen +Opimischen Blutgericht im Augenblick schlechterdings niemand vorhanden +war, der, sei es durch Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen +Staatsoberhaupt, sei es durch ueberwiegende Faehigkeit, auch nur zu +einem Versuch, den erledigten Platz einzunehmen, sich legitimiert +gefuehlt haette. Gaius war ohne Kinder aus der Welt gegangen, und auch +Tiberius' hinterlassener Knabe starb, bevor er zu seinen Jahren kam; die +ganze sogenannte Volkspartei war buchstaeblich ohne irgendeinen auch +nur namhaft zu machenden Fuehrer. Die Gracchische Verfassung glich einer +Festung ohne Kommandanten; Mauern und Besatzung waren unversehrt, aber +der Feldherr fehlte, und es war niemand vorhanden, der an den leeren +Platz sich haette setzen moegen als eben die gestuerzte Regierung. +So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus' erblosem Abgang stellte das +Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war +dies um so natuerlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich +formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden +Ausnahmehandlungen tatsaechlich zunichte gemacht worden war. Dennoch +wuerde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter +sehen wollte als ein Zurueckgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit +Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist +immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte +Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu +geruestet in dem Heerzeug der gestuerzten Tyrannis; wie der Senat den +Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so +fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stuecken mit der Verfassung der +Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner Zeit +wo nicht ganz zu beseitigen, doch gruendlich zu reinigen von den der +regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fuers erste +reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius +Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfuegungen aus +der Verbannung zurueck (633 121) und machte den Gracchanern den +Prozesskrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius +nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu +bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist +fuer den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die +Aristokratie an Gesinnungstuechtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst +Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und +noch kuerzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine +Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Ueberlaeufer; als gegen ihn +von den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, +liess ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden +Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So +erwiesen die Maenner der Reaktion in Personenfragen sich als lautere +Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der +Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung +griff die Reaktion zunaechst nicht an und schonte nicht bloss die +Kaufmannschaft und das hauptstaedtische Proletariat, sondern huldigte, +wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner +diesen Maechten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener, +als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloss, weil +die Gracchische Revolution in den Gemuetern der Zeitgenossen noch lange +nachzitterte und ihre Schoepfungen schuetzte: die Hegung und +Pflegung wenigstens der Poebelinteressen vertrug sich in der Tat aufs +vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es +ward dabei nichts weiter geopfert als bloss das gemeine Beste. Alle +diejenigen Massregeln, die von Gaius Gracchus zur Foerderung des +oeffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich +begreiflicherweise auch den unpopulaersten Teil seiner Gesetzgebung, +liess die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich +angegriffen wie der grossartigste seiner Entwuerfe: der Plan, zunaechst +die roemische Buergerschaft und Italien, sodann Italien und die +Provinzen rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied +zwischen bloss herrschenden und zehrenden und bloss dienenden und +arbeitenden Staatsangehoerigen weggeraeumt ward, zugleich durch die +umfassendste und systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, +die soziale Frage zu loesen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen +graemlichen Eigensinn der Altersschwaeche draengte die restaurierte +Oligarchie den Grundsatz der abgelebten Geschlechter, dass Italien +das herrschende Land und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben +muesse, der Gegenwart aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus +war die Zurueckweisung der italischen Bundesgenossen eine vollendete +Tatsache und war gegen den grossen Gedanken der ueberseeischen +Kolonisation ein sehr ernsthafter Angriff gerichtet worden, der die +naechste Ursache zu Gracchus' Untergang geworden war. Nach seinem Tode +wurde der Plan der Wiederherstellung Karthagos mit leichter Muehe von +der Regierungspartei beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon +verteilten Landlose den Empfaengern geblieben sind. Zwar dass der +demokratischen Partei auf einem andern Punkte eine aehnliche Gruendung +gelang, konnte sie nicht wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der +Alpen, welche Marcus Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre +636 (118) die Kolonie Narbo (Narbonne) begruendet, die aelteste +ueberseeische Buergerstadt im Roemischen Reiche, welche trotz vielfacher +Anfechtungen der Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung +derselben vom Senat gestellten Antrags dennoch, geschuetzt +wahrscheinlich durch die beteiligten kaufmaennischen Interessen, +dauernden Bestand gehabt hat. Indes abgesehen von dieser, in ihrer +Vereinzelung nicht sehr bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung, +die Landanweisung ausserhalb Italiens durchgaengig zu verhindern. +In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die +italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und, +soweit sie bereits zur Ausfuehrung gekommen waren, wieder aufgeloest; +nur die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, dass die +neue Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite +trat. Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domaenen +bereits verteilt war, blieb den Empfaengern; die darauf von Gracchus +im Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschraenkungen, Erbzins und +Veraeusserungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen +die noch nach Okkupationsrecht besessenen Domaenen, welche ausser dem +von den Latinern genutzten Domanialland zum groessten Teil bestanden +haben werden in dem gemaess des Gracchischen Maximum den Inhabern +gebliebenen Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten +definitiv zuzuwenden und auch die Moeglichkeit kuenftiger Aufteilung +abzuschneiden. Freilich waren es zunaechst diese Laendereien, aus denen +die 36000 von Drusus verheissenen neuen Bauernhufen haetten gebildet +werden sollen; allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter +dem Monde diese Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands +belegen sein moechten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen +Dienst getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine +Kolonie von Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus +zurueckgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats +der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre +635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester +Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstaedtischen Poebel zugute kam - +es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward: +noch weitergehende Vorschlaege, vielleicht eine Steigerung der +Getreidespenden, wehrte der verstaendige Volkstribun Gaius Marius ab. +Acht Jahre spaeter (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch +einen neuen Volksschluss ^1 das okkupierte Domanialland geradezu +umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen Okkupanten. +Man fuegte hinzu, dass in Zukunft Domanialland ueberhaupt nicht +okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide +offenstehen solle; fuer den letzteren Fall ward durch Feststellung +eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stueck Gross- und fuenfzig Stueck +Kleinvieh dafuer gesorgt, dass nicht der grosse Herdenbesitzer den +kleinen tatsaechlich ausschliesse - verstaendige Bestimmungen, in denen +die Schaedlichkeit des uebrigen laengst aufgegebenen Okkupationssystems +nachtraeglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst +getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine +Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die roemische Aristokratie +also fuer sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in +ihren Haenden war, sich in Eigentum umwandeln liess, beschwichtigte sie +zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, dass sie denselben +an dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie +genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh, +aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran +ungeschmaelert wahrte. Die Gegenpartei war in der ueblen Lage, dass in +den wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der +hauptstaedtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene +mit der roemischen Regierung eine Art Buendnis eingingen und gegen die +ausschweifenden Absichten mancher roemischen Demagogen bei dem +Senat Schutz suchten und fanden. +-------------------------------------------------------- ^1 Er ist +grossenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit dreihundert +Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen Ackergesetzes. +-------------------------------------------------------- Waehrend also +die restaurierte Regierung es sich angelegen sein liess, die Keime zum +Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden waren, gruendlich +auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen von Gracchus +erweckten feindlichen Maechten gegenueber vollstaendig ohnmaechtig. +Das hauptstaedtische Proletariat blieb bestehen in anerkannter +Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand liess der +Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwaertig auch dieses Joch +eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es waren +unwuerdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden nicht, +dass sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das +Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die +verfassungsmaessigen Beschraenkungen des Stimmrechts der Freigelassenen +einschaerfte, war fuer lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der +senatorischen Regierung, ihren Poebeltyrannen wieder zu baendigen. Der +Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einfuehrung +der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurueckgabe der Prozesse +an senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wuenschte, aber +auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domaenen +zu verschleudern, sondern einem einflussreichen Stande gegenueber eine +Massregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation +der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl +aber trugen diese Massregeln dazu bei, das niemals aufrichtige +Einverstaendnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und +dem Proletariat noch ferner zu trueben. Beide wussten sehr genau, dass +der Senat alle Zugestaendnisse nur aus Angst und widerwillig gewaehrte; +weder durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsruecksichten an die +Herrschaft des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit, +jedem anderen Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot, +dieselben Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine +Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte +die Restauration weiter mit den Wuenschen und Gesinnungen der legitimen +Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der +Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloss auf den gleichen Basen +wie die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch +schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Poebel im Bunde +zweckmaessige Institutionen umstiess, aber den Gassenbanden wie den +kaufmaennischen Interessen gegenueber vollkommen machtlos. Sie sass auf +dem erledigten Thron mit boesem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den +Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfaehig, auch nur +planmaessig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen ausser, wo der +eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die +eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der +klaeglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein +unuebertroffenes Ideal der Missregierung. +---------------------------------------------------- 2 Das zeigt, wie +bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend gemacht, dass bei +Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats genannt werde; allein +teils beweist dies nicht genug, teils passt, was daselbst erzaehlt wird, +schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres 648 (106), und es muss +hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder in den berichteten +Tatsachen. --------------------------------------------------- Es +konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem +und sittlichem Verfall, vor allem aber die hoechsten Staende. Die +Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht ueberreich +an Talenten und die Baenke des Senats vollgedraengt von feigem und +verlottertem adligen Gesindel; indes es sassen doch in demselben auch +Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus, +Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und faehige Maenner, und +wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, dass der Senat in +der Unrechtfertigkeit ein gewisses Mass und ein gewisses Dekorum in +dem Missregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestuerzt und +sodann wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der +Restauration. Hatte die Aristokratie frueher regiert schlecht und recht +und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fuehlbare Opposition, so +hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den +Abgrund gezeigt, der vor ihren Fuessen klaffte. War es ein Wunder, dass +fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment +der altadligen Herrenpartei bezeichnete? dass die Regierenden noch +unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die nichtregierende +Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? dass die +Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des +Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Soehne +und (wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer +einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen +berufene Leute, innerhalb fuenfzehn Jahren (631-645 123-109) saemtlich +zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten, +von den Schwiegersoehnen und so weiter zu schweigen? dass, je gewalt- +und grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war, +er desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder +Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? dass die Regierenden und die +Regierten nur darin nicht zwei kriegfuehrenden Parteien glichen, dass +in ihrem Krieg kein Voelkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich, +dass, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese +restaurierte es mit Skorpionen zuechtigte. Sie kam zurueck; aber sie kam +weder klueger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der roemischen +Aristokratie so vollstaendig an staatsmaennischen und militaerischen +Kapazitaeten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der +Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafuer ist der +Koryphaee der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus. +Der Sohn hochadliger, aber unvermoegender Eltern und darum genoetigt, +Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich +auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann +des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und +verewigte seinen Namen nicht bloss als Redner und Schriftsteller, +sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem +Jahrhundert ausgefuehrten Staatsbauten. Indes wenn man naeher zusieht, +laufen seine vielgefeierten Grosstaten darauf hinaus, dass er als +Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit +seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefaehr ebenso ernsthafte Siege +ueber den revolutionaeren Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent +indes darin bestand, ganz ebenso zugaenglich und bestechlich zu sein +wie jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den +Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und vor +allem durch seine vornehme und ehrwuerdige Erscheinung vor dem Publikum +den Fabricius zu agieren. In militaerischer Hinsicht finden sich zwar +einige ehrenvolle Ausnahmen tuechtiger Offiziere aus den hoechsten +Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, dass die vornehmen Herren, +wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten, schleunigst aus +den griechischen Kriegshandbuechern und den roemischen Annalen +zusammenlasen, was noetig war, um einen militaerischen Diskurs zu +fuehren und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando +einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Faehigkeit und erprobter +Bescheidenheit uebergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor +der Senat einer Versammlung von Koenigen glich, so spielten diese +ihre Nachfahren nicht uebel die Prinzen. Aber der Unfaehigkeit dieser +restaurierten Adligen hielt voellig die Waage ihre politische und +sittliche Nichtswuerdigkeit. Wenn nicht die religioesen Zustaende, auf +die zurueckzukommen sein wird, von der wuesten Zerfahrenheit dieser +Zeit ein treues Spiegelbild boeten und ebenso die aeussere Geschichte +in dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des roemischen Adels +als einen ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so wuerden die +entsetzlichsten Verbrechen, die in den hoechsten Kreisen Roms Schlag +auf Schlag zum Vorschein kamen, allein denselben hinreichend +charakterisieren. Die Verwaltung war nach innen und nach aussen, was +sie sein konnte unter einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens +griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie +das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen, +und in ihrem neuen Uebermut das Austreiben derselben immer haeufiger +sich selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die +Regentropfen im Meer. Wie mit der politischen die oekonomische +Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Aeusserung, die ein +gemaessigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) +tat, dass es in der ganzen Buergerschaft kaum 2000 vermoegende +Familien gebe. Den praktischen Kommentar dazu lieferten abermals die +Sklavenaufstaende, welche in den ersten Jahren des Kimbrischen Krieges +alljaehrlich in Italien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet +von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, dass +gegen sie der staedtische Praetor mit seiner Legion hatte marschieren +muessen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch +tueckischen Verrat der Insurrektion Herr geworden war. Auch das war +eine bedenkliche Erscheinung, dass an der Spitze derselben kein Sklave +gestanden hatte, sondern der roemische Ritter Titus Vettius, den seine +Schulden zu dem wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven +frei und sich zu ihrem Koenig zu erklaeren (650 104). Wie gefaehrlich +die Anhaeufung der Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien, +beweisen die Vorsichtsmassregeln hinsichtlich der Goldwaeschereien von +Victumulae, die seit 611 (143) fuer Rechnung der roemischen Regierung +betrieben wurden: die Paechter wurden zuerst verpflichtet, nicht ueber +5000 Arbeiter anzustellen, spaeter der Betrieb durch Senatsbeschluss +gaenzlich eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwaertigen war +in der Tat alles zu fuerchten, wenn, wie dies sehr moeglich war, +ein Heer von Transalpinern in Italien eindrang und die grossenteils +stammverwandten Sklaven zu den Waffen rief. Verhaeltnismaessig mehr +noch litten die Provinzen. Man versuche sich vorzustellen, wie es in +Ostindien aussehen wuerde, wenn die englische Aristokratie waere, was in +jener Zeit die roemische war, und man wird eine Vorstellung der Lage von +Sizilien und Asia haben. Die Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft +die Kontrolle der Beamten uebertrug, noetigte diese, gewissermassen +gemeinschaftliche Sache mit jener zu machen und durch unbedingte +Nachgiebigkeit gegen die Kapitalisten in den Provinzen sich +unbeschraenkte Pluenderungsfreiheit und Schutz vor der Anklage zu +erkaufen. Neben diesen offiziell und halboffiziell angestellten Raeubern +pluenderten Land- und Seepiraten die saemtlichen Landschaften des +Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen Gewaessern trieben die +Flibustier es so arg, dass selbst die roemische Regierung sich genoetigt +sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den Schiffen der abhaengigen +Kaufstaedte gebildete Flotte unter dem mit prokonsularischer Gewalt +bekleideten Praetor Marcus Antonius nach Kilikien zu entsenden. Diese +brachte nicht bloss eine Anzahl Korsarenschiffe auf und nahm einige +Felsennester aus, sondern die Roemer richteten hier sich sogar fuer die +Dauer ein und besetzten zur Unterdrueckung des Seeraubs in dem Hauptsitz +desselben, dem rauhen oder westlichen Kilikien, feste militaerische +Positionen, was der Anfang war zur Einrichtung der seitdem unter den +roemischen Aemtern erscheinenden Provinz Kilikien 3. Die Absicht war +loeblich und der Plan an sich zweckmaessig entworfen; nur bewies +leider der Fortbestand und die Steigerung des Korsarenunwesens in den +asiatischen Gewaessern und speziell in Kilikien, mit wie unzulaenglichen +Mitteln man von der neu genommenen Stellung aus die Piraterie +bekaempfte. ----------------------------------------------------- 3 +Vielfaeltig wird angenommen, dass die Einrichtung der Provinz Kilikien +erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676 +f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla +(App. Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus +Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach +nichts uebrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652 +(102) zu setzen. Hierfuer spricht ferner, dass in dieser Zeit die +Zuege der Roemer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen, +ligurischen, dalmatischen, regelmaessig gerichtet erscheinen auf +Besetzung der Kuestenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natuerlich, +denn da die Roemer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel, +dem Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Kuesten. Uebrigens ist +daran zu erinnern, dass der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz +der Landschaft in sich schliesst, sondern an sich nichts ist als ein +selbstaendiges militaerisches Kommando; es ist sehr moeglich, dass die +Roemer zunaechst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station +fuer Schiffe und Mannschaft. Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den +Krieg gegen Tigranes bei dem Syrischen Reich (App. Syr. 48); die +ehemals zu Kilikien gerechneten Landschaften noerdlich des Tauros, das +sogenannte kappadokische Kilikien und Kataonien gehoerten jenes seit +der Aufloesung des Attalischen Reiches (Iust. 37, 1; oben S. 62), +dieses wohl schon seit dem Frieden mit Antiochos zu Kappadokien. +---------------------------------------------------- Aber nirgends kam +die Ohnmacht und die Verkehrtheit der roemischen Provinzialverwaltung +in so nackter Bloesse zu Tage wie in den Insurrektionen des +Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der Aristokratie +zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein schienen. +Jene aus Aufstaenden zu Kriegen anschwellenden Schilderhebungen +der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134) als eine und +vielleicht die naechste Ursache der Gracchischen Revolution aufgetreten +waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger Einfoermigkeit. Wieder +gaerte es wie dreissig Jahre zuvor in der gesamten Sklavenschaft im +Roemischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen ward schon gedacht. +In den attischen Silberbergwerken standen die Grubenarbeiter auf, +besetzten das Vorgebirge Sunion und pluenderten laengere Zeit hindurch +von dort aus die Umgegend; an anderen Orten zeigten sich aehnliche +Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz dieser fuerchterlichen +Vorgaenge Sizilien mit seinen Plantagen und den dort zusammenstroemenden +kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist charakteristisch fuer die +Groesse des Uebels, dass ein Versuch der Regierung, den schlimmsten +Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu steuern, die naechste Ursache +der neuen Insurrektion ward. Dass die freien Proletarier in Sizilien +wenig besser daran waren als die Sklavenschaft, hatte schon ihr +Verhalten zu dem ersten Aufstand gezeigt; nach der Besiegung desselben +nahmen die roemischen Spekulanten ihre Revanche und steckten die freien +Provinzialen massenweise unter die Sklavenschaften ein. Infolge einer +hiergegen im Jahre 650 (204) vom Senat erlassenen scharfen Verfuegung +setzte der damalige Statthalter von Sizilien, Publius Licinius Nerva, +in Syrakus ein Freiheitsgericht nieder, das in der Tat mit Ernst +durchgriff; in kurzer Zeit war in achthundert Prozessen gegen die +Sklavenbesitzer entschieden und die Zahl der anhaengig gemachten Sachen +immer noch im Steigen. Die erschreckten Plantagenbesitzer stuermten +nach Syrakus, um von dem roemischen Statthalter die Sistierung solcher +unerhoerten Rechtspflege zu erzwingen; Nerva war schwach genug, sich +terrorisieren zu lassen und die prozessbittenden Unfreien mit barschen +Worten anzuweisen, dass sie sich des laestigen Verlangens von Recht und +Gerechtigkeit zu begeben und augenblicklich zu denen zurueckzukehren +haetten, die sich ihre Herren nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt +dessen sich zusammen und gingen in die Berge. Der Statthalter war auf +militaerische Massregeln nicht gefasst und selbst der elende Landsturm +der Insel nicht sogleich zur Hand; weshalb er ein Buendnis abschloss +mit einem der bekanntesten Raeuberhauptleute auf der Insel und durch das +Versprechen eigener Begnadigung ihn bewog, die aufstaendischen Sklaven +durch Verrat den Roemern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward +man also Herr. Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang +es, dafuer eine Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu +schlagen, und dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie +vor allem bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergeraet der gefallenen +und fluechtigen Gegner gab die erste Grundlage fuer ihre militaerische +Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende +angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren +Vorgaengern, sich nicht unwuerdig, von Koenigen regiert zu werden wie +ihre Landsleute daheim und - den Lumpenkoenig der Heimat bis auf den +Namen parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als +Koenig Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), +wo diese Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den +Haenden der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Staedte schon +von ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen +und italischen Scharen der roemische Statthalter das Sklavenheer vor +Morgantia ueberfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die +Sklaven, obwohl ueberrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam, +wich der Landsturm der Insel nicht bloss beim ersten Anprall, sondern, +da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen +liessen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit, +ihren Abschied zu nehmen, und das roemische Heer lief vollstaendig +auseinander. Haetten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den +Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren; +sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmaessig die Freiheit +geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt +retten, worauf sodann der roemische Statthalter das den Sklaven von +den Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich +erzwungen von Rechts wegen kassierte. Waehrend also im Innern der Insel +der Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter aus +auf der Westkueste. An der Spitze stand hier Athenion. Er war, eben +wie Kleon, einst ein gefuerchteter Raeuberhauptmann in seiner Heimat +Kilikien gewesen und von dort als Sklave nach Sizilien gefuehrt worden. +Ganz wie seine Vorgaenger versicherte er sich der Gemueter der Griechen +und Syrer vor allem durch Prophezeiungen und anderen erbaulichen +Schwindel; aber kriegskundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er +nicht, wie die uebrigen Fuehrer, die ganze Masse der ihm zustroemenden +Leute, sondern bildete aus den kriegstuechtigen Mannschaften ein +organisiertes Heer, waehrend er die Masse zu friedlicher Beschaeftigung +anwies. Bei der strengen Mannszucht, die in seinen Truppen jedes +Schwanken und jede unbotmaessige Regung niederhielt, und der milden +Behandlung der friedlichen Landbewohner und selbst der Gefangenen errang +er rasche und grosse Erfolge. Die Hoffnung, dass die beiden Fuehrer sich +veruneinigen wuerden, schlug den Roemern auch diesmal fehl; freiwillig +fuegte sich Athenion dem weit minder faehigen Koenig Tryphon und erhielt +damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten diese so +gut wie unumschraenkt auf dem platten Lande, wo die freien Proletarier +wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven hielten; die roemischen +Behoerden waren nicht imstande, gegen sie das Feld zu nehmen, +und mussten sich begnuegen, mit dem sizilischen und dem eiligst +herangezogenen afrikanischen Landsturm die Staedte zu schuetzen, welche +sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die Rechtspflege +stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das Faustrecht. Da +kein Ackerbuerger sich mehr vor das Tor, kein Landmann sich in die Stadt +wagte, brach die fuerchterlichste Hungersnot herein, und die staedtische +Bevoelkerung dieser sonst Italien ernaehrenden Insel musste von den +roemischen Behoerden mit Getreidesendungen unterstuetzt werden. Dazu +drohten ueberall im Innern die Verschwoerungen der Stadtsklaven und vor +den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Messana um ein Haar von +Athenion erobert worden waere. So schwer es der Regierung fiel, waehrend +des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen, +sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 (103) ein Heer von 14000 +Roemern und Italikern, umgerechnet die ueberseeischen Milizen, unter +dem Praetor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das vereinigte +Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und nahm die Schlacht +an, die Lucullus anbot. Die bessere militaerische Organisation gab den +Roemern den Sieg: Athenion blieb fuer tot auf der Walstatt, Tryphon +musste sich in die Bergfestung Triokala werfen; die Insurgenten berieten +ernstlich, ob es moeglich sei, den Kampf laenger fortzusetzen. Indes +die Partei, die entschlossen war, auszuharren bis auf den letzten Mann, +behielt die Oberhand; Athenion, der in wunderbarer Weise gerettet worden +war, trat wieder unter die Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor +allem aber tat Lucullus unbegreiflicherweise nicht das geringste, +um seinen Sieg zu verfolgen, ja er soll absichtlich die Armee +desorganisiert und sein Feldgeraet verbrannt haben, um die gaenzliche +Erfolglosigkeit seiner Amtsfuehrung zu bedecken und von seinem +Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu werden. Mag dies wahr sein oder +nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius (652 102) erlangte nicht bessere +Resultate, und beide Generale sind spaeter ihrer Amtsfuehrung wegen +kriminell belangt und verurteilt worden, was freilich auch durchaus kein +sicherer Beweis fuer ihre Schuld ist. Athenion, der nach Tryphons Tode +(652 102) den Oberbefehl allein uebernommen hatte, stand siegreich an +der Spitze eines ansehnlichen Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius +Aquillius, der das Jahr zuvor unter Marius im Teutonenkriege sich +ausgezeichnet hatte, als Konsul und Statthalter die Fuehrung des Krieges +uebernahm. Nach zweijaehrigen harten Kaempfen - Aquillius soll mit +Athenion persoenlich gefochten und ihn im Zweikampf getoetet haben - +schlug der roemische Feldherr endlich die verzweifelte Gegenwehr nieder +und ueberwand die Insurgenten in ihren letzten Schlupfwinkeln durch +Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde das Waffentragen untersagt und +der Friede zog wieder auf ihr ein, das heisst die neuen Peiniger wurden +abgeloest von den altgewohnten; wie denn namentlich der Sieger selbst +unter den zahlreichen und energischen Raeuberbeamten dieser Zeit eine +hervorragende Stelle einnimmt. Fuer wen es aber noch eines Beweises +bedurfte, wie das Regiment der restaurierten Aristokratie im Innern +beschaffen war, den konnte man auf die Entstehung wie auf die Fuehrung +dieses zweiten fuenfjaehrigen Sizilischen Sklavenkrieges verweisen. +Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der roemischen +Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen hervor. +Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung auch nur +der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, gewachsen war, +so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, wie man jetzt in +Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der +Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten +Welt das Schauspiel aufgefuehrt, dass gegen die gewaltige Republik, die +die Koenigreiche Makedonien und Asien mit einem Schlag ihres schweren +Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender Klientelfuerst nicht +mittels Waffen, sondern mittels der Erbaermlichkeit ihrer regierenden +Herren eine vierzehnjaehrige Usurpation und Insurrektion durchzufuehren +vermochte. Das Koenigreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich +aus bis an die Grosse Syrte, so dass es einerseits grenzte an das +Mauretanische Reich von Tingis (das heutige Marokko), andererseits +an Kyrene und Aegypten, und den schmalen Kuestenstrich der roemischen +Provinz Africa westlich, suedlich und oestlich umschloss; es umfasste +ausser den alten Besitzungen der numidischen Haeuptlinge den bei weitem +groessten Teil desjenigen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten +seiner Bluete in Afrika besessen hatte, darunter mehrere bedeutende +altphoenikische Staedte wie Hippo regius (Bona) und Gross-Leptis +(Lebidah), ueberhaupt den groessten und besten Teil des reichen +nordafrikanischen Kuestenlandes. Naechst Aegypten war ohne Frage +Numidien der ansehnlichste unter allen roemischen Klientelstaaten. Nach +Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter dessen drei Soehne, die +Koenige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die vaeterliche Herrschaft in +der Art geteilt, dass der erstgeborene die Residenz und die Staatskasse, +der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit uebernahm. Jetzt +regierte nach dem Tode seiner beiden Brueder wieder allein Massinissas +aeltester Sohn Micipsa 4, ein schwacher, friedlicher Greis, der lieber +als mit Staatsangelegenheiten sich mit dem Studium der griechischen +Philosophie beschaeftigte. Da seine Soehne noch nicht erwachsen waren, +fuehrte tatsaechlich die Zuegel der Regierung ein illegitimer Neffe +des Koenigs, der Prinz Jugurtha. Jugurtha war kein unwuerdiger Enkel +Massinissas. Er war ein schoener Mann und ein gewandter und mutiger +Reiter und Jaeger; seine Landsleute hielten den klaren und einsichtigen +Verwalter in hohen Ehren, und seine militaerische Brauchbarkeit hatte er +als Fuehrer des numidischen Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen +erwiesen. Seine Stellung im Koenigreich und der Einfluss, dessen er +durch seine zahlreichen Freunde und Kriegskameraden bei der roemischen +Regierung genoss, liessen es Koenig Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu +adoptieren (634 120) und in seinem Testament zu verordnen, dass des +Koenigs beide aelteste leibliche Soehne Adherbal und Hiempsal und sein +Adoptivsohn Jugurtha selbdritt, ebenso wie er selbst mit seinen beiden +Bruedern, zu gesamter Hand das Reich erben und regieren sollten. Zu +groesserer Sicherheit wurde diese Verfuegung unter die Garantie der +roemischen Regierung gestellt. Bald nachher, im Jahre 636 (118) starb +Koenig Micipsa. Das Testament trat in Kraft; allein die beiden Soehne +Micipsas, mehr noch als der schwache aeltere Bruder der heftige +Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den sie als Eindringling in +die legitime Erbfolge ansahen, so heftig zusammen, dass der Gedanke +an eine Gesamtregierung der drei Koenige aufgegeben werden musste. Man +versuchte eine Realteilung durchzufuehren; allein die hadernden Koenige +vermochten ueber die Landes- und Schatzquoten sich nicht zu einigen, +und die Schutzmacht, der hier von Rechts wegen das entscheidende Wort +zustand, bekuemmerte wie gewoehnlich um diese Angelegenheit sich nicht. +Es kam zum Bruch; Adherbal und Hiempsal mochten das Testament des +Vaters als erschlichen bezeichnen und Jugurthas Miterbrecht ueberhaupt +bestreiten, wogegen Jugurtha auftrat als Praetendent auf das gesamte +Koenigreich. Noch waehrend der Verhandlungen ueber die Teilung ward +Hiempsal durch gedungene Meuchelmoerder aus dem Wege geschafft; zwischen +Adherbal und Jugurtha kam es zum Buergerkriege, in dem ganz Numidien +Partei nahm. Mit seinen minder zahlreichen, aber besser geuebten und +besser gefuehrten Truppen siegte Jugurtha und bemaechtigte sich des +gesamten Reichsgebiets unter den grausamsten Verfolgungen gegen die +seinem Vetter anhaengenden Haeupter. Adherbal rettete sich nach der +roemischen Provinz und ging von da nach Rom, um dort Klage zu fuehren. +Jugurtha hatte es erwartet und sich darauf eingerichtet, der drohenden +Intervention zu begegnen. Er hatte im Lager von Numantia noch mehr +von Rom kennengelernt als die roemische Taktik: der numidische Prinz, +eingefuehrt in die Kreise der roemischen Aristokraten, war zugleich +eingeweiht worden in die roemischen Koterieintrigen und hatte an der +Quelle studiert, was man roemischen Adligen zumuten koenne; +schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte er illoyale +Unterhandlungen ueber die numidische Erbfolge mit vornehmen roemischen +Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich erinnern muessen, +dass es fremden Prinzen anstaendiger sei, mit dem roemischen Staat als +mit einzelnen roemischen Buergern Freundschaft zu halten. Jugurthas +Gesandte erschienen in Rom, nicht bloss mit Worten ausgeruestet; dass +sie die richtigen diplomatischen Ueberzeugungsmittel gewaehlt hatten, +bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von Adherbals gutem Recht +ueberzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich davon, dass Hiempsal +seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen umgebracht worden +und dass der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha sei, sondern +Adherbal. Selbst die leitenden Maenner im Senat erschraken vor dem +Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der Senat +ueberging das Geschehene mit Stillschweigen und verfuegte, dass die +beiden ueberlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen +erhalten und zur Verhuetung neuen Haders die Teilung durch eine +Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular +Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der +Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn fuer seinen +Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission +stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und nicht +zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta (Constantine) +mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an Adherbal, allein +eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwuesten bestehende oestliche +Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare und bevoelkerte +Westhaelfte (das spaetere Sitifensische und Caesariensische Mauretanien) +zu teil. ---------------------------------------------- 4 Der Stammbaum +der numidischen Fuersten ist folgender: + +---------------------------------------------- Es war arg; bald kam es +noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der Verteidigung Adherbal +um seine Haelfte bringen zu koennen, reizte Jugurtha denselben zum +Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen +gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen liess +und sich begnuegte, in Rom Beschwerde zu fuehren, begann Jugurtha, +ungeduldig ueber diese Weitlaeufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg. +In der Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollstaendig +geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Waehrend die +Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen mit den in Cirta +zahlreich ansaessigen und bei der Verteidigung der Stadt lebhafter +als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern taeglich sich +herumschlugen, erschien die von dem roemischen Senat auf Adherbals +erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natuerlich junge unerfahrene +Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewoehnlichen Staatssendungen +regelmaessig verwandte. Die Gesandten verlangten, dass Jugurtha sie +als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse, +ueberhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme. +Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen schleunigst +heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Vaeter der Stadt zu +berichten. Die Vaeter hoerten den Bericht an und liessen ihre Landsleute +in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst als +im fuenften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die +Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des +Koenigs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte +derselbe sich auf und fasste wirklich einen Beschluss - nicht etwa den +Krieg zu erklaeren, wie die Minoritaet es verlangte, sondern eine neue +Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an +der Spitze, dem grossen Bezwinger der Taurisker und der Freigelassenen, +dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen blosses Erscheinen +genuegen werde, den ungehorsamen Koenig auf andere Gedanken zu bringen. +In der Tat erschien Jugurtha, wie geheissen, in Utica, um mit Scaurus zu +verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die Konferenz +geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die +Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklaert zu haben, nach Rom zurueck +und der Koenig wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah +sich aufs Aeusserste gebracht und verzweifelte an der roemischen +Unterstuetzung; die Italiker in Cirta, der Belagerung muede und fuer +ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem roemischen +Namen, draengten ueberdies zur Uebergabe. So kapitulierte die Stadt. +Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern +hinzurichten, die saemtliche erwachsene maennliche Bevoelkerung der +Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, ueber die Klinge springen zu lassen +(642 112). Ein Schrei der Entruestung ging durch ganz Italien. Die +Minoritaet des Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten +einmuetig diese Regierung, fuer die die Ehre und das Interesse des +Landes nichts zu sein schienen als verkaeufliche Artikel; am lautesten +die Kaufmannschaft, die durch die Hinopferung der roemischen und +italischen Kaufleute in Cirta am naechsten getroffen worden war. +Die Majoritaet des Senats straeubte sich zwar auch jetzt noch; sie +appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle +Hebel der kollegialischen Geschaeftsverschleppung in Bewegung, um den +lieben Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der fuer 643 (111) +gewaehlte Volkstribun Gaius Memmius, ein taetiger und beredter Mann, +sofort nach Antritt seines Amtes den Handel oeffentlich zur Sprache +brachte und die schlimmsten Suender zu gerichtlicher Verantwortung +ziehen zu wollen drohte, liess der Senat es geschehen, dass der Krieg +an Jugurtha erklaert ward (642/43 112/11). Es schien ernst zu werden. +Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus Italien +ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter +seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Taetigkeit sich +auszeichnete, betrieb die Ruestungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst +uebernahm eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer +Zeit stand ein roemisches Heer auf afrikanischem Boden und rueckte, +am Bagradas (Medscherda) hinaufmarschierend, ein in das Numidische +Koenigreich, wo die vor dem Sitz der koeniglichen Macht entlegensten +Staedte, wie Gross-Leptis, bereits freiwillig ihre Unterwerfung +einsandten, waehrend Koenig Bocchus von Mauretanien, obwohl seine +Tochter mit Jugurtha vermaehlt war, doch den Roemern Freundschaft und +Buendnis antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das +roemische Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des +Kampfes schien nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag +mit Koenig Bocchus scheiterte daran, dass der Koenig, unbekannt mit +den roemischen Sitten, diesen den Roemern vorteilhaften Vertrag umsonst +abschliessen zu koennen gemeint und deshalb versaeumt hatte, seinen +Boten den marktgaengigen Preis roemischer Buendnisse mitzugeben. +Jugurtha kannte allerdings die roemischen Institutionen besser und hatte +nicht versaeumt, seine Waffenstillstandsantraege durch die gehoerigen +Begleitgelder zu unterstuetzen; indes auch er hatte sich getaeuscht. +Nach den ersten Verhandlungen ergab es sich, dass im roemischen +Hauptquartier nicht bloss der Waffenstillstand feil sei, sondern auch +der Friede. Die koenigliche Schatzkammer war noch von Massinissas +Zeiten her wohl gefuellt; rasch war man handelseinig. Der Vertrag ward +abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt +und nach einer unordentlichen und moeglichst summarischen Verhandlung +dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade +und Ungnade; der Sieger aber uebte Gnade und gab dem Koenig sein Reich +ungeschmaelert zurueck gegen eine maessige Busse und die Auslieferung +der roemischen Oberlaeufer und der Kriegselefanten (643 111), welche +letztere der Koenig grossenteils spaeter wiedereinhandelte durch +Vertraege mit den einzelnen roemischen Platzkommandanten und Offizieren. +Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt +wusste, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war +zu haben, nur um einen hoeheren als den gemeinen senatorischen +Durchschnittspreis. Die Rechtsbestaendigkeit des Friedens ward im Senat +ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklaerte, dass der Koenig, wenn er +wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern koenne, in +Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen moege, um hinsichtlich +der durchaus irregulaeren Friedensverhandlungen durch Vernehmung der +beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fuegte +sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der Koenig nicht +als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich +sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der Koenig in der Tat in +Rom und stellte sich zum Verhoer vor dem versammelten Volke, das muehsam +bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Moerder der +cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreissen. Allein kaum +hatte Gaius Memmius die erste Frage an den Koenig gerichtet, als einer +seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Koenige befahl zu +schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold maechtiger als der +Wille des souveraenen Volkes und seiner hoechsten Beamten. Inzwischen +gingen im Senat die Verhandlungen ueber die Gueltigkeit des soeben +abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius +Albinus nahm eifrig Partei fuer den Antrag, denselben zu kassieren, in +der Aussicht, dass dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde. +Dies veranlasste einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva, +seine Ansprueche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat +geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Koenigs +Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen Auftrag, +meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafuer der Prozess +gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den +Augen der roemischen Regierung veruebte Verbrechen bewirkte wenigstens +so viel, dass der Senat nun den Frieden kassierte und den Koenig aus der +Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und +der Konsul Spurius Albinus uebernahm den Oberbefehl (644 110). Allein +das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab +in derjenigen Zerruettung, wie sie einer solchen politischen und +militaerischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloss von Disziplin war +die Rede nicht mehr und die Pluenderung der numidischen Ortschaften, +ja des roemischen Provinzialgebiets waehrend der Waffenruhe das +Hauptgeschaeft der roemischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch +nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche +Einverstaendnisse angeknuepft mit dem Feinde. Dass ein solches Heer im +Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch +diesmal vom roemischen Obergeneral die Untaetigkeit kaufte, wie dies +spaeter gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er +wahrlich ein uebriges. Spurius Albinus also begnuegte sich damit, nichts +zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch +den Oberbefehl uebernahm, der ebenso tolldreiste als unfaehige Aulus +Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kuehnen +Handstreich sich der Schaetze des Koenigs zu bemaechtigen, die in der +schwer zugaenglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (spaeter +Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und +erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und aussichtslos, +und als der Koenig, der eine Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt +gestanden, in die Wueste ging, zog der roemische Feldherr es vor, ihn +zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen +naechtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und +Jugurthas Einverstaendnisse in der roemischen Armee zusammenwirkten, +eroberten die Numidier das roemische Lager und trieben die grossenteils +waffenlosen Roemer in der vollstaendigsten und schimpflichsten Flucht +vor sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug +des roemischen Heeres unter dem Joch, sofortige Raeumung des +ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten +Buendnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Roemern angenommen +wurden (Anfang 645 109). Dies war denn doch zu arg. Waehrend die +Afrikaner jubelten und die ploetzlich eroeffnende Aussicht auf den +kaum noch fuer moeglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche +Staemme der freien und halbfreien Wuestenbewohner unter die Fahnen des +siegreichen Koenigs fuehrte, brauste in Italien die oeffentliche +Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche +Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozesssturm, der, +genaehrt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von +Opfern aus den hoechsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag +des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der schuechternen +Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine ausserordentliche +Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des in der numidischen +Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und ihre Wahlsprueche +sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius +Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der ersten afrikanischen +Kommission und nebenbei den Henker des Gaius Gracchus, ausserdem +zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige Maenner +der Regierungspartei in die Verbannung. Dass indes diese Prozesse +einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten +kompromittierten Personen die aufgeregte oeffentliche Meinung namentlich +der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und dass dabei von einer +Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose Regiment selbst +nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr deutlich die Tatsache, +dass an den schuldigsten unter den Schuldigen, an den klugen und +maechtigen Scaurus nicht bloss niemand sich wagte, sondern dass er +eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der +Vorstaende der ausserordentlichen Hochverratskommission erwaehlt ward. +Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre +Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat ueberlassen, dem +numidischen Skandal in der fuer die Aristokratie moeglichst gelinden +Weise ein Ende zu machen; denn dass dies an der Zeit war, mochte wohl +selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen. Der Senat kassierte +zunaechst auch den zweiten Friedensvertrag - den Oberbefehlshaber, der +ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch vor dreissig +Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der Heiligkeit +der Vertraege nicht ferner noetig -, und die Erneuerung des Krieges ward +diesmal allen Ernstes beschlossen. Man uebergab den Oberbefehl in Afrika +zwar wie natuerlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen +vornehmen Maenner, die militaerisch und sittlich der Aufgabe gewachsen +waren. Die Wahl fiel auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze +maechtige Familie, der er angehoerte, seinen Grundsaetzen nach ein +starrer und ruecksichtsloser Aristokrat, als Beamter ein Mann, der es +zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats Meuchelmoerder zu +dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als unpraktische +Donquichotterie verlacht haben wuerde, aber doch ein unbeugsamer, +weder der Furcht noch der Bestechung zugaenglicher Verwalter und ein +einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch +von seinen Standesvorurteilen so weit frei, dass er sich zu seinen +Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den +trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner +musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veraenderten und +verbesserten Exerzierreglements in militaerischen Kreisen geschaetzt +ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen +Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen faehigen Offizieren +begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul +und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so +zerruetteten Zustand antraf, dass die Generale bisher nicht gewagt +hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu fuehren und sie niemand +fuerchterlich war als den ungluecklichen Bewohnern der roemischen +Provinz. Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Fruehling des +Jahres 646 (108) 5 fuehrte Metellus sie ueber die numidische Grenze. Wie +Jugurtha der veraenderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich +verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte +Vergleichsantraege, indem er schliesslich nichts weiter begehrte, als +dass man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und +vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als +mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen +Klientelfuersten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den +Roemern genuegen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg ueber Albinus +als der Erloeser Libyens von der Herrschaft der verhassten Fremden; +ruecksichtslos und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die roemische +Regierung war, konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in +seiner Heimat den Krieg entzuenden; die Ruhe war nicht eher gesichert +und die Entfernung der afrikanischen Armee nicht eher moeglich, als +wenn Koenig Jugurtha nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende +Antworten auf die Antraege des Koenigs; insgeheim stiftete er die Boten +desselben auf, ihren Herrn lebend oder tot an die Roemer auszuliefern. +Indes wenn der roemische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem +Gebiet des Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister; +Jugurtha durchschaute den Plan und ruestete sich, da er nicht anders +konnte, zur verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des voellig oeden +Gebirgszugs, ueber den der Weg der Roemer in das Innere fuehrte, +erstreckte sich in der Breite von vier deutschen Meilen bis zu dem dem +Gebirgszug parallel laufenden Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis +auf die unmittelbare Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war +und nur durch einen mit niedrigem Gestruepp bedeckten Huegelruecken in +der Quere durchsetzt ward. Auf diesem Huegelruecken erwartete Jugurtha +das roemische Heer. Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein +Teil der Infanterie und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Ruecken +auslief gegen den Fluss, die andere, der Kern des Fussvolks und die +gesamte Reiterei, hoeher hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch +das Gestruepp. Aus dem Gebirge debouchierend, erblickten die Roemer den +Feind in einer ihre rechte Flanke vollstaendig beherrschenden Stellung +und hatten, da sie auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmoeglich +verweilen konnten und den Fluss notwendig erreichen mussten, die +schwierige Aufgabe zu loesen, durch die vier Meilen breite, ganz offene +Ebene, unter den Augen der feindlichen Reiter und selber ohne leichte +Kavallerie, an den Strom zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement +unter Rufus in gerader Richtung an den Fluss, um daselbst ein Lager zu +schlagen; die Hauptmasse marschierte aus den Debouches des Gebirges +in schraeger Richtung durch die Ebene auf den Huegelruecken zu, um den +Feind von demselben herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene +drohte das Verderben des Heeres zu werden, denn waehrend numidische +Infanterie im Ruecken der Roemer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese +sie raeumten, sah sich die roemische Angriffskolonne auf allen Seiten +von den feindlichen Reitern umschwaermt, die von dem Huegelruecken herab +angriffen. Das stete Anprallen der feindlichen Schwaerme hinderte +den Vormarsch, und die Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter +Detailgefechte aufzuloesen; waehrend gleichzeitig Bomilkar mit seiner +Abteilung das Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer +bedraengten roemischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang +es Metellus und Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuss des +Huegelrueckens zu erreichen; und das numidische Fussvolk, das die Hoehen +verteidigte, lief trotz der Ueberzahl und der guenstigen Stellung fast +ohne Widerstand davon, als die Legionaere im Sturmschritt den Berg +hinauf angriffen. Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fussvolk +gegen Rufus; es ward bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten +in dem durchschnittenen Terrain alle getoetet oder gefangen. Spaet am +Abend trafen die beiden roemischen Heerhaufen, jeder fuer sich Sieger +und jeder besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden +Walplaetzen zusammen. Es war eine Schlacht, die fuer Jugurthas +ungemeines militaerisches Talent ebenso zeugte wie fuer die +unverwuestliche Tuechtigkeit der roemischen Infanterie, welche allein +die strategische Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha +sandte nach der Schlacht einen grossen Teil seiner Truppen heim +und beschraenkte sich auf den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit +Gewandtheit leitete. Die beiden roemischen Kolonnen, die eine von +Metellus gefuehrt, die andere von Marius, der, obwohl von Geburt und +Rang der geringste, seit der Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die +erste Stelle einnahm, durchzogen das numidische Gebiet, besetzten +die Staedte und machten, wo eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig +geoeffnet hatte, die erwachsene maennliche Bevoelkerung nieder. Allein +die ansehnlichste unter den Staedten im oestlichen Binnenland, +Zama, leistete den Roemern ernsthaften Widerstand, den der Koenig +nachdruecklich unterstuetzte. Sogar ein Ueberfall des roemischen Lagers +gelang ihm, und die Roemer sahen sich endlich genoetigt, die Belagerung +aufzuheben und in das Winterquartier zu gehen. Der leichteren +Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, unter Zuruecklassung von +Besatzungen in den eroberten Staedten, in die roemische Provinz und +benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen anzuknuepfen, indem +er sich geneigt zeigte, dem Koenig einen ertraeglichen Frieden zu +bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits hatte er sich +anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja sogar seine +Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000 roemische +Ueberlaeufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber wurde +des Koenigs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit Unrecht +besorgte, dass, wenn es zum Frieden kaeme, Jugurtha ihn als den Moerder +des Massiva den roemischen Gerichten ueberliefern werde, von Metellus +gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit fuer jenen Mord und +grosser Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den Koenig den Roemern +lebendig oder tot in die Haende zu liefern. Indes weder jene offizielle +Verhandlung noch diese Intrige fuehrte zu dem gewuenschten Resultat. +Als Metellus mit dem Ansinnen herausrueckte, dass der Koenig persoenlich +sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die Unterhandlungen +ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und derselbe +festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein fuer diese +diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Roemer hatten +allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu +bemaechtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder +weiterfuehren noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war, +beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Roemern +besetzten Staedten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte +roemische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit +Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher spaeter wegen +Einverstaendnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, laesst +sich nicht sagen, von dem roemischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt +und hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage +nach dem Abfall ueberrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts +preisgegeben; allein wenn die Gemueter der leicht erreichbaren und +verhaeltnismaessig fuegsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, +wie mochte es da aussehen weiter landeinwaerts und bei den schweifenden +Staemmen der Wueste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm +den doppelten Brudermoerder gern uebersahen ueber dem Retter und Raecher +der Nation. Zwanzig Jahre nachher musste ein numidisches Korps, das +fuer die Roemer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurueckgesandt +werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man +mag daraus schliessen, was er selber ueber die Seinen vermochte. Wie +war ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten +Eigentuemlichkeiten der Bevoelkerung und des Bodens einem Fuehrer, der +sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den +Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine +Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit +neuer Gewalt wiederzuerwecken? +------------------------------------------------ 5 In der spannenden und +geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist die Chronologie +mehr als billig vernachlaessigt. Der Krieg ging im Sommer 649 (105) zu +Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegfuehrung als Konsul 647 (107) +begann, so fuehrte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die +Erzaehlung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus +allem Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er +spaet eintraf (c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete +(c. 44), seine Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat +auch Marius, der gleichfalls in Italien laengere Zeit sich mit +Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder als Konsul 647 (107) +spaet im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst als Prokonsul +648 (106) den Oberbefehl an; so dass also die beiden Feldzuege des +Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen. +Dazu passt, dass Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph. +epigr. IV, S. 257). Dazu passt ferner, dass die Schlacht am Muthul und +die Belagerung von Zama nach dem Verhaeltnis, in dem sie zu Marius' +Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das Jahr 646 (108) +gesetzt werden muessen. Von Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf +keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 (105) bei ihm +Konsul genannt wird. Die Verlaengerung des Kommandos des Metellus, die +Sallustius (62, 10) berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie +steht, nur beziehen auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf +Grund des Sempronischen Gesetzes die Provinzen der fuer 647 (107) zu +waehlenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere +Provinzen und liess also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluss +stiess das 72, 7 erwaehnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten +Handschriften beider Familien lueckenhaft ueberlieferten Worte sed Paulo +.... decreverat: ea res frustra fuit muessen entweder die den Konsuln +vom Senat bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante +uti consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat +- oder, nach der Ergaenzung der Vulgathandschriften: sed Paulo +[ante senatus Metello Numidiam] decreverat. 6 Jetzt Bedschah an der +Medscherda. ---------------------------------------- Als Metellus im +Jahre 647 (107) wieder ins Feld rueckte, hielt Jugurtha ihm nirgends +stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten +Punkt; es schien, als wuerde man ebenso leicht Herr werden ueber die +Loewen wie ueber diese Reiter der Wueste. Eine Schlacht ward geschlagen, +ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer +zu sagen. Der Koenig war verschwunden in die unabsehliche Weite. Im +Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der grossen Wueste, +lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7; dorthin hatte Jugurtha +sich zurueckgezogen mit seinen Kindern, seinen Schaetzen und dem Kern +seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten. Metellus wagte +es, durch eine Einoede, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in +Schlaeuchen mitgefuehrt werden musste, dem Koenig zu folgen; Thala ward +erreicht und fiel nach vierzigtaegiger Belagerung; allein nicht bloss +vernichteten die roemischen Ueberlaeufer mit dem Gebaeude, in dem +sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zugleich den +wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam, der Koenig +Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen. Numidien +zwar war so gut wie ganz in den Haenden der Roemer; aber statt dass man +damit am Ziele gestanden haette, schien der Krieg nur ueber ein +immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Sueden begannen die freien +gaetulischen Staemme der Wueste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg +gegen die Roemer. Im Westen schien Koenig Bocchus von Mauretanien, +dessen Freundschaft die Roemer in frueherer Zeit verschmaeht +hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie +gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht bloss bei sich auf, +sondern rueckte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas +Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im +Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, dass +er mit Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis fuer Rom in Haenden +hielt. Was er aber beabsichtigte, ob den Roemern den Schwiegersohn +teuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den +Nationalkrieg aufzunehmen, wussten weder die Roemer noch Jugurtha +und vielleicht der Koenig selbst nicht; derselbe beeilte sich auch +keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darueber +verliess Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluss genoetigt +worden war, seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius +abzutreten und dieser uebernahm fuer den naechsten Feldzug 648 (106) +den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewissermassen einer Revolution. Im +Vertrauen auf die von ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm +zuteil gewordenen Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um +das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso +verfassungsmaessige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des +tuechtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstuetzt +haette, so wuerde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung +eines neuen Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde +der nicht adlige Mann, der die hoechste Gemeinwuerde fuer sich +begehrte, von der ganzen regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und +Revolutionaer geschmaeht - vollkommen wie einst der plebejische Bewerber +von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen +Rechtsgrund -, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus +verhoehnt - Marius moege mit seiner Kandidatur warten, hiess es, bis +Metellus' Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben koenne - und +kaum im letzten Augenblick aufs ungnaedigste entlassen, um fuer das Jahr +647 (107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. +Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem +er vor der gaffenden Menge die Kriegfuehrung und Verwaltung des Metellus +in Afrika in einer ebenso unmilitaerischen wie schmaehlich unbilligen +Weise kritisierte, ja sogar es nicht verschmaehte, dem lieben, ewig von +geheimen, hoechst unerhoerten und hoechst unzweifelhaften Konspirationen +der vornehmen Herren munkelnden Poebel das platte Maerchen aufzutischen, +dass Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie +moeglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies +vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der +Regierung misswollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte +Kaufmannschaft, verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, +die Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde +nicht bloss mit ungeheurer Majoritaet zum Konsul gewaehlt, sondern +ihm auch, waehrend sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die +Entscheidung ueber die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat +zustand, unter Umstossung der vom Senat getroffenen Verfuegung, die +den Metellus an seiner Stelle liess, durch Beschluss der souveraenen +Komitien der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg uebertragen. Demgemaess +trat er im Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus' Stelle und +fuehrte das Kommando in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die +zuversichtliche Verheissung, es besser zu machen als sein Vorgaenger +und den Jugurtha an Haenden und Fuessen gebunden schleunigst nach Rom +abzuliefern, war leichter gegeben als erfuellt. Marius schlug sich herum +mit den Gaetulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Staedte; +er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im aeussersten Suedosten +des Koenigreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch ueberbot, +nahm die Stadt durch Kapitulation und liess trotz des Vertrages alle +erwachsenen Maenner darin toeten - freilich das einzige Mittel, den +Wiederabfall der fernliegenden Wuestenstadt zu verhueten; er griff ein +am Fluss Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied, +belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte, +und erstuermte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der +Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kuehner +Kletterer gluecklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloss darauf +angekommen waere, durch dreiste Razzias das Heer abzuhaerten und dem +Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus' Zug in die Wueste durch +eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese +Kriegfuehrung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf +alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten +hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei voellig beiseite gesetzt. +Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie der des +Metellus nach Thala ein zweckmaessiges Wagnis; die Expedition aber an +den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet streifte, +war geradezu zweckwidrig. Koenig Bocchus, in dessen Hand es lag, den +Krieg zu einem fuer die Roemer guenstigen Ausgang zu bringen oder ihn +ins Endlose zu verlaengern, schloss jetzt mit Jugurtha einen Vertrag +ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber +versprach, den Schwiegersohn gegen Rom taetig zu unterstuetzen. Das +roemische Heer, das vom Fluss Molochath wieder zurueckkehrte, sah sich +eines Abends ploetzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer +und numidischer Reiterei; man musste fechten, wo und wie die Abteilungen +eben standen, ohne dass eine eigentliche Schlachtordnung und ein +leitendes Kommando sich haetten durchfuehren lassen, und sich gluecklich +schaetzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit +entfernten Huegeln vorlaeufig fuer die Nacht in Sicherheit zu bringen. +Indes die arge Nachlaessigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner +entriss ihnen die Folgen desselben; sie liessen sich von den waehrend +der Nacht einigermassen wiedergeordneten roemischen Truppen beim +grauenden Morgen im tiefen Schlafe ueberfallen und wurden gluecklich +zerstreut. Darauf setzte das roemische Heer in besserer Ordnung und mit +groesserer Vorsicht den Rueckzug fort; allein noch einmal wurde es auf +demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in +grosser Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die +ihm gegenueberstehenden Reiterhaufen auseinanderstaeubte und von deren +Verfolgung rasch zurueckkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus +warf, da wo sie persoenlich das roemische Fussvolk im Ruecken +bedraengten. Also ward auch dieser Angriff gluecklich abgeschlagen; +Marius brachte sein Heer zurueck nach Cirta und nahm daselbst das +Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich +begreiflich, dass man roemischerseits um die Freundschaft des Koenigs +Bocchus, die man anfangs verschmaeht, sodann wenigstens nicht eben +gesucht hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich +aufs eifrigste zu bemuehen, wobei es den Roemern zustatten kam, dass +von mauretanischer Seite keine foermliche Kriegserklaerung stattgefunden +hatte. Nicht ungern trat Koenig Bocchus zurueck in seine alte +zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit Jugurtha aufzuloesen oder +diesen zu entlassen, liess er mit dem roemischen Feldherrn sich ein auf +Verhandlungen ueber die Bedingungen eines Buendnisses mit Rom. Als man +einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der Koenig, dass +Marius zum Abschluss des Vertrages und zur Uebernahme des koeniglichen +Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden moege, der dem Koenig +bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des +Senats am mauretanischen Hofe erschienen war, teils durch Empfehlungen +der nach Rom bestimmten mauretanischen Gesandten, denen Sulla unterwegs +Dienste geleistet hatte. Marius war in einer unbequemen Lage. Lehnte er +die Zumutung ab, so fuehrte dies wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie +an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier einem mehr als +unzuverlaessigen Mann in die Haende, der, wie maenniglich bekannt, mit +den Roemern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den +Plan entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorlaeufig +nach beiden Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg +zu Ende zu bringen, ueberwog jede andere Ruecksicht, und Sulla verstand +sich zu der bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er +auf, geleitet von Koenig Bocchus' Sohn Volux, und seine Entschlossenheit +wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager +des Jugurtha fuehrte. Er wies die kleinmuetigen Fluchtvorschlaege seiner +Begleiter zurueck und zog, des Koenigs Sohn an der Seite, unverletzt +durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewaehrte der kecke Offizier +in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich, ernstlich +eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem Vorgeben, +dass alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem +eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge +niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der grosse +Verraeter durch den Verrat seiner Naechsten. Gefesselt brachte Lucius +Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das +roemische Hauptquartier; damit war nach siebenjaehriger Dauer der +Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunaechst auf den Namen des Marius; seinem +Triumphalwagen schritt in koeniglichem Schmuck und in Fesseln Koenig +Jugurtha mit seinen beiden Soehnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar +650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wueste +wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefaengnis, dem alten +Brunnenhaus am Kapitol, dem "eisigen Badgemach", wie der Afrikaner es +nannte, als er die Schwelle ueberschritt, um daselbst sei es erdrosselt +zu werden, sei es umzukommen durch Kaelte und Hunger. Allein es +liess sich nicht leugnen, dass Marius an den wirklichen Erfolgen den +geringsten Anteil hatte, dass Numidiens Eroberung bis an den Saum der +Wueste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war +und zwischen beiden Marius eine fuer einen ehrgeizigen Emporkoemmling +einigermassen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern, +dass sein Vorgaenger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er +brauste zornig auf, als Koenig Bocchus spaeter ein goldnes Bildwerk +auf dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla +darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler +die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in +Schatten, vor allem Sullas glaenzender Zug in die Wueste, der seinen +Mut, seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht ueber +die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur +Anerkennung gebracht hatte. An sich waere auf diese militaerischen +Rivalitaeten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen +Parteikampf eingegriffen haetten; wenn nicht die Opposition durch Marius +den senatorischen General verdraengt gehabt, nicht die Regierungspartei +Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die +militaerischen Koryphaeen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen +haette - wir werden auf die verhaengnisvollen Folgen dieser Verhetzungen +in der Darstellung der inneren Geschichte zurueckzukommen haben. +--------------------------------- 7 Die Oertlichkeit ist nicht +wiedergefunden. Die fruehere Annahme, dass Thelepte (bei Feriana, +noerdlich von Capsa) gemeint sei, ist willkuerlich und die +Identifikation mit einer auch heute Thala genannten +Oertlichkeit oestlich von Capsa auch nicht gehoerig begruendet. +-------------------------------- Im uebrigen verlief diese Insurrektion +des numidischen Klientelstaats, ohne weder in den allgemeinen +politischen Verhaeltnissen noch auch nur in denen der afrikanischen +Provinz eine merkliche Veraenderung hervorzubringen. Abweichend von +der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine +roemische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht +ohne eine die Grenzen gegen die Wilden der Wueste deckende Armee zu +behaupten und man keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer +zu unterhalten. Man begnuegte sich deshalb, die westlichste Landschaft +Numidiens, wahrscheinlich den Strich vom Fluss Molochath bis zum Hafen +von Saldae (Bougie) - das spaetere Mauretanien von Caesarea (Provinz +Algier) - zu dem Reich des Bocchus zu schlagen und das darum +verkleinerte Koenigreich Numidien auf den letzten noch lebenden +legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Koerper und Geist schwachen +Halbbruder Gauda, zu uebertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf +Veranlassung des Marius seine Ansprueche bei dem Senat geltend gemacht +hatte 8. Zugleich wurden die gaetulischen Staemme im inneren Afrika +als freie Bundesgenossen unter die mit den Roemern in Vertrag +stehenden unabhaengigen Nationen aufgenommen. +---------------------------------------------------------------- 8 +Sallusts politisches Genregemaelde des jugurthinischen Krieges, in der +sonst voellig verblassten und verwaschenen Tradition dieser Epoche +das einzige in frischen Farben uebriggebliebene Bild, schliesst mit +Jugurthas Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht +historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhaengenden +Bericht ueber die Behandlung des Numidischen Reiches. Dass Gauda +Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr. +79, 4 Bekk.) an und bestaetigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli +630), die ihn Koenig und Vater Hiempsals II. nennt. Dass im Westen +die zwischen Numidien einer- und dem roemischen Afrika und Kyrene +andererseits bestehenden Grenzverhaeltnisse unveraendert blieben, +zeigt Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spaetere +Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird +auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, dass Bocchus' Reich +bedeutend vergroessert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhaengt, dass +Mauretanien, urspruenglich beschraenkt auf die Landschaft von Tingis +(Marokko), in spaeterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von +Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Haelfte +der Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Roemern +vergroessert ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann +708 (46) nach Aufloesung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich +die Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei +der zweiten Vergroesserung hinzugekommen. +-------------------------------------------------------------- Wichtiger +als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die politischen +Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der Jugurthinischen +Insurrektion, obgleich auch diese haeufig zu hoch angeschlagen +worden sind. Allerdings waren darin alle Schaeden des Regiments in +unverhuellter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloss +notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, dass den +regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das +Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der +Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei +seiner Abreise von Rom aeusserte, wenn er nur Geld genug haette, +mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze +aeussere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel +teuflischer Erbaermlichkeit. Fuer uns verschiebt der Zufall, dass uns +der Krieg in Afrika durch bessere Berichte naeher gerueckt ist als die +anderen gleichzeitigen militaerischen und politischen Ereignisse, die +richtige Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthuellungen +eben nichts, als was jedermann laengst wusste und jeder unerschrockene +Patriot laengst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Dass man fuer +die nur durch ihre Unfaehigkeit aufgewogene Niedertraechtigkeit der +restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch staerkere und +noch unwiderleglichere Beweise in die Haende bekam, haette dennoch von +Wichtigkeit sein koennen, wenn es eine Opposition und eine oeffentliche +Meinung gegeben haette, mit denen die Regierung genoetigt gewesen waere +sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die +Regierung prostituiert als die vollstaendige Nichtigkeit der Opposition +offenbart. Es war nicht moeglich, schlechter zu regieren als die +Restauration in den Jahren 637- 645 (117-109) es tat, nicht moeglich, +wehrloser und verlorener dazustehen, als der roemische Senat im Jahre +645 (109) stand; haette es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben, +das heisst eine Partei, die eine prinzipielle Abaenderung der Verfassung +wuenschte und betrieb, so musste diese notwendig jetzt wenigstens einen +Versuch machen, den restaurierten Senat zu stuerzen. Er erfolgte +nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die +Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute +in die Verbannung. Damit stand es also fest, dass die sogenannte +Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte; +dass es in Rom schlechterdings nur zwei moegliche Regierungsformen gab, +die Tyrannis und die Oligarchie; dass, solange es zufaellig an einer +Persoenlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug +war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die aergste Misswirtschaft +hoechstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefaehrdete; +dass dagegen, sowie ein solcher Praetendent auftrat, nichts leichter +war, als die morschen kurulischen Stuehle zu erschuettern. In dieser +Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an +sich so voellig unmotiviert war. Wenn die Buergerschaft nach Albinus' +Niederlage die Kurie gestuermt haette, es waere begreiflich, um nicht +zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus +dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Fuehrung, +geschweige denn von Gefahr fuer das Gemeinwesen wenigstens in dieser +Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten +besten ehrgeizigen Offizier, das auszufuehren, womit einst der aeltere +Africanus der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten +militaerischen Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen +der Regierung zu verschaffen. Die oeffentliche Meinung, nichtig in den +Haenden der sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe +in der Hand des kuenftigen Koenigs von Rom. Es soll damit nicht gesagt +werden, dass Marius beabsichtigte, den Praetendenten zu spielen, am +wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem +Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, +es war augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen +Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder, +was ungefaehr dasselbe war, wenn jeder populaere Offizier imstande war, +in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges +neues Element trat in diesen vorlaeufigen Krisen auf; es war das +Hineinziehen der militaerischen Maenner und der militaerischen Macht +in die politische Revolution. Ob Marius' Auftreten unmittelbar die +Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die +Tyrannis zu verdraengen, oder ob dasselbe, wie so manches Aehnliche, +als vereinzelter Eingriff in die Praerogative der Regierung ohne weitere +Folgen voruebergehen werde, liess sich noch nicht bestimmen; wohl aber +war es vorauszusehen, dass, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis +zur Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie +Gaius Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die +gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der +Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten +Vermoegensqualifikation absah und auch dem aermsten Buerger, wenn +er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die Legion +gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militaerischen Ruecksichten +veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger ein +folgenreiches politisches Ereignis, dass das Heer nicht mehr, wie +ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der juengsten +Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern +anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die nichts hatten +als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die Aristokratie +herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschraenkt wie im Jahre 620 +(134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten sich +gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das Schwert +aufgegangen. 5. Kapitel Die Voelker des Nordens Seit dem Ende des +sechsten Jahrhunderts beherrschte die roemische Gemeinde die drei +grossen von dem noerdlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden +Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb +derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen +Apenninen und Alpentaelern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens +die ganz- oder halbfreien Voelkerschaften fort, der schlaffen roemischen +Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen +Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der +oberflaechlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits der +Pyrenaeen, der Alpen und der Balkankette, die grossen Stromgebiete +der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich ausserhalb des +politischen Gesichtskreises der Roemer. Es ist hier darzustellen, +was roemischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu +sichern und zu arrondieren und wie zugleich die grossen Voelkermassen, +die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, +anfingen, an die Tore der noerdlichen Gebirge zu pochen und die +griechisch-roemische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, dass +sie mit Unrecht meine, die Erde fuer sich allein zu besitzen. Fassen wir +zunaechst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenaeen ins +Auge. Die Roemer beherrschten diesen Teil der Kueste des Mittelmeers +seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der aeltesten, +treuesten und maechtigsten der von Rom abhaengigen bundesgenoessischen +Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas), +oestlich Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyeres?), Antipolis (Antibes) und +Nikaea (Nizza), die Kuestenfahrt wie den Landweg von den Pyrenaeen zu +den Alpen sicherten und deren merkantile und politische Verbindungen +weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen +oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten +ward im Jahre 600 (154) von den Roemern teils auf Ansuchen der +Massalioten, teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen +und zum Teil verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, +den Massalioten fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jaehrlichen +Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass um diese Zeit +zugleich in dem ganzen von Massalia abhaengigen Gebiete jenseits der +Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst aufbluehende +Wein- und Oelbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer und Kaufleute +untersagt ward ^1. Einen aehnlichen Charakter finanzieller Spekulation +traegt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwaeschereien von +Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der +Dora Baltea) von den Roemern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre +611 (143) gegen die Salasser gefuehrt ward. Die grosse Ausdehnung dieser +Waeschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft +das Wasser fuer ihre Aecker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, +sodann die bewaffnete Intervention der Roemer hervor; der Krieg, obwohl +die Roemer auch ihn wie alle uebrigen dieser Epoche mit einer Niederlage +begannen, fuehrte endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der +Abtretung des Goldbezirkes an das roemische Aerar. Einige Jahrzehnte +spaeter (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie +Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsaechlich wohl, um durch sie den +westlichen wie durch Aquileia den oestlichen Alpenpass zu beherrschen. +Einen ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als +Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als +Konsul 629 (125) in dieser Gegend den Oberbefehl uebernahm. Er zuerst +betrat die Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten +keltischen Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen +seine wirkliche Hegemonie eingebuesst und nur eine Ehrenvorstandschaft +behalten hatte, der effektiv fuehrende Gau in dem Gebiet von den +Pyrenaeen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner +2, und es erscheint danach nicht gerade uebertrieben, dass er bis 180000 +Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst +die Haeduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; waehrend +in dem nordoestlichen Gallien die Koenige der Suessionen (um Soissons) +den bis nach Britannien hinueber sich erstreckenden Voelkerbund der +Belgen unter ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende +jener Zeit wussten viel zu erzaehlen von der prachtvollen Hofhaltung des +Arvernerkoenigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glaenzenden +Clangefolge, den Jaegern mit der gekoppelten Meute und der wandernden +Saengerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Staedte seines +Reiches fuhr, das Gold mit vollen Haenden auswerfend unter die Menge, +vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen erfreuend +- die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem Raume von +1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder des Wegs +Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos. +In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen +Goldmuenzen dieser Zeit dafuer, dass der Arvernergau zu ungemeinem +Reichtum und einer verhaeltnismaessig hoch gesteigerten Zivilisation +gediehen war. Flaccus' Angriff traf indes zunaechst nicht auf die +Arverner, sondern auf die kleineren Staemme in dem Gebiet zwischen den +Alpen und der Rhone, wo die urspruenglich ligurischen Einwohner mit +nachgerueckten keltischen Scharen sich vermischt hatten und eine der +keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevoelkerung entstanden +war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glueck gegen die Salyer oder +Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen ihre +noerdlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drome), ebenso +sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die +Allobrogen, einen maechtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der +Isere, der auf die Bitte des landfluechtigen Koenigs der Salyer, +Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, +aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes +nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkoenig auszuliefern, drang +Calvinus' Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet +ein (632 122). Bis dahin hatte der fuehrende keltische Stamm dem +Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkoenig +Betuhus, jenes Luerius' Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen +Schutzverhaeltnisses wegen, in dem die oestlichen Gaue zu ihm stehen +mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als +die Roemer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet +anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurueckweisung zur +Folge hatte, dass er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe +erschien; wogegen wieder die Haeduer Partei ergriffen fuer die Roemer. +Auch die Roemer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der +Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um +in Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der +suedlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluss der Isere +in die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die +ueber die Herrschaft im suedlichen Gallien entschied. Koenig Betuitus, +wie er die zahllosen Haufen der abhaengigen Clans auf der ueber die +Rhone geschlagenen Schiffbruecke an sich vorueberziehen und gegen sie +die dreimal schwaecheren Roemer sich aufstellen sah, soll ausgerufen +haben, dass dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres +zu saettigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht +dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbruecke unter +der Masse der Fluechtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des +groessten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen +ferner Beistand zu leisten der Arvernerkoenig sich unfaehig erklaerte +und denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, +unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker +genannt, nach Italien zurueckging und die nicht mehr ferne Beendigung +des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus ueberliess. Dieser, auf Koenig +Betuitus persoenlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlasst +habe, sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemaechtigte sich in +treuloser Weise der Person des Koenigs und sandte ihn nach Rom, wo der +Senat den Bruch des Treuworts zwar missbilligte, aber nicht bloss den +verratenen Mann festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, +Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache +gewesen zu sein, dass der fast schon beendigte arvernische Krieg noch +einmal aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluss +der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die +Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal +hauptsaechlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer +zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und +die Ruhe war in dem Keltenland wiederhergestellt 3. +------------------------------------------ ^1 Wenn Cicero, indem er dies +den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen laesst (rep. 3, 9), nicht +einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so bleibt wohl +nur die im Text bezeichnete Auffassung moeglich. Auf Norditalien und +Ligurien bezieht diese Verfuegung sich nicht, wie schon der Weinbau der +Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare +Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Mueller; Strab. +4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach dem +Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der Stadt ist bekannt. 2 In der +Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von +Clermont. 3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische +Epitomator und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte +Folge fuehren Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestaetigt teils +dadurch, dass Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. +7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die +Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloss Maximus vor Ahenobarbus +triumphierte, sondern auch jener ueber die Allobrogen und den +Arvernerkoenig, dieser nur ueber die Arverner. Es ist einleuchtend, dass +die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner frueher stattgefunden +haben muss als die gegen die Arverner allein. +------------------------------------------------ Das Ergebnis dieser +militaerischen Operationen war die Einrichtung einer neuen roemischen +Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenaeen. Die saemtlichen +Voelkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Roemern +abhaengig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon +jetzt den Roemern tributaer. In der Landschaft zwischen der Rhone und +den Pyrenaeen behielten die Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht +den Roemern zinspflichtig; allein sie hatten den suedlichsten Teil ihres +mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich suedlich der Cevennen +bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der Garonne bis nach Tolosa +(Toulouse), an die Roemer abzutreten. Da der naechste Zweck dieser +Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien und +Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt fuer die +Chaussierung des Kuestenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur +Rhone der Kuestenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile +den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser +Kueste besassen, ueberwiesen mit der Verpflichtung, die Strasse in +gehoerigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu den Pyrenaeen +die Roemer selbst eine Militaerchaussee anlegten, die von ihrem Urheber +Ahenobarbus den Namen der Domitischen Strasse erhielt. Wie gewoehnlich +verband mit dem Strassenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im +oestlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten +geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die +zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier +entstand eine roemische Ortschaft, die "Baeder des Sextius", Aquae +Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Roemer in Narbo sich +an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluss Atax (Aude) in +geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekataeos nennt und die schon +vor ihrer Besetzung durch die Roemer als lebhafter an dem britannischen +Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae +erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen +Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die +Kelten gegruendet, ward als "Marsstadt" roemische Buergerkolonie und +der gewoehnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen +Keltenprovinz oder, wie sie noch haeufiger genannt wird, der Provinz +Narbo. ------------------------------------------------------- 4 Aquae +ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab. +4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen +1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten - so +ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein +keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes roemisches +Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft. +------------------------------------------------------- Die Gracchische +Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen veranlasste, +wollte offenbar sich hier ein neues und unermessliches Gebiet fuer +ihre Kolonisationsplaene eroeffnen, das dieselben Vorzuege darbot wie +Sizilien und Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden +konnte als die sizilischen und libyschen Aecker den italischen +Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte freilich auch hier +sich fuehlbar in der Beschraenkung der Eroberungen und mehr noch der +Stadtgruendungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem Umfang erreicht +ward, so ward sie doch auch nicht voellig vereitelt. Das gewonnene +Gebiet und mehr noch die Gruendung von Narbo, welcher Ansiedelung der +Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte, +blieben als unfertige, aber den kuenftigen Nachfolger des Gracchus an +die Fortsetzung des Baus mahnende Ansaetze stehen. Offenbar schuetzte +die roemische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem +gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren vermochte, diese +Anlage vor den Angriffen der Optimaten. Eine aehnliche Aufgabe wie +im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von Italien; sie ward +gleichfalls nicht ganz vernachlaessigt, aber noch unvollkommener als +jene geloest. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die Istrische +Halbinsel in den Besitz der Roemer; in Epirus und dem ehemaligen Gebiet +des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit frueher. +Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein, +und selbst an der Kueste beherrschten sie kaum dem Namen nach den +unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen +wildverschlungenen, weder von Flusstaelern noch von Kuestenebenen +unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten Bergkesseln und in +der laengs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger Inseln Italien und +Griechenland mehr scheidet als zusammenknuepft. Um die Stadt Delminium +(an der Cettina bei Trigl) schloss sich hier die Eidgenossenschaft der +Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: waehrend +die Nachbarvoelker bereits zu reicher Kulturentwicklung gelangt waren, +kannte man in Dalmatien noch keine Muenze und teilte den Acker, ohne +daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf +unter die gemeinsaessigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen +bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Voelkerschaften hatten in frueheren +Zeiten in einem losen Abhaengigkeitsverhaeltnis zu den Herren von Skodra +gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den roemischen +Expeditionen gegen die Koenigin Teuta und Demetrios von Pharos; +allein bei dem Regierungsantritt des Koenigs Genthios hatten sie sich +losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das suedliche +Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von +Rom dauernd abhaengig machte. Die Roemer ueberliessen die wenig lockende +Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der roemischen Illyrier, +namentlich der Daorser, die an der Narenta suedlich von den Dalmatern +wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale +Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den +Eingeborenen schwer zu leiden hatten, noetigten die roemische Regierung, +an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort +zurueckbrachte, dass die Dalmater um die Roemer weder bisher sich +gekuemmert haetten noch kuenftig kuemmern wuerden, im Jahre 598 (156) +ein Heer unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er +drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurueckgedraengt bis auf das +roemische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 +(155) die grosse und feste Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft +sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Roemern untertaenig. +Indes war die arme und nur oberflaechlich unterworfene Landschaft nicht +wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnuegte +sich, wie man es schon fuer die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, +sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten +zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre +608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren +nordoestliche Grenze noerdlich von Skodra festgestellt worden war 5. +------------------------------------------------ 5 3, 49. Die Pirusten +in den Taelern des Drin gehoerten zur Provinz Makedonien, streiften +aber hinueber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1). +------------------------------------------------ Aber ebendiese +Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhaengige Landschaft +gab den Beziehungen Roms zu den Voelkern im Nordosten groessere +Bedeutung, indem sie den Roemern die Verpflichtung auferlegte, die +ueberall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen +Staemme zu verteidigen; und in aehnlicher Weise ging nicht lange +darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden +gehoerigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von Gallipoli) die bisher +den Koenigen von Pergamon obliegende Verpflichtung, die Hellenen hier +gegen die Thraker zu schuetzen, gleichfalls auf die Roemer ueber. Von +der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die makedonische Landschaft +darboten, konnten die Roemer jetzt ernstlich gegen das Quellgebiet des +Rheins und die Donau vorgehen und der noerdlichen Gebirge wenigstens +insoweit sich bemaechtigen, als die Sicherheit der suedlichen +Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die +maechtigste Nation das grosse Keltenvolk, welches der einheimischen +Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit +suedlich der Hauptalpenkette in das Potal und noerdlich derselben in die +Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Von ihren +Staemmen sassen auf beiden Ufern des Oberrheins die maechtigen, reichen +und, da sie mit den Roemern nirgends sich unmittelbar beruehrten, mit +ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom Genfer +See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und +Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, +deren Sitze das heutige Bayern und Boehmen gewesen sein moegen 6. +Suedoestlich von ihnen begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in +der Steiermark und Kaernten unter dem Namen der Taurisker, spaeter der +Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre +Stadt Noreia (unweit St. Veit noerdlich von Klagenfurt) war bluehend und +weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen +Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin +gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, bis die +Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen +Zeit fuer sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich +ergiessenden keltischen Schwaerme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur +das Flach- und Huegelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und +ebenso das Gebiet der Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt +und in den Haenden der frueher dort einheimischen Bevoelkerung +geblieben, welche, ohne dass ueber ihre Nationalitaet bis jetzt etwas +Sicheres zu ermitteln gelungen waere, unter dem Namen der Raeter in den +Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der Euganeer und Veneter +um Padua und Venedig auftreten, so dass an diesem letzten Punkt die +beiden grossen Keltenstroeme fast sich beruehren und nur ein schmaler +Streif eingeborener Bevoelkerung die keltischen Cenomaner um Brescia +von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter +waren laengst friedliche Untertanen der Roemer; dagegen die eigentlichen +Alpenvoelker waren nicht bloss noch frei, sondern machten auch von ihren +Bergen herab regelmaessig Streifzuege in die Ebene zwischen den Alpen +und dem Po, wo sie sich nicht begnuegten zu brandschatzen, sondern auch +in den eingenommenen Ortschaften mit fuerchterlicher Grausamkeit hausten +und nicht selten die ganze maennliche Bevoelkerung bis zum Kinde in den +Windeln niedermachten - vermutlich die tatsaechliche Antwort auf die +roemischen Razzias in den Alpentaelern. Wie gefaehrlich diese raetischen +Einfaelle waren, zeigt, dass einer derselben um das Jahr 660 (94) die +ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits diese auf +und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen +Staemme vielfach sich gemischt haben moegen, so ist die Voelkermengung, +wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den +Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren, +die hohen Gebirge als natuerliche Scheidewaende dienen. Die +urspruenglich illyrische Bevoelkerung, deren letzter reiner Ueberrest +die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgaengig wenigstens +im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische +Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl ueberall eingefuehrt. Zunaechst an +die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen +im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng sassen, ein +urspruenglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm. +An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe +Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland +dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor +allem maechtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den +Keltenzuegen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren +Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit +die fuehrende Nation, die weit und breit nach Moesien, Thrakien und +Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten +man sich schreckliche Dinge erzaehlte. Ihr Hauptwaffenplatz war das +feste Segestica oder Siscia an der Muendung der Kulpa in die Save. +Die Voelker, die damals in Ungarn, Siebenbuergen, Rumaenien, Bulgarien +sassen, blieben fuer jetzt noch ausserhalb des Gesichtskreises der +Roemer; nur mit den Thrakern beruehrte man sich an der +Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen. +------------------------------------------- 6 "Zwischen dem Herkynischen +Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem Rhein und dem Main wohnten +die Helvetier", sagt Tacitus (Germ. 28), "weiterhin die Boier." Auch +Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, dass die Boier zu der Zeit, wo +sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen Wald bewohnten, d. h. +die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Boehmerwald. Wenn Caesar sie +"jenseits des Rheines" versetzt (Gall. 1, 5), so ist dies damit nicht +im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhaeltnissen ausgeht, +kann er sehr wohl die Landschaft nordoestlich vom Bodensee meinen; womit +vollkommen uebereinstimmt, dass Strabon die ehemals boische Landschaft +als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur dass er nicht ganz genau als +Anwohner des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort +erst festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geraeumt hatten. Aus +diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen +deutschen Staemmen schon vor Poseidonios' Zeit, also vor 650 (100) +vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kaernten +umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das +westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, +wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die +sogenannte "boische Einoede", den Namen dieses geplagtesten +aller keltischen Voelker bewahrte. Vgl. 2, 193 A. +------------------------------------------ Es waere fuer eine +kraeftigere Regierung, als die damalige roemische es war, keine leichte +Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine +geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den +Auspizien der Restaurationsregierung fuer den wichtigen Zweck geschah, +genuegt auch den maessigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen +die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118) +ward triumphiert ueber die Stoener, die in den Bergen oberhalb Verona +gesessen haben duerften; im Jahre 659 (95) liess der Konsul Lucius +Crassus die Alpentaeler weit und breit durchstoebern und die Einwohner +niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben genug zu +erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den +Siegerlorbeer paaren zu koennen. Allein da man es bei derartigen +Razzias bewenden liess, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne +sie unschaedlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen +Ueberlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der +Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war. Auf der +entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die +Nachbarn bekuemmert zu haben; kaum dass im Jahre 651 (103) Gefechte +mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Maedern in den +Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwaehnt werden. +Ernstlichere Kaempfe fanden statt im illyrischen Land, wo ueber +die unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der +Adriatischen See bestaendig Beschwerde gefuehrt ward; und an der voellig +offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck +eines Roemers so weit ging als die roemischen Schwerter und Speere +reichten, ruhten die Kaempfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619 +(135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyaeer oder Vardaeer und die +Pleraeer oder Paralier, eine dalmatische Voelkerschaft in dem Litoral +noerdlich der Narentamuendung, die nicht aufhoerte, auf dem Meer und an +der gegenueberliegenden Kueste Unfug zu treiben; auf Geheiss der +Roemer siedelten sie von der Kueste weg im Binnenland, der heutigen +Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkuemmerten aber +in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward +von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die +vermutlich mit den angegriffenen Kuestenbewohnern gemeinschaftliche +Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demuetigte der Konsul +Tuditanus in Verbindung mit dem tuechtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger +der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfaenglich +eine Niederlage erlitten, schliesslich die roemischen Waffen tief nach +Dalmatien hinein bis an den Kerkafluss, 25 deutsche Meilen abwaerts von +Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom +in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre spaeter +(635 119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den +Skordiskern. Waehrend gegen diese der Konsul Lucius Cotta kaempfte und +dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater +sein Kollege, der aeltere Bruder des Besiegten von Numidien, +Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, ueberwand sie +und ueberwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der +Hauptwaffenplatz der Roemer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht +unwahrscheinlich, dass in diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen +Chaussee faellt, die von Salona in oestlicher Richtung nach Andetrium +(bei Much) und von da weiter landeinwaerts fuehrte. Mehr den Charakter +des Eroberungskrieges trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 +(115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker 7; er ueberstieg, +der erste unter den Roemern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten +Senkung zwischen Triest und Laibach und schloss mit den Tauriskern +Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert +ward, ohne dass doch die Roemer, wie eine foermliche Unterwerfung dies +nach sich gezogen haben wuerde, in die Voelkerbewegungen nordwaerts +der Alpen hineingezogen worden waeren. +---------------------------------------------------------------------- +7 Galli Karni heissen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn +so ist statt des ueberlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) +bei Victor. +----------------------------------------------------------------------- +Von den fast verschollenen Kaempfen mit den Skordiskern ist durch +einen kuerzlich in der Naehe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen +Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung +deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel +in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos +(unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten +gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quaestor Marcus Annius mit +seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermassen Herr geworden +war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem Koenig +der Maeder (am oberen Strymon) Tipas in noch groesseren Massen abermals +ein, und mit Muehe erwehrten sich die Roemer der andringenden Barbaren +8. Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, dass es noetig +wurde, konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre +darauf wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den +serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern ueberfallen und sein Heer +vollstaendig aufgerieben, waehrend er selbst mit wenigen schimpflich +entfloh; muehsam schirmte der Praetor Marcus Didius die roemische +Grenze. Gluecklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius +(641, 642 113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste +roemische Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus +(644-647 110-107), der die Waffen laengs der Morawa ^10 trug und die +Skordisker nachdruecklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie +bald nachher, im Bunde wieder mit den Maedern und den Dardanern, in das +roemische Gebiet und pluenderten sogar das delphische Heiligtum; erst +da machte Lucius Scipio dem zweiunddreissigjaehrigen Skordiskerkrieg +ein Ende und trieb den Rest hinueber auf das linke Ufer der Donau ^11. +Seitdem beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) +in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die +erste Rolle zu spielen. ------------------------------------------------ +8 Der Quaestor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete +(Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der +Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist +sonst nicht bekannt; der Praetor Sex. Pompeius, dessen Fall darin +erwaehnt wird, kann kein anderer sein als der Grossvater des Pompeius, +mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde +werden bezeichnet als Galat/o/n ethnos. Es wird hervorgehoben, +dass Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterliess, ihre +Kontingente aufzubieten und mit den roemischen Truppen allein die +Barbaren zuruecktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals +eine faktisch stehende roemische Besatzung erfordert. 9 Ist Quintus +Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen (CIG +1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S. +167), so muss auch er dort einen Misserfolg erlitten haben, da Cicero +(Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari +quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die +fuer diese Epoche vollstaendige Triumphalliste kennt nur die drei +makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des Drusus 644 (110) und +des Minucius 648 (106). ^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius +und Eutrop die von Minucius besiegte Voelkerschaft die Skordisker waren, +so kann es nur ein Fehler von Florus sein, dass er statt des Margos +(Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt. ^11 Von dieser Vernichtung +der Skordisker, waehrend die Maeder und Dardaner zum Vertrag zugelassen +wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind seitdem die +Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schliessliche +Ueberwaeltigung im 32. Jahr apo t/e/s pr/o/t/e/s eis Kelto?s peiras +stattgefunden hat, so scheint dies von einem zweiunddreissigjaehrigen +Krieg zwischen den Roemern und den Skordiskern verstanden werden zu +muessen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach der Konstituierung +der Provinz Makedonien (608 146) faellt und von dem die oben +verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. Dass die +Ueberwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Buergerkriege, also +wohl spaetestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzaehlung +hervor. Sie faellt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein +Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis +vollstaendig; indes ist es moeglich, dass es aus irgendeinem Grund zum +Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht bekannt; vielleicht ist +es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 (83), da dieser infolge +der cinnanisch- marianischen Wirren fueglich verspaetet zum Konsulat +gelangt sein kann. ------------------------------------------------- +Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten. +Schon seit laengerer Zeit irrte ein "unstetes Volk" an dem noerdlichen +Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen +Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heisst die Chempho, +die Kaempen oder, wie ihre Feinde uebersetzten, die Raeuber, welche +Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum +Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stiessen unter den +Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Boehmen. +Genaueres ueber die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben +die Zeitgenossen aufzuzeichnen versaeumt ^12 und kann auch durch keine +Mutmassung ergaenzt werden, da die derzeitigen Zustaende noerdlich von +Boehmen und dem Main und oestlich vom unteren Rheine unseren Blicken +sich vollstaendig entziehen. Dagegen dafuer, dass die Kimbrer und nicht +minder der ihnen spaeter sich anschliessende gleichartige Schwarm der +Teutonen ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehoeren, der +die Roemer sie anfaenglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen +die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger +Staemme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurueckgebliebener Reste, +der Kimbrer im heutigen Daenemark, der Teutonen im nordoestlichen +Deutschland in der Naehe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des +Grossen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels +gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen +Voelkertafel unter den Ingaevonen neben den Chaukern; das Urteil +Caesars, der zuerst die Roemer den Unterschied der Deutschen und der +Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen +gesehen haben muss, den Deutschen beizaehlt; endlich die Voelkernamen +selbst und die Angaben ueber ihre Koerperbildung und ihr sonstiges +Wesen, die zwar auf die Nordlaender ueberhaupt, aber doch vorwiegend auf +die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, dass ein solcher +Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich +befunden und auf seinen Zuegen an und in dem Keltenland ohne Zweifel +jeden Waffenbruder, der sich anschloss, willkommen geheissen hatte, eine +Menge keltischer Elemente in sich schloss; so dass es nicht befremdet, +wenn Maenner keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder +wenn die Roemer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu +kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Roemer noch +nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht +ein "heiliger Lenz" in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern +ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog, +eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der ueberall bei den noch +nicht voellig sesshaft gewordenen Voelkern des Nordens eine andere +Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den +Kelten durchgaengig ins Lager mitgefuehrt ward, war hier gleichsam das +Haus, wo unter dem uebergespannten Lederdach neben dem Geraet Platz +sich fand fuer die Frau und die Kinder und selbst fuer den Haushund. Die +Suedlaender sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit +den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen +Frauen, die den Maennern an Groesse und Staerke wenig nachgaben, +die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die +flachskoepfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war +wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die +italischen, barhaeuptig und bloss mit Schwert und Dolch fochten, +sondern mit kupfernen, oft reichgeschmueckten Helmen und mit einer +eigentuemlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das grosse Schwert +geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch +einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Roemer in +dieser Waffe ihnen ueberlegen. Die Schlachtordnung war wie frueher eine +rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, +deren erstes Glied in gefaehrlichen Gefechten nicht selten die +metallenen Leibguertel mit Stricken zusammenknuepfte. Die Sitten waren +rauh. Das Fleisch ward haeufig roh verschlungen. Heerkoenig war der +tapferste und womoeglich der laengste Mann. Nicht selten ward, nach Art +der Kelten und ueberhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher +mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein +einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf +machten Verhoehnungen des Feindes durch unschickliche Gebaerden und ein +entsetzliches Gelaerm, indem die Maenner ihr Schlachtgebruell erhoben +und die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel +nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem +Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes wuerdig war +-, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste +Bestialitaet und verhiess auch wohl im voraus den Schlachtgoettern, +darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben wuerde. Dann +wurden die Geraete zerschlagen, die Pferde getoetet, die Gefangenen +aufgeknuepft oder nur aufbehalten, um den Goettern geopfert zu werden. +Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weissen linnenen Gewaendern +und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen +und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder +Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner +Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie +viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die +Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer +geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art +angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte +Land, ein ungeheures Knaeuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern +deutscher Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht +unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten aehnlich +belastet und aehnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein +uebers Meer fahren; ihre schwerfaellige Wagenburg mit der Gewandtheit, +die ein langes Wanderleben gibt, hinueberfuehrend ueber Stroeme und +Gebirge, gefaehrlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und +die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch +vordringend, bald ploetzlich stockend oder seitwaerts und rueckwaerts +sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren +sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in +der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten haette, das +wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man spaeter anfing, die Kette +zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den +Kreis der antiken Zivilisation beruehrt hat, ein Glied ist, war die +unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen. +------------------------------------------------------ ^12 Denn der +Bericht, dass an den Kuesten der Nordsee durch Sturmfluten grosse +Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der +Kimbrer veranlasst worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns +nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, maerchenhaft, allein ob er +auf Ueberlieferung oder Vermutung sich gruendet, ist doch nicht zu +entscheiden. ------------------------------------------------------ Dies +heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau, +namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Sueden vorzudringen, +durchbrach diese Schranke infolge der von den Roemern gegen die +Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, dass die Donaukelten die +kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen, +oder dass jene durch den Angriff der Roemer verhindert wurden, ihre +Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch das Gebiet der Skordisker +einrueckend in das Tauriskerland, naeherten sie im Jahre 641 (113) sich +den Krainer Alpenpaessen, zu deren Deckung der Konsul Gnaeus Papirius +Carbo auf den Hoehen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier hatten +siebzig Jahre zuvor keltische Staemme sich diesseits der Alpen +anzusiedeln versucht, aber auf Geheiss der Roemer den schon okkupierten +Boden ohne Widerstand geraeumt; auch jetzt erwies die Furcht der +transalpinischen Voelker vor dem roemischen Namen sich maechtig. Die +Kimbrer griffen nicht an; ja sie fuegten sich, als Carbo sie das Gebiet +der Gastfreunde Roms, der Taurisker, raeumen hiess, wozu der Vertrag mit +diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den Fuehrern, die ihnen +Carbo gegeben hatte, um sie ueber die Grenze zu geleiten. Allein diese +Fuehrer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen Hinterhalt zu +locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im heutigen +Kaernten zum Kampf, in dem die Verratenen ueber den Verraeter siegten +und ihm betraechtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das +die Kaempfenden trennte, verhinderte die vollstaendige Vernichtung +der roemischen Armee. Die Kimbrer haetten sogleich ihren Angriff gegen +Italien richten koennen; sie zogen es vor, sich westwaerts zu wenden. +Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als durch Gewalt +der Waffen eroeffneten sie sich den Weg auf das linke Rheinufer und +ueber den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos Niederlage +abermals in naechster Naehe das roemische Gebiet. Die Rheingrenze und +das zunaechst gefaehrdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien +645 (109) im suedlichen Gallien ein roemisches Heer unter Marcus Iunius +Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich +niederlassen koennten - eine Bitte, die sich allerdings nicht gewaehren +liess. Der Konsul griff statt aller Antwort sie an; er ward vollstaendig +geschlagen und das roemische Lager erobert. Die neuen Aushebungen, +welche durch diesen Unfall veranlasst wurden, stiessen bereits auf +so grosse Schwierigkeit, dass der Senat deshalb die Aufhebung der +vermutlich von Gaius Gracchus herruehrenden, die Verpflichtung zum +Kriegsdienst der Zeit nach einschraenkenden Gesetze bewirkte. Indes die +Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Roemer zu verfolgen, sandten an +den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von Land zu wiederholen, und +beschaeftigten sich inzwischen, wie es scheint, mit der Unterwerfung +der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor den Deutschen die +roemische Provinz und die neue roemische Armee fuer den Augenblick Ruhe; +dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die Helvetier, +die in den steten Kaempfen mit ihren nordoestlichen Nachbarn viel zu +leiden hatten, fuehlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt, +gleichfalls im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze +zu suchen, und hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr +Land zogen, sich dazu mit ihnen verbuendet; jetzt ueberschritten unter +Divicos Fuehrung die Mannschaften der Tougener (unbekannter Lage) und +der Tigoriner (am See von Murten) den Jura ^13 und gelangten bis in +das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne). Das roemische Heer +unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier stiessen, +liess sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der +Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem +groessten Teil der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische +Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich in das Lager gerettet +hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug unter dem Joch gegen +Auslieferung der Haelfte der Habe, die die Truppen mit sich fuehrten, +und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich standen die Dinge fuer +die Roemer, dass in ihrer eigenen Provinz eine der wichtigsten Staedte, +Tolosa, sich gegen sie erhob und die roemische Besatzung in Fesseln +schlug. ------------------------------------- ^13 Die gewoehnliche +Annahme, dass die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern zugleich in +Gallien eingerueckt seien, laesst sich auf Strabon 7, 293 nicht stuetzen +und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die +Ueberlieferung ueber diesen Krieg ist uebrigens in einer Weise +truemmerhaft, dass eine zusammenhaengende Geschichtserzaehlung, +voellig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf +ungefaehre Richtigkeit. -------------------------------------- Indes +da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die +Helvetier vorlaeufig die roemische Provinz nicht weiter belaestigten, +hatte der neue roemische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle +Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu bemaechtigen und +das alte und beruehmte Heiligtum des Keltischen Apollon von den +darin aufgehaeuften ungeheuren Schaetzen mit Musse zu leeren - ein +erwuenschter Gewinn fuer die bedraengte Staatskasse, nur dass leider +die Gold- und Silberfaesser auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der +schwachen Bedeckung durch einen Raeuberhaufen abgenommen wurden +und spurlos verschwanden; wie es hiess, waren die Anstifter dieses +Ueberfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen +beschraenkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive +und huetete mit drei starken Heeren die roemische Provinz, bis es den +Kimbrern gefallen wuerde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre +649 (105) unter ihrem Koenig Boiorix, diesmal ernstlich denkend an +einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der +Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter +ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular +Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward voellig +geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht, +wo der kimbrische Koenig, erzuernt ueber die stolze Warnung des +gefangenen Roemers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen, +ihn niederstiess. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer ueber +die Rhone zu fuehren; widerwillig sich fuegend erschien dieser endlich +bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze +roemische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenueberstand und ihm durch ihre +ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, dass die Kimbrer anfingen +zu unterhandeln. Allein die beiden Fuehrer lebten im heftigsten +Zerwuerfnis. Maximus, ein geringer und unfaehiger Mann, war als Konsul +seinem stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten +prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen uebergeordnet; allein +dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und +gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie +vor sein selbstaendiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des +roemischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persoenliche +Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, erweiterte +nur den Riss. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer +verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung +allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst +auf den Feind. Er ward voellig vernichtet, so dass auch das Lager dem +Feinde in die Haende fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog +die nicht minder vollstaendige Niederlage der zweiten roemischen Armee +nach sich. Es sollen 80000 roemische Soldaten und halb soviel von dem +ungeheuren und unbehilflichen Tross gefallen, nur zehn Mann entkommen +sein - so viel ist gewiss, dass es nur wenigen von den beiden Heeren +gelang, sich zu retten, da die Roemer mit dem Fluss im Ruecken gefochten +hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag +von Cannae weit ueberbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus, +des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck +voruebergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfaellen +zu eroeffnen; die Unueberwindlichkeit der roemischen Waffen stand so +unerschuetterlich fest, dass es ueberfluessig schien, die ziemlich +zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das +den unverteidigten Alpenpaessen in erschreckender Weise sich naehernde +Kimbrerheer, die sowohl in der roemischen Landschaft jenseits der +Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstaerkt ausbrechende +Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens ruettelten furchtbar auf +aus diesen Traeumen. Man gedachte wieder der nie voellig vergessenen +Keltenstuerme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des +Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich aeltester Erinnerung +und frischester Angst kam der Gallierschreck ueber Italien; im ganzen +Okzident schien man es inne zu werden, dass die Roemerherrschaft +anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch +Senatsbeschluss die Trauerzeit abgekuerzt ^14. Die neuen Werbungen +stellten den drueckendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfaehigen +Italiker mussten schwoeren, Italien nicht zu verlassen; die Kapitaene +der in den italischen Haefen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen +dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was +haette kommen moegen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg +durch die Alpenpforten in Italien eingerueckt waeren. Indes sie +ueberschwemmten zunaechst das Gebiet der Arverner, die muehsam in +ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der +Belagerung muede, nicht nach Italien, sondern westwaerts gegen die +Pyrenaeen. ---------------------------------------------- ^14 +Hierher gehoert ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122. +---------------------------------------------- Wenn der erstarrte +Organismus der roemischen Politik noch aus sich selber zu einer +heilsamen Krise gelangen konnte, so musste sie jetzt eintreten, wo durch +einen der wunderbaren Gluecksfaelle, an denen die Geschichte Roms so +reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen +Patriotismus in der Buergerschaft aufzuruetteln, und doch nicht so +ploetzlich hereinbrach, dass diesen Kraeften kein Raum geblieben waere, +sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur ebendieselben +Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den afrikanischen Niederlagen +eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen und die gallischen +Unfaelle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, dass zunaechst jene mehr +der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last fielen; +allein die oeffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor +allen Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender +Entwicklung zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz +in Frage stellte. Man taeuschte sich damals so wenig wie jetzt ueber den +wahren Sitz des Uebels, allein jetzt so wenig wie damals brachte man es +auch nur zu einem Versuch, an der rechten Stelle zu bessern. Man sah es +wohl, dass das System die Schuld trug; aber man blieb auch diesmal +dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud +freilich ueber den Haeuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich +mit um so viel schwereren Schlaegen, als die Katastrophe von 649 +(105) die von 645 (109) an Umfang und Gefaehrlichkeit uebertraf. +Das instinktmaessig sichere Gefuehl des Publikums, dass es gegen die +Oligarchie kein Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum, +indem dasselbe bereitwillig einging auf jeden Versuch namhafter +Offiziere, der Regierung die Hand zu zwingen und unter dieser oder +jener Form das oligarchische Regiment durch eine Diktatur zu stuerzen. +Zunaechst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten; +mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunaechst durch +seine Unbotmaessigkeit herbeigefuehrt war, auch abgesehen von der +wahrscheinlich gegruendeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der +tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn +entwickelte, wesentlich auch das bei, dass er als Konsul einen Versuch +gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreissen. Um +seinetwillen ward der alte ehrwuerdige Grundsatz, auch im schlechtesten +Gefaess die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, waehrend gegen +den Urheber des cannensischen Unglueckstages der Tadel in die stille +Brust verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio +durch Volksbeschluss des Prokonsulats entsetzt und - was seit den +Krisen, in denen das Koenigtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen +war - sein Vermoegen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht +lange nachher wurde derselbe durch einen zweiten Buergerschluss aus dem +Senat gestossen (650 104). Aber dies genuegte nicht; man wollte mehr +Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter +Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius +Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen +Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen; +trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der +Todesstrafe fuer politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die +Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil ueber ihn zu faellen +und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische +Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune +wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen +Auflauf die ersten Maenner des Senats durch Steinwuerfe verletzt. Die +Untersuchung war nicht zu verhindern und der Prozesskrieg ging im Jahre +651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; Caepio selbst, sein Kollege +im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche andere angesehene +Maenner wurden verurteilt; mit Muehe gelang es einem mit Caepio +befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen buergerlichen +Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu retten ^15. +------------------------------------------ ^15 Die Amtsentsetzung des +Prokonsuls Caepio, mit der die Vermoegenseinziehung verbunden war (Liv. +ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht von Arausio +(6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Dass +zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit +verstrich, zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio +gemuenzte Antrag, dass Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat +nach sich ziehen solle (Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus +(p. 10: Cn. Manilius ob eandem causam quam et Caepio L. Saturnini +rogatione e civitate est cito [?] eiectus; wodurch die Andeutung bei +Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt, dass ein von +Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe +herbeigefuehrt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das +Appuleische Gesetz ueber die geschmaelerte Majestaet des roemischen +Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt +desselben schon frueher (Bd. 2, S. 193 der ersten Auflage +[Orig.]) bestimmt ward, Saturninus' Antrag auf Niedersetzung einer +ausserordentlichen Kommission zur Untersuchung der waehrend +der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverraetereien. Die +Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3, +30, 74) entsprang in ganz aehnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz, +wie die dort weiter genannten Spezialgerichte ueber eine aergerliche +Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die ueber die +Vorgaenge mit den Vestalinnen aus dem Peducaeischen von 641 (113), die +ueber den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110). +Die Vergleichung dieser Faelle lehrt auch, dass von dergleichen +Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen +an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn +anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird, +der das Verfahren gegen Caepio veranlasste und dafuer spaeter zur +Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200. +part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn +der Antrag ging, wie gewoehnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet. +Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits tot +war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung zu +ueben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten und +schliesslichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewoehnliche, +sehr unueberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), +zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits frueher +zurueckgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, dass Crassus als +Konsul, also 659 (95) fuer Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er +aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus +wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius +Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Frueher wurde fuer diese +zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, dass +sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken +zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros. +hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum +zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden +sich nicht, aber die sehr ueberwiegende Wahrscheinlichkeit spricht fuer +das erstere Jahr, teils weil dies den Ungluecksfaellen in Gallien +naeher steht, teils weil in den ziemlich ausfuehrlichen Berichten ueber +Saturninus' zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen +diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Dass die infolge +der Urteilssprueche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den +Staatsschatz zurueckgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat +fuer seine Kolonisationsplaene in Anspruch genommen werden (Vir. ill. +73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht +entscheidend und kann ueberdies leicht durch Verwechslung von dem ersten +afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus +uebertragen worden sein. Dass spaeterhin, als Norbanus belangt ward, +dies eben auf Grund des von ihm mitveranlassten Gesetzes geschah, ist +eine dem roemischen politischen Prozess dieser Zeit gewoehnliche Ironie +(Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als +sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spaetere Cornelische, +ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen. +------------------------------------------------ Wichtiger als diese +Massregel der Rache war die Frage, wie der gefaehrliche Krieg +jenseits der Alpen ferner gefuehrt und zunaechst, wem darin die +Oberfeldherrnschaft uebertragen werden sollte. Bei unbefangener +Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war +zwar im Vergleich mit frueheren Zeiten an militaerischen Notabilitaeten +nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus +Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den Donaulaendern, Quintus +Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Afrika mit +Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen +Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens +gegenueber die oft erprobte Ueberlegenheit roemischer Waffen und +roemischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines +genialen, sondern nur eines strengen und tuechtigen Kriegsmanns +bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher moeglich war +als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung +war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische +Krieg gezeigt hatte, in der oeffentlichen Meinung so vollstaendig +bankrott, dass ihre tuechtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn +weichen mussten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem +Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich an +die Spitze der Geschaefte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, +dass, was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich +wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus Caepio. +Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat mehr als +einmal zu uebernehmen verbot, auf als Bewerber um das hoechste Staatsamt +und nicht bloss ward er, waehrend er noch in Afrika an der Spitze des +dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in +dem Gallischen Krieg uebergeben, sondern es ward ihm auch fuenf +Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das Konsulat +uebertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter Hohn +gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen Torheit +und Kurzsichtigkeit bewaehrten exklusiven Geist der Nobilitaet, aber +freilich auch in den Annalen der Republik unerhoert und in der Tat mit +dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unvertraeglich +war. Namentlich in dem roemischen Militaerwesen, dessen im Afrikanischen +Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Buergerwehr in eine Soeldnerschar +Marius waehrend seines fuenfjaehrigen, durch die Not der Zeit mehr noch +als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschraenkten +Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser +inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen +Generals fuer alle Zeit sichtbar geblieben. Der neue Oberfeldherr Gaius +Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der Alpen, gefolgt von einer +Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kuehne Faenger des Jugurtha, +Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von zahlreichen Scharen +italischer und bundesgenoessischer Soldaten. Zunaechst fand er den +Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, +die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, +nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, ueber +die Pyrenaeen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den +tapferen Bewohnern der Nordkueste und des Binnenlandes herum; es schien, +als wollten die Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei +ihrem ersten Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius +volle Zeit, einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam +zurueckzubringen, die schwankende Treue der untertaenigen gallischen und +ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie ausserhalb +der roemischen Provinz von den gleich den Roemern durch die Kimbrer +gefaehrdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den +Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits +durch strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme +und Geringe das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch +Maersche und ausgedehnte Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung +eines spaeter den Massalioten ueberwiesenen Rhonekanals zur leichteren +Herbeischaffung der von Italien dem Heer nachgesandten Transporte - +die Soldaten fuer die ernstere Kriegsarbeit tuechtig zu machen. Auch er +verhielt sich in strenger Defensive und ueberschritt nicht die Grenzen +der roemischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651 +(103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen +Widerstand der eingeborenen Voelkerschaften, namentlich der Keltiberer +sich gebrochen hatte, wieder zurueck ueber die Pyrenaeen und von da, +wie es scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen +Maennern sich unterwarf, von den Pyrenaeen bis zur Seine. Erst hier, an +der Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen +sie auf ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, waehrend sie +im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher +Zuzug. Nicht bloss drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner +und Tougener, welche frueher an der Garonne gegen die Roemer gefochten +hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern, +sondern es stiessen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter +ihrem Koenig Teutobod, welche durch uns nicht ueberlieferte Fuegungen +aus ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen +waren ^16. Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen +Widerstand der Belgen nicht zu ueberwaeltigen. Die Fuehrer entschlossen +sich daher, mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals +beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit +dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier +zurueckgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus +denen spaeter nach mancherlei Irrfahrten die Voelkerschaft der Aduatuker +an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen +Verpflegung auf den Alpenstrassen, sei es aus anderen Gruenden, die +Massen loesten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine, +die Kimbrer und Tigoriner, ueber den Rhein zurueck und durch die schon +im Jahre 641 (113) erkundeten Paesse der Ostalpen, der andere, die +neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von +Arausio bewaehrte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das roemische +Gallien und die Westpaesse nach Italien eindringen sollte. Diese zweite +Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die Rhone +ueberschritt und am linken Ufer derselben mit den Roemern den Kampf nach +fast dreijaehriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in einem +wohlgewaehlten und wohlverproviantierten Lager am Einfluss der Isere in +die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals gangbaren +Heerstrassen nach Italien, die ueber den Kleinen Bernhard und die an der +Kueste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager +an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm +der Barbaren um die roemischen Verschanzungen, aber der wilde Mut +scheiterte an der Ueberlegenheit der Roemer im Festungskrieg und an der +Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich die +dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fuerbass +nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran +vorueber, ein Beweis mehr noch fuer die Schwerfaelligkeit ihres Trosses +als fuer ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr liess es geschehen ohne +anzugreifen; dass er durch den hoehnischen Zuruf der Feinde, ob die +Roemer nicht Auftraege haetten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren +liess, ist begreiflich, aber dass er dies verwegene Vorbeidefilieren +der feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten roemischen Masse nicht +benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeuebten Soldaten +vertraute. Als der Zug vorueber war, brach auch er sein Lager ab und +folgte dem Feinde auf dem Fuss, in strenger Ordnung und Nacht fuer Nacht +sich sorgfaeltig verschanzend. Die Teutonen, die der Kuestenstrasse +zustrebten, gelangten laengs der Rhone hinabmarschierend bis in die +Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Roemern. Beim Wasserschoepfen +stiessen hier die leichten ligurischen Truppen der Roemer mit der +feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald +allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Roemer und verfolgten +den weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glueckliche +Zusammenstoss erhoehte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am +dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Huegel, dessen Spitze +das roemische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. +Die Teutonen, laengst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, +stuermten sofort den Huegel hinauf und begannen das Gefecht. Es war +ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die +Mauern; allein die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte +ihre Sehnen und ein blinder Laerm in ihrem Ruecken, wo ein Haufen +roemischer Trossbuben aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem +Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Aufloesung der +schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie +begreiflich in dem fremden Lande, entweder getoetet oder gefangen; +unter den Gefangenen war der Koenig Teutobod, unter den Toten eine +Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als +Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr +sich hatten niedermachen lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem +sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Goetter und der heiligen +Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten +(Sommer 652 102). ----------------------------------------------- ^16 +Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhaeltnismaessig +zuverlaessigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen +ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei +Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen +schon frueher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von +Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind verbunden die +Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer +in die roemische Provinz und nach Italien nur die Expedition von 652 +(102) gemeint sein kann. ---------------------------------------------- +So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon +standen deren Waffenbrueder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern +verbuendet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in +das obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpass +ueberschritten und waren von da durch die Taeler der Eisack und Etsch +hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus +Lutatius Catulus die Paesse bewachen; allein der Gegend nicht voellig +kundig und fuerchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut, +in die Alpen selbst vorzuruecken, sondern unterhalb Trient am linken +Ufer der Etsch sich aufgestellt und fuer alle Faelle den Rueckzug auf +das rechte durch Anlegung einer Bruecke sich gesichert. Allein als nun +die Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein +panischer Schreck das roemische Heer und Legionaere und Reiter liefen +davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die naechste +Anhoehe, die Sicherheit zu gewaehren schien. Mit genauer Not brachte +Catulus wenigstens den groessten Teil seines Heeres durch eine +Kriegslist wieder an den Fluss und ueber die Bruecke zurueck, ehe es den +Feinden, die den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Baeume +und Balken gegen die Bruecke hinabtreiben liessen, gelang, diese zu +zerstoeren und damit dem Heer den Rueckzug abzuschneiden. Eine Legion +indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer zuruecklassen muessen und +bereits wollte der feige Tribun, der sie fuehrte, kapitulieren, als +der Rottenfuehrer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstiess und mitten +durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich +durchschlug. So war das Heer und einigermassen selbst die Waffenehre +gerettet; allein die Folgen der versaeumten Besetzung der Paesse und des +uebereilten Rueckzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus musste auf +das rechte Ufer des Po sich zurueckziehen und die ganze Ebene zwischen +dem Po und den Alpen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so dass man die +Verbindung mit Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im +Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und +den Roemern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Haetten die Kimbrer +ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr +bedraengte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, +blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die +ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Baeder, die neuen +reichlichen Speisen und Getraenke sie einluden, es sich vorlaeufig wohl +sein zu lassen. Dadurch gewannen die Roemer Zeit, ihnen mit +vereinigten Kraeften in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der +demokratische General sonst wohl getan haben wuerde, den unterbrochenen +Eroberungsplan des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen +haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde +das siegreiche Heer an den Po gefuehrt und nach kurzem Verweilen in +der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach voelliger +Ueberwindung der Barbaren zurueckwies, traf auch Marius selbst bei den +vereinigten Armeen ein. Im Fruehjahr 653 (101) ueberschritten sie, 50000 +Mann stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum +den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flussaufwaerts +marschiert zu sein scheinen, um den maechtigen Strom an seiner Quelle zu +ueberschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Muendung der Sesia in den +Po ^17, ebenda, wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden +geschlagen hatte, trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer +wuenschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte gemaess, zu den +Roemern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen und +nannte den naechsten Tag - es war der 30. Juli 653 (101) - und das +Raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die ueberlegene roemische +Reiterei einen vorteilhaften Spielraum fand. Hier stiess man auf den +Feind, erwartet und doch ueberraschend; denn in dem dichten Morgennebel +fand sich die kimbrische Reiterei im Handgemenge mit der staerkeren +roemischen, ehe sie es vermutete, und ward von ihr zurueckgeworfen auf +das Fussvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit geringen Opfern ward +ein vollstaendiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Gluecklich +mochte heissen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter +ihnen der tapfere Koenig Boiorix; gluecklicher mindestens als die, +die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf +dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mussten, der dem einzelnen +Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des schoenen Suedens begehrt zu +haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen +der Alpen zurueckgeblieben waren, um den Kimbrern spaeter zu folgen, +verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimat. Die +Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro, +von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte unter der +Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der deutschen +Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk +der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr. +------------------------------------------------- ^17 Man hat nicht wohl +getan, von der Ueberlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona +zu verlegen; wobei uebersehen ward, dass zwischen den Gefechten an der +Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache +Truppenbewegungen liegen, und dass Catulus nach ausdruecklicher Angabe +(Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurueckgewichen war. Auch +die Angaben, dass am Po (Hier. chron. a. Abr.) und dass da, wo Stilicho +spaeter die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer +geschlagen wurden, fuehren, obwohl beide ungenau, doch viel eher +nach Vercellae als nach Verona. +--------------------------------------------------- Ueber den Leichen +haderten die politischen Parteien Roms ihren kuemmerlichen Hader weiter, +ohne um das grosse Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekuemmern, davon +hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu +geben dem reinen Gefuehl, dass an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms +Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalitaet der beiden +Feldherren, die nicht bloss politische Gegner, sondern auch durch den +so verschiedenen Erfolg der beiden vorjaehrigen Feldzuege militaerisch +gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwaertigsten +Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, dass das Mitteltreffen, +das er befehligte, den Sieg entschieden habe und dass von seinen Leuten +einunddreissig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien +- seine Soldaten fuehrten sogar die Abgeordneten der Stadt Parma durch +die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, dass Marius tausend geschlagen +habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als der +eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloss, weil er +kraft seines hoeheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl +gefuehrt hatte und an militaerischer Begabung und Erfahrung seinem +Kollegen ohne Zweifel weit ueberlegen war, sondern vor allem, weil der +zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur moeglich geworden war durch den +ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger +diese Erwaegungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom +errettet zu haben ganz und voll an Marius' Namen knuepften, als die +politischen Parteiruecksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter +Mann, ein so anmutiger Sprecher, dass der Wohllaut seiner Worte fast +wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und +Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter; +aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein +Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des groben Bauern, welcher +von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk +zum Siege gefuehrt hatte, diese Schlachten waren nicht bloss Niederlagen +der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es +knuepften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, dass man +wieder ungestoert jenseits der Alpen Geldgeschaefte machen oder +diesseits den Acker bauen koenne. Zwanzig Jahre waren verstrichen, +seit Gaius Gracchus' blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit +zwanzig Jahren ward das Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen +und verwuenscht; immer noch war dem Gracchus kein Raecher, seinem +angefangenen Bau kein zweiter Meister erstanden. Es hassten und hofften +viele, viele von den schlechtesten und viele von den besten Buergern des +Staats; war der Mann, der diese Rache und diese Wuensche zu erfuellen +verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tageloehners von Arpinum? +Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefuerchteten und +vielersehnten zweiten Revolution? 6. Kapitel Revolutionsversuch des +Marius und Reformversuch des Drusus Gaius Marius ward, eines +armen Tageloehners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in dem damals +arpinatischen Dorfe Cereatae, das spaeter als Cereatae Marianae +Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen "Mariusheimat" (Casamare) +traegt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so duerftigen Verhaeltnissen, +dass sie ihm selbst zu den Gemeindeaemtern von Arpinum den Zugang +zu verschliessen schienen; er lernte frueh, was er spaeter noch als +Feldherr uebte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkaelte ertragen +und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte, +war er in das Heer eingetreten und hatte in der schweren Schule der +Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier emporgedient; in Scipios +Numantinischem Kriege zog er, damals dreiundzwanzigjaehrig, des strengen +Feldherrn Augen auf sich durch die saubere Haltung seines Pferdes und +seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares +Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und +kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der ruehmlich +betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den +damaligen Verhaeltnissen konnte zu den politischen Aemtern, die allein +zu hoeheren Militaerstellen fuehrten, auch der verdienteste Mann nicht +gelangen ohne Vermoegen und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen +Offizier zuteil durch glueckliche Handelsspekulationen und durch die +Verbindung mit einem Maedchen aus dem altadligen Geschlecht der +Julier; so gelangte er unter grossen Anstrengungen und nach vielfachen +Misserfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Praetur, in welcher er als +Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militaerische Tuechtigkeit +aufs neue zu bewaehren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie +zum Trotz im Jahre 647 (107) das Konsulat uebernahm und als Prokonsul +(648, 649 106, 105) den Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem +Unglueckstag von Arausio zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen +berufen, unter viermal vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) +wiederholter, in den Annalen der Republik beispielloser Erneuerung +des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen +ueberwand und vernichtete, ist bereits erzaehlt worden. In seinem +Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen +Mann, der unparteiisch Recht sprach, ueber die Beute mit seltener +Ehrlichkeit und Uneigennuetzigkeit verfuegte und durchaus unbestechlich +war; als einen geschickten Organisator, der die einigermassen +eingerostete Maschine des roemischen Heerwesens wieder in brauchbaren +Stand gesetzt hatte; als einen faehigen Feldherrn, der den Soldaten +in Zucht und doch bei guter Laune erhielt und zugleich im +kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber +kuehn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine +militaerische Kapazitaet im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen +koennen, nicht; allein die sehr achtungswerten Eigenschaften, die +er besass, genuegten unter den damals bestehenden Verhaeltnissen +vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, und auf diesen +gestuetzt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise eingetreten +unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er passte darum nicht +besser in den glaenzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, sein +Blick wild, als saehe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht +wohlerzogene und parfuemierte Kollegen. Dass er aberglaeubisch war wie +ein echter Lanzknecht, dass er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat +sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunaechst durch die +Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen liess, und +bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin Martha +mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich +unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen +Zeiten die hoechsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft. +Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar +loeblich, dass er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man +denken von einem der verfassungsmaessigen Etikette so unkundigen Konsul, +dass er im Triumphalkostuem im Senat erschien! Auch sonst hing die +Rotuere ihm an. Er war nicht bloss - nach aristokratischer Terminologie +- ein armer Mann, sondern, was schlimmer war, genuegsam und ein +abgesagter Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart +war er nicht waehlerisch, aber becherte gern, besonders in spaeteren +Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten +Koch. Ebenso uebel war es, dass der Konsular nur Lateinisch verstand +und die griechische Konversation sich verbitten musste; dass er bei +den griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war +vermutlich nicht der einzige -, aber dass er sich zu seiner Langenweile +bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die +Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen +Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie +diese selber zu verachten er denn doch nicht ueber sich vermochte. Nicht +viel weniger wie ausserhalb der Gesellschaft stand Marius ausserhalb +der Parteien. Die Massregeln, die er in seinem Volkstribunat (635 119) +durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der Stimmtaefelchen +zur Abstellung der argen dabei stattfindenden Betruegereien und die +Verhinderung ausschweifender Antraege auf Spenden an das Volk, tragen +nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der demokratischen, +sondern zeigen nur, dass ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft verhasst +waren; und wie haette auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt +und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionaer sein koennen? Die +Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar spaeter in das Lager +der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier auf den +Schild gehoben zunaechst als Feldherr der Opposition und demnaechst +vielleicht bestimmt zu noch hoeheren Dingen. Allein es war dies +weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhaeltnisse und des +allgemeinen Beduerfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein +eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48 +(107/06) kaum voruebergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt. +Erst in der zweiten Haelfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie +ueber die Kimbrer so ueber die Teutonen, nach Rom zurueck, um den +verschobenen Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann +in Rom und doch zugleich politischer Anfaenger. Es war unwidersprechlich +ausgemacht, nicht bloss dass Marius Rom gerettet habe, sondern dass er +der einzige Mann sei, der Rom habe retten koennen; sein Name war auf +allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem +Volk war er populaer wie keiner vor oder nach ihm, populaer durch +seine Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische +Uneigennuetzigkeit nicht minder wie durch seine baeurische Derbheit; er +hiess der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den +Goettern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem +Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn +er seinen Zug von Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos +von Erdteil zu Erdteil verglich und sich fuer seinen Gebrauch einen +Becher - keinen von den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen +fertigen liess. Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser +taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann von kaelterem +Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht haette. +Marius' Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer +als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem +ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition +kam es zu, Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und +Soldaten, das hauptstaedtische politische Treiben fremd und unbequem; er +sprach so schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und +Schwertern der Feinde gegenueber eine weit festere Haltung als gegen die +klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an. +Hoffnungen binden. Seine militaerische und politische Stellung war +von der Art, dass, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht +brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht taeuschen, +seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der +Missverwaltung der oeffentlichen Angelegenheiten steuern und dem +Restaurationsregiment ein Ende machen musste, und wenn er nur die +inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besass, so konnte er dessen, +was zum Volksfuehrer ihm abging, allerdings entraten. Eine furchtbare +Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis auf seine +Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, die +Aushebung lediglich auf die vermoegenden Buerger zu beschraenken und die +Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermoegensklassen zu +ordnen, wohl schon manches nachlassen muessen: es war das zum Eintritt +in das Buergerheer verpflichtende Minimalvermoegen von 11000 Assen (300 +Talern) herabgesetzt worden auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die +aelteren sechs in den Waffengattungen unterschiedenen Vermoegensklassen +beschraenkt worden auf drei, indem man zwar wie nach der Servianischen +Ordnung die Reiter aus den vermoegendsten, die Leichtbewaffneten aus den +aermsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche +Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermoegen, sondern nach +dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und Triarier +ordnet. Man hatte ferner schon laengst die italischen Bundesgenossen +in sehr ausgedehntem Masse zum Kriegsdienst mitherangezogen, indes auch +hier, ganz wie bei der roemischen Buergerschaft, die Militaerpflicht +vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger +ruhte das roemische Militaerwesen bis auf Marius im wesentlichen +auf jener uralten Buergerwehrordnung. Allein fuer die veraenderten +Verhaeltnisse passte dieselbe nicht mehr. Die besseren Klassen der +Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurueck, +teils schwand der roemische und italische Mittelstand ueberhaupt +zusammen; dagegen waren einesteils die betraechtlichen Streitmittel +der ausseritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfuegbar geworden, +andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein +militaerisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Buergerreiterei, +die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im +Felddienst schon vor Marius tatsaechlich eingegangen. Als wirklicher +Heerkoerper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen Feldzug von 614 +(140), wo sie den Feldherrn durch ihren hoehnischen Hochmut und ihre +Unbotmaessigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von +den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit gefuehrter +Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch +als eine Art Nobelgarde fuer den Feldherrn und fremde Prinzen; von da +an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergaenzung der Legionen +mit gehoerig qualifizierten Pflichtigen schon im gewoehnlichen Lauf der +Dinge schwierig, so dass Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von +Arausio noetig waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften +ueber die Dienstpflicht wohl in der Tat materiell unausfuehrbar gewesen +sein wuerden. Andererseits wurden schon vor Marius, namentlich in der +Kavallerie und der leichten Infanterie, die ausseritalischen Untertanen, +die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte afrikanische Reiterei, +das vortreffliche leichte Fussvolk der bebenden Ligurer, die Schleuderer +von den Balearen, in immer groesserer Anzahl auch ausserhalb ihrer +Provinzen bei den roemischen Heeren mitverwendet; und zugleich draengten +sich, waehrend an qualifizierten Buergerrekruten Mangel war, die +nichtqualifizierten aermeren Buerger ungerufen zum Eintritt in die +Armee, wie denn bei der Masse des arbeitslosen oder arbeitsscheuen +Buergergesindels und bei den ansehnlichen Vorteilen, die der roemische +Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein +konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz +der politischen und sozialen Umwandlung des Staats, dass man im +Militaerwesen ueberging von dem System des Buergeraufgebots zu dem +Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die leichten Truppen wesentlich +aus den Kontingenten der Untertanen bildete, wie denn fuer den +kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien Zuzug angesagt ward, fuer +die Linieninfanterie aber zwar die bisherige Dienstpflichtordnung nicht +aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Buerger den freiwilligen +Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) tat. Hierzu +kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls +auf Marius zurueckgeht. Die roemische Weise aristokratischer Gliederung +hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen +der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man +auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie +hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach Vermoegens- +oder Dienstalter und grossenteils auch verschiedene Bewaffnung, jedes +seinen ein fuer allemal bestimmten Platz in der Schlachtordnung, jedes +seinen bestimmten militaerischen Rang und sein eigenes Feldzeichen +gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt ueber den Haufen. Wer +ueberhaupt als Legionaer zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren +Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; ueber die Einordnung +entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der +Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle Rekruten gleichmaessig +geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen die vielfachen +Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des Gepaecks und +aehnlichen Dingen von Marius herruehren und ein ruehmliches Zeugnis +ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des +Kriegshandwerks und seiner Fuersorge fuer die Soldaten; vor allem aber +das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius +Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist +bezeichnend, dass dasselbe die militaerische Ausbildung des einzelnen +Mannes betraechtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die +in den damaligen Fechterschulen uebliche Ausbildung der kuenftigen +Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gaenzlich andere. An +die Stelle der 30 Faehnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes +zu zwei Zuegen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30 +Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten, +traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu +sechs, oft auch nur zu fuenf Zuegen von je 100 Mann; so dass, obgleich +gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200 +Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf +5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb +bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkoerper +gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn ueberlassen, die +Kohorten, ueber die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu +verteilen. Den militaerischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer +der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen +Legionsteile, der Wolf, der mannkoepfige Stier, das Ross, der Eber, die +bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren +Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafuer traten die +Faehnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der +gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der +Legion jede Spur der bisherigen buergerlichen und aristokratischen +Gliederung verschwand und unter den Legionaeren fortan nur noch rein +soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon +einige Jahrzehnte frueher aus zufaelligen Anlaessen eine bevorzugte +Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache +des Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den +bundesgenoessischen Kontingenten die persoenliche Bedeckung des +Feldherrn gebildet; roemische Legionaere oder gar freiwillig sich +erbietende Mannschaften zum persoenlichen Dienst bei dem selben +zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen +Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos +demoralisiertes Heer grossgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der +berufen ward, dem wuesten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung +hatte durchsetzen koennen, voellig neue Truppen unter die Waffen +zu rufen, ward es ihm wenigstens gewaehrt, ausser einer Anzahl von +Mannschaften, die ihm die abhaengigen Koenige und Freistaedte des +Auslandes zur Verfuegung stellten, aus freiwilligen roemischen Buergern +eine persoenliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese +Kohorte, teils aus den besseren Staenden, teils aus der niederen +persoenlichen Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die +der Freunde, bald die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, +hatte den Dienst in diesem (praetorium), wofuer sie vom Lager- und +Schanzdienst frei war, und genoss hoeheren Sold und groesseres Ansehen. +Diese vollstaendige Revolution der roemischen Heerverfassung scheint +allerdings wesentlich aus rein militaerischen Motiven hervorgegangen +und ueberhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines +berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstaende gebotene +Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es +ist wahrscheinlich, dass die Einfuehrung des inlaendischen Werbesystems +durch Marius ebenso den Staat militaerisch vom Untergang gerettet hat, +wie manches Jahrhundert spaeter Arbogast und Stilicho durch Einfuehrung +des auslaendischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. +Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich +eine vollstaendige politische Revolution. Die republikanische Verfassung +ruhte zumeist darauf, dass der Buerger zugleich Soldat, der Soldat vor +allem Buerger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich +bildete. Hierzu musste schon das neue Exerzierreglement fuehren mit +seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward +allmaehlich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch +beschraenkte Zuziehung des Proletariats zum Militaerdienst, besonders in +Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit +sehr soliden republikanischen Institutionen vertraegliches arbitraeres +Belohnungsrecht seiner Soldaten einraeumten und dem tuechtigen und +gluecklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil +der beweglichen Beute, vom Staat ein Stueck des gewonnenen Ackers zu +heischen. Wenn der ausgehobene Buerger und Bauer in dem Kriegsdienst +nichts sah als eine fuer das gemeine Beste zu uebernehmende Last und +im Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt fuer den ihm aus dem +Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der +geworbene Proletarier nicht bloss fuer den Augenblick allein angewiesen +auf seinen Sold, sondern auch fuer die Zukunft musste er, den nach der +Entlassung kein Invaliden- , ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm, +wuenschen, zunaechst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders +zu verlassen als mit Begruendung seiner buergerlichen Existenz. Seine +einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, +seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als +Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten italischer +Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das Buergerrecht +auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er +spaeter sich damit, dass er im Laerm der Schlacht die Stimme der Gesetze +nicht habe unterscheiden koennen. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das +Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren +sich begegneten, wer mochte dafuer stehen, dass alsdann nicht noch +andere Gesetze ueber dem Schwertergeklirr nicht wuerden vernommen +werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie +in der buergerlichen Verfassung, so standen auch in der militaerischen +bereits alle Pfeiler der kuenftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem +Monarchen. Wie die zwoelf Adler um den Palatinischen Huegel kreisten, da +riefen sie dem Koenigtum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen +verlieh, verkuendete das Reich der Kaiser. Es ist wohl keinem Zweifel +unterworfen, dass Marius einging auf die glaenzenden Aussichten, die +seine militaerische und politische Stellung ihm eroeffnete. Es war eine +truebe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens +nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen +Anprall der Nordlaender auf Rom, wo nach ueberstandener Krise im +frischen Gefuehl der Genesung alle Kraefte sich neu geregt, wo sie in +ueppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt hatten. +Alle Welt fuehlte, dass, mochten auch tuechtige Feldherren noch aber und +abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen darum +nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der restaurierten +Oligarchie; aber alle Welt fuehlte auch, dass die Zeit nicht mehr war, +wo in solchen Faellen die Buergerschaft sich selber half, und dass +nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie +tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Juenglinge, +welche der Revolution das Tor geoeffnet hatten, zurueckgebliebene Luecke +empfand, freilich auch wie kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes +griff, beweist der falsche Sohn des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl +die eigene Schwester der beiden Gracchen ihn auf offenem Markte des +Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten Namens wegen vom Volke +fuer 655 (99) zum Tribun gewaehlt ward. In demselben Sinne jubelte die +Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, +schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der +populaerste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und +selbst durch seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum +Regenerator des Staats, empfohlen - wie haette nicht das Volk, wie +haette er selbst nicht sich dafuer halten sollen! Die oeffentliche +Meinung war so entschieden wie moeglich oppositionell; es ist +bezeichnend dafuer, dass die Besetzung der in den hoechsten geistlichen +Kollegien erledigten Stellen durch die Buergerschaft anstatt durch +die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch +Anregung der religioesen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht +hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging, +ohne dass der Senat es haette wagen koennen, sich auch nur ernstlich zu +widersetzen. Durchaus schien es nur an einem Haupte zu fehlen, das der +Opposition einen festen Mittelpunkt und ein praktisches Ziel gab; und +dies war jetzt in Marius gefunden. Zur Durchfuehrung seiner Aufgabe bot +sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte die Oligarchie zu stuerzen +versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder auf dem fuer +konstitutionelle Aenderungen verfassungsmaessig bezeichneten Weg; +dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des +Gracchus. Es ist sehr begreiflich, dass er den ersteren Weg nicht +betrat, vielleicht nicht einmal die Moeglichkeit dachte, ihn zu +betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhasst +und verachtet, dass Marius gegen ihn kaum einer anderen Stuetze als +seiner ungeheuren Popularitaet zu beduerfen, noetigenfalls aber trotz +der Aufloesung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen +harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, dass Marius, +im Hinblick auf Gracchus' leichten und scheinbar fast vollstaendigen +Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit ueberlegenen +Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjaehrigen, mit dem +nach komplizierter Hierarchie geordneten Staatskoerper und der +mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen +Verfassung fuer weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer +tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius +wahrscheinlich tat, mochte erwaegen, dass das Heer, obwohl im Uebergang +begriffen von der Buergerwehr zur Soeldnerschar, doch waehrend +dieses Uebergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines +Staatsstreiches sich schickte und dass ein Versuch, die +widerstrebenden Elemente durch militaerische Mittel zu beseitigen, die +Widerstandsfaehigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben wuerde. +Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, musste auf den +ersten Blick ueberfluessig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man +war eben am Anfang der Krise und die Gegensaetze von ihrem letzten, +kuerzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt. Marius entliess +also der bestehenden Ordnung gemaess nach dem Triumph sein Heer und +schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der +Uebernahme der verfassungsmaessigen Staatsaemter die Oberhauptschaft +im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die +sogenannte Volkspartei und in deren damaligen Fuehrern um so mehr seine +Bundesgenossen, als der siegreiche General die zur Gassenherrschaft +erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus nicht besass. So gelangte +die demokratische Partei nach langer Nichtigkeit ploetzlich wieder +zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem langen Interim von Gaius +Gracchus bis auf Marius sich wesentlich verschlechtert. Wohl war das +Missvergnuegen ueber das senatorische Regiment jetzt nicht geringer +als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre treuesten +Anhaenger zugefuehrt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden +und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, dass diese Gracchische +Agitation auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr grosser Teil der +Missvergnuegten keineswegs zu folgen willig war; wie denn ueberhaupt +in dem zwanzigjaehrigen Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und +vergriffen war von der frischen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, +der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der +Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr +war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Fuehrer der +Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius Gracchus +hoch ueber derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der +Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus +nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Fuehrer nur +Lueckenbuesser sein: entweder politische Anfaenger, die ihre jugendliche +Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerkoepfe und +beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder minder Geschicklichkeit +ihren Rueckzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder +auch Leute, die an Vermoegen und Einfluss nichts zu verlieren, an +Ehre gewoehnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, und die aus +persoenlicher Erbitterung oder auch aus blosser Lust am Laermschlagen +sich ein Geschaeft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu +aergern. Der ersten Gattung gehoerten zum Beispiel an Gaius Memmius +und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der +Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnaechst als eifrige +Regierungsmaenner verwerteten. Die namhaftesten Fuehrer der +Popularpartei aber um diese Zeit waren Maenner der zweiten Gattung: +sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der roemische Hyperbolos +genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschaemtester +Strassenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefuerchtet wegen seiner +drastischen Witze, als auch sein besserer und faehigerer Genosse Lucius +Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein +feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von +gemein eigennuetzigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quaestor die in +ueblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluss des +Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsfuehrung +als um das eben damals populaere Amt lieber einem der Haeupter der +Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner +der herrschenden Familien angehoerigen jungen Manne zuzuwenden. Diese +Kraenkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition +gedraengt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit +Zinsen. Ein aergerlicher Handel hatte damals den anderen gedraengt. Er +hatte die von den Gesandten des Koenigs Mithradates in Rom bewirkten +Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat +aufs hoechste kompromittierenden Enthuellungen haetten fast dem kuehnen +Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens Quintus +Metellus, als derselbe sich fuer 652 (102) um die Zensur bewarb, einen +Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, bis die +Ritter ihn nicht ohne Blutvergiessen befreiten; des Zensors Metellus +Vergeltung, die schimpfliche Ausstossung des Saturninus wie des Glaucia +aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses, +war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen +Kollegen. Er hauptsaechlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und +dessen Genossen trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei, +er gegen dieselben die lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum +Konsul fuer 652 (102) durchgesetzt. Saturninus war entschieden der +energischste Feind des Senats und der taetigste und beredteste Fuehrer +der Volkspartei seit Gaius Gracchus, freilich auch gewalttaetig +und ruecksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, in die Strasse +hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knuetteln zu +widerlegen. Solcher Art waren die beiden Fuehrer der sogenannten +Popularpartei, die mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche +Sache machten. Es war natuerlich; die Interessen und die Zwecke gingen +zusammen, und auch schon bei Marius' frueheren Bewerbungen hatte +wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und erfolgreichste fuer ihn +Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, dass fuer 654 (100) Marius +um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia +um die Praetur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Aemter die +beabsichtigte Staatsumwaelzung durchzufuehren. Der Senat liess die +Ernennung des minder gefaehrlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er +konnte, um Marius' und Saturninus' Wahl zu hindern oder doch wenigstens +jenem in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im +Konsulat an die Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel, +erlaubte und unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem +Senat nicht, die gefaehrliche Verschwoerung im Keim zu ersticken. +Marius selbst verschmaehte es nicht, Stimmenbettel, es heisst sogar +auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in den tribunizischen Wahlen neun +Maenner von der Liste der Regierungspartei proklamiert waren und auch +die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus +Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem wuesten Haufen, der +vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, +angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich +auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewaehlt als Konsul, +Glaucia als Praetor, Saturninus als Volkstribun fuer 654 (109): nicht +Quintus Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius +Flaccus, erhielt die zweite Konsulstelle; die verbuendeten Maenner +konnten daran gehen, ihre weiter beabsichtigten Plaene ins Werk zu +setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu vollenden. Erinnern wir +uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt +hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach aussen zu brechen, +also teils die vom Senat voellig abhaengig gewordene Beamtengewalt +in ihre urspruenglichen souveraenen Rechte wiedereinzusetzen und die +Ratsversammlung aus der regierenden wieder in eine beratende Behoerde +umzuwandeln, teils der aristokratischen Gliederung des Staats in die +drei Klassen der herrschenden Buerger-, der italischen Bundesgenossen- +und der Untertanenschaft durch allmaehliche Ausgleichung dieser mit +einem nichtoligarchischen Regiment unvertraeglichen Gegensaetze ein Ende +zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbuendeten Maenner wieder +auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun teils schon +frueher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte +^1. Schon in jenem Jahre war zunaechst zu Gunsten der Marianischen +Soldaten, der Buerger nicht bloss, sondern, wie es scheint, auch +der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des +karthagischen Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen +ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem fuenffachen Mass eines +gewoehnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz Africa zugesichert +worden. Jetzt ward fuer die roemisch-italische Emigration nicht +bloss das bereits zur Verfuegung stehende Provinzialland in weitester +Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen +Fiktion, dass den Roemern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte +von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land +der noch unabhaengigen Keltenstaemme jenseits der Alpen. Zur Leitung +der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa noetig erscheinenden +weiteren Massregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber +von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden +Tempelschaetze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen +Landempfaenger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloss die +Eroberungsplaene jenseits der Alpen und die transalpinischen und +ueberseeischen Kolonisationsentwuerfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus +sie entworfen hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern +indem es die Italiker neben den Roemern zur Emigration zuliess und +doch ohne Zweifel die saemtlichen neuen Gemeinden als Buergerkolonien +einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer +durchzubringenden und doch unmoeglich auf die Laenge abzuweisenden +Ansprueche der Italiker auf Gleichstellung mit den Roemern zu +befriedigen. Zunaechst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und +Marius zur selbstaendigen Ausfuehrung dieser ungeheuren Eroberungs- +und Aufteilungsplaene berufen ward, tatsaechlich derselbe bis zur +Realisierung jener Plaene oder vielmehr, bei der Unbestimmtheit und +Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch von Rom; +wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das Konsulat +alljaehrlich sich erneuern zu lassen gedachte. ueberhaupt ist bei der +sonstigen Uebereinstimmung der fuer den juengeren Gracchus und fuer +Marius entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stuecken +oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden +Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, dass jener eine rein +buergerliche, dieser daneben eine militaerische Stellung einnehmen +sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs allein aus +den persoenlichen Verhaeltnissen hervorging, unter denen die +beiden Maenner an die Spitze des Staates getreten waren. +----------------------------------------------- ^1 Es ist nicht +moeglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem zweiten +Tribunat des Saturninus angehoert; um so weniger, als derselbe in beiden +offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische +Ackergesetz setzt die Schrift 'De viris illustribus' (73, 1) mit +Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz +vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite +Ackergesetz gehoert unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestaets- +und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651 +(103), dieses in 654 (100) gesetzt worden. +---------------------------------------------- Wenn also das Ziel +beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich vorgesteckt +hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man den +voraussichtlich hartnaeckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen +gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem +Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versaeumten zwar +nicht, auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern liess man nicht +bloss die Gerichte, sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich +gesteigert teils durch eine verschaerfte Ordnung fuer die den Kaufleuten +vor allem wichtige stehende Kommission wegen Erpressungen seitens der +Staatsbeamten in den Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem +Jahr, durchbrachte, teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus' +Antrag niedergesetzte Spezialgericht ueber die waehrend der kimbrischen +Bewegung in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen +Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstaedtischen Proletariats ferner ward +der bisher bei den Getreideverteilungen fuer den roemischen Scheffel zu +entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine blosse +Rekognitionsgebuehr von 5/6 As. Indes obwohl man das Buendnis mit den +Rittern und dem hauptstaedtischen Proletariat nicht verschmaehte, so +ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbuendeten wesentlich +nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen +Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so +ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der +vorwiegend militaerische Charakter hervor, der hauptsaechlich diesen +Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet. Man ging +also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stiessen bei der +Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies +im Senat mit schlagenden Zahlen, dass jenes die oeffentlichen Kassen +bankrott machen muesse; Saturninus kuemmerte sich nicht darum. Man +erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus +liess weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an, +dass ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach +altem Glauben die Goetter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen; +Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich +ruhig zu verhalten, sonst koenne gar leicht nach dem Donner der +Hagel folgen. Endlich trieb der staedtische Quaestor Quintus Caepio, +vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und +gleich seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem +Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. +Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser +Abstimmung nach Rom gestroemt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, +wieder die staedtischen Haufen, und so gelang es, auf dem +wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung ueber die Appuleischen Gesetze +zu Ende zu fuehren. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, +ob der Senat der Klausel des Gesetzes genuegen werde, dass binnen +fuenf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner +Ratsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid +abzulegen habe, leisteten diesen Eid die saemtlichen Senatoren mit +einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es vorzog, die Heimat zu +verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den besten Feldherrn +und den tuechtigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung +aus dem Staate scheiden. ---------------------------------------- 2 +Dahin fuehren alle Spuren. Der aeltere Quintus Caepio war 648 (106) +Konsul, der juengere 651 (103) oder 654 (100) Quaestor, also jener um +oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; dass +jener starb, ohne Soehne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht +nicht, denn der juengere Caepio fiel 664 (90) und der aeltere, der im +Exil zu Smyrna sein Leben beschloss, kann gar wohl ihn ueberlebt haben. +----------------------------------------- Man schien am Ziel; dem +schaerfer Sehenden musste schon jetzt das Unternehmen als gescheitert +erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der +ungeschickten Allianz eines politisch unfaehigen Feldherrn und eines +faehigen, aber ruecksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als +von staatsmaennischen Zwecken erfuellten Demagogen von der Gasse. Man +hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur noch um Plaene +handelte; als es dann aber zur Ausfuehrung kam, zeigte es sich sehr +bald, dass der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine +Inkapazitaet; dass sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adligen an +Titeln erreichen und womoeglich ueberbieten moechte, nicht aber der des +Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fuehlt; +dass jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persoenlichkeit +gebaut war, auch unter den sonst guenstigsten Verhaeltnissen notwendig +an ihm selber scheitern musste. Er wusste weder seine Gegner zu gewinnen +noch seine Partei zu baendigen. Die Opposition gegen ihn und seine +Genossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloss die +Regierungspartei in Masse gehoerte dazu, sondern auch der grosse +Teil der Buergerschaft, der mit eifersuechtigen Blicken den Italikern +gegenueber ueber seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, +den die Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begueterte Klasse zu der +Regierung hinuebergedraengt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus +Herren und Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fusse +mit der Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des +Poebels dem Senat einmal Schach zu bieten, aber Strassenauflaeufe +und arge Gewalttaetigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus' +erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich +herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun +fuer 654 (100) stiess, zeigt deutlich, wie klein die ihm guenstige +Partei war. Es waere Marius' Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe +dieser Genossen sich nur mit Massen zu bedienen und maenniglich zu +ueberzeugen, dass sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, +dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegenteil davon tat und die +Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum, einen +intelligenten und kraeftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans +Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenueber +die Maenner der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken ueber das +wueste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Waehrend Gaius Gracchus, +wohl erkennend, dass mit dem Proletariat allein keine Regierung +gestuerzt werden kann, vor allen Dingen bemueht gewesen war, die +besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine +Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versoehnen. +Aber noch rascher als die Versoehnung der Feinde fuehrte den Ruin +des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern +Marius' mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief. +Waehrend die entscheidenden Antraege von seinen Genossen gestellt, von +seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollstaendig +leidend, gleich als ob der politische Fuehrer nicht ebenso wie der +militaerische, wenn es zum Hauptangriff geht, ueberall und vor allen +einstehen muesste mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor +den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reissaus. Als +seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen +konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen +liess, versuchte er in der ueblichen Weise politisch-moralischer +Konfusionaere sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen reinzuwaschen +und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es gibt +ein Geschichtchen, dass der General einst in zwei verschiedenen Zimmern +seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem +anderen mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen +gepflogen habe, dort ueber das Losschlagen gegen dem Senat, hier ueber +das Einschreiten gegen die Revolte, und dass er unter einem Vorwand, wie +er der Peinlichkeit der Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen +ab und zu gegangen sei - ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden +und so sicher treffend wie nur irgendein Einfall des Aristophanes. +Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, +wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze +geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler +halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt +schwor, wofern die Gesetze wirklich rechtsbestaendig seien; ein +Vorbehalt, der den Eid selber aufhob, und den natuerlich saemtliche +Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so dass durch diese +Weise der Beeidigung die Gueltigkeit der Gesetze nicht gesichert, +sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt ward. Die Folgen +dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn +entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen +die Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft +verschafft, um sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn +Glaucia, der spasshafte Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten +Blumen seiner lustigen Beredsamkeit ueberschuettet hatte, so dufteten +die Kraenze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen. +Es kam zum vollstaendigen Bruch, womit beide Teile verloren waren; denn +weder stand Marius fest genug, um allein das von ihm selbst in Frage +gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin bestimmten Stellung +sich zu bemaechtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage, das +fuer Marius begonnene Geschaeft auf eigene Rechnung fortzufuehren. +Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, dass sie nicht +zurueckkonnten und nur die Wahl hatten, ihre Aemter in gewoehnlicher +Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit +gebundenen Haenden zu ueberliefern oder nun selber nach dem Szepter zu +greifen, dessen Gewicht sie freilich fuehlten nicht tragen zu koennen. +Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus wollte fuer 655 (99) +abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl +Praetor und erst nach zwei Jahren wahlfaehig zum Konsulat, um dieses +sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus +in ihrem Sinne entschieden und Marius' Versuch, den falschen Tiberius +Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu, +dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularitaet jetzt noch wert +war; die Menge sprengte die Tuer des Gefaengnisses, in dem Gracchus +eingesperrt sass, trug ihn im Triumph durch die Strassen und waehlte +ihn mit grosser Majoritaet zu ihrem Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl +suchten Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahr erprobte Mittel +zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die Hand zu bekommen; der +Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, derselbe, der elf +Jahre zuvor gegen sie die Opposition gefuehrt hatte, wurde von einem +Haufen Gesindel ueberfallen und mit Knuetteln erschlagen. Aber die +Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet, +um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf, +einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert, +das er von der Demokratie erhalten und fuer sie zu fuehren versprochen +hatte, nun fuer die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft +ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den oeffentlichen Gebaeuden +ausgeruestet und militaerisch geordnet; der Senat selbst erschien +bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein greiser Vormann Marcus +Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Strassenlaerm ueberlegen, aber auf +einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie musste nun sich wehren, wie +es ging. Man erbrach die Tore der Gefaengnisse und rief die Sklaven zur +Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heisst es wenigstens - +den Saturninus zum Koenig oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen +Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam +es auf dem Grossen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand, +innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang +war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und +hinaufgedraengt auf das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt +und sie dadurch noetigte, sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl +fuehrte, haette gern seinen ehemaligen Verbuendeten und jetzigen +Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, dass +alles, was er beantragt, im Einverstaendnis mit dem Konsul geschehen +sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, musste grauen vor +der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war laengst +nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend +das Dach des Rathauses am Markt, in das man vorlaeufig die Gefangenen +eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. +So kam Saturninus um mit den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia +ward in einem Versteck gefunden und gleichfalls getoetet. Ohne Urteil +und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des roemischen Volkes. +ein Praetor, ein Quaestor, zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer +bekannter und zum Teil guten Familien angehoeriger Maenner. Trotz der +schweren und blutigen Verschuldungen, die die Haeupter auf sich geladen +hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, +die das Hauptheer im Stich laesst und sie noetigt, im verzweifelten +Kampf zwecklos unterzugehen. Nie hatte die Regierungspartei einen +vollstaendigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine haertere +Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war das wenigste, +dass man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag +durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer +fiel ins Gewicht, dass der einzige Mann, der damals imstande war, +der Regierung gefaehrlich zu werden, sich selber oeffentlich und +vollstaendig vernichtet hatte; am schwersten, dass die beiden +oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das Proletariat, +gaenzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das Werk der +Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhaeltnisse, teils und +vor allem die grobe Bauernfaust seines unfaehigen Nachtreters hatten +wieder aufgeloest, was unter Gaius Gracchus' gewandter Hand sich +zusammenfuegte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung +oder Glueck der Regierung zum Siege verhalf. Eine klaeglichere Stellung +ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach +jener Katastrophe einnahm - nur um so klaeglicher, weil man nicht anders +konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor +denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf demokratischer +Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn bei der Besetzung +der Aemter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal wagen, sich +656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie er +sagte, um ein Geluebde dort zu loesen, in der Tat, um nicht von der +triumphierenden Rueckkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge +zu sein; man liess ihn gehen. Er kam wieder zurueck und oeffnete sein +Haus; seine Saele standen leer. Immer hoffte er, dass es wieder Kaempfe +und Schlachten geben und man seines erprobten Armes abermals beduerfen +werde; er dachte sich im Osten, wo die Roemer allerdings Ursache genug +gehabt haetten, energisch zu intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege +zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl wie jeder andere seiner +Wuensche; es blieb tiefer Friede. Und dabei frass der einmal in ihm +aufgestachelte Hunger nach Ehren, je oefter er getaeuscht ward, immer +tiefer sich ein in sein Gemuet; aberglaeubisch wie er war, naehrte er in +seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheissen +hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen moege, dass dies +Wort seine Erfuellung und er seine Rache bekomme, waehrend er allen, nur +sich selbst nicht, unbedeutend und unschaedlich erschien. Folgenreicher +noch als die Beseitigung des gefaehrlichen Mannes war die tiefe +Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung +des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurueckliess. +Mit der ruecksichtslosesten Haerte verurteilten die Rittergerichte +jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward +Sextus Titius mehr noch als wegen seines Ackergesetzes deswegen +verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause gehabt hatte; so +Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das Verfahren gegen +Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar fuer aeltere, +von den Popularen der Aristokratien zugefuegte Unbill wurde nun nicht +ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert. +Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den +Konsular Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659 +95) auf Grund seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und +lange schwankten die Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig +oder unschuldig, sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, +Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch +zuletzt fuer Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung +an sich nicht geneigter als frueher, so erschien doch nun, seit +man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen +Poebelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, +das bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend +und staatsverderberisch, aber die kuemmerliche Furcht vor dem noch +elenderen und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte +ihm einen relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Stroemung, dass +die Menge einen Volkstribun zerriss, der es gewagt hatte, die Rueckkehr +des Quintus Metellus zu verzoegern, und dass die Demokraten anfingen, +ihr Heil zu suchen in dem Buendnis mit Moerdern und Giftmischern, wie +sie zum Beispiel des verhassten Metellus durch Gift sich entledigten, +oder gar in dem Buendnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von +ihnen schon fluechteten an den Hof des Koenigs Mithradates, der im +stillen zum Krieg ruestete gegen Rom. Auch die aeusseren Verhaeltnisse +gestalteten fuer die Regierung sich guenstig. Die roemischen Waffen +waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den Bundesgenossenkrieg nur +wenig, ueberall aber mit Ehren taetig. Ernstlich gestritten wurde nur +in Spanien, wo waehrend der letzten fuer Rom so schweren Jahre +die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter +Heftigkeit gegen die Roemer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem +Jahre 656- 661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der noerdlichen und +der Konsul Publius Crassus in der suedlichen Provinz mit Tapferkeit und +Glueck nicht bloss das Obergewicht der roemischen Waffen wieder her, +sondern schleiften auch die wiederspenstigen Staedte und versetzten, wo +es noetig schien, die Bevoelkerung der festen Bergstaedte in die Ebenen. +Dass um dieselbe Zeit die roemische Regierung auch wieder des +ein Menschenalter hindurch vernachlaessigten Ostens gedachte und +energischer, als seit langem erhoert war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien +auftrat, wird spaeter darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn +der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begruendet, +so populaer gewesen. Konsularische Gesetze loesten die tribunizischen, +Freiheitsbeschraenkungen die Fortschrittsmassregeln ab. Die Kassierung +der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die ueberseeischen +Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen +Ansiedelung auf der wuesten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus +Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel staerker +war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin +bestand, nachts auf den Strassen die Goetterbilder zu zerschlagen, das +Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte, +konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religioesen Vorwand +kassieren, ohne dass jemand dafuer einzustehen auch nur versucht haette; +den Urheber straften, wie schon erwaehnt ward, die Ritter in ihren +Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln +eingebrachtes Gesetz die uebliche vierundzwanzigtaegige Frist zwischen +Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot, +mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen; +wodurch die unvernuenftige Ausdehnung der legislatorischen Initiative +wenigstens etwas beschraenkt und offenbare Ueberrumpelungen der +Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. Immer deutlicher zeigte +es sich, dass die Gracchische Verfassung, die den Sturz ihres Urhebers +ueberdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie +nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese +Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die +Zwiespaeltigkeit der Opposition sie zu Falle bringen zu muessen. +Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das unvollkommene +Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem Tyrannen endlich +auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende Oligarchie in den +Alleinbesitz der politischen Gewalt wiedereinzusetzen. Es kam alles +an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung der +Provinzen, die hauptsaechliche Grundlage des senatorischen Regiments, +war von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen +Erpressungen, in dem Masse abhaengig geworden, dass der Statthalter die +Provinz nicht mehr fuer den Senat, sondern fuer den Kapitalisten- +und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie bereitwillig immer die +Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn es um Massregeln gegen +die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich ahndete sie jeden +Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht freiesten Schaltens in +den Provinzen zu beschraenken. Einzelne derartige Versuche wurden jetzt +gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich zu fuehlen und +eben ihre besten Maenner hielten sich verpflichtet, der entsetzlichen +Misswirtschaft in den Provinzen wenigstens fuer ihre Person +entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola, +gleich seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul, +der erste Jurist und einer der vorzueglichsten Maenner seiner Zeit. +Als praetorischer Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und +gemisshandeltsten unter allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft +mit seinem aelteren, als Offizier, Jurist und Geschichtschreiber +ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius Rutilius Rufus, ein +ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen Unterschied zwischen +Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen, nahm +er jede Klage an und zwang nicht bloss die roemischen Kaufleute und +Staatspaechter wegen erwiesener Schaedigungen, vollen Geldersatz zu +leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und ruecksichtslosesten +Agenten todeswuerdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, liess er +diese, taub gegen alle Bestechungsantraege, ans Kreuz schlagen wie +Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte sogar seitdem +den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, dass sie sich die +Verwaltungsgrundsaetze Scaevolas zum Muster nehmen moechten; allein +die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und vielvermoegenden +Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefaehrten vor Gericht, +zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen +Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte +Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt war. Die +Anklage, dass dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen zuschulden +kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen +Laecherlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklaegers, eines +gewissen Apicius; allein man liess dennoch die willkommene Gelegenheit, +den Konsular zu demuetigen, nicht voruebergehen, und da dieser, die +falsche Beredsamkeit, die Trauergewaender, die Traenen verschmaehend, +sich kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveraenen +Kapitalisten die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der +Tat verurteilt und sein maessiges Vermoegen zur Befriedigung erdichteter +Entschaedigungsansprueche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die +angeblich von ihm ausgepluenderte Provinz und verlebte daselbst, von +saemtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit +seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Musse die ihm noch +uebrigen Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der aergste, +aber keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als +solcher Missbrauch der Justiz gegen Maenner fleckenlosen Wandels, aber +neuen Adels erbitterte es die senatorische Partei, dass der reinste Adel +nicht mehr genuegte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. +Kaum war Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, +seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjaehrige +Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach +aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig +war. Das Anklaegeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmaessig +betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter +schuetzte mehr vor den frevelhaftesten und gefaehrlichsten Angriffen. +Die Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen +ihre schlimmste Geissel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er +nur seine Mitthebe gewaehren liess und sich nicht weigerte, einen Teil +der erpressten Summen den Geschworenen zufliessen zu lassen; aber +jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht +und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. +Die roemische Regierung schien in dieselbe Abhaengigkeit von dem +kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst +das Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In +furchtbarer Weise erfuellte sich Gaius Gracchus' ahnungsvolles Wort, +dass mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt +sich selber zerfleischen werde. Ein Sturm auf die Rittergerichte war +unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafuer hatte, +dass das Regieren nicht bloss Rechte, sondern auch Pflichten in sich +schliesst, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich +empfand, musste sich auflehnen gegen diese erdrueckende und entehrende +politische Kontrolle, die jede Moeglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, +von vornherein abschnitt. Die skandaloese Verurteilung des Rutilius +Rufus schien eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und +Marcus Livius Drusus, der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete +dieselbe als besonders an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen +Mannes, der dreissig Jahre zuvor zunaechst den Gaius Gracchus gestuerzt +und spaeter auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker +sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich seinem Vater, streng +konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung bereits in dem +Aufstand des Saturninus tatsaechlich bewaehrt. Er gehoerte den Kreisen +des hoechsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermoegens; +auch der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat - ein energisch +stolzer Mann, der es verschmaehte, mit den Ehrenzeichen seiner Aemter +sich zu behaengen, aber auf dem Totenbette es aussprach, dass nicht bald +ein Buerger wiederkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das +schoene Wort, dass der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens +ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Gemuetes +hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen +Poebels; zuverlaessig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten, +denen seine Tuer und sein Beutel immer offenstanden, mehr geachtet als +eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persoenliche Wuerde +seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand +er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner +Verteidigung in dem Prozess wegen Erpressungen den Drusus oeffentlich +aufzufordern, Hand zu legen an die Reform der Geschworenenordnung; er +sowie der beruehmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten +Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Antraege. Indes die Masse +der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus +und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhaengern der +Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerkbar machten der +derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie frueher die Sache +der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und Klugheit +verfocht, und der verwegene und ruecksichtslose Quintus Caepio, den +zunaechst die persoenliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus +zu dieser Opposition bestimmte. Allein gefaehrlicher als diese +entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die +zwar die Provinzen lieber allein gepluendert haette, aber am Ende auch +nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die Beute zu teilen, und, +statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die uebermuetigen +Kapitalisten zu uebernehmen, es viel billiger und bequemer fand, sich +von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fussfall oder +auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte +zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureissen, ohne +die es nun einmal nicht moeglich war, zum Ziele zu gelangen. +Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Buergern vom +Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurueckzugeben, welcher +zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand +gesetzt werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genuegen; +zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich +schuldig gemacht haetten oder schuldig machen wuerden, sollte eine +eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der naechste +Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu +berauben und sie fuer die veruebte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. +Indes Drusus' Antraege und Absichten beschraenkten sich hierauf +keineswegs; seine Vorschlaege waren keine Gelegenheitsmassregeln, +sondern ein umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte +ferner, die Getreideverteilung zu erhoehen und die Mehrkosten zu +decken durch die dauernde Emission einer verhaeltnismaessigen Zahl von +kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte +noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die +Kampanische Domaene, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von +Buergerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen +Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das +roemische Buergerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier +von aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstuetzen und +ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus' Verfassung +beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches +Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, dass, wie die Tyrannis gegen +die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stuetzte auf +das besoldete und gewissermassen organisierte Proletariat; hatte die +Regierung frueher die Ernaehrung des Proletariats auf Staatskosten als +ein unvermeidliches Uebel hingenommen, so dachte Drusus jetzt +dasselbe, wenigstens fuer den Augenblick, gegen die Geldaristokratie +zu gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, dass der bessere Teil der +Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius Gracchus, +so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmassregeln, die, +ohne die Oberhauptsfrage zu beruehren, nur darauf abzweckten, die +alten Schaeden des Staats auszuheilen. In der Emigrations- und +Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die +Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf +dem freien Schalten ueber die Provinzen und durch jedes dauernde +militaerische Kommando gefaehrdet ward; die Gedanken, Italien und die +Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen +mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und +selbst die kampanischen Domaenen so wie Sizilien konnte der Senat recht +wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch +die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, dass man +kuenftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, +dass alles irgend verfuegbare Land von der Aristokratie selbst zur +Aufteilung gebracht ward und fuer kuenftige Demagogen, nach Drusus' +eigenem Ausdruck, nichts zu verteilen uebrig blieb als der Gassenkot +und das Morgenrot. Ebenso war es fuer die Regierung, mochte dies nun +ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender +Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum roemischen +Buergerverband gehoerte; und daher mussten wohl beiderseits +die reformierenden Maenner sich in dem Gedanken begegnen, durch +zweckmaessige und rechtzeitige Erstreckung des Buergerrechts die Gefahr +abzuwenden, dass die Insurrektion von Fregellae in groesserem Massstab +wiederkehre, nebenher auch an den zahl- und einflussreichen Italikern +sich Bundesgenossen fuer ihre Plaene suchen. So scharf in der +Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden grossen +politischen Parteien sich schieden, so vielfach beruehrten sich in +den Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten +Maenner aus beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den +Widersachern des Tiberius Gracchus wie unter den Foerderern seiner +Reformbestrebungen genannt werden kann, so war auch Drusus der +Nachfolger und Schueler nicht minder als der Gegner des Gaius. Die +beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen Reformatoren waren +sich aehnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch +persoenlich beide nicht unwert, ueber dem trueben Nebel des befangenen +Parteitreibens in reineren und hoeheren Anschauungen sich mit dem Kern +ihrer patriotischen Bestrebungen zu begegnen. Es handelte sich um die +Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von denen uebrigens +der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen Vorschlag, +den italischen Bundesgenossen das roemische Buergerrecht zu verleihen, +vorlaeufig zurueckhielt und zunaechst nur das Geschworenen-, Acker- +und Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs +heftigste und wuerde bei der Unentschlossenheit des groessten Teils +der Aristokratie und der Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die +Verwerfung des Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein +zur Abstimmung gekommen waere. Drusus fasste deshalb seine saemtlichen +Antraege in einen einzigen zusammen; und indem also alle bei den +Getreide- und Landverteilungen interessierten Buerger genoetigt wurden, +auch fuer das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und +durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz +bedrohten grossen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und +etruskischen, fest zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen - +freilich erst, nachdem Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhoerte +zu widerstreben, hatte verhaften und durch den Buettel in den Kerker +abfuehren lassen. Das Volk feierte den Tribun als seinen Wohltaeter und +empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; allein die +Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen +anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit +Recht als dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig +bezeichnete. Der Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte +den Senat auf, aus diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu +kassieren; allein die Majoritaet des Senats, erfreut, die Rittergerichte +los zu sein, wies den Antrag zurueck. Der Konsul erklaerte darauf auf +offenem Markte, dass mit einem solchen Senat zu regieren nicht moeglich +sei und er sich nach einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien +einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen +berufen, sprach nach stuermischen Verhandlungen gegen den Konsul ein +Tadels- und Misstrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in +einem grossen Teil der Majoritaet die Angst vor der Revolution zu regen, +mit der sowohl Philippus als ein grosser Teil der Kapitalisten zu +drohen schien. Andere Umstaende kamen hinzu. Einer der taetigsten +und angesehensten unter Drusus' Gesinnungsgenossen, der Redner +Lucius Crassus, starb ploetzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung +(September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern angeknuepften +Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt +hatte, wurden allmaehlich ruchbar, und in das wuetende Geschrei ueber +Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die +meisten Maenner der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmuetige +Warnung, die er dem Konsul Philippus zukommen liess, bei dem Bundesfest +auf dem Albanerberg vor den von den Italikern ausgesandten Moerdern sich +zu hueten, diente nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie +zeigte, wie tief er in die unter den Italikern gaerenden Verschwoerungen +verwickelt war. Immer heftiger draengte Philippus auf Kassation des +Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majoritaet in der Verteidigung +desselben. Bald erschien die Rueckkehr zu den frueheren Verhaeltnissen +der grossen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der +einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluss wegen formeller Maengel +erfolgte. Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnuegte +sich daran zu erinnern, dass der Senat also selbst die verhassten +Rittergerichte wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den +Kassationsbeschluss durch Interzession ungueltig zu machen. Der Angriff +des Senats auf die Kapitalistenpartei war vollstaendig abgeschlagen, +und willig oder unwillig fuegte man sich abermals in das bisherige Joch. +Aber die hohe Finanz begnuegte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus +eines Abends auf seinem Hausflur die wie gewoehnlich ihn begleitende +Menge eben verabschieden wollte, stuerzte er ploetzlich vor dem Bilde +seines Vaters zusammen; eine Moerderhand hatte ihn getroffen und so +sicher, dass er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Taeter war +in der Abenddaemmerung verschwunden, ohne dass jemand ihn erkannt hatte, +und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte +derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die +Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und +grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte, +war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine +tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwaeche +der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu +reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein +Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stuerzen, +die Emigration zu organisieren, den drohenden Buergerkrieg abzuwenden; +er sah noch selbst die Kaufleute unumschraenkter regieren als je, sah +alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewusstsein, dass +seid jaeher Tod das Signal zu dem fuerchterlichsten Buergerkrieg sein +werde, der je das schoene italische Land verheert hat. 7. Kapitel Die +Empoerung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution +Seitdem mit Pyrrhos' Ueberwindung der letzte Krieg, den die Italiker +fuer ihre Unabhaengigkeit gefuehrt hatten, zu Ende gegangen war, das +heisst seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das roemische Prinzipat +in Italien bestanden, ohne dass es selbst unter den gefaehrlichsten +Verhaeltnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt haette. +Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die +Nachfolger des grossen Alexander und der Achaemeniden versucht, die +italische Nation zum Kampf aufzuruetteln gegen die uebermaechtige +Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am +Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepass und am Sipylos +erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die +Untertaenigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung +indessen hatte sich wohl veraendert, aber eher verschlechtert als +verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen +nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer +durch ganz Italien infolge der unverstaendigen roemischen +Korngesetzgebung litt, so gediehen dafuer die groesseren Gutsherren +und mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker +hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen +denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die roemischen +Buerger und also die materiellen Vorteile des politischen Uebergewichts +der Roemer grossenteils auch ihnen zugute kamen. Ueberhaupt waren +die wirtschaftlichen und sozialen Zustaende Italiens nicht zunaechst +abhaengig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise +bundesgenoessische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der +freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentaeler, in +denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberuehrt sich +erhalten hatte - aehnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den +verschiedenen roemischen Buergerdistrikten nachweisen laesst. Dagegen +die politische Zuruecksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl +fand ein foermlicher unverhuellter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen +nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der +Souveraenitaet den italischen Gemeinden vertragsmaessig zustand, wurde +von der roemischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die +roemische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den +besser gestellten Gemeinden verbrieften roemischen Domaenen machte, +hatte nicht bloss die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom +ernstlich bekaempft, sondern auch die roemische Opposition selbst +sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der fuehrenden +Gemeinde zustanden und zustehen mussten, die oberste Leitung des +Kriegswesens und die Oberaufsicht ueber die gesamte Verwaltung, wurden +in einer Weise ausgeuebt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die +Bundesgenossen geradezu fuer rechtlose Untertanen erklaert haette. Die +zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen roemischen Kriegsrechts, +welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingefuehrt wurden, +scheinen saemtlich auf die roemischen Buergersoldaten beschraenkt +geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der +standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiss und der Eindruck leicht +zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene +latinische Offiziere nach Urteil des roemischen Kriegsrats enthauptet +wurden, dem letzten Buergersoldaten aber im gleichen Fall das Recht +zustand, an die buergerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In +welchem Verhaeltnis die Buerger und die italischen Bundesgenossen zum +Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmaessig wie +billig unbestimmt geblieben; allein waehrend in frueherer Zeit beide +durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten, wurden +jetzt, obwohl das Bevoelkerungsverhaeltnis wahrscheinlich eher zu +Gunsten als zum Nachteil der Buergerschaft sich veraendert hatte, die +Forderungen an die Bundesgenossen allmaehlich unverhaeltnismaessig +gesteigert, so dass man ihnen teils den schwereren und kostbareren +Dienst vorzugsweise aufbuerdete, teils jetzt regelmaessig auf einen +Buerger zwei Bundesgenossen aushob. Aehnlich wie die militaerische +Oberleitung wurde die buergerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluss +der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiktion die +roemische Regierung stets und mit Recht ueber die abhaengigen italischen +Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise ausgedehnt, dass die +Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der Willkuer eines +jeden der zahllosen roemischen Beamten schutzlos preisgegeben sahen. +In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstaedte, hatte ein +Konsul den Buergermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit +Ruten staeupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Maennerbad zu +baden verlangte, die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden +ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber erschienen war. +Aehnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt +besten Rechts, ja in der alten und wichtigen latinischen Kolonie +Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie Venusia war ein freier +Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen roemischen +Diplomaten wegen eines Spasses, den er sich ueber dessen Saenfte erlaubt +hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Saenfte +zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfaelle wird um die Zeit des +fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen +Zweifel, dass aehnliche Unrechtfertigkeiten haeufig vorkamen und +ebensowenig, dass eine ernstliche Genugtuung fuer solche Missetaten +nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft verletzte +Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des roemischen Buergers +einigermassen schuetzte. Es konnte nicht fehlen, dass infolge dieser +Behandlung der Italiker seitens der roemischen Regierung die Spannung, +welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den +sonstigen italischen Gemeinden sorgfaeltig unterhalten hatte, wenn nicht +verschwand, so doch nachliess. Die Zwingburgen Roms und die durch die +Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem +gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran erinnern, dass sie +beide in gleicher Weise "den Beilen unterworfen" seien; die Voegte und +die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der gemeinsame Hass gegen +den gemeinsamen Zwingherrn. Wenn also der gegenwaertige Zustand der +italischen Bundesgenossen aus einem leidlichen Abhaengigkeitsverhaeltnis +umgeschlagen war in die drueckendste Knechtschaft, so war zugleich +denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts genommen worden. +Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die roemische Buergerschaft +sich abgeschlossen und die Erteilung des Buergerrechts an ganze +Gemeinden vollstaendig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr +beschraenkt. Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit +der die Erstreckung des roemischen Buergerrechts auf ganz Italien +bezweckenden Agitation in den Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das +Uebersiedlungsrecht selbst an und wies geradezu die saemtlichen in Rom +sich aufhaltenden Nichtbuerger durch Volks- und Senatbeschluss aus der +Hauptstadt aus - eine ebenso durch ihre Illiberalitaet gehaessige +wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefaehrliche +Massregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Roemern +frueher gestanden hatten teils als bevormundete Brueder, mehr beschuetzt +als beherrscht und nicht zu ewiger Unmuendigkeit bestimmt, teils als +leidlich gehaltene und der Hoffnung auf die Freilassung nicht voellig +beraubte Knechte, so standen sie jetzt saemtlich ungefaehr in gleicher +Untertaenigkeit und gleicher Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und +Beilen ihrer Zwingherren und durften hoechstens als bevorrechtete +Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren empfangenen Fusstritte +an die armen Provinzialen weiterzugeben. Es liegt in der Natur solcher +Zerwuerfnisse, dass sie anfangs, zurueckgehalten durch das Gefuehl der +nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich ueberdauerter +Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmaehlich der +Riss sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich +ihre Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht +als ihre Furcht, das unverhohlene Gewaltverhaeltnis sich offenbart. Bis +zu der Empoerung und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die +gleichsam offiziell den veraenderten Charakter der roemischen Herrschaft +konstatierte, trug die Gaerung unter den Italikern nicht eigentlich +einen revolutionaeren Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung +hatte allmaehlich sich gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte, +nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu +werden. Sehr bald konnte man erkennen, dass eine gutwillige Gewaehrung +nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird +nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung liess den +Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das +Zahlenverhaeltnis der Buerger und Nichtbuerger in Italien sich nicht +gehoerig ermitteln laesst, so kann es doch als ausgemacht gelten, dass +die Zahl der Buerger nicht sehr viel geringer war als die der italischen +Bundesgenossen und auf ungefaehr 400000 waffenfaehige Buerger mindestens +500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei +einem solchen Verhaeltnis die Buergerschaft einig und kein nennenswerter +aeusserer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner +Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache +oeffentliche und Privatverhaeltnisse mit Rom verknuepfte italische +Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr +gelangen und mit maessiger Klugheit es der Regierung nicht fehlen, die +schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils durch die kompakte +Masse der Buergerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel, +die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere +zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die +Revolution Rom zu erschuettern begann; sowie aber diese ausgebrochen +war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der roemischen +Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung +zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit +der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig +erreicht. Sie hatten sich ueberzeugen muessen, dass zwar die besten +Maenner beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer +Forderungen anerkannten, dass aber diese besten Maenner, Aristokraten +wie Populare, gleich wenig vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen +Forderungen Gehoer zu verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die +begabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmaenner Roms in demselben +Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von +ihren eigenen Anhaengern verlassen gefunden hatten und deshalb gestuerzt +worden waren. In all den Wechselfaellen der dreissigjaehrigen Revolution +und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, +aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige +Engherzigkeit sass ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgaenge +hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die +Beruecksichtigung ihrer Ansprueche von Rom erwarteten. Solange sich die +Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten +und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte +man sich noch dem Glauben ueberlassen, als sei die Oligarchie nur den +Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als +sei noch eine Moeglichkeit vorhanden, dass der intelligentere Staat +die mit dem Wesen der Oligarchie vertraegliche und dem Senat heilsame +Massregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in +denen der Senat wieder fast unumschraenkt regierte, hatten ueber die +Absichten auch der roemischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit +verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein +konsularisches Gesetz, das den Nichtbuergern aufs strengste untersagte, +des Buergerrechts sich anzumassen, und die Kontravenienten mit +Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine grosse Anzahl +der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am meisten +interessierten Personen aus den Reihen der Roemer in die der Italiker +zurueckwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und +staatsmaennischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit +jener beruehmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas +vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die naechste Ursache des +Buergerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, dass die Urheber dieses +Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten +gehoerten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein +verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum +Rechtsgelehrten und vom Verhaengnis zum Staatsmann bestimmte Quintus +Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schaedliche +Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den +zwischen Roemern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzuendet +hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des +Drusus und ueberhaupt einer der gemaessigtsten und einsichtigsten +Optimaten. Inmitten der heftigen Gaerung, die dies Gesetz und die daraus +entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien +den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus +Drusus. Was fast unmoeglich geduenkt hatte, dass ein Konservativer +die reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die +Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch +eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen, +zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen +hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer, +all seine zuverlaessige Hingebung an diese hochherzigen Reformplaene +zu setzen. Ober wirklich, wie erzaehlt wird, sich an die Spitze eines +Geheimbundes gestellt hat, dessen Faeden durch ganz Italien liefen und +dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen fuer +Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber wenn +er auch nicht zu so gefaehrlichen und in der Tat fuer einen roemischen +Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so ist es +doch sicher nicht bei allgemeinen Verheissungen geblieben und sind, +wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen Namen +hin bedenkliche Verbindungen geknuepft worden. Jubelnd vernahm man in +Italien, dass Drusus unter Zustimmung der grossen Mehrheit des Senats +seine ersten Antraege durchgesetzt habe; mit noch groesserem Jubel +feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des +ploetzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus' weitere Absichten +sich enthuellten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das +Hauptgesetz einzubringen; er musste verschieben, musste zoegern, +musste bald zurueckweichen. Man vernahm, dass die Majoritaet des Senats +unsicher werde und von ihrem Fuehrer abzufallen drohe; in rascher Folge +lief durch die Gemeinden Italiens die Kunde, dass das durchgebrachte +Gesetz kassiert sei, dass die Kapitalisten unumschraenkter schalteten +als je, dass der Tribun von Moerderhand getroffen, dass er tot sei +(Herbst 663 91). ----------------------------------------------------- +^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70) +entnommen; waffenfaehige Buerger zaehlte man in jenem Jahr 394336, in +diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Mueller, welchen Satz Clinton und +dessen Ausschreiber faelschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen; +nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Koepfe +gezaehlt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zaehlungsziffer, +die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Koepfe ergab, +ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise +der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevoelkerung Italiens in +der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst +die Sullanischen Landanweisungen die Luecken, die der Krieg gerissen, +hoechstens gedeckt haben koennen, so darf der Ueberschuss von reichlich +500000 Waffenfaehigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte +Aufnahme der Bundesgenossen zurueckgefuehrt werden. Indes ist es +moeglich und sogar wahrscheinlich, dass in diesen verhaengnisvollen +Jahren der Gesamtstand der italischen Bevoelkerung vielmehr zurueckging; +rechnet man das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfaehige, was +nicht uebertrieben erscheint, so kommen fuer die Zeit des +Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Buerger drei Nichtbuerger. 2 +Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: "Ich +schwoere bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der roemischen Vesta +und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der +naehrenden Erde und bei den goettlichen Gruendern und Mehrern (den +Penaten) der Stadt Rom, dass mir Freund sein soll und Feind sein soll, +wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen dass ich weder meines +eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will, +ausser insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn +ich aber Buerger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will +ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den groessten meiner +Wohltaeter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbuerger, +als ich vermag; und schwoere ich recht, so gehe es mir wohl, schwoere +ich falsch, so gehe es mir uebel!" Indes wird man Wohltun, diesen +Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er ruehrt entweder her aus den gegen +Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die sinnlose, von +dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Ueberschrift 'Eid des +Philippus' zu fuehren scheint) oder im besten Fall aus den spaeter ueber +diese Verschwoerung in Rom aufgenommenen Kriminalprozessakten; und auch +bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel +aus den Inkulpaten heraus- oder in sie hineininquiriert ward. +--------------------------------------- Die letzte Hoffnung, durch +Vertrag die Aufnahme in den roemischen Buergerverband zu erlangen, +ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu dieser +konservative und energische Mann unter den guenstigsten Verhaeltnissen +seine eigene Partei nicht hatte bestimmen koennen, dazu war ueberhaupt +auf dem Wege der Guete nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur +die Wahl, entweder geduldig sich zu fuegen oder den Versuch, der vor +fuenfunddreissig Jahren durch die Zerstoerung von Fregellae im Keim +erstickt worden war, noch einmal und womoeglich mit gesamter Hand zu +wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu vernichten und zu beerben, +sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu erzwingen. Es war +dieser letztere Entschluss freilich ein Entschluss der Verzweiflung; +wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden +gegen die roemische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser erscheinen +als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstaedte gegen das Britische +Imperium; allem Anschein nach konnte die roemische Regierung mit +maessiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung +das Schicksal der frueheren bereiten. Allein war es etwa minder ein +Entschluss der Verzweiflung, wenn man stillsass und die Dinge ueber +sich kommen liess? Wenn man sich erinnerte, wie die Roemer ungereizt +in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu erwarten, wo die +angesehensten Maenner in jeder italischen Stadt mit Drusus in einem +Einverstaendnis gestanden hatten oder haben sollten - beides war +hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu gegen die +jetzt siegreiche Partei gerichtet und fueglich als Hochverrat zu +qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja +allen, die nur der Teilhaberschaft verdaechtigt werden konnten, blieb +keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter +das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, dass fuer eine allgemeine +Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwaertige Augenblick noch +verhaeltnismaessig guenstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau +darueber unterrichtet, inwieweit die Roemer die Sprengung der groesseren +italischen Eidgenossenschaften durchgefuehrt hatten; es ist indes nicht +unwahrscheinlich, dass die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die +Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch +bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf blosse Fest- und +Opfergemeinschaft zurueckgefuehrten Gemeindebuenden zusammenstanden. +Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbaenden +einen Stuetzpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Roemer ebendarum +dazu schreiten wuerden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner, +an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches +oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und +gewaehrte fuer die politische Organisation des Aufstandes einen +wichtigen Anhalt, waehrend die militaerische daran anknuepfen konnte, +dass jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten +besass. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich gefasst. Man +vernahm wohl davon, dass unruhige Bewegungen in Italien stattfaenden und +die bundesgenoessischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr +unterhielten; aber statt schleunigst die Buerger unter die Waffen zu +rufen, begnuegte das regierende Kollegium sich damit, in herkoemmlicher +Art die Beamten zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um +etwas Genaueres zu erfahren. Die Hauptstadt war so voellig unverteidigt, +dass ein entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, +einer von den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen +haben soll, an der Spitze einer Schar zuverlaessiger, unter den +Gewaendern Schwerter fuehrender Maenner sich in dieselbe einzuschleichen +und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemaechtigen. Ein Aufstand +bereitete also sich vor; Vertraege wurden geschlossen, die Ruestungen +still und taetig betrieben, bis endlich, wie gewoehnlich noch etwas +frueher, als die leitenden Maenner beabsichtigt hatten, durch einen +Zufall die Insurrektion zum Ausbruch kam. Der roemische Praetor mit +prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius, durch seine Kundschafter davon +benachrichtigt, dass die Stadt Asculum (Ascoli) in den Abruzzen an die +Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit seinem Legaten Fonteius +und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben zur Feier der +grossen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde Drohrede. Der +Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkuendigung der nur zu +ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten +aufgehaeuften Zunder des erbitterten Hasses; die roemischen Beamten +wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als +gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede Bruecke der Versoehnung +abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit geschlossen, die +saemtlichen in Asculum verweilenden Roemer niedergemacht und ihre Habe +gepluendert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die Empoerung durch +die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk der Marser +in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in den +Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der +schon genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der +Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den Roemern foermlich abgesagt, +wonach spaeterhin dem Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen +Beispiel folgten die samnitischen und ueberhaupt die Masse der Gemeinden +vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so +dass bald in ganz Mittel- und Sueditalien gegen Rom geruestet ward. Die +Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu Rom, wie sie bereits frueher mit +den Rittern zusammengehalten hatten gegen Drusus. Es ist bezeichnend, +dass in diesen Landschaften seit alten Zeiten die Grund- und +Geldaristokratie uebermaechtig und der Mittelstand gaenzlich +verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich +reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der +Bauern- und ueberhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand +wesentlich hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt +noch Hand in Hand ging mit der hauptsaechlichen Regierung. Danach ist es +auch leicht erklaerlich, dass in den aufstaendischen Distrikten einzelne +Gemeinden und in den aufstaendischen Gemeinden Minoritaeten festhielten +an dem roemischen Buendnis; wie zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna +fuer Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hirpinerland +gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von Aeclanum die +roemischen Operationen in Kampanien unterstuetzte. Endlich hielten +fest an Rom die am besten gestellten bundesgenoessischen Gemeinden, in +Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestaedte Neapolis +und Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien, +wie zum Beispiel Alba und Aesernia - ebenwie im Hannibalischen Kriege +die latinischen und die griechischen Staedte im ganzen fuer die +sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten +Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegruendet und +mit geschickter Abstufung der Abhaengigkeiten die schlechter gestellten +Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb jeder Gemeinde aber +die Buergerschaft durch die Munizipalaristokratie in Untertaenigkeit +gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der +Oligarchie, erprobte es sich vollstaendig, wie fest und gewaltig die +Staatsmaenner des vierten und fuenften Jahrhunderts ihre Werksteine +ineinandergefuegt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach +erschuetterte Bau noch aus. Freilich war damit, dass die besser +gestellten Staedte nicht auf den ersten Stoss von Rom liessen, noch +keineswegs gesagt, dass sie auch jetzt, wie im Hannibalischen Kriege, +auf die Laenge und nach schweren Niederlagen ausdauern wuerden, ohne +in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch nicht +ueberstanden. Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei +grosse Heerlager auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, +noch gar viel an einer allgemeinen Schilderhebung der italischen +Bundesgenossenschaft; dennoch hatte die Insurrektion schon eine +vielleicht die Hoffnungen der Fuehrer selbst uebertreffende Ausdehnung +gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Uebermut daran denken, der +roemischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie sandten +Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den +Buergerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der +Gemeinsinn, der so lange in Rom vermisst worden war, schien ploetzlich +wiedergekehrt zu sein, nun es sich darum handelte, einem gerechten und +jetzt auch mit ansehnlicher Macht unterstuetzten Begehren der Untertanen +mit starrer Borniertheit in den Weg zu treten. Die naechste Folge der +italischen Insurrektion war, aehnlich wie nach den Niederlagen, die die +Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte, die Eroeffnung +eines Prozesskrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache +nahm an denjenigen Maennern der Regierung, in denen man, mit Recht oder +Unrecht, die naechste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des +Tribuns Quintus Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten +und trotz der tribunizischen Interzession eine besondere +Hochverratskommission, natuerlich aus dem mit offener Gewalt fuer diesen +Antrag kaempfenden Ritterstand, niedergesetzt zur Untersuchung der von +Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom, weitverzweigten +Verschwoerung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und die +jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und +erschreckten Buergerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien. +Die Urteile dieser Kommission raeumten stark auf in den Reihen der +senatorischen Vermittlungspartei; unter andern namhaften Maennern +ward Drusus' genauer Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die +Verbannung gesandt, und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem +gleichen Schicksal. Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus +geneigten Senatoren ging soweit, dass bald nachher der Konsul Lupus aus +dem Lager an den Senat berichtete ueber die Verbindungen, die zwischen +den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde bestaendig unterhalten +wuerden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das Aufgreifen +marsischer Spione als unbegruendet auswies. Insofern konnte der Koenig +Mithradates nicht mit Unrecht sagen, dass der Hader der Faktionen aerger +als der Bundesgenossenkrieg selbst den roemischen Staat zerruettete. +Zunaechst indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der +Terrorismus, den die Hochverratskommission uebte, wenigstens einen +Schein her von Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen; +die faehigen Offiziere aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius, +Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius +Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfuegung; die +Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch +Volksbeschluss wesentlich beschraenkt, um die finanziellen Kraefte des +Staates fuer den Krieg zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir, +als bei der drohenden Stellung des Koenigs Mithradates die Provinz Asia +jeden Augenblick in Feindeshand geraten und damit eine der Hauptquellen +des roemischen Schatzes versiegen konnte; die Gerichte stellten mit +Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluss des Senats vorlaeufig +ihre Taetigkeit ein; alle Geschaefte stockten und man dachte an nichts +als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. Waehrend also +der fuehrende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren Krieges +sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere +Aufgabe zu loesen, sich waehrend des Kampfes politisch zu organisieren. +In dem inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und +vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten Landschaften +belegenen Gebiete der Paeligner, in der schoenen Ebene an dem +Pescarafluss ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder zur +Stadt Italia, deren Buergerrecht den Buergern saemtlicher insurgierter +Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Groesse Markt und +Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fuenfhundert Mitgliedern erhielt +den Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des +Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Buergerschaft aus den +Maennern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwoelf Praetoren, die +ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Praetoren die hoechste Amtsgewalt +in Krieg und Frieden .uebernahmen. Die lateinische Sprache, die damals +schon bei den Marsern und Picentern die landuebliche war, blieb in +offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im +suedlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider +bediente man sich abwechselnd auf den Silbermuenzen, die man nach +roemischen Mustern und nach roemischem Fuss auf den Namen des neuen +italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten +von Rom ausgeuebte Muenzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus +diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst versteht, +dass die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von den +Roemern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu unterwerfen +und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht daraus auch +hervor, dass ihre Verfassung nichts war als ein reiner Abklatsch der +roemischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den italischen +Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine Stadtordnung +statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher +Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die roemischen Komitien es waren, +mit einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie +in sich trug wie der roemische Senat, mit einer in gleicher Art durch +eine Vielzahl konkurrierender hoechster Beamten ausgeuebten Exekutive +- es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie +zum Beispiel der Konsul- oder Praetortitel des hoechstkommandierenden +Magistrats auch von den Feldherren der Italiker nach einem Siege +vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es aendert sich eben nichts als +der Name, ganz wie auf den Muenzen der Insurgenten dasselbe Goetterbild +erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet. Nur +darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom +von dem urspruenglichen, dass das letztere denn doch eine staedtische +Entwicklung gehabt und seine unnatuerliche Zwischenstellung zwischen +Stadt und Staat wenigstens auf natuerlichem Wege sich gebildet hatte, +wogegen das neue Italia gar nichts war als der Kongressplatz der +Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel +zu Buergern dieser neuen Hauptstadt gestempelt wurden. Bezeichnend +aber ist es, dass hier, wo die ploetzliche Verschmelzung einer Anzahl +einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen Einheit den Gedanken +einer Repraesentativverfassung im modernen Sinn so nahelegte, doch von +einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigt 3 und nur die +kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher +reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie +hier, dass dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von +dem Auftreten des souveraenen Volkes in eigener Person in den +Urversammlungen oder von der Stadt, und dass der grosse Grundgedanke +des heutigen republikanisch-konstitutionellen Staates: die +Volkssouveraenitaet auszudruecken durch eine Repraesentantenversammlung, +dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding waere, ganz und +vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung, obwohl sie +in den gewissermassen repraesentativen Senaten und in dem Zuruecktreten +der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich naehert, hat doch +weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu ueberschreiten +vermocht. --------------------------------------------------- 3 Selbst +aus unserer duerftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5, +4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum +Beispiel der letztere ausdruecklich sagt, dass die Buergerschaft die +Beamten waehlte. Dass der Senat von Italia in anderer Weise gebildet +werden und andere Kompetenz haben sollte als der roemische, ist +wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten +Zusammensetzung natuerlich fuer eine einigermassen gleichmaessige +Vertretung der insurgierten Staedte gesorgt haben; allein dass die +Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, +ist nirgends ueberliefert. Ebensowenig schliesst der Auftrag an den +Senat, die Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den +Beamten und die Ratifikation durch die Volksversammlung aus. +------------------------------------------------- So begann wenige +Monate nach Drusus' Tode im Winter 663/64 (91/90) der Kampf, wie eine +der Insurgentenmuenzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers gegen +die roemische Woelfin. Beiderseits ruestete man eifrig; in Italia wurden +grosse Vorraete an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehaeuft; in Rom bezog man +aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorraete +und setzte fuer alle Faelle die lange vernachlaessigten Mauern in +Verteidigungszustand. Die Streitkraefte waren einigermassen gleich +gewogen. Die Roemer fuellten die Luecken in den italischen Kontingenten +teils durch gesteigerte Aushebung aus der Buergerschaft und aus den +schon fast ganz romanisierten Bewohnern der Keltenlandschaften diesseits +der Alpen, von denen allein bei der kampanischen Armee 10000 dienten +4, teils durch die Zuzuege der Numidier und anderer ueberseeischer +Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und kleinasiatischen +Freistaedte eine Kriegsflotte zusammen 5. Beiderseits wurden, ohne +die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemacht 6 und an +Tuechtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die +Italiker hinter den Roemern in nichts zurueck. Die Fuehrung des Krieges +war fuer die Insurgenten wie fuer die Roemer deswegen sehr schwierig, +weil das aufstaendische Gebiet sehr ausgedehnt und eine grosse Zahl zu +Rom haltender Festungen in demselben zerstreut war; so dass einerseits +die Insurgenten sich genoetigt sahen, einen sehr zersplitternden und +zeitraubenden Festungskrieg mit einer ausgedehnten Grenzdeckung zu +verbinden, andrerseits die Roemer nicht wohl anders konnten, als +die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen insurgierten +Landschaften zu bekaempfen. Militaerisch zerfiel das insurgierte Land in +zwei Haelften: in der noerdlichen, die von Picenum und den Abruzzen +bis an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden +Distrikte umfasste, uebernahmen italischerseits der Marser Quintus +Silo, roemischerseits Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den +Oberbefehl; in der suedlichen, welche Kampanien, Samnium und ueberhaupt +die sabellisch redenden Landschaften in sich schloss, befehligte als +Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als roemischer +Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden Oberfeldherrn standen +auf italischer Seite sechs, auf roemischer fuenf Unterbefehlshaber +zur Seite, so dass ein jeder von diesen in einem bestimmten Bezirk den +Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber die +Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen. +Die angesehensten roemischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, +Quintus Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare +Titus Didius und Publius Crassus, stellten fuer diese Posten den Konsuln +sich zur Verfuegung; und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so +gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg, +dass ihre Fuehrer den roemischen militaerisch in nichts nachstanden. +--------------------------------------------------- 4 Die Schleuderbleie +von Asculum beweisen, dass auch im Heere des Strabo die Gallier sehr +zahlreich waren. 5 Wir haben noch einen roemischen Senatsbeschluss vom +22. Mai 676 (78), welcher dreien griechischen Schiffskapitaenen von +Karystos, Klazomenae und Miletos fuer die seit dem Beginn des Italischen +Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren +und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, dass +von Herakleia am Schwarzen Meer fuer den Italischen Krieg zwei Trieren +aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben +heimgekehrt seien. 6 Dass diese Angaben Appians nicht uebertrieben +ist, beweisen die Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen +die fuenfzehnte Legion nennen. +---------------------------------------------------- Die Offensive in +diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf seiten der +Roemer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es +faellt auf, dass weder die Roemer ihre Truppen zusammennahmen, um +einen ueberlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszufuehren, noch die +Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzuruecken und sich auf die +feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen +Verhaeltnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders +haette handeln koennen und inwieweit die Schlaffheit der roemischen +Regierung einer- und die lose Verbindung der foederierten Gemeinden +andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegfuehrung beigetragen +haben. Es ist begreiflich, dass bei diesem System es wohl zu Siegen und +Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgueltigen Erledigung; +nicht minder aber auch, sass von einem solchen Krieg, der in eine Reihe +von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald +kombiniert operierender Korps sich aufloeste, aus unserer beispiellos +truemmerhaften Ueberlieferung ein anschauliches Bild sich nicht +herstellen laesst. Der erste Sturm traf selbstverstaendlich die in den +insurgierten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst +ihre Tore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. +Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf +die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier +trafen sie auf den entschlossensten Widerstand. Aehnliche Kaempfe moegen +im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Sueden um Luceria, Benevent, +Nola, Paestum getobt haben, bevor und waehrend die roemischen Heere +sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem +die Suedarmee unter Caesar in der groesstenteils noch zu Rom haltenden +kampanischen Landschaft sich im Fruehjahr 664 (90) gesammelt und Capua +mit seinem fuer die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die +bedeutenderen Bundesstaedte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie +zur Offensive ueberzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien +unter Marcus Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen +zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern +unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurueckgewiesen, und die +wichtige Stadt Venafrum trat hierauf ueber zu den Insurgenten, denen sie +die roemische Besatzung in die Haende lieferte. Durch den Abfall dieser +Stadt, die auf der Heerstrasse von Kampanien nach Samnium lag, war +Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung +sah sich jetzt ausschliesslich auf den Mut und die Ausdauer ihrer +Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte +ein Streifzug, den Sulla mit derselben kuehnen Verschlagenheit wie vor +Jahren den Zug zu Bocchus gluecklich zu Ende fuehrte, den bedraengten +Aeserninern fuer einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach +hartnaeckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die aeusserste +Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius +Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genoetigt, sich in Grumentum +einzuschliessen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien +und die suedlichen Landschaften hatte man ohnehin gaenzlich sich selbst +ueberlassen muessen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an +der Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrueckte, uebergab +die Buergerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die roemische +Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus' Befehl hingerichtet, +die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger +Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis +zum Vesuv den Roemern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum +erklaerten sich fuer die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet +noerdlich vom Vesuv vorruecken und mit seiner samnitisch- lucanischen +Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in grosser Zahl bei Caesars +Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus ueberzugehen oder +vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Uebergabe von +Venusia den Samniten in die Haende gefallen war und nun im koeniglichen +Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so dass Caesar +sich genoetigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat +zurueckzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das roemische +Lager; allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem +Abzug die roemische Reiterei in den Ruecken gefallen war, liessen bei +6000 Tote auf dem Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den +in diesem Kriege die Roemer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum +Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder +an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee +bei einem Flussuebergang von Marius Egnatius angegriffen und so +nachdruecklich geschlagen, dass sie bis Teanum zurueckweichen und dort +wieder organisiert werden musste; indes gelang es den Anstrengungen +des taetigen Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder +in kriegsfaehigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder +einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee +unter Mutilus fortfuhr zu belagern. Gleichzeitig hatten die Operationen +auch in Mittelitalien begonnen, wo der Aufstand von den Abruzzen und +der Landschaft am Fuciner See aus in gefaehrlicher Naehe die Hauptstadt +bedrohte. Ein selbstaendiges Korps unter Gnaeus Pompeius Strabo ward +ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestuetzt, Asculum zu +bedrohen; die Hauptmasse dagegen der roemischen Nordarmee stellte +unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des +marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee +der Feind der Hauptstadt am naechsten stand; der kleine Fluss Tolenus +(Turano), der zwischen Tibur und Alba die Valerische Strasse schneidet +und bei Rieti in den Velino faellt, schied die beiden Heere. Ungeduldig +draengte der Konsul Lupus zur Entscheidung und ueberhoerte den +unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes ungewohnte Mannschaft erst +im kleinen Krieg zu ueben. Zunaechst ward ihm die 10000 Mann starke +Abteilung des Gaius Perpenna vollstaendig geschlagen. Der Oberfeldherr +entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte den +Rest des Korps mit dem unter Marius' Befehl stehenden, liess sich aber +dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von +ihm selbst, teils von Marius gefuehrten Abteilungen auf zwei nicht weit +voneinander geschlagenen Bruecken den Tolenus zu ueberschreiten. Ihnen +gegenueber stand Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an +der Stelle geschlagen, wo Marius den Bach ueberschritt, allein ehe der +Uebergang stattfand, sich mit Hinterlassung der blossen Lagerposten +von dort weggezogen und weiter flussaufwaerts eine verdeckte Stellung +genommen, in welcher er das roemische Korps unter Lupus unvermutet +waehrend des Uebergehens angriff und es teils niedermachte, teils in den +Fluss sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen +blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heissen, dass Marius, Scatos Abmarsch +endlich gewahrend, ueber den Fluss gegangen war und nicht ohne Verlust +der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flussuebergang +und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius ueber die +Paeligner erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas +zurueckzunehmen, und Marius, welcher nach Beschluss des Senats als +Hoechstkommandierender an Lupus' Stelle trat, verhinderte wenigstens, +dass der Feind weitere Erfolge errang. Allein Quintus Caepio, der bald +darauf ihm gleichberechtigt zur Seite gesetzt ward, weniger wegen eines +gluecklich von ihm bestandenen Gefechtes, als weil er den damals in Rom +tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition gegen Drusus sich +empfohlen hatte, liess sich von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein +Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit +einem grossen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern +zusammengehauen. Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger +Oberbefehlshaber, hinderte durch seinen zaehen Widerstand den Gegner, +die errungenen Vorteile zu benutzen, und drang allmaehlich tief in das +marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er lange; als er endlich +sie lieferte, ueberwand er seinen stuermischen Gegner, der unter anderen +Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt +zurueckliess. In einem zweiten Treffen wirkten Marius' Heer und das zur +Suedarmee gehoerige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch +empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die +Ehre dieses Tages aber blieb dem juengeren Offizier, denn Marius hatte +zwar die Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Fluechtigen +den Rueckzug verlegt und sie aufgerieben. Waehrend also am Fuciner +See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward, hatte auch das +picenische Korps unter Strabo ungluecklich und gluecklich gestritten. +Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius Scato +und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kraeften dasselbe angegriffen, +es geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius +den Strabo belagert hielt, waehrend Iudacilius in Apulien einrueckte und +Canusium, Venusia und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden +Staedte zum Anschluss an die Aufstaendischen bestimmte. Allein auf der +roemischen Seite bekam Servius Sulpicius durch seinen Sieg ueber die +Paeligner freie Hand, um in Picenum einzuruecken und Strabo Hilfe zu +bringen. Lafrenius ward, waehrend von vorn Strabo ihn angriff, von +Sulpicius in den Ruecken gefasst und sein Lager in Brand gesteckt; er +selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgeloester Flucht +nach Asculum. So vollstaendig hatte im Picenischen die Lage der Dinge +sich geaendert, dass wie vorher die Roemer auf Firmum, so jetzt die +Italiker auf Asculum sich beschraenkt sahen und der Krieg also sich +abermals in eine Belagerung verwandelte. Endlich war im Laufe des Jahres +zu den beiden schwierigen und vielgeteilten Kriegen im suedlichen +und mittleren Italien noch ein dritter in der noerdlichen Landschaft +gekommen, indem die fuer Rom so gefaehrliche Lage der Dinge nach den +ersten Kriegsmonaten einen grossen Teil der umbrischen und einzelne +etruskische Gemeinden veranlasst hatte, sich fuer die Insurrektion zu +erklaeren, so dass es noetig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus +Plotius, gegen die Etrusker den Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier +indes stiessen die Roemer auf einen weit minder energischen +Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und behaupteten +das entschiedenste Uebergewicht im Felde. So ging das schwere erste +Kriegsjahr zu Ende, militaerisch wie politisch truebe Erinnerungen und +bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militaerisch waren beide Armeen +der Roemer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen +geschwaecht und entmutigt, die Nordarmee genoetigt, vor allem auf die +Deckung der Hauptstadt bedacht zu sein, die Suedarmee bei Neapel in +ihren Kommunikationen ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele +Schwierigkeit aus dem marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen +und zwischen Rom und Neapel sich festsetzen konnten; weswegen man +es notwendig fand, wenigstens eine Postenkette von Cumae nach Rom +zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion waehrend dieses ersten +Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der Obertritt von +Nola, die rasche Kapitulation der festen und grossen latinischen Kolonie +Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen, +dass die roemische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht +imstande sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der +Buergerschaft das Aeusserste zugemutet, schon, um jene Postenkette an +der latinisch-kampanischen Kueste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene +in die Buergermiliz eingereiht, schon von den noch treugebliebenen +Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es war nicht moeglich, +die Sehne des Bogens noch schaerfer anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu +setzen. Die Stimmung der Buergerschaft war unglaublich gedrueckt. Nach +der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm +gefallenen namhaften Buerger von dem nahen Schlachtfeld nach der +Hauptstadt als Leichen zurueckgebracht und daselbst bestattet wurden, +als die Beamten zum Zeichen der oeffentlichen Trauer den Purpur und +die Ehrenabzeichen von sich legten, als von der Regierung an die +hauptstaedtischen Bewohner der Befehl erging, in Masse sich zu +bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung ueberlassen und +alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung gewichen +nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen +Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den +Kriegsrock wieder mit dem Buergerkleid vertauscht, auf die des +zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt; aber es war doch +nicht zweifelhaft, dass im ganzen die Roemer in diesem Waffengang den +kuerzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus dem Senat wie aus +der Buergerschaft der Geist entwichen, der sie einst durch alle Krisen +des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte. Man begann +den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Uebermut wie damals, aber +man wusste ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn, +die zaehe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz +gemacht. Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die aeussere und innere +Politik ploetzlich eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist +kein Zweifel, dass man damit das Kluegste tat, was sich tun liess; aber +nicht weil man, durch die unmittelbare Gewalt der Waffen genoetigt, +nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, +sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des politischen +Vorranges der Roemer vor den uebrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber +mehr schaedlich als foerderlich war. Es trifft im oeffentlichen Leben +wohl, dass ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der +Eigensinn verschuldet hatte, die Feigheit gewissermassen wieder gut. Das +Jahr 664 (90) hatte begonnen mit der schroffsten Zurueckweisung des +von den Insurgenten angebotenen Vergleichs und mit der Eroeffnung eines +Prozesskrieges, in welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger +des patriotischen Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an +allen denjenigen, die im Verdacht standen, der Maessigung und der +rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben. Dagegen brachte +der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember desselben +Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die Hochverratskommission +den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien, +nicht staendisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen +Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, dass diese Kommission aus +einer Geissel der Moderierten zu einer Geissel der Ultras ward und sie +unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die oeffentliche +Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung +des Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die +Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische +Palinodie war die veraenderte Richtung, die man in der Politik gegen die +Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom +zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen muessen; +Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war +derselbe nur moeglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die +Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich +erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstoeren, war die Fehde +zu erbittert geworden, als dass man in Rom es ueber sich gewonnen +haette, ihnen die verlangten Zugestaendnisse zu machen; und haette +man es getan, sie waeren vielleicht jetzt von der anderen Seite +zurueckgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen +Gemeinden die urspruenglichen Forderungen unter gewissen +Einschraenkungen gewaehrt wurden, so ward damit teils der Schein +freiwilliger Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche +Konsolidierung der Konfoederation verhindert und damit der Weg zu +ihrer Ueberwindung gebahnt. So taten denn die Pforten des roemischen +Buergertums, die der Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt +ploetzlich sich auf, als die Schwerter daran pochten; jedoch auch +jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst fuer die Aufgenommenen in +widerwilliger und kraenkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7 +durchgebrachtes Gesetz verlieh das roemische Buergerrecht den Buergern +aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht +Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius +Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbuergerten +und domizilierten Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm +gestattet sein solle, durch Anmeldung bei einem roemischen Beamten das +roemische Buergerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubuerger, +aehnlich den Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschraenkt +sein, dass von den fuenfunddreissig Bezirken sie nur in acht, wie +die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob die +Beschraenkung persoenlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht +mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Massregel bezog sich zunaechst auf +das eigentliche Italien, das noerdlich damals noch wenig ueber Ancona +und Florenz hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, +das zwar rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in +der Kolonisierung laengst als Teil Italiens galt, wurden saemtliche +latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im uebrigen +war hier diesseits des Po der groesste Teil des Bodens nach Aufloesung +der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen +Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum roemischer, meist in +Marktflecken (fora) zusammenwohnender Buerger. Die nicht zahlreichen +bundesgenoessischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna, +sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge +eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes +nach italischer Stadtverfassung organisiert, so dass die hierzu +sich nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den +Alpentaelern, einzelnen Staedten als abhaengige und zinspflichtige +Doerfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem +roemischen Buergertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion, +dass sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, +welche bisher den latinischen Staedten geringeren Rechts zugestanden +hatten. Italien endigte also damals tatsaechlich am Po, waehrend die +transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, noerdlich +vom Po, gab es ausser Cremona, Eporedia und Aquileia keine Buerger- oder +latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Staemme hier +keineswegs, wie suedlich vom Po, verdraengt worden. Die Abschaffung +der keltischen Gau- und die Einfuehrung der italischen Stadtverfassung +bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war +dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des +gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals +Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen +Herren. ------------------------------------------ 7 Das Julische +Gesetz muss in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen sein, da +waehrend der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische +ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Antraege, +unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664 +(90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden. +----------------------------------------- So ansehnlich diese +Zugestaendnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als +hundertfuenfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der +roemischen Buergerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine +Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils +die schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten, +teils moeglichst viele Ueberlaeufer aus den feindlichen Reihen +herueberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze, namentlich das +wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung gekommen sind, +laesst sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der Insurrektion zur +Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben vermoegen. +Die Hauptsache war auf jeden Fall, dass die bisher latinischen +Gemeinden, sowohl die Ueberreste der alten latinischen +Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die +latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten +uebergegangenen, dadurch eintraten in den roemischen Buergerverband. +Ausserdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen +Bundesstaedte in Etrurien und besonders in Sueditalien, wie Nuceria und +Neapolis. Dass einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden ueber die +Annahme des Buergerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken +trug, seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Buergern Freiheit vom +Landdienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch ueberdies +Domanialnutzungen garantierte, gegen das beschraenkte Neubuergerrecht +hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser +Anstaende wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten, dass diese Stadt, +sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in +Italien, selbst nach dem Eintritt in den Buergerverband ihre bisherige +Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle +unveraendert beibehalten haben. Auf alle Faelle ward infolge dieser +Gesetze der roemische Buergerverband ausserordentlich erweitert durch +das Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen +Meerenge bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, ausserdem +die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung +des besten bundesgenoessischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen +Anwartschaft auf das volle Buergerrecht beliehen. Gestuetzt auf diese +Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Roemer mit neuem +Mute den Kampf auf gegen die aufstaendischen Distrikte. Man hatte von +den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen, +als notwendig schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die +Insurrektion griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich +in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl +mehr noch durch das Julische Gesetz als durch den Erfolg der roemischen +Waffen so auffallend rasch ueberwaeltigt. In den ehemaligen latinischen +Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eroeffneten sich reiche +und jetzt zuverlaessige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der +Buergerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand +zu bewaeltigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach +Rom zurueck, Caesar als erwaehlter Zensor, Marius, weil man +seine Kriegfuehrung als unsicher und langsam tadelte und den +sechsundsechzigjaehrigen Mann fuer altersschwach erklaerte. Sehr +wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegruendet; Marius bewies, indem +er taeglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine +koerperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem +letzten Feldzug im ganzen die alte Tuechtigkeit bewaehrt zu haben; aber +glaenzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott +sich haette in der oeffentlichen Meinung rehabilitieren koennen, hatte +er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren +Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstaende zu dem alten Eisen +geworfen. An Marius' Stelle trat bei der marsischen Armee der Konsul +dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in Etrurien +gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der Unterfeldherr +Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des vorigen +Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit +so grossem Erfolg von ihm gefuehrte Kommando im picenischen Gebiet. So +begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten +eroeffneten durch den kuehnen, an den grossartigen Gang der Samnitischen +Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann +der in Norditalien gaerenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu +senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte, +verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollstaendig; nur wenige gelangten +zurueck in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit den +roemischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat Cato +das marsische Gebiet und drang unter gluecklichen Gefechten in demselben +vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem Sturm +auf das feindliche Lager, wodurch die ausschliessliche Oberleitung der +Operationen in Mittelitalien auf Strabo ueberging. Dieser beschaeftigte +sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der +Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften. +Zum Entsatz seiner bedraengten Heimatstadt erschien vor Asculum +Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die belagernde +Armee an, waehrend gleichzeitig die ausfallende Besatzung sich auf die +roemischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000 Roemer gegen +60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Roemern, doch gelang +es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu +werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig 8 +durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung +der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche +Kriegserklaerung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach +mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation herankommen sah, +liess er die Haeupter der roemisch gesinnten Fraktion der Buergerschaft +unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den Tod. So wurden +die Tore geoeffnet und die roemischen Exekutionen loesten die italischen +ab: alle Offiziere und alle angesehenen Buerger wurden hingerichtet, die +uebrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, saemtliches Hab und Gut von +Staats wegen eingezogen. Waehrend der Belagerung und nach dem Fall +von Asculum durchzogen zahlreiche roemische Korps die benachbarten +aufstaendischen Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur +Unterwerfung. Die Marruciner fuegten sich, nachdem Servius Sulpicius sie +bei Teate (Chieti) nachdruecklich geschlagen hatte. In Apulien drang +der Praetor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae und belagerte +Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius Egnatius +der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die Roemer +zurueckdraengte, gelang es dem roemischen Feldherrn bei dem Uebergang +ueber den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres +musste in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Roemer drangen +wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien. +Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen der +Insurrektion, stellten die Roemer ihre Herrschaft wieder her; die Marser +ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus Pius und +Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666 88) +an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die +bescheidene paelignische Landstadt Corfinium; die Reste des +italischen Senats fluechteten auf samnitisches Gebiet. +---------------------------------------------- 8 Schleuderbleie mit +dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit Verwuenschungen der +"entlaufenen Sklaven" - demnach roemische - oder mit der Aufschrift +entweder: "triff die Picenter" oder "triff den Pompeius" -jene +roemische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch +jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli. +--------------------------------------------- Die roemische Suedarmee, +welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig +die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind besetzte +suedliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstoert +(30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint +bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Laenger widerstand Pompeii. +Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz +zu bringen, allein er ward von Sulla zurueckgewiesen, und als er, durch +Keltenscharen verstaerkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsaechlich +durch den Wankelmut dieser unzuverlaessigen Gesellen so vollstaendig +geschlagen, dass sein Lager erobert und er selbst mit dem groessten +Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu niedergehauen ward. Das +dankbare roemische Heer verlieh seinem Feldherrn den Graskranz, mit +welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat geschmueckt +wurde, der durch seine Tuechtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden +gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den +Samniten noch besetzten kampanischen Staedte sich aufzuhalten, rueckte +Sulla sofort in das innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion +war. Die rasche Eroberung und fuerchterliche Bestrafung von Aeclanum +verbreitete Schrecken in der ganzen hirpinischen Landschaft; sie +unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug herankam, der zu +ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte ungehindert +vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft. Der +Pass, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde +umgangen, die samnitische Armee im Ruecken angegriffen und geschlagen; +das Lager ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach +Aesernia. Sulla rueckte vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft +Bovianum und zwang sie durch einen zweiten, unter ihren Mauern +erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die vorgerueckte Jahreszeit +machte hier dem Feldzug ein Ende. Es war der vollstaendigste Umschwung +der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so vordringend die Insurrektion +den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so +ueberall geschlagen, so voellig hoffnungslos ging sie aus demselben +hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide +Kuesten voellig in roemischer Gewalt, die Abruzzen fast vollstaendig, +Apulien bis auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Haenden der +Roemer und durch die Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung +gesprengt zwischen den beiden einzigen noch in offener +Gegenwehr beharrenden Landschaften, der samnitischen und der +lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer erloeschenden +ungeheuren Brandstaette; ueberall traf das Auge auf Asche und Truemmer +und verglimmende Braende, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen +die Flamme empor, aber man war des Feuers ueberall Meister und nirgends +drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, dass wir die Ursachen dieses +ploetzlichen Umschwunges in der oberflaechlichen Ueberlieferung nicht +mehr genuegend erkennen. So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas +geschickte Fuehrung und namentlich die energischere Konzentrierung +der roemischen Streitkraefte, die raschere Offensive wesentlich dazu +beigetragen hat, so moegen doch neben den militaerischen auch politische +Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht im Spiel +gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck, +Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der Feinde zu +tragen, erfuellt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknuepften +aufstaendischen Gemeinden das Unglueck als Apfel der Zwietracht gefallen +sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf eine sicher unter +heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Aufloesung der Italia -, dass +die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von +Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der +Marser landfluechtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich +eine andere, rein landschaftliche Organisation gaben und, nachdem die +"Italia" ueberwunden war, es unternahmen, als "Safinen" oder Samniten +den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste Aesernia ward aus der +Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte +sich von angeblich 30000 Mann zu Fuss und 1000 zu Pferd und ward +durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven verstaerkt; fuenf +Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo und +neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjaehriger Pause +die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk +abermals, ganz wie im fuenften Jahrhundert, nachdem die italische +Konfoederation gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine +landschaftliche Unabhaengigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. +Allein dieser Entschluss der tapfersten Verzweiflung aenderte in der +Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und Lucanien +noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die Insurrektion +war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende. +---------------------------------------------------- 9 Dieser Epoche +muessen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in oskischer +Schrift angehoeren; denn solange die Italia von den Insurgenten +festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveraene +Macht Muenzen mit dem eigenen Namen schlagen. +---------------------------------------------------- Allerdings war +inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die asiatischen +Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht hatten, +an Koenig Mithradates von Pontos den Krieg zu erklaeren und fuer das +naechste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee +nach Kleinasien zu bestimmen. Waere dieser Krieg ein Jahr frueher zum +Ausbruch gekommen, so haette die gleichzeitige Empoerung des halben +Italiens und der wichtigsten Provinz dem roemischen Staat eine ungeheure +Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der italischen +Insurrektion das wunderbare Glueck Roms sich abermals bewaehrt hatte, +war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem dass er mit +dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich +bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Uebermut die +Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von +der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. +Die Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen +ueberseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander fuehrte; die Staatskasse +war nach zwei Kriegsjahren bereits vollstaendig erschoepft, die Bildung +einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum +ausfuehrbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der +seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plaetze an die +Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2 Mill. Taler) geloest wurden, +lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht +gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach +Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im suedlichen +Italien es ihr gestatten wuerde sich zu entfernen; war bei den +Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee +voraussichtlich bald geschehen konnte. So begann der dritte Feldzug 666 +(88) unter guenstigen Aussichten fuer Rom. Strabo daempfte den letzten +Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward. In Apulien machte +Cosconius' Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn des Ueberwinders +von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an +militaerischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand +ein Ende durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen +genommen wurden. In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von +Bovianum; allein in einer Schlacht, die er dem roemischen General +Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Roemer, und was wichtiger war +als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die Samniten auf der Walstatt +liessen, war auch Silo. In Kampanien wurden die kleineren Ortschaften, +die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen entrissen und +Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der roemische Feldherr Aulus +Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei +einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der +Insurgentenfuehrer Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestoert in +der weiten und oeden lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar +einen Versuch sich Rhegions zu bemaechtigen, den indes der sizilische +Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner Unfaelle naeherte +man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die Unterwerfung +von Samnium, die Moeglichkeit, ansehnliche Streitkraefte fuer Asien +verfuegbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung +der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion +unvermutet Luft machte. Rom war in fuerchterlicher Gaerung. Drusus' +Angriff auf die Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter +jaeher Sturz, sodann der zweischneidige Varische Prozesskrieg hatten die +bitterste Zwietracht gesaet zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie +zwischen den Gemaessigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der +Partei der Nachgiebigkeit vollstaendig recht gegeben: was sie beantragt +hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen +zugestehen muessen; allein die Art, wie dies Zugestaendnis erfolgt war, +trug eben wie die fruehere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und +kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche Recht +zu gewaehren, hatte man die Zuruecksetzung nur anders formuliert. +Man hatte eine grosse Anzahl italischer Gemeinden in den roemischen +Buergerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem +ehrenruehrigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbuerger ungefaehr +wie die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die +Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugestaendnis des +latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem +ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, saemtlichen +wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloss das +Buergerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den +Aufstand vernichteten Vertraege ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, +hoechstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert +^10. Die Zuruecksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie +bei der damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und +die scheinheilige Fuersorge der Regierung fuer die unbefleckte Reinheit +der Waehlerschaft jedem Unbefangenen laecherlich erscheinen musste; +all jene Beschraenkungen aber waren insofern gefaehrlich, als sie jeden +Demagogen dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder +gerechten Forderungen der Neubuerger sowohl wie der vom Buergerrecht +ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen. Wenn +somit die heller sehende Aristokratie diese halben und missguenstigen +Konzessionen ebenso unzulaenglich finden musste wie die Neubuerger und +die Ausgeschlossenen selbst, so vermisste sie ferner schmerzlich in +ihren Reihen die zahlreichen und vorzueglichen Maenner, die die Varische +Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die zurueckzurufen +deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch Volks-, sondern +durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren; denn sowenig man +Bedenken trug, einen Volksschluss auch richterlicher Natur durch +einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation eines +Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren Aristokratie als +ein sehr gefaehrliches Beispiel. So waren weder die Ultras noch die +Gemaessigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber +von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit +erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus +unfreiwillig zurueckgekommen war, mit dem Bewusstsein, neue Dienste +geleistet und dafuer neue schwerste Kraenkungen empfangen zu haben, mit +dem bitteren Gefuehle, von den Feinden nicht mehr gefuerchtet, sondern +geringgeschaetzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen, der +sich aufnaehrt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von den +Neubuergern und den Ausgeschlossenen: unfaehig und unbehilflich wie er +sich erwiesen hatte, war doch sein populaerer Name in der Hand +eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug. +---------------------------------------------- ^10 Dediticiis, sagt +Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus [ci]vita[sJ data; +qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV ... cobortes miserunt worin +der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu civltas data +est) in teilweise schaerferer Fassung wiedererscheint. Dediticii sind +nach roemischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius +inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Roemern untertan geworden +und zu keinem Buendnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloss +Leben, Freiheit und Eigentum, sondern koennen auch in Gemeinden mit +eigener Verfassung konstituiert sein. Apolides, nullius certae civitatis +cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19, 17, 1), sind nur die durch +rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten Freigelassenen (ii +qui dediticiorum numero sunt, nur missbraeuchlich und bei besseren +Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; +Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini +Juniani. Aber die dediticii sind dennoch dem roemischen Staate +gegenueber insofern rechtlos, als nach roemischem Staatsrecht jede +Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) +und alle ihnen ausdruecklich oder stillschweigend zugestandenen Rechte +nur precario, also auf beliebigen Widerruf zugestanden werden (App. +Hisp. 44), der roemische Staat also, was er auch gleich oder spaeter +ueber seine Deditizier verhaengen mag, niemals gegen sie eine +Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hoert erst auf durch +Abschliessung eines Buendnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen +deditio und foedus als staatsrechtlich sich ausschliessende Gegenstaende +(Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und +nichts anderes ist auch der den Juristen gelaeufige Gegensatz der +Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die Latiner sind eben die +Foederierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54). Nach dem aelteren +Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen, infolge des +Hannibalischen Krieges ihrer Vertraege verlustig erklaerten Gemeinden, +keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von 664/65 +(90/89) schloss die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti +fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber +unter den dediticii, die 667 (87) nachtraeglich das Buergerrecht +empfingen, doch nicht fueglich bloss die Brettier und Picenter +verstanden sein koennen, so wird man annehmen duerfen, dass alle +Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und nicht nach dem +Plautisch-Papirischen Gesetz das Buergerrecht erworben hatten, als +Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, dass ihre durch die +Insurrektion von selbst kassierten Vertraege (darum qui foederati +fuerunt in der angefuehrten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der +Ergebung nicht rechtlich erneuert wurden. +--------------------------------------------- Mit diesen Elementen +politischer Konvulsionen verband sich der rasch fortschreitende Verfall +der ehrbaren Kriegssitte und der militaerischen Disziplin. Die Keime, +welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in sich trug, +entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit waehrend des +demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfaehigen Mann ohne +Unterschied zum Dienst zuzulassen noetigte und der vor allem unmittelbar +in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda +trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der +militaerischen Hierarchie. Waehrend der Belagerung von Pompeii ward +der Befehlshaber des Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus +Postumius Albinus, von seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem +Feinde verraten zu sein glaubten, mit Steinen und Knuetteln erschlagen; +und der Oberbefehlshaber Sulla begnuegte sich, die Truppen zu ermahnen, +durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang +auszuloeschen. Die Urheber dieser Tat waren die Flottensoldaten, von +jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend +aus dem Stadtpoebel ausgehobene Abteilung der Legionaere dem gegebenen +Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, +vergriff sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging +derselbe diesmal dem Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes +nicht bestraft. Als Cato dann bald darauf wirklich in einem Gefechte +umkam, wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der juengere Gaius +Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen, als die +Urheber seines Todes bezeichnet. Zu dieser beginnenden politischen +und militaerischen kam die vielleicht noch entsetzlichere oekonomische +Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und der asiatischen +Unruhen ueber die roemischen Geldmaenner hereingebrochen war. Die +Schuldner, unfaehig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von +ihren Glaeubigern unerbittlich gedraengt, hatten bei dem beikommenden +Gerichtsvorstand, dem Stadtpraetor Asellio, teils Aufschub erbeten, um +ihre Besitzungen verkaufen zu koennen, teils die alten verschollenen +Zinsgesetze wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestellten +Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider gezahlten +Zinsen von den Glaeubigern eingeklagt. Asellio gab sich dazu her, das +tatsaechlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen, und +instruierte in gewoehnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die +verletzten Glaeubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius +sich auf dem Markt zusammentaten und den Praetor, da er eben in +priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der +Eintracht ueberfielen und erschlugen - eine Freveltat, wegen deren nicht +einmal eine Untersuchung stattfand (665 89). Andererseits ging in +den Schuldnerkreisen die Rede, dass der leidenden Menge nicht anders +geholfen werden koenne als durch "neue Rechnungsbuecher", das heisst +durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen saemtlicher Glaeubiger +an saemtliche Schuldner. Es war genau wieder wie waehrend des +Staendestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der +befangenen Aristokratie der gedrueckten Menge und der zur Maessigung des +starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozess; wieder +stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte +Schuldner den Glaeubiger mit sich hinabreisst; nur war seitdem an die +Stelle der einfach buergerlichen und sittlichen Ordnung einer grossen +Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler Nationen und +diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler +sich begegnet; nur waren alle Missverhaeltnisse breiter, schroffer, in +grauenhafter Weise grossartiger geworden. Indem der Bundesgenossenkrieg +all die gaerenden politischen und sozialen Elemente in der Buergerschaft +gegeneinander ruettelte, legte er den Grund zu einer neuen Revolution. +Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall. Der Volkstribun Publius Sulpicius +Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der Buergerschaft die Antraege +stellte, jeden Senator, der ueber 2000 Denare (600 Taler) schulde, +seiner Ratsstelle verlustig zu erklaeren; den durch unfreie +Geschworenengerichte verurteilten Buergern die Rueckkehr in die Heimat +freizugeben; die Neubuerger durch saemtliche Distrikte zu verteilen +und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu +gestatten. Es waren Vorschlaege, die aus dem Munde dieses Mannes zum +Teil wenigstens ueberraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630 +124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt, +seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als +seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den Altersgenossen keiner +ihm gleichkam; die maechtige Stimme, die lebhaften, zuweilen an +Theateraktion streifenden Gebaerden, die ueppige Fuelle seines +Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht ueberzeugten. Seiner +Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats, +und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des +der Regierungspartei toedlich verhassten Norbanus gewesen. Unter den +Konservativen gehoerte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus. +Was ihn zunaechst veranlasste, sich fuer das Jahr 666 (88) um das +Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel +abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, dass auch er, +wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionaer +verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionaer geworden zu sein +und keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus +beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen +Prozesssturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des +Crassus und Drusus, sich berufen gefuehlt haben, das Werk des Drusus +zu vollenden und die noch bestehenden Zuruecksetzungen der Neubuerger +schliesslich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus +seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwaehnt, die das +gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er durch +sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des Varischen +Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluss zu kassieren; +und als der gewesene Aedil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit +Ueberspringung der Praetur um das Konsulat fuer 667 (87) bewarb, wie es +heisst in der Absicht, sich spaeter die Fuehrung des Asiatischen Krieges +uebertragen zu lassen, trat, entschlossener und schaerfer als irgendein +anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte +er von sich wie von andern zunaechst und vor allem die Einhaltung +der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie Drusus das +Unvertraegliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte, an sich +verstaendige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der Altbuergerschaft auf +guetlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsaenderung in strenger +Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der maechtigen Familie der +Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular +Lucius Caesar, im Senat sehr einflussreich war, und mit der derselben +anhaengenden Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich +mitgewirkt und den zornmuetigen Mann durch persoenliche Erbitterung +ueber die urspruengliche Absicht hinausgefuehrt. Aber der Charakter der +von ihm eingebrachten Antraege ist doch von der Art, dass sie keineswegs +die Persoenlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers +verleugnen. Die Gleichstellung der Neubuerger mit den Altbuergern war +nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen +Antraege zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfuellung der +Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurueckrufung der durch die +Varischen Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der +Unverletzlichkeit des Geschworenenwahrspruchs, fuer den Sulpicius +eben noch selbst mit der Tat eingestanden war, aber sie kam zunaechst +wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den +gemaessigten Konservativen, zugute, und es laesst sich von dem +stuermischen Mann recht wohl begreifen, dass er bei seinem ersten +Auftreten eine solche Massregel entschieden bekaempfte und dann, +ergrimmt ueber den Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte. +Die Massregel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel +herbeigefuehrt durch die Blosslegung der trotz alles aeusseren Glanzes +tief zerruetteten oekonomischen Lage der regierenden Familien bei +Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber +an sich doch im wohlverstandenen Interesse der Aristokratie, wenn, wie +dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein musste, alle Individuen +aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva rasch zu +liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Ueberschuldung vieler +Senatoren und ihrer dadurch herbeigefuehrten Abhaengigkeit von +den reichen Kollegen seinen hauptsaechlichen Halt fand, durch die +Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedaempft ward - +womit natuerlich nicht geleugnet werden soll, dass Rufus eine den Senat +so schroff und gehaessig prostituierende Saeuberung der Kurie, wie +er sie vorschlug, ohne seine persoenlichen Zerwuerfnisse mit den +herrschenden Koteriehaeuptern sicher niemals beantragt haben wuerde. +Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft +zunaechst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen; +an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen +Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen +zum Militaerdienst mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts +insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in +Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der +Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob in diesen Sumpf noch eine +Kloake mehr sich entleerte. Die Moeglichkeit, mit den Komitien zu +regieren, ward fuer die Oligarchie eher gesteigert als gemindert durch +die unbeschraenkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu einem sehr +grossen Teil von den regierenden Familien persoenlich und oekonomisch +abhaengig waren und richtig verwandt eben ein Mittel fuer die Regierung +abgeben konnten, die Wahlen gruendlicher noch als bisher zu beherrschen. +Wider die Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief +diese Massregel allerdings wie jede andere politische Beguenstigung des +Proletariats; allein sie war auch fuer Rufus schwerlich etwas anderes, +als was das Getreidegesetz fuer Drusus gewesen war: ein Mittel, um +das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit dessen Hilfe den +Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft gemeinnuetzigen Reformen +zu brechen. Es liess sich leicht voraussehen, dass dieser nicht gering +sein, dass die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie +ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion +jetzt nach ihrer Ueberwindung betaetigen, dass die grosse Majoritaet +aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten +halben Zugestaendnisse im stillen oder auch laut als unzeitige +Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich +leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus' Beispiel hatte gezeigt, was +dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen +auf die Senatsmajoritaet durchzusetzen unternahm; es war vollkommen +erklaerlich, dass sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten +in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu +realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Muehe, durch +den Koeder der Geschworenengerichte den Senat fuer sich zu gewinnen. +Besseren Rueckhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem +bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus +3000 gedungenen Leuten und einem "Gegensenat" von 600 jungen Maennern +aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Strassen und auf dem Markte +erschien. Seine Antraege stiessen denn auch auf den entschiedensten +Widerstand bei der Majoritaet des Senats, welche zunaechst, um Zeit zu +gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius +Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, ausserordentliche +religioese Festlichkeiten anzuordnen, waehrend deren die +Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen +Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius, +der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand +und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla +soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, dass Marius ihm sein +Haus oeffnete. Man musste nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die +angekuendigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Antraege +gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal +noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die +Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem +Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht +uebersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des +Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische +Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt +fuer den Augenblick gewichen war, nicht bloss mit der Senatsmajoritaet +in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die +Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner +Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knuettelmaenner oder die +wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren, +lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, dass der +Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der +Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurueckkehren werde, um den +konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen ueber den Haufen zu +werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wuenschte den Krieg gegen +Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstaedtischen +politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und +seiner unuebertroffenen politischen Nonchalance hat es grosse +Wahrscheinlichkeit, dass er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, +keineswegs beabsichtigte und dass er, wenn man ihn haette gewaehren +lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch +beschaeftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien +eingeschifft haben wuerde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius +entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den +Oberbefehl abzunehmen, und liess zu diesem Ende mit Marius sich ein, +dessen Name noch immer hinreichend populaer war, um einen Antrag, den +Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu uebertragen, der Menge +plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militaerische Stellung und +Kapazitaet fuer den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stuetze werden +konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfaehigen als +rach- und ehrsuechtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu +stellen, mochte Sulpicius nicht uebersehen und ebensowenig die arge +Abnormitaet, einem Privatmann ein ausserordentliches Oberkommando durch +Volksschluss zu uebertragen; aber eben Marius' erprobte staatsmaennische +Unfaehigkeit gab eine Art Garantie dafuer, dass er die Verfassung nicht +ernstlich wuerde gefaehrden koennen, und vor allem war Sulpicius' eigene +Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte, +dass dergleichen Ruecksichten kaum mehr in Betracht kamen. Dass der +abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als +Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem +Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg geluestete sein Herz seit +vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gruendlich +abzurechnen mit der Senatsmajoritaet. Demnach erhielt auf Antrag des +Sulpicius durch Beschluss des Volkes Gaius Marius mit ausserordentlicher +hoechster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der +kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates, +und es wurden, um das Heer von Sulla zu uebernehmen, zwei Volkstribune +in das Lager von Nola abgesandt. Die Botschaft kam an den unrechten +Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den Oberbefehl im Asiatischen +Kriege zu fuehren, so war es Sulla. Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem +groessten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte +mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Ueberwaeltigung der +gefaehrlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in +welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten +Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreundeten und +verschwaegerten Kollegen das Kommando in demselben uebertragen worden. +Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen Verhaeltnissen +uebernommenen Oberbefehl nach Beschluss der souveraenen Buergerschaft +von Rom abzugeben an einen alten militaerischen und politischen +Antagonisten, in dessen Haenden die Armee, niemand mochte sagen zu +welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, missbraucht werden konnte. +Sulla war weder gutmuetig genug, um freiwillig einem solchen Befehl +Folge zu leisten, noch abhaengig genug, um es zu muessen. Sein Heer +war, teils infolge der von Marius herruehrenden Umgestaltungen des +Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere +und militaerisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem +Fuehrer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente +Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer +Kopf, dem die souveraene roemische Buergerschaft ein Poebelhaufen war, +der Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle +Legalitaet eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit +halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als +Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es +waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von Rom +angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen anzudeuten, +dass der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern +andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien fuehren werde. Die +hoeheren Offiziere, immer noch mehr Buerger als Militaers, hielten sich +zurueck, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die +Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach frueheren Erfahrungen in Asien +einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten +auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen +und von allen Seiten erscholl der Zuruf, dass der Feldherr sie auf Rom +zu fuehren moege. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs +seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen +Maerschen, wenig sich kuemmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden +Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der +Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersaeulen sich aufstellen an der +Tiberbruecke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei +Legionen in Reih' und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten +Mauerring ueberschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt +hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren +innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne dass ein roemisches +Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen haette; jetzt geschah es, +zunaechst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier +berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrueckenden Legionen +gingen vor bis auf die Hoehe des Esquilin; als die von den Daechern +heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und +sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel +und, mit Brandpfeilen und Anzuendung der Haeuser drohend, brachen die +Legionen sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. +Maria Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius +zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden +Kolonnen durch die Ueberzahl zurueck. Aber von den Toren kam denselben +Verstaerkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der +Suburastrasse die Verteidiger zu umgehen; sie mussten zurueck. Am Tempel +der Tellus, wo der Esquilin anfaengt sich gegen den Grossen Marktplatz +zu senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor +Senat und Ritter und die gesamte Buergerschaft, den Legionen sich +entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Buergern in +Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie +gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die +Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu +bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Fuehrern +nichts uebrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen; +nach wenigen Stunden war Sulla unumschraenkter Herr von Rom. Diese +Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Grossen Marktplatz der +Hauptstadt. Die erste militaerische Intervention in den buergerlichen +Fehden hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl dass die politischen +Kaempfe auf dem Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und +unmittelbare Gewalt die Entscheidung gibt, als auch dass die Gewalt +des Knuettels nichts ist gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die +konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst gezogen und an der +denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums ueber den, der +zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfuellt hat. Fuer jetzt +triumphierte sie vollstaendig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber +formulieren. Von selbst verstand es sich, dass die Sulpicischen Gesetze +als von Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine +namhaftesten Anhaenger hatten sich gefluechtet; sie wurden, zwoelf +an der Zahl, von dem Senat als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und +Hinrichtung ausgeschrieben. Publius Sulpicius ward infolgedessen bei +Laurentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte Haupt +des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf ebenderselben +Rednerbuehne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage zuvor in +voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geaechteten +wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Moerder auf den +Fersen. Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage +durch eine Kette von Erbaermlichkeiten getruebt haben mochte, jetzt, wo +der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger +von Vercellae und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien +die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug +bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an +Vorraeten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut +Glueck in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach +sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuss, oft vom Hunger +gepeinigt, in die Naehe der roemischen Kolonie Minturnae an der Muendung +des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden +Reiter; mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes +Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die aengstlichen +Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, waehrend Marius +am Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Guertel in +den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen, +fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehoerde +von Minturnae. Er ward ins Gefaengnis gelegt und der Stadtbuettel, +ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche +erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das +Beil entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn +anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu toeten. Als man +dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, dass der +Retter Roms groessere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die +Knechtschaft, als bei den Mitbuergern, denen er die Freiheit gebracht +hatte; sie loesten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und +sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des +Sulpicius fanden in diesen Gewaessern sich allmaehlich zusammen; sie +liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die roemischen +Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurueck. So entrannen sie +nach Numidien, dessen oede Strandduenen ihnen einen Zufluchtsort fuer +den Winter gewaehrten. Allein der Koenig Hiempsal II., den sie zu +gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben +hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um +sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu +bemaechtigen. Mit genauer Not entrannen die Fluechtlinge seinen Reitern +und fanden vorlaeufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina +(Kerkena) an der tunesischen Kueste. Wir wissen es nicht, ob Sulla +seinem Gluecksstern auch dafuer dankte, dass es ihm erspart blieb, den +Kimbrersieger toeten zu lassen; wenigstens scheint es nicht, dass +die minturnensischen Beamten bestraft worden sind. Um die vorhandenen +Uebelstaende zu beseitigen und kuenftige Umwaelzungen zu verhueten, +veranlasste Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Fuer die +bedraengten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als dass man die +Vorschriften ueber das Zinsmaximum einschaerfte ^11; ausserdem wurde die +Ausfuehrung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten +und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat +ward ergaenzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl +natuerlich im optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden +hinsichtlich des Wahlmodus und der legislatorischen Initiative +wesentliche Aenderungen vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung +der Zenturiatkomitien, nach der die erste Steuerklasse mit einem +Vermoegen von 100000 Sesterzen (7600 Talern) oder darueber allein fast +die Haelfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die Stelle der +im Jahre 513 (241) eingefuehrten, das Uebergewicht der ersten Klasse +mildernden Ordnungen. Tatsaechlich ward damit fuer die Wahl der +Konsuln, Praetoren und Zensoren ein Zensus eingefuehrt, der die nicht +Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache nach ausschloss. Die +legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen dadurch beschraenkt, +dass jeder Antrag fortan von ihnen zunaechst dem Senat vorgelegt werden +musste und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an das Volk gelangen +konnte. ------------------------------------------------ ^11 Klar ist +es nicht, was das "Zwoelftelgesetz', der Konsuln Sulla und Rufus von 666 +(88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt aber, +darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so dass +der hoechste erlaubte Zinsfuss wieder 1/12 des Kapitals fuer das +zehnmonatliche oder 10 Prozent fuer das zwoelfmonatliche Jahr ward. +------------------------------------------------- Diese durch den +Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfuegungen desjenigen +Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei +aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentuemlichen +Charakter. Sulla wagte es, ohne die Buergerschaft oder Geschworene zu +fragen, ueber zwoelf der angesehensten Maenner, darunter fungierende +Beamte und den beruehmtesten General seiner Zeit, das Todesurteil zu +verhaengen und oeffentlich zu diesen Aechtungen sich zu bekennen, eine +Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die selbst von sehr +konservativen Maennern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen +Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende +Wahlordnung umzustossen und den seit langem verschollenen und verfemten +Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das Recht der Legislation +seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den Komitien, +tatsaechlich zu entziehen und es auf eine Behoerde zu uebertragen, die +zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen +hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu koennen. Kaum hatte je +ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geuebt, mit so +ruecksichtsloser Kuehnheit an den Fundamenten der Verfassung geruettelt +und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf +die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen +Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom beendigt +worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in mehr +oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, ueberwunden zu +sein, gleichsam als ein Verbrechen buessen. Wer sich erinnert an die +prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem +Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, der fuehlt sich +geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der Offenheit +und der relativen Maessigung zu erteilen, indem er einmal ohne viel +Umstaende das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die geschlagenen +Maenner als rechtlose Feinde in die Acht erklaerte; zweitens die Zahl +der Opfer moeglichst beschraenkte und wenigstens das widerliche Wueten +gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine aehnliche Maessigung +zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich +der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte +in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben +in Einklang. Die roemische Legislation, wo jeder Konsul, Praetor oder +Tribun jede beliebige Massregel bei der Buergerschaft beantragen +und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus +unvernuenftig gewesen und mit der steigenden Nullitaet der Komitien es +immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich +das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmaessig den ohne +solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte +durch politische oder religioese Interzession. Diese Daemme hatte die +Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System +an, seine Konsequenzen vollstaendig und jedem mutwilligen Buben den +Umsturz des Staats in formell legaler Weise moeglich zu machen. Was war +unter solchen Umstaenden natuerlicher, notwendiger, im rechten Sinne +konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des +Senats jetzt foermlich und ausdruecklich anzuerkennen? Etwas Aehnliches +gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die aeltere Verfassung ruhte +durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die +Bevorzugung der Vermoegenden nur beschraenkt. Aber seit diesem Jahr war +eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhoehung +des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie +aenderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben +treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schaendlichen Stimmenkauf +samt allem, was daran hing, in der moeglichst milden Form zu wehren +wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner, +die Wiederaufnahme der Kolonisationsplaene gaben den redenden +Beweis, dass Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius' +leidenschaftlichen Antraegen beizupflichten, doch eben wie er und +wie Drusus, wie ueberhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den +materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht uebersehen werden +darf, dass er diese Massregel nach dem Siege und durchaus freiwillig +beantragte. Wenn man hiermit verbindet, dass Sulla die hauptsaechlichen +Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen liess und weder an den +Rittergerichten noch an den Kornverteilungen ruettelte, so wird man das +Urteil gerechtfertigt finden, dass die Sullanische Ordnung von 666 +(86) an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status +quo wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment +zunaechst Gefahr drohenden ueberlieferten Satzungen zeitgemaess +aenderte, teils den vorhandenen sozialen Uebeln nach Kraeften abzuhelfen +suchte, soweit beides sich tun liess, ohne die tieferliegenden Schaeden +zu beruehren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus +in Verbindung mit einem lebendigen Gefuehl fuer den inneren Gehalt +der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und loebliche Absichten +bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse +Leichtfertigkeit und Oberflaechlichkeit, wie denn namentlich sehr viel +guter Wille dazu gehoerte, um zu glauben, dass die Feststellung des +Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhaeltnissen aufhelfen und dass +das Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die kuenftige Demagogie +widerstandsfaehiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und +die Religion. In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen +sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhaeltnisse nahmen einen +immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, dass +die Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzoegert +hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf +keinen Fall laenger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils +in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewaehlt wuerden, +teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen +Insurrektion beschaeftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm +auf die Oligarchie in Italien zurueckzulassen. Allein in den +Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten +Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng +optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur +entschiedensten Opposition gehoerte. Vermutlich war es hauptsaechlich +die Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes +vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklaerung hin, dass +es ihn freue, die Buerger von ihrer verfassungsmaessigen Wahlfreiheit +Gebrauch machen zu sehen, und begnuegte sich, beiden Konsuln den Schwur +abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den +Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische +groessten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla liess durch +Volksschluss das Kommando ueber jene auf seinen treuergebenen Kollegen +Quintus Rufus uebertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo +in moeglichst schonender Weise zurueckrufen, um so mehr als dieser +der Ritterpartei angehoerte und seine passive Haltung waehrend der +Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt +hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und uebernahm an Strabos Stelle +den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten +erschlagen und Strabo trat wieder zurueck in das kaum abgegebene +Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiss ist es, dass +er ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die +Fruechte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten +strafte. Fuer Sulla war Rufus' Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft +eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando +abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich +einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedraengt, endlich nach +Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat, +andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen; +es war dem bloedesten Auge klar, dass ein neuer Sturm gegen ihn und +seine Partei sich vorbereitete und dass die Gegner seine Entfernung +wuenschten. Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es +zum Bruche zu treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die +italischen Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten +und nach einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich - +ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht +werden - fuer die letztere Alternative, uebergab das in Samnium +zurueckbleibende Korps dem zuverlaessigen und kriegskundigen Quintus +Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl +in Unteritalien uebernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem +Propraetor Appius Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) +mit seinen Legionen nach dem hellenischen Osten sich ein. 8. Kapitel +Der Osten und Koenig Mithradates Die atemlose Spannung, in welcher die +Revolution mit ihrem ewig sich erneuernden Feuerlaerm und Loeschruf +die roemische Regierung erhielt, war die Ursache, dass dieselbe die +Provinzialverhaeltnisse ueberhaupt aus den Augen verlor, am meisten aber +die des asiatischen Ostens, dessen ferne und unkriegerische Nationen +nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die transalpinischen +Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdraengten. Nach der +Einziehung des Attalischen Koenigreiches, die mit dem Ausbruch der +Revolution zusammenfaellt, ist ein volles Menschenalter hindurch +kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen +Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die masslose +Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Roemern abgedrungenen +Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache +nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station +fuer eine kleine roemische Heer- und Flottenabteilung in den oestlichen +Gewaessern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100) +die Restaurationsregierung einigermassen konsolidiert hatte, begann +die roemische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige +Aufmerksamkeit zuzuwenden. In vieler Hinsicht waren die Verhaeltnisse +noch, wie wir dreissig Jahre zuvor sie verliessen. Das Reich Aegypten +mit seinen beiden Nebenlaendern Kyrene und Kypros loeste mit dem Tode +Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils tatsaechlich sich auf. +Kyrene kam an den natuerlichen Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und +trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem +haderten die Witwe des letzten Koenigs, Kleopatra (+ 665 89), und dessen +beide Soehne Soter II. Lathyros (+ 673 81) und Alexander I. (+ 666 88), +was die Ursache ward, dass auch Kypros auf laengere Zeit von Aegypten +sich schied. Die Roemer griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im +Jahre 658 (96) das Kyrenische Reich durch das Testament des kinderlosen +Koenigs Apion anfiel, schlugen sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu +aus, aber ueberliessen doch die Landschaft im wesentlichen sich selbst, +indem sie die griechischen Staedte des Reiches, Kyrene, Ptolemais, +Berenike, zu Freistaedten erklaerten und denselben sogar die Nutzung der +koeniglichen Domaenen ueberwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von +Africa ueber dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr +eine bloss nominelle als die des Statthalters von Makedonien ueber die +hellenischen Freistaedte. Die Folgen dieser Massregel, die ohne Zweifel +nicht aus dem Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwaeche und +Nachlaessigkeit der roemischen Regierung hervorging, waren wesentlich +dieselben, die unter gleichen Verhaeltnissen in Hellas eingetreten +waren: Buergerkriege und Usurpation zerrissen die Landschaft so, dass, +als dort zufaellig im Jahre 668 (86) ein hoeherer roemischer Offizier +erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten, ihre Verhaeltnisse zu +ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begruenden. Auch in +Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten besser +geworden. Waehrend des zwanzigjaehrigen Erbfolgekrieges der beiden +Halbbrueder Antiochos Grypos (+ 658 96) und Antiochos von Kyzikos (+ 659 +95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Soehne forterbte, ward +das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die +kilikischen Seekoenige, die Araberscheichs der syrischen Wueste, die +Fuersten der Juden und die Magistrate der groesseren Staedte in der +Regel mehr zu sagen hatten als die Traeger des Diadems. Inzwischen +setzten im westlichen Kilikien die Roemer sich fest und ging das +wichtige Mesopotamien definitiv ueber an die Parther. Die Monarchie +der Arsakiden hatte, hauptsaechlich infolge der Einfaelle turanischer +Staemme, um die Zeit der Gracchen eine gefaehrliche Krise durchzumachen +gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Grosse (630 ? - +667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine ueberwiegende Stellung +in Innerasien zurueckgegeben, die Skythen zurueckgeschlagen und gegen +Syrien und Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen +das Ende seines Lebens laehmten neue Unruhen sein Regiment; und waehrend +die Grossen des Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den Koenig +sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn stuerzte und toeten liess, +erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien. Dieses Land, das seit +seiner Selbstaendigkeitserklaerung in die nordoestliche Haelfte oder das +eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die suedwestliche +oder Sophene, das Reich der Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde +durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94) zum erstenmal zu +einem Koenigreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung, teils +die Schwaeche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen Koenig von +ganz Armenien moeglich, nicht bloss aus der Klientel der Parther sich +zu loesen und die frueher an sie abgetretenen Landschaften +zurueckzugewinnen, sondern sogar das Oberkoenigtum von Asien, wie es +von den Achaemeniden auf die Seleukiden und von diesen auf die Arsakiden +uebergegangen war, an Armenien zu bringen. In Kleinasien endlich bestand +die Laenderteilung, wie sie nach der Aufloesung des Attalischen Reiches +unter roemischer Einwirkung festgestellt worden war, noch wesentlich +ungeaendert. In dem Zustande der Klientelstaaten, der Koenigreiche +Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fuerstentuemer Paphlagoniens und +Galatiens, der zahlreichen Staedtebuende und Freistaedte, war eine +aeusserliche Aenderung zunaechst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte +dagegen der Charakter der roemischen Herrschaft allerdings ueberall sich +wesentlich umgestaltet. Teils durch die bei jedem tyrannischen Regiment +naturgemaess eintretende stetige Steigerung des Druckes, teils durch die +mittelbare Einwirkung der roemischen Revolution - man erinnere sich +an die Einziehung des Bodeneigentums in der Provinz Asien durch +Gaius Gracchus, an die roemischen Zehnten und Zoelle und an die +Menschenjagden, die die Zoellner daselbst nebenbei betrieben - lastete +die schon von Haus aus schwer ertraegliche roemische Herrschaft in +einer Weise auf Asien, dass weder die Koenigskrone noch die Bauernhuette +daselbst mehr sicher war vor Konfiskation, dass jeder Halm fuer den +roemischen Zehntherrn zu wachsen, jedes Kind freier Eltern fuer die +roemischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der +Asiate in seiner unerschoepflichen Passivitaet auch diese Qual; allein +es waren nicht Geduld und Ueberlegung, die ihn ruhig tragen hiessen, +sondern der eigentuemlich orientalische Mangel der Initiative, und es +konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen +Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein +Mann unter sie trat, der es verstand, das Zeichen zu geben. Es regierte +damals im Reiche Pontus Koenig Mithradates VI. mit dem Beinamen Eupator +(geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von vaeterlicher +Seite im sechzehnten Glied auf den Koenig Dareios Hystaspes' Sohn, +im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I., +zurueckfuehrte, von muetterlicher den Alexandriden und Seleukiden +entstammte. Nach dem fruehen Tode seines Vaters Mithradates Euergetes, +der in Sinope von Moerderhand fiel, war er um 634 (120) als elfjaehriger +Knabe Koenig genannt worden; allein das Diadem brachte ihm nur Not und +Gefahr. Die Vormuender, ja, wie es scheint, die eigene, durch des Vaters +Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem koeniglichen +Knaben nach dem Leben; es wird erzaehlt, dass er, um den Dolchen seiner +gesetzlichen Beschuetzer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend +gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht fuer Nacht die Ruhestaette +wechselnd, ein Fluechtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses +Jaegerleben gefuehrt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann. +Wenngleich unsere Berichte ueber ihn im wesentlichen auf schriftliche +Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurueckgehen, so hat nichtsdestoweniger +die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den maechtigen Koenig +frueh geschmueckt mit manchen der Zuege ihrer Simson und Rustem; aber +auch diese gehoeren zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone zum Charakter +der hoechsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in +beiden Faellen nur farbiger und phantastischer, nicht getruebt noch +wesentlich geaendert. Die Waffenstuecke, die dem riesengrossen Leibe des +Koenigs Mithradates passten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr +noch der Italiker. Als Laeufer ueberholte er das schnellste Wild; +als Reiter baendigte er das wilde Ross und vermochte mit gewechselten +Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurueckzulegen; als Wagenlenker +fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen Preis - freilich +war es gefaehrlich, in solchem Spiel dem Koenig obzusiegen. Auf der Jagd +traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab, ohne zu fehlen; +aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen - er veranstaltete wohl +Wettschmaeuse und gewann darin selber die fuer den derbsten Esser und +fuer den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - und nicht minder in +den Freuden des Harems, wie unter anderm die zuegellosen Billets seiner +griechischen Maetressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. +Seine geistigen Beduerfnisse befriedigte er im wuestesten Aberglauben +-Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen fuellten nicht +wenige der Stunden des Koenigs aus - und in einer rohen Aneignung der +hellenischen Zivilisation. Er liebte griechische Kunst und Musik, +das heisst er sammelte Pretiosen, reiches Geraet, alte persische und +griechische Prachtstuecke - sein Ringkabinett war beruehmt -, hatte +stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner +Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen fuer Esser +und Trinker auch welche aus fuer den drolligsten Spassmacher und den +besten Saenger. So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im +Orient, wo das Verhaeltnis des Herrschers und der Beherrschten mehr +den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes traegt, ist der +Untertan huendisch treu und huendisch falsch, der Herrscher grausam und +misstrauisch. In beiden ist Mithradates kaum uebertroffen worden. Auf +seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft wegen wirklicher oder +angeblicher Verraeterei seine Mutter, sein Bruder, seine ihm vermaehlte +Schwester, drei seiner Soehne und ebenso viele seiner Toechter. +Vielleicht noch empoerender ist es, dass sich unter seinen geheimen +Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner +vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt sultanisch, dass +er spaeterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophaeen zu entziehen, +seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und seinen ganzen +Harem toeten liess und den Frauen nur die Wahl der Todesart freigab. +Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er als einen +wichtigen Zweig der Regierungsgeschaefte und versuchte, seinen Koerper +an einzelne Gifte zu gewoehnen. Verrat und Mord hatte er von frueh auf +von jedermann und zumeist von den Naechsten erwarten und gegen jedermann +und zumeist gegen die Naechsten ueben gelernt, wovon denn die notwendige +und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, dass all seine +Unternehmungen schliesslich misslangen durch die Treulosigkeit seiner +Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Zuege von hochherziger +Gerechtigkeit; wenn er Verraeter bestrafte, schonte er in der Regel +diejenigen, welche nur durch ihr persoenliches Verhaeltnis zu dem +Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfaelle +von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in +der Tat auszeichnet unter der grossen Anzahl gleichartiger Sultane, ist +seine grenzenlose Ruehrigkeit. Eines schoenen Morgens war er aus seiner +Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so dass man +ihn bereits verloren gab; als er zurueckkam, hatte er unerkannt ganz +Vorderasien durchwandert und Land und Leute ueberall militaerisch +erkundet. Von gleicher Art ist es, dass er nicht bloss ueberhaupt ein +redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, ueber +die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines Dolmetschers +zu beduerfen - ein bezeichnender Zug fuer den regsamen Herrscher +des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter traegt seine ganze +Regententaetigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren +Verwaltung schweigt unsere Ueberlieferung leider durchaus -, geht sie +auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schaetzen, im +Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen frueheren Jahren +gewoehnlich nicht der Koenig selbst, sondern irgendein griechischer +Condottiere gegen den Feind fuehrt, in dem Bestreben, neue Satrapien +zu den alten zu fuegen; von hoeheren Elementen, Foerderung der +Zivilisation, ernstlicher Fuehrerschaft der nationalen Opposition, +eigenartiger Genialitaet finden sich, in unserer Ueberlieferung +wenigstens, bei Mithradates keine bewussten Spuren, und wir haben keinen +Grund, auch nur mit den grossen Regenten der Osmanen, wie Muhamed +II. und Suleiman waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der +hellenischen Bildung, die ihm nicht viel besser sitzt als seinen +Kappadokiern die roemische Ruestung, ist er durchaus ein Orientale +gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit, aberglaeubisch, +grausam, treu- und ruecksichtslos, aber so kraeftig organisiert, so +gewaltig physisch begabt, dass sein trotziges Umsichschlagen, sein +unverwuestlicher Widerstandsmut haeufig wie Talent, zuweilen sogar wie +Genie aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, dass waehrend der +Agonie der Republik es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in +den Zeiten Scipios oder Traians, und dass nur die Verschlingung +der asiatischen Ereignisse mit den inneren Bewegungen Italiens es +Mithradates moeglich machte, doppelt so lange als Jugurtha den Roemern +zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr, dass bis auf +die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den Roemern +ernstlich zu schaffen gemacht, und dass er gegen sie sich gewehrt +hat wie gegen den Jaeger der Loewe der Wueste. Aber mehr als solchen +naturkraeftigen Widerstand sind wir nach dem, was vorliegt, auch +nicht berechtigt, in ihm zu erkennen. Indes wie man immer ueber die +Individualitaet des Koenigs urteilen moege, seine geschichtliche +Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die Mithradatischen Kriege +sind zugleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas +gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen +Gegensaetzen beruhenden Auflehnung gegen die roemische Suprematie, der +nationalen Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates +selbst so war auch sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das +Haremwesen herrschend am Hofe und ueberhaupt unter den Vornehmen, die +Religion der Landesbewohner wie die offizielle des Hofes vorwiegend der +alte Nationalkult; der Hellenismus daselbst war wenig verschieden +von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der Arsakiden des +Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen kurzen +Augenblick fuer ihre politischen Traeume an diesem Koenig einen Halt zu +finden meinen; in der Tat ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge +gestritten, als worueber auf den Feldern von Magnesia und Pydna die +Entscheidung fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in +dem ungeheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von den +Kaempfen bei Marathon auf die heutige Generation sich vererbt hat und +vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden zaehlen mag wie +seine Vergangenheit. So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun +des kappadokischen Koenigs das fremdartige und unhellenische Wesen +hervortritt, so schwierig ist es, das hier obwaltende nationale Element +bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen, in dieser Hinsicht +ueber Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen Anschauung zu +gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es keinen +Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster +Zeit mannigfaltig verschlungene Staemme neben- und durcheinander +geschoben und wo demzufolge die Verhaeltnisse der Nationalitaeten +weniger klar waeren wie in Kleinasien. Die semitische Bevoelkerung setzt +sich von Syrien her in ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien +fort, und es scheint ihr ferner auch an der Ostkueste in der karischen +lydischen Landschaft der Grundstock der Bevoelkerung anzugehoeren, +waehrend die nordwestliche Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten +der europaeischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und +die Nordkueste sind vorwiegend von indogermanischen, am naechsten den +iranischen verwandten Voelkerschaften erfuellt. Von der armenischen und +der phrygischen Sprache ^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen +hoechstwahrscheinlich, dass sie zunaechst an das Zend grenzten; und wenn +von den Mysern angegeben wird, dass bei ihnen lydische und +phrygische Sprache sich begegneten, so bezeichnet dies eben +eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen vergleichbare +Mischbevoelkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien sich +ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so mangelt +es, trotz der gerade hier in Fuelle vorhandenen Ueberreste einheimischer +Sprache und Schrift, bis jetzt ueber dieselbe noch an gesicherten +Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, dass diese Staemme eher den +Indogermanen als den Semiten zuzuzaehlen sind. Wie dann ueberall dieses +Voelkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer Kaufstaedte, sodann der +durch das kriegerische wie das geistige Uebergewicht der griechischen +Nation ins Leben gerufene Hellenismus gelegt hat, ist in seinen +Umrissen bereits frueher auseinandergesetzt worden. +------------------------------------------ ^1 Die als phrygisch +angefuehrten Woerter Bagaios = Zeus und der alte Koenigsname Manis sind +unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und das deutsche +Mannus, indisch Manus zurueckgefuehrt worden. Chr. Lassen in: ZDMG, +10, 1888, S. 329f. ------------------------------------------ In diesen +Gebieten herrschte Koenig Mithradates und zwar zunaechst in Kappadokien +am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo, +am nordoestlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in +steter Beruehrung, sich die iranische Nationalitaet vermutlich minder +gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal +der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Kueste, wo +mehrere urspruenglich griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die +bedeutenden Handelsplaetze Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts- +und Residenzstadt Mithradats und die bluehendste Stadt des Reiches, +Sinope, war das Land noch in einem sehr primitiven Zustand. Nicht als +haette es wuest gelegen; vielmehr wie die pontische Landschaft noch +heute eine der lachendsten der Erde ist, in der Getreidefelder mit +Waeldern von wilden Obstbaeumen wechseln, war sie ohne Zweifel auch zu +Mithradates' Zeit wohl bebaut und verhaeltnismaessig auch bevoelkert. +Allein eigentliche Staedte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die +den Ackerleuten als Zufluchtsstaetten und dem Koenig als Schatzkammern +zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in +Kleinarmenien fuenfundsiebzig solcher kleiner koeniglicher Kastelle +gezaehlt wurden. Wir finden nicht, dass Mithradates wesentlich dazu +getan haette, das staedtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen; und +wie er gestellt war, in tatsaechlicher, wenn auch vielleicht ihm selbst +nicht voellig bewusster Reaktion gegen den Hellenismus, begreift +sich dies wohl. Um so taetiger erscheint er, gleichfalls in ganz +orientalischer Weise, bemueht, sein Reich, das schon nicht klein war, +wenn auch der Umfang desselben wohl uebertrieben auf 500 deutsche Meilen +angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer +wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine +Flotten und seine Botschafter taetig. Nirgends aber bot sich ihm ein so +freier und so weiter Spielraum wie an den oestlichen und den noerdlichen +Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustaende hier +einen Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder +vielmehr unmoeglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu +geben. An dem oestlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast +unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen +ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti) +mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen Fuersten +entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. Folgenreicher noch +waren seine Unternehmungen in den noerdlichen Landschaften 2. Die weiten +huegel- und waldlosen Steppen, die sich noerdlich vom Schwarzen +Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer +Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von +Stockholm und von dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz +und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und laenger +anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, fuer den Ackerbau und +ueberhaupt fuer feste Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer, +wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen Verhaeltnisse +vermutlich etwas weniger unguenstig standen, als dies heutzutage der +Fall ist 3. Die verschiedenen Staemme, die der Wandertrieb in diese +Gegenden gefuehrt hatte, fuegten sich diesem Gebot der Natur und +fuehrten und fuehren zum Teil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben, +indem sie mit ihren Rinder- oder haeufiger noch mit ihren Rossherden +Wohn- und Weideplaetze wechselten und ihr Geraet auf Wagenhaeusern sich +nachfuehrten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach: +die Bewohner dieser Steppen fochten grossenteils beritten und immer +aufgeloest, mit Helm und Panzer von Leder und lederueberzogenem Schild +geruestet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und Bogen - die Vorfahren +der heutigen Kosaken. Den urspruenglich hier ansaessigen Skythen, +die mongolischer Rasse und in Sitte und Koerpergestalt den heutigen +Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein scheinen, hatten sich, +von Osten nach Westen vorrueckend, sarmatische Staemme nachgeschoben, +Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich fuer slawischer +Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen, welche man +ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und persischen +sich verwandt zeigen und vielleicht jene Voelker vielmehr dem grossen +Zendstamme angehoert haben. In entgegengesetzter Richtung fluteten +thrakische Schwaerme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr +gelangten; dazwischen draengten sich, wahrscheinlich als Auslaeufer der +grossen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht +beruehrt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst +die Bastarner, an der Donaumuendung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat +bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fuersten +und Aeltesten fuer sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz +standen die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen +Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an +diesen Gestaden gegruendet worden waren, teils als Emporien, teils als +Stationen fuer den wichtigen Fischfang und selbst fuer den Ackerbau, +fuer welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des +Schwarzen Meeres im Altertum minder unguenstige Verhaeltnisse darbot, +als dies heutzutage der Fall ist; fuer die Benutzung des Bodens zahlten +hier die Hellenen, wie die Phoeniker in Libyen, den einheimischen Herren +Schoss und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die +Freistadt Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in +der Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften +Verhaeltnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer +Buerger in maessigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der +gegenueberliegenden Seite der Halbinsel an der Strasse von dem Schwarzen +in das Asowsche Meer Pantikapaeon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297) +Roms regiert von erblichen Buergermeistern, spaeter bosporanische +Koenige genannt, den Archaeanaktiden, Spartokiden und Paerisaden. Der +Getreidebau und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell +zur Bluete gebracht. Ihr Gebiet umfasste in der Mithradatischen Zeit +noch die kleinere Osthaelfte der Krim mit Einschluss der Stadt Theodosia +und auf dem gegenueberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt +Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten +die Herren von Pantikapaeon zu Lande die Voelker an der Ostkueste des +Asowschen Meeres und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze +Meer beherrscht; allein Pantikapaeon war nicht mehr, was es gewesen +war. Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den +traurigen Rueckgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten +Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der +fuehrenden Macht erfuellte, die allerdings auch den Athenern durch ihren +Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz +der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich +selbst ueberlassen. Die griechischen Landmaechte sind nie dazu gelangt, +ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, und +Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Roemer, auf welche mit +der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung +ueberging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen bedurfte, ihr +starker Schild zu sein, vernachlaessigten voellig das Gebot des Vorteils +wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos vollendeten +die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen Meeres. Ein +lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenueber gibt +uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmuendung bei Ocakov), die +nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt zu sein scheint. +Die Buergerschaft muss dem Barbarenkoenig nicht bloss jaehrlichen Zins +an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt +lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in aehnlicher +Weise auch geringere Haeuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der +Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr uebel, wenn die Gabe +zu geringfuegig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott, und man muss die +Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen draengen draussen vor den +Toren sich die Staemme der Wilden: das Gebiet wird verwuestet, die +Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das aergste ist, die +schwaecheren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um vor dem +Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt +sich zu bemaechtigen, so dass zahlreiche Buerger dieselbe verlassen +und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben. +--------------------------------------------- 2 Sie sind hier +zusammengefasst, da sie freilich zum Teil erst zwischen den ersten +und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom +fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und +eine Erzaehlung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings +nicht durchfuehren laesst. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos +hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluss gegeben. Danach ist Diophantos +zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden; aber dass die +zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluss des roemischen Senats +zu Gunsten der skythischen Fuersten in Verbindung steht, erhellt aus +der Urkunde nicht und ist nicht einmal wahrscheinlich. 3 Es hat viele +Wahrscheinlichkeit, dass die ungemeine Trockenheit, die vornehmlich +jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden ueberhaupt +erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Waelder +des mittleren und suedlichen Russland, die ehemals bis zu einem +gewissen Grad die Kuestenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind +schuetzten. --------------------------------------------- Diese +Zustaende fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm +des Kaukasus ueberschreitend hinabstieg in die Taeler des Kuban und +Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewaessern der Krim sich +zeigte. Kein Wunder, dass auch hier ueberall, wie es schon in Dioskurias +geschehen war, die Hellenen den pontischen Koenig mit offenen Armen +empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch geruesteten +Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier +versaeumt hatte. Den Herren von Pantikapaeon waren ebendamals die +Tributforderungen zu unerschwinglicher Hoehe gesteigert worden; +die Stadt Chersonesos sah sich von dem Koenig der auf der Halbinsel +hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fuenfzig Soehnen hart bedraengt; +gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit +hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht +umsonst. Mithradates' tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos +und seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvoelkern +fertig. Neoptolemos schlug sie in der Strasse von Pantikapaeon teils +zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die +Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmaessig angelegte Festungen +der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie +sie spaeter heissen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den +Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor +seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen +4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen +verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer +Handelsstaedte gegruendetes Koenigreich, das Bosporanische genannt, +das die heutige Krim mit der gegenueberliegenden asiatischen Landspitze +umfasste und jaehrlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000 Scheffel +Getreide in die koeniglichen Kassen und Magazine lieferte. Die +Steppenvoelker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumuendung +traten wenigstens zum grossen Teil in Klientel oder in Vertrag mit +dem pontischen Koenig und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch +wenigstens einen unerschoepflichen Werbeplatz fuer seine Armeen. +------------------------------------------------------ 4 Das kuerzlich +aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos fuer diesen Diophantos +(SIG 252) bestaetigt die Ueberlieferung durchaus. Es zeigt uns die +Stadt in naechster Naehe - den Hafen von Balaklava muessen die Taurer, +Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, bedraengt +teils von den Taurern an der Suedkueste der Krim, teils und vor allem +von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das angrenzende +Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der Feldherr des +Koenigs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt Luft +macht die Taurer niederschlaegt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg +(wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den +westlichen und den oestlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im +Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfuersten Saumakos +ueberwaeltigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich +sie mit den Reuxinalern - so heissen hier, wo sie zuerst auftreten, die +spaeteren Roxolaner - in der grossen Feldschlacht besiegt, deren auch +die schriftliche Ueberlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der +Griechenstadt unter den Koenig scheint nicht stattgefunden zu haben; +Mithradates erscheint nur als schuetzender Bundesgenosse, der gegen die +als unbesiegbar geltenden (to?s anypostatoys doko?ntas eimen) Skythen +fuer die Griechenstadt die Schlachten schlaegt, welche wahrscheinlich zu +ihm ungefaehr in dem Verhaeltnis gestanden hat wie Massalia und Athen +zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (ypakoioi) +des Mithradates. ------------------------------------------------------- +Waehrend also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der +Koenig zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als +die Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhaengigen +Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die +enge Verbindung, in die er mit dem Koenig von Grossarmenien trat. Er gab +dem Tigranes nicht bloss seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern +er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstuetzung Tigranes sich der +Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es +scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein, +dass Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und +die Kuesten des Schwarzen Meeres zu besetzen uebernahmen unter Zusage +gegenseitiger Unterstuetzung, und ohne Zweifel war es der taetigere und +faehigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Ruecken +zu decken und einen maechtigen Bundesgenossen zu sichern. In Kleinasien +endlich richtete der Koenig die Blicke auf das binnenlaendische +Paphlagonien - die Kueste gehoerte seit langem zum Poptischen Reich - +und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprueche +als durch Testament des letzten der Pylaemeniden vermacht an den +Koenig Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime +Praetendenten und das Land selbst protestierten. Was Kappadokien +anlangt, so hatten die pontischen Herrscher nicht vergessen, dass dies +Land und Kappadokien am Meer einst zusammengehoert hatten, und trugen +sich fortwaehrend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von Mithradates +besetzt in Gemeinschaft mit Koenig Nikomedes von Bithynien, mit dem +er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch erhob, fuegte sich +Mithradates demselben, waehrend Nikomedes einen seiner Soehne mit dem +Namen Pylaemenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an +sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbuendeten in +Kappadokien. Koenig Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es +hiess im Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes +Mithradates Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wusste den Uebergriffen +des Koenigs von Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen +Hilfe seines Oheims, fuer welche dieser dann ihm ansann, dem fluechtig +gewordenen Moerder seines Vaters die Rueckkehr nach Kappadokien zu +gestatten. Es kam hierueber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide +Heere zur Schlacht sich gegenueberstanden, begehrte der Oheim zuvor +eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stiess dabei den unbewaffneten +Juengling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Moerder des Vaters, +uebernahm hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die +unwillige Bevoelkerung sich gegen ihn erhob und den juengeren Sohn des +letzten Koenigs zur Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats +ueberlegenen Streitkraeften keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der +baldige Tod des von dem Volke auf den Thron gesetzten Juenglings gab +dem pontischen Koenig um so mehr freie Hand, als mit diesem das +kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, ebenwie +in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert, unter +dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. +Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte Koenig +Mithradates am noerdlichen wie am suedlichen Gestade des Schwarzen +Meeres und weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des +Koenigs fuer den Krieg zu Lande und zu Wasser schienen unermesslich. +Sein Werbeplatz reichte von der Donaumuendung bis zum Kaukasus und dem +Kaspischen Meer; Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, +Iberer (im heutigen Georgien) draengten sich unter seine Fahne; vor +allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern. +Fuer die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie ausser Flachs, +Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgefloesste +Bauholz; Steuermaenner und Offiziere wurden in Phoenikien und Syrien +gedungen. In Kappadokien, hiess es, sei der Koenig eingerueckt mit +600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000 Mann zu Fuss; und er hatte +fuer diesen Krieg bei weitem noch nicht aufgeboten, was er aufzubieten +vermochte. Bei dem Mangel einer roemischen oder sonst namhaften Seemacht +beherrschte die pontische Flotte, gestuetzt auf Sinope und die +Haefen der Krim, das Schwarze Meer ausschliesslich. +------------------------------------------------ 5 Die Chronologie der +folgenden Ereignisse ist nur ungefaehr zu bestimmen. Um 640 (114) etwa +scheint Mithradates Eupator tatsaechlich die Regierung angetreten zu +haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70), womit die +Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreissig +Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In +die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen +Sukzessionshaendel, mit denen die von Mithradates, wie es scheint, in +Saturninus' erstem Tribunat 651 (103) in Rom versuchte Bestechung (Diod. +631) wahrscheinlich schon zusammenhaengt. Marius, der 655 (99) Rom +verliess und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in +Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Uebergriffe (Cic. Brut. +1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet. +---------------------------------------------- Dass der roemische Senat +seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von ihm abhaengigen +Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend machte, +beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem ploetzlichen Tode +Mithradates V. Dem unmuendigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem +Vater fuer seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr +fuer sein gutes Geld verliehene Grossphrygien genommen und diese +Landschaft dem unmittelbar roemischen Gebiet hinzugefuegt 6. Aber +nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe +Senat gegen dessen allseitige Uebergriffe und gegen diese imposante +Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjaehrigen +Zeitraum ausfuellt, voellige Passivitaet. Er liess es geschehen, dass +einer seiner Klientelstaaten sich militaerisch zu einer Grossmacht +entwickelte, die ueber hunderttausend Bewaffnete gebot; dass er in die +engste Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die +Spitze der innerasiatischen Staaten gestellten Grosskoenig des Ostens; +dass er die benachbarten asiatischen Koenigreiche und Fuerstentuemer +unter Vorwaenden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht +berichtete und weit entfernte Schutzmacht klangen; dass er endlich sogar +in Europa sich festsetzte und als Koenig auf der Taurischen Halbinsel, +als Schutzherr fast bis an die makedonisch- thrakische Grenze gebot. +Wohl ward ueber diese Verhaeltnisse im Senat verhandelt; aber wenn das +hohe Kollegium sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schliesslich +dabei beruhigte, dass Nikomedes sich auf seinen falschen Pylaemenes +berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getaeuscht als dankbar +fuer jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte. +Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die +Fuersten der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdraengt +hatte, wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch +der traditionellen Maximen der roemischen Politik gedachte, musste sich +erinnern, dass einst unter so ganz anderen Verhaeltnissen der Uebergang +des Koenigs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen +Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg +geworden war, und musste begreifen, dass die Besetzung des taurischen +durch den pontischen Koenig jetzt noch viel weniger geduldet werden +konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Koenigreichs +Kappadokien, wegen welcher ueberdies Nikomedes von Bithymen, der auch +seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz +zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Praetendenten den +seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die roemische +Regierung zur Intervention zu draengen. Der Senat beschloss, dass +Mithradates die skythischen Fuersten wiedereinzusetzen habe - so weit +war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen +Politik gedraengt, dass man jetzt, statt die Hellenen gegen +die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute +unterstuetzen musste. Paphlagonien wurde abhaengig erklaert und der +falsche Pylaemenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu raeumen. Ebenso +sollte der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen +und, da die Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, +durch freie Volkswahl ihm wiederum ein Koenig gesetzt werden. Die +Beschluesse klangen energisch genug; nur war es uebel, dass man, statt +ein Heer zu senden, den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit +der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die Raeuber und Piraten +kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum Glueck +vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Roemer +besser ihr Interesse als ihr gegenwaertiges Regiment und ergaenzte +die Energie und Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden +vermissen liess. Mithradates hielt sich zurueck und begnuegte sich, +den Grosskoenig Tigranes von Armenien, der den Roemern gegenueber eine +freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen, Truppen nach Kappadokien +zu senden. Sulla nahm rasch seine Mannschaft und die Zuzuege der +asiatischen Bundesgenossen zusammen, ueberstieg den Taurus und schlug +den Statthalter Gordios samt seinen armenischen Hilfstruppen aus +Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen Stuecken nach; +Gordios musste die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich nehmen und +der falsche Ariarathes verschwand; die Koenigswahl, die der pontische +Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den +angesehenen Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner +Expedition in die Gegend des Euphrat gelangte, in dessen Wellen +damals zuerst roemische Feldzeichen sich spiegelten, fand bei dieser +Gelegenheit auch die erste Beruehrung statt zwischen den Roemern und +den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen ihnen und +Tigranes Ursache hatten, den Roemern sich zu naehern. Beiderseits schien +man zu fuehlen, dass etwas darauf ankam bei dieser ersten Beruehrung +der beiden Grossmaechte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf +die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der +parthische Bote, nahm und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz +zwischen dem Koenig von Kappadokien und dem parthischen Abgesandten. +Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte Sullas Ruhm sich durch diese +vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der parthische Gesandte buesste +spaeter seinem Herrn dafuer mit dem Kopfe. Indes fuer den Augenblick +hatte diese Beruehrung keine weitere Folge. Nikomedes unterliess es im +Vertrauen auf die Gunst der Roemer, Paphlagonien zu raeumen; aber die +gegen Mithradates gefassten Senatsbeschluesse wurden ferner vollzogen, +die Wiederherstellung der skythischen Haeuptlinge von ihm wenigstens +zugesagt; der fruehere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662 +92). ----------------------------------------------- 6 Ein vor kurzem +in dem Dorfe Aresli suedlich von Synnada gefundener Senatsbeschluss vom +Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus usus sit, S. +51) bestaetigt saemtliche, von dem Koenig bis zu seinem Tode getroffenen +Anordnungen und zeigt also, dass Grossphrygien nach dem Tode des Vaters +nicht bloss dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet, +sondern damit geradezu unter roemische Botmaessigkeit kam. +------------------------------------------------- So hiess es; in der +Tat war von einer ernstlichen Zurueckfuehrung der frueheren Ordnung der +Dinge wenig zu verspueren. Kaum hatte Sulla Asien verlassen, als Koenig +Tigranes von Grossarmenien ueber den neuen Koenig von Kappadokien, +Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den pontischen +Praetendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem Tode +des alten Koenigs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III. +Philopator vom Volk und vom roemischen Senat als rechtmaessiger +Koenig anerkannt worden war. trat dessen juengerer Bruder Sokrates als +Kronpraetendent auf und bemaechtigte sich der Herrschaft. Es war klar, +dass der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der bithynischen +Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich jeder +offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wusste, dass Tigranes nur +handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit pontischen +Truppen eingerueckt und des rechtmaessigen Koenigs Leben durch +Mithradates' Meuchelmoerder bedroht. In der Krim gar und den +benachbarten Landschaften dachte der pontische Koenig nicht daran +zurueckzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter. +Die roemische Regierung, von den Koenigen Ariobarzanes und Nikomedes +persoenlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur +Unterstuetzung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular +Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg +erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer +Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten +und namentlich den Mithradates an, noetigenfalls mit gewaffneter Hand +Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der roemische +Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen +roemischen Korps, ueber das der Statthalter der Provinz Asia verfuegte, +und des Aufgebots der Phryger und der Galater; Koenig Nikomedes +und Koenig Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne; +Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewaehren, unter +verschiedenen Vorwaenden, allein er leistete nicht bloss den Roemern +keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Praetendent Sokrates +wurde sogar auf sein Geheiss getoetet (664 90). Es war eine sonderbare +Verwicklung. Mithradates war vollkommen ueberzeugt, gegen die Roemer +in offenem Kampfe nichts ausrichten zu koennen und es nicht zum offenen +Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu duerfen. Waere er nicht +also entschlossen gewesen, so fand sich kein guenstigerer Augenblick, +den Kampf zu beginnen, als der gegenwaertige: eben damals, als Aquillius +in Bithymen und Kappadokien einrueckte, stand die italische Insurrektion +auf dem Hoehepunkt ihrer Macht und konnte selbst den Schwachen Mut +machen, gegen Rom sich zu erklaeren; dennoch liess Mithradates das Jahr +664 (90) ungenutzt verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er +so zaeh wie ruehrig seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese +seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der +Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue, +dass Mithradates nicht zu den Staatsmaennern rechter Art gehoerte und +weder zum Kampf zu ruesten wusste wie Koenig Philippos noch sich zu +fuegen wie Koenig Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hin- und +hergezogen ward zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefuehl +seiner eigenen Schwaeche. Aber auch so laesst sich sein Beginnen nur +begreifen, wenn man sich erinnert, dass Mithradates in zwanzigjaehriger +Erfahrung die damalige roemische Politik kennengelernt hatte. Er wusste +sehr genau, dass die roemische Regierung nichts weniger als kriegslustig +war, ja dass sie, im Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder +beruehmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung +an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womoeglich noch mehr +fuerchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, +in einer Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch +egoistische Ruecksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache +und Anlass zur Kriegserklaerung gegeben haben wuerde; aber er vermied +sorgfaeltig den offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu +versetzt haette. Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurueck, vor Sulla +wie vor Aquillius; er hoffte unzweifelhaft darauf, dass nicht immer +energische Feldherren ihm gegenueberstehen, dass auch er so gut +wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus treffen wuerde. Es muss +zugestanden werden, dass diese Hoffnung nicht unverstaendig war, obwohl +freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt +es war, die Bestechung eines roemischen Heerfuehrers und die Korruption +einer roemischen Armee mit der Ueberwindung des roemischen Volkes zu +verwechseln. So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und liessen +ganz dazu an, noch lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber +dies zuzulassen war Aquillius' Absicht nicht, und da er seine Regierung +nicht zwingen konnte, Mithradates den Krieg zu erklaeren, so bediente +er sich dazu des Koenigs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des +roemischen Feldherrn gegeben und ueberdies noch fuer die abgelaufenen +Kriegskosten und die dem Feldherrn persoenlich zugesicherten Summen sein +Schuldner, konnte sich dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg +zu beginnen, nicht entziehen. Die bithynische Kriegserklaerung erfolgte; +aber selbst als Nikomedes' Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten, +seine Truppen in die pontischen Grenzdistrikte einrueckten und +die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb Mithradates noch +unerschuettert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner ueber die +Grenze zu werfen, fuehrte er Klage bei der roemischen Gesandtschaft +und bat dieselbe, entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung +gestatten zu wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, dass +er unter allen Umstaenden sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten +habe. Das freilich war deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen +Karthago angewendet; man liess das Schlachtopfer von der roemischen +Meute ueberfallen und verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch +Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die Karthager es getan +hatten; aber wenn die Phoeniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat +dagegen der Koenig von Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und +Schiffe zusammen - "Wehrt nicht", so soll er gesagt haben, "auch +wer unterliegen muss, dennoch sich gegen den Raeuber?" Sein Sohn +Ariobarzanes erhielt Befehl, in Kappadokien einzuruecken; es ging noch +einmal eine Botschaft an die roemischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, +wozu die Notwehr den Koenig gezwungen habe, und eine letzte Erklaerung +von ihnen zu fordern. Sie lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der +roemische Senat noch Koenig Mithradates noch Koenig Nikomedes den Bruch +gewollt hatten, Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80). +Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und +militaerischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor +allen Dingen knuepfte er das Buendnis mit Koenig Tigranes von Armenien +fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das +in Vorderasien einruecken und Grund und Boden daselbst fuer Koenig +Mithradates, die bewegliche Habe fuer Koenig Tigranes in Besitz nehmen +sollte. Der parthische Koenig, verletzt durch das stolze Verhalten +Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als +Bundesgenosse der Roemer auf. Den Griechen war der Koenig bemueht, +sich in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der +griechischen Nation gegen die roemische Fremdherrschaft darzustellen. +Pontische Gesandte gingen an den Koenig von Aegypten und an den letzten +Ueberrest des freien Griechenlands, den kretensischen Staedtebund, und +beschworen sie, fuer die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt +im letzten Augenblick einzustehen fuer die Rettung der hellenischen +Nationalitaet; es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich, +und zahlreiche Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man +hoffte auf die sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten +Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die +Empoerung der Provinzen, vor allem des masslos gedrueckten Vorderasiens. +Man arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der +Insurgierung Makedoniens. Die schon vorher bluehende Piraterie wurde +jetzt als willkommene Bundesgenossin ueberall entfesselt, und mit +furchtbarer Raschheit erfuellten bald Korsarengeschwader, pontische +Kaper sich nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung +und Freude die Kunde von den Gaerungen innerhalb der roemischen +Buergerschaft und von der zwar ueberwundenen, aber doch noch lange nicht +unterdrueckten italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes +mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur +wurde in Asien ein roemisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps +gebildet, dessen Kern roemische und italische Fluechtlinge waren. +Streitkraefte gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen +in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, dass er, das armenische +Hilfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuss und 40 000 Reitern +das Feld nahm, dass 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See +stachen, scheinen nicht allzu uebertrieben bei einem Kriegsherrn, der +ueber die zahllosen Steppenbewohner verfuegte. Die Feldherrn, namentlich +die Brueder Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige +griechische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Koenigs fehlte +es nicht an tapferen todverachtenden Maennern, und die gold- und +silberblinkenden Ruestungen und reichen Gewaender der Skythen und Meder +mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen. +Ein einheitlicher militaerischer Organismus freilich hielt diese +buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates +war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, +wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia +einer hoeheren militaerischen Organisation unterlegen waren; immer aber +stand doch der Osten gegen die Roemer in Waffen, waehrend auch in der +westlichen Haelfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So +sehr es an sich fuer Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates +den Krieg zu erklaeren, so war doch gerade dieser Augenblick so +uebel gewaehlt wie moeglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr +wahrscheinlich, dass Manius Aquillius zunaechst aus Ruecksichten auf +seine eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben +jetzt herbeigefuehrt hat. Fuer den Augenblick hatte man in Asien keine +anderen Truppen zur Verfuegung als die kleine roemische Abteilung +unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der +militaerischen und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge +des Insurrektionskrieges befand, konnte eine roemische Armee im +guenstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis +dahin hatten die roemischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes +hoffte man, die roemische Provinz decken und sich behaupten zu koennen, +wo man stand: das bithynische Heer unter Koenig Nikomedes in seiner im +vorigen Jahr eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet +zwischen Amastris und Sinope, weiter rueckwaerts in der bithynischen, +galatischen, kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter +Lucius Cassius, Manius Aquillius, Quintus Oppius, waehrend die +bithynisch-roemische Flotte fortfuhr, den Bosporus zu sperren. Mit dem +Beginn des Fruehjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive. An +einem Nebenfluss des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch koepri), +stiess der pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die +bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz ihrer sehr ueberlegenen +Zahl im ersten Anlauf so vollstaendig auseinander, dass das geschlagene +Heer sich aufloeste und Lager und Kriegskasse den Siegern in die Haende +fielen. Es waren hauptsaechlich Neoptolemos und Archelaos, denen der +Koenig diesen glaenzenden Erfolg verdankte. Die weiter zurueckstehenden, +noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben hierauf sich +ueberwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstiessen; wo +Mithradates' Feldherren sich ihnen naeherten, stoben sie auseinander. +Eine roemische Abteilung ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte +in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu halten, allein er entliess ihn +wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen zu moegen, und warf sich +mit seinen wenigen zuverlaessigen Leuten in die Ortschaften am oberen +Maeander, namentlich nach Apameia; Oppius raeumte in gleicher Weise +Pamphylien und schloss in dem phrygischen Laodikeia sich ein; Aquillius +ward im Zurueckweichen am Sangarios im bithynischen Gebiet eingeholt und +so vollstaendig geschlagen, dass er sein Lager verlor und sich in die +roemische Provinz nach Pergamon retten musste; bald war auch diese +ueberschwemmt und Pergamon selbst in den Haenden des Koenigs, ebenso der +Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte +Mithradates saemtliche Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen +und nichts versaeumt, die von Anfang an ihm zugewandten nationalen +Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis zum Maeander +mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich erfuhr +man, dass in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, dass der gegen +Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich einzuschiffen, +gegen Rom marschiert sei, dass die gefeiertsten roemischen Generale sich +untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem der Oberbefehl +im Asiatischen Kriege gebuehre. Rom schien eifrigst bemueht, sich selber +zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, dass, wenngleich Minoritaeten +auch jetzt noch ueberall zu Rom hielten, doch die grosse Masse der +Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten +vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es ward +ueblich, den Koenig, in dem wie in dem goettlichen Indersieger Asien +und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen des +neuen Dionysos. Die Staedte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm +Boten entgegen, "den rettenden Gott" zu sich einzuladen, und festlich +gekleidet stroemte die Buergerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen. +Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden roemischen Offiziere +gebunden an den Koenig ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt +Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7. +Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine +Macht bekommt, entlud sich ueber den ungluecklichen Urheber des Krieges. +Bald zu Fuss an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, +bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der +bejahrte Mann durch ganz Kleinasien gefuehrt und, als endlich das arme +Schaustueck wieder am koeniglichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl +des Koenigs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlasst habe, +zu saettigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, dass er unter +Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, +der allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der +adligen Maenner. Von Ephesos aus erliess Koenig Mithradates an alle +von ihm abhaengigen Statthalter und Staedte den Befehl, an einem und +demselben Tage saemtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker, +Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters +zu toeten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung +behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Voegeln zum Frass +hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Haelfte an die Moerder, +zur Haelfte an den Koenig abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden +mit Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, puenktlich +vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfuenfzigtausend +wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Maenner, Frauen und Kinder mit +kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle +Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu +entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische +Schergenwillfaehrigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das +vergleichungsweise edle Gefuehl der Rache. Politisch war diese Massregel +nicht bloss ohne jeden vernuenftigen Zweck - denn der finanzielle liess +auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten +waren selbst durch das Bewusstsein der aergsten Blutschuld nicht zum +kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem +sie einerseits den roemischen Senat, soweit er irgend noch der Energie +faehig war, zur ernstlichen Kriegfuehrung zwang, andererseits nicht +bloss die Roemer traf, sondern ebensogut des Koenigs natuerliche +Bundesgenossen, die nichtroemischen Italiker. Es ist dieser ephesische +Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden +Rache, welcher nur durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der +Sultanismus auftritt, einen falschen Schein von Grossartigkeit erhaelt. +--------------------------------------------------- 7 Die Urheber der +Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf fuenfundzwanzig +Jahre spaeter die Vergeltung, indem sie nach Mithradates' Tode +dessen Sohn Pharnakes an die Roemer uebergab. +--------------------------------------------------- Ueberhaupt ging des +Koenigs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber +der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefuerchteten Sulla +liessen ihn uebergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete +sich haeuslich in Vorderasien ein; der Sitz des roemischen Statthalters, +Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde +als Statthalterschaft an des Koenigs Sohn Mithradates zur Verwaltung +uebergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als +pontische Satrapien. Die Grossen des Reichs und des Koenigs Guenstlinge +wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und saemtlichen Gemeinden +nicht bloss die rueckstaendigen Steuern erlassen, sondern auch +Steuerfreiheit auf fuenf Jahre zugesichert - eine Massregel, die ebenso +verkehrt war wie die Ermordung der Roemer, wenn der Koenig dadurch +sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. Freilich fuellte des +Koenigs Schatz ohnehin sich reichlich durch die unermesslichen Summen, +die aus dem Vermoegen der Italiker und anderen Konfiskationen einkamen; +wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000 Taler), welche die +Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der +noerdliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehoerigen Inseln +waren in des Koenigs Gewalt; ausser einigen kleinen paphlagonischen +Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das +gesamte Aegaeische Meer ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der +Suedwesten, die Staedtebuende von Karien und Lykien und die Stadt +Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar Stratonikeia mit den Waffen +bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand gluecklich eine schwere +Belagerung, bei welcher Mithradates' tuechtigster Offizier Archelaos +geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien +entkommenen Roemer, unter ihnen des Statthalters Lucius Cassius, +wurde von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer Uebermacht +angegriffen. Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des +Koenigs ihre Pflicht taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor, +dass rhodische Geschwader vielfach staerkere pontische ueberwanden +und mit erbeuteten Schiffen heimkehrten. Auch zu Lande rueckte die +Belagerung nicht vor; nachdem ein Teil der Arbeiten zerstoert worden +war, gab Mithradates das Unternehmen auf und die wichtige Insel sowie +das gegenueberliegende Festland blieben in den Haenden der Roemer. Aber +nicht bloss die asiatische Provinz wurde, hauptsaechlich infolge der +zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast +unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon +den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten +die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfaelle mit +auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664, +665 (90, 89) ueberrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und +pluenderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, dass damit +noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Praetendenten auf den +makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen. +Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern +unterhielt, war all diesen Vorgaengen schwerlich fremd. Zwar erwehrte +sich der Praetor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten +dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, dass ihm +maechtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen +Erfolgen, den kuehnen Entschluss gefasst, wie Antiochos den Krieg um die +Herrschaft ueber Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und +zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein +Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte +Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische +Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstuetzpunkte +der pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, gefuehrt von +Mithradates' bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Aegaeischen Meer, +wo kaum ein roemisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des +roemischen Handels in diesen Gewaessern, ward besetzt und bei 20000 +Menschen, groesstenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euboea +erlitt ein gleiches Schicksal; bald waren oestlich vom Malfischen +Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum +Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische +Flotte von Euboea aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius +Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit +seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und +besetzte sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, dass +der Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier +wirkte Mithradates nicht bloss mit den Waffen, sondern zugleich mit der +nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug fuer Athen war ein gewisser +Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks +ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Guenstling +Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetaeros, der durch die glaenzende +Karriere, die er bei Hof gemacht, den Poebel zu blenden und ihm mit +Aplomb zu versichern verstand, dass aus dem seit beilaeufig sechzig +Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe fuer Mithradates schon +unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht, +dass die wenigen Verstaendigen aus Athen entwichen, der Poebel aber und +ein paar toll gewordene Literaten den Roemern foermlich absagten. So +ward aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestuetzt auf seine +pontische Soeldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus +dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen +auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen +Freistaaten ihnen zu: Achaeer, Lakonen, Boeoter, bis hinauf nach +Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstaerkung +herangezogen hatte, rueckte in Boeotien ein, um dem belagerten Thespiae +Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chaeroneia in dreitaegigen +Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie fuehrten zu keiner +Entscheidung und Sura musste zurueckgehen, als die pontischen +Verstaerkungen aus dem Peloponnes sich naeherten (Ende 666, Anfang 667 +88, 87). So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, +dass eine Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, +einen Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals +bereits verloren und der Koenig wies das Ansinnen zurueck. Die Lage der +roemischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien und +Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See +herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische +Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten +Gebieten Italiens unbestritten die Herrschaft fuehrte; dazu die kaum +beschwichtigte Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und +furchtbarer emporzulodern; dazu endlich die durch die inneren Unruhen +in Italien und die ungeheuren Verluste der asiatischen Kapitalisten +hervorgerufene fuerchterliche Handels- und Geldkrise und der Mangel an +zuverlaessigen Truppen. Die Regierung haette dreier Armeen bedurft, +um in Rom die Revolution niederzuhalten, in Italien die Insurrektion +voellig zu ersticken und in Asien Krieg zu fuehren; sie hatte +eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem +unzuverlaessigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die +Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied sich, wie +wir sahen, fuer den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes, man darf +vielleicht sagen eine grosse patriotische Tat, dass in diesem Konflikt +des allgemeinen vaterlaendischen und des besonderen Parteiinteresses +das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der Gefahren, die seine +Entfernung aus Italien fuer seine Verfassung und fuer seine Partei +nach sich zog, dennoch im Fruehling 667 (87) landete an der Kueste von +Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst roemische Oberfeldherrn im Osten +aufzutreten pflegten. Dass sein Heer von fuenf Legionen oder hoechstens +30000 Mann 8 wenig staerker war als eine gewoehnliche Konsulararmee, +war das wenigste. Sonst hatte in den oestlichen Kriegen eine roemische +Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See beherrscht; Sulla, +gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des Aegaeischen Meeres +wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. Sonst hatte der +Feldherr eine volle Kasse mit sich gefuehrt und den groessten Teil +seiner Beduerfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; Sulla kam mit +leeren Haenden - denn die fuer den Feldzug von 666 (88) mit Not +fluessig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah sich +ausschliesslich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der Feldherr +seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und hatten dem +Landesfeind gegenueber seit der Beendigung des Staendekampfes +die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter +Mithradates' Feldzeichen fochten namhafte roemische Maenner, grosse +Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Buendnis zu treten, und es +war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das ruehmliche +Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand +halten werde, solange er gegen den asiatischen Koenig focht. Aber der +rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war +nicht gewohnt, vor Erledigung der naechsten Aufgabe um die ferneren +Gefahren sich zu bekuemmern. Da seine an den Koenig gerichteten +Friedensantraege, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des +Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rueckte +er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Haefen bis nach Boeotien +vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde, +Archelaos und Aristion, und bemaechtigte sich nach diesem Siege fast +ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der +Festung Athen und des Peiraeeus, wohin Aristion und Archelaos sich +geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen misslang. +Eine roemische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien +und streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte +vor Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euboea stehende +feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis +und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte +und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die +hellenischen Staedte, wie immer von der naechsten Furcht regiert, +unterwarfen sich den Roemern auf jede Bedingung und waren froh, wenn +sie mit Lieferungen von Vorraeten und Mannschaft und mit Geldbussen +schwerere Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen +in Attika vonstatten. Sulla sah sich genoetigt, in aller Form das +schwere Belagerungszeug zu ruesten, wozu die Baeume der Akademie und +des Lykeion das Holz liefern mussten. Archelaos leitete die Verteidigung +ebenso kraeftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, +schlug also verstaerkt die Angriffe der Roemer mit ueberlegener Macht ab +und machte haeufige und nicht selten glueckliche Ausfaelle. Zwar die zum +Entsatz herbeirueckende pontische Armee des Dromichaetes ward unter +den Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer +Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Roemern +geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von +Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv festgesetzt +hatten, kam reichliche und regelmaessige Zufuhr zur See, die Sulla nicht +imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen gingen zwar die +Vorraete auf die Neige, doch konnte bei der Naehe der beiden Festungen +Archelaos mehrfache Versuche machen, Getreidetransporte nach Athen +zu werfen, die nicht alle misslangen. So verfloss in peinlicher +Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie die Jahreszeit es +erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestuem auf den Peiraeeus; in der +Tat gelang es, durch Geschuetze und Minen einen Teil der gewaltigen +Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort schritten die +Roemer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er wiederholt +ward, fanden sich hinter den eingestuerzten Mauerteilen halbmondfoermige +Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei +Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die +Belagerung auf und begnuegte sich mit einer Blockade. In Athen waren +inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung +versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla wies ihre +redefertigen Boten zurueck mit dem Bedeuten, dass er nicht als Student, +sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte Unterwerfung +annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal dann ihm +bevorstand, damit zoegerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum +noch verteidigte Stadt erstuermt (1. Maerz 668 86). Aristion warf sich +in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der roemische Feldherr +liess die Soldateska in der eroberten Stadt morden und pluendern und die +angeseheneren Raedelsfuehrer des Abfalls hinrichten; die Stadt selbst +aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar das +wichtige Delos zurueck und ward also noch einmal gerettet durch ihre +herrlichen Toten. ---------------------------------------------------- +8 Man muss sich erinnern, dass seit dem Bundesgenossenkrieg auf die +Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet +ist, mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem. +----------------------------------------------------- Ueber den +Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes Sullas Lage +blieb im hoechsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als ein +Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt +vorwaertsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner +Anstrengungen, waehrend Asien gaenzlich sich selbst ueberlassen, die +Eroberung Makedoniens von Mithradates' Statthaltern kuerzlich durch die +Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich +immer deutlicher - war es nicht bloss unmoeglich, die Verbindungen und +die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu +sichern, sondern auch nur den Peiraeeus, geschweige denn Asien und die +Inseln wiederzugewinnen; und doch liess sich nicht absehen, wie man zu +Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte +Sulla einen seiner faehigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius +Licinius Lucullus, in die oestlichen Gewaesser entsandt, um dort +womoeglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von +den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief +Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote +aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten +Schiffen den Feind taeuschend, gelangte er ueber Kreta und Kyrene +nach Alexandreia; allein der aegyptische Hof schlug die Bitte um +Unterstuetzung mit Kriegsschiffen ebenso hoeflich wie entschieden ab. +Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des +roemischen Staats, der einst das Angebot der Koenige von Aegypten, +mit ihrer ganzen Seemacht den Roemern beizustehen, dankbar abzulehnen +vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmaennern +schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedraengnis; +schon hatte Sulla die Schatzhaeuser des Olympischen Zeus, des +Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren muessen, wofuer +die Goetter entschaedigt wurden durch die zur Strasse eingezogene +Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese +militaerische und finanzielle Verlegenheit war der Rueckschlag der +politischen Umwaelzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame +Vollendung die aergsten Befuerchtungen weit hinter sich gelassen +hatte. Die Revolution fuehrte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war +abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen +Konsul Lucius Valerius Flaccus uebertragen worden, den man taeglich in +Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an +Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was liess +sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt +und geaechtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der +Krieg gegen den zaehen seemaechtigen Gegner aussichtslos sich hinspann! +Koenig Mithradates uebernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen +Lage zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem +seiner Generale missbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind +foerdersamst zu ueberwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes +aus Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu +bekaempfen; nur der ploetzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am +Tisaeischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals +rueckgaengig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86), +das in Thessalien stehende roemische Korps vor sich hertreibend, mit +einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern an +den Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichaetes. Auch Archelaos +raeumte - es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch +Befehle seines Herrn - den Peiraeeus erst teilweise, sodann ganz und +stiess in Boeotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der +Peiraeeus mit all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl +zerstoert worden war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung, +vor dem Eintreffen des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu koennen. +Vergeblich riet Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die +See und die Kuesten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst +unter Dareios und Antiochos, so stuerzten auch jetzt die Massen der +Orientalen, wie geaengstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und +blindlings in den Kampf; und toerichter als je war dies hier angewandt, +wo die Asiaten vielleicht nur einige Monate haetten warten duerfen, um +bei einer Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben. +In der Ebene des Kephissos unweit Chaeroneia im Maerz 668 (86) trafen +die Heere aufeinander. Selbst mit Einschluss der aus Thessalien +zurueckgedraengten Abteilung, der es geglueckt war, ihre Verbindung mit +der roemischen Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluss der +griechischen Kontingente fand sich das roemische Heer einem dreifach +staerkeren Feind gegenueber und namentlich einer weit ueberlegenen und +bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefaehrlichen Reiterei, +gegen die Sulla seine Flanken durch verschanzte Graeben zu decken noetig +fand, sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen +zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen +liess. Als die Streitwagen den Kampf zu eroeffnen heranrollten, zog sich +das erste Treffen der Roemer hinter diese Pfahlreihe zurueck; die Wagen, +an ihr abprallend und gescheucht durch die roemischen Schleuderer und +Schuetzen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung +sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen +Fluechtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken +herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein +Fussvolk wieder zu ordnen; sie griff mit grossem Feuer an und durchbrach +die roemischen Reihen; allein die roemische Infanterie formierte sich +rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie +anstuermenden Reitern mutig stand. Inzwischen fuehrte Sulla selbst +auf dem rechten Fluegel seine Reiterei in die entbloesste Flanke des +Feindes; die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum +Schlagen gekommen zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die +Reitermassen. Ein allgemeiner Angriff des roemischen Fussvolks, das +durch die schwankende Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft +bekam, entschied den Sieg. Die Schliessung der Lagertore, die Archelaos +anordnete, um die Flucht zu hemmen, bewirkte nur, dass das Blutbad um +so groesser ward und, als die Tore endlich sich auftaten, die Roemer +mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwoelften. Mann soll +Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den +Euripos; den schmalen Meeresarm zu ueberschreiten war er nicht imstande. +Es war ein grosser Sieg, aber die Resultate waren geringfuegig, was +wegen des Mangels einer Flotte, teils weil der roemische Sieger sich +genoetigt sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunaechst vor seinen +Landsleuten sich zu schuetzen. Die See war noch immer ausschliesslich +bedeckt von den pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich +vom Malfischen Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von +Chaeroneia setzte Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte +einen Versuch, auf dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen +in der Tat Lucius Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, +nicht ohne unterwegs durch Stuerme und durch die im Adriatischen Meer +kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; +bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zunaechst musste +Sulla sich wenden. Bei Melitaea am noerdlichen Abhang des Othrysgebirges +lagerten beide roemischen Heere sich gegenueber; ein Zusammenstoss +schien unvermeidlich. Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte +sich zu ueberzeugen, dass Sullas Soldaten keineswegs geneigt war +ihren siegreichen Fuehrer an den gaenzlich unbekannten demokratischen +Oberfeldherrn zu verraten, dass vielmehr seine eigene Vorhut anfing, +in das Sullanische Lager zu desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er +in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach auf gegen Norden, um +durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch +Ueberwaeltigung Mithradats sich den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen. +Dass Sulla den schwaecheren Gegner ungehindert abziehen liess und, statt +ihm zu folgen, vielmehr zurueck nach Athen ging, wo er den Winter +668/69 (86/85) verweilt zu haben scheint, ist militaerisch betrachtet +auffallend; vielleicht darf man annehmen, dass auch hier politische +Beweggruende ihn leiteten und er gemaessigt und Patriotisch genug +dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den Asiaten zu tun +hatte, gern einen Sieg ueber die Landsleute zu vermeiden und die +ertraeglichste Loesung der leidigen Verwicklung darin zu finden, wenn +die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem +gemeinschaftlichen Feinde stritt. Mit dem Fruehling 669 (85) gab es +in Europa wieder neue Arbeit. Mithradates, der in Kleinasien seine +Ruestungen unermuedlich fortsetzte, hatte eine, der bei Chaeroneia +aufgeriebenen an Zahl nicht viel nachstehende Armee unter Dorylaos +nach Euboea gesandt; von dort war dieselbe in Verbindung mit den +Ueberbleibseln der Armee des Archelaos ueber den Euripos nach Boeotien +gegangen. Der pontische Koenig, der in den Siegen ueber die +bithynische und die kappadokische Miliz den Massstab fand fuer die +Leistungsfaehigkeit seiner Armee, begriff die unguenstige Wendung +nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon fluesterten die Kreise der +Hoeflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war gegeben, +mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun +unfehlbar die Roemer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, +wo nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der +Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Roemer und die +Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf +sich ungestuem auf das roemische Fussvolk, das zu schwanken und zu +weichen begann; die Gefahr ward so dringend, dass Sulla ein Feldzeichen +ergriff und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind +vorgehend mit lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie +frage, wo sie ihren Feldherrn im Stich gelassen haetten, so moechten sie +antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und +ueberwaeltigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit +leichter Muehe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der +Asiaten umstellt und erstuermt; der weitaus groesste Teil derselben +fiel oder kam in den Kopaischen Suempfen um; nur wenige, unter ihnen +Archelaos, gelangten nach Euboea. Die boeotischen Gemeinden hatten +den abermaligen Abfall von Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu +buessen. Dem Einmarsch in Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: +Philippi ward besetzt, Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig +geraeumt, ueberhaupt das europaeische Festland von den Feinden +gesaeubert. Am Ende des dritten Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla +Winterquartiere in Thessalien beziehen, um im Fruehjahr 670 (84) 9 den +asiatischen Feldzug zu beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in +den thessalischen Haefen Schiffe zu bauen. +----------------------------------------- 9 Die Chronologie dieser +Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten ueberhaupt, in einem Dunkel, das +die Forschung hoechstens bis zur Daemmerung zu zerstreuen vermag. Dass +die Schlacht von Chaeroneia, wenn auch nicht an demselben Tage wie die +Erstuermung von Athen (Paus. 1, 20), doch bald nachher, etwa im Maerz +668 (86), stattfand, ist ziemlich sicher. Dass die darauf folgende +thessalische und die zweite boeotische Kampagne nicht bloss den Rest +des Jahres 668 (86), sondern auch das ganze Jahr 669 (85) in Anspruch +nahmen, ist an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, dass +Sullas Unternehmungen in Asien nicht genuegen, um mehr als einen Feldzug +auszufuellen. Auch scheint Licinianus anzudeuten, dass Sulla fuer +den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen zurueckging und hier die +Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf dann die Schlacht von +Orchomenos erzaehlt wird. Darum ist der Uebergang Sullas nach +Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden. +-------------------------------------------- Inzwischen hatten auch die +kleinasiatischen Verhaeltnisse sich wesentlich geaendert. Wenn Koenig +Mithradates einst aufgetreten war als der Befreier der Hellenen, wenn er +mit Foerderung der staedtischen Unabhaengigkeit und mit Steuererlassen +seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur +zu rasch und nur zu bitter die Enttaeuschung gefolgt. Sehr bald war er +in seinem wahren Charakter hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei +der roemischen Voegte weit ueberbietende Zwingherrschaft zu ueben +begonnen, die sogar die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung +trieb. Der Sultan griff dagegen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. +Seine Verordnungen verliehen den zugewandten Ortschaften die +Selbstaendigkeit, den Insassen das Buergerrecht, den Schuldnern vollen +Schuldenerlass, den Besitzlosen Aecker, den Sklaven die Freiheit; an +15000 solcher freigelassener Sklaven fochten im Heer des Archelaos. +Die fuerchterlichsten Szenen waren die Folge dieser von oben herab +erfolgenden Umwaelzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten +Kaufstaedte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den +Voegten des Koenigs die Tore oder brachten sie um und erklaerten sich +fuer Rom ^10. Dagegen liess der koenigliche Vogt Diodoros, ein namhafter +Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich brauchbar +zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines Herrn den gesamten +Stadtrat von Adramytion niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung +zu Rom verdaechtig schienen, wurden zunaechst um 2000 Talente (3150000 +Taler) gebuesst und, da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in +Masse auf Schiffe gesetzt und gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen +Sklaven, an die kolchische Kueste deportiert, waehrend ihre Insel mit +pontischen Kolonisten besetzt ward. Die Haeuptlinge der kleinasiatischen +Kelten befahl der Koenig saemtlich an einem Tage mit ihren Weibern +und Kindern umzubringen und Galatien in eine pontische Satrapie zu +verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wurden auch entweder an +Mithradates' eigenem Hoflager oder im galatischen Lande vollstreckt, +allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer +kraeftigen Staemme und schlugen den Statthalter des Koenigs, Eumachos, +aus ihren Grenzen hinaus. Dass diesen Koenig die Dolche der Moerder +verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen wurden als in +solche Komplotte verwickelt von den koeniglichen Untersuchungsgerichten +zum Tode verurteilt. ----------------------------------------------- +^10 Es ist kuerzlich (Waddington, Zusaetze zu Lebas, 3, 136a) der +desfaellige Beschluss der Buergerschaft von Ephesos aufgefunden worden. +Sie seien, erklaeren die Buerger, in die Gewalt des "Koenigs von +Kappadokien" Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner +Streitkraefte und die Ploetzlichkeit seines Angriffs; wie aber die +Gelegenheit dazu sich darbiete, erklaerten sie "fuer die Herrschaft +(/e/gemonia) der Roemer und die gemeine Freiheit" ihm den Krieg. +---------------------------------------------- Wenn also der Koenig +durch dies selbstmoerderische Wueten seine derzeitigen Untertanen gegen +sich unter die Waffen rief, so begannen gleichzeitig die Roemer auch in +Asien, ihn zur See und zu Lande zu draengen. Lucullus hatte, nachdem +der Versuch, die aegyptische Flotte gegen Mithradates vorzufuehren, +gescheitert war, sein Bemuehen, sich Kriegsschiffe zu verschaffen, +in den syrischen Seestaedten mit besserem Erfolg wiederholt und seine +werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und rhodischen Haefen +verstaerkt, bis er sich stark genug fand, zum Angriff ueberzugehen. +Gewandt vermied er es, mit ueberlegenen Streitkraeften sich zu messen +und errang dennoch nicht unbedeutende Erfolge. Die knidische Insel und +Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios +den Feinden entrissen. Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee +durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge +passierend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den +Feldherrn eine Militaerinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten +die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der hoechsten +Offiziere des Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwoertlich +geworden war fuer den rechten Poebelredner, Gaius Flavius Fimbria, +welcher, nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das +auf dem Markt begonnene Demagogengeschaeft ins Lager uebertrug. Flaccus +ward von dem Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit +Kalchedon getoetet; an seine Stelle trat nach Beschluss der Soldaten +Fimbria. Es versteht sich, dass er seinen Leuten alles nachsah: in dem +befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Buergerschaft befohlen, +ihre gesamte Habe an die Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum +warnenden Exempel zwei der angesehensten Buerger sogleich vorlaeufig +hingerichtet. Allein militaerisch war der Wechsel des Oberbefehls +dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfaehiger +General, sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos +westlich von Brussa) schlug er den juengeren Mithradates, der +als Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegengezogen war, +vollstaendig in einem naechtlichen Ueberfall und oeffnete sich durch +diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der roemischen Provinz, +jetzt des pontischen Koenigs, Pergamon, von wo er den Koenig vertrieb +und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um +dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte +in diesen Gewaessern; Fimbria beschwor ihn, durch seinen Beistand ihm +die Gefangennehmung des Koenigs moeglich zu machen. Aber der Optimat +war maechtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter, und der +Koenig entkam nach Mytilene. Auch so war Mithradates' Lage bedraengt +genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war Europa verloren, Kleinasien +gegen ihn teils im Aufstand begriffen, teils von einem roemischen Heer +eingenommen und er selbst von diesem in unmittelbarer Naehe bedroht. +Die roemische Flotte unter Lucullus hatte an der Kueste der troischen +Landschaft in zwei gluecklichen Seegefechten am Vorgebirg Lekton und +bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie zog daselbst die +inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien erbauten Schiffe an +sich und verbuergte in ihrer den Hellespont beherrschenden Stellung dem +Feldherrn der roemischen Senatsarmee fuer das naechste Fruehjahr den +sicheren und bequemen Uebergang nach Asien. Mithradates versuchte zu +unterhandeln. Unter anderen Verhaeltnissen zwar haette der Urheber des +ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen duerfen, zum Frieden +mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren Konvulsionen der +roemischen Republik, wo die herrschende Regierung den gegen Mithradates +ausgesandten Feldherrn in die Acht erklaert hatte und daheim gegen seine +Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wuetete, wo ein roemischer +General gegen den andern und doch wieder beide gegen denselben Feind +standen, hoffte er nicht bloss einen Frieden, sondern einen guenstigen +Frieden erlangen zu koennen. Er hatte die Wahl, sich an Sulla oder an +Fimbria zu wenden; mit beiden liess er unterhandeln, doch scheint seine +Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla abzuschliessen, +der wenigstens in dem Horizont des Koenigs als seinem Nebenbuhler +entschieden ueberlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos forderte nach +Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den Koenig abzutreten und +dafuer die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei in Rom zu +gewaertigen. Aber Sulla, kuehl und klar wie immer, wuenschte zwar wegen +der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige Erledigung der +asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile der kappadokischen +Allianz fuer den ihm in Italien bevorstehenden Krieg sehr niedrig an +und war ueberhaupt viel zu sehr Roemer, um in eine so entehrende und so +nachteilige Abtretung zu willigen. In den Friedenskonferenzen, die +im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der boeotischen Kueste, Euboea +gegenueber, stattfanden, weigerte er sich bestimmt, auch nur einen +Fussbreit Landes abzutreten, ging aber, der alten roemischen Sitte, die +vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach dem Siege nicht zu steigern, +aus gutem Grunde getreu, ueber die frueher gestellten Bedingungen nicht +hinaus. Er forderte die Rueckgabe aller von dem Koenig gemachten und ihm +noch nicht wiederentrissenen Eroberungen, Kappadokiens, Paphlagoniens, +Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der Inseln, die Auslieferung der +Gefangenen und Ueberlaeufer, die Uebergabe der achtzig Kriegsschiffe des +Archelaos zur Verstaerkung der immer noch geringen roemischen Flotte, +endlich Sold und Verpflegung fuer das Heer und Ersatz der Kriegskosten +mit der sehr maessigen Summe von 3000 Talenten (4_ Mill. Taler). Die +nach dem Schwarzen Meer weggefuehrten Chier sollten heimgesandt, +den roemisch gesinnten Makedoniern ihre weggefuehrten Familien +zurueckgegeben, den mit Rom verbuendeten Staedten eine Anzahl +Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng genommen +gleichfalls mit in den Frieden haette eingeschlossen werden sollen, +schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, die seine +Beiziehung machen musste, keinem der kontrahierenden Teile gelegen war. +Der Besitzstand also, den der Koenig vor dem Kriege gehabt hatte, blieb +ihm und es ward ihm keine ehrenkraenkende Demuetigung angesonnen ^11. +Archelaos, deutlich erkennend, dass verhaeltnismaessig unerwartet viel +erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloss auf diese Bedingungen +die Praeliminarien und den Waffenstillstand ab und zog die Truppen aus +den Plaetzen heraus, die die Asiaten noch in Europa innehatten. Allein +Mithradates verwarf den Frieden und begehrte wenigstens, dass die Roemer +auf die Auslieferung der Kriegsschiffe verzichten und ihm Paphlagonien +einraeumen wollten; indem er zugleich geltend machte, dass Fimbria ihm +weit guenstigere Bedingungen zu gewaehren bereit sei. Sulla, beleidigt +durch dies Gleichstellen seiner Anerbietungen mit denen eines amtlosen +Abenteurers und bei dem aeussersten Mass der Nachgiebigkeit bereits +angelangt, brach die Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit +benutzt, um Makedonien wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Maeder +zu zuechtigen, wobei er zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich +Asien naeherte; denn dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen, +um mit Fimbria abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien +stehenden Legionen sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont. +Da endlich gelang es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die +widerstrebende Einwilligung zu dem Traktat zu entreissen; wofuer er +spaeter am koeniglichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens +scheel angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so dass einige Zeit +nachher er sich genoetigt sah, das Land zu raeumen und zu den Roemern zu +fluechten, die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren ueberhaeuften. +Auch die roemischen Soldaten murrten; dass die gehoffte asiatische +Kriegsbeute ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der +an sich wohl gerechtfertigte Unwille, dass man den Barbarenfuersten, +der achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und ueber Italien und Asien +unsaegliches Elend gebracht hatte, mit dem groessten Teil der in Asien +zusammengepluenderten Schaetze ungestraft abziehen liess in seine +Heimat. Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, dass die +politischen Verwicklungen seine militaerisch so einfache Aufgabe in +peinlichster Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen +sich mit einem solchen Frieden zu begnuegen. Indes zeigt sich die +Selbstverleugnung und die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg +gefuehrt hat, nur aufs neue in diesem Friedensschluss; denn der Krieg +gegen einen Fuersten, dem fast die ganze Kueste des Schwarzen Meeres +gehorchte und dessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich +offenbarten, nahm selbst im guenstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die +Lage Italiens war von der Art, dass es fast schon fuer Sulla zu spaet +schien, um mit den wenigen Legionen, die er besass, der dort regierenden +Partei entgegenzutreten ^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es +schlechterdings notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der +in Asien an der Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe +nicht, wie Sulla jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu +unterdruecken hoffte, so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu +Hilfe komme. Bei Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von +der Ratifikation des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach +Asien ging weiter. Der Koenig, hiess es, wuensche persoenlich mit +dem roemischen Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu +vereinbaren; vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand, +um das Heer nach Asien ueberzufuehren und dort mit Fimbria ein Ende zu +machen. So ueberschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von +Archelaos, den Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in +Dardanos mit Mithradates zusammengetroffen war und muendlich den +Vertrag abgeschlossen hatte, liess er den Marsch fortsetzen, bis er +bei Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an +demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an Zahl, +Zucht, Fuehrung und Tuechtigkeit den Fimbrianern weit ueberlegen, sahen +mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und deren +unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern +wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten +die Soldaten sich, gegen ihre Mitbuerger zu fechten, ja sogar den +geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Haende +abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria +erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnuegte sich, +ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persoenliche Rettung +zu eroeffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme; +statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den Barbaren +zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des Asklepios in +sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem Heer begaben +sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie bereitwillige +Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle Sullas. +----------------------------------------------- ^11 Die Angabe, dass +Mithradates den Staedten, die seine Partei ergriffen hatten im Frieden +Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint schon nach dem +Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich und fehlt +auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche Abfassung des +Friedensvertrages ward versaeumt, was spaeter zu vielen Entstellungen +benutzt ward. ^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten +Mithradatischen Krieg. Koenig Ardasches von Armenien, berichtet Moses +von Khorene, begnuegte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im +Persischen (Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den +Partherkoenig Arschagan, ihm die hoechste Gewalt abzutreten, worauf +er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Muenzen mit eigenem +Bildnis schlagen liess und den Arschagan zum Unterkoenig Persiens, +seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkoenig Armeniens bestellte, seine +Tochter Ardaschama aber vermaehlte mit dem Grossfuersten der Iberer +Mihrdates (Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und +Statthalters Alexanders ueber die besiegten Iberer, abstammte und in den +noerdlichen Bergen sowie ueber das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm +darauf den Koenig der Lydier Kroesos gefangen, unterwarf das Festland +zwischen den beiden grossen Meeren (Kleinasien) und ging ueber das Meer +mit unzaehligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals +Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine +Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner +Leute. Nach Ardasches' Tode rueckte sein Nachfolger Dicran gegen die +Armee der Griechen (d. i. der Roemer), die jetzt ihrerseits in das +armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel, +uebergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag +(Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen +Streitmacht und kehrte zurueck nach Armenien. Viele Jahre spaeter zeigte +man noch in den armenischen Staedten Statuen griechischer Goetter von +bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug. Man erkennt hier +verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen Kriegs ohne +Muehe wieder, aber die ganze Erzaehlung ist augenscheinlich +durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusaetzen ausgestattet und +namentlich durch patriotische Faelschung auf Armenien uebertragen. Ganz +ebenso wird spaeter der Sieg ueber Crassus den Armeniern beigelegt. +Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so groesserer Vorsicht +aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils +die Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des +fuenften Jahrhunderts gelaeufiger Quellen darin mit den armenischen +Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der +Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des +Moses dafuer ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere +okzidentalische Ueberlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der +orientalischen in diesem und in aehnlichen Faellen, wie zum Beispiel der +unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin fuehren, +sie noch staerker zu trueben. +--------------------------------------------------- Sulla beschloss, +diese beiden Legionen, denen er fuer den bevorstehenden Krieg doch nicht +traute, in Asien zurueckzulassen, wo die entsetzliche Krise noch lange +in den einzelnen Staedten und Landschaften nachzitterte. Das Kommando +ueber dieses Korps und die Statthalterschaft im roemischen Asien +uebergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius Murena. Die +revolutionaeren Massregeln Mithradats, wie die Befreiung der Sklaven +und die Kassation der Forderungen, wurden natuerlich aufgehoben; eine +Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt +durchgesetzt werden konnte. Die Staedte des oestlichen Grenzgebiets +unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit +dem Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner +Gerechtigkeit geuebt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten +Anhaenger Mithradats und die Urheber der an den Italikern veruebten +Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mussten die +saemtlichen von den letzten fuenf Jahren her rueckstaendigen Zehnten und +Zoelle sofort nach Abschaetzung bar erlegen; ausserdem hatten sie eine +Kriegsentschaedigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten, +zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurueckblieb. Es waren die +Massregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man +sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so +fuehlt man sich geneigt, dieselben als eine verhaeltnismaessig noch +gelinde Vergeltung zu betrachten. Dass die sonstigen Erpressungen nicht +ungewoehnlich drueckend waren, beweist der Betrag der spaeter im Triumph +aufgefuehrten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler +belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die +Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Maeander wurden reich +belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen +Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurueck. Desgleichen wurden die Chier +fuer die ausgestandene Not, die Ilienser fuer die wahnsinnig grausame +Misshandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknuepften +Verhandlungen zugefuegt hatte, nach Moeglichkeit durch Freibriefe und +Verguenstigungen entschaedigt. Die Koenige von Bithynien und Kappadokien +hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen Koenig zusammengefuehrt +und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei +freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von +koeniglichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn +nannte, persoenlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward +beauftragt, in den beiden von Mithradates geraeumten Reichen die +Wiederherstellung der gesetzlichen Zustaende zu ueberwachen. So war +man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische Koenig wieder ein +Klient der Roemer und in Griechenland, Makedonien und Kleinasien ein +einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; die Gebote des +Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genuege, doch zur Notdurft +befriedigt. Sulla hatte nicht bloss als Soldat und Feldherr glaenzend +sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstrasse zwischen kuehnem +Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen Hindernissen +durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie Hannibal hatte er +gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkraeften, die der erste Sieg ihm +gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe sich zu schicken. +Nachdem er seine Soldaten durch die ueppigen Winterquartiere in dem +reichen Vorderasien einigermassen fuer ihre ausgestandenen Strapazen +entschaedigt hatte, ging er im Fruehjahr 671 (83) auf 1600 Schiffen von +Ephesos nach dem Peiraeeus und von da auf dem Landweg nach Patrae, wo +die Schiffe wiederum bereit standen, um die Truppen nach Brundisium zu +fuehren. Ihm vorauf ging ein Bericht an den Senat ueber seine Feldzuege +in Griechenland und Asien, dessen Schreiber von seiner Absetzung nichts +zu wissen schien; es war die stumme Ankuendigung der bevorstehenden +Restauration. 9. Kapitel Cinna und Sulla Die gespannten und unklaren +Verhaeltnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt nach Griechenland im +Anfang des Jahres 667 (87) Italien zurueckliess, sind frueher dargelegt +worden: die halb erstickte Insurrektion, die Hauptarmee unter dem +mehr als halb usurpierten Kommando eines politisch sehr zweideutigen +Generals, die Verwirrung und die vielfach taetige Intrige in der +Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz +oder wegen seiner Maessigung vielfaeltige Missvergnuegte gemacht. Die +Kapitalisten, von den Schlaegen der schwersten Finanzkrise, die Rom noch +erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten der Regierung wegen +des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des Italischen und des +Asiatischen Krieges, die sie nicht verhuetet hatte. Die Insurgenten, +soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht bloss den Verlust +ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte mit der +herrschenden Buergerschaft, sondern auch den ihrer althergebrachten +Vertraege und ihre neue voellig rechtlose Untertanenstellung. Die +Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls unzufrieden mit +den ihnen gemachten halben Zugestaendnissen und die Neubuerger und +Freigelassenen erbittert durch die Kassation der Sulpicischen Gesetze. +Der Stadtpoebel litt unter der allgemeinen Bedraengnis und fand +es unerlaubt, dass das Saebelregiment sich die verfassungsmaessige +Knuettelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. +Der hauptstaedtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwaelzung +Geaechteten, der infolge der ungemeinen Maessigung Sullas sehr zahlreich +geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur +Rueckkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen +sparten fuer diesen Zweck keine Muehe und kein Geld. Keine dieser +Verstimmungen war eigentlich von der Art, dass sie einen neuen +gewaltsamen Zusammenstoss der Parteien in nahe Aussicht stellte; +groesstenteils waren sie zielloser und voruebergehender Art: aber sie +alle naehrten das allgemeine Missbehagen und hatten schon mehr oder +minder mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten +Mordversuchen gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der +Konsul- und Tribunenwahlen fuer 667 (87). Der Name des Mannes, den die +Missvergnuegten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius +Cornelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, ausser insofern er +als Offizier im Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; ueber die +Persoenlichkeit desselben und seine urspruenglichen Absichten sind wir +weniger unterrichtet als ueber die irgendeines andern Parteifuehrers +in der roemischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine +andere, als dass dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus +geleitete Gesell weitergehende politische Plaene von Haus aus gar nicht +gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, dass er gegen +ein tuechtiges Stueck Geld sich den Neubuergern und der Koterie des +Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich +aus; waere sie aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger +charakteristisch, dass ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen +Saturninus und Sulpicius geaeussert worden war, an Cinna haftete. In der +Tat hat die Bewegung, an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein +der Geringhaltigkeit sowohl der Beweggruende wie der Ziele. Sie ging +nicht so sehr von einer Partei aus als von einer Anzahl Missvergnuegter +ohne eigentlich politische Zwecke und nennenswerten Rueckhalt, die +hauptsaechlich die Rueckberufung der Verbannten in gesetzlicher oder +ungesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint +in die Verschwoerung nur nachtraeglich und nur deshalb hineingezogen zu +sein, weil die Intrige, die infolge der Beschraenkung der tribunizischen +Gewalt zur Vorbringung ihrer Antraege einen Konsul brauchte, unter den +Konsularkandidaten fuer 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug +ersah und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie +erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige faehigere Koepfe, +so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stuermische +Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus +Sertorius, einer der talentvollsten roemischen Offiziere und in jeder +Hinsicht ein vorzueglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das +Volkstribunat mit Sulla persoenlich verfeindet und durch diesen Hader in +die Reihen der Missvergnuegten gefuehrt worden war, wohin er seiner Art +nach keineswegs gehoerte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der +Regierung gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich +einzulassen. Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbuendeten +aus guten Gruenden sich still. Als indes der gefuerchtete Prokonsul, +nicht den Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand +der Dinge im Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna, +unterstuetzt von der Majoritaet des Tribunenkollegiums, sofort die +Gesetzentwuerfe vor, wodurch man uebereingekommen war, gegen die +Sullanische Restauration von 666 (88) teilweise zu reagieren; sie +enthielten die politische Gleichstellung der Neubuerger und +der Freigelassenen, wie Sulpicius sie beantragt hatte, und die +Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen Revolution Geaechteten +in den vorigen Stand. In Masse stroemten die Neubuerger nach der +Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich die Gegner +einzuschuechtern und noetigenfalls zu zwingen. Aber auch die +Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul +gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen +Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung grossenteils +bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten +Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbuehne selbst die +Schwerter gezueckt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttaeter +Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Maenner saeuberten nicht +bloss die Heilige Strasse und den Marktplatz, sondern wueteten auch, der +Befehle ihres milder gesinnten Fuehrers nicht achtend, in grauenhafter +Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an +diesem "Octaviustag", wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend +schaetzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich +durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf war +ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es blieb +den Fuehrern der Bewegung nichts uebrig, als zu fluechten. Weiter gegen +die Haeupter der Verschwoerung, solange ihr Amtsjahr lief, zu verfahren +gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein vermutlich mehr +loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, dass die Verbannung des +Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden Volkstribune dem Lande +Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in Gemaessheit zwar nicht +der Verfassung, aber wohl dieses gluecklich von den Orakelbewahrern +aufgefangenen Goetterratschlags wurde durch Beschluss des Senats der +Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius +Cornelius Merula gewaehlt und gegen die fluechtigen Haeupter die Acht +ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, dass +die Zahl der ausgetretenen Maenner in Numidien um einige Koepfe sich +vermehrte. Ohne Zweifel waere auch bei der Bewegung nichts weiter +herausgekommen, wenn nicht teils der Senat in seiner gewoehnlichen +Schlaffheit es unterlassen haette, die Fluechtlinge rasch wenigstens zur +Raeumung Italiens zu noetigen, teils diese in der Lage gewesen waeren, +zu ihren Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubuerger +gewissermassen den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert +erschienen sie in Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden +Neubuergergemeinden Latiums und Kampaniens und forderten und erhielten +ueberall zur Durchfuehrung der gemeinschaftlichen Sache Geld und +Mannschaft. So unterstuetzt zeigten sie sich bei der Belagerungsarmee +von Nola. Die Heere dieser Zeit waren demokratisch und revolutionaer +gesinnt, wo immer nicht der Feldherr durch seine imponierende +Persoenlichkeit sie an sich selber fesselte; die Reden der fluechtigen +Beamten, die ueberdies zum Teil, wie namentlich Cinna und Sertorius, +aus den letzten Feldzuegen in gutem Andenken bei den Soldaten standen, +machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige Absetzung des popularen +Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte des souveraenen Volkes +wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren machte das Gold des +Konsuls oder vielmehr der Neubuerger den Verfassungsbruch deutlich. Das +kampanische Heer erkannte den Cinna als Konsul an und schwor ihm +Mann fuer Mann den Eid der Treue; es ward der Kern fuer die von +den Neubuergern und selbst den bundesgenoessischen Gemeinden +herbeistroemenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn auch meistens +aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die Hauptstadt zu. +Andere Schwaerme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas Einladung waren +die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der etruskischen Kueste +gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 Bewaffnete, groesstenteils +Sklaven der Fluechtlinge und geworbene numidische Reiter; aber Gaius +Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem hauptstaedtischen Gesindel hatte +Gemeinschaft machen wollen, liess jetzt die Zwinghaeuser erbrechen, in +denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre Feldarbeiter zur Nachtzeit +einschlossen, und die Waffen, die er diesen bot, um sich die Freiheit +zu erfechten, wurden nicht verschmaeht. Durch diese Mannschaft und +die Zuzuege der Neubuerger sowie der von allen Seiten mit ihrem Anhang +herbeistroemenden landfluechtigen Leute verstaerkt, zaehlte er bald 6000 +Mann unter seinen Adlern und konnte vierzig Schiffe bemannen, die +sich vor die Tibermuendung legten und auf die nach Rom segelnden +Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte er sich dem "Konsul" +Cinna zur Verfuegung. Die Fuehrer der kampanischen Armee schwankten; +die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten ernstlich vor der +allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an die +Spitze der Bewegung gefuehrt werden musste und doch notorisch ebenso +jedes staatsmaennischen Handelns unfaehig wie von wahnsinnigem +Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese Bedenklichkeiten +nicht und bestaetigte dem Marius den Oberbefehl in Etrurien und zur See +mit prokonsularischer Gewalt. So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt +zusammen, und es konnte nicht laenger verschoben werden, zu ihrem Schutz +die Regierungstruppen heranzuziehen ^1. Aber die Streitkraefte des +Metellus wurden in Samnium und vor Nola durch die Italiker festgehalten; +Strabo allein war imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er +erschien auch und schlug sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner +starken und krieggewohnten Armee waere er wohl imstande gewesen, die +noch schwachen Insurgentenhaufen rasch und voellig zu vernichten; allein +dies schien nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr liess er es +geschehen, dass Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna +mit seinem Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer +dem Ianiculum gegenueber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenueber +gegen den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmaehlich auf +drei Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von +Kriegsschiffen, besetzte einen Kuestenplatz nach dem andern, bis zuletzt +sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum Vorspiel +der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von dem +Feldherrn zu Mord und Pluenderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt +schwebte, schon durch die blosse Hemmung des Verkehrs, in +grosser Gefahr; auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in +Verteidigungszustand gesetzt und das Buergeraufgebot auf das Ianiculum +befehligt. Strabos Untaetigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen +gleichmaessig Befremden und Entruestung. Der Verdacht, dass er mit Cinna +insgeheim unterhandle, lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegruendet; +ein ernstliches Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und +die Unterstuetzung, die er dem Konsul Octavius gewaehrte, als Marius +durch Einverstaendnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das +Ianiculum eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die +Insurgenten mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es, +dass er nichts weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenfuehrern +anzuschliessen oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine +Absicht gewesen zu sein, der geaengsteten hauptstaedtischen Regierung +und Buergerschaft seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis +des Konsulats fuer das naechste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des +Regiments selber in die Haende zu bekommen. Der Senat war indes nicht +geneigt, um dem einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme +zu werfen, und suchte sich anderweitig zu helfen. Den saemtlichen, an +dem Aufstand der Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die +die Waffen niedergelegt und infolgedessen ihr altes Buendnis eingebuesst +hatten, wurde durch Senatsbeschluss nachtraeglich das Buergerrecht +verliehen 2. Es schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen, +dass Rom in dem Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines +grossen Zweckes, sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt +hatte: in der ersten augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar +tausend Soldaten mehr auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was +in dem Bundesgenossenkrieg um so fuerchterlich teuren Preis errungen +worden war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese +Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen +betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als hoechstens zehntausend Mann. +Wichtiger noch waere es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu +einem Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlaessigen +Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu koennen. Allein die +Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten: +Rueckgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen +und Ueberlaeufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Roemern +entrissene Beute; Bewilligung des Buergerrechts an die Samniten selbst +sowie an die zu ihnen uebergetretenen Roemer. Der Senat verwarf selbst +in dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch +den Metellus an, mit Zuruecklassung einer kleinen Abteilung alle im +suedlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach +Rom zu fuehren. Er gehorchte; aber die Folge war, dass die Samniten den +gegen sie zurueckgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem +schwachen Haufen angriffen und schlugen, dass die nolanische Besatzung +ausrueckte und die benachbarte, mit Rom verbuendete Stadt Abella +in Brand steckte; dass ferner Cinna und Marius den Samniten alles +bewilligten, was sie begehrten - was lag ihnen an roemischer Ehre! +-und samnitischer Zuzug die Reihen der Insurgenten verstaerkte. +Ein empfindlicher Verlust war es auch, dass nach einem fuer die +Regierungstruppen ungluecklichen Gefecht Ariminum von den Insurgenten +besetzt und dadurch die wichtige Verbindung zwischen Rom und dem Potal, +von wo Mannschaft und Zufuhren erwartet wurden, unterbrochen ward. +Mangel und Hunger stellten sich ein. Die grosse volkreiche, stark mit +Truppen besetzte Stadt war nur ungenuegend mit Vorraeten versehen; und +namentlich Marius liess es sich angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr +und mehr abzuschneiden. Schon frueher hatte er den Tiber durch eine +Schiffbruecke gesperrt; jetzt brachte er durch die Eroberung von +Antium, Lanuvium, Aricia und anderen Ortschaften die noch offenen +Landverbindungswege in seine Gewalt und kuehlte zugleich vorlaeufig +seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr geleistet worden war, die +gesamte Buergerschaft mit Ausnahme derer, die etwa die Stadt ihm +verraten hatten, ueber die Klinge springen liess. Ansteckende +Krankheiten waren die Folge der Not und raeumten in den dicht um die +Hauptstadt zusammengedraengten Heermassen fuerchterlich auf von Strabos +Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann +denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung nicht; und +ein glueckliches Ereignis fuer sie war Strabos ploetzlicher Tod. Er +starb an der Pest 3; die aus vielen Gruenden gegen ihn erbitterten +Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften ihn durch +die Strassen. Was von seinen Truppen uebrig war, vereinigte der Konsul +Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus' Eintreffen und Strabos +Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens +gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum Kampfe +sich stellen. Allein die Gemueter der Regierungssoldaten waren tief +erschuettert; als Cinna ihnen gegenueber erschien, empfingen sie ihn +mit Zuruf, als waere er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand +es geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die +Truppen in das Lager zurueckzufuehren. Die Optimaten selbst wurden +unsicher und unter sich uneins. Waehrend eine Partei, an ihrer Spitze +der ehrenwerte, aber stoerrige und kurzsichtige Konsul Octavius, +sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der +kriegskundigere und verstaendigere Metellus einen Vergleich zustande zu +bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras +beider Parteien: Cinna hiess dem Marius ein Schwaechling, Metellus dem +Octavius ein Verraeter. Die Soldaten, ohnehin verstoert und nicht +ohne Ursache der Fuehrung des unerprobten Octavius misstrauend, sannen +Metellus an, den Oberbefehl zu uebernehmen, und begannen, da dieser +sich weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu +desertieren. Die Stimmung der Buergerschaft wurde taeglich gedrueckter +und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, dass den ueberlaufenden +Sklaven die Freiheit zugesichert sei, stroemten dieselben scharenweise +aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, dass +der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten wuerden, die Freiheit +zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung +konnte es sich nicht verbergen, dass sie geschlagen war und dass nichts +uebrig blieb, als mit den Fuehrern der Bande womoeglich ein Abkommen +zu treffen, wie der ueberwaeltigte Wanderer es trifft mit dem +Raeuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie toerichterweise +Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna waehrend +dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so +griff das Ueberlaufen so sehr um sich, dass es nicht mehr moeglich war, +irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach +dem in die Acht erklaerten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte +hinzufuegte, des Blutvergiessens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, +aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekraeftigen; Marius, +ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem +Schweigen. ------------------------------------ ^1 Die ganze folgende +Darstellung beruht wesentlich auf dem neu aufgefundenen Bericht des +Licinianus, der eine Anzahl frueher unbekannter Tatsachen mitteilt und +vor allem die Folge und Verknuepfung dieser Vorgaenge deutlicher, als +bisher moeglich war, erkennen laesst. 2 3, 258. Dass eine Bestaetigung +durch die Komitien nicht stattfand, geht aus Cic. Phil. 12, 11, 27 +hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben, die Frist +des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach zu verlaengern, was ihm +nach Herkommen freistand und tatsaechlich hinauslief auf Erteilung +des Buergerrechts an alle Italiker. 3 Adflatus sidere wie Livius (nach +Obsequens 56) sagt, heisst "von der Pest ergriffen" (Petr. 2; Plin. +nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht "vom Blitz getroffen", wie +die Spaeteren es missverstanden haben. +------------------------------------------------- Die Tore der +Hauptstadt oeffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen Legionen; aber +Marius, spoettisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich, die Stadt +zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und eilig versammelten +sich die Buerger auf dem Markt, um den kassierenden Beschluss zu fassen. +So kam er denn und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, +nicht einzelne Opfer auszuwaehlen, sondern die namhaften Maenner +der Optimatenpartei saemtlich niedermachen zu lassen und ihre Gueter +einzuziehen. Die Tore wurden gesperrt; fuenf Tage und fuenf Naechte +waehrte unausgesetzt die Schlaechterei; einzelne Entkommene oder +Vergessene wurden auch nachher noch taeglich erschlagen und monatelang +ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das +erste Opfer. Seinem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den +Tod zu leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugestaendnis zu +machen, weigerte er auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen +Schmuck harrte er auf dem Ianiculum des Moerders, der nicht lange +saeumte. Es starben Lucius Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte +Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den +Sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und +Dichter und als liebenswuerdiger Gesellschafter; Marcus Antonius +(Konsul 665 99), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der +erste Sachwalter seiner Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im +Spanischen und im Bundesgenossenkrieg und noch waehrend der Belagerung +Roms mit Auszeichnung kommandiert hatte: ueberhaupt eine Menge der +angesehensten Maenner der Regierungspartei, unter denen von den gierigen +Haeschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden. +Jammervoll vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider +seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich +angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen +Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern oeffnete und am Altar +des Hoechsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der +priesterlichen Kopfbinde, wie es die religioese Pflicht des sterbenden +Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod +des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem +herrlichsten Sieg und Triumph der Gefaehrte desselben Marius, der jetzt +fuer die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort +hatte als den einsilbigen Bescheid: "Er muss sterben!" Der Urheber all +dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker +- nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform +beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das Stillschweigen, womit er +die Begruessenden empfing, das Todesurteil, das stets sofort vollstreckt +ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache nicht; er +verbot, die Leichen zu bestatten; er liess - worin freilich Sulla +ihm vorangegangen war - die Koepfe der getoeteten Senatoren an die +Rednerbuehne auf dem Marktplatz heften; einzelne Leichen liess er +ueber den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der Grabstaette +des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius noch einmal +durchbohren; er umarmte oeffentlich den Menschen, der ihm, waehrend er +bei Tafel sass, den Kopf des Antonius ueberreichte, den selber in seinem +Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum hatte +abgehalten werden koennen. Hauptsaechlich seine Sklavenlegionen, +namentlich eine Abteilung Ardyaeer, dienten ihm als Schergen und +versaeumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die +Haeuser ihrer ehemaligen Herren zu pluendern und was ihnen darin vorkam, +zu schaenden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung +ueber dieses wahnsinnige Wueten; Sertorius beschwor den Konsul, +demselben um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken. +Aber in Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; +man stuerzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es +war nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu +fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er waehlte den Marius +vielmehr fuer das naechste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das +Schreckensregiment terrorisierte die gemaessigteren Sieger nicht viel +weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht +unzufrieden damit, dass eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen +Oligarchen einmal gruendlich zu demuetigen, und zugleich infolge der +umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute +an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich +den Beinamen der "Einsaeckler". Dem Urheber dieses Terrorismus, dem +alten Gaius Marius, hatte also das Verhaengnis seine beiden hoechsten +Wuensche gewaehrt. Er hatte Rache genommen an der ganzen vornehmen +Meute, die ihm seine Siege vergaellt, seine Niederlagen vergiftet hatte; +er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten koennen. Er +trat ferner das neue Jahr noch einmal an als Konsul; das Traumbild des +siebenten Konsulates, das der Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er +seit dreizehn Jahren gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er +wuenschte, hatten die Goetter ihm gewaehrt; aber auch jetzt noch, wie +in der alten Sagenzeit, uebten sie die verhaengnisvolle Ironie, den +Menschen zu verderben durch die Erfuellung seiner Wuensche. In seinen +ersten Konsulaten der Stolz, im sechsten das Gespoett seiner Mitbuerger, +stand er jetzt im siebenten belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit +dem Hass der ganzen Nation; er, der von Haus aus rechtliche, tuechtige, +kernbrave Mann, gebrandmarkt als das wahnwitzige Oberhaupt einer +ruchlosen Raeuberbande. Er selbst schien es zu fuehlen. Wie im Taumel +vergingen ihm die Tage, und des Nachts versagte ihm seine Lagerstatt +die Ruhe, so dass er zum Becher griff, um nur sich zu betaeuben. Ein +hitziges Fieber ergriff ihn; nach siebentaegigem Krankenlager, in dessen +wilden Phantasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten +schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er +eine Leiche. Er starb, ueber siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen, +was er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Nemesis +ist mannigfaltig und suehnt nicht immer Blut mit Blut. Oder war es etwa +keine Vergeltung, dass Rom und Italien bei der Nachricht von dem Tode +des gefeierten Volkserretters jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde +von der Schlacht auf dem Raudischen Feld? Auch nach seinem Tode zwar +kamen einzelne Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten; +so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den +Marianischen Schlaechtereien seine Hand in Blut getaucht hatte, bei +dem Leichenbegaengnis des Marius selbst einen Versuch, den allgemein +verehrten und selbst von Marius verschonten Oberpontifex Quintus +Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte dann, als derselbe von +der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie +er scherzhaft sich ausdrueckte, dass er sich nicht habe wollen ermorden +lassen. Aber die Orgien des Mordens waren doch vorueber. Unter dem +Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die Marianischen Banditen +zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlaessigen keltischen Truppen +und liess sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, saemtlich +niederhauen. Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis +gekommen. Cinna stand nicht bloss vier Jahre nacheinander (667-670 +87-84) als Konsul an der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch +regelmaessig sich und seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es +war, als ob diese Demokraten die souveraene Volksversammlung mit +absichtlicher Geringschaetzung beiseite schoeben. Kein anderes Haupt der +Popularpartei vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt +in Italien wie in dem groessten Teil der Provinzen so lange Zeit +hindurch fast ungestoert besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu +nennen, dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen waere. +Man nahm natuerlich das von Sulpicius und spaeter von Cinna selbst +beantragte, den Neubuergern und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht +mit den Altbuergern zusichernde Gesetz wieder auf und liess dasselbe +durch einen Senatsbeschluss foermlich als zu Recht bestehend bestaetigen +(670 84). Man ernannte Zensoren (668 86), um demgemaess saemtliche +Italiker in die fuenfunddreissig Buergerbezirke zu verteilen - eine +seltsame Fuegung dabei war es, dass infolge des Mangels von faehigen +Kandidaten zur Zensur derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91) +hauptsaechlich den Plan des Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu +verleihen, hatte scheitern machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als +Zensor in die Buergerrollen einzuschreiben. Man stiess natuerlich die +von Sulla im Jahre 666 (88) begruendeten reaktionaeren Institutionen +um. Man tat einiges, um dem Proletariat sich gefaellig zu erweisen - +so wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingefuehrten +Beschraenkungen der Getreideverteilung jetzt wiederum beseitigt; so +wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Iunius Brutus die von +Gaius Gracchus beabsichtigte Koloniegruendung in Capua im Fruehjahr 671 +(83) in der Tat ins Werk gesetzt; so veranlasste Lucius Valerius Flaccus +der Juengere ein Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten +Teil ihres Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der +Schuldner kassierte. Diese Massregeln aber, die einzigen konstitutiven +waehrend des ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme +vom Augenblick diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das +Entsetzlichste bei dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein +verkehrter, sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste +den Poebel und verletzte ihn zugleich in hoechst unnoetiger Weise durch +zwecklose Missachtung der verfassungsmaessigen Wahlordnung. Man konnte +an der Kapitalistenpartei einen Halt finden und schaedigte sie aufs +empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stuetze des +Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubuerger; man liess +sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame +Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt roemische +Buerger waren, aber offenbar tatsaechlich ihre landschaftliche +Unabhaengigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes +betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen +blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber +nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung +zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so dass +dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus +den Sturz der Oligarchie nicht verstanden, dass der neue Herr sich +auf seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten koenne, wie es legitime +Nullkoenige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen, +sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, dass er +blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespuelt hatte, bis eine +zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen? Dieselbe Verbindung +der gewaltigsten Machtfuelle mit der vollstaendigsten Impotenz und +Inkapazitaet der Machthaber zeigte die Kriegfuehrung der revolutionaeren +Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch zunaechst ihre Existenz +hing. In Italien gebot sie unumschraenkt. Unter den Altbuergern war +ein sehr grosser Teil grundsaetzlich demokratisch gesinnt; die noch +groessere Masse der ruhigen Leute missbilligte zwar die Marianischen +Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration nichts als +die Eroeffnung eines zweiten Schreckensregiments der entgegengesetzten +Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87) auf die Nation +insgesamt war verhaeltnismaessig gering gewesen, da sie vorwiegend +doch nur die hauptstaedtische Aristokratie betroffen hatten, und +ward ueberdies einigermassen ausgeloescht durch das darauffolgende +dreijaehrige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubuerger +endlich, vielleicht drei Fuenftel der Italiker, stand entschieden wo +nicht fuer die gegenwaertige Regierung, doch gegen die Oligarchie. +Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien, +Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus +Metellus, der den Moerdern gluecklich entkommen war, einen Versuch, +diese Provinz fuer die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus +Spanien Marcus Crassus, der juengste Sohn des in dem Marianischen +Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstaerkte ihn durch einen +in Spanien zusammengebrachten Haufen. Allein sie mussten, da sie sich +untereinander entzweiten, dem Statthalter der revolutionaeren Regierung, +Gaius Fabius Hadrianus, weichen. Asien war in den Haenden Mithradats; +somit blieb als einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz +Makedonien, soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich +Sullas Gemahlin und Kinder, die mit Muehe dem Tode entgangen waren, und +nicht wenige entkommene Senatoren, so dass bald in seinem Hauptquartier +eine Art von Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen +Prokonsul liess es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die +Komitien seines Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Wuerden +entsetzt und geaechtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, +Appius Claudius und andere angesehene Fluechtlinge geschah; sein Haus in +Rom wurde geschleift, seine Landgueter verwuestet. Indes damit freilich +war die Sache nicht erledigt. Haette Gaius Marius laenger gelebt, so +waere er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch +auf seinem Todbette die Fieberbilder ihn fuehrten; welche Massregeln +nach seinem Tode die Regierung ergriff, ward schon erzaehlt. Lucius +Valerius Flaccus der juengere 4, der nach Marius' Tode das Konsulat +und das Kommando im Osten uebernahm (668 86), war weder Soldat +noch Offizier, sein Begleiter Gaius Fimbria nicht unfaehig, aber +unbotmaessig, das ihnen mitgegebene Heer schon der Zahl nach dreifach +schwaecher als die Sullanische Armee. Man vernahm nacheinander, dass +Flaccus, um nicht von Sulla erdrueckt zu werden, an ihm vorueber nach +Asien abgezogen sei (668 86), dass Fimbria ihn beseitigt und sich +selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669 85), dass Sulla Frieden +geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84). Bis dahin hatte Sulla +den in der Hauptstadt regierenden Behoerden gegenueber geschwiegen; +jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat ein, worin er die +Beendigung des Krieges berichtete und seine Rueckkehr nach Italien +ankuendigte; die den Neubuergern erteilten Rechte werde er achten; +Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie wuerden nicht die +Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankuendigung schreckte Cinna +aus seiner Untaetigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen Sulla getan +hatte, als dass einige Mannschaft unter die Waffen gestellt und eine +Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so beschloss +er jetzt, schleunigst nach Griechenland ueberzugehen. Aber andererseits +weckte Sullas Schreiben, das den Umstaenden nach aeusserst gemaessigt +zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine friedliche +Ausgleichung. Die Majoritaet des Senats beschloss nach dem Vorschlag des +aelteren Flaccus, einen Suehneversuch einzuleiten und zu dem Ende +Sulla aufzufordern, sich unter Verbuergung sicheren Geleits in Italien +einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, bis zum +Eingang von Sullas Antwort die Ruestungen einzustellen. Sulla wies die +Vorschlaege nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natuerlich nicht +selbst, aber liess durch Boten erklaeren, dass er nichts fordere als +Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche +Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit uebrigens nicht +geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine +Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich veraendert. +Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluss sich weiter zu bekuemmern, +sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die +Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der boesen +Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon schwierigen +Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer +Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich genoetigt +sah, die schon uebergegangenen Abteilungen zurueckzufuehren und, auf das +Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend, Winterquartiere in +Ariminum zu beziehen. Sullas Antraege aber fanden darum keine bessere +Aufnahme: der Senat wies seine Vorschlaege zurueck, ohne auch nur +die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die Waffen +niederzulegen. Es war nicht zunaechst die Koterie der Marianer, welche +dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, musste +diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des hoechsten Amtes +abgeben und fuer das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen +veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den +bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der faehigen Offiziere der bis +dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den +Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitaeten, +von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand, +und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als +politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die +Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer +Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so +wollte sie in ihrer grossen Majoritaet noch viel weniger von Sulla und +einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an +Abwehr. Waehrend Sulla nach Asien ueberging, das Heer des Fimbria zum +Uebertritt bestimmte und dessen Fuehrer durch seine eigene Hand fiel, +benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr +gegoennte weitere Jahresfrist zu energischen Ruestungen: es sollen bei +Sullas Landung 100000, spaeter sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten +gegen ihn gestanden haben. ------------------------------------------- 4 +Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen, +ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger +juengerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das +die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81) +rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, dass +dasselbe, war fuer Scipio Aemilianus und Marius, auch fuer Flaccus +geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus +genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es +notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius +Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als Konsulat +in Rom taetig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 (86) sein, +da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und wahrscheinlich schon +tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), ist derjenige, den +Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom anwesenden Konsulaten +nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der aelteste lebende Altzensor und +also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch der Zwischenkoenig und +der Reiterfuehrer von 672 (82). Dagegen ist der Konsul 668 (86), der in +Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero verteidigten Lucius +Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77). +--------------------------------------------- Gegen diese italische +Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu legen als seine fuenf +Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im +Peloponnes aufgebotener Zuzuege, kaum auf 40000 Mann sich belaufen +mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjaehrigen Kaempfen in +Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich entwoehnt +und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles, Schwelgerei, +Bestialitaet, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah, nichts +verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und fuer den +Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem +jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als dabei +die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben +Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach roemischer Sitte die +Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, +und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als +Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene +Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte +doch Sulla sehr wohl, dass Italien nicht mit fuenf Legionen +bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig +zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfaehigen Autokraten +fertig zu werden, waere nicht schwierig gewesen; aber er sah sich +gegenueber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine +oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die +gesamte Neubuergerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische +Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten +lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an +den Rand des Verderbens gefuehrt hatte. Sulla uebersah vollkommen die +Lage der Verhaeltnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung +und der eigensinnigen Starrheit, die die Majoritaet seiner Partei +charakterisierten. Waehrend das Staatsgebaeude in vollen Flammen stand, +waehrend man seine Freunde ermordete, seine Haeuser zerstoerte, seine +Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben, +bis der Landesfeind ueberwaeltigt und die roemische Grenze gesichert +war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Maessigung +behandelte er auch jetzt die italischen Verhaeltnisse und tat, was er +irgend tun konnte, um die Gemaessigten und die Neubuerger zu beruhigen +und um zu verhindern, dass nicht unter dem Namen des Buergerkrieges der +weit gefaehrlichere Krieg zwischen den Altroemern und den italischen +Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das +Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit +gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdruecklich zurueckgewiesen; +im Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der +revolutionaeren Regierung sich lossagen wuerden, unbedingte Begnadigung +in Aussicht und veranlasste seine Soldaten, Mann fuer Mann, zu +schwoeren, dass sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbuergern +begegnen wuerden. Die buendigsten Erklaerungen sicherten den Neubuergern +die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so dass Carbo deshalb von +jeder italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was +indes an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats +scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat +darin, dass bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubuerger +allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persoenlichen Absichten, doch +daran zu zweifeln, ob er es vermoegen werde, seine Partei zum Worthalten +nach dem Siege zu bestimmen. Im Fruehling 671 (83) landete Sulla mit +seinen Legionen in dem Hafen von Brundisium. Der Senat erklaerte auf +die Nachricht davon das Vaterland in Gefahr und uebertrug den Konsuln +unbeschraenkte Vollmacht; aber diese unfaehigen Leiter hatten sich nicht +vorgesehen und waren durch die seit Jahren in Aussicht stehende Landung +dennoch ueberrascht. Das Heer befand sich noch in Ariminum, die +Haefen waren unbesetzt und ueberhaupt unglaublicherweise in dem ganzen +suedoestlichen Litoral kein Mann unter den Waffen. Die Folgen +zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst, eine ansehnliche +Neubuergergemeinde, oeffnete ohne Widerstand dem oligarchischen General +die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz Messapien und Apulien. +Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie durch Freundesland und +hielt, ihres Eides eingedenk, durchgaengig die strengste Mannszucht. Von +allen Seiten stroemten die versprengten Reste der Optimatenpartei in das +Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Afrika sich +gerettet hatte, kam Quintus Metellus und uebernahm wieder, als Kollege +Sullas, das im Jahr 667 (87) ihm uebertragene und von der Revolution ihm +aberkannte prokonsularische Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit +einer kleinen Schar Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten +freilich kamen als vornehme Emigranten mit grossen Anspruechen und +geringer Kampflust, so dass sie von Sulla selbst bittere Worte zu hoeren +bekamen ueber die adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten +retten lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven +zu bewaffnen. Wichtiger war es, dass schon Ueberlaeufer aus dem +demokratischen Lager sich einstellten - so der feine und angesehene +Lucius Philippus, nebst ein paar notorisch unfaehigen Leuten der einzige +Konsular, der mit der revolutionaeren Regierung sich eingelassen und +unter ihr Aemter angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste +Aufnahme und erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz +Sardinien fuer ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia +und andere brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschaeftigt; +selbst Publius Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von +Sulla geaechteten Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung +im Heer. Wichtiger noch als die einzelnen Uebertritte war der der +Landschaft Picenum, der wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen +Gnaeus Pompeius, verdankt ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus +aus kein Anhaenger der Oligarchie, hatte die revolutionaere Regierung +anerkannt und sogar in Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward +ihm nicht vergessen, dass sein Vater die Waffen gegen die Revolution +getragen hatte; er sah sich vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage +auf Herausgabe der nach der Einnahme von Asculum von seinem Vater +wirklich oder angeblich unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines +sehr betraechtlichen Vermoegens bedroht. Zwar wendete mehr als die +Beredsamkeit des Konsulars Lucius Philippus und des jungen Quintus +Hortensius der Schutz des ihm persoenlich gewogenen Konsuls Carbo den +oekonomischen Ruin von ihm ab; aber die Verstimmung blieb. Auf die +Nachricht von Sullas Landung ging er nach Picenum, wo er ausgedehnte +Besitzungen und von seinem Vater und dem Bundesgenossenkriege her die +besten munizipalen Verbindungen hatte und pflanzte in Auximum (Osimo) +die Fahne der optimatischen Partei auf. Die meistens von Altbuergern +bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge Mannschaft, welche +grossenteils mit ihm unter seinem Vater gedient hatte, stellte +sich bereitwillig unter den beherzten Fuehrer, der, noch nicht +dreiundzwanzigjaehrig, ebensosehr Soldat wie General war, im +Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tuechtig mit in den Feind +einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen; +den aus der Hauptstadt zur Daempfung der picenischen Insurrektion +ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius +Brutus Damasippus 5 wusste der improvisierte Feldherr, die unter +denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu +entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas, wie +es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begruesste ihn +als Imperator, das heisst als einen im eigenen Namen kommandierenden +und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete den +Juengling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner +vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, +der charakterlosen Schwaeche seiner eigenen Parteigenossen damit +eine indirekte Zuechtigung zukommen zu lassen. +--------------------------------------------- 5 Nur an diesen kann hier +gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater des sogenannten Befreiers, +im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht im Felde kommandieren +konnte. --------------------------------------------- Also moralisch +und materiell ansehnlich verstaerkt gelangten Sulla und Metellus nach +Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen Gegenden nach +Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche Hauptmacht, und es +schien die Entscheidung hier fallen zu muessen. Das Heer des Konsuls +Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die neue Kolonie mit +allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die zweite Konsulararmee +rueckte ebenfalls auf der Appischen Strasse heran. Aber bevor sie +eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenueber. Ein letzter +Vermittlungsversuch, den Sulla machte, fuehrte nur dazu, dass man +an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine +kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoss vom +Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im +ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die +revolutionaere Kolonie Capua und die Neubuergerstadt Neapolis und liess +dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre +schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch +diesen Sieg das Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit gewonnen; +statt mit der Belagerung der Truemmer der geschlagenen Armee sich +aufzuhalten, liess Sulla die Staedte umstellen, wo sie sich befanden, +und rueckte auf der Appischen Strasse vor gegen Teanum, wo Scipio stand. +Auch ihm bot er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; +es scheint in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; +ein Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen +die beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, +beide gebildet und feingesittet und langjaehrige Kollegen im Senat, +persoenlich zusammen; man liess sich auf die einzelnen Fragen ein; schon +war man so weit, dass Scipio einen Boten nach Capua absandte, um +die Meinung seines Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die +Soldaten beider Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit +Geld versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim +Becher leicht begreiflich, dass es besser sei, sie zu Kameraden als +zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem +gefaehrlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die Verstaendigung, die +so nahe geschienen, trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den +Waffenstillstand kuendigte. Aber Sulla behauptete, dass es zu spaet und +der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand, +dass ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen +Scipios Soldaten in Masse ueber in die feindlichen Reihen. Die Szene +schloss mit einer allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden +Offiziere der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla liess den Konsul +auffordern, sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem +Stab durch seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein +kaum in Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Wuerde +wieder an und begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes +weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen +Winterquartiere in Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch, +mit Norbanus sich zu verstaendigen, gescheitert war, Capua den Winter +ueber blockiert. Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren fuer Sulla +die Unterwerfung von Apulien, Picenum und Kampanien, die Aufloesung der +einen, die Besiegung und Blockierung der anderen konsularischen Armee. +Schon traten die italischen Gemeinden, genoetigt, zwischen ihren +zwiefachen Draengern jede fuer sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit +ihm in Unterhandlung und liessen sich die von der Gegenpartei erworbenen +politischen Rechte durch foermliche Separatvertraege von dem Feldherrn +der Oligarchie garantieren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug +sie absichtlich zur Schau, die revolutionaere Regierung in dem naechsten +Feldzug niederzuwerfen und wieder in Rom einzuziehen. Aber auch der +Revolution schien die Verzweiflung neue Kraefte zu geben. Das Konsulat +uebernahmen zwei ihrer entschiedensten Fuehrer, Carbo zum dritten Male +und Gaius Marius der Sohn; dass der letztere eben zwanzigjaehrige Mann +gesetzmaessig das Konsulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig +wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus Sertorius, der in dieser +und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde +angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach Etrurien und von da in +seine Provinz, das Diesseitige Spanien, abzugehen. Die Kasse zu +fuellen, musste der Senat die Einschmelzung des goldenen und silbernen +Tempelgeraets der Hauptstadt verfuegen; wie bedeutend der Ertrag war, +erhellt daraus, dass nach mehrmonatlicher Kriegfuehrung davon noch ueber +4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und 6000 Pfund Silber) vorraetig +waren. In dem betraechtlichen Teile Italiens, der gezwungen oder +freiwillig noch zu der Revolution hielt, wurden die Ruestungen lebhaft +betrieben. Aus Etrurien, wo die Neubuergergemeinden sehr zahlreich +waren, und dem Pogebiet kamen ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf +den Ruf des Sohnes stellten die Marianischen Veteranen in grosser Anzahl +sich bei den Fahnen ein. Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so +leidenschaftlich geruestet wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen +Strichen von Lucanien. Es war nichts weniger als Ergebenheit gegen +die revolutionaere roemische Regierung, dass zahlreicher Zuzug aus +den oskischen Gegenden ihre Heere verstaerkte; wohl aber begriff man +daselbst, dass eine von Sulla restaurierte Oligarchie sich die jetzt +faktisch bestehende Selbstaendigkeit dieser Landschaften nicht so +gefallen lassen werde wie die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum +erwachte in dem Kampf gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalitaet der +Sabeller gegen die Latiner. Fuer Samnium und Latium war dieser Krieg +so gut ein Nationalkampf wie die Kriege des fuenften Jahrhunderts; man +stritt nicht um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um +den lange verhaltenen Hass durch Vernichtung des Gegners zu saettigen. +Es war darum kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz +anderen Charakter trug als die uebrigen Kaempfe, wenn hier keine +Verstaendigung versucht, kein Quartier gegeben oder genommen, die +Verfolgung bis aufs aeusserste fortgesetzt ward. So trat man den Feldzug +des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstaerkten Streitkraeften und +gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die Revolution warf die Scheide +weg; auf Carbos Antrag aechteten die roemischen Komitien alle in Sullas +Lager befindlichen Senatoren. Sulla schwieg; er mochte denken, dass man +im voraus sich selber das Urteil spreche. Die Armee der Optimaten teilte +sich. Der Prokonsul Metellus uebernahm es, gestuetzt auf die picenische +Insurrektion, nach Oberitalien vorzudringen, waehrend Sulla von +Kampanien aus geradeswegs gegen die Hauptstadt marschierte. Jenem warf +Carbo sich entgegen; der feindlichen Hauptarmee wollte Marius in Latium +begegnen. Auf der Launischen Strasse heranrueckend, traf Sulla unweit +Signia auf den Feind, der vor ihm zurueckwich bis nach dem sogenannten +"Hafen des Sacer" zwischen Signia und dem Hauptwaffenplatz der Marianen +dem festen Praeneste. Hier stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer +war etwa 40000 Mann stark und er an wildem Grimme und persoenlicher +Tapferkeit seines Vaters rechter Sohn; aber es waren nicht die +wohlgeuebten Scharen, mit denen dieser seine Schlachten geschlagen +hatte, und noch minder durfte der unerfahrene junge Mann mit dem +alten Kriegsmeister sich vergleichen. Bald wichen seine Truppen; der +Uebertritt einer Abteilung noch waehrend des Gefechts beschleunigte die +Niederlage. Ueber die Haelfte der Marianer waren tot oder gefangen; der +Ueberrest, weder imstande, das Feld zu halten, noch, das andere Ufer des +Tiber zu gewinnen, genoetigt, in den benachbarten Festungen Schutz zu +suchen; die Hauptstadt, die zu verproviantieren man versaeumt hatte, +unrettbar verloren. Infolgedessen gab Marius dem daselbst befehligten +Praetor Lucius Brutus Damasippus den Befehl, sie zu raeumen, vorher +aber alle bisher noch verschonten angesehenen Maenner der Gegenpartei +niederzumachen. Der Auftrag, durch den der Sohn die Aechtungen des +Vaters noch ueberbot, ward vollzogen; Damasippus berief unter einem +Vorwand den Senat, und die bezeichneten Maenner wurden teils in der +Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem Rathaus niedergestossen. +Trotz der vorhergegangenen gruendlichen Aufraeumung fanden sich doch +noch einzelne namhaftere Opfer: so der gewesene Aedil Publius Antistius, +der Schwiegervater des Gnaeus Pompeius, und der gewesene Praetor Gaius +Carbo, der Sohn des bekannten Freundes und nachherigen Gegners der +Gracchen, nach dem Tode so vieler ausgezeichneter Talente die beiden +besten Gerichtsredner auf dem veroedeten Markt; der Konsular Lucius +Domitius und vor allem der ehrwuerdige Oberpriester Quintus Scaevola, +der dem Dolch des Fimbria nur entgangen war, um jetzt waehrend +der letzten Kraempfe der Revolution in der Halle des seiner Obhut +anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit stummem Entsetzen sah +die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des Terrorismus durch die +Strassen schleifen und sie in den Fluss werfen. Marius' aufgeloeste +Haufen warfen sich in die nahen und festen Neubuergerstaedte Norba +und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem groessten Teil der +Fluechtlinge in die letztere. Sulla liess, ebenwie das Jahr zuvor vor +Capua, vor Praeneste einen tuechtigen Offizier, den Quintus Ofelia, +zurueck, mit dem Auftrag, seine Kraefte nicht an die Belagerung der +festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten Blockadelinie +einzuschliessen und sie auszuhungern; er selbst rueckte von +verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze +Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum +nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen +und die noetigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach +Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien +zu vertreiben. Metellus war inzwischen am Fluss Aesis (Esino zwischen +Ancona und Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen +Provinz schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestossen und hatte +diesen geschlagen; als Carbo selbst mit seiner ueberlegenen Armee +herbeikam, hatte er das weitere Vordringen aufgeben muessen. Allein +auf die Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine +Kommunikationen besorgt, zurueckgegangen bis auf die Flaminische +Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen +und von dort teils die Paesse des Apennin, teils das Potal zu behaupten. +Bei dieser rueckgaengigen Bewegung gerieten nicht bloss verschiedene +Abteilungen dem Feinde in die Haende, sondern ward auch von Pompeius +Sena gallica erstuermt und Carbos Nachhut in einem glaenzenden +Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck. +Der Konsulat Norbanus uebernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst +begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen +Legionen nach Etrurien aenderte die Lage der Dinge: bald reichten von +Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Haende. +Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und schnitt +bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, in das +auf der grossen Strasse nach Placentia er eine Abteilung vorgehen +liess unter Marcus Lucullus, dem Quaestor Sullas und dem Bruder seines +Flottenfuehrers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein +Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen +auf Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Strasse bei +Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die +Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht, +aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum +Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rueckte von Rom aus in zwei +Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Kueste vorgehend +bei Saturnia (zwischen den Fluessen Ombrone und Albegna) das ihm +entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Fuehrung +im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glueckliches Gefecht +mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die +zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward, +endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten +Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der +Umgegend von Rom schienen die Dinge fuer die revolutionaere Partei sich +guenstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsaechlich nach dieser +Gegend ziehen zu wollen. Denn waehrend die oligarchische Partei alle +ihre Kraefte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller +Orten die aeusserste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu +sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte +sich dazu auf; es scheint indes nicht, dass er nach Praeneste gelangte. +Ebensowenig glueckte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen +Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen Truppen +ueberfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr und +Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurueck, ein anderer +nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus +Sueditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die +Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne dass +der Abmarsch ihnen gewehrt worden waere, zogen im Kampanien, wo Capua +noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich +und rueckten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla +selbst kehrte darauf, mit Zuruecklassung eines Korps gegen Carbo, nach +Latium zurueck und nahm in den Engpaessen vorwaerts Praeneste 6 eine +wohlgewaehlte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte. +Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen, +vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten +unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo +gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstaerkt hatte. +Waehrend aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte, +kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der +Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn des +Metellus, Marcus Lucullus, mit ueberlegener Macht angegriffen und +ihn genoetigt, sich in Placentia einzuschliessen, endlich sich gegen +Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am +spaeten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermuedeten Truppen sofort an; +die Folge war eine vollstaendige Niederlage und die totale Aufloesung +seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurueckkamen. Auf +die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und +schlug die gegen ihn zurueckgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen +Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in +Masse ueber; ihr Fuehrer machte seine anfaengliche Zoegerung wieder gut, +indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionaeren Armee zu einem +Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen liess; ueberhaupt +schloss, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen +Vorraeten und Kassen geriet in Metellus' Gewalt; Norbanus schiffte nach +Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte +das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschaeftigten Truppen konnten +sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die +Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese +Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer +ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch +heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich ein. Die +im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit dem der +Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils wurden +sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas zusammen +und fuehrte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier hatte +inzwischen nichts sich veraendert; und die letzte Entscheidung nahte +heran. Carrinas' Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas Stellung +zu erschuettern; schon naeherte sich der Vortrab der bisher in Etrurien +beschaeftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius; in +wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der +Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Fuehrer desselben, von +Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken +Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militaerisch waren sie damit +verloren; ihre Rueckzugslinie, die Latinische Strasse, geriet durch +diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemaechtigten, +so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs +geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit +ueberlegene Armeen, darin unfehlbar erdrueckt. Aber es handelte sich +auch nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach +Rom, dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionaere und +vor allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was +Pontius von Telesia den Seinigen zurief: um der Woelfe, die Italien die +Freiheit geraubt haetten, loszuwerden, muesse man den Wald vernichten, +in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt +als am 1. November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas, +Damasippus auf der Latinischen Strasse gegen Rom herangezogen, etwa eine +Viertelmeile vom Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der +20. Juli 365 der Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der +Kelten und der Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich +gegen Rom ein toerichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in +der Hauptstadt konnte es den Anrueckenden nicht fehlen. Die +Freiwilligenschar, die aus der Stadt ausrueckte, meist vornehme +Juenglinge, zerstob wie Spreu vor der ungeheuren Uebermacht. Die einzige +Hoffnung der Rettung beruhte auf Sulla. Dieser war, auf die Nachricht +vom Abmarsch des samnitischen Heeres in der Richtung auf Rom, +gleichfalls eiligst aufgebrochen der Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden +Mut der Buergerschaft belebte im Laufe des Morgens das Erscheinen +seiner ersten Reiter unter Balbus; am Mittag erschien er selbst mit der +Hauptmacht und ordnete sofort am Tempel der Erykinischen Aphrodite vor +dem Collinischen Tor (unweit Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine +Unterbefehlshaber beschworen ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch +erschoepften Truppen sofort in den Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, +was die Nacht ueber Rom bringen koenne, und befahl noch am spaeten +Nachmittag den Angriff. Die Schlacht war hart bestritten und blutig. Der +linke Fluegel Sullas, den er selbst anfuehrte, wich zurueck bis an die +Stadtmauer, so dass es notwendig ward, die Stadttore zu schliessen; +schon brachten Versprengte die Nachricht an Ofelia, dass die Schlacht +verloren sei. Allein auf den rechten Fluegel warf Marcus Crassus den +Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch auch der andere Fluegel +wider Luft bekam und eine Stunde nach Sonnenuntergang seinerseits +ebenfalls zum Vorruecken ueberging. Die ganze Nacht und noch den +folgenden Morgen ward gefochten; erst der Uebertritt einer Abteilung von +3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die frueheren Kameraden wandten, +setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die Insurgentenarmee, fuer +die es nirgends einen Rueckzug gab, wurde vollstaendig aufgerieben. +Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 bis 4000 an der Zahl, +darunter die Generale Damasippus, Carrinas und den schwer verwundeten +Pontius, liess Sulla am dritten Tage nach der Schlacht in das +staedtische Meierhaus auf dem Marsfeld fuehren und daselbst bis auf den +letzten Mann niederhauen, so dass man in dem nahen Tempel der Bellona, +wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich das Klirren der +Waffen und das Stoehnen der Sterbenden vernahm. Es war eine graessliche +Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber es ist nicht +gerecht zu verschweigen, dass diese selben Menschen, die dort starben, +wie eine Raeuberbande ueber die Hauptstadt und die Buergerschaft +hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden haetten, so weit +vernichtet haben wuerden, als Feuer und Schwert eine Stadt und +eine Buergerschaft zu vernichten vermoegen. +--------------------------------------------------- 6 Es wird gemeldet, +dass Sulla in dem Engpass stand, durch den Praeneste allein zugaenglich +war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, dass sowohl ihm +als dem Entsatzheer die Strasse nach Rom offenstand. Ohne Zweifel stand +Sulla auf der Querstrasse, die von der Latinischen, auf der sie Samniten +herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in diesem Fall +kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde auf +der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt. +------------------------------------------------- Damit war der Krieg in +der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von Praeneste ergab sich, als +die aus den ueber die Mauer geworfenen Koepfen des Carrinas und anderer +Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom erfuhr. Die Fuehrer, der +Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, stuerzten, nachdem ein +Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich einer in des andern +Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und ward durch Cethegus +darin bestaerkt, dass der Sieger fuer sie auch jetzt noch Gnade walten +lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je unbedingter Sulla bis +zum letzten Augenblick den Uebertretenden volle Verzeihung gewaehrt +hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die Fuehrer und +Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den praenestinischen +Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar ausser den Kindern und +Frauen die meisten Roemer und einzelne Praenestiner entlassen, aber die +roemischen Senatoren, fast alle Praenestiner und saemtliche Samniten +wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche Stadt gepluendert. +Es ist begreiflich, dass nach solchem Vorgang die noch nicht +uebergegangenen Neubuergerstaedte den Widerstand in hartnaeckigster +Weise fortsetzten. So toeteten in der latinischen Stadt Norba, als +Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Buerger sich +untereinander und zuendeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern +die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits +frueher Neapolis erstuermt und, wie es scheint, Capua freiwillig +aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den +Samniten geraeumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch +uebrige namhafte Fuehrer der Italiker, der Insurgentenkonsul des +hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von +seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der +er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tuer des eigenen +Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklaerte +der Diktator, dass Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe, +und dass darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden muesse; +und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen +in schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen +Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen +(674? 80) und die bis dahin bluehende und bevoelkerte Landschaft in die +Einoede umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward +in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstuermt. Laenger wehrten sich in +Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das aus +den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um sich +sammelte und eine zweijaehrige, zuerst von Sulla persoenlich, sodann +von dem gewesenen Praetor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen +Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre +nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen +freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder +Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien ueber Verrat und +steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der roemischen +Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemaess der Kapitulation +abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien +verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen belegt; +unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten langsam +die letzten Zuckungen der revolutionaeren und nationalen Opposition. +----------------------------------------------------- 7 Ein anderer Name +kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in Samnio sich +verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10. +------------------------------------------------------ Noch gab es +in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter der +revolutionaeren Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius Philippus +entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische Gallien leistete +geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, Spanien, Africa +schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei noch keineswegs +verloren. Sizilien regierte fuer sie der zuverlaessige Statthalter +Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen Spanien die +Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien ansaessigen +Roemern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewusst, welche +zunaechst die Pyrenaeenpaesse sperrte; er hatte auch hier wieder +bewiesen, dass, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und +unter all den revolutionaeren Inkapazitaeten er der einzige praktisch +brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da +er das Revolutionieren allzu gruendlich betrieb und den Sklaven die +Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die roemischen Kaufleute +von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung ueberfallen und +mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz +nichtsdestoweniger zu der revolutionaeren Regierung, und Cinnas +Schwiegersohn, der junge faehige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, uebernahm +daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in die +Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren legitime +Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn, hielten +zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den +demokratischen Praetendenten Hiarbas vom Thron gestossen worden, und +aehnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien +gefluechtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria) +zwischen Afrika und Sizilien, unschluessig, wie es scheint, ob er nach +Aegypten sich fluechten oder in einer der treuen Provinzen versuchen +sollte, den Kampf zu erneuern. Sulla sandte nach Spanien den Gaius +Annius und den Gaius Valerius Flaccus, als Statthalter jenen der +jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. Das schwierige Geschaeft, die +Pyrenaeenpaesse mit Gewalt sich zu eroeffnen, ward ihnen dadurch +erspart, dass der von Sertorius dort hingestellte General durch einen +seiner Offiziere ermordet ward und darauf die Truppen desselben sich +verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich im gleichen Kampfe zu +behaupten, raffte eilig die naechststehenden Abteilungen zusammen +und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin, wusste er selbst nicht, +vielleicht an die afrikanische Kueste oder nach den Kanarischen Inseln, +nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche. Spanien unterwarf +hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 81), und Flaccus +focht gluecklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er marschierte, +und mit den spanischen Keltiberern (674 80). Nach Sizilien ward Gnaeus +Pompeius als Propraetor gesandt und die Insel, als Pompeius mit 120 +Segeln und sechs Legionen sich an der Kueste zeigte, von Perpenna ohne +Gegenwehr geraeumt. Pompeius schickte von dort ein Geschwader nach +Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen Offiziere aufhob; +Marcus Brutus und die uebrigen wurden sofort hingerichtet, den Konsul +Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn selbst nach Lilybaeon zu +fuehren, um ihn hier, uneingedenk des in gefaehrlicher Zeit ihm von +ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes, persoenlich dem Henker +zu ueberliefern (672 82). Von hier weiter beordert nach Afrika, +schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas gesammelten, nicht +unbedeutenden Streitkraefte mit seinem allerdings weit zahlreicheren +Heer aus dem Felde und gab, die Begruessung als Imperator vorlaeufig +ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das feindliche Lager. +So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus war unter den +Gefallenen; mit Hilfe des Koenigs Bogud ward Hiarbas in Bulla ergriffen +und getoetet und Hiempsal in sein angestammtes Reich wiedereingesetzt; +eine grosse Razzia gegen die Bewohner der Wueste, von denen eine +Anzahl gaetulischer, von Marius als frei anerkannter Staemme Hiempsal +untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des +roemischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius' Landung +in Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer +aufzuloesen, worin die Andeutung lag, dass er nicht zum Triumph +gelassen werden solle, auf welchen er als ausserordentlicher Beamter +dem Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte +heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die +afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen +Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und liess den jungen +Mann sich beruehmen, der einzige Roemer zu sein, der eher Triumphator +(12. Maerz 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von +diesen bequemen Grosstaten begruesste der "Glueckliche", vielleicht +nicht ohne einige Ironie, den Juengling als den "Grossen". Auch im Osten +hatten nach Sullas Einschiffung im Fruehling 671 (83) die Waffen nicht +geruht. Die Restauration der alten Verhaeltnisse und die Unterwerfung +einzelner Staedte kostete, wie in Italien so auch in Asien, noch manchen +blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene musste Lucius +Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschoepft hatte, endlich +Truppen fuehren, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem +eigensinnigen Widerstand der Buergerschaft kein Ende. Mittlerweile +war der roemische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit dem Koenig +Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich nach +dem Frieden beschaeftigt, seine auch in den noerdlichen Provinzen +erschuetterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier +beruhigt, indem er seinen tuechtigen Sohn Mithradates ihnen zum +Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geraeumt, und +ruestete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die +Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine +Freistatt hatte suchen muessen, dass diese Ruestungen gegen Rom +gerichtet seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, dass Mithradates +noch kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen +nach dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische +Grenze (671 83). Mithradates begnuegte sich, bei Murena und, da dies +vergeblich war, bei der roemischen Regierung Beschwerde zu fuehren. In +der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein +er fuegte sich nicht, sondern ueberschritt den Halys und betrat das +unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloss, Gewalt mit +Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios musste das roemische Heer +festhalten, bis der Koenig mit weit ueberlegenen Streitkraeften herankam +und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit grossem Verlust +bis ueber die roemische Grenze nach Phrygien zurueckgeworfen, die +roemischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte +zwar die Stirn, wegen dieser Vorgaenge sich Sieger zu nennen und den +Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und +eine zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht +weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert +(673 81). Ueber diese toerichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenaeer +verzoegert worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer +Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute +Dienste tat, die Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79). Die zehnjaehrige +Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten zu Ende; der +Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden nach aussen +und innen. Nach den fuerchterlichen Konvulsionen der letzten Jahre war +schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewaehren sollte, +ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewaeltigung des +Landesfeindes, das schwerere der Baendigung der Revolution gelungen +war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren +Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genuegen +vermochte, musste demnaechst sich entscheiden. 10. Kapitel Die +Sullanische Verfassung Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen +Roemern und Roemern geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671 +(83), war der ehrwuerdige Tempel, den die Koenige errichtet, die junge +Freiheit geweiht, die Stuerme eines halben Jahrtausends verschont +hatten, der Tempel des Roemischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen +aufgegangen. Es war kein Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes +der roemischen Verfassung. Auch diese lag in Truemmern und bedurfte +eines neuen Aufbaus. Die Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte +doch viel, dass damit von selber das alte Regiment wieder sich +hergestellt haette. Allerdings meinte die Masse der Aristokratie, dass +jetzt nach dem Tode der beiden revolutionaeren Konsuln es genuegen +werde, die gewoehnliche Ergaenzungswahl zu veranstalten und es dem +Senat zu ueberlassen, was ihm zur Belohnung der siegreichen Armee, zur +Bestrafung der schuldigsten Revolutionaere, etwa auch zur Verhuetung +aehnlicher Ausbrueche weiter erforderlich erscheinen werde. Allein +Sulla, in dessen Haenden der Sieg fuer den Augenblick alle Macht +vereinigt hatte, urteilte richtiger ueber die Verhaeltnisse und die +Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer besten Epoche nicht +hinausgekommen ueber ein halb grossartiges, halb borniertes +Festhalten an den ueberlieferten Formen; wie sollte das schwerfaellige +kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine umfassende +Staatsreform energisch und konsequent durchzufuehren? Und eben jetzt, +nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats weggerafft hatte, +war in demselben die zu einem solchen Beginnen erforderliche Kraft und +Intelligenz weniger als je zu finden. Wie unbrauchbar durchgaengig +das aristokratische Vollblut und wie wenig Sulla ueber dessen +Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die Tatsache, dass mit +Ausnahme des ihm verschwaegerten Quintus Metellus er sich seine +Werkzeuge saemtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den +Ueberlaeufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus, +Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die +Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem +leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff, +wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie haette er sonst +ueberhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser +als seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses +Restaurationswerk unterlag. Als unumgaenglich betrachtete er teils +umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit moeglich war, ohne das +Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines energischen +Repressiv- und Praeventivsystems; und er sah es deutlich, dass der +Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstuemmeln, jeden +systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte Sulla schon +nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in der einen und +der andern Richtung durchgesetzt, was er fuer noetig erachtete, so war +er auch jetzt unter weit schaerferen und gespannteren Verhaeltnissen +entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen +auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie damals Konsul, +sondern bloss mit prokonsularischer, das heisst rein militaerischer +Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer moeglichst nahe an den +verfassungsmaessigen Formen sich haltenden, aber doch ausserordentlichen +Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu oktroyieren. In +einem Schreiben an den Senat eroeffnete er demselben, dass es ihm +unumgaenglich scheine, die Ordnung des Staates in die Haende eines +einzigen, mit unumschraenkter Machtvollkommenheit ausgeruesteten Mannes +zu legen, und dass er sich fuer geeignet halte, diese schwierige Aufgabe +zu erfuellen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war unter +den obwaltenden Umstaenden ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte der +Vormann desselben, der Zwischenkoenig Lucius Valerius Flaccus der Vater, +als interimistischer Inhaber der hoechsten Gewalt bei der Buergerschaft +den Antrag ein, dass dem Prokonsul Lucius Cornelius Sulla fuer die +Vergangenheit die nachtraegliche Billigung aller von ihm als Konsul und +Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, fuer die Zukunft aber das Recht +erteilt werden moege, ueber Leben und Eigentum der Buerger in erster und +letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomaenen nach Gutduenken +zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach Ermessen zu +verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzuloesen oder zu gruenden, +ueber die Provinzen und die abhaengigen Staaten zu verfuegen, das +hoechste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und +Propraetoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze fuer die Zukunft +den Staat zu ordnen; dass es in sein eigenes Ermessen gestellt werden +solle, wann er seine Aufgabe geloest und es an der Zeit erachte, dies +ausserordentliche Amt niederzulegen; dass endlich waehrend desselben +es von seinem Gutfinden abhaengen solle, die ordentliche hoechste +Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht +sich, dass die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und +nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul +die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von +Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen +Kriege tatsaechlich abgeschafften Diktatur; aber sie ausser seinem +bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten +als dem Diktator der aelteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue +"Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens", +wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes +ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschraenkte, die Provokation +an die Buergerschaft nicht ausschliessende und die ordentliche +Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem +der "Zehnmaenner zur Abfassung von Gesetzen", die gleichfalls als +ausserordentliche Regierung mit unbeschraenkter Machtvollkommenheit +unter Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und +tatsaechlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes +verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem +Volksbeschluss ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialitaet +eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Koenigtum, +das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Buergerschaft, +einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von +Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, dass ein +Koenig besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich +ward auch der Diktatortitel nur gewaehlt um anzudeuten, dass, wie +die ehemalige Diktatur eine vielfach beschraenkte, so diese neue eine +vollstaendige Wiederaufnahme der koeniglichen Gewalt in sich enthalte. +So fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den +in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier +musste die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr +der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig +andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem +letzten Siege der Oligarchie. ---------------------------------------- +^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22). +---------------------------------------- Sulla hatte die schwierige +und grauenvolle Arbeit des Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht +gewuenscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie gaenzlich +unfaehigen Haenden zu ueberlassen oder sie selber zu uebernehmen, griff +er sie an mit ruecksichtsloser Energie. Vor allen Dingen musste eine +Feststellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war +an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, +konnte er wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hueten, der sein +Auge flammen und seine Wangen sich faerben sah; aber die chronische +Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen +war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloss nach der +Revolution von 666 (88) war er mit verhaeltnismaessig grosser Milde +aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel veruebt und ihn +persoenlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem +Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Koerper +seiner Freunde durch die Strassen der Hauptstadt schleifte, hatte er +dem blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser +freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anstaendig zu +bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten, +zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen +kam, war zurueckgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er +in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war +es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloss abgebrochen, sondern +nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten +abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung +der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun +war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklaerte Sulla unmittelbar +nach Uebernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei +saemtliche Zivil- und Militaerbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung +zufolge rechtsbestaendig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch fuer +die Revolution taetig gewesen waeren, und von den uebrigen Buergern +diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan haetten. +Wer einen dieser Vogelfreien toetete, war nicht bloss straffrei wie der +Henker, der ordnungsmaessig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt +auch fuer die Hinrichtung eine Verguetung von 12000 Denaren (3600 +Taelern); jeder dagegen, der eines Geaechteten sich annahm, selbst der +naechste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermoegen der +Geaechteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und +Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch +aber, insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die +senatorischen Lasten fuer ihren Teil zu uebernehmen. Die letzten +Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Gueter und die Nachkommen +derjenigen, die im Kampfe fuer die Revolution gefallen waren; was noch +hinausging selbst ueber die im aeltesten Recht gegen solche, die die +Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das +Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der +aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward +und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, dass er die Namen der +Geaechteten oeffentlich anschlagen liess und als letzten Termin fuer den +Schluss der Aechtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr +diese taeglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende +Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Buerger war, so war doch damit +der reinen Schergenwillkuer in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht +der persoenliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel; +sein grimmiger Hass richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber +der scheusslichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen +Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen und +die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmaeler seiner Siege +ueber Afrikaner und Deutsche umgestuerzt und, da ihn selbst sowie seinen +Sohn der Tod seiner Rache entrueckt hatte, sein Adoptivneffe Marcus +Marius Gratidianus, der zweimal Praetor gewesen und bei der roemischen +Buergerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des bejammernswertesten der +Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter den grausamsten Martern +hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon die namhaftesten der Gegner +hingerafft; von den Fuehrern waren nur noch uebrig Gaius Norbanus, der +in Rhodos Hand an sich selbst legte, waehrend die Ekklesia ueber seine +Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine Bedeutungslosigkeit und +wohl auch seine vornehme Geburt Schonung verschafften und die Erlaubnis, +in seiner Zufluchtsstaette Massalia seine Tage in Ruhe beschliessen zu +duerfen; und Quintus Sertorius, der landfluechtig an der mauretanischen +Kueste umherirrte. Aber dennoch haeuften sich am Servilischen Bassin, da +wo die Jugarische Gasse in den Marktplatz einmuendete, die Haeupter der +getoeteten Senatoren, welche hier oeffentlich auszustellen der Diktator +befohlen hatte, und vor allem unter den Maennern zweiten und dritten +Ranges hielt der Tod eine furchtbare Ernte. Ausser denen, die fuer +Ehre Dienste in der oder fuer die revolutionaere Armee ohne viele Wahl, +zuweilen wegen eines einem der Offiziere derselben gemachten Vorschusses +oder wegen der mit einem solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die +Liste eingetragen wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die ueber +die Senatoren zu Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen +spekuliert hatten, "die Einsaeckler", die Vergeltung; etwa +sechzehnhundert der sogenannten Ritter 3 waren auf der Aechtungsliste +verzeichnet. Ebenso buessten die gewerbsmaessigen Anklaeger, die +schwerste Geissel der Vornehmen, die sich ein Geschaeft daraus machten, +die Maenner senatorischen Standes vor die Rittergerichte zu ziehen - +"Wie geht es nur zu", fragte bald darauf ein Sachwalter, "dass sie uns +die Gerichtsbaenke gelassen haben, da sie doch Anklaeger und Richter +totschlugen?" Die wildesten und schaendlichsten Leidenschaften rasten +viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. In der Hauptstadt war +es ein Keltentrupp, dem zunaechst die Exekutionen aufgetragen wurden, +und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere durchzogen zu gleichem Zweck +die verschiedenen Distrikte Italiens; aber auch jeder Freiwillige war +ja willkommen, und vornehmes und niederes Gesindel draengte sich herbei, +nicht bloss, um die Mordpraemie zu verdienen, sondern auch, um unter dem +Deckmantel der politischen Verfolgung die eigene Rachsucht oder +Habsucht zu befriedigen. Es kam wohl vor, dass der Eintragung in die +Aechtungsliste die Ermordung nicht nachfolgte, sondern voranging. Ein +Beispiel zeigt, in welcher Art diese Exekutionen erfolgten. In Larinum, +einer marianisch gesinnten Neubuergerstadt, trat ein gewisser Statius +Albius Oppianicus, der um einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in +das Sullanische Hauptquartier entwichen war, nach dem Sieg auf als +Kommissarius des Regenten, setzte die Stadtobrigkeit ab und sich und +seine Freunde an deren Stelle und liess den, der ihn mit der Anklage +bedroht hatte, nebst dessen naechsten Verwandten und Freunden aechten +und toeten. So fielen unzaehlige, darunter nicht wenige entschiedene +Anhaenger der Oligarchie, als Opfer der Privatfeindschaft oder ihres +Reichtums; die fuerchterliche Verwirrung und die straefliche Nachsicht, +die Sulla wie ueberall so auch hier gegen die ihm naeher Stehenden +bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der hierbei +mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen. +------------------------------------------------- 2 Diese Gesamtzahl +gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, 9.5) wurden von +Sulla geaechtet gegen 40 Senatoren, wozu nachtraeglich noch einige +hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus Aug. civ. +3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) wurden in den +ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den ersten Tagen +580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist +ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils nicht bloss +Senatoren und Ritter getoetet wurden, teils die Liste monatelang +offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1, 103) als +von Sulla getoetet oder verbannt auffuehrt fuenfzehn Konsulare, 90 +Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt, +die Opfer des Buergerkriegs ueberhaupt und die Opfer Sullas verwechselt. +Die fuenfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 (102), Marcus +Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus Scaevola 659 (95), +Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), Quintus Rufus 666 +(88), Lucius Cinna 667-670 (87- 84), Gnaeus Octavius 667 (87), Lucius +Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo 669, 670, 672 +(85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 (83), Gaius +Marius 672 (82), von denen vierzehn getoetet, einer, Lucius Scipio, +verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop (5, 9) +und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Buergerkrieg weggerafft +(consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Praetorier, sechs Aedilizier, +200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege gefallenen +Maenner mitgezaehlt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul 655 (99), +Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato 665 (89), +teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius Aquillius, Gaius +Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls auch als Opfer +dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Maenner, deren Schicksal uns +nicht bekannt ist. Von den vierzehn getoeteten Konsularen sind +drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militaerrevolten, dagegen acht +Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei +gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als +Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40 +Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz +willkuerlichen Massstab zur Abschaetzung des Umfangs der beiderseitigen +Frevel. 3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede fuer +Publius Quinctius oefter genannte Senator Sextus Alfenus. +---------------------------------------------------------- In aehnlicher +Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus politischen +Ruecksichten dahin, dass die angesehenen Buerger sich bei dessen +Ersteigerung beteiligten; ein grosser Teil draengte uebrigens freiwillig +sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. Unter den +obwaltenden Umstaenden war die aergste Schleuderwirtschaft nicht zu +vermeiden, die uebrigens zum Teil schon aus der roemischen Weise folgte, +die vom Staat eingezogenen Vermoegen gegen eine Pauschalsumme zur +Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, dass der Regent teils sich +selbst nicht vergass, teils besonders seine Gemahlin Metella und andere +ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst Freigelassene +und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen liess, bald ihnen den +Kaufschilling ganz oder teilweise erliess - so soll zum Beispiel einer +seiner Freigelassenen ein Vermoegen von 6 Millionen (457000 Talern) +fuer 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und einer seiner +Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem Vermoegen von 10 +Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der Unwille war gross und +gerecht; schon waehrend Sollas Regentschaft fragte ein Advokat, ob der +Adel den Buergerkrieg nur gefuehrt habe, um seine Freigelassenen und +Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser Schleuderei indes +betrug der Gesamterloes aus den konfiszierten Guetern nicht weniger +als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem ungeheuren Umfang +dieser hauptsaechlich auf den reichsten Teil der Buergerschaft fallenden +Einziehungen einen ungefaehren Begriff gibt. Es war durchaus ein +fuerchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozess, keine Begnadigung +mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem Lande, und das +freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der Landstadt verstummt. +Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl einen anderen Stempel als +das revolutionaere; wenn Marius seine persoenliche Rachsucht im Blute +seiner Feinde geloescht hatte, so schien Sulla den Terrorismus man +moechte sagen abstrakt als zur Einfuehrung der neuen Gewaltherrschaft +notwendig zu erachten und die Metzelei fast gleichgueltig zu betreiben +oder betreiben zu lassen. Aber nur um so entsetzlicher erschien das +Schreckensregiment, indem es von der konservativen Seite her und +gewissermassen ohne Leidenschaft auftrat; nur um so unrettbarer schien +das Gemeinwesen verloren, indem der Wahnsinn und der Frevel auf beiden +Seiten im Gleichgewicht standen. In der Ordnung der Verhaeltnisse +Italiens und der Hauptstadt hielt Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen +alle waehrend der Revolution vorgenommenen, nicht bloss die laufenden +Geschaefte erledigenden Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch +fest an dem von ihr aufgestellten Grundsatz, dass jeder Buerger einer +italischen Gemeinde damit von selbst auch Buerger von Rom sei; die +Unterschiede zwischen Buergern und italischen Bundesgenossen, zwischen +Altbuergern besseren und Neubuergern beschraenkteren Rechts waren +und blieben beseitigt. Nur den Freigelassenen ward das unbeschraenkte +Stimmrecht abermals entzogen und fuer sie das alte Verhaeltnis +wiederhergestellt. Den aristokratischen Ultras mochte dies als eine +grosse Konzession erscheinen; Sulla sah, dass den revolutionaeren +Fuehrern jene maechtigen Hebel notwendig aus der Hand gewunden werden +mussten und dass die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung +der Zahl der Buerger nicht wesentlich gefaehrdet ward. Aber mit dieser +Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das haerteste Gericht ueber die +einzelnen Gemeinden in saemtlichen Landschaften Italiens, ausgefuehrt +durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die ganze +Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Staedte wurden belohnt, wie +zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen hatte, +Brundisium, jetzt die fuer diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit +erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden Geldbussen, +Niederreissung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; den +hartnaeckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer +Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich +allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als +Buergergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen, +oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit +Rom Krieg gefuehrt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem +Besitz gesetzten Buergern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich +das roemische Buergerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste +latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen +Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu +gewaehren; die heimatlosen Expropriierten mussten bald in der Masse des +Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloss, wie sich +von selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die +Domaene an den Staat zurueckgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um +diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen. +In Latium wurde die gesamte Mark der grossen und reichen Stadt Praeneste +und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von +Spoletium. Sulmo in der paelignischen Landschaft ward sogar geschleift. +Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden +Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am Collinischen +Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien und Samnium. +Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der ansehnlichsten Kommunen, +zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium, Volaterrae. Von Samniums +Schicksal ward schon gesprochen; hier ward nicht konfisziert, sondern +das Land fuer immer verwuestet, seine bluehenden Staedte, selbst die +ehemalige latinische Kolonie Aesernia, oede gelegt und die +Landschaft der bruttischen und lucanischen gleichgestellt. +--------------------------------------------- 4 Es kam hierbei noch +die eigentuemliche Erschwerung hinzu, dass das latinische Recht sonst +regelmaessig, ebenwie das peregrinische, die Mitgliedschaft in einer +bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloss, +hier aber - aehnlich wie bei den spaeteren Freigelassenen latinischen +und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) - ohne ein solches eigenes +Stadtrecht auftrat. Die Folge war, dass diese Latiner die an die +Stadtverfassung geknuepften Privilegien entbehrten, genau genommen auch +nicht testieren konnten, da niemand anders ein Testament errichten kann +als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus roemischen +Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich wie mit Roemern +oder Latinern in den Formen des roemischen Rechts verkehren. +----------------------------------------------- Diese Anordnungen +ueber das italische Bodeneigentum stellten teils diejenigen roemischen +Domaniallaendereien, welche den ehemaligen Bundesgenossengemeinden zur +Nutzniessung uebertragen waren und jetzt mit deren Aufloesung an die +roemische Regierung zurueckfielen, teils die eingezogenen Feldmarken der +straffaelligen Gemeinden zur Verfuegung des Regenten; und er benutzte +sie, um darauf die Soldaten der siegreichen Armee ansaessig zu machen. +Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen nach Etrurien, zum Beispiel +nach Faesulae und Arretium, andere nach Latium und Kampanien, wo unter +andern Praeneste und Pompeii Sullanische Kolonien wurden. Samnium +wiederzubevoelkern lag, wie gesagt, nicht in der Absicht des Regenten. +Ein grosser Teil dieser Assignationen erfolgte in gracchanischer Weise, +so dass die Angesiedelten zu einer schon bestehenden Stadtgemeinde +hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung war, zeigt die Zahl der +verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben wird; wobei dennoch +einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, wie zum Beispiel der +Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Laendereien beschenkt ward, andere, +wie die volaterranische Mark und ein Teil der arretinischen, unverteilt +blieben, andere endlich nach dem alten, gesetzlich untersagten, aber +jetzt wiederauftauchenden Missbrauch von Sullas Guenstlingen nach +Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die Zwecke, die Sulla bei dieser +Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher Art. Zunaechst loeste er +damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner nahm er damit den +Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die gemaessigten Konservativen +zusammentrafen und demgemaess er selbst schon im Jahre 666 (88) die +Gruendung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: die Zahl der +ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung groesserer +Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie ernstlich ihm +hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des Zusammenschlagens der +Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen angesiedelten Soldaten +gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem Eigentumsrecht zugleich +seine neue Verfassung schirmen wuerden; weshalb auch, wo nicht die ganze +Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in Pompeii, die Kolonisten nicht +mit der Stadtgemeinde verschmolzen, sondern die Altbuerger und die +Kolonisten als zwei in demselben Mauerring vereinigte Buergerschaften +konstituiert wurden. Diese Kolonialgruendungen ruhten wohl auch wie die +aelteren auf Volksschluss, aber doch nur mittelbar, insofern sie der +Regent auf Grund der desfaelligen Klausel des Valerischen +Gesetzes konstituierte; der Sache nach gingen sie hervor aus der +Machtvollkommenheit des Herrschers und erinnerten insofern an das +freie Schalten der ehemaligen koeniglichen Gewalt ueber das Staatsgut. +Insofern aber, als der Gegensatz des Soldaten und des Buergers, der +sonst eben durch die Deduktion der Soldaten aufgehoben ward, bei den +Sullanischen Kolonien noch nach ihrer Ausfuehrung lebendig bleiben +sollte und blieb, und als diese Kolonisten gleichsam das stehende Heer +des Senats bildeten, werden sie nicht unrichtig im Gegensatz gegen +die aelteren als Militaerkolonien bezeichnet. Dieser faktischen +Konstituierung einer stehenden Armee des Senats verwandt ist die +Massregel des Regenten, aus den Sklaven der Geaechteten ueber 10000 +der juengsten und kraeftigsten Maenner auszuwaehlen und insgesamt +freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren buergerliche Existenz an +die Rechtsbestaendigkeit der Institutionen ihres Patrons geknuepft war, +sollten eine Art von Leibwache fuer die Oligarchie sein und ihr den +staedtischen Poebel beherrschen helfen, auf den nun einmal in +der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam. Diese +ausserordentlichen Stuetzen, auf die zunaechst der Regent die Oligarchie +lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber erscheinen +mochten, waren doch die einzig moeglichen, wenn man nicht zu Mitteln +greifen wollte, wie die foermliche Aufstellung eines stehendes Heeres in +Rom und dergleichen Massregeln mehr, die der Oligarchie noch weit eher +ein Ende gemacht haben wuerden als ,die demagogischen Angriffe. Das +dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der Oligarchie +musste natuerlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und so +konzentrierten Gewalt, dass er an jedem einzelnen Angriffspunkt den +nichtorganisierten Gegnern ueberlegen gegenueberstand. Das vierzig Jahre +hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische +Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666, +ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die +Regierung dem hauptstaedtischen Proletariat gleichsam das Recht +der Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmaessige +Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Buerger; +Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten +und Zoelle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den +Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der +Mittelsmaenner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der +Asiaten in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der +Rueckstaende entworfenen Schaetzungslisten auf die einzelnen +Bezirke umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Uebergabe der +Geschworenenposten an die Maenner vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand +eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten +sich staerker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla +schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder her. +Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern +einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeraeumt, wie ihn schon seit +laengerer Zeit die Senatoren besassen; Sulla hob ihn auf und wies die +Ritter zurueck auf die Plebejerbaenke 6. Der Ritterstand, als solcher +durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch +Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die +hoechste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten ueberkommen +und auch aeusserlich nicht bloss als privilegierter, sondern als +einzig privilegierter Stand auftreten. +------------------------------------------------ 5 Dass Sullas Umlage +der rueckstaendigen fuenf Jahresziele und der Kriegskosten auf die +Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch fuer die Zukunft +massgebend war, zeigt schon die Zurueckfuehrung der Einteilung Asias in +vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) und die Zugrundelegung +der sullanischen Repartition bei spaeteren Ausschreibungen (Cic. Flacc. +14, 32), ferner, dass bei dem Flottenbau 672 (81) die hierzu verwandten +Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali populo Romano) +gekuerzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad +Q. fr. 1, 11, 33), dass die Griechen "nicht imstande waren, von sich aus +den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpaechter". 6 +Ueberliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen +ward, welches die Erneuerung des aelteren Privilegs durch das Roscische +Theatergesetz 687 (67) noetig machte (Friedlaender in Becker, Handbuch, +Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber +dieses Gesetzes unzweifelhaft Sulla. +---------------------------------------------- Vor allem musste zu +diesem Ende die Regierungsbehoerde ergaenzt und selber unabhaengig +gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der Senatoren +furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die +Rittergerichte Verbannten jetzt die Rueckkehr frei, wie dem Konsular +Publius Rutilius Rufus, der uebrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch +machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies +ein geringer Ersatz fuer die Luecken, die der revolutionaere wie der +reaktionaere Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte. +Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat ausserordentlicherweise +ergaenzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung +aus den Maennern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie, +wie begreiflich, vorzugsweise teils aus den juengeren Maennern der +senatorischen Haeuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen, +durch die letzte Umwaelzung Emporgekommenen auslas. Aber auch fuer die +Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich +andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in +den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche +und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei +kurulischen Aemter: des Konsulats, der Praetur oder der Aedilitaet, an +welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im +Senat geknuepft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats +oder der Quaestur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im +Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Maenner +sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen +beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens +tatsaechliche Beseitigung der Zensur und aenderte den zweiten dahin ab, +dass der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Aedilitaet +an die Quaestur geknuepft und zugleich die Zahl der jaehrlich zu +ernennenden Quaestoren auf zwanzig 7 erhoeht ward. Die bisher den +Zensoren rechtlich zustehende, obwohl tatsaechlich laengst nicht mehr +in ihrem urspruenglichen ernstlichen Sinn geuebte Befugnis, bei den +von fuenf zu fuenf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter +Angabe von Gruenden von der Liste zu streichen, fiel fuer die Zukunft +ebenfalls fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren +ward also von Sulla schliesslich festgestellt. Die Gesamtzahl der +Senatoren, die bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht +viel ueberstiegen und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch +betraechtlich, vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhoeht, 8 +was auch schon die durch die Uebertragung der Geschworenenfunktionen +stark vermehrten Geschaefte des Senats notwendig machten. Indem ferner +sowohl die ausserordentlich eintretenden Senatoren als die Quaestoren +ernannt wurden von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf +den Wahlen des Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl +gegruendet, derselbe also einem repraesentativen Regiment so weit +genaehert, als dies mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des +Altertums ueberhaupt sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten +bestimmten Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten +befehlende und selbstregierende Behoerde geworden; es war hiervon nur +eine konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten urspruenglich +zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben +entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt wurde, +auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante Befugnis +der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutduenken Namen +zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit +einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die +Quaestorenwahl fuer eine genuegende regelmaessige Ergaenzung gesorgt +ward, wurden die zensorischen Revisionen ueberfluessig und durch +deren Wegfall das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die +Inamovibilitaet und Lebenslaenglichkeit der zu Sitz und Stimme +gelangten Glieder des Herrenstandes, endgueltig konsolidiert. +------------------------------------------------ 7 Wieviele Quaestoren +bis dahin jaehrlich gewaehlt wurden, ist nicht bekannt. Im Jahre 487 +(267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei staedtische, zwei Militaer- +und vier Flottenquaestoren; wozu dann die in den Aemtern beschaeftigten +Quaestoren hinzugetreten sind. Denn die Flottenquaesturen in +Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein, und auch die +Militaerquaestoren konnten nicht anderweitig verwendet werden, da sonst +der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne Quaestor gewesen sein +wuerde. Da es nun bis auf Sulla neun Aemter gab, ueberdies nach Sizilien +zwei Quaestoren gingen, so koennte er moeglicherweise schon achtzehn +Quaestoren vorgefunden haben. Wie indes auch die Zahl der Oberbeamten +dieser Zeit betraechtlich geringer als die ihrer Kompetenzen gewesen +und hier stets durch Fristerstreckung und andere Aushilfen Rat geschafft +worden ist, ueberhaupt die Tendenz der roemischen Regierung darauf ging, +die Zahl der Beamten moeglichst zu beschraenken, so mag es auch mehr +quaestorische Kompetenzen gegeben haben als Quaestoren, und es kann +selbst sein, dass in kleine Provinzen, wie zum Beispiel Kilikien, in +dieser Zeit gar kein Quaestor ging. Aber sicher hat es doch schon vor +Sulla mehr als acht Quaestoren gegeben. 8 Von einer festen Zahl der +Senatoren kann genau genommen ueberhaupt nicht die Rede sein. Wenn auch +die Zensoren vor Sulla jedesmal eine Liste von 300 Koepfen anfertigten, +so traten doch zu dieser immer noch diejenigen Nichtsenatoren hinzu, +die nach Abfassung der Liste bis zur Aufstellung der naechsten ein +kurulisches Amt bekleideten; und nach Sulla gab es so viele Senatoren, +als gerade Quaestorier am Leben waren. Wohl aber ist anzunehmen, dass +Sulla den Senat auf ungefaehr 500 bis 600 Koepfe zu bringen bedacht +war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jaehrlich 20 neue Mitglieder von +durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die durchschnittliche Dauer +der senatorischen Wuerde auf 25 bis 30 Jahre ansetzt. In einer stark +besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit waren 417 Mitglieder +anwesend. ------------------------------------------------- Hinsichtlich +der Gesetzgebung begnuegte sich Sulla, die im Jahre 666 (88) getroffenen +Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische Initiative, wie +sie laengst tatsaechlich dem Senat zustand, wenigstens den Tribunen +gegenueber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Buergerschaft blieb der +formelle Souveraen; allein was ihre Urversammlungen anlangt, so schien +es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfaeltig zu konservieren, +aber jede wirkliche Taetigkeit derselben noch sorgfaeltiger zu +verhueten. Sogar mit dem Buergerrecht selbst ging Sulla in der +geringschaetzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den +Neubuergergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse +damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht, +schlechterdings gar nichts fuer die Feststellung der Buergerliste, die +doch nach so gewaltigen Umwaelzungen einer Revision dringend bedurfte, +wenn es ueberhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knuepfenden +Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschraenkt wurde die +legislatorische Kompetenz der Komitien uebrigens nicht; es war auch +nicht noetig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats +das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die +Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen +konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder +zurueckgefuehrt ward auf das Recht, zu Aenderungen der Verfassung ja zu +sagen. Wichtiger war die Beteiligung der Buergerschaft bei den Wahlen, +deren man nun einmal nicht entbehren zu koennen schien, ohne mehr +aufzuruetteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration +aufruetteln konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die +Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloss das Domitische Gesetz von +650 (104), das die Wahlen zu den hoechsten Priesteraemtern ueberhaupt +dem Volke uebertrug, sondern auch die aelteren gleichartigen +Verfuegungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von +Sulla kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergaenzung +in seiner urspruenglichen Unbeschraenktheit zurueckgegeben. Hinsichtlich +der Wahlen zu den Staatsaemtern aber blieb es im ganzen bei der +bisherigen Weise; ausser insofern die sogleich zu erwaehnende neue +Regulierung des militaerischen Kommandos allerdings folgeweise eine +wesentliche Beschraenkung der Buergerschaft in sich schloss, ja +gewissermassen das Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der +Buergerschaft auf den Senat uebertrug. Es scheint nicht einmal, dass +Sulla die frueher versuchte Restauration der Servianischen Stimmordnung +jetzt wiederaufnahm, sei es nun, dass er es ueberhaupt als gleichgueltig +betrachtete, ob die Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, +sei es, dass diese aeltere Ordnung ihm den gefaehrlichen Einfluss +der Kapitalisten zu steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden +wiederhergestellt und teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines +jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschaerft; +ebenso die Bestimmung, dass jeder Bewerber um das Konsulat vorher die +Praetur, jeder Bewerber um die Praetur vorher die Quaestur bekleidet +haben muesse, wogegen es gestattet war, die Aedilitaet zu uebergehen. +Mit besonderer Strenge wurde, in Hinblick auf die juengst mehrfach +vorgenommenen Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch +fortgesetzten Konsulats die Tyrannis zu begruenden, gegen diesen +Missbrauch eingeschritten und verfuegt, dass zwischen der Bekleidung +zweier ungleicher Aemter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen +Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfliessen sollten; +mit welcher letzteren Bestimmung, anstatt der in der juengsten +ultraoligarchischen Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder +Wiederwahl zum Konsulat, wieder die aeltere Ordnung vom Jahre 412 (342) +aufgenommen ward. Im ganzen aber liess Sulla den Wahlen ihren Lauf und +suchte nur die Beamtengewalt in der Art zu fesseln, dass, wen auch immer +die unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewaehlte +ausserstande sein wuerde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen. Die +hoechsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsaechlich die drei +Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Praetoren und der Zensoren. +Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit wesentlich +geschmaelerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische Amt, das +dem Regenten erschien als ein zwar auch fuer das Senatsregiment +unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und +stets geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger +und dauernder Fesselung beduerftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die +Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den +Kontravenienten eventuell zu braechen und dessen weitere Bestrafung zu +veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den +Tribunen auch jetzt, nur dass auf den Missbrauch des Interzessionsrechts +eine schwere, die buergerliche Existenz regelmaessig vernichtende +Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem +Volke nach Gutduenken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen, +insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen, +teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen, durch +den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewaelzt hatten; +sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgaengig bei dem +Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhaengig gemacht 9. Endlich wurde +hinzugefuegt, dass die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur +Uebernahme eines hoeheren Amtes unfaehig machen solle - eine Bestimmung, +die wie so manches andere in Sullas Restauration wieder auf die +altpatrizischen Satzungen zurueckkam und, ganz wie in den Zeiten vor der +Zulassung der Plebejer zu den buergerlichen Aemtern, das Tribunat +einer- und die kurulischen Aemter andererseits miteinander unvereinbar +erklaerte. Auf diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie, +der tribunizischen Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und +aufstrebenden Maenner von dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe +festzuhalten als Werkzeug des Senats, sowohl zur Vermittlung +zwischen diesem und der Buergerschaft, als auch vorkommendenfalls zur +Niederhaltung der Magistratur; und wie die Herrschaft des Koenigs +und spaeter der republikanischen Beamten ueber die Buergerschaft kaum +irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satze, dass ausschliesslich +sie das Recht haben, oeffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die +jetzt zuerst rechtlich festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am +bestimmtesten in dieser von dem Vormann des Volkes fuer jede +Verhandlung mit demselben vom Senat zu erbittenden Erlaubnis. +--------------------------------------------- 9 Darauf gehen die Worte +des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 Dietsch): populus Romanus +exutus ... iure agitandi, auf die Tacitus (ann. 3, 27) anspielt: statim +turbidis Lepidi rogationibus neque multo post tribunis reddita licentia +quoquo vellent populum agitandi. Dass die Tribune nicht ueberhaupt das +Recht verloren, mit dem Volke zu verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. +leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de Thermensibus, welches aber auch in der +Eingangsformel sich bezeichnet als de senatus sententia erlassen. Dass +die Konsuln dagegen auch nach der Sullanischen Ordnung ohne vorgaengigen +Senatsbeschluss Antraege an das Volk bringen konnten, beweist nicht +bloss das Stillschweigen der Quellen, sondern auch der Verlauf der +Revolutionen von 667 (87) und 676 (78), deren Fuehrer eben aus diesem +Grunde nicht Tribune, sondern Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch +in dieser Zeit konsularische Gesetze ueber administrative Nebenfragen, +wie zum Beispiel das Getreidegesetz von 681 (73), fuer die zu +andern Zeiten sicher Plebiszite eingetreten sein wuerden. +------------------------------------------- Auch Konsulat und Praetur, +obwohl sie von dem aristokratischen Regenerator Roms mit guenstigeren +Augen betrachtet wurden als das an sich verdaechtige Tribunat, entgingen +doch keineswegs dem Misstrauen gegen das eigene Werkzeug, welches +durchaus die Oligarchie bezeichnet. Sie wurden in schonenderen Formen, +aber in sehr fuehlbarer Weise beschraenkt. Sulla knuepfte hier an +die Geschaeftsteilung an. Zu Anfang dieser Periode bestand dafuer die +folgende Ordnung. Den beiden Konsuln lag immer noch, wie ehemals der +Inbegriff der Geschaefte des hoechsten Amtes ueberhaupt, so jetzt +derjenige Inbegriff der hoechsten Amtsgeschaefte ob, fuer welchen nicht +gesetzlich besondere Kompetenzen festgestellt waren. Dies letztere war +der Fall mit dem hauptstaedtischen Gerichtswesen, womit die Konsuln sich +nach einer unverbruechlich festgehaltenen Regel nicht befassen durften, +und mit den damals bestehenden ueberseeischen Aemtern: Sizilien, +Sardinien und den beiden Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar +fuehren konnte, aber nur ausnahmsweise fuehrte. Im ordentlichen Lauf +der Dinge wurden demnach sechs Spezialkompetenzen, die beiden +hauptstaedtischen Gerichtsvorstandschaften und die vier ueberseeischen +Aemter unter die sechs Praetoren vergeben, woneben den beiden Konsuln +kraft ihrer Generalkompetenz die Leitung der hauptstaedtischen +nichtgerichtlichen Geschaefte und das militaerische Kommando in den +festlaendischen Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also +doppelt besetzt war, blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfuegung +der Regierung, und fuer gewoehnliche Zeiten kam man demnach mit jenen +acht hoechsten Jahresbeamten vollstaendig, ja reichlich aus. Fuer +ausserordentliche Faelle blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht +militaerischen Kompetenzen zu kumulieren, teils die militaerischen +ueber die Endfrist hinaus fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht +ungewoehnlich, die beiden Gerichtsvorstandschaften demselben Praetor +zu uebertragen und die regelmaessig von den Konsuln zu beschaffenden +hauptstaedtischen Geschaefte durch den Stadtpraetor versehen zu lassen; +wogegen es verstaendigerweise moeglichst vermieden ward, mehrere +Kommandos in derselben Hand zu vereinigen. Hier half vielmehr die Regel +aus, dass im militaerischen Imperium es kein Interregnum gab, +also dasselbe, obwohl gesetzlich befristet, doch nach Eintritt des +Endtermines von Rechts wegen noch so lange fortdauerte, bis der +Nachfolger erschien und dem Vorgaenger das Kommando abnahm, oder, was +dasselbe ist, dass der kommandierende Konsul oder Praetor nach Ablauf +seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht erschien, an Konsuls oder +Praetors Statt weiter fungieren konnte und musste. Der Einfluss +des Senats auf diese Geschaeftsverteilung bestand darin, dass es +observanzmaessig von ihm abhing, entweder die Regel walten, also die +sechs Praetoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich verlosen und die +Konsuln die festlaendischen, nichtgerichtlichen Geschaefte besorgen zu +lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben anzuordnen, etwa dem +Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges ueberseeisches Kommando +zuzuweisen oder eine ausserordentliche militaerische und gerichtliche +Kommission, zum Beispiel das Flottenkommando oder eine wichtige +Kriminaluntersuchung, unter die zur Verteilung kommenden Kompetenzen +aufzunehmen und die dadurch weiter noetig werdenden Kumulationen und +Fristerstreckungen zu veranlassen - wobei uebrigens lediglich die +Absteckung der jedesmaligen konsularischen und respektiv praetorischen +Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der fuer das einzelne Amt +eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere vielmehr +durchgaengig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten oder durch +das Los erfolgte. Die Buergerschaft war in der aelteren Zeit wohl +veranlasst worden, die in dem Unterlassen der Abloesung enthaltene +tatsaechliche Verlaengerung des Kommandos durch besonderen +Gemeindebeschluss zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, +als dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff +die Buergerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten +Jahrhunderts traten nun allmaehlich zu den bestehenden +sechs Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fuenf neuen +Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien +und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen +Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der +roemischen Regierung trat ueberdies immer haeufiger der Fall ein, +dass die Oberbeamten fuer ausserordentliche militaerische oder +prozessualische Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde +die Zahl der ordentlichen hoechsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es +kamen also auf acht jaehrlich zu ernennende Beamte, von allem andern +abgesehen, mindestens zwoelf jaehrlich zu besetzende Spezialkompetenzen. +Natuerlich war es nicht Zufall, dass man dies Defizit nicht durch +Kreierung neuer Praetorenstellen ein fuer allemal deckte. Dem Buchstaben +der Verfassung gemaess sollten die saemtlichen hoechsten Beamten Jahr +fuer Jahr von der Buergerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung +oder vielmehr Unordnung, derzufolge die entstehenden Luecken wesentlich +durch Fristerstreckung ausgefuellt wurden und den gesetzlich ein Jahr +fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt, +nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die +wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die +Buergerschaft, sondern aus einer durch die Buergerschaftswahlen +gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Ueblich ward es dabei, da unter +diesen Stellen die ueberseeischen Kommandos als die eintraeglichsten vor +allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich +oder doch tatsaechlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden +Vorstehern der staedtischen Gerichtsbarkeit und haeufig auch den +Konsuln, nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein ueberseeisches Kommando zu +uebertragen, was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die +Amtsgewalt des in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten +wohl anders bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine +qualitativ andere war. Diese Verhaeltnisse fand Sulla vor und sie lagen +seiner neuen Ordnung zu Grunde. Der Grundgedanke derselben war die +vollstaendige Scheidung der politischen Gewalt, welche in den Buerger-, +und der militaerischen, welche in den Nichtbuergerdistrikten regierte, +und die durchgaengige Erstreckung der Dauer des hoechsten Amtes von +einem Jahr auf zwei, von denen das erstere den buergerlichen, das +zweite den militaerischen Geschaeften gewidmet ward. Raeumlich waren die +buergerliche und die militaerische Gewalt allerdings laengst schon durch +die Verfassung geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese +begann; allein immer noch hielt derselbe Mann die hoechste politische +und die hoechste militaerische Macht in seiner Hand vereinigt. Kuenftig +sollte der Konsul und Praetor mit Rat und Buergerschaft verhandeln, +der Prokonsul und Propraetor die Armee kommandieren, jenem aber +jede militaerische, diesem jede politische Taetigkeit gesetzlich +abgeschnitten sein. Dies fuehrte zunaechst zu der politischen Trennung +der norditalischen Landschaft von dem eigentlichen Italien. Bisher +hatten dieselben wohl in einem nationalen Gegensatz gestanden, insofern +Norditalien vorwiegend von Ligurern und Kelten, Mittel- und Sueditalien +von Italikern bewohnt ward; allein politisch und administrativ stand das +gesamte festlaendische Gebiet des roemischen Staates von der Meerenge +bis an die Alpen mit Einschluss der illyrischen Besitzungen, Buerger-, +latinische und Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen +Laufe der Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden +hoechsten Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgruendungen sich durch +dies ganze Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche +Italien, dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als +ein jetzt ohne Ausnahme von roemischen Buergern bewohntes Gebiet, +den ordentlichen roemischen Obrigkeiten untergeben und dass in diesem +Sprengel regelmaessig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer +der Fundamentalsaetze des roemischen Staatsrechts; das Keltenland +diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der bestaendig fortwaehrenden +Einfaelle der Alpenvoelker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden +konnte, wurde nach dem Muster der aelteren ueberseeischen Kommandos als +eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl +der jaehrlich zu ernennenden Praetoren von sechs auf acht erhoeht ward, +stellte sich die neue Geschaeftsordnung dahin, dass die jaehrlich zu +ernennenden zehn hoechsten Beamten waehrend ihres ersten Amtsjahrs als +Konsuln oder Praetoren den hauptstaedtischen Geschaeften - die +beiden Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Praetoren der +Zivilrechtspflege, die uebrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz +- sich widmeten, waehrend ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln +oder Propraetoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften: +Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo, +Kilikien und dem italischen Keltenland uebernahmen. Die schon erwaehnte +Vermehrung der Quaestorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehoert ebenfalls +in diesen Zusammenhang ^11. --------------------------------- ^10 Fuer +diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als dass das italische +Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen geschlossenen +und von einem jaehrlich erneuerten Statthalter verwalteten Sprengel +bedeutet, in den aelteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist wie +allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data erat +et Sullae provincia Gallia cisalpina). Nicht viel anders steht es mit +der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, dass ehemals der Aesis, zu +Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von Italien schied, aber +nicht, wann die Vorrueckung stattfand. Man hat zwar daraus, dass Marcus +Terentius Varro Lucullus als Propraetor in dem Distrikt zwischen Aesis +und Rubico eine Grenzregulierung vornahm (Orelli 570), geschlossen, +dass derselbe wenigstens im Jahre nach Lucullus' Praetur 679 (75) +noch Provinzialland gewesen sein muesse, da auf italischem Boden der +Propraetor nichts zu schaffen habe. Indes nur innerhalb des Pomerium +hoert jedes prorogierte Imperium von selber auf; in Italien dagegen ist +auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht regelmaessig vorhanden, +aber doch zulaessig, und ein ausserordentliches ist das von Lucullus +bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir koennen aber auch +nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser Gegend bekleidet +hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen Reorganisation 672 (82) +als kommandierender Offizier eben hier taetig und wahrscheinlich, +ebenwie Pompeius, von Sulla mit propraetorischer Gewalt ausgestattet; in +dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 (81) (vgl. App. 1, 95) die +fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser Inschrift folgt also fuer +die rechtliche Stellung Norditaliens ueberhaupt nichts und am wenigsten +fuer die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist es ein bemerkenswerter +Fingerzeig, dass Sulla das roemische Pomerium vorschob (Sen. dial. 10, +14; Dio Cass. 43, 50), was nach roemischem Staatsrecht nur dem gestattet +war, der nicht etwa die Reichs-, sondern die Stadt-, d. h. die italische +Grenze vorgerueckt hatte. ^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere +Provinz ein Quaestor gingen, ueberdies die zwei staedtischen und die +zwei den Konsuln bei der Kriegsfuehrung beigeordneten und die vier +Flottenquaestoren bestehen blieben, so waren hierfuer neunzehn Beamte +jaehrlich erforderlich. Die zwanzigste Quaestorenkompetenz laesst +sich nicht nachweisen. -------------------------------- Zunaechst +ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und zu +allen moeglichen schlechten Manoevern und Intrigen einladenden +Aemterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den +Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Moeglichkeit vorgebeugt und der +Einfluss der obersten Regierungsbehoerde wesentlich gesteigert. Nach der +bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die +Stadt, welche der Mauerring umschloss, und die Landschaft ausserhalb +des Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue, +fortan als ewig befriedet dem regelmaessigen Kommando entzogene Italien +^12 und ihm gegenueber das festlaendische und ueberseeische Gebiet, das +umgekehrt notwendig unter Militaerkommandanten steht, die von jetzt an +sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann +sehr haeufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben; +die neue Ordnung beschraenkte die hauptstaedtischen Aemter wie die +Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfuegung, +dass jeder Statthalter binnen dreissig Tagen, nachdem der Nachfolger in +seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen habe, +zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das frueher erwaehnte +Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu demselben +oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz dieser +Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die einst der +Senat das Koenigtum sich dienstbar gemacht hatte, dass die Beschraenkung +der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der Zeit nach der +Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung hatte Gaius Marius +zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr des Staates amtiert; +wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben hatte, +dass es ihm misslang, mittels dieser doppelten Amtsgewalt die Oligarchie +zu stuerzen, so schien nun dafuer gesorgt, dass nicht etwa ein kluegerer +Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche. Nach der bisherigen Ordnung +hatte auch der vom Volke unmittelbar ernannte Beamte eine militaerische +Stellung haben koennen; die sullanische dagegen behielt diese +ausschliesslich denjenigen Beamten vor, die der Senat durch Erstreckung +der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt bestaetigte. Zwar war diese +Amtsverlaengerung jetzt stehend geworden; dennoch wurde sie den +Auspizien und dem Namen, ueberhaupt der staatsrechtlichen Formulierung +nach auch ferner als ausserordentliche Fristerstreckung behandelt. Es +war dies nicht gleichgueltig. Den Konsul oder den Praetor konnte nur die +Buergerschaft seines Amtes entsetzen; den Prokonsul und den Propraetor +ernannte und entliess der Senat, so dass durch diese Verfuegung die +gesamte Militaergewalt, auf die denn doch zuletzt alles ankam, +formell wenigstens vom Senat abhaengig wurde. +-------------------------------------------------- ^12 Die italische +Eidgenossenschaft ist viel aelter; aber sie ist ein Staatenbund, nicht, +wie das sullanische Italien, ein innerhalb des Roemischen +Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet. +--------------------------------------------------- Dass endlich das +hoechste aller Aemter, die Zensur, nicht foermlich aufgehoben, aber +in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die Diktatur, ward schon +bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls entraten. Fuer die +Ergaenzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit Italien tatsaechlich +steuerfrei war und das Heer wesentlich durch Werbung gebildet ward, +hatte das Verzeichnis der Steuer- und Dienstpflichtigen in der +Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn in der Ritterliste und dem +Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung einriss, so mochte man +dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also nur die laufenden +Finanzgeschaefte, welche die Konsuln schon bisher verwaltet hatten, +wenn, wie dies haeufig vorkam, die Zensorenwahl unterblieben war, und +nun als einen Teil ihrer ordentlichen Amtstaetigkeit uebernahmen. Gegen +den wesentlichen Gewinn, dass der Magistratur in den Zensoren ihre +hoechste Spitze entzogen ward, kam nicht in Betracht und tat der +Alleinherrschaft des hoechsten Regierungskollegiums durchaus keinen +Eintrag, dass, um die Ambition der jetzt so viel zahlreicheren Senatoren +zu befriedigen, die Zahl der Pontifices und die der Augurn von neun, die +der Orakelbewahrer von zehn auf je fuenfzehn, die der Schmausherren von +drei auf sieben vermehrt ward. In dem Finanzwesen stand schon nach +der bisherigen Verfassung die entscheidende Stimme bei dem Senat; es +handelte sich demnach hier um die Wiederherstellung einer geordneten +Verwaltung. Sulla hatte anfaenglich sich in nicht geringer Geldnot +befunden; die aus Kleinasien mitgebrachten Summen waren fuer den Sold +des zahlreichen und stets anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch +nach dem Siege am Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse +nach Praeneste entfuehrt worden war, sich zu Notschritten entschliessen +muessen. Verschiedene Bauplaetze in der Hauptstadt und einzelne Stuecke +der kampanischen Domaene wurden feilgeboten, die Klientelkoenige, die +befreiten und bundesgenoessischen Gemeinden ausserordentlicherweise in +Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zoelle +eingezogen, anderswo denselben fuer Geld neue Privilegien zugestanden. +Indes der bei der Uebergabe von Praeneste vorgefundene Rest der +Staatskasse von beilaeufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden +Versteigerungen und andere ausserordentliche Hilfsquellen halfen der +augenblicklichen Verlegenheit ab. Fuer die Zukunft aber ward gesorgt +weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die +Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor, +als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domaene, wozu jetzt +noch Aenaria gefuegt ward, und vor allem durch die Abschaffung +der Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den +roemischen Finanzen gezehrt hatten. Dagegen ward das Gerichtswesen +wesentlich umgestaltet, teils aus politischen Ruecksichten, teils um +in die bisherige sehr unzulaengliche und unzusammenhaengende +Prozesslegislation groessere Einheit und Brauchbarkeit zu bringen. Nach +der bisherigen Ordnung gingen die Prozesse zur Entscheidung teils an die +Buergerschaft, teils an Geschworene. Die Gerichte, in denen die +ganze Buergerschaft auf Provokation von dem Urteil des Magistrats +hin entschied, lagen bis auf Sulla in den Haenden in erster Reihe der +Volkstribune, in zweiter der Aedilen, indem saemtliche Prozesse, +durch die ein Beamter oder Beauftragter der Gemeinde wegen seiner +Geschaeftsfuehrung zur Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf +Leib und Leben oder auf Geldbussen gehen, von den Volkstribunen, alle +uebrigen Prozesse, in denen schliesslich das Volk entschied, von den +kurulischen oder plebejischen Aedilen in erster Instanz abgeurteilt, +in zweiter geleitet wurden. Sulla hat den tribunizischen +Rechenschaftsprozess wenn nicht geradezu abgeschafft, so doch, ebenwie +die legislatorische Initiative der Tribune, von der vorgaengigen +Einwilligung des Senats abhaengig gemacht und vermutlich auch den +aedilizischen Strafprozess in aehnlicher Weise beschraenkt. Dagegen +erweiterte er die Kompetenz der Geschworenengerichte. Es gab damals ein +doppeltes Verfahren vor Geschworenen. Das ordentliche, welches +anwendbar war in allen nach unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder +Zivilprozess sich eignenden Faellen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen +den Staat gerichteten Verbrechen, bestand darin, dass der eine der +beiden hauptstaedtischen Gerichtsherren die Sache instruierte und ein +von ihm ernannter Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied. +Der ausserordentliche Geschworenenprozess trat ein in einzelnen +wichtigen Zivil- oder Kriminalfaellen, wegen welcher durch besondere +Gesetze anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof +bestellt worden war. Dieser Art waren teils die fuer einzelne +Faelle konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden +Kommissionalgerichtshoefe, wie sie fuer Erpressungen, fuer Giftmischerei +und Mord, vielleicht auch fuer Wahlbestechung und andere Verbrechen +im Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils +endlich die beiden Hoefe der Zehnmaenner fuer den Freiheits- und +der Hundertundfuenf- oder kuerzer der Hundertmaenner fuer den +Erbschaftsprozess, auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten +Lanzenschaft das Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmaennerhof +(decemviri litibus iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze +der Plebejer gegen ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung +des Schaftgerichts liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefaehr +dieselben sein wie bei den oben erwaehnten wesentlich gleichartigen +Kriminalkommissionen. Ueber die Leitung dieser verschiedenen +Gerichtshoefe war in den einzelnen Gerichtsordnungen verschieden +bestimmt; so standen dem Erpressungsgericht ein Praetor, dem Mordgericht +ein aus den gewesenen Aedilen besonders ernannter Vorstand, dem +Schaftgericht mehrere aus den gewesenen Quaestoren genommene Direktoren +vor. Die Geschworenen wurden wenigstens fuer das ordentliche wie fuer +das ausserordentliche Verfahren in Gemaessheit der Gracchischen Ordnung +aus den nichtsenatorischen Maennern von Ritterzensus genommen; die +Auswahl stand im allgemeinen den Magistraten zu, die die Gerichtsleitung +hatten, jedoch in der Weise, dass sie mit dem Antritt ihres Amts die +Geschworenenliste ein fuer allemal aufzustellen hatten und dann das +einzelne Geschworenenkollegium aus diesen nicht durch freie Auswahl +des Magistrats, sondern durch Losung und durch Rejektion der Parteien +gebildet ward. Aus der Volkswahl gingen nur die Zehnmaenner fuer den +Freiheitsprozess hervor. Sullas Reformen waren hauptsaechlich +dreifacher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschworenenhoefe sehr +betraechtlich. Es gab spaeterhin besondere Geschworenenkommissionen +fuer Erpressung; fuer Mord mit Einschluss von Brandstiftung und falschem +Zeugnis; fuer Wahlbestechung; ferner fuer Hochverrat und jede Entehrung +des roemischen Namens; fuer die schwersten Betrugsfaelle: Testaments- +und Muenzfaelschung; fuer Ehebruch; fuer die schwersten Ehrverletzungen, +namentlich Realinjurien und Stoerung des Hausfriedens; vielleicht auch +fuer Unterschlagung oeffentlicher Gelder, fuer Zinswucher und andere +Vergehen; und wenigstens die meisten dieser Hoefe sind von Sulla +entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen und von ihm mit einer +besonderen Kriminal- und Kriminalprozessordnung versehen worden. +Uebrigens blieb es der Regierung unbenommen, vorkommendenfalls fuer +einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhoefe zu bestellen. Folgeweise +wurden hierdurch die Volksgerichte im wesentlichen abgeschafft, +namentlich die Hochverratsprozesse an die neue Hochverratskommission +gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozess bedeutend beschraenkt, +indem ihm die schwereren Faelschungen und Injurien entzogen wurden. Was +zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie +schon erwaehnt ward, jetzt fuer die Leitung der verschiedenen +Geschworenenhoefe sechs Praetoren zur Disposition, denen noch fuer die +am meisten in Anspruch genommene Kommission fuer Mordtaten eine Anzahl +anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die Geschworenenstellen traten +drittens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein. Der +politische Zweck dieser Verfuegungen, der bisherigen Mitregierung der +Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig +laesst es sich verkennen, dass dieselben nicht bloss politische +Tendenzmassregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde, +dem seit den staendischen Kaempfen immer mehr verwilderten roemischen +Kriminalprozess und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser +Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem aelteren Recht unbekannte +Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute +damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von +dem Praetor geleitete Geschworenenbank gehoert, als Zivilsache dasjenige +Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter praetorischem +Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen +Quaestionenordnungen laesst sich zugleich als das erste roemische +Gesetzbuch nach den Zwoelf Tafeln und als das erste ueberhaupt je +besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im +einzelnen zeigt sich ein loeblicher und liberaler Geist. So seltsam +es von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum +nichtsdestoweniger wahr, dass er die Todesstrafe fuer politische +Vergehen abgeschafft hat; denn da nach roemischer, auch von +Sulla unveraendert festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die +Geschworenenkommission auf Verlust des Lebens oder auf gefaengliche Haft +erkennen konnte, so kam die Uebertragung der Hochverratsprozesse von der +Buergerschaft auf eine stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung +der Todesstrafe fuer solche Vergehen, waehrend andererseits in der +Beschraenkung der verderblichen Spezialkommissionen fuer einzelne +Hochverratsfaelle, wie deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg +gewesen war; gleichfalls ein Fortschritt zum Besseren lag. Die +gesamte Reform ist von ungemeinem und dauerndem Nutzen gewesen und ein +bleibendes Denkmal des praktischen, gemaessigten, staatsmaennischen +Geistes, der ihren Urheber wohl wuerdig machte, gleich den alten +Dezemvirn als souveraener Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen +die Parteien zu treten. Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen +mag man die polizeilichen Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das +Gesetz an die Stelle des Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte +wieder einschaerfte und durch Feststellung neuer Maximalsaetze anstatt +der alten laengst verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begraebnissen +und sonst zu beschraenken versuchte. Endlich ist wenn nicht Sullas, doch +das Werk der sullanischen Epoche die Entwicklung eines selbstaendigen +roemischen Munizipalwesens. Dem Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde +als ein untergeordnetes politisches Ganze dem hoeheren Staatsganzen +organisch einzufuegen, urspruenglich fremd; die Despotie des Ostens +kennt staedtische Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in +der ganzen hellenisch-italischen Welt faellt Stadt und Staat notwendig +zusammen. Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus +ein eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die roemische Politik hielt +mit der ihr eigenen zaehen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten +Jahrhundert wurden die abhaengigen Gemeinden Italiens entweder, um +ihnen ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveraene +Nichtbuergerstaaten konstituiert oder, wenn sie roemisches Buergerrecht +erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren, +aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so dass in allen +Buergerkolonien und Buergermunizipien selbst die Rechtspflege und das +Bauwesen von den roemischen Praetoren und Zensoren verwaltet ward. Das +Hoechste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus +ernannten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die +dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht +anders verfuhr man in den Provinzen, ausser dass hier an die Stelle der +hauptstaedtischen Behoerden der Statthalter trat. In den freien, +das heisst formell souveraenen Staedten ward die Zivil- oder +Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten +verwaltet; nur dass freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien +entgegenstanden, jeder Roemer sowohl als Beklagter wie als Klaeger +verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem +Recht entschieden zu sehen. Fuer die gewoehnlichen Provinzialgemeinden +war der roemische Statthalter die einzige regelmaessige +Gerichtsbehoerde, der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war +schon viel, wenn, wie in Sizilien, in dem Fall, dass der Beklagte ein +Siculer war, der Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten +war, einen einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch +entscheiden zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom +Gutfinden des instruierenden Beamten abgehangen zu haben. Im siebenten +Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des oeffentlichen +Lebens der roemischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom wenigstens +fuer Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige staedtische Gemeinde +war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sizilischen +Meerenge reichte, musste man wohl sich entschliessen, innerhalb dieser +grossen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach +Vollbuergergemeinden organisiert, bei welcher Gelegenheit man zugleich +die durch ihren Umfang gefaehrlichen groesseren Gaue, soweit dies nicht +schon frueher geschehen war, in mehrere kleinere Stadtbezirke aufgeloest +haben mag. Die Stellung dieser neuen Vollbuergergemeinden war ein +Kompromiss zwischen derjenigen, die ihnen bis dahin als Bundesstaaten +zugekommen war, und derjenigen, die ihnen als integrierenden Teilen der +roemischen Gemeinde nach aelterem Recht zugekommen sein wuerde. +Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der bisherigen formell souveraenen +latinischen oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzuegen der +roemischen gleich ist, die der roemischen altpatrizisch-konsularischen +Gemeinde; nur dass darauf gehalten ward, fuer dieselben Institutionen +in dem Munizipium andere und geringere Namen zu verwenden als in der +Hauptstadt, das heisst im Staat. Eine Buergerversammlung tritt an +die Spitze mit der Befugnis, Gemeindestatute zu erlassen und die +Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderat von hundert Mitgliedern +uebernimmt die Rolle des roemischen Senats. Das Gerichtswesen wird +verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei ordentlichen Richtern, die +den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die den kurulischen Aedilen +entsprechen. Die Zensurgeschaefte, die wie in Rom von fuenf zu fuenf +Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung +der Gemeindebauten bestanden, wurden von den hoechsten Gemeindebeamten, +also den beiden ordentlichen Gerichtsherren, mit uebernommen, welche +in diesem Fall den auszeichnenden Titel der "Gerichtsherren mit +zensorischer oder Fuenfjahrgewalt" annahmen. Die Gemeindekasse +verwalteten zwei Quaestoren. Fuer das Sakralwesen sorgten zunaechst die +beiden der aeltesten latinischen Verfassung allein bekannten Kollegien +priesterlicher Sachverstaendigen, die munizipalen Pontifices und Augurn. +Was das Verhaeltnis dieses sekundaeren politischen Organismus zu dem +primaeren des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie +diesem die politischen Befugnisse vollstaendig zu und band also +der Gemeindebeschluss und das Imperium der Gemeindebeamten den +Gemeindebuerger ebenso wie der Volksbeschluss und das konsularische +Imperium den Roemer. Dies fuehrte im ganzen zu einer konkurrierenden +Taetigkeit der Staats- und der Stadtbehoerden: Es hatten beispielsweise +beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne dass bei +den etwaigen staedtischen Schatzungen und Steuern die von Rom +ausgeschriebenen oder bei diesen jene beruecksichtigt worden waeren; es +durften oeffentliche Bauten sowohl von den roemischen Beamten in ganz +Italien als auch von den staedtischen in ihrem Sprengel angeordnet +werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natuerlich die +Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluss den Stadtschluss. Eine +foermliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo +das reine Konkurrenzsystem zu der groessten Verwirrung gefuehrt haben +wuerde; hier wurden im Kriminalprozess vermutlich alle Kapitalsachen, +im Zivilverfahren die schwereren, und ein selbstaendiges Auftreten der +dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstaedtischen +Behoerden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte +auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden +Rechtshaendel beschraenkt. Die Entstehung dieses italischen +Gemeindewesens ist nicht ueberliefert. Es ist wahrscheinlich, dass sie +in ihren Anfaengen zurueckgeht auf Ausnahmebestimmungen fuer die grossen +Buergerkolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegruendet +wurden; wenigstens deuten einzelne, an sich gleichgueltige formelle +Differenzen zwischen Buergerkolonien und Buergermunizipien darauf hin, +dass die neue, damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende +Buergerkolonie urspruenglich eine bessere staatsrechtliche Stellung +gehabt hat als das weit aeltere Buergermunizipium, und diese Bevorzugung +kann wohl nur bestanden haben in einer der latinischen sich annaehernden +Gemeindeverfassung, wie sie spaeterhin saemtlichen Buergerkolonien +wie Buergermunizipien zukam. Bestimmt nachweisen laesst sich die neue +Ordnung zuerst fuer die revolutionaere Kolonie Capua, und keinem +Zweifel unterliegt es, dass sie ihre volle Anwendung erst fand, als +die saemtlichen bisher souveraenen Staedte Italiens infolge des +Bundesgenossenkriegs als Buergergemeinden organisiert werden mussten. Ob +schon das Julische Gesetz, ob die Zensoren von 668 (86), ob erst +Sulla das einzelne geordnet hat, laesst sich nicht entscheiden; die +Uebertragung der zensorischen Geschaefte auf die Gerichtsherren scheint +zwar nach Analogie der Sullanischen, die Zensur beseitigenden Ordnung +eingefuehrt zu sein, kann aber auch ebensogut auf die aelteste +latinische Verfassung zurueckgehen, die ja auch die Zensur nicht +kannte. Auf alle Faelle ist diese dem eigentlichen Staat sich ein- +und unterordnende Stadtverfassung eines der merkwuerdigsten und +folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit und des roemischen +Staatslebens ueberhaupt. Staat und Stadt ineinanderzufuegen hat +allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als es vermocht hat, +das repraesentative Regiment und andere grosse Grundgedanken unseres +heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; aber es hat seine +politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen gefuehrt, wo diese die +gegebenen Masse ueberwaechst und sprengt, und vor allem ist dies in Rom +geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide und in der Verbindung +der alten und der neuen geistigen Welt steht. In der Sullanischen +Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der staedtische +Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form +zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende +Gemeinde schon in der italischen vollstaendig entwickelt; bis auf den +Namen, der freilich in solchen Dingen die Haelfte der Sache ist, hat +diese letzte Verfassung der freien Republik das Repraesentativsystem +und den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgefuehrt. Das +Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geaendert; die +Gemeindebehoerden der unfreien Staedte blieben vielmehr, von besonderen +Ausnahmen abgesehen, beschraenkt auf Verwaltung und Polizei und auf +diejenige Jurisdiktion, welche die roemischen Behoerden vorzogen, nicht +selbst in die Hand zu nehmen. Dieses war die Verfassung, die +Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom gab. Senat und Ritterstand, +Buergerschaft und Proletariat, Italiker und Provinzialen nahmen sie hin, +wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, wenn nicht ohne zu grollen, +doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die Sullanischen Offiziere. Das +roemische Heer hatte seinen Charakter gaenzlich veraendert. Es war +allerdings durch die Marianische Reform wieder schlagfertiger und +militaerisch brauchbarer geworden, als da es vor den Mauern von Numantia +nicht focht; aber es hatte zugleich sich aus einer Buergerwehr in eine +Schar von Lanzknechten verwandelt, welche dem Staat gar keine und dem +Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er verstand, sie persoenlich an +sich zu fesseln. Diese voellige Umgestaltung des Armeegeistes hatte +der Buergerkrieg in graesslicher Weise zur Evidenz gebracht: sechs +kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, Cinna und Gaius +Carbo, waren waehrend desselben gefallen von der Hand ihrer Soldaten; +einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefaehrlichen Meute Herr zu +bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden Begierden den Zuegel +schiessen liess wie noch nie vor ihm ein roemischer Feldherr. Wenn +deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld gegeben wird, so +ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch ungerecht; er war eben +der erste roemische Beamte, der seiner militaerischen und politischen +Aufgabe nur dadurch zu genuegen imstande war, dass er auftrat als +Condottiere. Aber er hatte die Militaerdiktatur nicht uebernommen, um +den Staat der Soldateska untertaenig zu machen, sondern vielmehr, um +alles im Staat, vor allem aber das Heer und die Offiziere, unter die +Gewalt der buergerlichen Ordnung zurueckzuzwingen. Wie dies offenbar +ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem eigenen Stab. +Mochte den uebrigen Buergern gegenueber die Oligarchie den Tyrannen +spielen; aber dass auch die Generale, die mit ihrem guten Schwert +die umgestuerzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten, jetzt +ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert wurden, +schien unertraeglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das meiste +Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung der +Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von Sizilien und +Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren hatte, nach Vollzug +seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein Heer zu entlassen, +unterliess er es zu gehorsamen und wenig fehlte an offenem Aufstand. +Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste wesentlich der +Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt ward, bewarb sich +in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu erlassenen Ordnungen um das +Konsulat, ohne die niederen Aemter bekleidet zu haben. Mit Pompeius +kam, wenn nicht eine herzliche Aussoehnung, doch ein Vergleich zustande. +Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn nicht zu fuerchten, nahm +die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins Gesicht sagte, dass mehr Leute +sich um die aufgehende Sonne kuemmerten als um die untergehende, und +bewilligte dem eitlen Juengling die leeren Ehrenbezeigungen, an denen +sein Herz hing. Wenn er hier sich laesslich zeigte, so bewies er +dagegen Ofella gegenueber, dass er nicht der Mann war, sich von seinen +Marschaellen imponieren zu lassen: So wie dieser verfassungswidrig als +Bewerber vor das Volk trat, liess ihn Sulla auf oeffentlichem Marktplatz +niederstossen und setzte sodann der versammelten Buergerschaft +auseinander, dass die Tat auf seinen Befehl und warum sie vollzogen +sei. So verstummte zwar fuer jetzt diese bezeichnende Opposition des +Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb bestehen +und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, dass das, was er +diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden koenne. Eines blieb noch +uebrig -vielleicht das schwerste von allem: die Zurueckfuehrung der +Ausnahmezustaende in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch +erleichtert, dass Sulla dieses letzte Ziel nie aus den Augen verloren +hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner +Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exorbitanten +Befugnis sich nur bei Massregeln bedient, die von voruebergehender +Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und Buergerschaft bloss +nutzlos kompromittiert haben wuerde, namentlich bei den Aechtungen. +Regelmaessig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen beobachtet, +die er fuer die Zukunft vorschrieb. Dass das Volk befragt ward, lesen +wir in dem Quaestorengesetz, das zum Teil noch vorhanden ist, und von +anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen ueber die +Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wichtigeren +Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und Zurueckberufung +der afrikanischen Armee und bei Erteilung von staedtischen Freibriefen, +der Senat vorangestellt. In demselben Sinn liess Sulla schon fuer 673 +(81) Konsuln waehlen, wodurch wenigstens die gehaessige offizielle +Datierung nach der Regentschaft vermieden ward; doch blieb die Macht +noch ausschliesslich bei dem Regenten und ward die Wahl auf sekundaere +Persoenlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674 80) setzte Sulla +die ordentliche Verfassung wieder vollstaendig in Wirksamkeit und +verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem Waffengenossen Quintus +Metellus den Staat, waehrend er die Regentschaft zwar noch beibehielt, +aber vorlaeufig ruhen liess. Er begriff es wohl, wie gefaehrlich es eben +fuer seine eigenen Institutionen war, die Militaerdiktatur zu verewigen. +Da die neuen Zustaende sich haltbar zu erweisen schienen, und von den +neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Kolonisierung, noch +zurueck, aber doch das meiste und wichtigste vollendet war, so liess er +den Wahlen fuer 675 (79) freien Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat +als mit seinen eigenen Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald +nachdem die neuen Konsuln Publius Servilius und Appius Claudius ihr +Amt angetreten hatten, im Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft +nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit +dem Leben und dem Eigentum von Millionen nach Willkuer geschaltet hatte, +auf dessen Wink so viele Haeupter gefallen waren, dem in jeder Gasse +Roms, in jeder Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen +ebenbuertigen Verbuendeten, ja genau genommen ohne den Rueckhalt einer +festen Partei sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk +der Reorganisation des Staates zu Ende gefuehrt hatte, als dieser +Mann auf den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfuelle +freiwillig begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete, +seine Gerichtsdiener entliess und die dichtgedraengte Buergerschaft +aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles +schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbuehne und zu Fuss, nur von den +Seinigen begleitet, ging er mitten durch ebenjenen Poebel, der ihm vor +acht Jahren das Haus geschleift hatte, zurueck nach seiner Wohnung. Die +Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk richtig +zu wuerdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die +Persoenlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der +Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen +eine einzige Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein +Sanguiniker, blauaeugig, blond, von auffallend weisser, aber bei jeder +leidenschaftlichen Bewegung sich roetender Gesichtsfarbe, uebrigens ein +schoener, feurig blickender Mann, schien er nicht eben bestimmt, +dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit seines Grossvaters +Grossvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277), einem +der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten Mann +der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten Ranges verharrt hatten. +Er begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuss. Aufgewachsen in dem +Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den +minder reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemaechtigte +er rasch und bebend sich der ganzen Fuelle sinnlich geistiger Genuesse, +welche die Verbindung hellenischer Feinheit und roemischen Reichtums zu +gewaehren vermochten. Im adligen Salon und unter dem Lagerzelt war +er gleich willkommen als angenehmer Gesellschafter und guter Kamerad; +vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm den teilnehmenden Freund und +den bereitwilligen Helfer in der Not, der sein Geld weit lieber +seinem bedraengten Genossen als seinem reichen Glaeubiger goennte. +Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den +Frauen; selbst in seinen spaeteren Jahren war er nicht mehr Regent, wenn +er nach vollbrachtem Tagesgeschaeft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der +Ironie, man koennte vielleicht sagen der Bouffonnerie, geht durch seine +ganze Natur. Noch als Regent befahl er, waehrend er die Versteigerung +der Gueter der Geaechteten leitete, fuer ein ihm ueberreichtes +schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu +verabreichen unter der Bedingung, dass er gelobe, ihn niemals wieder zu +besingen. Als er vor der Buergerschaft Ofenas Hinrichtung rechtfertigte, +geschah es, indem er den Leuten die Fabel erzaehlte von dem Ackersmann +und den Laeusen. Seine Gesellen waehlte er gern unter den Schauspielern +und liebte es, nicht bloss mit Quintus Roscius, dem roemischen Talma, +sondern auch mit viel geringeren Buehnenleuten beim Weine zu sitzen; +wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Auffuehrung +in seinem Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen +Bacchanalien ihm weder die koerperliche noch die geistige Spannkraft +verloren; noch in der laendlichen Musse seiner letzten Jahre lag +er eifrig der Jagd ob, und dass er aus dem eroberten Athen die +Aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wohl fuer sein +Interesse auch an ernsterer Lektuere. Das spezifische Roemertum +stiess ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die roemischen Grossen +gegenueber den Griechen zu entwickeln liebten, und von der Feierlichkeit +beschraenkter grosser Maenner hatte Sulla nichts, vielmehr liess er +gern sich gehen, erschien wohl zum Skandal mancher seiner Landsleute +in griechischen Staedten in griechischer Tracht oder veranlasste seine +adligen Gesellen, bei den Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch +weniger war ihm von den halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen +geblieben, die in Laendern freier Verfassung jede jugendliche Kapazitaet +auf den politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder +andere einmal empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war, +schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nuechternem +Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wuenschen und Streben +mochte ihm eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom +Zufall regiert ward und wo, wenn ueberhaupt auf etwas, man ja doch auf +nichts spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der +Zeit, zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben +folgte auch er. Seine wunderliche Glaeubigkeit ist nicht der plebejische +Koehlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen fuer Geld sich wahrsagen +und seine Handlungen durch ihn bestimmen laesst; noch weniger der +finstere Verhaengnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das +Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhaengende +Ordnung der Dinge durch und durch zurueckgekommenen Menschen notwendig +sich einstellt, der Aberglaube des gluecklichen Spielers, der sich vom +Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und ueberall die rechte Nummer +zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den +Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die +Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, aeusserte er, dass es +demjenigen nimmermehr fehlen koenne, dem die Goetter selbst die Kasse +fuellten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, dass sie sich +scheuten, die verlangten Schaetze zu senden, da die Zither des Gottes +hell geklungen, als man sie beruehrt, liess er ihnen zuruecksagen, dass +man sie nun um so mehr schicken moege, denn offenbar stimme der Gott +seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem +Gedanken, der auserwaehlte Liebling der Goetter zu sein, ganz besonders +jener, der er bis in seine spaeten Jahre vor allen den Preis gab, der +Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie +ruehmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Traeumen und Anzeichen die +Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht, +auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf sein +einzig treues Glueck. Er pflegte wohl zu sagen, dass jedes improvisierte +Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmaessig angelegte, und +eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf +seiner Seite gefallenen Leute regelmaessig als null anzugeben, ist +doch auch nichts als die Kinderei eines Glueckskindes. Es war nur der +Ausdruck der ihm natuerlichen Stimmung, als er, auf dem Gipfel seiner +Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe +unter sich sehend, die Bezeichnung des Gluecklichen, Sulla Felix, +als foermlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende +Benennungen beilegte. Nichts lag Sulla ferner als der planmaessige +Ehrgeiz. Er war zu gescheit, um gleich den Dutzendaristokraten seiner +Zeit die Verzeichnung seines Namens in die konsularischen Register als +das Ziel seines Lebens zu betrachten; zu gleichgueltig und zu wenig +Ideolog, um sich mit der Reform des morschen Staatsgebaeudes freiwillig +befassen zu moegen. Er blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen, +in dem Kreis der vornehmen Gesellschaft und machte wie ueblich die +Aemterlaufbahn durch; Ursache sich anzustrengen hatte er nicht und +ueberliess dies den politischen Arbeitsbienen, an denen es ja nicht +fehlte. So fuehrte ihn im Jahre 647 (107) bei der Verlosung der +Quaestorenstellen der Zufall nach Afrika in das Hauptquartier des Gaius +Marius. Der unversuchte hauptstaedtische Elegant ward von dem rauben +baeurischen Feldherrn und seinem erprobten Stab nicht zum besten +empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte Sulla, furchtlos und +anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk sich zu eigen +und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien zuerst jene +eigentuemliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, wegen deren +seine Zeitgenossen von ihm sagten, dass er halb Loewe, halb Fuchs +und der Fuchs in ihm gefaehrlicher sei als der Loewe. Dem jungen, +hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermassen der +eigentliche Beendiger des laestigen Numidischen Krieges war, oeffnete +jetzt sich die glaenzendste Laufbahn; er nahm auch teil am +Kimbrischen Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen +Verpflegungsgeschaeftes sein ungemeines Organisationstalent; +nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des +hauptstaedtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In +der Praetur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben +hatte, im Jahre 661 (93) uebernahm, fuegte es sich abermals, dass ihm +in seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg ueber +Koenig Mithradates und der erste Vertrag mit den maechtigen Arsakiden +sowie deren erste Demuetigung gelang. Der Buergerkrieg folgte. Sulla war +es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion +zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich +gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand +mit energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glueck schien sich +ein Geschaeft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen +juengeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die +Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte, +wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollfuehrt; im +Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbuesste und +abgesetzt ward, gruendete Sulla seinen militaerischen Ruf und stieg +empor zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor +allem ein persoenlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war, +endigte mit Marius' Aechtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war +Sulla der beruehmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie +geworden. Es folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische +Krieg, die Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. +Wie der Kapitaen, der das brennende Schiff nicht loescht, sondern +fortfaehrt, auf den Feind zu feuern, harrte Sulla, waehrend die +Revolution in Italien tobte, in Asien unerschuettert aus, bis der +Landesfeind gezwungen war. Mit diesem fertig, zerschmetterte er +die Anarchie und rettete die Hauptstadt vor der Brandfackel der +verzweifelnden Samniten und Revolutionaere. Der Moment der Heimkehr war +fuer Sulla ein ueberwaeltigender in Freude und in Schmerz; er selbst +erzaehlt in seinen Memoiren, dass er die erste Nacht in Rom kein Auge +habe zutun koennen, und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war +seine Aufgabe nicht zu Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter +Selbstherrscher wie nur je ein Koenig und doch durchaus verharrend +auf dem Boden des formellen Rechts, zuegelte er die ultrareaktionaere +Partei, vernichtete die seit vierzig Jahren die Oligarchie einengende +Gracchische Verfassung und zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz +machenden Maechte der Kapitalisten und des hauptstaedtischen +Proletariats, endlich den im Schosse seines eigenen Stabes erwachsenen +Uebermut des Saebels wieder unter das neu befestigte Gesetz. +Selbstaendiger als je stellte er die Oligarchie hin, legte die +Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre Haende, verlieh ihr die +Gesetzgebung, die Gerichte, die militaerische und finanzielle Obergewalt +und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten Sklaven, eine Art Heer +in den angesiedelten Militaerkolonisten. Endlich, als das Werk vollendet +war, trat der Schoepfer zurueck von seiner Schoepfung; freiwillig ward +der absolute Selbstherrscher wieder einfacher Senator. In dieser ganzen +langen militaerischen und politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht +verloren, nie einen Schritt zuruecktun muessen und ungeirrt von Feinden +und Freunden sein Werk gefuehrt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl +hatte er Ursache, seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Goettin des +Gluecks schien hier einmal die Laune der Bestaendigkeit angewandelt und +sie darin sich gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen +und Ehren zu haeufen, was er begehrte und nicht begehrte. Aber die +Geschichte wird gerechter gegen ihn sein muessen, als er es gegen sich +selber war, und ihn in eine hoehere Reihe stellen als in die der blossen +Favoriten der Fortuna. Nicht als waere die Sullanische Verfassung ein +Werk politischer Genialitaet, wie zum Beispiel die Gracchische und +die Caesarische. Es begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der +Restauration mit sich bringt, auch nicht ein staatsmaennisch neuer +Gedanke; alle ihre wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat +durch Bekleidung der Quaestur, die Aufhebung des zensorischen Rechts, +den Senator aus dem Senate zu stossen, die legislatorische Initiative +des Senats, die Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug +des Senats zur Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer +des Oberamts auf zwei Jahre, der Uebergang des Kommandos von dem +Volksmagistrat auf den senatorischen Prokonsul oder Propraetor, +selbst die neue Kriminal- und Munizipalordnung sind nicht von Sulla +geschaffene, sondern frueher schon aus dem oligarchischen Regiment +entwickelte und durch ihn nur regulierte und fixierte Institutionen. Ja +selbst die seiner Restauration anhaftenden Greuel, die Aechtungen +und Konfiskationen, sind sie, verglichen mit den Taten der Nasica, +Popillius, Opimius, Caepio und so weiter, etwas anderes als die +rechtliche Formulierung der hergebrachten oligarchischen Weise, sich +der Gegner zu entledigen? Ueber die roemische Oligarchie dieser Zeit nun +gibt es kein Urteil als unerbittliche und ruecksichtslose Verdammung; +und wie alles andere, was ihr anhaengt, ist davon auch die Sullanische +Verfassung vollstaendig mitbetroffen. Das von der Genialitaet des Boesen +bestochene Lob versuendigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte; +aber daran wird man doch erinnern duerfen, dass weit weniger Sulla die +Sullanische Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten +als Clique regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften +Entnervung und Verbissenheit verfallende roemische Aristokratie +insgesamt, und dass alles, was darin schal, und alles, was darin +verrucht ist, am letzten Ende auf diese zurueckfaellt. Sulla hat den +Staat reorganisiert, aber nicht wie der Hausherr, der sein zerruettetes +Gewese und Gesinde nach eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern +wie der zeitweilige Geschaeftsfuehrer, der seiner Anweisung getreu +nachkommt; es ist flach und falsch, in diesem Falle die schliessliche +und wesentliche Verantwortung von dem Geschaeftsherrn ab auf den +Verwalter zu waelzen. Man schlaegt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder +findet vielmehr mit jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden +und nie wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und +Restaurationen viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk +eines zufaellig an die Spitze des Staats geratenen Wueterichs ansieht. +Adelstaten waren dies und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht +mehr dabei als, mit dem Dichter zu reden, das hinter dem bewussten +Gedanken unbewusst herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit +wunderbarer, ja daemonischer Vollkommenheit durchgefuehrt; innerhalb +der Grenzen aber, die sie ihm gezogen, hat er nicht bloss grossartig, +sondern selbst nuetzlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und +stetig tiefer sinkende Aristokratie, wie die roemische damals war, einen +Vormund gefunden, der so wie Sulla willig und faehig war, ohne jede +Ruecksicht auf eigenen Machtgewinn fuer sie den Degen des Feldherrn +und den Griffel des Gesetzgebers zu fuehren. Es ist freilich ein +Unterschied, ob ein Offizier aus Buergersinn das Szepter verschmaeht +oder aus Blasiertheit es wegwirft; aber in der voelligen Abwesenheit +des politischen Egoismus - freilich auch nur in diesem einen - +verdient Sulla neben Washington genannt zu werden. Aber nicht bloss die +Aristokratie, das gesamte Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt +gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revolution, insoweit +sie beruhte auf der Zuruecksetzung einzelner minder berechtigter gegen +andere besser berechtigte Distrikte, endgueltig geschlossen und ist, +indem er sich und seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller +Italiker vor dem Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber +der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit +endloser Not und Stroemen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft +war. Aber Sulla hat noch mehr getan. Seit laenger als einem halben +Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in +Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung +war Anarchie und gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit aergere +Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in +jenem ebenso verwirrten wie naturwidrigen Buendnis mit den Samniten +widerspiegelt, der unklarste, unertraeglichste, heilloseste aller +denkbaren politischen Zustaende, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist +nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass das lange unterhoehlte +roemische Gemeinwesen notwendig haette zusammenstuerzen muessen, wenn +nicht durch die Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz +desselben gerettet haette. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig +Bestand gehabt wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, +dass sein Bau kein solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, +darueber zu uebersehen, dass ohne Sulla hoechstwahrscheinlich der +Bauplatz selbst von den Fluten waere fortgerissen worden; und auch jener +Tadel trifft zunaechst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in +dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter +tun konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und +geahnt hat er es selbst, dass er wohl eine Festung, aber keine Besatzung +zu schaffen vermoege und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen +jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine +Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm; +es ist kein Vorwurf fuer den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt spaeter +die Wellen den naturwidrigen und von den Geschuetzten selbst nicht +verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung +auf hoechst loebliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen +Steuerwesens und der Kriminaljustiz, beduerfen, um Sullas ephemere +Restauration nicht geringschaetzig abzufertigen, sondern wird darin eine +richtig entworfene und unter unsaeglichen Schwierigkeiten im grossen +und ganzen konsequent durchgefuehrte Reorganisation des roemischen +Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der italischen +Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen. Freilich ist es +nicht bloss der Staatsmann, der im Totengericht Stimme hat, und das +empoerte menschliche Gefuehl wird mit Recht sich nie mit dem versoehnen, +was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla hat seine +Gewaltherrschaft nicht bloss mit ruecksichtsloser Gewaltsamkeit +begruendet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen +Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich +verdorben hat mit der grossen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor +dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber allerdings +auch dem sittlichen Urteil wegen der Kuehle und Klarheit seines Frevels +noch empoerender erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher. +Aechtungen, Belohnungen der Henker, Gueterkonfiskationen, kurzer Prozess +gegen unbotmaessige Offiziere waren hundertmal vorgekommen, und die +stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte fuer +diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhoert, dass die +Namen der vogelfreien Maenner oeffentlich angeschlagen und die Koepfe +oeffentlich ausgestellt wurden, dass den Banditen eine feste +Summe ausgesetzt und dieselbe in die oeffentlichen Kassenbuecher +ordnungsmaessig eingetragen ward, dass das eingezogene Gut gleich der +feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer kam, dass der +Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen liess und vor +allem Volk sich zu der Tat bekannte. Diese oeffentliche Verhoehnung +der Humanitaet ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu +beigetragen, spaetere revolutionaere Krisen im voraus zu vergiften, und +noch jetzt ruht deswegen verdientermassen ein finsterer Schatten auf +dem Andenken des Urhebers der Proskriptionen. Mit Recht darf man ferner +tadeln, dass Sulla, waehrend er in allen wichtigen Dingen ruecksichtslos +durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personenfragen sehr +haeufig seinem sanguinischen Temperament nachgab und nach Neigung oder +Abneigung verfuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Hass empfand, wie gegen +die Marier, ihm zuegellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen +und von sich selbst geruehmt, dass niemand besser als er Freunden und +Feinden vergolten habe ^13. Er verschmaehte es nicht, bei Gelegenheit +seiner Machtstellung, ein kolossales Vermoegen zu sammeln. Der erste +absolute Monarch des roemischen Staats, bewaehrte er den Kernspruch des +Absolutismus, dass den Fuersten die Gesetze nicht binden, sogleich an +den von ihm selbst erlassenen Ehebruchs- und Verschwendungsgesetzen. +Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat +sein laessliches Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon +seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische +Notwendigkeit geboten war, laesst sich hierher rechnen; viel +schaedlicher aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen +Anhang. Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so +zum Beispiel ward dem Lucius Murena fuer die durch die schlimmste +Verkehrtheit und Unbotmaessigkeit erlittenen Niederlagen nicht bloss die +Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestanden; so wurde Gnaeus +Pompeius, der sich noch schwerer vergangen hatte, von Sulla noch +verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die aergsten Frevel der +Aechtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich weniger aus Sullas +eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum +verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Dass Sulla bei +seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgueltigen Wesen sehr +verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich streng +auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, dass er vor +seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein blutduerstiger +Wueterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das +Gegenteil der frueheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen +muessen, dass er mit demselben nachlaessigen Gleichmut strafte, mit dem +er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht ueberhaupt durch +sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie +es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glueck zu schelten, auch +der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe Empfindung von der +Nichtigkeit und Vergaenglichkeit des eigenen Werkes; als ziehe er nach +Verwalterart das Ausbessern dem Einreissen und Umbauen vor und lasse +sich am Ende auch mit einer leidlichen Uebertuenchung der Schaeden +genuegen. ----------------------------------------------------- ^13 +Euripides, Medeia, 807: Es soll mich keiner achten schwaechlich und +gering, Gutmuetig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff, Den +Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll. +----------------------------------------------------- Wie er nun aber +war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. Sein +ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines Wesens; +in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unveraendert derselbe. Es war +derselbe Sinn, der nach den glaenzenden Erfolgen in Afrika ihn wieder +den hauptstaedtischen Muessiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der +absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden liess in seiner cumanischen +Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, dass ihm die oeffentlichen +Geschaefte eine Last seien, die er abwarf, so wie er durfte und konnte. +Auch nach der Resignation blieb er voellig sich gleich, ohne Unmut und +ohne Affektation, froh, der oeffentlichen Geschaefte entledigt zu sein +und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd +und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren fuellten seine muessigen +Stunden; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen +Buerger die inneren Verhaeltnisse der benachbarten Kolonie Puteoli +ebenso sicher und rasch wie frueher die Verhaeltnisse der Hauptstadt. +Seine letzte Taetigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf die +Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des Kapitolinischen +Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr vergoennt war. Wenig +ueber ein Jahr nach seinem Ruecktritt, im sechzigsten Lebensjahr, frisch +an Koerper und Geist, ward er vom Tode ereilt; nach kurzem Krankenlager +- noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie +- raffte ein Blutsturz ^14 ihn hinweg (676 78). Sein getreues Glueck +verliess ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wuenschen, noch einmal +in den widerwaertigen Strudel der Parteikaempfe hineingezogen zu werden +und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution fuehren +zu muessen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien +und in Italien haette bei laengerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben +koennen. Schon jetzt, da von seiner feierlichen Bestattung in der +Hauptstadt die Rede war, wurden zahlreiche Stimmen, die bei seinen +Lebzeiten geschwiegen hatten, dort gegen die letzte Ehre laut, die +man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu +frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig; es wurde +beschlossen, die Leiche nach der Hauptstadt bringen zu lassen und dort +die Exequien zu begehen. Nie hat Italien eine grossartigere Trauerfeier +gesehen. Ueberall wo der koeniglich geschmueckte Tote hindurchgetragen +ward, ihm vorauf seine wohlbekannten Feldzeichen und Rutenbuendel, da +schlossen die Einwohner und vor allem seine alten Lanzknechte an das +Trauergefolge sich an; es schien, als wollte die gesamte Truppe um den +Mann, der sie im Leben so oft und nie anders als zum Siege gefuehrt +hatte, noch einmal im Tode sich vereinigen. So gelangte der endlose +Leichenzug in die Hauptstadt, wo die Gerichte feierten und alle +Geschaefte ruhten und zweitausend goldene Kraenze, als letzte Ehrengabe +der treuen Legionen, der Staedte und der naeheren Freunde, des Toten +harrten. Sulla hatte, dem Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemaess, +seinen Koerper unverbrannt beizusetzen verordnet; aber andere waren +besser als er dessen eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und +kuenftige Tage bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die +Leiche des Mannes, der die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe +aufgestoert hatte, den Flammen uebergeben. Geleitet von allen Beamten +und dem gesamten Senat, den Priestern und Priesterinnen in ihrer +Amtstracht und der ritterlich geruesteten adligen Knabenschar gelangte +der Zug auf den grossen Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast +noch von dem Klange seiner gefuerchteten Worte erfuellten Platz ward dem +Toten die Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern +der Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen +errichtet war. Waehrend er in Flammen loderte, hielten die Ritter und +die Soldaten den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber +ward auf dem Marsfeld neben den Graebern der alten Koenige beigesetzt, +und ein Jahr hindurch haben die roemischen Frauen um ihn getrauert. +--------------------------------------------------- ^14 Nicht die +Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfachen +Grunde, dass eine solche Krankheit nur in der Phantasie existiert. +--------------------------------------------------- 11. Kapitel Das +Gemeinwesen und seine Oekonomie Ein neunzigjaehriger Zeitraum, vierzig +Jahr tiefen Friedens, fuenfzig einer fast permanenten Revolution liegen +hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, die die roemische +Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und oestlicher Richtung +die Alpen ueberschritten und gelangten die roemischen Waffen auf der +spanischen Halbinsel bis zum Atlantischen Ozean, auf der makedonisch- +griechischen bis zur Donau; aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare +Lorbeeren. Der Kreis der "auswaertigen Voelkerschaften in der +Willkuer, Botmaessigkeit, Herrschaft oder Freundschaft der roemischen +Buergerschaft" ^1 ward nicht wesentlich erweitert; man begnuegte sich, +den Erwerb einer besseren Zeit zu realisieren und die in loseren Formen +der Abhaengigkeit an Rom geknuepften Gemeinden mehr und mehr in die +volle Untertaenigkeit zu bringen. Hinter dem glaenzenden Vorhang +der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fuehlbares Sinken der +roemischen Macht. Waehrend die gesamte antike Zivilisation +immer bestimmter in dem roemischen Staat zusammengefasst, immer +altgemeingueltiger in demselben formuliert ward, fingen zugleich +jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr ausgeschlossenen +Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff ueberzugehen. Auf den +Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chaeroneia und +Orchomenos wurden die ersten Schlaege desjenigen Gewitters vernommen, +das ueber die italisch-griechische Welt zu bringen die germanischen +Staemme und die asiatischen Horden bestimmt waren und dessen letztes +dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Aber auch +in der inneren Entwicklung traegt diese Epoche denselben Charakter. +Die alte Ordnung stuerzt unwiederbringlich zusammen. Das roemische +Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde, welche durch ihre freie +Buergerschaft sich selber die Herren und die Gesetze gab, welche von +diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser gesetzlichen Schranken +mit koeniglicher Freiheit geleitet ward, um welche teils die italische +Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, der roemischen wesentlich +gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, teils die +ausseritalische Bundesgenossenschaft als ein Inbegriff griechischer +Freistaedte und barbarischer Voelker und Herrschaften, beide von der +Gemeinde Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zweifachem Kreise +sich schlossen. Es war das letzte Ergebnis der Revolution - und beide +Parteien, die nominell konservative wie die demokratische Partei, +hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen -, dass von diesem +ehrwuerdigen Bau, der am Anfang der gegenwaertigen Epoche zwar rissig +und schwankend, aber doch noch aufrecht gestanden, am Schluss derselben +kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveraene Machthaber +war jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie +bald der Vornehmen, bald der Reichen. Die Buergerschaft hatte +jeden rechtlichen Anteil am Regiment verloren. Die Beamten waren +unselbstaendige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Machthabers. Die +Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatuerliche Erweiterung sich +selber zersprengt. Die italische Eidgenossenschaft war aufgegangen +in die Stadtgemeinde. Die ausseritalische Bundesgenossenschaft war im +vollen Zug sich in eine Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte +organische Gliederung des roemischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen +und nichts uebrig geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder +disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere +und aeussere Aufloesung des Staats ueberzugehen. Die politische Bewegung +lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darueber noch ward +gestritten, ob der geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der +Kapitalistensenat oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische +Bewegung ging durchaus die zum Despotismus fuehrenden Wege: der +Grundgedanke des freien Gemeinwesens, dass die ringenden Maechte +gegenseitig sich auf mittelbaren Zwang beschraenken, war allen Parteien +gleichmaessig abhanden gekommen, und hueben und drueben fingen zuerst +die Knuettel, bald auch die Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. +Die Revolution, insofern zu Ende, als die alte Verfassung von beiden +Seiten als definitiv beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen +politischen Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch fuer diese +Reorganisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Loesungen +gefunden; weder die Gracchische noch die Sullanische Konstituierung +der Gemeinde trugen einen abschliessenden Charakter. Das aber war das +Bitterste dieser bitteren Zeit, dass dem klarsehenden Patrioten selbst +das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit +all ihrer unendlichen Segensfuelle ging unaufhaltsam unter, und die +Daemmerung senkte sich ueber die eben noch so glaenzende Welt. Es war +keine zufaellige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie haetten +wehren koennen; es waren uralte soziale Schaeden, im letzten Kern +der Ruin des Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das +roemische Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann +war in der Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie +zu verlaengern und zu verkuerzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser +beraten, je rascher und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten +freiheitlichen Verfassung beseitigte und fuer das bescheidene Mass +menschlichen Gedeihens, wofuer in dem Absolutismus Raum ist, die neuen +Formen und Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter +den gegebenen Verhaeltnissen gegenueber jeder Oligarchie zukam, lag +wesentlich ebendarin, dass ein solcher energisch nivellierender und +energisch aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behoerde +nimmermehr geuebt werden konnte. Allein diese kuehlen Erwaegungen machen +keine Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut fuer die +Zukunft. Man musste eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren +werde, nicht leben und nicht sterben zu koennen, und ob es schliesslich +an einer maechtigen Natur seinen Meister und, soweit dies moeglich war, +seinen Neuschoepfer finden oder in Elend und Schwaeche +zusammenstuerzen werde. +------------------------------------------------------------------------ +^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave +populi Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der +nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen +"Eidgenossen und Stammverwandten" (socii nominisve Latini). +----------------------------------------------------------------------- +Es bleibt noch uebrig, die oekonomische und soziale Seite dieses +Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits frueher geschehen +ist. Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich +auf den Einkuenften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, +die hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen +Gefaellen als ausserordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der +Schlacht von Pydna nicht wieder erhoben, so dass die unbedingte +Grundsteuerfreiheit anfing, als ein verfassungsmaessiges Vorrecht des +roemischen Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats, +wie das Salzmonopol und das Muenzrecht, wurden, wenn ueberhaupt je, +so wenigstens jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue +Erbschaftssteuer liess man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht +geradezu ab. Demnach zog die roemische Staatskasse aus Italien +einschliesslich des diesseitigen Galliens nichts als teils den +Domaenenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den +Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen +und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einfuehrenden in das roemische +Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als +Luxussteuern betrachtet werden koennen und allerdings durch die +Ausdehnung des roemischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz +Italien, wahrscheinlich mit Einschluss des diesseitigen Galliens, +ansehnlich gesteigert werden mussten. In den Provinzen nahm der +roemische Staat zunaechst als Privateigentum in Anspruch teils in +den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte Mark, teils +in denjenigen Staaten, wo die roemische Regierung an die Stelle der +ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen innegehaltenen +Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von Leontinoi, +Karthago, Korinth, das Domanialgut der Koenige von Makedonien, Pergamon +und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien als roemische Domaenen +galten und, aehnlich wie das Gebiet von Capua, von den roemischen +Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer Ertragsquote oder einer +bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Dass Gaius Gracchus noch weiter +ging, das gesamte Provinzialland als Domaene ansprach und zunaechst fuer +die Provinz Asia diesen Satz insofern praktisch durchfuehrte, als er +den Bodenzehnten, die Hut- und Hafengelder daselbst rechtlich motivierte +durch das Eigentumsrecht des roemischen Staats an Acker, Wiese und +Kueste der Provinz, mochten diese nun frueher dem Koenig oder Privaten +gehoert haben, ward bereits frueher ausgefuehrt. Nutzbare Staatsregalien +scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen gegenueber noch +nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und Oelbaues im +Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher nicht zugute. +Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in grossem Umfang erhoben. +Die als vollstaendig souveraen anerkannten Klientelstaaten, also zum +Beispiel die Koenigreiche Numidien und Kappadokien, die Bundesstaedte +(civitates foederatae) Rhodos, Messana, Tauromenion, Massalia, Gades +waren rechtlich steuerfrei und durch ihren Vertrag nur verpflichtet, die +roemische Republik in Kriegszeiten teils durch regelmaessige Stellung +einer festen Anzahl von Schiffen oder Mannschaften auf ihre Kosten, +teils, wie natuerlich, im Notfall durch ausserordentliche Hilfsleistung +jeder Art zu unterstuetzen. Das uebrige Provinzialgebiet dagegen, selbst +mit Einschluss der Freistaedte, unterlag durchgaengig der Besteuerung, +und nur die mit roemischem Buergerrecht beliehenen Staedte, wie Narbo, +und die speziell mit der Steuerfreiheit beschenkten Gemeinden (civitates +immunes), wie Kentoripa in Sizilien, waren hiervon ausgenommen. Die +direkten Abgaben bestanden teils, wie in Sizilien und Sardinien, in +einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben und sonstigen Feldfruechte +wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das Land zur Weide lag, einem +entsprechenden Hutgeld; teils, wie in Makedonien, Achaia, Kyrene, dem +groessten Teil von Africa, beiden Spanien, nach Sulla auch in Asia, in +einer von jeder einzelnen Gemeinde jaehrlich nach Rom zu entrichtenden +festen Geldsumme (stipendium, tributum), welche zum Beispiel fuer ganz +Makedonien 600000 (183000 Taler), fuer die kleine Insel Gyaros bei +Andros 150 Denare (46 Taler) betrug und allem Anschein nach im +ganzen niedrig und geringer war als die vor der roemischen Herrschaft +entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten und Hutgelder verdang der Staat +gegen Lieferung fester Quantitaeten Korn oder fester Geldsummen an +Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen hielt er sich an die +einzelnen Gemeinden und ueberliess es diesen, den Betrag nach den von +der roemischen Regierung im allgemeinen festgestellten Prinzipien auf +die Steuerpflichtigen zu repartieren und von diesen einzuziehen 3. +Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen von den untergeordneten +Chaussee-, Bruecken- und Kanalgeldern, wesentlich in den Zoellen. +Die Zoelle des Altertums waren, wo nicht ausschliesslich doch sehr +vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzoelle auf die zur Feilbietung +bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden von jeder Gemeinde +in ihren Haefen und ihrem Gebiet nach Ermessen erhoben. Die Roemer +erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als sich ihr +urspruengliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der roemische +Buergerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein +allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des +Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden fuer den roemischen +Staat wohl durchaus Zollfreiheit, fuer den roemischen Buerger vielfach +wenigstens Zollbeguenstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken, +die nicht zum Buendnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher +Untertaenigkeit standen, auch nicht die Immunitaet erworben hatten, +fielen die Zoelle doch selbstverstaendlich an den eigentlichen +Souveraen, das heisst an die roemische Gemeinde; und infolgedessen +wurden einzelne groessere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere +roemische Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen +verbuendeten oder mit Immunitaet beliehenen Gemeinden als vom roemischen +Zoll befreit enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der +karthagischen Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von +allen aus- und eingehenden Waren eine Abgabe von fuenf Prozent vom Wert +erhoben ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen +Gesetzes eine aehnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward +in aehnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschliesslich der Feldmark der +roemischen Kolonie, als roemischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser +Einrichtung mag ausser den fiskalischen Zwecken auch die loebliche +Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzoellen +unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmaessige +Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zoelle +gleich den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmaenner verdungen. +----------------------------------------------------------------- 2 +Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum erhebt, +ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentuemerzehnten, den er auf das +Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein +fuer allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers, +verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende +Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr. +3, 6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Roemisches +Staatsrecht, Bd. 3, S. 730. 3 Das Verfahren war, wie es scheint, +folgendes. Die roemische Regierung bestimmte zunaechst die Gattung +und die Hoehe der Abgabe: so zum Beispiel ward in Asien auch nach der +Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte Garbe erhoben (App. civ. 5 +4); so steuerten nach Caesars Verordnung die Juden jedes andere Jahr +ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, 6; vgl. 2, 5); so ward in +Kilikien und Syrien spaeter 5 vom Hundert des Vermoegens (App. Syr. 50) +und auch in Africa eine, wie es scheint, aehnliche Abgabe entrichtet, +wobei uebrigens das Vermoegen nach gewissen Praesumtionen, z. B. nach +der Groesse des Bodenbesitzes, der Zahl der Tueroeffnungen, der Kopfzahl +der Kinder und Sklaven abgeschaetzt worden zu sein scheint (exactio +capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von Kilikien; phoros epi +t/e/ g/e/ kai tois s/o/masin, App. Pun. 135, fuer Africa). Nach dieser +Norm wurde von den Gemeindebehoerden unter Oberaufsicht des roemischen +Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23) +festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen +Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata epikephalia Cic. Att. 5, I6); +wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward +ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur +Einziehung uebertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; /o/nas +omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floss den +Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon +zu senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte +Geldbetrag nach Rom abgefuehrt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar +erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umstaenden, entweder +einen Teil des Ertrags der Steuer fuer sich oder setzte aus eigenem +Vermoegen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch +Publikanen lag lediglich darin, dass dort die Gemeindebehoerde der +Kontribuablen, hier roemische Privatunternehmer den Vermittler machten. +------------------------------------------------------- Hierauf waren +die ordentlichen Lasten der roemischen Steuerpflichtigen beschraenkt, +wobei uebrigens nicht uebersehen werden darf, dass die Erhebungskosten +hoechst betraechtlich waren und die Kontribuablen unverhaeltnismaessig +mehr zahlten, als die roemische Regierung empfing. Denn wenn das +System der Steuereinziehung durch Mittelsmaenner, namentlich durch +Generalpaechter, schon an sich von allen das verschwenderischste ist, +so ward in Rom noch durch die geringe Teilung der Pachtungen und +die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame Konkurrenz aufs +aeusserste erschwert. Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen +noch erstlich die Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militaerverwaltung +trug von Rechts wegen die roemische Gemeinde. Sie versah die +Kommandanten jeder Provinz mit den Transportmitteln und allen sonstigen +Beduerfnissen; sie besoldete und versorgte die roemischen Soldaten in +der Provinz. Nur Dach und Fach, Holz, Heu und aehnliche Gegenstaende +hatten die Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich +zu gewaehren; ja die freien Staedte waren sogar auch von der +Wintereinquartierung - feste Standlager kannte man noch nicht - +regelmaessig befreit. Wenn der Statthalter also Getreide, Schiffe, +Sklaven zu deren Bemannung, Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte, +so stand es ihm zwar im Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in +Friedenszeiten frei, solche Lieferungen nach Ermessen und Beduerfnis +von den Untertanengemeinden oder den souveraenen Klientelstaaten +einzufordern, allein dieselben wurden, gleich der roemischen +Grundsteuer, rechtlich als Kaeufe oder Vorschuesse behandelt und der +Wert von der roemischen Staatskasse sogleich oder spaeter ersetzt. Aber +dennoch wurden, wenn nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch +praktisch, diese Requisitionen eine der drueckendsten Belastungen der +Provinzialen; um so mehr, als die Entschaedigungsziffer regelmaessig von +der Regierung oder gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es +begegnen wohl einzelne gesetzliche Beschraenkungen dieses gefaehrlichen +Requisitionsrechts der roemischen Oberbeamten - so die schon erwaehnte +Vorschrift, dass in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen +nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfuer der +Preis nicht einseitig ausgemacht werden duerfte; die Bestimmung eines +Maximalquantums des von dem Statthalter fuer seine und seines Gefolges +Beduerfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgaengige Anordnung +einer festbestimmten und hochgegriffenen Verguetung fuer das Getreide, +das wenigstens in Sizilien haeufig fuer die Beduerfnisse der Hauptstadt +eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der +Druck jener Requisitionen auf die Oekonomie der Gemeinden und der +einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs +beseitigt. In ausserordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich +unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die +Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der +der erzwungenen freiwilligen Beitraege erfolgten, die Verguetung +also ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die +kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste +gegen Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen +vierzigfachen (fuer den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio +fuenfundsiebzigfachen Sold zu gewaehren, ausserdem Kleidung und Tisch +nebst dem Recht, nach Belieben Gaeste einzuladen; so schrieb derselbe +Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und +Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natuerlich keine Rede +war. Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. +Sie muessen verhaeltnismaessig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da +die Verwaltungskosten, die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude, +ueberhaupt alle Zivilausgaben von den staedtischen Budgets getragen +wurden und die roemische Regierung lediglich das Militaerwesen aus ihrer +Kasse zu bestreiten uebernahm. Sogar von diesem Militaerbudget aber +wurden noch betraechtliche Posten auf die Gemeinden abgewaelzt - so die +Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militaerstrassen, +die der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu +einem grossen Teil die Ausgaben fuer das Heerwesen, insofern die +Wehrmannschaft der Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten +ihrer Gemeinden innerhalb ihrer Provinz regelmaessig zum Dienst +herangezogen wurden und auch ausserhalb derselben Thraker in Afrika, +Afrikaner in Italien und so weiter an jedem beliebigen Ort immer +haeufiger anfingen, mitverwendet zu werden. Wenn nur die Provinzen, +nicht aber Italien direkte Abgaben an die Regierung entrichtete, so war +dies wo nicht politisch, doch finanziell billig, solange als Italien +die Lasten und Kosten des Militaerwesens allein trug; seit dies aber +aufgegeben ward, waren die Provinzialen auch finanziell entschieden +ueberlastet. ------------------------------------------------- 4 +Beispielsweise entrichtete in Judaea die Stadt Joppe 26075 roemische +Scheffel Korn, die uebrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfuersten; +wozu dann noch der Tempelschoss und die fuer die Roemer bestimmte +sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem roemischen +Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermoegen erhoben. +------------------------------------------------- Endlich ist das +grosse Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch das die roemischen +Beamten und Steuerpaechter in der mannigfaltigsten Weise die Steuerlast +der Provinzen steigerten. Man mochte jedes Geschenk, das der Statthalter +nahm, gesetzlich als erpresstes Gut behandeln, und selbst das Recht zu +kaufen ihm durch Gesetz beschraenken, seine oeffentliche Taetigkeit bot +ihm, wenn er unrecht tun wollte, dennoch der Handhaben mehr als genug. +Die Einquartierung der Truppen; die freie Wohnung der Beamten und +des Schwarmes von Adjutanten senatorischen oder Ritterranges, von +Schreibern, Gerichtsdienern, Herolden, Aerzten und Pfaffen; das +den Staatsboten zukommende Recht unentgeltlicher Befoerderung; die +Approbierung und der Transport der schuldigen Naturallieferungen; vor +allem die Zwangsverkaeufe und die Requisitionen gaben allen Beamten +Gelegenheit, aus den Provinzen fuerstliche Vermoegen heimzubringen; und +das Stehlen ward immer allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung +sich als null erwies und die der Kapitalistengerichte sogar als +gefaehrlich allein fuer den ehrlichen Beamten. Die durch die Haeufigkeit +der Klagen ueber Beamtenerpressung in den Provinzen veranlasste +Einrichtung einer stehenden Kommission fuer dergleichen Faelle im Jahre +605 (149) und die rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden +Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die +immer wachsende Hoehe des Uebels. Unter all diesen Verhaeltnissen konnte +selbst eine der Anlage nach maessige Besteuerung effektiv aeusserst +drueckend werden, und dass sie dies war, ist ausser Zweifel, wenngleich +der oekonomische Druck, den die italischen Kaufleute und Bankiers auf +die Provinzen uebten, noch weit schwerer auf denselben gelastet haben +mag als die Besteuerung mit allen daran haengenden Missbraeuchen. Fassen +wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen zog, +nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den wir +jetzt damit verbinden, sondern vielmehr ueberwiegend eine den attischen +Tributen vergleichbare Hebung, womit der fuehrende Staat die Kosten des +von demselben uebernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus erklaert sich +auch die auffallende Geringfuegigkeit des Roh- wie des Reinertrags. Es +findet sich eine Angabe, wonach die roemische Einnahme, vermutlich mit +Ausschluss der italischen Einkuenfte und des von den Zehntpaechtern in +Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum Jahr 691 (63) nicht +mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler); also nur zwei +Drittel der Summe, die der Koenig von Aegypten jaehrlich aus seinem +Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das Verhaeltnis befremden. +Die Ptolemaeer beuteten das Niltal aus wie grosse Plantagenbesitzer und +zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen monopolisierten Handelsverkehr +mit dem Orient; das roemische Aerar war nicht viel mehr als die +Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz geeinigten Gemeinden. Der +Reinertrag war wahrscheinlich verhaeltnismaessig noch geringer. +Einen ansehnlichen Ueberschuss lieferten wohl nur Sizilien, wo das +karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem Asia, seit Gaius +Gracchus, um seine Getreideverteilung moeglich zu machen, daselbst die +Bodenkonfiskation und die allgemeine Domanialbesteuerung durchgesetzt +hatte; nach vielfaeltigen Zeugnissen ruhten die roemischen +Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von Asia. Die Versicherung +klingt ganz glaublich, dass die uebrigen Provinzen durchschnittlich +ungefaehr so viel kosteten als sie einbrachten; ja diejenigen, welche +eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide Spanien, das Jenseitige +Gallien, Makedonien, moegen oft mehr gekostet als getragen haben. Im +ganzen blieb dem roemischen Aerar allerdings in gewoehnlichen Zeiten +ein Ueberschuss, welcher es moeglich machte, die Staats- und Stadtbauten +reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig aufzusammeln; aber auch +die fuer diese Betraege vorkommenden Ziffern, zusammengehalten mit +dem weiten Gebiet der roemischen Herrschaft, sprechen fuer die +Geringfuegigkeit des Reinertrags der roemischen Steuern. In gewissem +Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verstaendige Grundsatz: +die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu behandeln, ebenwie +die roemisch-italische so auch noch die provinziale Finanzverfassung +beherrscht. Was die roemische Gemeinde von ihren ueberseeischen +Untertanen erhob, ward der Regel nach auch fuer die militaerische +Sicherung der ueberseeischen Besitzungen wieder verausgabt; und wenn +diese roemischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer trafen als +die aeltere Besteuerung, dass sie grossenteils im Ausland verausgabt +wurden, so schloss dagegen die Ersetzung der vielen kleinen Herren +und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte +Militaerverwaltung eine sehr ansehnliche oekonomische Ersparnis ein. +Aber freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in +der Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstoert +und durchloechert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich +gestattete. Der hieronisch- karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging +weit hinaus ueber den Betrag eines jaehrlichen Kriegsbeitrags. Mit +Recht ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, dass es der roemischen +Buergerschaft uebel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zoellner der +Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzoelle war mit dem Grundsatz +der uneigennuetzigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Hoehe der +Zollsaetze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das +Gefuehl des hier zugefuegten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehoert +wohl schon dieser Zeit an, dass der Name des Zoellners den oestlichen +Voelkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Raeubers +ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den roemischen +Namen besonders im Osten widerwaertig und gehaessig zu machen. Als dann +aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich +in Rom die populaere nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden +fuer ein Recht erklaert, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine +Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum +verwandelt, das vollstaendige Exploitierungssystem nicht bloss +eingefuehrt, sondern mit unverschaemter Offenherzigkeit rechtlich +motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, dass dabei +eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und +Asia das haerteste Los traf. Einen ungefaehren Messer des roemischen +Finanzstandes dieser Zeit gewaehren in Ermangelung bestimmter Angaben +noch am ersten die oeffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser +Epoche wurden dieselben in groesstem Umfange betrieben, und vor allem +die Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefoerdert +worden. In Italien schloss sich an die grosse, vermutlich schon aeltere +Suedchaussee, die als Verlaengerung der Appischen von Rom ueber Capua, +Beneventum, Venusia nach den Haefen von Tarent und Brundisium lief, eine +Seitenstrasse an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des +Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostkueste, wo bisher nur +die Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Strasse +chaussiert gewesen war, wurde die Kuestenstrasse suedwaerts bis nach +Brundisium, nordwaerts ueber Hatria am Po bis nach Aquileia verlaengert +und wenigstens das Stueck von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten +Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden grossen +etrurischen Chausseen, die Kuesten- oder Aurelische Strasse von Rom nach +Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, +und die ueber Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia gefuehrte +Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, duerften als +roemische Staatschausseen erst dieser Zeit angehoeren. Um Rom selbst +bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Bruecke +(Ponte Molle), auf der die Flaminische Strasse unweit Rom den Tiber +ueberschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in +Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende +Flaminisch-Aemilische Kunststrasse gehabt hatte, wurde im Jahre 606 +(148) die grosse Postumische Strasse gebaut, die von Genua ueber +Dertona, wo wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegruendet ward, +weiter ueber Placentia, wo sie die Flaminisch-Aemilische Strasse +aufnahm, Cremona und Verona nach Aquileia fuehrte und also das +Tyrrhenische und das Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die +im Jahre 645 (109) durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung +zwischen Luna und Genua hinzukam, welche die Postumische Strasse +unmittelbar mit Rom verknuepfte. In einer anderen Weise war Gaius +Gracchus fuer das italische Wegewesen taetig. Er sicherte +die Instandhaltung der grossen Landstrassen, indem er bei der +Ackerverteilung laengs derselben Grundstuecke anwies, auf denen die +Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last haftete; auf ihn +ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission scheint, wie die +Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu bezeichnen, so +auch die der Errichtung von Meilensteinen zurueckzugehen; er sorgte +endlich fuer gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau zu +foerdern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in +dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen: +die Domitische Strasse stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg +von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gruendung von Aquae +Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische +fuehrten von den Hauptplaetzen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres, +jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland +hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im +Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Strassennetz fuehrte +von der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an +die Reichsgrenze - alles Anlagen, ueber deren Entstehung in der +truemmerhaften Ueberlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden +ist, die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der +roemischen Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien +unzweifelhaft in Zusammenhang standen und fuer die Zentralisierung des +Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte +von der groessten Bedeutung geworden sind. Wie fuer die Strassen war man +wenigstens in Italien auch fuer die grossen Entsumpfungsarbeiten taetig. +So ward im Jahre 594 (160) die Trockenlegung der Pomptinischen Suempfe, +die Lebensfrage fuer Mittelitalien, mit grossem Kraftaufwand und +wenigstens voruebergehendem Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109) +in Verbindung mit den norditalischen Chausseebauten zugleich die +Entsumpfung der Niederungen zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt. +Endlich tat die Regierung viel fuer die zur Gesundheit und +Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso unentbehrlichen wie kostspieligen +roemischen Wasserleitungen. Nicht bloss wurden die beiden seit den +Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits bestehenden, die Appische und die +Anioleitung, im Jahre 610 (144) von Grund aus repariert, sondern auch +zwei neue Leitungen angelegt: im Jahre 610 (144) die Marcische, die +an Guete und Fuelle des Wassers auch spaeter unuebertroffen blieb, +und neunzehn Jahre nachher die sogenannte Laue. Welche Operationen die +roemische Staatskasse, ohne vom Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels +reiner Barzahlung auszufuehren vermochte, zeigt nichts deutlicher als +die Art, wie die Marcische Leitung zustande kam: die dazu erforderliche +Summe von 180 Mill. Sesterzen (in Gold 13 Mill. Taler) ward innerhalb +dreier Jahre disponibel gemacht und verwandt. Es laesst dies schliessen +auf eine sehr ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch +schon im Anfang dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und +ohne Zweifel bestaendig im Steigen war. Alle diese Tatsachen +zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im allgemeinen guenstigen +Stand der roemischen Finanzen dieser Zeit schliessen. Nur darf auch +in finanzieller Hinsicht nicht uebersehen werden, dass die Regierung +waehrend der ersten zwei Drittel dieses Zeitabschnitts zwar glaenzende +und grossartige Bauten ausfuehrte, aber dafuer andere wenigstens ebenso +notwendige Ausgaben zu machen unterliess. Wie ungenuegend sie fuer +das Militaerwesen sorgte, ist bereits hervorgehoben worden: in den +Grenzlandschaften, ja im Potal pluenderten die Barbaren, im Innern +hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien die Raeuberbanden. Die +Flotte gar ward voellig vernachlaessigt; roemische Kriegsschiffe gab +es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die Untertanenstaedte +bauen und erhalten liess, reichten nicht aus, so dass man nicht bloss +schlechterdings keinen Seekrieg zu fuehren, sondern nicht einmal den +Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst unterblieben +eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich die +Flussbauten wurden seltsam vernachlaessigt. Immer noch besass die +Hauptstadt keine andere Bruecke ueber den Tiber als den uralten +hoelzernen Steg, der ueber die Tiberinsel nach dem Ianiculum fuehrte; +immer noch liess man den Tiber jaehrlich die Strassen unter Wasser +setzen und Haeuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, +ohne etwas fuer die Uferbefestigung zu tun; immer mehr liess man, wie +gewaltig auch der ueberseeische Handel sich entwickelte, die an sich +schon schlechte Reede von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter +den guenstigsten Verhaeltnissen und in einer Epoche vierzigjaehrigen +Friedens nach aussen und innen solche Pflichten versaeumt, kann leicht +Steuern schwinden lassen und dennoch einen jaehrlichen Ueberschuss der +Einnahme ueber die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen; +aber eine derartige Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen +ihrer nur scheinbar glaenzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben +Vorwuerfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der +verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet +gegen das senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden +mussten. Weit schlimmer gestalteten sich natuerlich die finanziellen +Verhaeltnisse, als die Stuerme der Revolution hereinbrachen. Die neue +und, auch bloss finanziell betrachtet, hoechst drueckende Belastung, +die dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung +erwuchs, den hauptstaedtischen Buergern das Getreide zu Schleuderpreisen +zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia +neu eroeffneten Einnahmequellen zunaechst wieder ausgeglichen. +Nichtsdestoweniger scheinen die oeffentlichen Bauten seitdem +fast gaenzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die +erweislichermassen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus +angelegten oeffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit +nach 632 (122) kaum andere genannt als die Bruecken-, Strassen und +Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645 +(109) anordnete. Es muss dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der +Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge +des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt fuer ein immer +mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in +der Angabe, dass der roemische Reservefonds seinen hoechsten Stand +im Jahre 663 (91) erreichte. Der fuerchterliche Insurrektions- und +Revolutionssturm in Verbindung mit dem fuenfjaehrigen Ausbleiben der +kleinasiatischen Gefaelle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg +wieder den roemischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben +dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den +Unterschied der Zeiten, als dass im Hannibalischen Krieg erst im +zehnten Kriegsjahre, als die Buergerschaft den Steuern fast erlag, der +Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von +Haus aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei +Feldzuegen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man +lieber die oeffentlichen Plaetze in der Hauptstadt versteigerte und +die Tempelschaetze angriff, als eine Steuer auf die Buerger ausschrieb. +Indes der Sturm, so arg er war, ging vorueber; Sulla stellte, freilich +unter ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen +Revolutionaeren aufgebuerdeten oekonomischen Opfern, die Ordnung in den +Finanzen wieder her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, +die asiatischen Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem +Gemeinwesen wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden oekonomischen +Zustand, als die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen +Einnahmen blieben. In der Privatoekonomie dieser Zeit tritt kaum ein +neues Moment hervor; die frueher dargelegten Vorzuege und Nachteile der +sozialen Verhaeltnisse Italiens werden nicht veraendert, sondern nur +weiter und schaerfer entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir +bereits frueher die steigende roemische Kapitalmacht den mittleren und +kleinen Grundbesitz in Italien sowohl wie in den Provinzen allmaehlich +verzehren, wie die Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah +nicht bloss zu ohne zu wehren, sondern foerderte noch die schaedliche +Bodenteilung durch einzelne Massregeln, vor allem durch das zu Gunsten +der grossen italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot +der transalpinischen Wein- und Oelproduktion 5. Zwar wirkten sowohl +die Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der +Konservativen energisch dem uebel entgegen: indem die beiden Gracchen +die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie +dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten +in Italien ansiedelte, ergaenzte er wenigstens einen Teil der von der +Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft +gerissenen Luecken; allein dem durch stetigen Abfluss sich leerenden +Gefaess ist nicht durch Einschoepfen auch betraechtlicher Massen, +sondern nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche +vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar +geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem +Auskaufen durch die roemischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen +waren ja bloss Menschen und keine Partei. Die Folge war, dass mehr und +mehr auch die ausseritalische Bodenrente nach Rom floss. Uebrigens +war die Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst +in einzelnen Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits +durchaus ueberwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und +rationellen Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher +Bluete gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die +Eroeffnung gezwungener Maerkte in einem Teil der Provinzen, teils das +zum Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot +der auslaendischen Weine in Italien auch kuenstlich foerderten, erzielte +sehr bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben +dem Thasier und Chier genannt zu werden, und der "Opimische Wein" vom +Jahre 633 (121), der roemische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem +der letzte Krug geleert war. ------------------------------------------- +5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor +Varro lebenden roemischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5) +zusammenhaengen, dass der Wein- und Oelbau sich bestaendig weiter +nach Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluss wegen Uebersetzung +der Magonischen Buecher gehoert hierher. +--------------------------------------------- Von Gewerben und +Fabrikation ist nichts zu sagen, als dass die italische Nation in dieser +Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivitaet verharrte. Man +zerstoerte wohl die korinthischen Fabriken, die Depositare so mancher +wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um selbst aehnliche +Fabriken zu gruenden, sondern um zu Schwindelpreisen zusammenzukaufen, +was die griechischen Haeuser an korinthischen Ton- oder Kupfergefaessen +und aehnlichen "alten Arbeiten" bewahrten. Was von Gewerken +noch einigermassen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem Bauwesen +zusammenhaengenden, trug fuer das Gemeinwesen deshalb kaum einen Nutzen, +weil auch hier bei jeder groesseren Unternehmung die Sklavenwirtschaft +sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die Anlage der Marcischen +Wasserleitung in der Art erfolgte, dass die Regierung mit 3000 Meistern +zugleich Bau- und Lieferungsvertraege abschloss, von denen dann +jeder mit seiner Sklavenschar die uebernommene Arbeit beschaffte. Die +glaenzendste oder vielmehr die allein glaenzende Seite der roemischen +Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze +stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein grosser, +vielleicht der groesste Teil der roemischen Staatseinnahmen in die +Taschen der roemischen Kapitalisten floss. Der Geldverkehr ferner war im +ganzen Umfang des roemischen Staats von den Roemern monopolisiert; jeder +in Gallien umgesetzte Pfennig, heisst es in einer bald nach dem Ende +dieser Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Buecher der +roemischen Kaufleute, und so war es ohne Zweifel ueberall. Wie +das Zusammenwirken der rohen oekonomischen Zustaende und der +ruecksichtslosen Ausnutzung der politischen Uebermacht zu Gunsten der +Privatinteressen eines jeden vermoegenden Roemers eine wucherliche +Zinswirtschaft allgemein machte, zeigt zum Beispiel die Behandlung der +von Sulla der Provinz Asia 670 (84) auferlegten Kriegssteuer, die die +roemischen Kapitalisten vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und +nichtgezahlten Zinsen binnen vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres +urspruenglichen Betrags an. Die Gemeinden mussten ihre oeffentlichen +Gebaeude, ihre Kunstwerke und Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen +Kinder verkaufen, um dem roemischen Glaeubiger gerecht zu werden; es war +nichts Seltenes, dass der Schuldner nicht bloss der moralischen Tortur +unterworfen, sondern geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu +kam endlich der Grosshandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr +betraechtlich. Jene bestand vornehmlich in Wein und Oel, womit Italien +neben Griechenland fast ausschliesslich - die Weinproduktion in der +massaliotischen und turdetanischen Landschaft kann damals nur gering +gewesen sein - das gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer +Wein ging in bedeutenden Quantitaeten nach den Balearischen Inseln und +Keltiberien, nach Africa, das nur Acker- und Weideland war, nach +Narbo und in das innere Gallien. Bedeutender noch war die Einfuhr +nach Italien, wo damals aller Luxus sich konzentrierte und die meisten +Luxusartikel, Speisen, Getraenke, Stoffe, Schmuck, Buecher, Hausgeraet, +Kunstwerke, ueber See eingefuehrt wurden. Vor allem aber der +Sklavenhandel nahm infolge der stets steigenden Nachfrage der roemischen +Kaufleute einen Aufschwung, dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch +nicht gekannt hatte und der mit dem Aufbluehen der Piraterie im engsten +Zusammenhang steht; alle Laender und alle Nationen wurden dafuer in +Kontribution gesetzt, die Hauptfangplaetze aber waren Syrien und das +innere Kleinasien. In Italien konzentrierte die ueberseeische Einfuhr +sich vorzugsweise in den beiden grossen Emporien am Tyrrhenischen Meer, +Ostia und Puteoli. Nach Ostia, dessen Reede wenig taugte, das aber, als +der naechste Hafen an Rom, fuer weniger werthafte Waren der geeignetste +Stapelplatz war, zog sich die fuer die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr, +dagegen der Luxushandel mit dem Osten ueberwiegend nach Puteoli, das +durch seinen guten Hafen fuer Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl +und in der mehr und mehr mit Landhaeusern sich fuellenden Gegend von +Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstaedtischen wenig nachstehenden +Markt in naechster Naehe darbot. Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr +durch Korinth und nach dessen Vernichtung durch Delos vermittelt, wie +denn in diesem Sinne Puteoli bei Lucilius das italische "Klein-Delos" +heisst; nach der Katastrophe aber, die Delos im Mithradatischen Kriege +betraf, und von der es sich nicht wieder erholt hat, knuepften die +Puteolaner direkte Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an +und entwickelte damit ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten +ueberseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloss der Gewinn, der +bei der italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den +Italikern zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel +mit den Massalioten, und ueberhaupt leidet es keinen Zweifel, dass +die ueberall fluktuierend oder ansaessig anzutreffende roemische +Kaufmannschaft den besten Teil aller Spekulationen fuer sich nahm. +Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den +hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der +politischen ebenbuertig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der +roemischen Kapitalisten. In ihren Haenden vereinigt sich die Bodenrente +fast des ganzen Italiens und der besten Stuecke des Provinzialgebiets, +die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der +Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung +ein sehr betraechtlicher Teil der roemischen Staatseinkuenfte. Die +immer zunehmende Anhaeufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des +Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler) +war jetzt ein maessiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein +anstaendiges Rittervermoegen; das Vermoegen des reichsten Mannes der +Gracchischen Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 +Mill. Sesterzen (7Mill. Taler) geschaetzt. Es ist kein Wunder, wenn +dieser Kapitalistenstand die aeussere Politik vorwiegend bestimmt, wenn +er aus Handelsrivalitaet Karthago und Korinth zerstoert, wie einst die +Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere zerstoerten, wenn er dem Senat zum +Trotz die Gruendung von Narbo aufrecht erhaelt. Es ist ebenfalls kein +Wunder, wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der +Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht. +Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die +Spitze empoerter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft +daran erinnert, dass aus dem eleganten Bordell der Uebergang zu der +Raeuberhoehle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder +finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein oekonomischen, sondern +der politischen Uebermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten +politischen Krise ungefaehr in derselben Art schwankt wie unser sehr +aehnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg +der italisch- asiatischen Bewegungen 664f. (90) ueber den roemischen +Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und +der Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstuecke und der +Gesellschaftsparten koennen wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; +wohl aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer +Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen +Glaeubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren +aus dem Senat zu stossen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla, +die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionaere +Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natuerlich in den Provinzen +allgemeine Verarmung und Entvoelkerung, wogegen die parasitische +Bevoelkerung reisender oder auf Zeit ansaessiger Italiker ueberall +im Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen +italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos +waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und +die Angabe, dass hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf +Mithradates' Befehl getoetet wurden. In Afrika waren der Italiker so +viele, dass sogar die numidische Stadt Cirta hauptsaechlich durch sie +gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heisst es, war +angefuellt mit roemischen Kaufleuten; nur fuer Spanien finden sich, +vielleicht nicht zufaellig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst +ist dagegen der Stand der freien Bevoelkerung in dieser Epoche ohne +Zweifel im ganzen zurueckgegangen. Allerdings haben die Buergerkriege +hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und +freilich wenig zuverlaessigen Angaben 100000 bis 150000 Koepfe von +der roemischen Buergerschaft, 300000 von der italischen Bevoelkerung +ueberhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der +oekonomische Ruin des Mittelstandes und die masslose Ausdehnung der +kaufmaennischen Emigration, die einen grossen Teil der italischen Jugend +waehrend ihrer kraeftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlasste. +Einen Ersatz sehr zweifelhaften Wertes gewaehrte dafuer die freie +parasitische hellenisch-orientalische Bevoelkerung, die als koenigliche +oder Gemeindediplomaten, als Aerzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente, +Schmarotzer und in den tausendfachen Aemtern der Industrieritter- und +Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Haendler und Schiffer namentlich +in Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das +unverhaeltnismaessige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die +italische Buergerschaft zaehlte nach der Schaetzung des Jahres 684 +(70) 910000 waffenfaehige Maenner, wobei, um den Betrag der freien +Bevoelkerung auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schaetzung +zufaellig uebergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den +Alpen und dem Po und die in Italien domizilierten Auslaender, hinzu-, +die auswaerts domizilierten roemischen Buerger dagegen abzurechnen sind. +Es wird demnach kaum moeglich sein, die freie Bevoelkerung der Halbinsel +hoeher als auf 6 bis 7 Mill. Koepfe anzusetzen. Wenn die damalige +Gesamtbevoelkerung derselben der gegenwaertigen gleichkam, so haette +man danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Koepfen anzunehmen. Es +bedarf indes solcher trueglichen Berechnungen nicht, um die gefaehrliche +Spannung dieser Verhaeltnisse anschaulich zu machen; laut genug reden +die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der +Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an +die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit +sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords, +seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders +und Paechter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven +verwandelt, so wird man ein ungefaehres Bild der damaligen Bevoelkerung +der italischen Halbinsel gewinnen. Wie im klaren Spiegel liegen die +oekonomischen Verhaeltnisse dieser Epoche noch heute uns vor in dem +roemischen Muenzwesen. Die Behandlung desselben zeigt durchaus den +einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit standen Gold und Silber als +allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so dass zwar zum Zweck allgemeiner +Kassebilanzen ein festes Wertverhaeltnis zwischen beiden Metallen +gesetzlich normiert war, aber doch regelmaessig es nicht freistand, +ein Metall fuer das andere zu geben, sondern je nach dem Inhalt der +Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf diesem Wege wurden +die grossen Uebelstaende vermieden, die sonst an die Aufstellung +eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knuepfen; die starken +Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der Entdeckung +der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal in Italien +um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt auf die +Silbermuenze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der +Sache, dass, je mehr der ueberseeische Verkehr sich ausdehnte, desto +entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat, +was denn auch die Angaben ueber die Staatskassenbestaende und die +Staatskassengeschaefte bestaetigen; aber die Regierung liess sich +dadurch nicht bewegen, das Gold auch in die Muenze einzufuehren. Die in +der Not des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man laengst wieder +fallen lassen; die wenigen Goldstuecke, die Sulla als Regent +schlug, sind kaum mehr gewesen als Gelegenheitsmuenze fuer seine +Triumphalgeschenke. Nach wie vor zirkulierte als wirkliche Muenze +ausschliesslich das Silber; das Gold ward, mochte es nun, wie +gewoehnlich, in Barren umlaufen oder auslaendisches oder allenfalls +auch inlaendisches Gepraege tragen, lediglich nach dem Gewicht genommen. +Dennoch standen Gold und Silber als Verkehrsmittel gleich, und die +betruegliche Legierung des Goldes wurde gleich der Praegung falscher +Silbermuenzen rechtlich als Muenzvergehen betrachtet. Man erreichte +hierdurch den unermesslichen Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel +selbst die Moeglichkeit der Muenzdefraude und Muenzveruntreuung +abzuschneiden. uebrigens war die Muenzpraegung ebenso reichlich wie +musterhaft. Nachdem im Hannibalischen Kriege das Silberstueck von +1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, ist dasselbe mehr als +drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich schwer und gleich fein +geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die Kupfermuenze wurde um +den Anfang dieser Periode voellig zur Scheidemuenze und hoerte auf, wie +frueher, im Grossverkehr gebraucht zu werden; aus diesem Grunde wurde +etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der As nicht mehr +geschlagen und die Kupferpraegung beschraenkt auf die im Silber nicht +fueglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3 Pfennig) und +darunter. Die Muenzsorten waren nach einem einfachen Prinzip geordnet +und in der damals kleinsten Muenze gewoehnlicher Praegung, dem Quadrans +(1 Pfennig), hinabgefuehrt bis an die Grenze der fuehlbaren Werte. Es +war ein Muenzsystem, das an prinzipieller Verstaendigkeit der Grundlagen +wie an eisern strenger Durchfuehrung derselben im Altertum einzig +dasteht und auch in der neueren Zeit nur selten erreicht worden ist. +Doch hat auch dies seinen wunden Fleck. Nach einer im ganzen Altertum +gemeinen, in ihrer hoechsten Entwicklung in Karthago auftretenden +Sitte gab auch die roemische Regierung mit den guten silbernen Denaren +zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus, welche gleich jenen +genommen werden mussten und nichts waren als ein unserem Papiergeld +analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung auf die Staatskasse, +insofern auch diese nicht befugt war, die plattierten Stuecke +zurueckzuweisen. Eine offizielle Falschmuenzerei war dies so wenig +wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz offen betrieb: +Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel fuer seine Kornspenden +zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf je sieben silberne, +neu aus der Muenze hervorgehende Denare; allein nichtsdestoweniger +bot diese Massregel nicht bloss der privaten Falschmuenzerei eine +bedenkliche Handhabe, sondern sie liess auch das Publikum absichtlich +darueber im ungewissen, ob es Silber- oder Zeichengeld empfange und in +welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf sei. In der bedraengten Zeit +des Buergerkrieges und der grossen finanziellen Krise scheint man der +Planierung sich so ueber die Gebuehr bedient zu haben, dass zu der +Finanzkrise eine Muenzkrise sich gesellte und die Masse der falschen +und faktisch entwerteten Stuecke den Verkehr hoechst unsicher machte. +Deshalb wurde waehrend des Cinnanischen Regiments von den Praetoren und +Tribunen, zunaechst von Marcus Marius Gratidianus, die Einloesung des +saemtlichen Zeichengeldes durch Silbergeld verfuegt und zu dem Ende ein +Probierbuero eingerichtet. Inwieweit die Aufrufung durchgefuehrt ward, +ist nicht ueberliefert; die Zeichengeldpraegung selbst blieb bestehen. +Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemaessheit der grundsaetzlichen +Beseitigung der Goldmuenze die Goldpraegung nirgends, auch in den +Klientelstaaten nicht gestattet; so dass die Goldpraegung in dieser +Zeit nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei +den Kelten nordwaerts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich +auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates +Eupator Goldmuenzen schlugen. Auch die Silberpraegung zeigt die +Regierung sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, +vornehmlich im Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische +Gold- und Silbermuenze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im +Umlauf geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen +weder auf karthagischen noch auf roemischen Fuss, und sicher hat sehr +bald nach der Besitzergreifung der Roemer auch in dem Verkehr beider +Landschaften der von Italien eingefuehrte Denar das Uebergewicht +erhalten. In Spanien und Sizilien, die frueher an Rom gekommen sind und +ueberhaupt eine mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter +roemischer Herrschaft in Silber gepraegt, ja in dem ersteren Lande die +Silberpraegung erst durch die Roemer und auf roemischen Fuss ins Leben +gerufen worden; aber es sind gute Gruende vorhanden fuer die Annahme, +dass auch in diesen beiden Landschaften wenigstens seit dem Anfang des +siebenten Jahrhunderts die provinziale und staedtische Praegung sich +auf die kupferne Scheidemuenze hat beschraenken muessen. Nur im +Narbonesischen Gallien konnte der altverbuendeten und ansehnlichen +Freistadt Massalia das Recht der Silberpraegung nicht entzogen werden; +und dasselbe gilt vermutlich von den illyrischen Griechenstaedten +Apollonia und Dyrrhachion. Indes beschraenkte man doch diesen Gemeinden +indirekt ihr Muenzrecht dadurch, dass der Dreivierteldenar, der nach +Anordnung der roemischen Regierung dort wie hier gepraegt ward und der +unter dem Namen des Victoriatus in das roemische Muenzsystem aufgenommen +worden war, um die Mitte des 7. Jahrhunderts in diesem beseitigt ward; +wovon die Folge sein musste, dass das massaliotische und illyrische +Courant aus Oberitalien verdraengt wurde und ausser seinem einheimischen +Gebiete nur noch etwa in den Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb. +So weit war man also bereits in dieser Epoche, dass in der gesamten +Westhaelfte des roemischen Staates der Denarfuss ausschliesslich +herrschte: denn Italien, Sizilien - von dem es fuer den Anfang der +naechsten Epoche ausdruecklich bezeugt ist, dass daselbst kein +anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien, Afrika brauchten +ausschliesslich roemisches Silbergeld, und das in Spanien noch +umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermuenze der Massalioten und +Illyriker war wenigstens auf Denarfuss geschlagen. Anders war es im +Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit muenzenden Staaten und die +Masse der umlaufenden Landesmuenze sehr ansehnlich war, drang der Denar +nicht in groesserem Umfang ein, wenn er auch vielleicht gesetzlich +gangbar erklaert ward: vielmehr blieb hier entweder der bisherige +Muenzfuss, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn auch +teilweise mit Hinzufuegung der Namen von roemischen Beamten zu dem +der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiss +wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter +roemischer Autoritaet ein den Verhaeltnissen entsprechender +eigentuemlicher Muenzfuss neu eingefuehrt, wie denn bei der Einrichtung +der Provinz Asia derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus, +von der roemischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den +Bezirkshauptstaedten daselbst unter roemischer Oberaufsicht geschlagen +ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und +des orientalischen Muenzwesens ist von der groessten geschichtlichen +Bedeutung geworden: die Romanisierung der unterworfenen Laender hat +in der Annahme der roemischen Muenze einen ihrer wichtigsten Hebel +gefunden, und es ist kein Zufall, dass dasjenige, was wir in dieser +Epoche als Gebiet des Denars bezeichnet haben, spaeterhin zu der +lateinischen, dagegen das Gebiet der Drachme spaeterhin zu der +griechischen Reichshaelfte geworden ist. Noch heutigentags stellt +jenes Gebiet im wesentlichen den Inbegriff der romanischen Kultur +dar, waehrend dieses dagegen aus der europaeischen Zivilisation sich +ausgeschieden hat. Wie bei solchen oekonomischen Zustaenden die sozialen +Verhaeltnisse sich gestalten mussten, ist im allgemeinen leicht zu +ermessen, die Steigerung aber des Raffinements, der Preise, des +Ekels und der Leere im besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch +lehrreich. Verschwendung und sinnlicher Genuss war die Losung ueberall, +bei den Parvenus so gut wie bei den Liciniern und Metellern; nicht +der feine Luxus gedieh, der die Bluete der Zivilisation ist, sondern +derjenige, der in der verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens +und Alexandreias sich entwickelt hatte, der alles Schoene und Bedeutende +zur Dekoration entadelte und auf den Genuss studierte mit einer +muehseligen Pedanterie, einer zopfigen Tueftelei, die ihn dem sinnlich +wie dem geistig frischen Menschen gleich ekelhaft macht. Was +die Volksfeste anlangt, so wurde, es scheint um die Mitte dieses +Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus Aufidius beantragten Buergerschluss +die in der catonischen Zeit untersagte Einfuhr ueberseeischer Bestien +foermlich wieder gestattet, wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften +Betrieb kamen und ein Hauptstueck der Buergerfeste wurden. Um 651 (103) +erschienen in der roemischen Arena zuerst mehrere Loewen, 655 (99) die +ersten Elefanten; 661 (93) liess Sulla als Praetor schon hundert Loewen +auftreten. Dasselbe gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die +Bilder grosser Schlachten oeffentlich ausgestellt hatten, so fingen die +Enkel an, dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen +Haupt- und Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu +verspotten. Welche Summen dafuer und fuer die Begraebnisfeierlichkeiten +ueberhaupt aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius +Lepidus (Konsul 567, 579 187, 175; + 592 152) abnehmen; derselbe befahl +seinen Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepraenge, +sondern in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste +bestehe, auf seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 +Taler) zu verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das +prachtvolle und namentlich wegen der alten Baeume des Gartens beruehmte +Stadthaus des Redners Crassus (+ 663 91) ward mit den Baeumen auf 6 +Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Haelfte geschaetzt, +waehrend der Wert eines gewoehnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000 +Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise +der Luxusgrundstuecke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen +Villa, die Cornelia, die Mutter der Gracchen, fuer 75000 Sesterzen (5700 +Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreissigfachen +Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben +machten Baiae und ueberhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum +Eldorado des vornehmen Muessiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es +keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knoechelspiel, um Nuesse +ging, wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen +erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhuellten, und +seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Maennern die alten +wollenen Roecke zu verdraengen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit +auslaendischen Parfuemerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich +die Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses +vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis +100000 Sesterzen (7600 Taler) - fuer einen ausgesuchten Koch; man baute +mit Ruecksicht darauf und versah namentlich die Landhaeuser an der +Kueste mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit +frisch auf die Tafel liefern zu koennen; man nannte es schon ein elendes +Diner, wenn das Gefluegel ganz und nicht bloss die erlesenen Stuecke +den Gaesten vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den +einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloss zu kosten; man bezog fuer +schweres Geld auslaendische Delikatessen und griechischen Wein, der +bei jeder anstaendigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden +musste. Vor allem bei der Tafel glaenzte die Schar der Luxussklaven, die +Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden +oder gemaeldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike +Bronzegeraet, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunaechst richteten +sich die Luxusgesetze, die haeufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89, +82) und ausfuehrlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und +Weine wurden darin gaenzlich untersagt, fuer andere nach Gewicht und +Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantitaet des silbernen +Tafelgeschirrs gesetzlich beschraenkt, endlich allgemeine +Maximalbetraege der Kosten der gewoehnlichen und der Festtagsmahlzeit +vorgeschrieben, zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17 Groschen und +5 Taler), 673 (81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und +17 Taler). Zur Steuer der Wahrheit muss leider hinzugefuegt werden, dass +von allen vornehmen Roemern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die +Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen; +auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates +den Kuechenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Muehe, einen +Augenblick noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus +im Silbergeraet zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes +Tafelgeschirr mit Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses +eine Ausnahme; die karthagischen Gesandtschaften spotteten darueber, +dass sie in jedem Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne +Tafelgeraet wiedergefunden haetten. Noch Scipio Aemilianus besass +nicht mehr als 32 Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe +Quintus Fabius (Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000 +Taler), Marcus Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund +(250000 Taler); in Sullas Zeit zaehlte man in der Hauptstadt bereits +gegen 150 hundertpfuendige silberne Prachtschuesseln, von denen manche +ihren Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfuer +verschwendeten Summen zu ermessen, muss man sich erinnern, dass auch +die Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn fuer +ausgezeichnetes Silbergeraet Gaius Gracchus den fuenfzehn-, Lucius +Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der +letztere fuer ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000 +Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhaeltnismaessig ueberall. +Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen +Ackergesetze, die zuerst darauf eine Praemie setzten. Die Scheidung, +einst in Rom fast unerhoert, war jetzt ein alltaegliches Ereignis; wenn +bei der aeltesten roemischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so +haette man den jetzigen vornehmen Roemern vorschlagen moegen, um zu der +Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzufuehren. Selbst ein +Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Haeuslichkeit +und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen +war, schaerfte als Zensor 623 (131) den Buergern die Pflicht, im +Ehestande zu leben, in der Art ein, dass er denselben bezeichnete als +eine drueckende, aber von den Patrioten pflichtmaessig zu uebernehmende +oeffentliche Last. 7 --------------------------------------- 6 In +dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er fuer das +Erdgeschoss 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen +Miete (Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewoehnlichen Kapitalzinses +kapitalisiert, ungefaehr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine +wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstaedtischer Mietzins von 6000 +Sesterzen (460 Taler) fuer das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird +(Vell. 1, 10), so muessen dabei besondere Umstaende obgewaltet haben. 7 +"Wenn wir koennten, ihr Buerger", hiess es in seiner Rede, wuerden wir +freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so +eingerichtet hat, dass weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne +die Frauen ueberhaupt sich leben laesst, so ziemt es sich auf +dauernde Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben." +-------------------------------------- Allerdings gab es Ausnahmen. Die +landstaedtischen Kreise, namentlich die der groesseren Gutsbesitzer, +hatten die alte ehrenwerte latinische Nationalsitte treuer bewahrt. In +der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase geworden; +die moderne Richtung herrschte souveraen und, wenn auch einzelne fest +und fein organisierte Naturen, wie Scipio Aemilianus, roemische Sitte +mit attischer Bildung zu vereinigen wussten, war doch bei der grossen +Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sittlicher +Verderbnis. Den Rueckschlag dieser sozialen Uebelstaende auf die +politischen Verhaeltnisse darf man niemals aus den Augen verlieren, wenn +man die roemische Revolution verstehen will. Es war nicht gleichgueltig, +dass von den beiden vornehmen Maennern, die im Jahre 662 (92) als +oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der eine dem andern +oeffentlich vorrueckte, dass er einer Muraene, dem Stolz seines +Fischteichs, bei ihrem Tode Traenen nachgeweint habe, und dieser wieder +jenem, dass er drei Frauen begraben und um keine eine Traene geweint +habe. Es war nicht gleichgueltig, dass im Jahre 593 (161) auf +offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen +Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin +in dem Kreise seiner Zechbrueder findet. "Sie spielen Hasard, fein +parfuemiert, die Maetressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt, +lassen sie den Bedienten kommen und heissen ihn auf der Dingstaette sich +umhoeren, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer fuer und wer gegen +den neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafuer, +welche dagegen gestimmt haetten. Endlich gehen sie selbst auf den +Gerichtsplatz, eben frueh genug, um sich den Prozess nicht selbst +auf den Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgaesschen eine +Gelegenheit, die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll +Wein geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstaette und geben +den Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der +Geschworene heisst die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie +er zurueckkommt, erklaert er alles gehoert zu haben und fordert die +Urkunden. Ersieht hinein in die Schriften; kaum haelt er vor Wein die +Augen auf. Wie er sich dann zurueckzieht, das Urteil auszufuellen, +laesst er zu seinen Zechbruedern sich vernehmen: 'Was gehen mich die +langweiligen Leute an? Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Suessen +mit griechischem Wein trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel +und einen guten Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?'" Die +den Redner hoerten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, dass +dergleichen Dinge belacht wurden? 12. Kapitel Nationalitaet, Religion, +Erziehung In dem grossen Kampfe der Nationalitaeten innerhalb des weiten +Umfangs des Roemischen Reiches erscheinen die sekundaeren Nationen in +dieser Zeit im Zurueckweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste +unter allen, die phoenikische, empfing durch die Zerstoerung Karthagos +die Todeswunde, an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften +Italiens, die ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, +Etrurien und Samnium, wurden nicht bloss von den schwersten Schlaegen +der Sullanischen Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung +Italiens noetigte ihnen auch im oeffentlichen Verkehr die lateinische +Sprache und Weise auf und drueckte die alten Landessprachen herab zu +rasch verkuemmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen +Umfange des roemischen Staates eine Nationalitaet als befugt, mit der +roemischen und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv +wie intensiv die latinische Nationalitaet im entschiedensten Aufschwung. +Wie seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstueck jedem +Italiker zu vollem roemischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott +roemische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der +transpadanischen Landschaft seitdem das roemische Recht mit Beseitigung +aller anderen Stadt- und Landrechte ausschliesslich gilt: so ist +damals die roemische Sprache auch die allgemeine Geschaefts- und bald +gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der +ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie +beschraenkte sich schon nicht mehr auf diese natuerlichen Grenzen. +Die in Italien zusammenstroemende Kapitalmasse, der Reichtum seiner +Produkte, die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner +Kaufleute fand keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel; +hierdurch und durch den oeffentlichen Dienst wurden die Italiker +massenweise in die Provinzen gefuehrt. Ihre privilegierte Stellung +daselbst privilegierte auch die roemische Sprache und das roemische +Recht, selbst wo nicht bloss Roemer miteinander verkehrten; ueberall +standen die Italiker zusammen als festgeschlossene und organisierte +Massen, die Soldaten in ihren Legionen, die Kaufleute jeder groesseren +Stadt als eigene Korporationen, die in dem einzelnen provinzialen +Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden roemischen Buerger +als "Kreise" (conventus civium Romanorum) mit ihrer eigenen +Geschworenenliste und gewissermassen mit Gemeindeverfassung; und wenn +auch diese provinzialen Roemer regelmaessig frueher oder spaeter nach +Italien zurueckgingen, so bildete sich dennoch allmaehlich aus ihnen +der Stamm einer festen, teils roemischen, teils an die roemische sich +anlehnenden Mischbevoelkerung der Provinzen. Dass in Spanien, wo das +roemische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene Provinzialstaedte +italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616 (133), spaeter +Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits erwaehnt. Wenn +das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der Vaccaeer +zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten und +widerwaertigsten Aufenthaltsorten fuer den gebildeten Italiker genannt +wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, dass schon +um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und sonst an der +Kueste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In bewusster +Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die Provinzen des +roemischen Staats durch die italische Emigration zu kolonisieren, das +heisst zu romanisieren, und legte Hand an die Ausfuehrung desselben; +und obgleich die konservative Opposition gegen den kuehnen Entwurf sich +auflehnte, die gemachten Anfaenge groesstenteils zerstoerte und die +Fortfuehrung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo erhalten, schon an +sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen Sprachgebiets und +noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines grossen Gedankens, der +Grundstein eines gewaltigen kuenftigen Baues. Der antike Gallizismus, ja +das heutige Franzosentum sind von dort ausgegangen und in ihrem +letzten Grunde Schoepfungen des Gaius Gracchus. Aber die latinische +Nationalitaet erfuellte nicht bloss die italischen Grenzen und fing an +sie zu ueberschreiten, sondern sie gelangte auch in sich zu tieferer +geistiger Begruendung. Wir finden sie im Zuge, eine klassische +Literatur, einen eigenen hoeheren Unterricht sich zu schaffen; und wenn +man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und der hellenischen +Bildung sich versucht fuehlen kann, die schwaechliche italische +Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch fuer die +geschichtliche Entwicklung zunaechst weit weniger darauf an, wie die +lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als +darauf, dass sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die +gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das Wort +des Dichters auch hier anwenden, dass der lebendige Tageloehner mehr +ist als der tote Achill. Wie rasch und ungestuem aber die lateinische +Sprache und Nationalitaet vorwaerts dringt, sie erkennt zugleich die +hellenische an als durchaus gleich, ja frueher und besser berechtigt und +tritt mit dieser ueberall in das engste Buendnis oder durchdringt sich +mit ihr zu gemeinschaftlicher Entwicklung. Die italische Revolution, +die sonst alle nichtlatinischen Nationalitaeten auf der Halbinsel +nivellierte, ruehrte nicht an die Griechenstaedte Tarent, Rhegion, +Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia, obwohl jetzt umschlossen von +roemischem Gebiet, fortwaehrend eine griechische Stadt und eben als +solche fest verbunden mit Rom. Mit der vollstaendigen Latinisierung +Italiens ging die steigende Hellenisierung Hand in Hand. In den hoeheren +Schichten der italischen Gesellschaft wurde die griechische Bildung zum +integrierenden Bestandteil der eigenen. Der Konsul des Jahres 623 +(131), der Oberpontifex Publius Crassus, erregte des Staunen selbst der +geborenen Griechen, da er als Statthalter von Asia seine gerichtlichen +Entscheidungen, wie der Fall es erforderte, bald in gewoehnlichem +Griechisch abgab, bald in einem der vier zu Schriftsprachen gewordenen +Dialekte. Und wenn die italische Literatur und Kunst laengst unverwandt +nach Osten blickten, so begann jetzt auch die hellenische das Antlitz +nach Westen zu wenden. Nicht bloss die griechischen Staedte in Italien +blieben fortwaehrend zu regem geistigen Verkehr mit Griechenland, +Kleinasien, Aegypten und goennten den dort gefeierten griechischen +Poeten und Schauspielern auch bei sich den gleichen Verdienst und die +gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem von dem Zerstoerer Korinths +bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen Beispiel, die gymnastischen +und musischen Spiele der Griechen: Wettkaempfe im Ringen sowie im +Musizieren, Spielen, Rezitieren und Deklamieren in Aufnahme ^1. Die +griechischen Literaten schlugen schon ihre Faeden bis in die vornehme +roemische Gesellschaft, vor allem in den Scipionischen Kreis, dessen +hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber +Polybios, der Philosoph Panaetios, bereits mehr der roemischen als der +griechischen Entwicklungsgeschichte angehoeren. Aber auch in anderen, +minderhochstehenden Zirkeln begegnen aehnliche Beziehungen. Wir gedenken +eines anderen Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil +in seinem Leben zugleich die gewaltige Voelkermischung dieser Zeit +sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener Karthager, sodann in +Athen Zuhoerer des Karneades und spaeter dessen Nachfolger in seiner +Professur, verkehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Maennern +Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius, und +widmete teils dem roemischen Konsul, der die Belagerung Karthagos +eroeffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, teils seinen +als Sklaven nach Italien gefuehrten Mitbuergern eine philosophische +Trostschrift. Hatten namhafte griechische Literaten bisher wohl +voruebergehend als Gesandte, Verbannte oder sonstwie ihren Aufenthalt +in Rom genommen, so fingen sie jetzt schon an, dort sich niederzulassen; +wie zum Beispiel der schon genannte Panaetios in Scipios Hause lebte, +und der Hexametermacher Archias von Antiocheia im Jahre 652 (102) sich +in Rom niederliess und von der Improvisierkunst und von Heldengedichten +auf roemische Konsulare sich anstaendig ernaehrte. Sogar Gaius Marius, +der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und ueberhaupt +zum Maezen moeglichst uebel sich schickte, konnte nicht umhin, +den Verskuenstler zu patronisieren. Waehrend also das geistige und +literarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehmeren +Elemente der beiden Nationen miteinander in Verbindung brachte, flossen +andererseits durch das massenhafte Eindringen der kleinasiatischen und +syrischen Sklavenscharen und durch die kaufmaennische Einwanderung aus +dem griechischen und halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit +orientalischen und ueberhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten +Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und +gaben auch diesem eine hellenische Faerbung. Die Bemerkung Ciceros, dass +neue Sprache und neue Weise zuerst in den Seestaedten aufkommt, duerfte +zunaechst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium +sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte +zuerst Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand. +--------------------------------------------------- ^1 Dass vor 608 +(146) keine "griechischen Spiele" in Rom gegeben seien (Tac. ann. 14, +21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische "Kuenstler" +(technitai) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische +Floetenspieler, Tragoeden und Faustkaempfer auf (Polyb. 30, 13). +-------------------------------------------------- Das +unmittelbare Resultat dieser vollstaendigen Revolution in den +Nationalitaetsverhaeltnissen war allerdings nichts weniger als +erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phoenikern, +Juden, Aegyptern, die Provinzen von Roemern; die scharf ausgepraegten +Volkstuemlichkeiten rieben sich ueberall aneinander und verschliffen +sich zusehends; es schien nichts uebrigbleiben zu sollen als der +allgemeine Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an +Ausdehnung gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo +der Mittelstand am fruehesten und vollstaendigsten verschwand und nichts +uebrig blieb als die grossen Herren und die Bettler, beide in gleichem +Masse Kosmopoliten. Cicero versichert, dass um 660 (190) die allgemeine +Bildung in den launischen Staedten hoeher gestanden habe als in +Rom; dies bestaetigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, +gesundeste und eigentuemlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komoedie +und die Lucilische Satire, mit groesserem Recht latinisch heissen als +roemisch. Dass der italische Hellenismus der unteren Schichten in der +Tat nichts war als ein zugleich mit allen Auswuechsen der Kultur und +mit oberflaechlich uebertuenchter Barbarei behafteter widerwaertiger +Kosmopolitismus, versteht sich von selbst; aber auch fuer die bessere +Gesellschaft blieb der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf +die Dauer massgebend. Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich +fuer das griechische Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff +sie statt zu der klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und +frivolsten Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen +Sinn das roemische Wesen zu gestalten, begnuegte man sich mit Entlehnung +desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist moeglichst wenig +in Taetigkeit setzte. In diesem Sinn aeusserte der arpinatische +Gutsbesitzer Marcus Cicero, der Vater des Redners, dass der Roemer, wie +der syrische Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch +verstehe. Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze +Zeit, aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Voelkerkreis, +den wir die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der +aeusserlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter +der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen +ruhenden Bildung. Ueber den Truemmern der Voelkerschaften zweiten Ranges +vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen stillschweigend +der grosse geschichtliche Kompromiss; die griechische und die +lateinische Nationalitaet schliessen miteinander Frieden. Auf dem +Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die +Roemer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem +Latein eine freilich beschraenkte und unvollstaendige Gleichstellung mit +dem Griechischen eingeraeumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den +fremden Gesandten, vor dem roemischen Senat ohne Dolmetscher griechisch +zu reden. Die Zeit kuendigt sich an, wo das roemische Gemeinwesen in +einen zwiesprachigen Staat uebergehen und der rechte Erbe des Thrones +und der Gedanken Alexanders des Grossen im Westen aufstehen wird, +zugleich ein Roemer und ein Grieche. Was schon der Ueberblick der +nationalen Verhaeltnisse also zeigt, die Unterdrueckung der sekundaeren +und die gegenseitige Durchdringung der beiden primaeren Nationalitaeten, +das ist im Gebiete der Religion, der Volkserziehung, der Literatur und +der Kunst noch im einzelnen genauer darzulegen. Die roemische Religion +war mit dem roemischen Gemeinwesen und dem roemischen Haushalt so innig +verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme Widerspiegelung der +roemischen Buergerwelt, dass die politische und soziale Revolution +notwendigerweise auch das Religionsgebaeude ueber den Haufen warf. Der +alte italische Volksglaube stuerzt zusammen; ueber seinen Truemmern +erheben sich, wie ueber den Truemmern des politischen Gemeinwesens +Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der Unglaube, die +Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der Aberglaube, das +Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings gehen die Anfaenge +von beiden, wie ja auch die Anfaenge der politisch-sozialen Revolution, +bereits in die vorige Epoche zurueck. Schon damals ruettelte die +hellenische Bildung der hoeheren Kreise im stillen an dem Glauben der +Vaeter; schon Ennius buergerte die Allegorisierung und Historisierung +der hellenischen Religion in Italien ein; schon der Senat, der Hannibal +bezwang, musste die Uebersiedlung des kleinasiatischen Kybelekults +nach Rom gutheissen und gegen anderen noch schlimmeren Aberglauben, +namentlich das bakchische Muckertum, aufs ernstlichste einschreiten. +Indes wie ueberhaupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr +in den Gemuetern sich vorbereitete als aeusserlich sich vollzog, so ist +auch die religioese Umwaelzung im wesentlichen dort erst das Werk der +gracchischen und sullanischen Zeit. Versuchen wir zunaechst die an +den Hellenismus sich anlehnende Richtung zu verfolgen. Die hellenische +Nation, weit frueher als die italische erblueht und abgeblueht, +hatte laengst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich +ausschliesslich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation und Reflexion; +seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch +Philosophie. Aber auch die philosophische Taetigkeit des hellenischen +Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die Epoche der +produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in dem Stadium +angekommen, wo nicht bloss keine wahrhaft neuen Systeme mehr entstehen, +sondern wo auch die Fassungskraft fuer die vollkommensten der +aelteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmaessige und bald +scholastische Ueberlieferung der unvollkommneren Philosopheme der +Vorfahren sich beschraenkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie, +statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht und +ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten, schlaegt. +Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefaehrlich, ist, verduennt +und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwaessert reichten die +gleichzeitigen Griechen ihn den Roemern, und diese verstanden weder +ihn zurueckzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern auf die +toten Meister zurueckzugehen. Platon und Aristoteles, um von den +vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluss auf +die roemische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern +genannt, ihre fasslicheren Schriften auch wohl gelesen und uebersetzt +wurden. So wurden denn die Roemer in der Philosophie nichts +als schlechter Lehrer schlechtere Schueler. Ausser der +historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen +aufloeste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit +lebender Wohltaeter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube +Goetter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind +hauptsaechlich drei Philosophenschulen fuer Italien von Bedeutung +geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros (+ 484 270) und des Zenon +(+ 491 263) und die skeptische des Arkesilas (+ 513 241) und Karneades +(541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus, die Stoa +und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche von der +Unmoeglichkeit des ueberzeugten Wissens ausging und an dessen Stelle nur +ein fuer das praktische Beduerfnis ausreichendes vorlaeufiges Meinen als +moeglich zugab, bewegte sich hauptsaechlich polemisch, indem sie jeden +Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen Dogmatismus in den +Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern ungefaehr auf einer +Linie mit der aelteren Sophistik, nur dass begreiflicherweise die +Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades und die Seinen mehr +gegen ihre philosophischen Kollegen ankaempften. Dagegen trafen Epikuros +und Zenon ueberein sowohl in dem Ziel einer rationellen Erklaerung des +Wesens der Dinge als auch in der physiologischen, von dem Begriff der +Materie ausgehenden Methode. Auseinander gingen sie, insofern Epikuros, +der Atomenlehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie +fasst und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die +Mannigfaltigkeit der Dinge ueberfuehrt, Zenon dagegen, sich anlehnend +an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynamische +Gegensaetzlichkeit und eine auf- und niederwogende Bewegung hineinlegt; +woraus denn die weiteren Unterschiede sich ableiten: dass im +epikureischen System die Goetter gleichsam nicht vorhanden und +hoechstens der Traum der Traeume sind, die stoischen Goetter die ewig +rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne, als Gott maechtig ueber +den Koerper, die Erde, die Natur; dass Epikuros nicht, wohl aber Zenon +eine Weltregierung und eine persoenliche Unsterblichkeit der Seele +anerkennt; dass das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das +unbedingte, weder von koerperlichem Begehren noch von geistigem Streiten +aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch das stetige +Gegeneinanderstreben des Geistes und Koerpers immer gesteigerte und +zu dem Einklang mit der ewig streitenden und ewig friedlichen Natur +aufstrebende menschliche Taetigkeit. In einem Punkte aber stimmten der +Religion gegenueber alle diese Schulen zusammen: dass der Glaube +als solcher nichts sei und notwendig ersetzt werden muesse durch die +Reflexion, mochte diese uebrigens mit Bewusstsein darauf verzichten, zu +einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstellungen des +Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs, oder dieselben teils +motiviert festhalten, teils modifizieren, wie die Stoiker taten. Es +war danach nur folgerichtig, dass die erste Beruehrung der +hellenischen Philosophie mit der roemischen, ebenso glaubensfesten als +antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die roemische +Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen +sowohl die Befehdung wie die Begruendung sich zu verbitten, die beide +ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der roemische Staat, der in der +Religion instinktmaessig sich selber angegriffen fuehlte, verhielt sich +billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der +anrueckenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren +auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch +gleich das erste groessere Debuet der Philosophie in Rom eine foermliche +Kriegserklaerung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlasst durch die +Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor +dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie, +darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten +(599 155). Die Wahl war insofern zweckmaessig, als der ganz schandbare +Handel jeder Rechtfertigung im gewoehnlichen Verstand spottete; dagegen +passte es vollkommen fuer den Fall, wenn Karneades durch Rede +und Gegenrede bewies, dass sich gerade ebenso viele und ebenso +nachdrueckliche Gruende zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen liessen +wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form +dartat, dass man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen koenne, +Oropos herauszugeben und von den Roemern, sich wieder zu beschraenken +auf ihre alten Strohhuetten am Palatin. Die der griechischen Sprache +maechtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und +emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen; +aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er +nicht bloss die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhoeflich +genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern +auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst +verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und +dessen Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast +hoehnisches Eingestaendnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen +reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der roemischen Jugend +nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische +Vortraege zu hoeren. Man gewoehnte sich, die Philosophie zuerst +wenigstens als notwendiges Uebel zu dulden, bald auch fuer die in +ihrer Naivitaet nicht mehr haltbare roemische Religion in der fremden +Weisheitslehre eine Stuetze zu suchen, die als Glauben zwar sie +ruinierte, aber dafuer doch dem gebildeten Mann gestattete, die +Namen und Formen des Volksglaubens anstaendigerweise einigermassen +festzuhalten. Indes diese Stuetze konnte weder der Euhemerismus +sein noch das System des Karneades oder des Epikuros. Die +Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem +sie die Goetter geradezu fuer Menschen erklaerte; Karneades zog gar ihre +Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden Einfluss +auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der +roemischen Religion war ein Buendnis unmoeglich; sie waren und blieben +verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es fuer Buergerpflicht erklaert, +dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe +trete; und von den in seinen Gespraechen auftretenden Akademikern und +Epikureern muss jener sich entschuldigen, dass er als Philosoph zwar ein +Juenger des Karneades, aber als Buerger und Pontifex ein rechtglaeubiger +Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei, der Epikureer sogar +schliesslich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines dieser +drei Systeme ward eigentlich populaer. Die platte Begreiflichkeit +des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft auf die Roemer +geuebt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms nur zu +tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und altersschwachen +Historisierung der Fabel; auf die roemische Religion aber blieb +er deshalb ohne wesentlichen Einfluss, weil diese von Haus aus nur +allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in Hellas +moeglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu +schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen, +die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und ueberdies die +langen Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe +Schuttlagen geistiger Brandstaetten aufgeschichtet hatten. Gegen den +Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem +roemischen, so durchaus auf Taetigkeit gerichteten Wesen tuechtig und +brav war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und +die Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die +Polizei fortgefahren hat, ihm am laengsten und ernstlichsten den Krieg +zu machen. Indes dieser roemische Epikureismus war nicht so sehr ein +philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem +- sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der +gedankenlose Sinnesgenuss fuer die gute Gesellschaft sich maskierte; +wie denn einer der fruehesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, +in Lucilius' Gedichten figuriert als der Prototyp des uebel +hellenisierenden Roemers. Gar anders stand und wirkte in Italien die +stoische Philosophie. Im geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloss +sie an die Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem +Glauben zu akkommodieren ueberhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit +seinen Goettern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsaetzlich +fest, als er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die +wissenschaftliche Ruecksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Faellen sich +ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk +als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und hoechste Gott zwar +war ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes +war wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der +Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros +ehrte, ja ueberhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen +Menschen. Diese Philosophie passte in der Tat besser nach Rom als in +die eigene Heimat. Der Tadel des frommen Glaeubigen, dass der Gott des +Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Koerperlichkeit habe und aus +einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland +einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche +Purifizierung, wie sie der stoischen Goetterlehre eigen war, verdarb den +besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven +Zeit duerftige plastische Kraft der Roemer hatte nicht mehr erzeugt als +eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhuellung der +urspruenglichen Anschauung oder des urspruenglichen Begriffes, woraus +die Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zuernen, wenn +sie sich ploetzlich in den Begriff des Gedaechtnisses verwandelt +fand; Minerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die +supranaturalische stoische und die allegorische roemische Theologie +fielen in ihrem Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der +Philosoph einzelne Saetze der Priesterlehre als zweifelhaft oder +als falsch bezeichnen musste, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die +Vergoetterungslehre verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als +die Geister ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Goetterbild +nicht als Repraesentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war +es wenigstens nicht die Art der Anhaenger Zenons, gegen diese Irrlehren +anzukaempfen und die falschen Goetter zu stuerzen; vielmehr bewiesen +sie ueberall der Landesreligion Ruecksicht und Ehrfurcht, auch in ihren +Schwaechen. Auch die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und +auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne +der Roemer, zumal der Roemer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die +Vaeter in unbefangener Weise Zucht und gute Sitte uebten, sondern +deren naive Sittlichkeit aufloesten in einen Katechismus erlaubter +und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz ueberdies +dringend eine methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die +Faehigkeit zu besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So +inkorporierte diese Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, +aber auf italischem Boden akklimatisiertes Gewaechs sich durchaus +dem roemischen Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den +verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfaenge reichen ohne Zweifel +weiter zurueck; aber zur vollen Geltung in den hoeheren Schichten der +roemischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis, +der sich um Scipio Aemilianus gruppierte. Panaetios von Rhodos, der +Lehrmeister Scipios und aller ihm nahestehender Maenner in der stoischen +Philosophie und bestaendig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein +gewoehnlicher Begleiter, verstand es, das System geistreichen Maennern +nahe zu bringen, dessen spekulative Seite zuruecktreten zu lassen +und die Duerre der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus +einigermassen zu mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der +aelteren Philosophen, unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen +Sokrates vorzugsweise liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die +namhaftesten Staatsmaenner und Gelehrten, unter anderen die Begruender +der wissenschaftlichen Philologie und der wissenschaftlichen +Jurisprudenz, Stilo und Quintus Scaevola. Der schulmaessige +Schematismus, der in diesen Fachwissenschaften seitdem wenigstens +aeusserlich herrscht und namentlich anknuepft an eine wunderliche, +scharadenhaft geistlose Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa. +Aber unendlich wichtiger ist die aus der Verschmelzung der +stoischen Philosophie und der roemischen Religion hervorgehende neue +Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das spekulative Element, von Haus +aus in dem Zenonischen System wenig energisch ausgepraegt und schon +weiter abgeschwaecht, als dasselbe in Rom Eingang fand, nachdem bereits +ein Jahrhundert hindurch die griechischen Schulmeister sich beflissen +hatten, diese Philosophie in die Knabenkoepfe hinein und damit den +Geist aus ihr hinauszutreiben, trat voellig zurueck in Rom, wo niemand +spekulierte als der Wechsler; es war wenig mehr die Rede von der +idealen Entwicklung des in der Seele des Menschen waltenden Gottes oder +goettlichen Weltgesetzes. Die stoischen Philosophen zeigten sich nicht +unempfaenglich fuer die recht eintraegliche Auszeichnung, ihr System +zur halboffiziellen roemischen Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und +erwiesen sich ueberhaupt geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen +Prinzipien haette erwarten sollen. Ihre Lehre von den Goettern und vom +Staat zeigte bald eine seltsame Familienaehnlichkeit mit den realen +Institutionen ihrer Brotherren; statt ueber den kosmopolitischen +Philosophenstaat stellten sie Betrachtungen an ueber die weise Ordnung +des roemischen Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie +Panaetios, die goettliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als +denkbar, aber ungewiss dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar +entschieden verworfen hatten, so verfochten schon seine naechsten +Nachfolger jene Offenbarungslehre, das heisst die roemische +Auguraldisziplin, so steif und fest wie jeden anderen Schulsatz und +machten sogar der Astrologie hoechst unphilosophische Zugestaendnisse. +Das Hauptstueck des Systems ward immer mehr die kasuistische +Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen Tugendstolz entgegen, bei welchem +die Roemer dieser Zeit in der vielfach demuetigenden Beruehrung mit +den Griechen Entschaedigung suchten, und formulierte den angemessenen +Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie jede wohlerzogene Moral, mit +herzerstarrender Rigorositaet im ganzen die hoeflichste Nachsicht im +einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen Resultate werden kaum viel +hoeher anzuschlagen sein als dass, wie gesagt, in zwei oder +drei vornehmen Haeusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen ward. +------------------------------------------- 2 Ein ergoetzliches +Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) nachlesen. +------------------------------------------- Dieser neuen +Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite ist +die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewusste +Festhalten der als irrationell erkannten Saetze des Volksglaubens +aus aeusseren Zweckmaessigkeitsgruenden ist. Schon einer der +hervorragendsten Maenner des Scipionischen Kreises, der Grieche +Polybios, spricht es unverhohlen aus, dass das wunderliche und +schwerfaellige roemische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen +erfunden sei, die, da die Vernunft nichts ueber sie vermoege, mit +Zeichen und Wundern beherrscht werden muesse, waehrend verstaendige +Leute allerdings der Religion nicht beduerften. Ohne Zweifel teilten +Polybios' roemische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie +auch nicht in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion +sich entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus koennen +in der Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunaechst denkt, etwas +anderes gesehen haben als eine politische Institution; doch war der +Nationalsinn in ihnen zu maechtig und das Anstandsgefuehl zu fein, als +dass sie mit solchen bedenklichen Eroerterungen oeffentlich haetten +auftreten moegen. Aber schon in der folgenden Generation trug der +Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens in +seiner muendlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Saetze vor, dass +es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmaessige philosophische +und eine nichtverstandesmaessige traditionelle, dass jene sich nicht +eigne zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu +wissen unnuetz oder sogar schaedlich sei, dass demnach die ueberlieferte +Staatsreligion bleiben muesse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung +desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die +roemische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der +Staat, wird hier gelehrt, sei aelter als die Goetter des Staats, wie der +Maler aelter als das Gemaelde; wenn es sich darum handelte, die Goetter +neu zu machen, wuerde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und +den Teilen der Weltseele prinzipmaessig entsprechender zu machen und zu +benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Goetterbilder +3 und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese +Einrichtungen einmal bestaenden, so muesse jeder gute Buerger sie kennen +und befolgen und dazu tun, dass der "gemeine Mann" die Goetter vielmehr +hoeher achten als geringschaetzen lerne. Dass der gemeine Mann, zu +dessen Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben +jetzt verschmaehte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von +selbst und wird weiterhin sich zeigen. So war denn die roemische +Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und +eine glaubenslose Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion fuer +eine politische Institution erklaerte, desto entschiedener betrachteten +die politischen Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz +fuer Angriff und Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Masse +der Fall war mit der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu +den Priesterkollegien. Die alte und natuerliche Uebung, die +Buergerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter heraufzog, hatte +unter den Haenden der roemischen Augurn sich zu einem weitlaeufigen +System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knuepfender +Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Dezennien dieser Epoche ward +sogar durch das Aelische und das Fufische Gesetz geradezu verordnet, +dass jede Volksversammlung auseinanderzugehen genoetigt sei, wenn es +einem hoeheren Beamten einfalle, nach Gewitterzeichen am Himmel zu +schauen; und die roemische Oligarchie war stolz auf den schlauen +Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Luege jedem Volksbeschluss +den Stempel der Nichtigkeit aufdruecken zu koennen. Umgekehrt lehnte +die roemische Opposition sich auf gegen die alte Uebung, dass die +vier hoechsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich selber +ergaenzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die +Stellen selbst, wie sie fuer die Vorstandschaften dieser Kollegien +schon frueher eingefuehrt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste +dieser Koerperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darueber sich +zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren +und zum Beispiel der Regierung mit religioesen Kassationsgruenden +politischer Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit +ward ein Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145) +schlug der Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis fuer die +Verwerfung des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104) +ging sodann der Vorschlag durch mit der frueher schon bei der Wahl der +Vorstaende gemachten Beschraenkungen zum Besten bedenklicher Gewissen, +dass nicht die ganze Buergerschaft, sondern nur der kleinere Teil der +Bezirke zu waehlen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in +vollem Umfang wieder her. Mit dieser Fuersorge der Konservativen fuer +die reine Landesreligion vertrug es natuerlich sich aufs beste, dass +eben in den vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben +ward. Die praktische Seite des roemischen Priestertums war die +priesterliche Kueche; die Augural- und Pontifikalschmaeuse +waren gleichsam die offiziellen Silberblicke eines roemischen +Feinschmeckerlebens und manche derselben machten Epoche in der +Geschichte der Gastronomie, wie zum Beispiel die Antrittsmahlzeit +des Augurs Quintus Hortensius die Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr +brauchbar ward auch die Religion befunden, um den Skandal pikanter zu +machen. Es war ein Lieblingsvergnuegen vornehmer junger Herren, zur +Nachtzeit auf den Strassen die Goetterbilder zu schaenden oder zu +verstuemmeln. Gewoehnliche Liebeshaendel waren laengst gemein und +Verhaeltnisse mit Ehefrauen fingen an es zu werden; aber ein Verhaeltnis +zu einer Vestalin war so pikant wie in der Welt des Decamerone die +Nonnenliebschaft und das Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge +Handel des Jahres 640 (114), in welchem drei Vestalinnen, Toechter der +vornehmsten Familien, und deren Liebhaber, junge Maenner gleichfalls aus +den besten Haeusern, zuerst vor dem Pontifikalkollegium und, da dies +die Sache zu vertuschen suchte, vor einem durch eigenen Volksschluss +eingesetzten ausserordentlichen Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung +gezogen und saemtlich zum Tode verurteilt wurden. Solchen Skandal nun +konnten freilich gesetzte Leute nicht billigen; aber dagegen war nichts +einzuwenden, dass man die positive Religion im vertrauten Kreise albern +fand: die Augurn konnten, wenn einer den andern fungieren sah, sich +einander ins Gesicht lachen, unbeschadet ihrer religioesen Pflichten. +Man gewinnt die bescheidene Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich +lieb, wenn man die krasse Unverschaemtheit der roemischen Priester und +Leviten damit vergleicht. Ganz unbefangen ward die offizielle Religion +behandelt als ein hohles, nur fuer die politischen Maschinisten noch +brauchbares Gerueste; in dieser Eigenschaft konnte es mit seinen +zahllosen Winkeln und Falltueren, wie es fiel, jeder Partei dienen +und hat einer jeden gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr +Palladium in der Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; +aber auch die Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen +ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete +dasselbe im ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes +in den eigenen uebergehen koenne. +----------------------------------------------------------- 3 Auch in +Varros Satire 'Die Aboriginer' wurde in spoettischer Weise dargestellt, +wie die Urmenschen sich nicht haetten genuegen lassen mit dem Gott, den +nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt haetten nach +Goetterpuppen und Goetterbilderchen. +----------------------------------------------------------- Im scharfen +Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst stehen die +verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und pflegte und +denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen +werden kann. Sie begegnen ueberall, bei den vornehmen Damen und Herren +wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in +Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf +dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg eine syrische +Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur Ueberwindung der +Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie mit +Verachtung zurueck; aber die roemischen Damen und namentlich Marius' +eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier, wo +der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumfuehrte, bis die +Teutonen geschlagen waren. Die Fuehrer der verschiedensten Parteien im +Buergerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben +an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat masste waehrend desselben in +den Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer +verrueckten Prophetin gemaess Anordnungen zu treffen. Fuer das Erstarren +der roemisch-hellenischen Religion, wie fuer das im Steigen begriffene +Beduerfnis der Menge nach staerkeren religioesen Stimulantien ist +es bezeichnend, dass der Aberglaube nicht mehr, wie in den +Bakchenmysterien, anknuepft an die nationale Religion; selbst die +etruskische Mystik ist bereits ueberfluegelt; durchaus in erster Linie +erscheinen die in den heissen Landschaften des Orients gezeitigten +Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen +kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevoelkerung, teils durch +die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit +dem Osten. Die Macht dieser fremdlaendischen Religion tritt sehr scharf +hervor in den Aufstaenden der sizilischen, groesstenteils aus Syrien +herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen; +die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen +grossenteils Goetternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der +geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig +verehrten Muetter. Aehnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich +seitdem die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen +Haefen gingen: Ostia und Puteoli wurden die grossen Stapelplaetze wie +fuer die syrischen Salben und die aegyptische Leinwand so auch fuer +den Glauben des Ostens. Ueberall ist mit der Voelker- auch die +Religionsmengung bestaendig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war +der populaerste der der pessinuntischen Goettermutter, der mit seinem +Eunuchenzoelibat, mit den Schmaeusen, der Musik, den Bettelprozessionen +und dem ganzen sinnlichen Gepraenge der Menge imponierte; die +Hauskollekten wurden bereits als eine oekonomische Last empfunden. +In der gefaehrlichsten Zeit des Kimbrischen Krieges erschien der +Hohepriester Battakes von Pessinus in eigener Person in Rom, um die +Interessen des dortigen, angeblich entweihten Tempels seiner Goettin zu +vertreten, redete im besonderen Auftrag der Goettermutter zum roemischen +Volk und tat auch verschiedene Wunder. Die verstaendigen Leute aergerten +sich, aber die Weiber und die grosse Menge liessen es sich nicht nehmen, +dem Propheten beim Abzug in hellen Haufen das Geleit zu geben. Geluebde, +nach dem Osten zu wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie +denn selbst Marius also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja +es gaben schon (zuerst 653 101) roemische Buerger sich zu dem +Eunuchenpriestertum her. Aber weit populaerer noch waren natuerlich die +unerlaubten und Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldaeische +Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem +marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die Sternguckerei +und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem traumseligen +Heimatland. Schon 615 (139) wies der roemische Fremdenpraetor die +saemtlichen "Chaldaeer" an, binnen zehn Tagen Rom und Italien zu +raeumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, welche zu ihrem +Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso hatte Scipio das +Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen Industrierittern jeder +Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte spaeter (657 97) sah man sogar +sich genoetigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der wilde Kult der +kappadokischen Ma oder, wie die Roemer sie nannten, der Bellona, welcher +bei den festlichen Aufzuegen die Priester das eigene Blut zum Opfer +verspritzten, und die duestere aegyptische Goetterverehrung beginnen +sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im Traume, und +von den spaeteren roemischen Isis- und Osirisgemeinden fuehrten die +aeltesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit zurueck. Man war +irre geworden, nicht bloss an dem alten Glauben, sondern auch an sich +selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fuenfzigjaehrigen Revolution, +das instinktmaessige Gefuehl, dass der Buergerkrieg noch keineswegs am +Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die truebe Beklommenheit +der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Hoehe und versenkte +sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in die drohenden +Verhaengnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe gegen das +Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden waehnte. +Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen politischen, +oekonomischen, sittlichen, religioesen Zerfahrenheit den ihm genehmen +Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als waeren +Riesenbaeume ueber Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wusste woher +und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue +Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemueter. In +aehnlicher Weise wie auf dem religioesen Gebiet vollendete sich die +in der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und +Bildung. Wie der Grundgedanke des roemischen Wesens, die buergerliche +Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem +Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist frueher dargestellt worden. +Schon zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit +verbreitet und gab es eine eigene roemische Bildung; allein man war +doch mit beiden nicht ueber die Anfaenge hinausgelangt. Was man unter +roemisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefaehr verstand, +zeigt Catos 'Encyklopaedie'; es ist wenig mehr als die Formulierung +des alten roemischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen +hellenischen Bildung verglichen, duerftig genug. Auf wie niedriger Stufe +noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in +Rom durchgaengig stand, laesst aus den Aeusserungen bei Polybios sich +abnehmen, welcher in dieser einen Hinsicht gegenueber der verstaendigen +privaten und oeffentlichen Fuersorge seiner Landsleute die straefliche +Gleichgueltigkeit der Roemer tadelnd hervorhebt - in den dieser +Gleichgueltigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der +buergerlichen Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu +finden vermocht. Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben +der aufgeklaerte stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte +auch in der Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine +besondere Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten +Ueberreste der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht ueberfluessig +sein, auf die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des +griechischen wie des hoeheren lateinischen, einen Blick zu werfen. +Es ist eine wundersame Fuegung, dass derselbe Mann, der politisch +die hellenische Nation definitiv ueberwand, Lucius Aemilius Paullus, +zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation +vollstaendig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen +geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war +ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im Sinn, +hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug, +um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schoenheit und die unbezwingliche +Sehnsucht nach den goldenen Aepfeln der Hesperiden in seiner Seele +heimzubringen; Dichter und Kuenstler hatten an dem fremden Mann einen +ernsteren und innigeren Glaeubigen gefunden, als irgendeiner war von den +klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf +Homeros oder Pheidias, aber er liess seine Kinder einfuehren in die +Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlaessigen, +soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen fuer die physische +Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach roemischen +Begriffen unzulaessigen Turnuebungen, aber durch Unterweisung in der +bei den Griechen fast kunstmaessig entwickelten Jagd, und steigerte den +griechischen Unterricht in der Art, dass nicht mehr bloss die Sprache um +des Sprechens willen gelernt und geuebt, sondern nach griechischer Art +der Gesamtstoff allgemeiner hoeherer Bildung an die Sprache geknuepft +und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die Kenntnis der +griechischen Literatur mit der zu deren Verstaendnis noetigen +mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und Philosophie. +Die Bibliothek des Koenigs Perseus war das einzige Stueck, das Paullus +aus der makedonischen Kriegsbeute fuer sich nahm, um sie seinen Soehnen +zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in seinem +Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kinder. Dass +die Zeit vorueber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus +gegenueber bloss ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato empfunden; +die Besseren mochten jetzt ahnen, dass der edle Kern roemischer Art +durch den ganzen Hellenismus weniger gefaehrdet werde als durch dessen +Verstuemmelung und Missbildung: die Masse der hoeheren Gesellschaft Roms +und Italiens machte die neue Weise mit. An griechischen Schulmeistern +war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt stroemten sie scharenweise, +und nicht bloss als Sprach-, sondern als Lehrer der Literatur und +Bildung ueberhaupt, nach dem neu eroeffneten ergiebigen Absatzmarkt +ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die +freilich, auch wenn sie nicht Sklaven waren, regelmaessig wie Bediente +4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palaesten Roms; man +raffinierte darauf, und es findet sich, dass fuer einen griechischen +Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (15200 Taler) gezahlt +worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der Hauptstadt eine Anzahl +besonderer Lehranstalten fuer griechische Deklamationsuebung. Schon +begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen roemischen +Lehrern: des Philosophen Panaetios ward bereits gedacht; der angesehene +Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs Zeitgenosse und +ebenbuertiger Rival, fand um 585 (169) in Rom ein Publikum fuer die +Vorlesung und sprachliche und sachliche Erlaeuterung der Homerischen +Gedichte. Zwar stiess diese neue Weise des Jugendunterrichts, +revolutionaer und antinational wie sie war, zum Teil auf den Widerstand +der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die Behoerden 593 (161) +gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb, zumal bei dem steten +Wechsel der roemischen Oberbeamten, wie alle aehnlichen Befehle ohne +nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato Tode ward in seinem +Sinne wohl noch oefters geklagt, aber nicht mehr gehandelt. Der +hoehere Unterricht im Griechischen und in den griechischen +Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein wesentlicher +Teil der italischen Bildung. +------------------------------------------------------ 4 Cicero sagt, +dass er seinen gelehrten Sklaven Dionysios ruecksichtsvoller behandelt +habe als Scipio den Panaetios; und in gleichem Sinne hiess es bei +Lucilius: Nuetzlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel +und Zeltdach Als der Philosoph. +------------------------------------------------------- Aber ihm zur +Seite entwickelte sich ein hoeherer lateinischer Unterricht. Es ist +in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der lateinische +Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an die Stelle +der Zwoelf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die lateinische +Odyssee getreten war und nun der roemische Knabe an dieser Uebersetzung, +wie der griechische an dem Original, die Kunde und den Vortrag +der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach- +und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch +wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende +Knaben und Juenglinge lehrten, es nicht verschmaehten, neben der +griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das +die Anfaenge eines hoeheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch +ein solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht +ueberschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht +bloss lateinische Schulbuecher, sondern eine lateinische Literatur gab +und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in einer +gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und +die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der hoeheren +Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen +Sprachmeistern liess nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt +durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Roemer +die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius' 'Punischen Krieg', +Ennius' 'Chronik', spaeterhin auch Lucilius' Gedichte zuerst einem +erlesenen Kreis, dann oeffentlich an fest bestimmten Tagen und unter +grossem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen +Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vortraege, +die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar +kein foermlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel, +die Jugend in das Verstaendnis und den Vortrag der klassischen +lateinischen Literatur einzufuehren. Aehnlich ging es mit der Bildung +der lateinischen Rede. Die vornehme roemische Jugend, die schon in +fruehem Alter mit Lob- und gerichtlichen Reden oeffentlich aufzutreten +angehalten ward, wird es an Redeuebungen nie haben fehlen lassen; indes +erst in dieser Epoche und infolge der neuen exklusiven Bildung entstand +eine eigentliche Redekunst. Als der erste roemische Sachwalter, der +Sprache und Stoff kunstmaessig behandelte, wird Marcus Lepidus +Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden beruehmten Advokaten +der marianischen Zeit, der maennliche und lebhafte Marcus Antonius +(611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663 +140-91), waren schon vollstaendig Kunstredner. Die Uebungen der Jugend +im Sprechen stiegen natuerlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben +doch, eben wie die lateinischen Literaturuebungen, wesentlich darauf +beschraenkt, dass der Anfaenger an den Meister der Kunst persoenlich +sich anschloss und durch sein Beispiel und seine Lehre sich ausbildete. +Foermliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in +lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius Praeconinus +von Lanuvium, der "Griffelmann" (Stilo) genannt, ein angesehener, streng +konservativ gesinnter roemischer Ritter, der mit einem auserlesenen +Kreise juengerer Maenner - darunter Varro und Cicero - den Plautus +und aehnliches las, auch wohl Entwuerfe zu Reden mit den Verfassern +durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies war +ein Unterricht; aber ein gewerbmaessiger Schulmeister war Stilo +nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom +die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein aelterer Freund der +aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote +stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmaessige +hoehere Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren +lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten +Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen +Anstalten erteilt. Dass Geist und Methode durchaus den griechischen +Literatur- und Sprachuebungen abgeborgt wurden, versteht sich von +selbst; und auch die Schueler bestanden wie bei diesen aus Juenglingen, +nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, +wie der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die +lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-, +Staats- und Gerichtsreden kunstmaessige Anleitung gegeben ward. Die +erste roemische Literaturschule eroeffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius +Nicanor Postumus, die erste besondere Schule fuer lateinische Rhetorik +um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den +lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser +neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten Bedeutung. +Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und lateinischer Rede, +wie sie frueher von hochgestellten Kennern und Meistern erteilt worden +war, hatte den Griechen gegenueber eine gewisse Selbstaendigkeit sich +bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl +unter dem Einfluss des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der +griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik; namentlich die +letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie der gesunde +Menschenverstand der Roemer empoerte sich gegen die griechische +Behauptung, dass die Faehigkeit, ueber Dinge, die der Redner verstand +und empfand, verstaendig und anregend in der Muttersprache zu +seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden +koenne. Dem tuechtigen praktischen Advokaten musste das gaenzlich dem +Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren fuer den Anfaenger +schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten und +durch das Leben gereiften Manne duenkte die griechische Rhetorik +schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging +die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmaessig entwickelten +Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der +Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen, +und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern, +zunaechst wohl als Uebungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so +war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede +noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen +lateinischen Rhetorschulen aber wurden die roemischen Jungen zu Maennern +und Staatsrednern dadurch gebildet, dass sie paarweise den bei der +Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus +der Ermordung seines Waffengefaehrten anklagten und dagegen ihn +verteidigten; dass sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in +Schutz nahmen; dass sie vielleicht auch dem Hannibal nachtraeglich mit +einem guten Rat darueber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung +nach Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht +zu ergreifen. Es ist begreiflich, dass gegen diese widerwaertigen und +verderblichen Wortmuehlen noch einmal die catonische Opposition sich +regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erliessen eine Warnung an +Lehrer und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Uebungen +hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewusst haetten; +und der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der +erste Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natuerlich +sprach die Kassandra vergebens; lateinische Deklamieruebungen ueber die +gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des +roemischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die Knaben +zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und jede +ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken. Als Gesamtergebnis +aber dieser modernen roemischen Erziehung entwickelte sich der neue +Begriff der sogenannten "Menschlichkeit", der Humanitaet, welche bestand +teils in der mehr oder minder oberflaechlich angeeigneten musischen +Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder +nachgestuemperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanitaet +sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch +roemischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in +sich, ebenwie unsere eng verwandte "allgemeine Bildung", einen national +kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die +Revolution, die die Staende schied und die Voelker verschmolz. 13. +Kapitel Literatur und Kunst Das sechste Jahrhundert ist, politisch +wie literarisch, eine frische und grosse Zeit. Zwar begegnet auf dem +schriftstellerischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen ein Mann +ersten Ranges; Naevius, Ennius, Plautus, Cato, begabte und lebendige +Schriftsteller von scharf ausgepraegter Individualitaet, sind nicht im +hoechsten Sinn schoepferische Talente; aber nichtsdestoweniger fuehlt +man dem Schwung, der Ruehrigkeit, der Keckheit ihrer dramatischen, +epischen, historischen Versuche es an, dass sie ruhen auf den +Riesenkaempfen der Punischen Kriege. Es ist vieles nur kuenstlich +verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt, Kunstform +und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales barock +ineinandergefuegt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des +schulmaessigen Urspungs nicht und ist unselbstaendig und unvollkommen; +aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo +nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und +die Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser +Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefuehl der im +Kriege gestaehlten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an +Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Mass des eigenen +Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das +vermochte man nicht weiterzufuehren, als teils die dumpfe Schwuele der +heraufziehenden revolutionaeren Gewitter die Luft zu erfuellen begann, +teils den Einsichtigeren allmaehlich die Augen aufgingen ueber die +unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und +ueber die sehr bescheidene kuenstlerische Begabung der eigenen Nation. +Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der +Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte +und empfaengliche Gemueter. Die gesteigerte hellenische Bildung des +siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen +naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Bluetenkeime mit +dem Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der aelteren +Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunaechst und +hauptsaechlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich +schloss und dessen hervorragendste Glieder unter der roemischen +vornehmen Welt ausser Scipio dessen aelterer Freund und Berater Gaius +Laelius (Konsul 614 140) und Scipios juengere Genossen, Lucius Furius +Philus (Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstoerers +von Korinth, unter den roemischen und griechischen Literaten der +Komiker Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber +Polybios, der Philosoph Panaetios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon +und Menandros gelaeufig waren, dem konnte der roemische Homer nicht +imponieren und noch weniger die schlechten Uebersetzungen Euripideischer +Tragoedien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu +liefern fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterlaendische Chronik +patriotische Ruecksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius +sehr spitzige Pfeile gegen "die traurigen Figuren aus den geschraubten +Expositionen des Pacuvius"; und aehnliche strenge, aber nicht ungerechte +Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, "die einen +Freibrief zu haben scheinen, schwuelstig zu reden und unlogisch zu +schliessen", begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser +Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte +die Achseln ueber die Interpolationen, mit denen der derbe roemische +Volkswitz die eleganten Komoedien des Philemon und des Diphilos +staffiert hatte. Halb laechelnd, halb neidisch wandte man sich ab von +den unzulaenglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise +erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblaetter aus +seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, liess +man in Poesie und Prosa die hoeheren Kunstgattungen wesentlich fallen +und beschraenkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich +einsichtig zu erfreuen. Die Produktivitaet dieser Epoche bewegt sich +vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren +Komoedie, der poetischen Miszelle, der politischen Broschuere, den +Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im +Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis +von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits +ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der hoeheren Gesellschaft +und das vulgaere des gemeinen Mannes. "Reine Sprache" verheissen die +Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement +der Lucilischen Satire; und ebendamit haengt es zusammen, dass die +griechische Schriftstellerei der Roemer jetzt entschieden zuruecktritt. +Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es +begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulaengliche, weit haeufiger +in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher +oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des +Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfaelschten Latein. +Desgleichen steigt die literarische Taetigkeit in der oeffentlichen +Meinung allmaehlich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser +Periode galt, wenn auch nicht die Veroeffentlichung rezitativer Poesien, +doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstuecken als nicht schicklich +fuer den vornehmen Roemer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren +Stuecken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit +goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhaeltnisse sich voellig +verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, dass +auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung +Anspruch machen durfte, deren Hoehe den Makel entfernte. Damit wurde die +Buehnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch +Maenner aus den hoechsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar +(Aedil 664 90, + 667 87) fuer die roemische Buehne taetig und stolz +darauf, in der roemischen "Dichtergilde" neben dem ahnenlosen Accius zu +sitzen. Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist +hin im Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, +die den Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr +entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der spaeteren wieder - die +Epigonen der Hannibalskaempfer sind korrekt, aber matt. Betrachten +wir zuerst die roemische Buehnenliteratur und die Buehne selbst. +Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitaeten auf; die +Tragoediendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der +vorigen, nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschaetzung dieses +Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im +Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen +Tragoedie (praetexta), der Schoepfung des Naevius, begegnen wir nur +noch bei dem gleich zu erwaehnenden Pacuvius, einem Spaetling der +Ennianischen Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern +griechischer Tragoedie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. +Marcus Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in +seinen frueheren Jahren im Rom vom Malen, erst im hoeheren Alter vom +Trauerspieldichten lebte, gehoert seinen Jahren wie seiner Art nach mehr +dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische +Taetigkeit in dieses faellt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines +Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach +hoeherem Schwunge strebend als sein Vorgaenger, galt er guenstigen +Kunstkritikern spaeter als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils; +in den auf uns gekommenen Bruchstuecken fehlt es indes nicht an Belegen, +die Ciceros sprachlichen und Lucilius' aesthetischen Tadel des Dichters +rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines +Vorgaengers, seine Dichtweise schwuelstig und tueftelnd ^1. Es finden +sich Spuren, dass er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion +gab; aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen +Richtung zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklaerung +predigenden Dramen und schoepfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei +Euripides - von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie +des Ennius kann in dem juengeren Dichter keine Ader gewesen sein. +------------------------------------------------- ^1 So hiess es im +'Paulus', einem Originalstueck, wahrscheinlich in der Beschreibung des +Passes von Pythion (2, 296): Qua vix caprigeno generi gradilis gressio +est. Wo kaum Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang. Und in +einem andern Stueck wird den Zuhoerern angesonnen, folgende Beschreibung +zu verstehen: Vierfuessig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh, +Niedrig, kurzkoepfig, schlangenhalsig, starr zu schaun, Und, +ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton. Worauf dieselben natuerlich +erwidern: Mit dichtverzaeuntem Worte schilderst du uns ab, Was ratend +schwerlich auch der kluge Mann durchschaut; Wenn du nicht offen redest, +wir verstehn dich nicht. Es erfolgt nun das Gestaendnis, dass die +Schildkroete gemeint ist. uebrigens fehlten solche Raetselreden auch bei +den attischen Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der +Mittleren Komoedie oft und derb mitgenommen wurden. +------------------------------------------------------ Lesbarere +und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragoedie lieferte des +Pacuvius juengerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen +Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), ausser Pacuvius der einzige +namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war +er, ein auch literarhistorisch und grammatisch taetiger Schriftsteller, +bemueht, statt der kruden Weise seiner Vorgaenger groessere Reinheit in +Sprache und Stil in die lateinische Tragoedie einzufuehren; doch ward +auch seine Ungleichheit und Inkorrektheit von den Maennern der strengen +Observanz, wie Lucilius, nachdruecklich getadelt. Weit groessere +Taetigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem Gebiete des +Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen die gangbare +und volksmaessige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte Reaktion. +Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der geschichtlich +interessantesten Erscheinungen in der roemischen Literatur. Geboren im +phoenikischen Afrika, in frueher Jugend als Sklave nach Rom gebracht und +dort in die griechische Bildung der Zeit eingefuehrt, schien er von +Haus aus dazu berufen, der neuattischen Komoedie ihren kosmopolitischen +Charakter zurueckzugeben, den sie in der Zustutzung fuer das roemische +Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer Genossen derben Haenden +einigermassen eingebuesst hatte. Schon in der Wahl und der Verwendung +der Musterstuecke zeigt sich der Gegensatz zwischen ihm und demjenigen +seiner Vorgaenger, den wir jetzt allein mit ihm vergleichen koennen. +Plautus waehlt seine Stuecke aus dem ganzen Kreise der neueren attischen +Komoedie und verschmaeht die keckeren und populaereren Lustspieldichter, +wie zum Beispiel den Philemon, durchaus nicht; Terenz haelt sich +fast ausschliesslich an Menandros, den zierlichsten, feinsten und +zuechtigsten unter allen Poeten der neueren Komoedie. Die Weise, mehrere +griechische Stuecke zu einem lateinischen zusammenzuarbeiten, wird von +Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage der Sache fuer den roemischen +Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, aber mit unvergleichlich mehr +Geschicklichkeit und Sorgsamkeit gehandhabt. Der Plautinische Dialog +entfernte sich ohne Zweifel sehr haeufig von seinen Mustern; Terenz +ruehmt sich des woertlichen Anschlusses seiner Nachbildungen an die +Originale, wobei freilich nicht an eine woertliche Uebersetzung in +unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht selten rohe, aber immer +drastische Auftragung roemischer Lokaltoene auf den griechischen Grund, +wie Plautus sie liebte, wird vollstaendig und absichtlich verbannt, +nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein Sprichwort, kaum eine +Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel werden durch griechische +ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in der kuenstlerischen +Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die Schauspieler die ihnen +gebuehrenden Masken zurueck und wird fuer eine sorgfaeltigere +Inszenierung Sorge getragen, so dass nicht mehr wie bei Plautus alles, +was dahin und nicht dahin gehoert, auf der Strasse vorzugehen braucht. +Plautus schuerzt und loest den Knoten leichtsinnig und lose, aber seine +Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit minder drastisch, +traegt ueberall, nicht selten auf Kosten der Spannung, der +Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdruecklich gegen die +allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe +seiner Vorgaenger, zum Beispiel gegen die allegorischen Traeume 3. +Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft, +immer fuer die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz +behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfaeltigen und oft +vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den 'Bruedern' die +beiden Alten, der bequeme staedtische Lebemann und der vielgeplackte, +durchaus nicht parfuemierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast +bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe, +Terenz im guten buergerlichen Haushalt. Die ruepelhafte Plautinische +Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den +obligaten Wirten dazu, die saebelrasselnden Landsknechte, die ganz +besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren +Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum +Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen, +unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen +regelmaessig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein +Maedchenwirt ausgepluendert oder ein junger Mensch ins Bordell gefuehrt, +so geschieht es in moralischer Absicht, etwa aus bruederlicher Liebe +oder um den Knaben vom Besuch schlichter Haeuser abzuschrecken. In den +Plautinischen Stuecken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen +das Haus: ueberall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergoetzung +aller zeitweilig emanzipierten und einer liebenswuerdigen Begruessung +daheim nicht voellig versicherten Eheleute. In den Terenzischen +Komoedien herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere +Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmaessig +schliessen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womoeglich mit +zweien - ebenwie von Menandros geruehmt wird, dass er jede Verfuehrung +durch eine Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose +Leben, die bei Menandros so haeufig sind, werden von seinem roemischen +Bearbeiter nur mit charakteristischer Schuechternheit wiederholt +4, dagegen der Verliebte in seiner Pein, der zaertliche Ehemann +am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im +'Verschnittenen' und im 'Maedchen von Andros' gar anmutig geschildert; +ja in der 'Schwiegermutter' erscheint sogar am Schluss als rettender +Engel ein tugendhaftes Freudenmaedchen, ebenfalls eine echt Menandrische +Figur, die das roemische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei +Plautus sind die Vaeter durchaus nur dazu da, um von den Soehnen gefoppt +und geprellt zu werden; bei Terenz wird im 'Selbstquaeler' der verlorene +Sohn durch vaeterliche Weisheit gebessert und, wie er ueberhaupt voll +trefflicher Paedagogik ist, geht in dem vorzueglichsten seiner Stuecke, +den 'Bruedern', die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen +Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu +finden. Plautus schreibt fuer den grossen Haufen und fuehrt gottlose +und spoettische Reden im Munde, soweit die Buehnenzensur es irgend +gestattet; Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu +gefallen und, wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den +raschen, oft laermenden Dialog, und es gehoert zu seinen Stuecken das +lebhafte Koerperspiel der Schauspieler; Terenz beschraenkte sich auf +"ruhiges Gespraech". Plautus' Sprache fliesst ueber von burlesken +Wendungen und Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen +Neubildungen, aristophanischen Woerterverklitterungen, spasshaft +entlehnten griechischen Schlagwoertern. Dergleichen Capricci kennt +Terenz nicht: sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmass, und die +Pointen sind zierliche epigrammatische und sentenzioese Wendungen. +Kein Lustspiel des Terenz ist dem Plautinischen gegenueber, weder in +poetischer noch in sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von +Originalitaet kann bei beiden nicht, aber wo moeglich noch weniger bei +Terenz, die Rede sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung +wird wenigstens aufgewogen dadurch, dass der juengere Dichter wohl +die Vergnueglichkeit, aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben +verstand, so dass die dem Menander nachgedichteten Lustspiels des +Plautus, wie der 'Stichus', die Kaestchenkomoedie, 'Die beiden +Backchis', wahrscheinlich weit mehr von dem sprudelnden Zauber des +Originals bewahren als die Komoedien des "halbierten Menander". +Ebensowenig wie in dem Uebergang vom Rohen zum Matten der Aesthetiker, +kann der Sittenrichter in dem Uebergang von der Plautinischen Zote und +Indifferenz zu der Terenzischen Akkommodierungsmoral einen Fortschritt +erkennen. Aber ein sprachlicher Fortschritt fand allerdings statt. Die +elegante Sprache war der Stolz des Dichters, und ihrem unnachahmlichen +Reiz vor allem verdankte er es, dass die feinsten Kunstrichter der +Folgezeit, wie Cicero, Caesar, Quintilian, unter allen roemischen +Dichtern der republikanischen Zeit ihm den Preis zuerkannten. Insofern +ist es auch wohl gerechtfertigt, in der roemischen Literatur, deren +wesentlicher Kern ja nicht die Entwicklung der lateinischen Poesie, +sondern die der lateinischen Sprache ist, von den Terenzischen +Lustspielen als der ersten kuenstlerisch reinen Nachbildung hellenischer +Kunstwerke eine neue Aera zu datieren. Im entschiedensten literarischen +Krieg brach die moderne Komoedie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise +hatte in dem roemischen Buergerstand Wurzel gefasst; die Terenzischen +Lustspiele stiessen auf den lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum, +das ihre "matte Sprache", ihren "schwachen Stil" unleidlich fand. +Der, wie es scheint, ziemlich empfindliche Dichter antwortete in den +eigentlich keineswegs hierzu bestimmten Prologen mit Antikritiken voll +defensiver und offensiver Polemik und provozierte von der Menge, die aus +seiner 'Schwiegermutter' zweimal weggelaufen war, um einer Fechter- +und Seiltaenzerbande zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen +Welt. Er erklaerte, nur nach dem Beifall der "Guten" zu streben, wobei +freilich die Andeutung nicht fehlt, dass es durchaus nicht anstaendig +sei, Kunstwerke zu missachten, die den Beifall der "Wenigen" erhalten +haetten. Er liess die Rede sich gefallen oder beguenstigte sie sogar, +dass vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der +Tat unterstuetzten 5. In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur +herrschte die Oligarchie und verdraengte die kunstmaessige Komoedie der +Exklusiven das volkstuemliche Lustspiel: wir finden, dass um 620 (134) +die Plautinischen Stuecke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um +so bezeichnender, als nach dem fruehen Tode des Terenz durchaus kein +hervorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet taetig war; ueber die +Komoedien des Turpilius (+ 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder +fast ganz verschollene Lueckenbuesser urteilte schon am Ende dieser +Periode ein Kenner, dass die neuen Komoedien noch viel schlechter seien +als die schlechten neuen Pfennige. Dass wahrscheinlich bereits im +Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der griechisch-roemischen Komoedie +(palliata) die nationale (togata) hinzugetreten war als Abbild zwar +nicht des spezifischen hauptstaedtischen, aber doch des Tuns und +Treibens im latinischen Land, ist frueher gezeigt worden. Natuerlich +bemaechtigte die Terenzische Schule rasch sich auch dieser Gattung; es +war ganz in ihrem Sinn, die griechische Komoedie einerseits in getreuer +Uebersetzung, andererseits in rein roemischer Nachdichtung in Italien +einzubuergern. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius +(blueht um 660 90). Die Bruchstuecke, die uns von ihm vorliegen, geben +keinen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht dem, +was die roemischen Kunstkritiker ueber ihn bemerken. Seine zahlreichen +Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus dem griechischen +Intrigenstueck nachgebildet, nur dass sie, wie bei der Nachdichtung +natuerlich ist, einfacher und kuerzer ausfielen. Auch im einzelnen +borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils aus der aelteren +Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltoenen aber, die bei dem +Schoepfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt hervortreten, +begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten sich sehr +allgemein und moegen wohl durchgaengig Nachbildungen bestimmter +griechischer Komoedien nur mit veraendertem Kostuem sein. Ein +feiner Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische +Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz; +auch die sittliche Tendenz, die seine Stuecke dem Schauspiel naeherte, +die polizeimaessige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein. +Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren +ihn hinreichend das Urteil der Spaeteren, dass er die Toga trage wie +Menandros sie als Italiker getragen haben wuerde, und seine +eigene Aeusserung, dass ihm Terenz ueber alle andern Dichter gehe. +------------------------------------------- 2 Vielleicht die einzige +Ausnahme ist im 'Maedchen von Andros' (4, 5) die Antwort auf die Frage, +wie es gehe: Nun, Wie wir koennen, heisst's ja, da, wie wir moechten, +es nicht geht, mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen +Sprichwort nachgebildete Zeile des Caecilius: Geht's nicht so, wie +du magst, so lebe wie du kannst. Das Lustspiel ist das aelteste +der Terenzischen und ward auf Empfehlung des Caecilius von dem +Theatervorstand zur Auffuehrung gebracht. Der leise Dank ist +bezeichnend. 3 Ein Seitenstueck zu der von Hunden gehetzten, weinend +einen jungen Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm. +prol. 4) verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen +Allegorie von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen duerfen. +Schliesslich gehen auch dergleichen Auswuechse auf die Euripideische +Rhetorik zurueck (z. B. Eur. Hek. 90). 4 Micio in den 'Bruedern' (I, 1) +preist sein Lebenslos und namentlich auch, dass er nie eine Frau gehabt, +"was jene (die Griechen) fuer ein Glueck halten". 5 Im Prolog des +'Selbstquaelers' laesst er von seinen Rezensenten sich vorwerfen: +Er habe verlegt sich ploetzlich auf die Poesie, Der Freunde Geist +vertrauend, nicht aus eignem Drang; und in dem spaeteren (594 160) zu +den 'Bruedern' heisst es: Denn wenn Missguenstige sagen, dass vornehme +Herrn Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stueck, So rechnet +dies, was herber Tadel jenen scheint, Der Dichter zum Ruhm sich: dass +den Maennern er gefaellt, Die euch und allem Volke wohlgefaellig sind, +Die in Kriegslaeuften seinerzeit mit Rat und Tat Hilfreich erprobt +ihr all' und ohne Uebermut. Schon in der ciceronischen Zeit war es +allgemeine Annahme, dass hier Laelius und Scipio Aemilianus gemeint +seien; man bezeichnete die Szenen die von denselben herruehren sollten; +man erzaehlte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen vornehmen +Goennern auf ihre Gueter bei Rom und fand es unverzeihlich, dass +dieselben fuer die Verbesserung seiner oekonomischen Lage gar nichts +getan haetten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekanntlich nirgends +maechtiger als in der Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon +besonnene roemische Kritiker haben es erkannt, dass diese Zeilen +unmoeglich auf den damals 25jaehrigen Scipio und auf seinen nicht viel +aelteren Freund Laelius gehen koennen. Verstaendiger wenigstens dachten +andere an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und +Marcus Popillius (Konsul 581 173) und den gelehrten Kunstfreund und +Mathematiker Lucius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch +dies offenbar nur Vermutung. Dass Terenz dem Scipionischen Hause nahe +stand, ist uebrigens nicht zu bezweifeln; es ist bezeichnend, dass die +erste Auffuehrung der 'Brueder' und die zweite der 'Schwiegermutter' +stattfand bei den Begraebnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die +dessen Soehne Scipio und Fabius ausrichteten. 6 Dabei haben +vermutlich auch aeusserliche Umstaende mitgewirkt. Nachdem infolge +des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das roemische +Buergerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die Szene eines +Lustspiels in eine solche zu verlegen, und musste der Dichter sich +entweder allgemein halten oder untergegangene oder auslaendische +Orte auswaehlen. Gewiss hat auch dieser Umstand, der selbst bei +der Auffuehrung der aelteren Lustspiele in Betracht kam, auf +das Nationallustspiel unguenstig eingewirkt. +------------------------------------------- Neu trat in dieser Epoche +in das Gebiet der lateinischen Literatur die Posse ein. Sie selbst +war uralt; lange bevor Rom stand, moegen Latiums lustige Gesellen +bei festlichen Gelegenheiten in den ein fuer allemal feststehenden +Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen Hintergrund +erhielten diese Spaesse an dem lateinischen Schildburg, wozu man die +im Hannibalischen Kriege zerstoerte und damit der Komik preisgegebene +ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward fuer diese +Auffuehrungen der Name der "Oskischen Spiele" oder "Spiele von Atella" +ueblich 7. Aber mit der Buehne 8 und mit der Literatur hatten diese +Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es ihnen +beliebte aufgefuehrt, und die Texte nicht geschrieben oder doch +nicht veroeffentlicht. Erst in dieser Periode ueberwies man das +Atellanenstueck an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, aehnlich +wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den +Tragoedien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische +Taetigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die roemische Kunstposse ganz +selbstaendig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht +verwandte unteritalische zu ihr den Anstoss gegeben hat ^10, laesst +sich nicht mehr entscheiden; dass die einzelnen Stuecke durchgaengig +Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiss. Als Begruender dieser neuen +Literaturgattung trat in der ersten Haelfte des siebenten Jahrhunderts +^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben +dessen Stuecken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich +beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Truemmer und die Berichte +der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze, +regelmaessig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der +tollen und locker geknuepften Fabel beruhte als auf der drastischen +Abkonterfeiung einzelner Staende und Situationen. Gern wurden Festtage +und oeffentliche Akte komisch geschildert: 'Die Hochzeit, 'Der erste +Maerz', 'Pantalon Wahlkandidat'; ebenso fremde Nationalitaeten: die +transalpinischen Gallier, die Syrer; vor allem haeufig erschienen auf +den Brettern die einzelnen Gewerbe: der Kuester, der Wahrsager, der +Vogelschauer, der Arzt, der Zoellner, der Maler, Fischer, Baecker gingen +ueber die Buehne; die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die +Walker, die in der roemischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider +gespielt zu haben scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen staedtischen +Leben sein Recht geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden +und Freuden nach allen Seiten dargestellt - von der Fuelle dieses +laendlichen Repertoires geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen +Titel, wie zum Beispiel 'Die Kuh', 'Der Esel', 'Das Zicklein', 'Die +Sau', 'Das Schwein', 'Das kranke Schwein, 'Der Bauer, 'Der Landmann, +'Pantalon Landmann, 'Der Rinderknecht, 'Die Winzer, 'Der Feigensammler', +'Das Holzmachen', 'Das Behacken, 'Der Huehnerhof'. Immer noch waren es +in diesen Stuecken die stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen +Dieners, des guten Alten, des weisen Mannes, die das Publikum +ergoetzten; namentlich der erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell +dieser Posse, der gefraessige, unflaetige ausstaffiert haessliche und +dabei ewig verliebte Maccus, immer im Begriff, ueber seine eigenen +Fuesse zu fallen, von allen mit Hohn und mit Pruegeln bedacht und +endlich am Schluss der regelmaessige Suendenbock - die Titel 'Pulcinell +Soldat, 'Pulcinell Wirt', 'Jungfer Pulcinell', 'Pulcinell in der +Verbannung, 'Die beiden Pulcinelle' moegen dem gutgelaunten Leser eine +Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der roemischen Mummenschanz +herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit sie geschrieben wurden, +den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich fuegten und in den +Versmassen zum Beispiel der griechischen Buehne sich anschlossen, so +hielten sie doch sich natuerlicherweise bei weitem latinischer und +volkstuemlicher als selbst das nationale Lustspiel; in die griechische +Welt begab sich die Posse nur in der Form der travestierten Tragoedie +^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius und ueberhaupt nicht +sehr haeufig kultiviert worden zu sein. Die Posse dieses Dichters wagte +sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch wenigstens bis zu dem +menschlichsten der Goetter, dem Hercules; er schrieb einen 'Hercules +Auctionator'. Dass der Ton nicht der feinste war, versteht sich; +sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkoernige Bauernzoten, Kinder +schreckende und gelegentlich fressende Gespenster gehoerten hier einmal +mit dazu, und persoenliche Anzueglichkeiten, sogar mit Nennung der +Namen, schluepften nicht selten durch. Aber es fehlte auch nicht an +lebendiger Schilderung, an grotesken Einfaellen, schlagenden Spaessen, +kernigen Spruechen, und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht +unansehnliche Stellung im Buehnenleben der Hauptstadt und selbst in der +Literatur. ------------------------------------ 7 Es knuepfen sich +an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irrtuemern. Das arge +Versehen griechischer Berichterstatter, dass diese Possen in Rom in +oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein +verworfen; allein es stellt bei genauerer Betrachtung sich nicht minder +als unmoeglich heraus diese, in der Mitte des latinischen Stadt- und +Landlebens stehenden Stuecke ueberhaupt auf das national oskische Wesen +zu beziehen. Die Benennung des "Atellanischen Spiels" erklaert sich +auf eine andere Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und +stehenden Spaessen bedurfte einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt +sucht ueberall sich ein Schildburg. Natuerlich konnte bei der roemischen +Buehnenpolizei keine der roemischen oder auch nur mit Rom verbuendeten +latinischen Gemeinden dazu genommen werden, obwohl die togatae in diese +zu verlegen gestattet war. Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre +543 (211) rechtlich vernichtet ward, tatsaechlich aber als ein von +roemischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder +Beziehung. Zur Gewissheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung, +dass einzelne dieser Possen auch in anderen ueberhaupt oder doch +rechtlich nicht mehr existierenden Gemeinden des lateinisch redenden +Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi +und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses +in Suessa Pometia, waehrend keine bestehende Gemeinde aehnlich +gemisshandelt wird. Die wirkliche Heimat dieser Stuecke ist also Latium, +ihr poetischer Schauplatz die latinisierte Oskerlandschaft; mit der +oskischen Nation haben sie nichts zu tun. Dass ein Stueck des Naevius +(+ nach 550 200) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von +"Atellanenspielern" aufgefuehrt ward und deshalb personata hiess +(Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem Fall; die Benennung +"Atellanenspieler" wird hier proleptisch stehen, und man koennte sogar +danach vermuten, dass sie frueher "Maskenspieler" (personati) hiessen. +Ganz in gleicher Weise erklaeren sich endlich auch die "Lieder von +Fescennium", die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Roemer +gehoeren und in der suedetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert +wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu +duerfen als die Atellanen zur oskischen. Dass Fescennium in historischer +Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, laesst sich allerdings nicht +unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des +Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im hoechsten +Grade wahrscheinlich. 8 Die enge und urspruengliche Verbindung, in die +namentlich Livius die Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser +sich entwickelnden Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar. +Zwischen dem Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied +ungefaehr ebenso gross wie heutzutage zwischen dem, der auf die Buehne +und dem, der auf den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das +bis auf Terenz keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf +der Charaktermaske beruhte, besteht ein urspruenglicher, in keiner +Weise auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem +Floetenstuecke, das anfangs ohne alle Rezitation bloss auf Gesang +und Tanz sich beschraenkte, sodann einen Text (satura), endlich durch +Andronicus ein der griechischen Schaubuehne entlehntes Libretto erhielt, +worin die alten Floetenlieder ungefaehr die Stelle des griechischen +Chors einnahmen. Mit der Dilettantenposse beruehrt sich dieser +Entwicklungsgang in den frueheren Stadien nirgends. 9 In der Kaiserzeit +ward die Atellane durch Schauspieler von Profession dargestellt +(Friedlaender in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit, wo diese +anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht ueberliefert, kann aber +kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die Atellane +unter die regelmaessigen Buehnenspiele eintrat, das heisst die +vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im +Widerspruch, dass noch zu Livius' (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im +Gegensatz der uebrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn +damit, dass Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane +mitaufzufuehren anfingen, ist noch gar nicht gesagt, dass dieselbe nicht +mehr, zum Beispiel in den Landstaedten, von unbezahlten Dilettanten +aufgefuehrt ward und das Privilegium also fortwaehrend anwendbar blieb. +^10 Es verdient Beachtung, dass die griechische Posse nicht bloss +vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer +Stuecke (zum Beispiel unter denen des Sopatros 'Das Linsengericht, +'Bakchis' Freier, 'Des Mystakos Lohnlakai, 'Die Gelehrtem, 'Der +Physiolog') lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muss diese +Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen +in und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien +bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, fuehrt +schon einen roemischen Namen und schrieb eine Posse 'Saturnus'. ^11 Nach +Eusebius bluehte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn Zeitgenossen +des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius (611-667 +143-87). Die erste Ansetzung duerfte um ein Menschenalter zu spaet sein; +die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt in seinen +'Malern' noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen auch schon +die Mimen, welche die Atellanen von der Buehne verdraengten. ^12 Lustig +genug mochte sie auch hier sein. So hiess es in Novius' 'Phoenissen': +Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot! ganz +wie Menanders 'falscher Herakles' auftritt. +---------------------------------------------- Was endlich die +Entwicklung des Buehnenwesens anlangt, so sind wir nicht imstande, im +einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, dass das allgemeine +Interesse an den Buehnenspielen bestaendig im Steigen war und dieselben +immer haeufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloss ward jetzt +wohl kaum ein ordentliches oder ausserordentliches Volksfest ohne +Buehnenspiele begangen, auch in den Landstaedten und Privathaeusern +wurden Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewoehnlich. Zwar +entbehrte, waehrend wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser +Zeit ein steinernes Theater besass, die Hauptstadt eines solchen noch +immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599 +(185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es +war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, dass +man aus Respekt vor den Sitten der Vaeter die Erbauung eines stehenden +Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reissend +zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden liess, +um Brettergerueste fuer dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die +Buehneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung +und die Wiedereinfuehrung der Masken um die Zeit des Terenz haengt wohl +ohne Zweifel damit zusammen, dass die Einrichtung und Instandhaltung +der Buehne und des Buehnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse +uebernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die +Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609 +145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art +akustisch gebautes und mit Sitzplaetzen versehenes Theater aufgeschlagen +und ueberhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch +von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer +Stuecke, von lebhafter Parteinahme des Publikums fuer und gegen die +Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. Dekorationen +und Maschinerie wurden verbessert: kunstmaessig gemalte Kulissen und +hoerbare Theaterdonner kamen unter der Aedilitaet des Gaius Claudius +Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre spaeter (675 79) unter der +Aedilitaet der Brueder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung +der Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche +gehoert der groesste roemische Schauspieler an, der Freigelassene +Quintus Roscius (+ um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen +hindurch der Schmuck und Stolz der roemischen Buehne ^16, Sullas Freund +und gern gesehener Tischgenosse, auf den noch spaeter zurueckzukommen +sein wird. ----------------------------------------------- ^13 Bisher +hatte der Spielgeber die Buehne und den szenischen Apparat aus der ihm +ueberwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand setzen muessen +und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden sein. Im Jahre +580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der Buehne fuer die +Spiele der Aedilen und Praetoren besonders in Verding (Liv. 41, 27); +dass der Buehnenapparat jetzt nicht mehr bloss fuer einmal angeschafft +ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben gefuehrt haben. +^14 Die Beruecksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen +folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Ueber die Sitzplaetze hat F. W. Ritschl, +Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX) +gesprochen; doch duerften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen, +welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen +gehabt haben. Wahrscheinlich gehen uebrigens zunaechst auf diese +epochemachenden Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte +des Horaz, dass "das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm". +^15 Die Kulissen des Pulcher muessen ordentlich gemalt gewesen sein, +da die Voegel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu +setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die +Donnermaschinerie darin bestanden, dass Naegel und Steine in einem +kupfernen Kessel geschuettelt wurden; erst Pulcher stellte einen +besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem +"Claudischen Donner" (Festus v. Claudiana p. 57). ^16 Unter den wenigen, +aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten findet sich folgendes +Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler: Constiteram, exorientem +Auroram forte salutans, Cum subito a laeva Roscius exoritur. Pace mihi +liceat, caelestes, dicere vestra: Mortalis visust pulchrior esse deo. + Juengsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn: Da +zur Linken mir, schau! ploetzlich geht Roscius auf. Zuernet, ihr +Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe: Schoener fuerwahr +als der Gott deuchte der Sterbliche mir. Der Verfasser dieses griechisch +gehaltenen und von griechischem Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms +ist kein geringerer Mann als der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius +Catulus, Konsul 652 (102). ------------------------------------------ +In der rezitativen Poesie faellt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf, +das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur +entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar +zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur +voruebergehendem Erfolg. Aus der gegenwaertigen Epoche ist kaum etwas +zu nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu uebersetzen +und einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbuecher, wie des Hostius +'Histrischer Krieg' und des Aulus Furius (um 650 100) 'Jahrbuecher +(vielleicht) des Gallischen Krieges', die allem Anschein nach +unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des Histrischen +Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehoert hatte. Auch in der +didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein hervorragender +Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative Dichtkunst dieser +Epoche aufzuweisen hat, gehoeren dem Gebiete der sogenannten Satura an, +derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe oder der Broschuere jede +Form zulaesst und jeden Inhalt aufnimmt, darum auch aller eigentlichen +Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der Individualitaet eines +jeden Dichters sich individualisiert und nicht bloss auf der Grenze +von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur Haelfte ausserhalb +der eigentlichen Literatur steht. Die launigen poetischen Episteln, die +einer der juengeren Maenner des Scipionischen Kreises, Spurius Mummius, +der Bruder des Zerstoerers von Korinth, aus dem Lager von Korinth an +seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert spaeter +gern gelesen; und es moegen dergleichen nicht zur Veroeffentlichung +bestimmte poetische Scherze aus dem reichen geselligen und geistigen +Leben der besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr +Vertreter in der Literatur ist Gaius Lucilius (606-651 148-103), einer +angesehenen Familie der latinischen Kolonie Suessa entsprossen und +gleichfalls ein Glied des Scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte +sind gleichsam offene Briefe an das Publikum, ihr Inhalt, wie ein +geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das ganze Leben des gebildeten +unabhaengigen Mannes, der den Vorgaengen auf der politischen Schaubuehne +vom Parkett und gelegentlich von den Kulissen aus zusieht, der mit den +Besten seiner Zeit verkehrt als mit seinesgleichen, der Literatur und +Wissenschaft mit Anteil und Einsicht verfolgt, ohne doch selbst fuer +einen Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich fuer +alles, was im Guten und Boesen ihm begegnet, fuer politische Erfahrungen +und Erwartungen, fuer Sprachbemerkungen und Kunsturteile, fuer eigene +Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie fuer vernommene Anekdoten +sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch, kaprizioes, durchaus +individuell hat die Lucilische Poesie doch eine scharf ausgepraegte +oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, literarisch sowohl +wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung +der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefuehl des rein +redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das +grosse Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbnis. Die Richtung +des Scipionischen Kreises auf literarische, namentlich sprachliche +Korrektheit findet kritisch ihren vollendetsten und geistreichsten +Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes Buch dem Begruender +der roemischen Philologie, Lucius Stilo, und bezeichnete als das +Publikum, fuer das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise reiner und +mustergueltiger Rede, sondern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer, +das heisst die Halbgriechen Italiens, deren Lateinisch allerdings +eines Korrektivs wohl beduerfen mochte. Ganze Buecher seiner Gedichte +beschaeftigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie +und Prosodie, mit der Bekaempfung praenestinischer, sabinischer, +etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer Soloezismen, +woneben der Dichter aber keineswegs vergisst, den geistlos schematischen +Isokrateischen Wort- und Phrasenpurismus zu verhoehnen ^17 und +selbst dem Freunde Scipio die exklusive Feinheit seiner Rede in recht +ernsthaften Scherzen vorzuruecken ^18. Aber weit ernstlicher noch als +das reine einfache Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat- +und im oeffentlichen Leben. Seine Stellung beguenstigte ihn hierbei in +eigener Art. Obwohl durch Herkunft, Vermoegen und Bildung den vornehmen +Roemern seiner Zeit gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen +Hauses in der Hauptstadt, war er doch nicht roemischer Buerger, sondern +latinischer; selbst sein Verhaeltnis zu Scipio, unter dem er in seiner +ersten Jugend den Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen +Hause er haeufig verkehrte, mag damit zusammenhaengen, dass Scipio in +vielfachen Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen +Fehden der Zeit ihr Patron war. Die oeffentliche Laufbahn war ihm +hierdurch verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmaehte er - +er mochte nicht, wie er einmal sagt, "aufhoeren, Lucilius zu sein, um +asiatischer Steuerpaechter zu werden". So stand er in der schwuelen +Zeit der Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden +Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palaesten und Villen der +roemischen Grossen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten +in den Wogen des politischen Koterien- und Parteikampfes und doch nicht +unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; aehnlich wie Beranger, an den +gar vieles in Lucilius' politischer und poetischer Stellung erinnert. +Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwuestlichem gesunden +Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem +Witz hinein in das oeffentliche Leben. Jetzt aber am Fest- und Werkeltag +Den ganzen lieben langen Tag Auf dem Markte von frueh bis Spat Draengen +die Buerger und die sich vom Rat Und weichen und wanken nicht von der +Statt. Ein Handwerk einzig und allein Betreiben alle insgemein, Den +andern zu prellen mit Verstand, Im Luegen zu haben die Vorderhand Und zu +werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt. All' untereinandern +belauern sie sich, Als laege jeder mit jedem im Krieg ^19. +----------------------------------------------------------- ^17 Quam +lepide lexeis, compostae ut tesserulae omnes Arte pavimento atque +emblemate vermiculato! Ei, die niedliche Phrasenfabrik! Gefuegt so +zierlich Stueck fuer Stueck, Wie die Stifte im bunten Mosaik. ^18 Der +Dichter raet ihm: Quo facetior videare et scire plus quam ceteri, Dass +du gebildeter als die andern heissest und ein feinerer Mann, - nicht +pertaesum, sondern pertisum zu sagen. ^19 Nunc vero a mane ad noctem, +festo atque profesto Toto itidem pariterque die populusque patresque +Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam. Uni se atque eidem studio +omnes dedere et arti: Verba dare ut acute possint, pugnare dolose, +Blanditia certare, bonun simulare virum se, Insidias facere ut si +hostes sint omnibus omnes. +------------------------------------------------------------ Die +Erlaeuterungen zu diesem unerschoepflichen Text griffen schonungslos, +ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die +Uebelstaende der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen +Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eroeffnung seiner +Satiren war eine grosse Debatte des olympischen Goettersenats ueber die +Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen +sich zu erfreuen. Koerperschaften, Staende, Individuen wurden ueberall +einzeln mit Namen genannt; die der roemischen Buehne verschlossene +Poesie der politischen Polemik ist das rechte Element und der +Lebenshauch der Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf +uns gekommenen Truemmern noch entzueckenden Macht des schlagendsten und +bilderreichsten Witzes "gleichwie mit gezogenem Schwerte" auf den Feind +eindringen und ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Uebergewicht und +dem stolzen Freiheitsgefuehl des Dichters von Suessa, liegt der Grund, +weshalb der feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der +roemischen Poesie die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller +Ueberlegenheit im Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem aelteren +Poeten weicht als "seinem Besseren". Die Sprache ist die des griechisch +und lateinisch durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen laesst; +ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach +Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp +zu sein; unnuetzige Weitlaeufigkeit, schluderige Wiederholung derselben +Wendung, arge Nachlaessigkeiten begegnen. haeufig; das erste Wort, +lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Aehnlich sind die +Masse, namentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man +die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so wuerde kein +Mensch merken, dass er etwas anderes vor sich habe als einfache +Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren Knuettelversen +vergleichen 20. Die Terenzischen und die Lucilischen Gedichte stehen auf +demselben Bildungsniveau und verhalten sich wie die sorgsam gepflegte +und gefeilte literarische Arbeit zu dem mit fliegender Feder +geschriebenen Brief. Aber die unvergleichlich hoehere geistige Begabung +und freiere Lebensanschauung, die der Ritter von Suessa vor dem +afrikanischen Sklaven voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch +und glaenzend, wie der des Terenz muehsam und zweifelhaft gewesen war; +Lucilius war sofort der Liebling der Nation und auch er konnte wie +Beranger von seinen Gedichten sagen, "dass sie allein unter allen vom +Volke gelesen wuerden". Die ungemeine Popularitaet der Lucilischen +Gedichte ist auch geschichtlich ein bemerkenswertes Ereignis; man +sieht daraus, dass die Literatur schon eine Macht war, und ohne Zweifel +wuerden wir die Spuren derselben, wenn eine eingehende Geschichte dieser +Zeit sich erhalten haette, darin mehrfach antreffen. Die Folgezeit +hat das Urteil der Zeitgenossen nur bestaetigt; die antialexandrinisch +gesinnten roemischen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang +unter allen lateinischen Dichtern zu. Soweit die Satire ueberhaupt als +eigene Kunstform angesehen werden kann, hat Lucilius sie erschaffen und +in ihr die einzige Kunstgattung, welche den Roemern eigentuemlich +und von ihnen auf die Nachwelt vererbt worden ist. +----------------------------------------- 20 Folgendes laengere +Bruchstueck ist charakteristisch fuer die stilistische und metrische +Behandlung, deren Lotterigkeit sich in deutschen Hexametern unmoeglich +wiedergeben laesst: Virtus, Albine, est pretium persolvere verum Queis +in versamur, queis vivimu' rebu potesse; Virtus est homini scire id +quod quaeque habeat res; Virtus scire homini rectum, utile quid sit, +honestum, Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum; +Virtus quaerendae rei finem scire modumque; Virtus divitiis pretium +persolvere posse; Virtus id dare quod re ipsa debetur honori, Hostem +esse atque inimicum hominum morumque malorum. Contra defensorem hominum +morumque bonorum, Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum; +Commoda praeterea patriae sibi prima putare, Deinde parentum, tertia iam +postremaque nostra. Tugend ist zahlen den rechten Preis Zu koennen nach +ihrer Art und Weis Fuer jede Sach' in unserm Kreis; Tugend, zu wissen, +was jedes Ding Mit sich fuer den Menschen bring'; Tugend, zu wissen, was +nuetzlich und recht, Was gut und uebel, unnuetz und schlecht; Tugend, +wenn man dem Erwerb und Fleiss Zu setzen die rechte Grenze weiss Und dem +Reichtum den rechten Preis; Tugend, dem Rang zu geben sein Recht, Feind +zu sein Menschen und Sitten schlecht, Freund Menschen und Sitten gut +und recht; Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu, Zu ihnen zu halten in +Lieb' und Treu; Immer zu sehen am ersten Teil Auf des Vaterlandes Heil, +Sodann auf das, was den Eltern frommt, Und drittens der eigene Vorteil +kommt. ---------------------------------------------------- Von der an +den Alexandrinismus anknuepfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche +noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen Epigrammen +uebersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht ihrer selbst +wegen, aber wohl als der erste Vorbote der juengeren Literaturepoche +Roms Erwaehnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig bekannten +und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden Dichtern +gehoeren hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius Manlius, +ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der letztere +scheint manche der bei den Griechen landlaeufigen geographischen +Maerchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die Fabeln von der +Europa und von dem Wundervogel Phoenix zuerst bei den Roemern in Umlauf +gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten war, auf seinen +Reisen in Dodona jenen merkwuerdigen Dreifuss zu entdecken und +abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer Wanderung in das Land +der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu lesen war - ein Fund, +den die roemischen Geschichtsbuecher nicht versaeumten, andaechtig zu +registrieren. Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen +bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt +noch nach seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen +Entwicklung angehoert, der aber zuerst oder vielmehr allein die +Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung +gebracht hat und dem alle spaeteren Geschlechter und auch wir das Beste +verdanken, was wir von der roemischen Entwicklung wissen. Polybios (ca. +546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achaeischen +Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den +Zug der Roemer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward spaeter, +vielfach namentlich waehrend des Dritten Makedonischen Krieges, von +seinen Landsleuten in militaerischen und diplomatischen Geschaeften +verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigefuehrten Krise +wurde er mit den anderen achaeischen Geiseln nach Italien abgefuehrt, wo +er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und +durch die Soehne des Paullus in die vornehmen hauptstaedtischen Kreise +eingefuehrt ward. Die Ruecksendung der achaeischen Geiseln fuehrte ihn +in die Heimat zurueck, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen +seiner Eidgenossenschaft und den Roemern machte. Bei der Zerstoerung von +Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwaertig. Er schien +vom Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung +deutlicher zu erfassen, als die damaligen Roemer selbst es vermochten. +Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein +roemischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschaetzt und +gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und ueberhaupt den ersten +Maennern Roms, sah er die Stroeme, die so lange getrennt geflossen +waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der +Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der roemischen Macht +und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte +Hellene, der mit ernster Ueberzeugung auf die Weltanschauung des +Scipionischen Kreises einging und die Ueberlegenheit des Hellenismus auf +dem geistigen, des Roemertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen +anerkannte, ueber die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen +hatte und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und +verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer +Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem +ehrenwerten, aber unhaltbaren achaeischen Lokalpatriotismus gehuldigt +haben, so vertrat er in seinen spaeteren Jahren, in deutlicher Einsicht +der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des +engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine hoechst verstaendige und +ohne Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und +stolze Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen +hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich +persoenlich voellig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen, +stellte er an den Senat den Antrag, dass er den Entlassenen, jedem in +seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch foermlich verbriefen moege, +worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus noch +einmal in die Hoehle des Polyphemos zurueckkehre, um sich von dem Riesen +Hut und Guertel auszubitten. Sein Verhaeltnis zu den roemischen Grossen +hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, wie er +der hohen Protektion sich unterwirft und sich beruehmt, naehert sich +doch einigermassen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben Geist, +den seine praktische, atmet auch seine literarische Taetigkeit. Es +war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der +Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten +Punischen Krieg bis zur Zerstoerung von Karthago und Korinth fasst +sein Werk die Schicksale der saemtlichen Kulturstaaten, das heisst +Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Aegyptens, Karthagos +und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die roemische +Schutzherrschaft im ursaechlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet +er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmaessigkeit der roemischen +Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausfuehrung steht +diese Geschichtschreibung in scharfem und bewusstem Gegensatz gegen +die gleichzeitige roemische wie gegen die gleichzeitige griechische +Historiographie. In Rom stand man noch vollstaendig auf dem +Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen +geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung +beschraenkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein +individuellen und doch auch nicht ueber die Anfaenge der Forschung +wie der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf +Ammenmaerchen, teils auf Notizenbuendel. Die Griechen hatten eine +Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; aber +der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und Staat so +vollstaendig abhanden gekommen, dass es keinem der zahllosen Historiker +gelang, der Spur der grossen attischen Meister im Geiste und in der +Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der Zeitgeschichte +weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung war entweder +rein aeusserliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der Phrasen- und +Luegenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die Feilheit und die +Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung der Zeit. Bei +den Roemern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt- oder +Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit Recht +erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern stehend wie +den Roemern, ueberschritt diese kuemmerlichen Schranken, behandelte den +roemischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab zwar nicht eine +universale, aber doch eine von den Lokalstaaten losgeloeste und den im +Werden begriffenen roemisch-griechischen Staat erfassende Geschichte. +Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so vollstaendig wie +Polybios alle Vorzuege eines Quellenschriftstellers in sich vereinigt. +Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich und jeden +Augenblick gegenwaertig; und durchaus haftet der Blick auf dem wirklich +geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der wertlosen +Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der Laender und +Voelker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen Verhaeltnisse, +all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem Annalisten +entschluepfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr aufnageln +lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkuemmertes Recht. In der +Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine Umsicht +und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht wiedererscheinen; +er benutzt die Urkunden, beruecksichtigt umfassend die Literatur +der verschiedenen Nationen, macht von seiner guenstigen Stellung +zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und Augenzeugen den +ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmaessig das ganze Gebiet +der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Kueste des Atlantischen Ozeans +21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen grossen Dingen hat er +kein Interesse fuer diesen oder gegen jenen Staat, fuer diesen oder +gegen jenen Mann, sondern einzig und allein fuer den wesentlichen +Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhaeltnis der Ursachen +und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloss die erste, sondern die einzige +Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzaehlung endlich ist +musterhaft vollstaendig, einfach und klar. Aber alle diese ungemeinen +Vorzuege machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber ersten Ranges. +Polybios fasst seine literarische Aufgabe, wie er seine praktische +fasste, mit grossartigem Verstand, aber auch nur mit dem Verstande. +Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der Freiheit, ist +ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als waere sie ein +mechanisches. Nur das Ganze gilt fuer ihn, in der Natur wie im Staat; +das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar sie auch +erscheinen moegen, sind doch eigentlich nichts als einzelne Momente, +geringe Raeder in dem hoechst kuenstlichen Mechanismus, den man +den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer +geschaffen zur Darstellung der Geschichte des roemischen Volkes, welches +in der Tat das einzige Problem geloest hat, sich zu beispielloser +innerer und aeusserer Groesse zu erheben ohne auch nur einen im +hoechsten Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen +Grundlagen mit wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich +entwickelt. Aber das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder +Volksgeschichte und wurde auch in der roemischen von Polybios nicht +ungestraft verkannt. Polybios' Behandlung aller Fragen, in denen Recht, +Ehre, Religion zur Sprache kommen, ist nicht bloss platt, sondern +auch gruendlich falsch. Dasselbe gilt ueberall, wo eine genetische +Konstruktion erfordert wird; die rein mechanischen Erklaerungsversuche, +die Polybios an deren Stelle setzt, sind mitunter geradezu zum +Verzweifeln, wie es denn kaum eine toerichtere politische Spekulation +gibt, als die vortreffliche Verfassung Roms aus einer verstaendigen +Mischung monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente +her- und aus der Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms +abzuleiten. Die Auffassung der Verhaeltnisse ist ueberall bis zum +Erschrecken nuechtern und phantasielos, die geringschaetzige +und superkluge Art, die religioesen Dinge zu behandeln, geradezu +widerwaertig. Die Darstellung, in bewusster Opposition gegen die +uebliche, kuenstlerisch stilisierte griechische Historiographie +gehalten, ist wohl richtig und deutlich, aber duenn und matt, oefter als +billig in polemische Exkurse oder in memoirenhafte, nicht selten recht +selbstgefaellige Schilderung der eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein +oppositioneller Zug geht durch die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte +seine Schrift zunaechst fuer die Roemer und fand doch auch hier nur +einen sehr kleinen Kreis, der ihn verstand; er fuehlte es, dass er den +Roemern ein Fremder, seinen Landsleuten ein Abtruenniger blieb und dass +er mit seiner grossartigen Auffassung der Verhaeltnisse mehr der Zukunft +als der Gegenwart angehoerte. Darum blieb er nicht frei von einer +gewissen Verstimmtheit und persoenlichen Bitterkeit, die in seiner +Polemik gegen die fluechtigen oder gar feilen griechischen und die +unkritischen roemischen Historiker oefters zaenkisch und kleinlich +auftritt und aus dem Geschichtschreiber- in den Rezensententon faellt. +Polybios ist kein liebenswuerdiger Schriftsteller; aber wie die Wahrheit +und Wahrhaftigkeit mehr ist als alle Zier und Zierlichkeit, so ist +vielleicht kein Schriftsteller des Altertums zu nennen, dem wir so viele +ernstliche Belehrung verdanken wie ihm. Seine Buecher sind wie die Sonne +auf diesem Gebiet; wo sie anfangen, da heben sich die Nebelschleier, +die noch die Samnitischen und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo +sie endigen, beginnt eine neue, womoeglich noch laestigere Daemmerung. +------------------------------------------ 21 Dergleichen gelehrte +Reisen waren uebrigens bei den Griechen dieser Zeit nichts Seltenes. +So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, der das ganze +Mittellaendische Meer durchschifft hat: Warum geh' ich nicht nach +Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will? +---------------------------------------- In einem seltsamen Gegensatz zu +dieser grossartigen Auffassung und Behandlung der roemischen +Geschichte durch einen Auslaender steht die gleichzeitige einheimische +Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser Periode begegnen noch einige +griechisch geschriebene Chroniken, wie die schon erwaehnte des Aulus +Postumius (Konsul 603 151), voll uebler Pragmatik, und die des Gaius +Acilius (schloss in hohem Alter um 612 142); doch gewann unter dem +Einfluss teils des catonischen Patriotismus, teils der feineren Bildung +des Scipionischen Kreises die lateinische Sprache auf diesem Gebiet +so entschieden die Vorhand, dass nicht bloss unter den juengeren +Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch geschriebene +vorkommt 22, sondern auch die aelteren griechischen Chroniken ins +Lateinische uebersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in diesen +Uebersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch +geschriebenen Chroniken dieser Epoche ausser dem Gebrauch der +Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und +ausfuehrlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius +Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des +Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul +632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in +achtzig Buechern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein +auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und +veroeffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluss gab, +als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhoerten, +doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten +nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbuecher, +mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankuendigen, +waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen +geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen- +wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Masse, wie ihre +Ausfuehrlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends +Wahrheit ohne Dichtung, und es waere sehr toericht, mit Naevius und +Pictor zu rechten, dass sie es nicht anders gemacht als Hekataeos und +Saxo Grammaticus; aber die spaeteren Versuche, aus solchen Nebelwolken +Haeuser zu bauen, stellen auch die gepruefteste Geduld auf eine harte +Probe. Keine Luecke der Ueberlieferung klafft so tief, dass diese glatte +und platte Luege sie nicht mit spielender Leichtigkeit ueberkleisterte. +Ohne Anstoss werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen, +Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins +rueckwaerts gefuehrt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr, +Monat und Tag Koenig Romulus gen Himmel gefahren ist und wie Koenig +Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai +187 (567) ueber die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im +besten Einklang, dass man in den roemischen Docks den Glaeubigen das +Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, ja +sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, wohl +eingepoekelt im roemischen Vestatempel konservierte. Mit dem Luegemut +eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die +langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren grossen +Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller +poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn +wir zum Beispiel bei Piso lesen, dass Romulus sich gehuetet habe, dann +zu pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; dass die +Tarpeia die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um +die Feinde ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verstaendiger +Zeitgenossen ueber diese ganze Schreiberei nicht befremden, "dass das +nicht heisse Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten +erzaehlen". Weit vorzueglicher waren einzelne Werke ueber die Geschichte +der juengsten Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte +des Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und +des wenig juengeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner +Zeit. Hier fand sich wenigstens schaetzbares Material und ernster +Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark +manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und +Bruchstuecken zu schliessen, keines dieser Buecher weder in markiger +Form noch in Originalitaet an die "Ursprungsgeschichten" Catos, der +leider auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen +Schule gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, +die untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der +historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon +zeichneten die ersten Staatsmaenner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so +Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105), Quintus +Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint keine +dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt fuer die +Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der Cornelia, +der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die musterhaft +reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als die erste +in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste literarische +Produktion einer roemischen Frau. Die Redeschriftstellerei bewahrte +in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrueckten Stempel; +Advokatenplaedoyers wurden noch nicht als literarische Produktion +angesehen, und was von Reden veroeffentlicht ward, waren politische +Pamphlete. Waehrend der revolutionaeren Bewegung nahm diese +Broschuerenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse +ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes' +Philippiken und Couriers fliegende Blaetter, durch die bedeutende +Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen +bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des +Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstuecke des trefflichsten +Latein wie des edelsten Vaterlandsgefuehls; so die sprudelnden Reden +des Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern - die +Schilderung des senatorischen Geschworenen ward frueher mitgeteilt - das +nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen +Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen +Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhaengnis dieser +hohen Natur im treuen Spiegelbild bewahrten. +----------------------------------------------- 22 Die einzige wirkliche +Ausnahme, soweit wir wissen, ist die griechische Geschichte des Gnaeus +Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, 38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90) +bluehte. Die griechischen Memoiren des Publius Rutilius Rufus (Konsul +649 105) sind kaum als Ausnahme anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil +zu Smyrna schrieb. ----------------------------------------------- +In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen +Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150) +veroeffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen +uebliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom +zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte +Szenerie des Gespraechs der Abhandlung eine kuenstlerische, halb +dramatische Form zu geben. Indes die spaeteren Gelehrten, schon +der Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, liessen sowohl in den +allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese +mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert +der Wissenschaft als solcher und das in Rom ueberwiegende stoffliche +Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen Abwerfen +der Fessel kuenstlerischer Form. Im einzelnen ist von den allgemein +humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der Philologie, +der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen worden, als +dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewoehnlichen roemischen +Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen +Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen +Gebiet blueht die lateinische Philologie froehlich auf, im engen +Anschluss an die laengst sicher gegruendete philologische Behandlung +der griechischen Literatur. Es ward bereits erwaehnt, dass um den Anfang +dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und +Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, dass nicht bloss der +Scipionische Kreis ueberhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang, +sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius +und Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik +beschaeftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der +historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden +die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die +des Hemina 'ueber die Zensoren', des Tuditanus 'ueber die Beamten' +schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind +die Buecher ueber die Aemter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus +Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung fuer politische +Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefassten Didaskalien +des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des +lateinischen Dramas. Indes jene Anfaenge einer wissenschaftlichen +Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches +Gepraege und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der +Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen +dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz +verweisen duerfen. Derjenige Roemer, der die lateinische Sprach- +und Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister +wissenschaftlich begruendete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er +zuerst ging zurueck auf die aeltesten Sprachdenkmaeler und kommentierte +die Saliarischen Litaneien und das roemische Stadtrecht. Er wandte der +Komoedie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu +und stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten +Plautinischen Stuecke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfaenge +einer jeden einzelnen Erscheinung des roemischen Lebens und Verkehrs +geschichtlich zu bestimmen und fuer jede den "Erfinder" zu ermitteln, +und zog zugleich die gesamte annalistische Ueberlieferung in den Kreis +seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen +ward, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des +bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius +und der Geschichtsbuecher des Antipater; und auch fuer die Zukunft hat +dieser erste roemische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt, +indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf +seinen Schueler Varro vererbte. +----------------------------------------------------- 23 Die +Behauptung zum Beispiel, dass die Quaestoren in der Koenigszeit von der +Buergerschaft, nicht vom Koenig ernannt seien, ist ebenso sicher +falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn traegt. +------------------------------------------------------- Mehr +untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische Taetigkeit +auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu tun als +Hand- und Uebungsbuecher nach dem Muster der griechischen Kompendien +des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn freilich die +Schulmeister, teils um des Beduerfnisses, teils um der Eitelkeit und des +Geldes willen, nicht fehlen liessen. Von einem unbekannten Verfasser, +der nach der damaligen Weise zugleich lateinische Literatur und +lateinische Rhetorik lehrte und ueber beide schrieb, ist uns ein +solches, unter Sullas Diktatur abgefasstes Handbuch der Redekunst +erhalten; eine nicht bloss durch die knappe, klare und sichere +Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhaeltnismaessige +Selbstaendigkeit den griechischen Mustern gegenueber bemerkenswerte +Lehrschrift. Obwohl in der Methode gaenzlich abhaengig von den Griechen, +weist der Roemer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, "was +die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig damit die +Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine". Der bitterste Tadel trifft +die haarspaltende Dialektik, diese "geschwaetzige Wissenschaft der +Redeunkunst", deren vollendeter Meister, vor lauter Angst, sich +zweideutig auszudruecken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen Namen +auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird durchgaengig +und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor der +Viellehrerei und schaerft die goldene Regel ein, dass der Schueler von +dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst zu helfen; ebenso +ernstlich erkennt er es an, dass die Schule Neben-, das Leben die +Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbstaendig gewaehlten +Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die waehrend der +letzten Dezennien in der roemischen Advokatenwelt Aufsehen gemacht +hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, dass die Opposition gegen die +Auswuechse des Hellenismus, die frueher gegen das Aufkommen einer +eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren +Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der roemischen +Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen +theoretisch und praktisch eine hoehere Wuerde und eine groessere +Brauchbarkeit sichert. Die Philosophie endlich ist in der Literatur +noch nicht vertreten, da weder sich aus innerem Beduerfnis eine +nationalroemische Philosophie entwickelte noch aeussere Umstaende eine +lateinische philosophische Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit +als dieser Zeit angehoerig sind nicht einmal lateinische Uebersetzungen +populaerer philosophischer Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie +trieb, las und disputierte griechisch. In den Fachwissenschaften ist +die Taetigkeit gering. So gut man auch in Rom verstand zu ackern und zu +rechnen, so fand doch die physikalische und mathematische Forschung +dort keinen Boden. Die Folgen der vernachlaessigten Theorie zeigen sich +praktisch in dem niedrigen Stande der Arzneikunde und einesteils der +militaerischen Wissenschaften. Unter allen Fachwissenschaften blueht +nur die Jurisprudenz. Wir koennen ihre innerliche Entwicklung nicht +chronologisch genau verfolgen; im ganzen trat das Sakralrecht mehr und +mehr zurueck und stand am Ende dieser Periode ungefaehr wie heutzutage +das kanonische; die feinere und tiefere Rechtsauffassung dagegen, welche +an die Stelle der aeusserlichen Kennzeichen die innerlich wirksamen +Momente setzt, zum Beispiel die Entwicklung der Begriffe der +boeswilligen und der fahrlaessigen Verschuldung, des vorlaeufig +schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit der Zwoelf Tafeln noch nicht, +wohl aber in der ciceronischen Zeit vorhanden und mag der gegenwaertigen +Epoche ihre wesentliche Ausbildung verdanken. Die Rueckwirkung der +politischen Verhaeltnisse auf die Rechtsentwicklung ist schon +mehrfach angedeutet worden; sie war nicht immer vorteilhaft. Durch die +Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der Hundertmaenner zum Beispiel +trat auch in dem Vermoegensrecht ein Geschworenenkollegium auf, das +gleich den Kriminalbehoerden, statt das Gesetz einfach anzuwenden, +sich ueber dasselbe stellte und mit der sogenannten Billigkeit die +rechtlichen Institutionen untergrub; wovon unter anderm eine Folge +die unvernuenftige Satzung war, dass es jedem, den ein Verwandter im +Testament uebergangen hat, freisteht, auf Kassierung des Testaments vor +dem Gerichtshof anzutragen, und das Gericht nach Ermessen entscheidet. +Bestimmter laesst die Entwicklung der juristischen Literatur +sich erkennen. Sie hatte bisher auf Formulariensammlungen und +Worterklaerungen zu den Gesetzen sich beschraenkt; in dieser Periode +bildete sich zunaechst eine Gutachtenliteratur, die ungefaehr unseren +heutigen Praejudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die laengst +nicht mehr bloss von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern +von jedem, der Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt +wurden, und an die schon rationelle und polemische Eroerterungen und +die der Rechtswissenschaft eigentuemlichen stehenden Kontroversen +sich anknuepften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an, +aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah +dies zuerst von dem juengeren Cato (+ um 600 150) und von Marcus Brutus +(etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint, +nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich +systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begruender war der +Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, + 672 95, 82), in +dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das hoechste Priestertum +erblich war. Seine achtzehn Buecher 'vom Landrecht, welche das positive +juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Praejudikate +und die Autoritaeten teils aus den aelteren Sammlungen, teils aus +der muendlichen Ueberlieferung in moeglichster Vollstaendigkeit +zusammenfassten, sind der Ausgangspunkt und das Muster der +ausfuehrlichen roemischen Rechtssysteme geworden; ebenso wurde +seine resuemierende Schrift 'Definitionen' (oros) die Grundlage der +juristischen Kompendien und namentlich der Regelbuecher. Obwohl diese +Rechtsentwicklung natuerlich im wesentlichen von dem Hellenismus +unabhaengig vor sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit dem +philosophisch-praktischen Schematismus der Griechen im allgemeinen +unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der +Rechtswissenschaft den Anstoss gegeben, wie denn der griechische +Einfluss bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel hervortritt. +Dass in einzelnen mehr aeusserlichen Dingen die roemische +Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt. +----------------------------------------------- 24 Catos Buch fuehrte +wohl den Titel 'De iuris disciplina' (Gell. 13, 20), das des Brutus den +'De iure civili' (Cic. Cluent. 51, 141; De orat. 2, 55, 223); dass es +wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero (De orat. 2, 33, +142). ----------------------------------------------- Die Kunst weist +noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur, +Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen +immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Uebung ging eher rueck- +als vorwaerts. Immer gewoehnlicher ward es bei dem Aufenthalt in +griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofuer +namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien +670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte +sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Geraet hatte +man angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloss +griechische Bildsaeulen, sondern auch griechische Gemaelde zu schaetzen. +Das erste im Rom oeffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des +Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen +Beute zuruecknahm, weil Koenig Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler) +darauf bot. Die Bauten wurden glaenzender, und namentlich kam der +ueberseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in +Gebrauch - die italischen Marmorbrueche waren noch nicht in Betrieb. +Der prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Saeulengang, den +der Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf +dem Marsfelde anlegte, schloss den ersten Marmortempel ein, den die +Hauptstadt sah; bald folgten aehnliche Anlagen auf dem Kapitol durch +Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus Octavius +(Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsaeulen geschmueckte Privathaus +war das des Redners Lucius Crassus (+ 663 91) auf dem Palatin. Aber wo +man pluendern und kaufen konnte, statt selber zu schaffen, da geschah +es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis fuer die roemische Architektur, +dass sie schon anfing, die Saeulen der alten griechischen Tempel zu +verwenden, wie zum Beispiel das roemische Kapitol durch Sulla mit denen +des Zeustempels in Athen geschmueckt ward. Was dennoch in Rom gearbeitet +ward, ging aus den Haenden von Fremden hervor; die wenigen roemischen +Kuenstler dieser Zeit, die namentlich erwaehnt werden, sind ohne +Ausnahme eingewanderte italische oder ueberseeische Griechen: so der +Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der unter anderm die +roemischen Docks wiederherstellte und fuer Quintus Metellus (Konsul 611 +143) den Tempel des Jupiter Stator in der von diesem angelegten Halle, +fuer Decimus Brutus (Konsul 616 138) den Marstempel im Flaminischen +Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um 665 89) aus Grossgriechenland, +der fuer roemische Tempel Goetterbilder aus Elfenbein lieferte; der +Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der verschrieben ward, um die +Bilder fuer den Triumph des Lucius Paullus (587 168) zu malen. Es ist +bezeichnend, dass die Muenzen dieser Epoche im Vergleich mit denen +der vorigen zwar eine groessere Mannigfaltigkeit der Typen, aber im +Stempelschnitt eher einen Rueck- als einen Fortschritt zeigen. Endlich +Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas ueber nach Rom, +einzig, um daselbst zur Erhoehung des dekorativen Luxus verwandt zu +werden. Solche fremdlaendischen Kuenste waren allerdings nicht neu +in Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische +Floetenblaeser und Taenzer auftreten lassen und die Freigelassenen und +die niedrigste Klasse des roemischen Volkes auch bisher schon mit diesem +Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, dass griechische Taenze und +musikalische Auffuehrungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel +wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner +Reden sie voll Unwillen schildert, in der ueber fuenfhundert Knaben und +Maedchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Maennern in Amt und Wuerden +durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig +ehrbaren Kastagnettentaenzen, zu entsprechenden Gesaengen und zum +Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es +auch - nicht so sehr, dass ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius +Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Baelle +fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen loeste, als dass +vornehme junge Roemer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre +Jockeykuenste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem +Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle +musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen +einfachen Floete von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein +Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Uebelstaende durch +solche Verbote, als dass es durch scharfe und folgerichtige Anwendung +ihnen abzuhelfen auch nur versucht haette. Werfen wir schliesslich +einen Blick zurueck auf das Gesamtbild, das die Literatur und die Kunst +Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den Anfang der ciceronischen +Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich mit der +vorhergehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Produktivitaet. Die +hoeheren Gattungen der Literatur sind abgestorben oder im Verkuemmern, +so das Epos, das Trauerspiel, die Geschichte. Was gedeiht, sind +die untergeordneten Arten, die Uebersetzung und die Nachbildung des +Intrigenstuecks, die Posse, die poetische und prosaische Broschuere; +in diesem letzten, von der vollen Windsbraut der Revolution durchrasten +Gebiet der Literatur begegnen wir den beiden groessten literarischen +Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem Gaius Lucilius, die +beide ueber eine Menge mehr oder minder mittelmaessiger Schriftsteller +emporragen, wie in einer aehnlichen Epoche der franzoesischen Literatur +ueber eine Unzahl anspruchsvoller Nullitaeten Courier und Beranger. +Ebenso ist in den bildenden und zeichnenden Kuensten die immer schwache +Produktivitaet jetzt voellig null. Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst- +und Literaturgenuss; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen +Gebiet die ihren Vaetern angefallenen Erbschaften einziehen und +ausnutzen, so finden wir sie auch hier als fleissige Schauspielbesucher, +als Literaturfreunde, als Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die +achtungswerteste Seite dieser Taetigkeit ist die gelehrte Forschung, +die vor allem in der Rechtswissenschaft und in der Sprach- und +Sachphilologie eigene geistige Anstrengung offenbart. Mit der +Begruendung dieser Wissenschaften, welche recht eigentlich in die +gegenwaertige Epoche faellt, und zugleich mit den ersten geringen +Anfaengen der Nachdichtung der alexandrinischen Treibhauspoesie kuendigt +bereits die Epoche des roemischen Alexandrinismus sich an. Alles, was +diese Epoche geschaffen hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer +als die Schoepfungen des sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht +sahen die Literaten und Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre +Vorgaenger wie auf stuemperhafte Anfaenger herab. Aber wenn sie die +Mangelhaftigkeit jener Anfaengerarbeiten belaechelten oder beschalten, +so mochten doch auch eben die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, +dass die Jugendzeit der Nation vorueber war, und vielleicht diesen +oder jenen doch wieder im stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht +beschleichen, den lieblichen Irrtum der Jugend abermals zu irren. + + + + +End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by +Theodor Mommsen + + + diff --git a/3063.zip b/3063.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..e385446 --- /dev/null +++ b/3063.zip diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..36b13a7 --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #3063 (https://www.gutenberg.org/ebooks/3063) diff --git a/old/3063-0.txt b/old/3063-0.txt Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..923e758 --- /dev/null +++ b/old/3063-0.txt diff --git a/old/3063.txt b/old/3063.txt new file mode 100644 index 0000000..a278ef6 --- /dev/null +++ b/old/3063.txt @@ -0,0 +1,17930 @@ +The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by Theodor +Mommsen (#4 in our series by Theodor Mommsen) + +Copyright laws are changing all over the world, be sure to check the +laws for your country before redistributing these files!!! + +Please take a look at the important information in this header. We +encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic +path open for the next readers. + +Please do not remove this. + +This should be the first thing seen when anyone opens the book. Do not +change or edit it without written permission. The words are carefully +chosen to provide users with the information they need about what they +can legally do with the texts. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**Etexts Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*These Etexts Prepared By Hundreds of Volunteers and Donations* + +Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further +information is included below. We need your donations. + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. As the requirements for other states are met, additions +to this list will be made and fund raising will begin in the additional +states. These donations should be made to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University +Ave. Oxford, MS 38655 + + +Title: Rmische Geschichte Book 4 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3063] [Yes, we are about one year +ahead of schedule] + +Edition: 10 + +Language: German + +The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by Theodor +Mommsen ******This file should be named 3063.txt or 3063.zip****** + +Thanks to KGSchon for preparing this etext. + +Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions, +all of which are in the Public Domain in the United States, unless a +copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of +these books in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our books one year in advance of the +official release dates, leaving time for better editing. Please be +encouraged to send us error messages even years after the official +publication date. + +Please note: neither this list nor its contents are final till midnight +of the last day of the month of any such announcement. The official +release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central +Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may +often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to +do so. + +Most people start at our sites at: http://gutenberg.net +http://promo.net/pg + + +Those of you who want to download any Etext before announcement can surf +to them as follows, and just download by date; this is also a good way +to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers +produce obviously take a while after an announcement goes out in the +Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 + +Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, as it +appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The time +it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get +any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and +analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience +is one hundred million readers. If our value per text is nominally +estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this +year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts +in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's +population then the total should reach over 300 billion Etexts given +away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files +by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten +thousand titles each to one hundred million readers, which is only about +4% of the present number of computer users. + +At our revised rates of production, we will reach only one-third of that +goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get +some real funding. + +Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the +next 100 years. + +We need your donations more than ever! + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. As the requirements for other states are met, additions +to this list will be made and fund raising will begin in the additional +states. + +All donations should be made to the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law. + +Mail to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University +Avenue Oxford, MS 38655 [USA] + +We are working with the Project Gutenberg Literary Archive Foundation to +build more stable support and ensure the future of Project Gutenberg. + +We need your donations more than ever! + +You can get up to date donation information at: + +http://www.gutenberg.net/donation.html + + +*** + +You can always email directly to: + +Michael S. Hart <hart@pobox.com> + +hart@pobox.com forwards to hart@prairienet.org and archive.org if your +mail bounces from archive.org, I will still see it, if it bounces from +prairienet.org, better resend later on. . . . + +We would prefer to send you this information by email. + + +Example command-line FTP session: + +ftp ftp.ibiblio.org login: anonymous password: your@login cd +pub/docs/books/gutenberg cd etext90 through etext99 or etext00 through +etext02, etc. dir [to see files] get or mget [to get files. . .set bin +for zip files] GET GUTINDEX.?? [to get a year's listing of books, e.g., +GUTINDEX.99] GET GUTINDEX.ALL [to get a listing of ALL books] + + +**The Legal Small Print** + + +(Three Pages) + +***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS**START*** Why is +this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you +might sue us if there is something wrong with your copy of this etext, +even if you got it for free from someone other than us, and even if +what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small +Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells +you how you can distribute copies of this etext if you want to. + +*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS ETEXT By using or reading any part of +this PROJECT GUTENBERG-tm etext, you indicate that you understand, agree +to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can +receive a refund of the money (if any) you paid for this etext by +sending a request within 30 days of receiving it to the person you got +it from. If you received this etext on a physical medium (such as a +disk), you must return it with your request. + +ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM ETEXTS This PROJECT GUTENBERG-tm etext, like +most PROJECT GUTENBERG-tm etexts, is a "public domain" work distributed +by Professor Michael S. Hart through the Project Gutenberg Association +(the "Project"). Among other things, this means that no one owns a +United States copyright on or for this work, so the Project (and you!) +can copy and distribute it in the United States without permission and +without paying copyright royalties. Special rules, set forth below, +apply if you wish to copy and distribute this etext under the Project's +"PROJECT GUTENBERG" trademark. + +Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market any +commercial products without permission. + +To create these etexts, the Project expends considerable efforts to +identify, transcribe and proofread public domain works. Despite these +efforts, the Project's etexts and any medium they may be on may contain +"Defects". Among other things, Defects may take the form of incomplete, +inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other +intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other +etext medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot +be read by your equipment. + +LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES But for the "Right of +Replacement or Refund" described below, [1] the Project (and any other +party you may receive this etext from as a PROJECT GUTENBERG-tm +etext) disclaims all liability to you for damages, costs and expenses, +including legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR +UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT, INCLUDING +BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL +DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES. + +If you discover a Defect in this etext within 90 days of receiving +it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by +sending an explanatory note within that time to the person you received +it from. If you received it on a physical medium, you must return it +with your note, and such person may choose to alternatively give you +a replacement copy. If you received it electronically, such person may +choose to alternatively give you a second opportunity to receive it +electronically. + +THIS ETEXT IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER WARRANTIES +OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS TO THE ETEXT OR +ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF +MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A PARTICULAR PURPOSE. + +Some states do not allow disclaimers of implied warranties or the +exclusion or limitation of consequential damages, so the above +disclaimers and exclusions may not apply to you, and you may have other +legal rights. + +INDEMNITY You will indemnify and hold the Project, its directors, +officers, members and agents harmless from all liability, cost and +expense, including legal fees, that arise directly or indirectly from +any of the following that you do or cause: [1] distribution of this +etext, [2] alteration, modification, or addition to the etext, or [3] +any Defect. + +DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm" You may distribute copies of +this etext electronically, or by disk, book or any other medium if you +either delete this "Small Print!" and all other references to Project +Gutenberg, or: + +[1] Only give exact copies of it. Among other things, this requires +that you do not remove, alter or modify the etext or this "small print!" +statement. You may however, if you wish, distribute this etext in +machine readable binary, compressed, mark-up, or proprietary form, +including any form resulting from conversion by word processing or +hypertext software, but only so long as *EITHER*: + +[*] The etext, when displayed, is clearly readable, and does *not* +contain characters other than those intended by the author of the work, +although tilde (~), asterisk (*) and underline (_) characters may +be used to convey punctuation intended by the author, and additional +characters may be used to indicate hypertext links; OR + +[*] The etext may be readily converted by the reader at no expense into +plain ASCII, EBCDIC or equivalent form by the program that displays the +etext (as is the case, for instance, with most word processors); OR + +[*] You provide, or agree to also provide on request at no additional +cost, fee or expense, a copy of the etext in its original plain ASCII +form (or in EBCDIC or other equivalent proprietary form). + +[2] Honor the etext refund and replacement provisions of this "Small +Print!" statement. + +[3] Pay a trademark license fee to the Project of 20% of the gross +profits you derive calculated using the method you already use to +calculate your applicable taxes. If you don't derive profits, no royalty +is due. Royalties are payable to "Project Gutenberg Literary Archive +Foundation" the 60 days following each date you prepare (or were legally +required to prepare) your annual (or equivalent periodic) tax return. +Please contact us beforehand to let us know your plans and to work out +the details. + +WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO? The Project +gratefully accepts contributions of money, time, public domain +etexts, and royalty free copyright licenses. If you are interested +in contributing scanning equipment or software or other items, please +contact Michael Hart at: hart@pobox.com + +*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS*Ver.04.07.00*END* + + + + + +Theodor Mommsen Roemische Geschichte + +Viertes Buch Die Revolution + +"Aber sie treiben's toll; Ich fuercht', es breche". Nicht jeden +Wochenschluss Macht Gott die Zeche. Goethe 1. Kapitel Die untertaenigen +Landschaften bis zu der Gracchenzeit Mit der Vernichtung des +Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms eine Tatsache, +die von den Saeulen des Hercules bis zu den Muendungen des Nil und des +Orontes nicht bloss feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort +des Verhaengnisses auf den Voelkern lastete mit dem ganzen Druck +der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in +hoffnungslosem Widerstreben oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren. +Wenn nicht die Geschichte von dem ernsten Leser es als ihr Recht +fordern duerfte, sie durch gute und boese Tage, durch Fruehlings- +und Winterlandschaft zu begleiten, so moechte der Geschichtschreiber +versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, diesem Kampf +der Uebermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Roemischen Reich +gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht +beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in +seinen mannigfaltigen und doch eintoenigen Wendungen zu folgen. Aber +wie unbedeutend und untergeordnet auch die einzelnen Kaempfe erscheinen +moegen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer +Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die italischen Verhaeltnisse dieser +Zeit werden erst verstaendlich durch die Einsicht in den Rueckschlag, +der von den Provinzen aus auf die Heimat traf. Ausser in den +naturgemaess als Nebenlaender Italiens anzusehenden Gebieten, wo +uebrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollstaendig unterworfen +waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen +fortwaehrend Gelegenheit zu "Dorftriumphen" lieferten, bestand eine +foermliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden +spanischen Provinzen, die den groesseren oestlichen und suedlichen Teil +der Pyrenaeischen Halbinsel umfassten. Es ist schon frueher versucht +worden, die Zustaende der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, +Phoeniker, Hellenen, Roemer mischten sich hier bunt durcheinander; +gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die +verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische +Kultur neben vollstaendiger Barbarei, die Bildungsverhaeltnisse +phoenikischer und griechischer Kaufstaedte neben der aufkeimenden +Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken +zahlreich beschaeftigten Italiker und durch die starke stehende +Besatzung gefoerdert ward. In dieser Hinsicht erwaehnenswert sind die +roemische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie +Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste ueberseeische +Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica wurde +von dem aelteren Scipio, noch ehe er Spanien verliess (548 206), fuer +seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegruendet, +wahrscheinlich indes nicht als Buergergemeinde, sondern nur als Marktort +^1; Carteias Gruendung faellt in das Jahr 583 (171) und ward veranlasst +durch die Menge der von roemischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen +erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsaechlich als +freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in +Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie +konstituiert wurden. Beinahe dreissig Jahre nach der Ordnung der +Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178) +genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestoert die Segnungen +des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszuegen gegen die Keltiberer +und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse traten im Jahre 600 +(154) ein. Unter Fuehrung eines Haeuptlings Punicus fielen die Lusitaner +ein in das roemische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie vereinigten +roemischen Statthalter und toeteten ihnen eine grosse Anzahl Leute. +Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch +bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so +verstaerkt vermochten diese ihre Streifzuege bis an das Mittellaendische +Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der Bastulophoeniker unweit der +roemischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man +nahm in Rom die Sache ernst genug, um die Absendung eines Konsuls nach +Spanien zu beschliessen, was seit 559 (195) nicht geschehen war, und +liess sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei +und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es +war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. Maerz +sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich +feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch +der Konsul Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es +zwischen dem Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Praetor Lucius +Mummius, und den jetzt nach Punicus' Fall von seinem Nachfolger Kaesarus +gefuehrten Lusitanern am rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften +Treffen (601 158). Das Glueck war anfangs den Roemern guenstig; das +lusitanische Heer ward zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils +bereits vom Marsch ermuedet, teils in der Unordnung des Nachsetzens +sich aufloesend, wurden sie von den schon besiegten Gegnern schliesslich +vollstaendig geschlagen und buessten zu dem feindlichen Lager das +eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die +Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich +unter Anfuehrung des Kaukaenus auf die den Roemern untertaenigen +Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den +Keltiberern sandten die Lusitaner die dem Mummius abgenommenen +Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als Mahnung zu; und auch +hier fehlte es nicht an Gaerungsstoff. Zwei kleine, den maechtigen +Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte +Voelkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten +beschlossen, in eine ihrer Staedte, Segeda, sich zusammenzusiedeln. +Waehrend sie mit dem Mauerbau beschaeftigt waren, ward ihnen dieser +roemischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den +unterworfenen Gemeinden jede eigenmaechtige Staedtegruendung verboeten, +und zugleich die vertragsmaessig schuldige, aber seit laengerer Zeit +nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden +Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um +Erweiterung, nicht um Gruendung einer Stadt handle, die Leistungen +aber nicht bloss suspendiert, sondern von den Roemern erlassen seien. +Darueber erschien Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 +Mann starken Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn +Elefanten sich befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt +nicht vollstaendig; die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein +die entschlossensten fluechteten mit Weib und Kind zu den maechtigen +Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Roemer +gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg +der Lusitaner ueber Mummius, gingen darauf ein und waehlten einen der +fluechtigen Segedaner, Karus, zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach +seiner Wahl war der tapfere Fuehrer eine Leiche, aber das roemische Heer +geschlagen und bei 6000 roemische Buerger getoetet - der Tag des 23. +August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Roemern in schlimmer +Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in +ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua noerdlich von Soria am +Duero) zurueckzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern +der Stadt kam es zu einem zweiten Treffen, in welchem die +Roemer anfaenglich durch ihre Elefanten die Spanier in die Stadt +zurueckdraengten, aber dabei infolge der Verwundung eines der Tiere in +Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrueckenden Feinde +eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfaelle, wie die +Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten +roemischen Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Roemer in +der diesseitigen Provinz so unguenstig, dass die Festung Okilis, wo die +Kasse und die Vorraete der Roemer sich befanden, zum Feinde uebertrat +und die Arevaker daran denken konnten, freilich ohne Erfolg, den Roemern +den Frieden zu diktieren. Einigermassen wurden indes diese Nachteile +aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der suedlichen Provinz +erfocht. So geschwaecht auch durch die erlittene Niederlage sein +Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig +sich zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage +beizubringen und, uebergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze +roemische Gebiet ueberrannt, ja bis nach Afrika gestreift hatten, die +suedliche Provinz von den Feinden zu saeubern. In die noerdliche +sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat ausser betraechtlichen +Verstaerkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des unfaehigen +Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Praetor +586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten +sein Feldherrntalent bewaehrt hatte. Seine geschickte Fuehrung und mehr +noch seine Milde aenderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab +sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung +bestaerkt, dass ihnen gegen eine maessige Busse Friede gewaehrt werden +wuerde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach Rom. +Marcellus konnte sich nach der suedlichen Provinz begeben, wo die +Vettonen und Lusitaner sich dem Praetor Marcus Atilius zwar botmaessig +erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach +seiner Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die roemischen +Verbuendeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung +wieder her, und waehrend er in Corduba ueberwinterte, ruhten auf der +ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom ueber den Frieden +mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend fuer die inneren +Verhaeltnisse Spaniens, dass vornehmlich die Sendlinge der bei +den Arevakern bestehenden roemischen Partei die Verwerfung der +Friedensvorschlaege in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, dass, +wenn man die roemisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die +Wahl bleibe, entweder jaehrlich einen Konsul mit entsprechendem Heer +nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrueckliches Exempel +zu statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne +entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des +Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genoetigt, im folgenden +Fruehjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen. +Indes sei es nun, wie behauptet wird, dass er den Ruhm, den Krieg +beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht goennte, +sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, dass er gleich Gracchus in +der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften +Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des roemischen +Feldherrn mit den einflussreichsten Maennern der Arevaker kam unter den +Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den +Roemern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung +zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmaessigen +Rechte wiedereingesetzt wurden. --------------------------------------- +^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et +conciliabulum civium Romanorum hiess; aehnlich ist spaeter Aquae Sextiae +in Gallien entstanden. Die Entstehung ueberseeischer Buergergemeinden +beginnt erst spaeter mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwuerdig, +dass in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte. +---------------------------------------- Als der neue Oberfeldherr, der +Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, fand er den Krieg, den +zu fuehren er gekommen war, bereits durch foermlichen Friedensschluss +beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus Spanien +heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafuer gab es Rat. Auf eigene +Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccaeer, +an, eine noch unabhaengige keltiberische Nation, die mit den Roemern +im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn +gefehlt haetten, war die Antwort: der Ueberfall der Stadt Cauca (Coca, +acht Leguas westlich von Segovia); und als die erschreckte Stadt mit +schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu haben meinte, +rueckten roemische Truppen in sie ein und knechteten oder mordeten die +Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser Heldentat, die etwa +20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben soll, ging der Marsch +weiter. Weit und breit standen die Doerfer und Ortschaften leer oder +schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccaeer, +Pallantia (Palencia), dem roemischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte +in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die +mit dem treubruechigen Feldherrn eine Kapitulation haette abschliessen +moegen, und die allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloss die +Beute karg, sondern auch das laengere Verweilen in diesen unwirtlichen +Gegenden fast unmoeglich. Vor Intercatia gelang es einem angesehenen +Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von +Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da +das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum Abschluss eines +Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das roemische Heer gegen Lieferung +von Vieh und Kleidungsstuecken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia +musste wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das +roemische Heer ward auf dem Rueckmarsch von den Vaccaeern bis zum Duero +verfolgt. Lucullus begab sich darauf nach der suedlichen Provinz, wo +der Praetor Servius Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern +sich hatte schlagen lassen; beide ueberwinterten nicht fern voneinander, +Lucullus im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen +im folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus +errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile ueber sie. Galba +richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Staemmen am rechten +Ufer des Tajo einen Vertrag abschloss und sie in bessere Wohnsitze +ueberzusiedeln verhiess, worauf die Barbaren, die der gehofften Aecker +wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen +geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggefuehrt, teils +niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit, +Grausamkeit und Habgier Krieg gefuehrt worden wie von diesen beiden +Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schaetze +der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den +Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahr, +wenige Monate vor seinem Tode, vor der Buergerschaft zur Verantwortung +zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein +heimgebrachtes Gold erwiesen dem roemischen Volke seine Unschuld. Nicht +so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht +hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten +Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, dass man die +spanischen Angelegenheiten zunaechst wieder den gewoehnlichen +Statthaltern ueberliess. So verwuesteten denn die Lusitaner, durch +Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als gedemuetigt, unaufhoerlich das +reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der roemische Statthalter +Gaius Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloss, sondern +draengte auch den ganzen Haufen auf einen Huegel zusammen, wo derselbe +rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie +abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst +als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden +Tiere und Raeuber, so jetzt in ernsteren Kaempfen ein gefuerchteter +Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Ueberfall Galbas +zufaellig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf roemisches +Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhiess, wenn sie ihm folgen +wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer uebertrug ihm +den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in +einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten +Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und +zuverlaessigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug +der Seinigen deckte. Die Roemer, denen es an leichter Kavallerie fehlte, +wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung +zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem +Haufen das ganze roemische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er +ploetzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der +roemische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten +Hinterhalt, in dem er die Haelfte seines Heeres verlor und selber +gefangen und getoetet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an +die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom Ebro her +5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstaerkung der geschlagenen Roemer +gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem Marsch und +gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschraenkt, dass die +Roemer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als +Herr und Koenig der saemtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das +volle Gewicht seiner fuerstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des +Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem +gemeinen Soldaten; von der reichgeschmueckten Hochzeitstafel seines +Schwiegervaters, des Fuersten Astolpa im roemischen Spanien, stand er +auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen beruehrt zu +haben, hob seine Braut auf das Ross und ritt mit ihr zurueck in seine +Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch +jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem +treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber +daran, dass er es in Maessigkeit und in Muehsal jedem der Seinigen +zuvortat, nie anders als in voller Ruestung schlief und in der Schlacht +allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gruendlich prosaischen +Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl +in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation meinte endlich +in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu +brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im noerdlichen wie im suedlichen +Spanien bezeichneten die naechsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den +Praetor Gaius Plautius (608/09 146) wusste er, nachdem er dessen Vorhut +vernichtet hatte, hinueber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn +dort so nachdruecklich zu schlagen, dass der roemische Feldherr mitten +im Sommer in die Winterquartiere ging - spaeter ward dafuer gegen ihn +die Anklage wegen Entehrung der roemischen Gemeinde vor dem Volk erhoben +und er genoetigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen wurde das Heer des +Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz - Claudius Unimanus +vernichtet, das des Gaius Negidius ueberwunden und weithin das +platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich +Siegeszeichen, die mit den Insignien der roemischen Statthalter und +mit den Waffen der Legionen geschmueckt waren; bestuerzt und beschaemt +vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkoenigs. Zwar uebernahm +jetzt ein zuverlaessiger Offizier die Fuehrung des Spanischen Krieges, +der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus +Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und +Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den verhassten Spanischen +Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die beiden Legionen, +die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder +unzuverlaessig als das alte, gaenzlich demoralisierte spanische +Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder fuer die Lusitaner guenstig +ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des Jahres +seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna suedoestlich von Sevilla) +zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im +folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffaehig +geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die Ueberlegenheit zu +behaupten vermochte und nach gluecklichen Waffentaten nach Corduba ins +Winterlager ging. Als aber an Maximus' Stelle der feige und ungeschickte +Praetor Quinctius den Befehl uebernahm, erlitten die Roemer wiederum +eine Niederlage ueber die andere und schloss ihr Feldherr sich wieder +mitten im Sommer in Corduba ein, waehrend Viriathus' Scharen die +suedliche Provinz ueberschwemmten (611 143). Sein Nachfolger, des +Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus Servilianus, mit +zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel gesendet, +versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer +Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem muehsam abgeschlagenen +Sturm auf das roemische Lager sah er sich genoetigt, auf das roemische +Gebiet zurueckzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber +seine Truppen nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere ploetzlich +sich verliefen, musste auch er nach Lusitanien zurueckkehren (612 142). +Im naechsten Jahre (613 141) ergriff Servilianus wieder die Offensive, +durchzog die Gegenden am Baetis und Anas und besetzte sodann, in +Lusitanien einrueckend, eine Menge Ortschaften. Eine grosse Zahl der +Insurgenten fiel in seine Hand; die Fuehrer - es waren deren gegen 500 +- wurden hingerichtet, den aus roemischem Gebiet zum Feinde +Uebergegangenen die Haende abgehauen, die uebrige Masse in die Sklaverei +verkauft. Aber der Spanische Krieg bewaehrte auch hier seine tueckische +Unbestaendigkeit. Das roemische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei +der Belagerung von Erisane von Viriathus angegriffen, geworfen und auf +einen Felsen gedraengt, wo es gaenzlich in der Gewalt der Feinde war. +Viriathus indes begnuegte sich, wie einst der Samnitenfeldherr in den +Caudinischen Paessen, mit Servilianus einen Frieden abzuschliessen, +worin die Gemeinde der Lusitaner als souveraen und Viriathus als Koenig +derselben anerkannt ward. Die Macht der Roemer war nicht mehr gestiegen +als das nationale Ehrgefuehl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, +des laestigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem +Vertrage die Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und +Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit +wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu +heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmaechtigen und +bald ihm den offenen, unbeschoenigten Bruch des gegebenen Treuworts +wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog +das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus vermied +den Kampf mit der Uebermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen +dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht +bloss Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der noerdlichen +Provinz inzwischen verfuegbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in +Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er +ward geheissen, alle aus dem roemischen Gebiet zu ihm uebergetretenen +Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die Roemer +auszuliefern; es geschah, und die Roemer liessen dieselben hinrichten +oder ihnen die Haende abhauen. Allein es war damit nicht genug; nicht +auf einmal pflegten die Roemer den Unterworfenen anzukuendigen, was +ueber sie verhaengt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer +der folgende unertraeglicher als die vorhergehenden, erging an die +Lusitaner, und schliesslich ward sogar die Auslieferung der Waffen von +ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals seiner +Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs neue +zum Schwert, aber zu spaet. Sein Schwanken hatte in seiner naechsten +Umgebung die Keime des Verrats gesaet; drei seiner Vertrauten, Audas, +Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Moeglichkeit, jetzt +noch zu siegen, erwirkten von dem Koenig die Erlaubnis, noch einmal mit +Caepio Friedensunterhandlungen anzuknuepfen, und benutzten sie, um gegen +Zusicherung persoenlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben +des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurueckgekehrt in +das Lager, versicherten sie den Koenig des guenstigsten Erfolgs ihrer +Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem +Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier +ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele +fochten; hoeher noch dadurch, dass sie den Kampf nicht aufgaben, sondern +an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn +ernannten. Kuehn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den +Roemern Sagunt zu entreissen; allein der neue Feldherr besass weder +seines Vorgaengers weise Maessigung noch dessen Kriegsgeschick. Die +Expedition scheiterte voellig, und auf der Rueckkehr ward das Heer bei +dem Uebergang ueber den Baetis angegriffen und genoetigt, sich unbedingt +zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von +Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen. +----------------------------------------- 2 Die Chronologie des +Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, dass +Viriathus' Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. 61; +Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und dass er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p. +110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63), +zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fuenfzehn (Liv. 54; Eutr. 4, +16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90) +berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil +Viriathus' Auftreten sowohl bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie +auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die Zerstoerung von Korinth angeknuepft +wird. Von den roemischen Statthaltern, mit denen sich Viriathus schlug, +gehoeren ohne Zweifel mehrere der noerdlichen Provinz an, da Viriathus +zwar vorwiegend, aber nicht ausschliesslich in der suedlichen taetig war +(Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl +der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen. +--------------------------------------- Waehrend die suedliche Provinz +durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht ward, war nicht ohne deren +Zutun in der noerdlichen bei den keltiberischen Nationen ein zweiter, +nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus' glaenzende Erfolge +bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen die Roemer +sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur Abloesung +des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius +Metellus nicht nach der suedlichen Provinz ging, sondern gegen die +Keltiberer sich wandte. Auch gegen sie bewaehrte er, namentlich waehrend +der Belagerung der fuer unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, +dieselbe Tuechtigkeit, die er bei der Ueberwindung des makedonischen +Pseudophilipp bewiesen hatte; nach zweijaehriger Verwaltung (611, 612 +143, 142) war die noerdliche Provinz zum Gehorsam zurueckgebracht. Nur +die beiden Staedte Termantia und Numantia hatten noch den Roemern die +Tore nicht geoeffnet; auch mit diesen aber war die Kapitulation fast +schon abgeschlossen und der groesste Teil der Bedingungen von den +Spaniern erfuellt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff +auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den +Besitz des wohlgefuehrten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem +kuehnen Megaravicus den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das +konsularische Heer, dessen Befehl 613 (141) der Konsul Quintus +Pompeius uebernahm, war viermal so stark als die gesamte waffenfaehige +Bevoelkerung von Numantia. Allein der voellig kriegsunkundige Feldherr +erlitt unter den Mauern beider Staedte so harte Niederlagen (613, +614 141, 140), dass er endlich es vorzog, den Frieden, den er nicht +erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muss +ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte +der roemische Feldherr ihre Gefangenen zurueck und forderte die Gemeinde +unter dem geheimen Versprechen guenstiger Behandlung auf, sich ihm auf +Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges muede, gingen +darauf ein, und der Feldherr beschraenkte in der Tat seine Forderungen +auf das moeglichst geringe Mass. Gefangene, Ueberlaeufer, Geiseln waren +abgeliefert und die bedungene Geldsumme groesstenteils gezahlt, als +im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager +eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf fremde Schultern +gewaelzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden +Verantwortung fuer den nach roemischen Begriffen ehrlosen Frieden zu +entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloss zu brechen, sondern +zu verleugnen und, als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung +zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluss des +Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die Sache ging zur rechtlichen +Entscheidung an den Senat nach Rom; waehrend dort darueber verhandelt +ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschaeftigte sich Laenas +mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus +beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern +benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam, +lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man beteiligte sich also von +Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwaechtem Mut +und erhoehter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; +Laenas focht ungluecklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger +Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die Katastrophe fuehrten weit +weniger die Waffen der Numantiner herbei als die schlaffe und elende +Kriegszucht der roemischen Feldherrn und die Folge derselben, die von +Jahr zu Jahr ueppiger wuchernde Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit und +Feigheit der roemischen Soldaten. Das blosse, ueberdies falsche +Geruecht, dass die Kantabrer und Vaccaeer zum Entsatz von Numantia +heranrueckten, bewog das roemische Heer, ungeheissen in der Nacht das +Lager zu raeumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior +angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch +in Kenntnis gesetzt, draengten der fliehenden Armee nach und +umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich +durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen +Frieden zu schliessen. Mehr als der Konsul, der persoenlich ein +Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius +Gracchus, der als Quaestor im Heere diente, durch sein von dem Vater, +dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den +Keltiberern, dass die Numantiner sich mit einem billigen, von allen +Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genuegen liessen. Allein +der Senat rief nicht bloss den Feldherrn sofort zurueck, sondern liess +auch nach langer Beratung bei der Buergerschaft darauf antragen, den +Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heisst, ihm +die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafuer auf +diejenigen abzuwaelzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen +haetten dies saemtliche Offiziere sein muessen, die den Vertrag +beschworen hatten; allein Gracchus und die uebrigen wurden durch ihre +Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der +hoechsten Aristokratie angehoerte, ward bestimmt, fuer eigene und fremde +Schuld zu buessen. Seiner Insignien entkleidet, ward der roemische +Konsular zu den feindlichen Vorposten gefuehrt, und da die Numantiner +ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als +nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und +die Haende auf den Ruecken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von +Numantia, Freunden und Feinden ein klaegliches Schauspiel. Jedoch fuer +Mancinus' Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius +Lepidus, schien die bittere Lehre voellig verloren. Waehrend die +Verhandlungen ueber den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er +unter nichtigen Vorwaenden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das +freie Volk der Vaccaeer an und begann in Gemeinschaft mit dem +Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein +Senatsbeschluss befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger +setzte er, unter dem Vorwand, dass die Umstaende inzwischen sich +geaendert haetten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade +so schlecht wie als Buerger; nachdem er so lange vor der grossen und +festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die +Zufuhr ausgegangen war, musste er mit Zuruecklassung aller Verwundeten +und Kranken den Rueckzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner +die Haelfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht +zu frueh abgebrochen haetten, das schon in voller Aufloesung begriffene +roemische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben wuerden. Dafuer +ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbusse +auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus +Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu +fuehren, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie gluecklich +ohne Niederlage heim. Selbst die roemische Regierung fing endlich an +einzusehen, dass man so nicht laenger fortfahren koenne; man +entschloss sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt +ausserordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu +uebertragen. Die Geldmittel zur Kriegfuehrung wurden ihm freilich dabei +mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten +auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die +Furcht, der souveraenen Buergerschaft laestig zu werden, zusammengewirkt +haben moegen. Indes begleitete ihn freiwillig eine grosse Anzahl von +Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der +vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert +hatte. Gestuetzt auf diese zuverlaessige Schar, die als Feldherrnwache +konstituiert ward, begann Scipio das tief zerruettete Heer zu +reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen musste der Tross das Lager +raeumen - es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und +Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar +war, musste er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer +vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnuegte sich, +die Vorraete in der Umgegend zu vernichten und die Vaccaeer, die den +Numantinern Korn verkauften, zu zuechtigen und zur Anerkennung der +Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer +um Numantia zusammen; ausser dem numidischen Kontingent von Reitern, +Fusssoldaten und zwoelf Elefanten unter Anfuehrung des Prinzen Jugurtha +und den zahlreichen spanischen Zuzuegen waren es vier Legionen, +ueberhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer +waffenfaehigen Buergerschaft von hoechstens 8000 Koepfen einschloss. +Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl +erkennend, dass die vieljaehrige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag +sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei +den Ausfaellen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum +durch das persoenliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der +Legionaere diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten +veraechtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht +bloss mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr, +was er von ihr halte. Zum erstenmal fuehrten die Roemer, wo es nur auf +sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten. +Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile +im Umfang ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Tuermen und +Graeben versehene zwiefache Umwallungslinie aufgefuehrt und auch der +Duerofluss, auf dem den Belagerten anfangs noch durch kuehne Schiffer +und Taucher einige Vorraete zugekommen waren, endlich abgesperrt. So +musste die Stadt, die zu stuermen man nicht wagte, wohl durch Hunger +erdrueckt werden, um so mehr, als es der Buergerschaft nicht moeglich +gewesen war, sich waehrend des letzten Sommers zu verproviantieren. Bald +litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer kuehnsten Maenner, +Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die feindlichen +Linien durch, und seine ruehrende Bitte, die Stammesgenossen +nicht hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der +Arevakerstaedte, in Lutia, von grosser Wirkung. Bevor aber die Buerger +von Lutia sich entschieden hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von +den roemisch Gesinnten in der Stadt, mit Uebermacht vor ihren Mauern +und zwang die Behoerden, ihm die Fuehrer der Bewegung, vierhundert der +trefflichsten Juenglinge, auszuliefern, denen saemtlich auf Befehl des +roemischen Feldherrn die Haende abgehauen wurden. Die Numantiner, +also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um ueber die +Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der +Tapferen zu schonen; allein als die rueckkehrenden Boten meldeten, dass +Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der wuetenden Menge +zerrissen, und eine neue Frist verfloss, bis Hunger und Seuchen ihr Werk +vollendet hatten. Endlich kam in das roemische Hauptquartier eine zweite +Botschaft, dass die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade und Ungnade sich +zu unterwerfen. Als demnach die Buergerschaft angewiesen wurde, am +folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage +Frist, um denjenigen Buergern, die den Untergang der Freiheit nicht zu +ueberleben beschlossen haetten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward +ihnen gewaehrt, und nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der +elende Rest vor den Toren. Scipio las fuenfzig der Ansehnlichsten aus, +um sie in seinem Triumphe aufzufuehren; die uebrigen wurden in die +Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, ihr Gebiet unter +die Nachbarstaedte verteilt. Das geschah im Herbst 621 (133), fuenfzehn +Monate nachdem Scipio den Oberbefehl uebernommen hatte. Mit Numantias +Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom in der +Wurzel getroffen; militaerische Spaziergaenge und Geldbussen reichten +aus, um die roemische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur +Anerkennung zu bringen. Auch im jenseitigen ward durch die Ueberwindung +der Lusitaner die roemische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der +Konsul Decimus Iunius Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die +kriegsgefangenen Lusitaner an in der Naehe von Sagunt und gab ihrer +neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung +(616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen +Richtungen die iberische Westkueste und gelangte zuerst von den Roemern +an das Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, +Maennern und Frauen, hartnaeckig verteidigten Staedte der dort wohnenden +Lusitaner wurden durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhaengigen +Callaeker nach einer grossen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein +sollen, mit der roemischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der +Vaccaeer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordkueste +die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Roemern untertan. Eine +senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio +das neugewonnene Provinzialgebiet roemisch zu ordnen, und Scipio tat, +was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner +Vorgaenger zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren +schmachvolle Misshandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als +Kriegstribun mit hatte ansehen muessen, von ihm eingeladen wurden, in +ihre Stadt zurueckzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum +fuer Spanien eine leidlichere Zeit. Die Unterdrueckung des Seeraubes, +der auf den Balearen gefaehrliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus +Caecilius Metellus' Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem +Aufbluehen des spanischen Handels ungemein foerderlich, und auch sonst +waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst +unuebertroffenen Bevoelkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. +Wie zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevoelkerung auf der +Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern +in den Staedten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen +Inseln. Trotz mancher schwerer Missstaende bewahrte die roemische +Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit +und zunaechst Tiberius Gracchus ihr aufgepraegt hatten. Das roemische +Grenzgebiet zwar hatte von den Ueberfaellen der halb oder gar nicht +bezwungenen Staemme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei +den Lusitanern namentlich tat die aermere Jugend regelmaessig sich in +Raeuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute +oder die Nachbarn, weshalb noch in viel spaeterer Zeit die einzeln +gelegenen Bauernhoefe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im +Notfall verteidigungsfaehig waren; und es gelang den Roemern nicht, +diesem Raeuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugaenglichen +lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege +nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den +jeder leidlich tuechtige Statthalter mit den gewoehnlichen +Mitteln niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung +der Grenzdistrikte war Spanien unter allen roemischen Gebieten das +bluehendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die +Mittelsmaenner waren daselbst unbekannt, die Bevoelkerung zahlreich +und die Landschaft reich an Korn und Vieh. In einem weit unleidlicheren +Mittelzustand zwischen formeller Souveraenitaet und tatsaechlicher +Untertaenigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und +asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Roemer gegen Karthago, +Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der roemischen +Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhaengige Staat bezahlt den Preis +seiner Selbstaendigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges +auf sich nimmt, wenn es sein muss; der Staat, der die Selbstaendigkeit +eingebuesst hat, mag wenigstens einen Ersatz darin finden, dass +der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese +Klientelstaaten Roms hatten weder Selbstaendigkeit noch Frieden. In +Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsaechlich ein ewiger +Grenzkrieg. In Aegypten hatte zwar der roemische Schiedsspruch +den Sukzessionsstreit der beiden Brueder Ptolemaeos Philometor und +Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Aegypten +und von Kyrene fuehrten nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von +Kypros. In Asien waren nicht bloss die meisten Koenigreiche, Bithynien, +Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und +dadurch hervorgerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich +zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege gefuehrt +zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den +bithynischen Koenigen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten +im eigentlichen Hellas die dort landueblichen zwerghaften Fehden, und +selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem +inneren Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die +Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, dass die letzte Lebenskraft +und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen ziellosen Fehden +vergeudet ward. Die Klientelstaaten haetten einsehen muessen, dass der +Staat, der nicht gegen jeden, ueberhaupt nicht Krieg fuehren kann +und dass, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten +tatsaechlich unter roemischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz +nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Guete sich zu +vergleichen oder die Roemer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die +achaeische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt +ward und ernstlich ueber deren Absendung beratschlagte (601 153), so +war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Fuehrer der +roemisch gesinnten Partei damals aufstellte, dass es den Achaeern nicht +mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Roemer Krieg zu fuehren, drueckte, +freilich mit uebelklingender Schaerfe, die einfache Wahrheit aus, dass +die Souveraenitaet der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und +jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin fuehren +musste, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer +als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde +zu richten. Es ist fuer den Menschen wie fuer den Staat keine leichte +Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des +Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft aufzugeben +oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen Ueberlegenheit +die Beherrschten zur Resignation zu noetigen. Der roemische Senat tat +keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestuermt, griff +der Senat bestaendig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen, +asiatischen, aegyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten +und schlaffen Weise, dass durch diese Schlichtungsversuche die +Verwirrung gewoehnlich nur noch aerger ward. Es war die Zeit der +Kommissionen. Bestaendig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago +und Alexandreia, an die achaeische Tagsatzung und die Hoefe der +vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten, +und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und +gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, dass +Kypros, welches der Senat dem Kyrenaeischen Reich zugeschieden hatte, +nichtsdestoweniger bei Aegypten blieb; dass ein syrischer Prinz den +Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Roemern +zugesprochen erhalten zu haben, waehrend in der Tat ihm derselbe vom +Senate ausdruecklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von +Rom entkommen war; ja dass die offenkundige Ermordung eines roemischen +Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment von +Syrien fuehrte, gaenzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wussten zwar +sehr wohl, dass sie nicht imstande seien, den roemischen Legionen zu +widerstehen; aber sie wussten nicht minder, wie wenig der Senat +geneigt war, den Buergern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil +zu erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in +der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment +brachte die Voelker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um +die der Ordnung. Fuer die Roemer selbst aber war diese Lage der Dinge +insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermassen +preisgab. Ohne dass Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern +vermochte, konnten hier, gestuetzt auf die ausserhalb des Bereiches der +roemischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen +die schwachen roemischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer +fuer Rom gefaehrlichen und frueher oder spaeter mit ihm rivalisierenden +Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermassen der +ueberall zerspaltene und nirgends einer grossartigen staatlichen +Entwicklung guenstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch +erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, dass +in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des +Augustus noch nicht am Euphrat standen. Diesem Zustand der Halbheit ein +Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig moegliche Ende aber war die +Verwandlung der Klientelstaaten in roemische Aemter, was um so eher +geschehen konnte, als ja die roemische Provinzialverfassung wesentlich +nur die militaerische Gewalt in der Hand des roemischen Vogts +zusammenfasste und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den +Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten +politischen Selbstaendigkeit ueberhaupt noch lebensfaehig war, sich +in der Form der Gemeindefreiheit bewahren liess. Zu verkennen war die +Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich +nur, ob der Senat dieselbe verzoegern und verkuemmern, oder ob er +den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen und +energisch durchzufuehren. Blicken wir zunaechst auf Afrika. Die von den +Roemern in Libyen gegruendete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf +dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. +Waehrend jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment +sich erweiterte, befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch +die blossen Folgen des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und +Volkszahl wieder, was es auf der Hoehe seiner politischen Macht gewesen +war. Die Roemer sahen mit uebelverhehlter, neidischer Furcht die, wie +es schien, unverwuestliche Bluete der alten Nebenbuhlerin; hatten sie +bisher den bestaendig fortgesetzten Uebergriffen Massinissas gegenueber +derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt +an, offen zu Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als +dreissig Jahren zwischen der Stadt und dem Koenig schwebende Streit +ueber den Besitz der Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der +fruchtbarsten des karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von +roemischen Kommissarien dahin entschieden, dass die Karthager die noch +in ihrem Besitz verbliebenen emporitanischen Staedte zu raeumen und als +Entschaedigung fuer die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente +(860000 Taler) an den Koenig zu zahlen haetten. Die Folge war, dass +Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der +Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der grossen +Felder am Bagradas, bemaechtigte; den Karthagern blieb nichts uebrig, +als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozess anhaengig zu machen. +Nach langem und ohne Zweifel absichtlichem Zoegern erschien in Afrika +eine zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, +ohne genaue vorgaengige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben +zu faellenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten, +sondern auf eingehender Eroerterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten +die Kommissare ohne weiteres wieder zurueck nach Rom. Die Rechtsfrage +zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die Sendung +fuehrte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser Kommission +war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der einflussreichste +Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege noch von dem +vollen Poenerhass und der vollen Poenerfurcht durchdrungen. Betroffen +und missguenstig hatte dieser mit eigenen Augen den bluehenden Zustand +der Erbfeinde Roms, die ueppige Landschaft und die wogenden Gassen, +die gewaltigen Waffenvorraete in den Zeughaeusern und das reiche +Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal +all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und +mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem Ergebnis, +dass Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom Erdboden +verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht +sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Maenner der +Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kuemmerlichen +Politik mit grossem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse +vor einer Kaufstadt, deren phoenikische Bewohner mehr und mehr der +kriegerischen Kuenste und Gedanken sich entwoehnten, und die vollkommene +Vertraeglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der +politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine +roemische Provinzialstadt waere ausfuehrbar, ja, verglichen mit +dem gegenwaertigen Zustand, den Phoenikern selbst vielleicht nicht +unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, +sondern den Untergang der verhassten Stadt. Seine Politik fand, wie es +scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmaennern, die geneigt waren, +die ueberseeischen Gebiete in unmittelbare Abhaengigkeit von Rom zu +bringen, teils und vor allem an dem maechtigen Einfluss der roemischen +Bankiers und Grosshaendler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld- +und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen musste. Die Majoritaet +beschloss, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten +forderte die Ruecksicht auf die oeffentliche Meinung - den Krieg mit +Karthago oder vielmehr die Zerstoerung der Stadt zu bewirken. +Die gewuenschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden +Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Roemer brachten in +Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Fuehrer +der Patriotenpartei, welche, aehnlich der achaeischen, zwar nicht daran +dachte, gegen die roemische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens +die den Karthagern vertragsmaessig zustehenden Rechte gegen Massinissa, +wenn noetig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die +Patrioten liessen vierzig der entschiedensten Anhaenger Massinissas aus +der Stadt verbannen und das Volk schwoeren, ihnen unter keiner Bedingung +je die Rueckkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen +die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern +ein starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154). +Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu ruesten, sondern sich +wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch +der Roemer zu unterwerfen; und so konnte man roemischerseits mit einigem +Schein behaupten, dass die karthagischen Ruestungen gegen die Roemer +gerichtet sein muessten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und +Vernichtung der Flottenvorraete dringen. Der karthagische Rat +wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausfuehrung des +Beschlusses, und die roemischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago +ueberbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte +seinen Sohn Gulussa nach Rom, um ueber die fortdauernden Vorbereitungen +Karthagos fuer den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und +die Kriegserklaerung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine +Gesandtschaft von zehn Maennern es bestaetigt hatte, dass in Karthago in +der Tat geruestet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte +Kriegserklaerung, die Cato begehrte, beschloss aber in geheimer Sitzung, +dass der Krieg erklaert sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu +verstehen wuerden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu +verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen. +Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter +Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurueckgesandt. Da die +Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern +einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und +auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. +Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der +gewoehnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren +zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein +Theaterkoenig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war +der eitle und schwerfaellige Mann wenig geeignet, den Helfer zu +machen in einer Bedraengnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und +Hannibals Arm nicht mehr haetten abwenden koennen. Vor den Augen des +Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, +an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische +Elefanten zuzufuehren, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge +herab "wie Zeus vom Ida" der Schlacht zuschaute, lieferten die Karthager +und die Numidier sich ein grosses Treffen, in welchem jene, obwohl +durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugefuehrte +numidische Reiter verstaerkt und an Zahl dem Feinde ueberlegen, dennoch +den kuerzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager +gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio +versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein +an der Weigerung der karthagischen Patrioten, die Ueberlaeufer +auszuliefern, scheiterte das Friedensgeschaeft. Hasdrubal aber, eng +eingeschlossen von den Truppen des Gegners, wurde genoetigt, alles +zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung der Ueberlaeufer, +Rueckkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem Joch, +Zahlung von jaehrlich 100 Talenten (155000 Talern) fuer die naechsten +fuenfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht +gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der +Heimkehr von ihnen zusammengehauen. Die Roemer, die sich wohl gehuetet +hatten, den Krieg selbst durch zeitige Dazwischenkunft zu verhindern, +hatten jetzt, was sie wuenschten: einen brauchbaren Kriegsgrund - denn +die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen roemische Bundesgenossen noch +ausserhalb der eigenen Grenzen Krieg zu fuehren, waren jetzt allerdings +von den Karthagern uebertreten worden - und einen bereits im voraus +geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom +gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die +Kriegserklaerung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden +Schlag abzuwenden. Die Fuehrer der Patriotenpartei, Hasdrubal und +Karthalo, wurden zum Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom +geschickt, um auf sie die Verantwortung zu waelzen. Allein, zugleich +trafen Boten von Utica, der zweiten Stadt der libyschen Phoeniker, dort +ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde den Roemern voellig zu eigen +zu geben - mit dieser zuvorkommenden Unterwuerfigkeit verglichen, schien +es fast Trotz, dass die Karthager sich begnuegt hatten, die Hinrichtung +ihrer angesehensten Maenner unverlangt anzuordnen. Der Senat erklaerte, +dass die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf +die Frage, was denn genuegen werde, hiess es, das sei den Karthagern ja +bekannt. Freilich konnte man es wissen, was die Roemer wollten; allein +es schien doch wieder unmoeglich zu glauben, dass nun wirklich fuer die +liebe Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen +karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreissig und mit unbeschraenkter +Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklaert +(Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch +versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollstaendige Unterwerfung +zu beschwoeren. Der Senat beschied sie, dass Rom bereit sei, der +karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre staedtische Freiheit und ihr +Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermoegen zu garantieren, wofern +sie den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in +Lilybaeon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen +und die weiteren Befehle erfuellen wuerden, die ihnen die Konsuln +nach ihrer Instruktion wuerden zugehen lassen. Man hat den Bescheid +zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende +Maenner selbst unter den Karthagern hervorhoben. Dass alles, was man nur +begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und +dass keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika +zu sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat +verfuhr mit furchtbarer Haerte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab +er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich +kein Staatsmann, der die haltlose staedtische Menge entweder zum vollen +Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht haette. +Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die ertraegliche +Geiselforderung vernahm, fuegte man zunaechst sich dieser und hoffte +weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heisse, +sich der Willkuer eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln +sandten die Geiseln von Lilybaeon zurueck nach Rom und beschieden die +karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand +geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt. +Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago +erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die +Konsuln zunaechst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der +Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten, +gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch +die Flucht entronnenen Hasdrubal beschuetzen solle, ward ihnen erwidert, +dass dies die Sorge der Roemer sein werde. Gehorsam erschien demnach +der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen +Kriegsvorraeten der oeffentlichen Zeughaeuser, allen im Privatbesitz +befindlichen Waffen - man zaehlte 3000 Wurfgeschuetze und 200000 volle +Ruestungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob +sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eroeffnete dem Rat, dass +in Gemaessheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt +zerstoert werden muesse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst +wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom +Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fuerchterliche Befehl +ruettelte in den Phoenikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder +wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander +und spaeter die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die +Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen +vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat +und Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der +Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empoerung +der kaufmaennischen und seefahrenden Bevoelkerung. Von Hoffnung und +Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne +Frage auch jetzt sich zu fuegen - aber die Stimme der wenigen, welche +mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf +des Faehrmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in +ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff, +welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils +die unschuldigen Traeger der Botschaft, so viele von ihnen ueberhaupt +heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten liess, teils +die zufaellig in der Stadt verweilenden Italiker zerriss, um wenigstens +an diesen die Rache vorwegzunehmen fuer die Vernichtung der Heimat. Man +beschloss nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies +von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen +entbloessten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal, +den Tochtersohn Massinissas, uebertragen, die Sklaven saemtlich frei +erklaert. Das Emigrantenheer unter dem fluechtigen Hasdrubal, das +mit Ausnahme der von den Roemern besetzten Staedte an der Ostkueste, +Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, +das ganze karthagische Gebiet innehatte und fuer die Verteidigung eine +unschaetzbare Stuetze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in +dieser hoechsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt +phoenikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der +Demut versteckend, den Feind zu taeuschen. Es ging eine Botschaft an +die Konsuln, um dreissigtaegigen Waffenstillstand zur Absendung einer +Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wussten wohl, dass die +Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewaehren +wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestaerkt in +der natuerlichen Voraussetzung, dass nach dem ersten Ausbruch der +Verzweiflung die gaenzlich wehrlose Stadt sich fuegen werde, und +verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt, +um Wurfgeschuetze und Ruestungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne +Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen +gezimmert und gehaemmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die +oeffentlichen Gebaeude niedergerissen; um die fuer die Wurfgeschuetze +unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar; +in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Maenner wieder +bewehrt. Dass dies alles geschehen konnte, ohne dass die wenige Meilen +entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten +wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja +daemonischen Volkshass getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des +Wartens muede, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloss mit Leitern +die nackten Mauern ersteigen zu koennen meinten, fanden sie mit Staunen +und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekroent und die +grosse volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu +besetzen gehofft hatte, faehig und bereit, sich bis auf den letzten Mann +zu verteidigen. Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie +durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen +Bewohner. In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, +oestlich Kap Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach +Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und +nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhaengt. Diese Landspitze, an +der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im +ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in +den beiden Hoehen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen +die Flaeche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem suedlichen, mit der +Hoehe von Sidi bu Said abschliessenden Teil derselben lag die Stadt +Karthago. Der ziemlich steile Abfall jener Hoehe gegen den Golf und +dessen zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt +natuerliche Festigkeit, und es genuegte hier eine einfache Umwallung. +Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen +Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst +vermochte. Sie bestand, wie die kuerzlich aufgedeckten, mit der +Beschreibung des Polybios genau uebereinstimmenden Ueberreste +gezeigt haben, aus einer Aussenmauer von 6 Fuss Dicke und an diese +hinterwaerts, wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten +ungeheuren Kasematten, welche durch einen 6 Fuss breiten bedeckten +Gang von der Aussenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuss +breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 +Fuss hatten 4. Dieser ungeheure, durchaus aus maechtigen Quadern +zusammengefuegte Wall erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die +maechtigen vier Stockwerke hohen Tuerme ungerechnet, zu einer Hoehe von +45 Fuss 5 und gewaehrte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung +und Futtermagazine fuer 300 Elefanten, in dem oberen Pferdestaelle, +Magazin- und Kasernenraeume 6. Der Burghuegel, die Byrsa (syrisch birtha += Burg), ein verhaeltnismaessig bedeutender Fels von 188 Fuss Hoehe und +an der Unterflaeche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten +7, griff in diese Mauer an ihrem suedlichen Ende ein, aehnlich wie die +Felswand des Kapitols in den roemischen Stadtwall. Die obere Flaeche +desselben trug den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen +ruhenden Tempel des Heilgottes. Die Suedseite der Stadt bespuelte teils +der seichte Tunesische See im Suedwesten, den eine von der karthagischen +Halbinsel suedwaerts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast +gaenzlich von dem Golfe schied, teils im Suedosten der offene Golf. An +dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk +von Menschenhand: der aeussere oder der Handelshafen, ein laengliches, +die schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuss +breiter Muendung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen, +und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das +Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den aeusseren +gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa +ostwaerts sich wendend, die Landzunge und den Aussenhafen aus-, dagegen +den Kriegshafen einschloss, so dass die Einfahrt in den letzteren gleich +einem Tor verschliessbar gedacht werden muss. Unweit des Kriegshafens +lag der Marktplatz, der durch drei enge Strassen mit der nach der +Stadtseite offenen Burg verbunden war. Noerdlich von und ausserhalb der +eigentlichen Stadt hatte der ziemlich betraechtliche, schon zu jener +Zeit grossenteils mit Landhaeusern und wohlbewaesserten Gaerten +gefuellte Raum der heutigen El Mersa, damals Magalia genannt, +eine eigene, an die Stadtmauer sich anlehnende Umwallung. Auf der +gegenueberliegenden Spitze der Halbinsel, dem Dschebel-Khawi bei dem +heutigen Dorfe Qamart, lag die Graeberstadt. Diese drei, die Alt-, +die Vor- und die Graeberstadt, fuellten zusammen die ganze Breite +der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus und waren nur +zugaenglich auf den beiden Hauptstrassen nach Utica und Tunes ueber jene +schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer geschlossen war, +aber doch fuer die unter dem Schutze der Hauptstadt und wieder zu deren +Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste Stellung darbot. +------------------------------------------- 3 Der Zug der Kueste ist +im Laufe der Jahrhunderte so veraendert worden, dass man an der +alten Staette die ehemaligen Lokalverhaeltnisse nur unvollkommen +wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch +von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in +den Golf hineinragende oestliche Spitze der Halbinsel und ihr hoechster +393 Fuss ueber dem Meere gelegener Punkt. 4 Die von C. E. Beule +(Fouilles a Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmasse sind in Metern +und in griechischen Fuss (1 = 0,309): Aussenmauer 2 Meter = 6 Fuss +Korridor 9 Meter = 6 Fuss Vordermauer der Kasematten 1 Meter = 3Fuss +Kasemattensaele 4,2 Meter = 14 Fuss Hintermauer der Kasematten 1 Meter += 3Fuss Gesamttiefe der Mauer 10,1 Meter = 33 Fuss oder, wie Diodor (p. +522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1 Fuss), waehrend Livius +(bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, minder +genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die +Mauertiefe auf 30 Fuss ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, ueber die +bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet +war, ist die Aussenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der +Kasematten. Dass dies Zusammentreffen nicht zufaellig ist und wir hier +in der Tat die Ueberreste der beruehmten karthagischen Mauer vor uns +haben, wird jedem einleuchten; N. Davis' Einwuerfe (Carthage and +her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, dass gegen die wesentlichen +Ergebnisse Beules auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. Nur +muss man festhalten, dass die alten Berichterstatter die Angaben, um die +es sich handelt, saemtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern von +der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Suedseite +des Burghuegels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu +stimmt, dass die Ausgrabungen auf dem Burghuegel gegen Osten, Norden und +Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Suedseite eben +jene grossartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund +vorhanden, dieselben als Ueberreste einer besonderen, von der +Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen +in entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen +Stadtmauer liegt 56 Fuss unter dem heutigen Boden - werden vermutlich +laengs der ganzen Landseite gleiche oder doch aehnliche Fundamente zu +Tage foerdern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt +Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von +Haus aus schwaecher gewesen oder frueh vernachlaessigt worden ist. Wie +lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; +doch ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren +Futtermagazine und vielleicht noch andere Raeumlichkeiten sowie die +Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche +Laengenentwicklung. Dass die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa +einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten +Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117; +Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich. 5 So rechnet +Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung der Zinnen, +die Hoehe auf 40 Ellen oder 60 Fuss. Der erhaltene Ueberrest ist noch +12-16 Fuss (4-5 Meter) hoch. 6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen +hufeisenfoermigen Saele haben eine Tiefe von 14, eine Breite von 11 +griechischen Fuss; die Weite der Eingaenge wird nicht angegeben. Ob +diese Masse und die Verhaeltnisse des Korridors ausreichen, um in +ihnen Elefantenstaelle zu erkennen, bleibt durch genauere Ermittlung +festzustellen. Die Zwischenmauern, die die Saele voneinander scheiden, +haben die Dicke von 1,1 Meter = 3 Fuss. 7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich +2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt haben wird - 16 Stadien sind +ungefaehr 3000 Meter. Der Burghuegel, auf dem jetzt die Kirche des hl. +Ludwig steht, misst oben etwa 1400, auf der halben Hoehe etwa 2600 Meter +im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf den unteren Umfang wird jene +Angabe recht gut auskommen. 8 Sie traegt jetzt das Fort Goletta. 9 +Dass dieses phoenikische Wort das kreisfoermig ausgegrabene Bassin +bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der +die Griechen dasselbe verwenden. Es passt also nur auf den inneren +Hafen Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es +eigentlich fuer die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones +p. 37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den +viereckigen Vorhafen des Kothon als Teil desselben. +--------------------------------------- Die schwierige Arbeit, eine so +wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch dadurch erschwert, dass +teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch immer 800 +Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei groesstenteils +beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten +Staemme der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten, +sich nicht auf die Verteidigung der Stadt zu beschraenken, sondern +zugleich ein zahlreiches Heer im Felde zu halten, welches bei der +verzweifelten Stimmung der Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten +numidischen Reiterei von den Belagerern nicht ausser acht gelassen +werden durfte. Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte +Aufgabe zu loesen, als sie nun doch sich genoetigt sahen, die Belagerung +regelrecht zu beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, +schlug sein Lager der Burgmauer gegenueber, waehrend Lucius Censorinus +mit der Flotte an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die +Operationen begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an +dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den +zum Holzfaellen fuer den Maschinenbau ausgeschickten roemischen Soldaten +ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tuechtige Reiterfuehrer +Himilkon Phameas den Roemern viele Leute toetete. Indes stellte +Censorinus auf der Landzunge zwei grosse Sturmboecke her und brach mit +ihnen Bresche an dieser schwaechsten Stelle der Mauer; der Sturm indes +musste, da es Abend geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang +es den Belagerten, einen grossen Teil der Bresche zu fuellen und durch +einen Ausfall die roemischen Maschinen so zu beschaedigen, dass sie am +naechsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die +Roemer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die naechsten +Mauerabschnitte und Haeuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig +vor, dass sie mit starkem Verlust zurueckgeschlagen wurden und noch weit +groessere Nachteile erlitten haben wuerden, wenn nicht der Kriegstribun +Scipio Aemilianus, den Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend, +seine Leute vor den Mauern zusammengehalten und mit ihnen die +Fluechtenden aufgenommen haette. Noch viel weniger richtete Manilius +gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die Belagerung sich in +die Laenge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten Krankheiten, +die Abreise des faehigeren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung +und Untaetigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Roemer sehr +ungern die laengst begehrte Beute fuer sich selber nehmen sah, und der +bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjaehrigen Koenigs +brachten die Offensivoperationen der Roemer voellig ins Stocken. Sie +hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander +und ihr Lager gegen die naechtlichen Ueberfaelle zu schuetzen und durch +Anlegung eines Hafenkastells und Streifzuege in die Umgegend Nahrung +fuer Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete +Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste haette bei +der schlechten Fuehrung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer +foermlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg fuer den +Feldherrn wie fuer das Heer verlief, so glaenzend tat der Kriegstribun +Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde +auf das roemische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrueckend und +den Feind in den Ruecken fassend, ihn zum Umkehren noetigte. Auf dem +ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Flussuebergang, der wider +seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres +geworden waere, durch einen verwegenen Seitenangriff dem rueckkehrenden +Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung durch +seinen aufopfernden Heldenmut. Waehrend die uebrigen Offiziere, der +Konsul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen +geneigten Staedte und Parteifuehrer zurueckschreckten, gelang es Scipio, +einen der tuechtigsten von diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern +zum Uebertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des +sterbenden Massinissa erfuellend, unter dessen drei Soehne, die Koenige +Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, fuehrte er in +Gulussa einen seines Vaters wuerdigen Reiterfuehrer dem roemischen Heer +zu und half damit dem bisher empfindlich gefuehlten Mangel an leichter +Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen +leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang +auch den Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf +allen Lippen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, +wandte wenige Monate vor seinem Tode - er starb am Ende des Jahres +605 (149), ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, +erfuellt gesehen zu haben - auf den jungen Offizier und seine unfaehigen +Kameraden die Homerische Zeile an: "Einzig er ist ein Mann, die +andern sind wandelnde Schatten ^10." +--------------------------------------------- ^10 Oios pepytai, toi de +skiai aissoysin. --------------------------------------------- Ueber +diese Vorgaenge war der Jahresschluss und damit der Kommandowechsel +herangekommen: ziemlich spaet erschien der Konsul Lucius Piso (606 148) +und uebernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den +der Flotte. Indes, hatten die Vorgaenger wenig geleistet, so geschah nun +gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Ueberwindung +der Armee Hasdrubals beschaeftigte Piso sich damit, die kleinen +phoenikischen Seestaedte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, +wie zum Beispiel Clupea ihn zurueckschlug und er von Hippon +Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und das +Belagerungsgeraet ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen +musste. Neapolis ward zwar genommen; aber die Pluenderung der Stadt +gegen das gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der roemischen Waffen +nicht sonderlich guenstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer +Scheik Bithyas ging mit 800 Pferden zu ihnen ueber; karthagische +Gesandte konnten es versuchen, mit den Koenigen von Numidien und +Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von Makedonien Verbindungen +einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwuerfnisse - Hasdrubal der +Emigrant verdaechtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt +befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und liess ihn im +Rathause erschlagen - als die Taetigkeit der Roemer verhinderten eine +fuer Karthago noch guenstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom, +um dem besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu +schaffen, zu der ausserordentlichen Massregel, dem einzigen Mann, der +bis jetzt von den libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein +Name selbst fuer diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Aedilitaet, +um die er eben sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden +Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch besonderen Beschluss die +Fuehrung des Afrikanischen Krieges zu uebertragen. Er traf (607 147) +in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der +roemische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung +der Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem +bewohnten Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der +schwer zugaenglichen Seite der Aussenstadt Magalia besetzt und fast +seine gesamte, nicht zahlreiche Mannschaft dort vereinigt, in der +Hoffnung, von hier aus in die Aussenstadt eindringen zu koennen. In +der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick innerhalb der Tore +derselben gewesen, und schon war der Lagertross in der Hoffnung +auf Beute in Masse herbeigestroemt, als sie wieder auf die Klippe +zurueckgedraengt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der +groessten Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum +angekommen, entsandte er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz +von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, und es gelang, dessen +Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu behaupten. Nachdem diese +Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr sich in das Lager Pisos, +um das Heer zu uebernehmen und nach Karthago zurueckzufuehren. Hasdrubal +aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr Lager unmittelbar +an die Stadt zu ruecken und den Angriff auf die Besatzung der Klippe von +Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem Vortrab +der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu leisten. +Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen Dingen +saeuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender +und zog die erschlafften Zuegel der Disziplin wieder mit Strenge an. +Bald nahmen auch die militaerischen Operationen einen lebhafteren Gang. +Bei einem naechtlichen Angriff auf die Aussenstadt gelangten von einem +Turme aus, der den Mauern an Hoehe gleich vor denselben stand, die +Roemer auf die Zinnen und oeffneten ein Pfoertchen, durch das das ganze +Heer eindrang. Die Karthager gaben die Aussenstadt und das Lager vor den +Toren auf und uebertrugen den Oberbefehl ueber die auf 30000 Mann sich +belaufende staedtische Besatzung an Hasdrubal. Der neue Kommandant +bewies seine Energie zuvoerderst dadurch, dass er saemtliche roemische +Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des +Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stuerzen liess; +und als hierueber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die +Buerger die Schreckensherrschaft eingefuehrt. Scipio inzwischen suchte, +nachdem er die Stadt auf sich selber beschraenkt hatte, ihr den Verkehr +nach aussen hin voellig abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier +auf dem Erdruecken, durch den die karthagische Halbinsel mit dem +Festland zusammenhaengt, und schlug hier trotz der vielfachen Versuche +der Karthager, den Bau zu stoeren, ein grosses, diesen Ruecken in seiner +ganzen Breite schliessendes Lager, das die Stadt nach der Landseite hin +vollstaendig absperrte. Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den +Hafen ein, teils kuehne Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils +Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus +jeden guenstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu +bringen; wie auch daselbst die Buergerschaft schon litt, die Besatzung +war noch hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge +zwischen See und Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96 +Fuss Breite, um damit die Hafenmuendung zu sperren. Die Stadt schien +verloren, als das Gelingen dieses anfangs von den Karthagern als +unausfuehrbar verspotteten Unternehmens offenbar ward. Aber eine +Ueberraschung machte die andere wett. Waehrend die roemischen Arbeiter +an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate +lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne dass selbst die Ueberlaeufer zu +sagen wussten, was die Belagerten beabsichtigten. Ploetzlich, als eben +die Roemer mit der Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten +aus demselben Hafen fuenfzig karthagische Dreidecker und eine Anzahl +Boote und Kaehne hinaus in den Golf -die Karthager hatten, waehrend +die Feinde die alte Hafenmuendung gegen Sueden sperrten, durch einen in +oestlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen Ausgang geschaffen, +welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmoeglich gesperrt +werden konnte. Haetten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu +begnuegen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte +und voellig unvorbereitete roemische Flotte gestuerzt, so war diese +verloren; als sie am dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht +zu liefern, fanden sie die Roemer geruestet. Der Kampf verlief ohne +Entscheidung; bei der Rueckfahrt aber stopften sich die karthagischen +Schiffe so sehr in und vor der Hafenmuendung, dass der dadurch +entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun +seine Angriffe auf den aeusseren Hafenkai, welcher ausserhalb der +Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall +notduerftig geschuetzt war. Die Maschinen wurden auf der Landzunge +aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit beispielloser +Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen durchwatend, das +Belagerungszeug an, verjagten die Besatzungsmannschaft, welche so ins +Laufen kam, dass Scipio seine eigenen Reiter auf sie einhauen lassen +musste, und zerstoerten die Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie +Zeit, die Bresche zu schliessen. Scipio stellte indes die Maschinen +wieder her und schoss die Holztuerme der Feinde in Brand, wodurch er den +Kai und damit den Aussenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer +an Hoehe gleichkommender Wall wurde hier aufgefuehrt, und es war jetzt +endlich die Stadt von der Land- wie von der Seeseite vollstaendig +abgesperrt, da man nur durch den aeusseren in den inneren Hafen +gelangte. Um die Blockade vollstaendig zu sichern, liess Scipio das +Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius Laelius +angreifen; durch eine glueckliche Kriegslist ward es erobert und die +ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getoetet oder gefangen. +Darueber war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die +Operationen ein, es dem Hunger und den Seuchen ueberlassend, das +Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar die Gewaltigen des Herrn +inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, waehrend Hasdrubal +freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so wie im +Fruehling 608 (146) das roemische Heer zum Angriff gegen die innere +Stadt ueberging. Hasdrubal liess den Aussenhafen anzuenden und machte +sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber +Laelius gelang es, weiter aufwaerts die von der ausgehungerten Besatzung +kaum noch verteidigte Mauer zu uebersteigen und so bis an den inneren +Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber der Kampf noch +keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den kleinen Hafen +anstossenden Markt und drangen in den drei schmalen, von diesem nach +der Burg zu fuehrenden Strassen langsam vor - langsam, denn von den +gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Haeusern musste eines nach +dem andern erstuermt werden; auf den Daechern oder auf ueber die Strasse +gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser festungsaehnlichen +Gebaeude in das benachbarte oder gegenueberstehende vor und stiess +nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, schreckliche +fuer die Bewohner der Stadt und auch fuer die Angreifer voll Not und +Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den sich +Hasdrubal und die noch uebrige Mannschaft zurueckgezogen hatten. +Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten +Strassen anzuzuenden und den Schutt zu planieren, bei welcher +Veranlassung eine Menge in den Haeusern versteckter kampfunfaehiger +Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg +zusammengedraengte Rest der Bevoelkerung um Gnade. Das nackte Leben ward +ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Maenner und +25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevoelkerung. Einzig +die roemischen Ueberlaeufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal +mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel +des Heilgottes geworfen: fuer sie, fuer die desertierten Soldaten wie +fuer den Moerder der roemischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber +als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den +Tempel anzuendeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu +sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefaellig um sein +Leben. Es ward ihm gewaehrt; aber wie seine Gattin, die mit ihren +Kindern unter den uebrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den +Fuessen Scipios erblickte, schwoll ihr das stolze Herz ueber diese +Schaendung der teuren untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren +Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu schonen, stuerzte sie erst +die Soehne und dann sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. +Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des +Volkes schaemten im stillen sich der neuesten Grosstat der Nation. Die +Gefangenen wurden groesstenteils zu Sklaven verkauft; einzelne liess man +im Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als +roemische Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich +behandelt. Das bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder +Weihgeschenk, ward den Soldaten zur Pluenderung preisgegeben; von +den Tempelschaetzen ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den +sizilischen Staedten weggefuehrte Beute diesen zurueckgestellt, wie zum +Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das uebrige, fiel +an den roemischen Staat. Indes noch stand die Stadt zum bei weitem +groessten Teil. Es ist glaublich, dass Scipio die Erhaltung derselben +wuenschte; wenigstens richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage +an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der +Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat +befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Aussenstadt Magalia dem +Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt +mit Karthago gehalten; sodann ueber den Boden Karthagos den Pflug zu +fuehren, um der Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, +und Grund und Boden auf ewige Zeiten zu verwuenschen, also dass weder +Haus noch Kornfeld je dort entstehen moege. Es geschah wie befohlen war. +Siebzehn Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Ueberreste der +karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit +einer vier bis fuenf Fuss tiefen, von halb verkohlten Holzstuecken, +Eisentruemmern und Schleuderkugeln erfuellten Aschenlage. Wo die +fleissigen Phoeniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt +hatten, weideten fortan roemische Sklaven die Herden ihrer fernen +Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser +Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und +statt der Siegesfreude erfasste den Sieger selber die Ahnung der solcher +Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung. Es blieb noch uebrig, +fuer die kuenftige Organisation der Landschaft die Einrichtungen +zu treffen. Die fruehere Weise, mit den gewonnenen ueberseeischen +Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt. +Micipsa und seine Brueder behielten im wesentlichen ihr bisheriges +Gebiet mit Einschluss der kuerzlich am Bagradas und in Emporia den +Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genaehrte Hoffnung, Karthago +zur Hauptstadt zu erhalten, ward fuer immer vereitelt; dafuer verehrte +ihnen der Senat die karthagischen Buechersammlungen. Die karthagische +Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heisst der +schmale, Sizilien zunaechst gegenueberliegende Kuestenstrich von +Afrika, vom Tuscafluss (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena +gegenueber), ward eine roemische Provinz. Im Binnenland, wo die +uebergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwaehrend weiter +beschraenkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Koenigen gehoerten, +blieb den Numidiern, was sie besassen. Allein die sorgfaeltige +Regulierung der Grenze zwischen der roemischen Provinz und dem auf drei +Seiten dieselbe einschliessenden numidischen Koenigreich zeugte davon, +dass Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago +verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, +andererseits darauf hinzudeuten schien, dass Rom die gegenwaertig +abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die +Oberverwaltung der neuen Provinz uebernahm ein roemischer Statthalter, +dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmaessigen Grenzverteidigung bedurfte +dieselbe nicht, da das verbuendete Numidische Reich sie ueberall von +den Bewohnern der Wueste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im +ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf +seiten der Roemer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestaedte +Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die +Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistaedte; +dasselbe Recht empfing die neugegruendete Gemeinde der Ueberlaeufer. +Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten +Striches, und das der uebrigen zerstoerten Ortschaften ward roemisches +Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die uebrigen +Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum +und ihre staedtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre +Verfassung bis auf weitere Anordnung der roemischen Regierung vorlaeufig +als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden fuer die +Nutzung des roemisch gewordenen Bodens jaehrlich nach Rom eine ein +fuer allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits +mittels einer Vermoegenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen +wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstoerung +der ersten Handelsstadt des Westens waren die roemischen Kaufleute, +welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica stroemten +und von dort aus nicht bloss die roemische Provinz, sondern auch die +bis dahin ihnen verschlossenen numidischen und gaetulischen Landschaften +auszubeuten begannen. Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand +auch Makedonien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen +Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des roemischen Senats das alte +Koenigreich zerstueckelt hatte, konnten in sich und untereinander nicht +zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner, +zufaellig erwaehnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat +einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos +ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete +(590 164), noch die nach griechischer Sitte von den Makedoniern +herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio +Aemilianus (603 151), vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. +Da erschien ploetzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos +nannte, den Sohn des Koenigs Perseus, welchem er auffallend glich, und +der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt +Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise seiner +hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem +vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich +an seiner Mutter Bruder, Koenig Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es +fanden sich in der Tat einige Maenner, die dem Adramytener glaubten oder +zu glauben vorgaben und den Koenig bestuermten, den Prinzen entweder +in sein angeerbtes Reich wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens +abzutreten; worauf Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, +den Praetendenten festnahm und den Roemern zuschickte. Indes der Senat +achtete des Menschen so wenig, dass er ihn in einer italischen Stadt +konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war +er nach Milet entflohen, wo die staedtischen Behoerden ihn abermals +aufgriffen und bei roemischen Kommissarien anfragten, was sie mit +dem Gefangenen machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es +geschah. Jetzt versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glueck; und +wunderbarerweise fand er hier Anerkennung und Unterstuetzung, nicht +bloss bei den thrakischen Barbarenfuersten Teres, dem Gemahl seiner +Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. +Mit thrakischer Unterstuetzung drang der sogenannte Philipp in +Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er +doch bald einen Sieg ueber das makedonische Aufgebot in der Odomantike +jenseits des Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der +ihm den Besitz von ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine +Erzaehlung klang und so entschieden es feststand, dass der echte +Philippos Perseus' Sohn achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und +dieser Mensch nichts weniger als ein makedonischer Prinz, sondern der +adramytenische Walker Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der +Koenigsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitaetsfrage +sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. +Schon kamen Boten von den Thessalern, dass der Praetendent in ihr Gebiet +eingerueckt sei; der roemische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, +dass das erste ernste Wort dem toerichten Beginnen ein Ende machen +werde, vom Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, +musste die achaeische und pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den +Achaeern Thessalien gegen die Uebermacht, soweit es anging, schirmen, +bis (605? 149) der Praetor Juventius mit einer Legion erschien. Dieser +griff mit seiner geringen Streitmacht die Makedonier an; allein er +selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum +groessten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der sein Regiment +hier und in Makedonien in grausamer und uebermuetiger Weise handhabte. +Endlich betrat ein staerkeres roemisches. Heer unter Quintus Caecilius +Metellus den Kampfplatz und drang, unterstuetzt durch die pergamenische +Flotte, in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht +die Makedonier die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und +Desertionen im makedonischen Heer ein, und der Fehler des Praetendenten, +sein Heer zu teilen und die eine Haelfte nach Thessalien zu detachieren, +verschaffte den Roemern einen leichten und entscheidenden Sieg (606 +148). Philippos fluechtete nach Thrakien zu dem Haeuptling Byzes, wohin +Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine Auslieferung +erlangte. Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem +Praetendenten nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der +Gewalt gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund +vor, den Makedoniern den Schatten von Selbstaendigkeit zu nehmen, den +die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das +Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine +roemische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, dass die +roemische Regierung ihr System geaendert und das Klientel- durch das +Untertanenverhaeltnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde +die Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem +ganzen Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag +empfunden. Die frueher nach den ersten roemischen Siegen von Makedonien +abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Haefen +Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen Beamtensprengel +gehoert hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien vereinigt, so dass +dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im Nordosten bis jenseits +Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die Schutzherrlichkeit, +die Rom ueber das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, von selbst +dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die +Einigkeit zurueck und auch ungefaehr wieder die Grenzen, wie es sie +in seiner bluehendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges +Reich, sondern eine einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es +scheint landschaftlicher Organisation, jedoch unter einem italischen +Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch wohl auf den Landesmuenzen +neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer blieb die alte maessige +Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von 100 Talenten +(155000 Talern), die in festen Betraegen auf die einzelnen Gemeinden +umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen +Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung +des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn, +Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und +hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quaestor Lucius +Tremellius ward des Aufstandes ohne Muehe Herr und verfolgte den +fliehenden Praetendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist +auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der zwei +Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so grosse Dinge vollbracht hatte; +seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als +dass sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der +Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zaehlen. Fortan waren +es die Roemer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und +Ostgrenzen, das heisst der Grenze der hellenischen Zivilisation +gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulaenglichen +Streitkraeften und im ganzen nicht mit der gebuehrenden Energie +gefuehrt; doch ist zunaechst fuer diesen militaerischen Zweck die grosse +Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios' Zeit von +den beiden Haupthaefen an der Westkueste, Apollonia und Dyrrhachion, +quer durch das Binnenland nach Thessalonike, spaeter noch weiter bis +an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die natuerliche +Basis teils fuer die Zuege gegen die unruhigen Dalmater, teils fuer die +zahlreichen Expeditionen gegen die nordwaerts der griechischen Halbinsel +ansaessigen illyrischen, keltischen und thrakischen Staemme, die +spaeter in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden. +------------------------------------------- ^11 Als Handelsstrasse +zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als diejenige naemlich, in +deren Mitte die kerkyraeischen Weinkruege den thasischen und lesbischen +begegnen, kennt diese Strasse schon der Verfasser der pseudo- +aristotelischen Schrift 'Von den merkwuerdigen Dingen'. Auch heute noch +laeuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die +Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida +(Lychnitis) durchschneidend, ueber Monastir nach Saloniki. +------------------------------------------ Mehr als Makedonien hatte +das eigentliche Griechenland sich der Gunst der herrschenden Macht zu +erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der Ansicht sein, dass +daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im Verschwinden und +die Verhaeltnisse ueberhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. Die +verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der +Aetoler, Mnasippos der Boeoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare +Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Roemer ihr Haus verboten, +stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs +heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten Gegensaetze verblasst +waren. Der roemische Senat meinte die Zeit des allgemeinen Vergebens und +Vergessens gekommen und entliess im Jahre 604 (150) die noch uebrigen +der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achaeischen Patrioten, +deren Freigebung die achaeische Tagsatzung nicht aufgehoert hatte zu +fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Roemern mit all ihrem +Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich +zu versoehnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung +der Griechen zu den Attaliden. Koenig Eumenes II. war als Roemerfreund +in Griechenland im hoechsten Grade verhasst gewesen; kaum aber war +zwischen ihm und den Roemern eine Verstimmung eingetreten, als er +in Griechenland ploetzlich populaer ward; wie frueher von Makedonien +erwartete der hellenische Euelpides den Erloeser aus der Fremdherrschaft +jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg in der sich selbst +ueberlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die soziale +Zerruettung. Das Land veroedete, nicht durch Krieg und Pest, sondern +durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der hoeheren Staende, +mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafuer stroemte wie bisher +das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach +Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden +versanken in immer tiefere Verschuldung und in oekonomische Ehr- und die +daranhaengende Kreditlosigkeit; einzelne Staedte, namentlich Athen und +Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum Raeuberhandwerk und +pluenderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere Hader in den +Buenden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den gezwungenen +Mitgliedern der Achaeischen Eidgenossenschaft, war keineswegs beigelegt. +Wenn die Roemer, wie es scheint, glaubten, was sie wuenschten, und +der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald +erfahren, dass die juengere Generation in Hellas um nichts besser und um +nichts klueger als die aeltere war. Die Gelegenheit, um mit den Roemern +Haendel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune. Um einen schmutzigen +Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige Vorstand der +Achaeischen Eidgenossenschaft, Diaeos, auf der Tagsatzung die +Behauptung hin, dass die den Lakedaemoniern als Glied der Achaeischen +Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die +Befreiung von der achaeischen Kriminaljurisdiktion und das Recht, +Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den +Roemern gewaehrleistet seien. Es war eine freche Luege; allein die +Tagsatzung glaubte natuerlich, was sie wuenschte, und da sich die +Achaeer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand +wahrzumachen, gaben die schwaecheren Spartaner vorlaeufig nach, oder +vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achaeern begehrt +ward, verliessen die Stadt, um als Klaeger vor dem roemischen Senat +aufzutreten. Der Senat antwortete wie gewoehnlich, dass er eine +Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses +Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide +falsch, dass der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achaeer, +die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den +falschen Philippos sich mehr als je in bundesgenoessischer Gleichheit +und politischer Gewichtigkeit fuehlten, rueckten im Jahre 606 (148) +unter ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, +von Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende roemische +Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu +erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner +fielen, und Sparta haette genommen werden koennen, wenn Damokritos nicht +als Offizier ebenso untuechtig gewesen waere wie als Staatsmann. Er ward +abgesetzt, und sein Nachfolger Diaeos, der Anstifter all dieses Unfugs, +setzte den Krieg eifrig fort, waehrend er gleichzeitig den gefuerchteten +Kommandanten von Makedonien der vollen Botmaessigkeit der Achaeischen +Eidgenossenschaft versichern liess. Darueber erschien die lange +erwartete roemische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun +ruhten die Waffen und die achaeische Tagsatzung versammelte sich in +Korinth, um ihre Eroeffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter +und unerfreulicher Art. Die Roemer hatten sich entschlossen, die +unnatuerliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die +achaeischen Staaten wiederaufzuheben und ueberhaupt gegen die Achaeer +durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die +aetolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen muessen; jetzt wurden +sie angewiesen auf saemtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg +gemachte Erwerbungen, das heisst auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta +im Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder +auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurueckzufuehren. Wie +dies die achaeischen Abgeordneten vernahmen, stuermten sie sofort +auf den Markt, ohne die Roemer auch nur auszuhoeren, und teilten die +roemischen Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der +regierte Poebel einhellig beschloss, zu allervoerderst saemtliche in +Korinth anwesende Lakedaemonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglueck +ueber sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der +tumultuarischsten Weise, so dass Lakonername oder Lakonerschuhe als +hinreichende Einsperrungsgruende erschienen: ja man drang sogar in +die Wohnungen der roemischen Gesandten, um die dorthin gefluechteten +Lakedaemonier festzunehmen, und es fielen gegen die Roemer harte Reden, +obgleich man an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten +dieselben heim und fuehrten bittere, selbst uebertriebene Beschwerde im +Senat; dennoch beschraenkte sich dieser mit derselben Maessigung, +die all seine Massregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunaechst +auf Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung fuer die +erlittenen Beleidigungen kaum erwaehnend, wiederholte Sextus Iulius +Caesar auf der Tagsatzung in Aegion (Fruehling 607 147) die Befehle der +Roemer. Aber die Leiter der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue +Strateg Kritolaos (Strateg Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als +staatskluge und in der hoeheren Politik wohlbewanderte Leute daraus +bloss den Schluss, dass die roemischen Angelegenheiten gegen Karthago +und Viriathus sehr schlecht stehen muessten, und fuhren fort, die +Roemer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht, +zur Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der +streitenden Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem +Caesar und die lakedaemonischen Gesandten daselbst lange vergeblich +auf die Achaeer gewartet hatten, erschien endlich Kritolaos allein und +zeigte an, dass lediglich die allgemeine Volksversammlung der Achaeer +in dieser Sache kompetent sei und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das +heisst in sechs Monaten, erledigt werden koenne. Caesar ging darauf nach +Rom zurueck; die naechste Volksversammlung der Achaeer aber erklaerte +auf Kritolaos' Antrag foermlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt +noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Guete beizulegen, +und schickte Gesandte nach Korinth; allein die laermende Ekklesia, +groesstenteils bestehend aus dem Poebel der reichen Handels- und +Fabrikstadt, uebertobte die Stimme der roemischen Gesandten und zwang +sie, die Rednerbuehne zu verlassen. Kritolaos' Erklaerung, dass man +die Roemer wohl zu Freunden, aber nicht zu Herren wuensche, ward mit +unsaeglichem Jubel aufgenommen, und als die Mitglieder der Tagsatzung +sich ins Mittel legen wollten, schuetzte der Poebel den Mann seines +Herzens und beklatschte die Stichwoerter von dem Landesverrat der +Reichen und der notwendigen Militaerdiktatur sowie die geheimnisvollen +Winke ueber die nahe bevorstehende Schilderhebung unzaehliger Voelker +und Koenige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war, +zeigten die beiden Beschluesse, dass bis zum hergestellten Frieden alle +Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also +Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die Thebaner und Boeoter +naemlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu Anfang des Jahres 608 +(146) rueckten die Achaeer in Thessalien ein, um Herakleia am Oeta, +das in Gemaessheit des Senatsbeschlusses sich von der Achaeischen +Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen. +Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden +beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach uebernahm es +Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schuetzen. Als dem +achaeisch-thebanischen Heer das Anruecken der Roemer gemeldet ward, war +von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl +gelingen moechte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst +machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei +den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung +und erreichte und schlug das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris. +Der Verlust an Gefangenen und Toten war betraechtlich; von Kritolaos +ward nach der Schlacht nie wieder eine Kunde vernommen. Die Truemmer +der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps in den hellenischen +Landschaften umher und baten ueberall umsonst um Aufnahme; die Abteilung +von Patrae ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei Chaeroneia +aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geraeumt, und von dem +Achaeerheer und der in Masse fluechtenden Buergerschaft von Theben +gelangte nur ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte +durch die moeglichste Milde die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen +Widerstandes zu bestimmen und befahl zum Beispiel, alle Thebaner mit +Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine wohlgemeinten Versuche +scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an der Desperation +der um ihren eigenen Kopf besorgten Fuehrer. Diaeos, der nach Kritolaos' +Fall wieder den Oberbefehl uebernommen hatte, berief alle Waffenfaehigen +auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene Sklaven in +das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschuessen angehalten +und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der +Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeraeumt. +Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achaeische +Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief +sich, sowie sie die roemischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf +dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul Lucius +Mummius mit wenigen Begleitern im roemischen Hauptquartier eintraf und +das Kommando uebernahm. Inzwischen boten die Achaeer, ermutigt durch +einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen roemischen +Vorposten, der roemischen um das Doppelte ueberlegenen Armee bei +Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Roemer zoegerten nicht +sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achaeischen Reiter in Masse +aus vor der sechsfach staerkeren roemischen Reiterei; die Hopliten +standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des roemischen Elitenkorps +auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu +Ende. Diaeos floh in seine Heimat, toetete sein Weib und nahm selber +Gift; die Staedte unterwarfen sich saemtlich ohne Gegenwehr, und sogar +das unbezwingliche Korinth, in das einzuruecken Mummius drei Tage +zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich +von den Roemern besetzt. Die neue Regelung der griechischen +Verhaeltnisse ward in Gemeinschaft mit einer Kommission von zehn +Senatoren dem Konsul Mummius uebertragen, der sich in dem eroberten +Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind +gesagt, eine Torheit, dass er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den +Namen des "Achaikers" annahm und dem Hercules Sieger dankerfuellt +einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in +aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption aufgewachsen, +sondern ein "neuer Mann" und verhaeltnismaessig unbemittelt war, sich +gerecht und mild. Es ist eine rednerische Uebertreibung, dass von den +Achaeern bloss Diaeos, von den Boeotern bloss Pytheas umgekommen seien; +in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward aber +doch in den Strafgerichten Mass gehalten. Den Antrag, die Statuen +des Begruenders der achaeischen Patriotenpartei, des Philopoemen, +umzustuerzen, wies Mummius zurueck; die den Gemeinden auferlegten +Geldbussen wurden nicht fuer die roemische Kasse, sondern fuer die +geschaedigten griechischen Staedte bestimmt, groesstenteils auch spaeter +erlassen und das Vermoegen derjenigen Hochverraeter, die Eltern +oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen +ueberwiesen. Nur die Kunstschaetze wurden aus Korinth, Thespiae und +anderen Staedten weggefuehrt und teils in der Hauptstadt, teils in +den Landstaedten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stuecke auch den +isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der +definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die +Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte, +die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achaeische, als solche +aufgeloest, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, dass +niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben duerfe, der +Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus versucht +hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in +jeder Gemeinde einem aus den Vermoegenden gebildeten Rat das Regiment +in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom +zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie saemtlich dem Statthalter +von Makedonien in der Art untergeordnet, dass diesem als oberstem +Militaerchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine Oberleitung +zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur Entscheidung +an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen Gemeinden die +"Freiheit", das heisst eine, freilich durch die roemische Hegemonie zum +Namen zusammengeschwundene, formelle Souveraenitaet, welche das Eigentum +an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit +in sich schloss ^13. Einige Jahre spaeter ward sogar nicht bloss ein +Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet, sondern auch +die drueckende Beschraenkung in der Veraeusserung des Grundbesitzes +beseitigt. ---------------------------------------- ^12 Aus den +sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind noch +mehrere mit Mummius' Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst solche +Beutegaben trugen. ^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) +roemische Provinz geworden sei oder nicht, laeuft in der Hauptsache auf +einen Wortstreit hinaus. Dass die griechischen Gemeinden durchgaengig +"frei" blieben (CIG 1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. +9, 31), ist ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, dass +Griechenland damals von den Roemern "in Besitz genommen ward" (Tac. arm. +14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); dass von da an jede Gemeinde einen festen +Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die +kleine Insel Gyaros zum Beispiel jaehrlich 150 Drachmen (Strab. 10, +485); dass die "Ruten und Beile" des roemischen Statthalters fortan auch +in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, +55) und derselbe die Oberaufsicht ueber die Stadtverfassungen (CIG 1543) +sowie in gewissen Faellen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim. +2) fortan ebenso uebte wie bis dahin der roemische Senat; dass endlich +die makedonische Provinzialaera auch in Griechenland im Gebrauch war. +Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein +anderer als derjenige, welcher ueberhaupt in der Stellung der freien +Staedte liegt, welche bald als ausserhalb der Provinz stehend (z. B. +Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B. +los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der roemische Domanialbesitz +in Griechenland beschraenkte sich zwar auf den Korinthischen Acker und +etwa einige Stuecke von Euboea (CIG 5879) und eigentliche Untertanen +gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn man auf das +tatsaechlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem makedonischen +Statthalter bestehende Verhaeltnis sieht, ebenso wie Massalia zur +Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu +der makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch +viel weitergehende Faelle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655 +(89) aus lauter Buerger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch +durch Sulla Provinz; ja in der caesarischen Zeit begegnen Landschaften, +die ausschliesslich aus Buergergemeinden bestehen und die dennoch +keineswegs aufhoeren, Provinzen zu sein. Sehr klar tritt hier der +Grundbegriff der roemischen provincia hervor; sie ist zunaechst nichts +als das "Kommando" und alle Verwaltungs- und Jurisdiktionstaetigkeit des +Kommandanten sind urspruenglich Nebengeschaefte und Korollarien seiner +militaerischen Stellung. Andererseits muss dagegen, wenn man die +formelle Souveraenitaet der freien Gemeinden ins Auge fasst, zugestanden +werden, dass durch die Ereignisse des Jahres 608 (146) Griechenlands +Stellung staatsrechtlich sich nicht aenderte: es waren mehr faktische +als rechtliche Verschiedenheiten, dass statt der Achaeischen +Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributaere +Klientelstaaten neben Rom standen und dass seit Einrichtung +der roemischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der +hauptstaedtischen Behoerden die Oberaufsicht ueber die griechischen +Klientelstaaten uebernahm. Man kann demnach, je nachdem die +tatsaechliche oder die formelle Auffassung ueberwiegt, Griechenland als +Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes +wird der ersteren Auffassung mit Recht das Uebergewicht eingeraeumt. +--------------------------------------------- Strengere Behandlung aber +traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es laesst sich +nichts dawider erinnern, dass die ersten beiden entwaffnet und durch +Niederreissung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden; +dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstoerung der ersten +Handelsstadt Griechenlands, des bluehenden Korinth, ein duesterer +Schandfleck in den Jahrbuechern Roms. Auf ausdruecklichen Befehl des +Senats wurden die korinthischen Buerger aufgegriffen, und was dabei +nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa +bloss ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe +nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war, +sondern dem Boden gleichgemacht und in den ueblichen Bannformen jeder +Wiederanbau der oeden Staette untersagt, das Gebiet derselben zum Teil +an Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten +des isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, groesstenteils aber zu +roemischem Gemeinland erklaert. Also erlosch der "Augapfel von Hellas", +der letzte koestliche Schmuck des einst so staedtereichen griechischen +Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so +muss die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser +Zeit selbst unumwunden eingestanden, dass an dem Kriege selbst nicht die +Roemer die Schuld trugen, sondern dass die unkluge Treubruechigkeit und +die schwaechliche Tollkuehnheit der Griechen die roemische Intervention +erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveraenitaet der Buende und alles +damit verknuepften unklaren und verderblichen Schwindels war ein +Glueck fuer das Land und das Regiment des roemischen Oberfeldherrn von +Makedonien, wieviel es auch zu wuenschen uebrig liess, immer noch bei +weitem besser als die bisherige Wirr- und Missregierung der griechischen +Eidgenossenschaften und der roemischen Kommissionen. Der Peloponnes +hoerte auf, die grosse Soeldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und +begreiflich, dass ueberhaupt mit dem unmittelbaren roemischen +Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermassen zurueckkehrten. Das +Themistokleische Epigramm, dass der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde +von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den +Untergang der griechischen Selbstaendigkeit. Die ungemeine Nachsicht, +welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht +in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben +Behoerden gegen die Spanier und die Phoeniker zusammenhaelt; Barbaren +grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie spaeter Kaiser +Traianus hielten es auch die Roemer dieser Zeit "fuer hart und +barbarisch, Athen und Sparta den noch uebrigen Schatten von Freiheit zu +entreissen". Um so schaerfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde +die empoerende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der +numantinischen Katastrophe gemissbilligte Behandlung von Korinth, welche +durch die auf den Gassen von Korinth gegen die roemischen Abgeordneten +ausgestossenen Schmaehreden auch nach roemischem Voelkerrecht nichts +weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor +aus der Brutalitaet eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius, +sondern war eine vom roemischen Rat erwogene und beschlossene Massregel. +Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei +erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie +anfaengt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen +Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die roemischen Grosshaendler bei +der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift man, +weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und weshalb +man nicht bloss die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die +Ansiedlung an dieser fuer den Handel so ueberaus guenstigen Staette fuer +die Zukunft verbot. Fuer die auch in Hellas sehr zahlreichen roemischen +Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos; +wichtiger aber fuer den roemischen Grosshandel ward Delos, das, schon +seit 586 (168) roemischer Freihafen, einen guten Teil der Geschaefte +von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in aehnlicher Weise in +die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb fuer laengere Zeit der +Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14. +---------------------------------- ^14 Ein merkwuerdiger Beleg dafuer +ist die Benennung der feinen griechischen Bronze- und Kupferwaren die in +der ciceronischen Zeit ohne Unterschied "korinthisches" oder +"delisches Kupfer" genannt werden. Die Bezeichnung ist in Italien +begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, sondern von den +Exportplaetzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit natuerlich nicht +geleugnet wird, dass dergleichen Gefaesse auch in Korinth und Delos +selbst fabriziert wurden. ------------------------------------ +Unvollstaendiger als in der nur durch schmale Meere von Italien +getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft +entwickelte sich die roemische Herrschaft in dem dritten entfernteren +Weltteil. In Vorderasien war durch die Zurueckdraengung der Seleukiden +das Reich von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die +Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kuehl genug, um auf +das Unmoegliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und +strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der roemischen Hegemonie +sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die +Roemer es erlaubten, zu foerdern und die Kuenste des Friedens zu +pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms +nicht. Im Besitz der europaeischen Kueste der Propontis, der Westkueste +Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen +und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Koenigen, +von denen Antiochos Epiphanes (+ 590 164) durch die Hilfe der Attaliden +auf den Thron gelangt war, hatte Koenig Eumenes II. durch seine bei +dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher +erscheinende Macht selbst den Begruendern derselben Bedenken +eingefloesst; es ist schon erzaehlt worden, wie der Senat darauf bedacht +war, nach dem Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch +unfeine diplomatische Kuenste zu demuetigen und zu schwaechen. Die an +sich schon schwierigen Verhaeltnisse der Herren von Pergamon zu den +ganz und halb freien Handelsstaedten innerhalb ihres Reichs und zu den +barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung +der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, +ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushoehen in der +pamphylischen und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum +Pergamenischen Reich gehoerten, leisteten die tapferen Selger, es +scheint unter nomineller Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den +Koenigen Eumenes Il. und Attalos II. langjaehrigen und energischen +Widerstand in den schwer zugaenglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die +asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung der Roemer +unter pergamenischer Botmaessigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes +ab und begannen im Einverstaendnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem +Koenig Prusias von Bithynien, um 587 (167) ploetzlich gegen ihn Krieg. +Der Koenig hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine +Einsicht und Tapferkeit konnte nicht verhindern, dass sie die asiatische +Miliz schlugen und das Gebiet ueberschwemmten; wir kennen bereits die +eigentuemliche Vermittlung, zu der die Roemer auf Eumenes' Bitte sich +herbeiliessen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner +wohlgefuellten Kasse eine kampffaehige Armee aufzustellen, trieb er auch +die wilden Scharen schnell zurueck ueber die Grenze seines Reiches; und +obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnaeckig fortgesetzten +Versuche, dort die Haende im Spiel zu behalten, durch roemischen +Einfluss vereitelt wurden ^15, hinterliess er dennoch trotz aller +offenen Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und +die Roemer gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das +Reich in ungeschmaelertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos +(+ 616 138) wies den Versuch des Koenigs Pharnakes von Pontos, sich +der Vormundschaft ueber Eumenes' unmuendigen Sohn zu bemaechtigen, +mit roemischer Hilfe zurueck und regierte anstatt seines Neffen wie +Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tuechtig, fuegsam, +ein echter Attalide, verstand er es, den argwoehnischen Senat von +der Nichtigkeit der frueher gehegten Besorgnisse zu ueberzeugen. Die +antiroemische Partei beschuldigte ihn, dass er sich dazu hergebe, das +Land fuer die Roemer zu hueten und jede Beleidigung und Erpressung von +ihnen sich gefallen lasse; indes konnte er, des roemischen +Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und bithynischen +Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefaehrlichen +bithynischen Krieg, den Koenig Prusias II., der Jaeger genannt (572 ? - +605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten +Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die roemische +Intervention - freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt +belagert und eine erste Mahnung der Roemer von Prusias unbefolgt +gelassen, ja verhoehnt worden war (598-600 156-154). Allein mit der +Thronbezeigung seines Muendels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) +trat an die Stelle des friedlichen und maessigen Buergerkoenigtums ein +asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, dass +der Koenig, um des unbequemen Rats seiner vaeterlichen Freunde sich zu +entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen +und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen liess; nebenher schrieb +er Buecher ueber den Gartenbau, zog Giftkraeuter und bossierte in Wachs, +bis ein ploetzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht +der Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens fuer +die Klientelstaaten Roms gueltigen Staatsrecht der letzte Regent +testamentarisch ueber die Sukzession verfuegen. Ob der Gedanke, +das Reich den Roemern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den +wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der +ihn bei Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloss eine weitere +Anerkennung der tatsaechlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu +entscheiden. Das Testament lag vor ^16; die Roemer traten die Erbschaft +an und die Frage ueber das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom +als neuer Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber +auch in Asien entzuendete dies Koenigstestament den Buergerkrieg. +Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende +Fremdherrschaft trat ein natuerlicher Sohn Eumenes' II., Aristonikos +in Leukae, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokaea, als +Kronpraetendent auf. Phokaea und andere Staedte fielen ihm zu; indes +von den Ephesiern, die in dem festen Anschluss an Rom die einzige +Moeglichkeit erkannten, ihre Privilegien sich zu erhalten, zur See auf +der Hoehe von Kyme geschlagen, musste er in das Binnenland fluechten. +Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er ploetzlich wieder an +der Spitze der neuen "Buerger der Sonnenstadt" ^17, das heisst der von +ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, bemaechtigte, sich +der lydischen Staedte Thyateira und Apollonis sowie eines Teils der +attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte unter +seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Roemische Truppen standen +in Asien nicht; die asiatischen Freistaedte und die Kontingente der +Klientelfuersten von Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos, +Armenien konnten des Praetendenten sich nicht erwehren; er drang mit +gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein und gebot schon fast +ueber das gesamte vaeterliche Reich, als am Ende des Jahres 623 (131) +ein roemisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der Konsul und +Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten +und zugleich einer der gebildetsten Maenner Roms und als Redner wie als +Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Praetendenten +in Leukae zu belagern, liess aber waehrend der Vorbereitungen dazu von +dem allzu gering geschaetzten Gegner sich ueberraschen und schlagen und +ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den +Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu stellen, goennte er einem +solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten, +ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben (Anfang 624 130), und erst als +Leiche ward der Konsular erkannt. Mit ihm, wie es scheint, fiel Koenig +Ariarathes von Kappadokien. Indes ward Aristonikos nicht lange nach +diesem Siege von Crassus' Nachfolger Marcus Perpenna ueberfallen, sein +Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert und gefangen und +bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, noch +Widerstand leistenden Staedte und die definitive Regulierung der +Landschaft uebernahm nach Perpennas ploetzlichem Tode Manius Aquillius +(625 129). Man verfuhr aehnlich wie im karthagischen Gebiet. +Der oestliche Teil des Attalidenreichs ward den Klientelkoenigen +ueberwiesen, um die Roemer von dem Grenzschutz und damit von der +Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; Telmissos +kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europaeischen Besitzungen in +Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das uebrige +Gebiet ward als neue roemische Provinz eingerichtet, der gleich der +karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward, +in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren, +wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie +Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat +eine roemische Vogtei. ---------------------------------------- ^15 +Mehrere vor kurzem (SB Muenchen, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene +Schreiben der Koenige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester +von Pessinus, welcher durchgaengig Attis heisst (vgl. Polyb. 22, 20), +erlaeutern diese Verhaeltnisse sehr anschaulich. Das aelteste derselben +und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des Eumenes +am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiaeos, also 590/91 der Stadt +(164/63), bietet dem Priester militaerische Hilfe an, um den (sonst +nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreissen. +Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den Koenig als Partei in +der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix. +Ohne Zweifel gehoerten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen, +die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche +desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch fernerhin zu +mengen und dort seine Parteigenossen zu stuetzen (Polyb. 31, 6, 9; 32, +3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines Nachfolgers Attalos +hervor, wie sich die Zeiten geaendert und die Wuensche herabgestimmt +hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in Apameia +von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu +haben; nachher aber schreibt ihm der Koenig, dass in einem deswegen +abgehaltenen Staatsrat, dem Athenaeos (sicher der bekannte Bruder des +Koenigs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere Verwandte (anagkaioi) +beigewohnt haetten, nach langem Schwanken endlich die Majoritaet dem +Chloros dahin beigetreten sei, dass nichts geschehen duerfe, ohne die +Roemer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg erreicht werde, +setzte man sich dem Wiederverlust und dem boesen Verdacht aus, "den sie +auch gegen den Bruder" (Eumenes II.) "gehegt haetten". ^16 In demselben +Testament gab der Koenig seiner Stadt Pergamon die "Freiheit", das +heisst die d/e/mokratia, das staedtische Selbstregiment. Laut +einer merkwuerdigen, kuerzlich dort gefundenen Urkunde (Roemisches +Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloss nach Eroeffnung des +Testaments, aber vor dessen Bestaetigung durch die Roemer der also +konstituierte Demos den bisher vom Buergerrecht ausgeschlossenen Klassen +der Bevoelkerung, insbesondere den im Zensus aufgefuehrten Paroeken und +den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das +staedtische Buergerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverstaendnis +in der gesamten Bevoelkerung herbeizufuehren. Offenbar wollte die +Buergerschaft, indem sie die Roemer vor die vollendete Tatsache dieser +umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der +roemischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den +fremden Gebietern die Moeglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten +innerhalb der Bevoelkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu +benutzen. ^17 Diese seltsamen "Heliopoliten" sind, nach der mir von +einem Freunde geaeusserten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, dass +die befreiten Sklaven als Buerger einer umgenannten oder auch vielleicht +fuer jetzt nur gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die +ihren Namen von dem in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing. +---------------------------------------------------- Die zahlreichen +andern Kleinstaaten und Staedte Vorderasiens, das Koenigreich Bithynien, +die paphlagonischen und gallischen Fuerstentuemer, die lykische und +die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistaedte Kyzikos und Rhodos +blieben in ihren bisherigen beschraenkten Verhaeltnissen bestehen. +Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem Koenig Ariarathes +V. Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsaechlich durch Hilfe der +Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstuetzten Bruder und +Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische +Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung +auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin fast +barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswuechse, +wie der Bakchosdienst und das wueste Treiben der wandernden +Schauspielertruppen, der sogenannten "Kuenstler". Zum Lohn der Treue +gegen Rom, die dieser Fuerst in dem Kampfe gegen den pergamenischen +Praetendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmuendiger Erbe +Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem Koenig von Pontos +versuchte Usurpation durch die Roemer geschirmt, sondern ihm auch der +suedoestliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der +oestlich daran grenzenden, .in aelterer Zeit zu Kilikien gerechneten +Landschaft. Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte +"Kappadokien am Meer" oder kurzweg der "Meerstaat", Pontos, zu +steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von +Magnesia hatte Koenig Pharnakes I. sein Gebiet weit ueber den Halys +bis nach Tios an, der bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des +reichen Sinope sich bemaechtigt, das aus einer griechischen Freistadt +dieser Koenige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Uebergriffe +gefaehrdeten Nachbarstaaten, Koenig Eumenes II. an ihrer Spitze, +deswegen Krieg gegen ihn gefuehrt (571-575 183-179) und unter roemischer +Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien +zu raeumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, dass Pharnakes +sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120), +treue Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen +Aristonikos, nicht bloss jenseits des Halys sitzen geblieben +sind, sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit ueber die +paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter +dieser Voraussetzung ist es erklaerlich, wie Mithradates, angeblich +wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat +fuer betraechtliche an den roemischen Feldherrn gezahlte Summen, +von demselben nach Aufloesung des Attalischen Reiches Grossphrygien +empfangen konnte. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die +Euphratquellen das :Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, +ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von +Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien +als abhaengige Satrapie umfasst zu haben, waehrend Gross -Armenien +und Sophene eigene unabhaengige Reiche bildeten. Wenn also auf der +kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment fuehrte und, so +vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand +im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des +Taurus und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache +sich selber ueberlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565 +(189) zugrunde gelegte Satz, dass der Halys die Ostgrenze der roemischen +Klientel bilden solle, ward vom Senat nicht eingehalten und trug +auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der politische Horizont ist +Selbsttaeuschung so gut wie der physische; wenn dem Staate Syrien +die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im +Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl +des roemischen Senats das halb gewonnene Aegypten raeumte, so lag da +in die vollstaendige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum +gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Aegypten +zur Beilegung an die roemische Regierung. Dort stritten nach Antiochos +Epiphanes' Tode (590 164) der als Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos +des vierten, Demetrios, spaeter Soter genannt, und des letzten Koenigs +Antiochos Epiphanes unmuendiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone; +hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich regierenden +Bruedern der aeltere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch den +juengeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken (+ 637 117) aus dem +Lande getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken, +persoenlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat +lediglich auf diplomatischem Wege und wesentlich nach Massgabe des +roemischen Vorteils. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung +des besser berechtigten Demetrios als Koenig anerkannt und mit der +Fuehrung der Vormundschaft ueber den koeniglichen Knaben der roemische +Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie begreiflich, +durchaus im roemischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das +Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemaess reduzierte und +im besten Zuge war, den militaerischen Ruin des Landes zu vollenden. In +Aegypten ward nicht bloss Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, +teils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer +ansehnliche Macht Aegyptens zu schwaechen, Kyrene vom Reich getrennt +und Euergetes mit demselben abgefunden. "Koenige sind, wen die Roemer +wollen", schrieb nicht lange nachher ein juedischer Mann, "und wen sie +nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten". Allein dies +war fuer lange Zeit das letzte Mal, dass der roemische Senat in den +Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tuechtigkeit und Tatkraft +auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos +und Perseus durchgaengig bewaehrt hatte. Der innerliche Verfall des +Regiments wirkte am spaetesten, aber wirkte doch endlich auch zurueck +auf die Behandlung der auswaertigen Angelegenheiten. Das Regiment ward +unstet und unsicher; man liess die eben erfassten Zuegel erschlaffen und +beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in +Laodikeia ermordet; der zurueckgewiesene Praetendent Demetrios entfloh +aus Rom und bemaechtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, dass der +roemische Senat ihn dazu bevollmaechtigt habe, nach Beseitigung des +koeniglichen Knaben der Regierung seines vaeterlichen Reiches (592 162). +Bald nachher brach zwischen den Koenigen von Aegypten und Kyrene Krieg +aus ueber den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem +aelteren, sodann dem juengeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch +mit der neuesten roemischen Entscheidung blieb dieselbe schliesslich bei +Aegypten. So wurde die roemische Regierung, in der Fuelle ihrer Macht +und waehrend des tiefsten inneren und aeusseren Friedens daheim, von den +ohnmaechtigen Koenigen des Ostens mit ihren Dekreten verhoehnt, ihr Name +gemissbraucht, ihr Muendel und ihr Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre +zuvor die Illyriker in aehnlicher Weise sich an roemischen Abgeordneten +vergriffen, hatte der damalige Senat dem Ermordeten auf dem Marktplatz +ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die Moerder zur +Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit liess dem Gnaeus Octavius +gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Vaeter es vorschrieb; +aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als +Koenig des Landes anerkannt - man war ja jetzt so maechtig, dass es +ueberfluessig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloss +Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Aegypten, +sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte und +dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, liess der Senat auch +dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgaengen war der roemische +Einfluss in diesen Landschaften tatsaechlich gebrochen und entwickelten +sich die Verhaeltnisse daselbst zunaechst ohne Zutun der Roemer; doch +ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den +naeheren und selbst den ferneren Osten nicht voellig aus den Augen zu +verlieren. Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Aegypten der Status +quo sich so leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- +und jenseits des Euphrat waehrend und zum Teil infolge dieser momentanen +Stockung der roemischen Oberleitung die Voelker und Staaten sich +wesentlich anders. Jenseits der grossen iranischen Wueste hatten nicht +lange nach Alexander dem Grossen am Indus das Reich von Palimbothra +unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der maechtige +baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und +der oestlichsten Auslaeufer hellenischer Zivilisation sich gebildet. +Westwaerts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos +dem Grossen zwar geschmaelert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont +bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und +das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloss. Noch jener +Koenig hatte seine Waffen bis jenseits der Wueste in das Gebiet der +Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat +angefangen sich aufzuloesen. Nicht bloss Vorderasien war infolge der +Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gaenzliche Loesung der +beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im +Nordosten und der Landschaft Sophene im Suedwesten, und ihre Verwandlung +in selbstaendige Koenigreiche aus syrischen Lehnsfuerstentuemern, +gehoert dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte namentlich +Grossarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen Stellung. +Vielleicht noch gefaehrlichere Wunden schlug dem Reiche seines +Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175- 164) toerichte +Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, dass sein Reich mehr einem +Laenderbuendel als einem Staate glich und dass die Verschiedenheiten +der Nationalitaeten und der Religionen der Untertanen der Regierung +die wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan, +hellenisch-roemische Weise und hellenisch-roemischen Kultus ueberall +in seinem Lande einzufuehren und seine Voelker in politischer wie in +religioeser Hinsicht auszugleichen unter allen Umstaenden eine Torheit, +auch abgesehen davon, dass dieser karikierte Joseph II. persoenlich +einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war +und durch Tempelpluenderung im grossartigsten Massstab und die tollste +Ketzerverfolgung seine Reformen in der uebelsten Weise einleitete. +Die eine Folge hiervon war, dass die Bewohner der Grenzprovinz gegen +Aegypten, die Juden, sonst bis zur Demuetigkeit fuegsame und aeusserst +taetige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang +zur offenen Empoerung gedraengt wurden (um 587 167). Die Sache kam an +den Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter +mit gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und +Seleukiden besorgte, ueberhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht +zwischen Syrien und Aegypten im Interesse Roms lag, so machte er keine +Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation sofort +anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom fuer die Juden +nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemuehen; trotz der Klausel +des zwischen den Roemern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die den +Juden, im Fall sie angegriffen wuerden, den Beistand Roms versprach, und +trotz des an die Koenige von Syrien und Aegypten gerichteten Verbots, +ihre Truppen durch das juedische Land zu fuehren, blieb es natuerlich +lediglich jenen selbst ueberlassen, der syrischen Koenige sich zu +erwehren. Mehr als die Briefe ihrer maechtigen Verbuendeten tat fuer +sie die tapfere und umsichtige Leitung des Aufstandes durch das +Heldengeschlecht der Makkabaeer und die innere Zerrissenheit des +Syrischen Reiches: waehrend des Haders zwischen den syrischen Koenigen +Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und +Steuerfreiheit foermlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das +Haupt des Makkabaeerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation +wie von dem syrischen Grosskoenig als Hochpriester und Fuerst +Israels foermlich anerkannt ^18 (615 139). +----------------------------------------- ^18 Von ihm ruehren die +Muenzen her mit der Aufschrift "Shekel Israel" und der Jahreszahl des +"heiligen Jerusalem" oder "der Erloesung Sions". Die aehnlichen mit dem +Namen Simons, des Fuersten (Nessi) Israel, gehoeren nicht ihm, +sondern dem Insurgentenfuehrer Bar Kochba unter Hadrian. +------------------------------------------ Folgenreicher noch als diese +Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig und wahrscheinlich aus +gleicher Ursache entstandene Bewegung in den oestlichen Landschaften, +wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Goetter nicht minder +leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhaengern des Ahuramazda und +des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des +Jehova. Wie in Judaea, nur in weiterem Umfang und in grossartigeren +Verhaeltnissen, war das Ergebnis eine Reaktion der einheimischen +Weise und der einheimischen Religion gegen den Hellenismus und die +hellenischen Goetter; die Traeger dieser Bewegung waren die Parther und +aus ihr entsprang das grosse Partherreich. Die "Parthwa" oder Parther, +die als eine der zahllosen in das grosse Perserreich aufgegangenen +Voelkerschaften frueh, zuerst im heutigen Khorasan suedoestlich vom +Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter dem +skythischen, das heisst turanischen Fuerstengeschlecht der Arsakiden +als ein selbstaendiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert spaeter aus +seiner Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I. +(579? - 618? 175-136), ist der eigentliche Gruender der parthischen +Grossmacht. Ihm erlag das an sich weit maechtigere, aber teils durch die +Fehden mit den skythischen Reiterscharen von Turan und mit den Staaten +am Indus, teils durch innere Wirren bereits in allen Fugen erschuetterte +Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften +westlich von der grossen Wueste. Das Syrische Reich war eben damals, +teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des +Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden +Sukzessionswirren, aufs tiefste zerruettet und die inneren Provinzen im +vollen Zuge, sich von Antiocheia und der Kuestenlandschaft abzuloesen; +in Kommagene zum Beispiel, der noerdlichsten Landschaft Syriens an +der kappadokischen Grenze, machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem +entgegengesetzten Ufer des Euphrat im noerdlichen Mesopotamien oder +der Landschaft Osrhoene der Fuerst von Edessa, in der wichtigen Provinz +Medien der Satrap Timarchos sich unabhaengig; ja der letztere liess sich +vom roemischen Senat seine Unabhaengigkeit bestaetigen und herrschte, +gestuetzt auf das verbuendete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am +Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, +sowohl die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhaengigen Satrapen +in ewigem Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem +roemischen und dem alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen +Poebel. Die gesamte Meute der Nachbarkoenige, Aegypten, Armenien, +Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhoerlich sich in die Angelegenheiten +Syriens und naehrte die Erbfolgestreitigkeiten, so dass der Buergerkrieg +und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr +Praetendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die roemische +Schutzmacht, wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untaetig zu. +Zu allem diesem draengte von Osten her das neue Partherreich, nicht +bloss mit seiner materiellen Macht, sondern auch mit dem ganzen +Uebergewicht seiner nationalen Sprache und Religion, seiner nationalen +Heer- und Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein. Es ist hier noch +nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es genuegt im +allgemeinen, daran zu erinnern, dass, so maechtig auch in ihm noch der +Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem +der Seleukiden, auf einer nationalen und religioesen Reaktion beruht und +die alte iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die +orientalische Lehnsverfassung, die Reiterei der Wueste und Pfeil und +Bogen hier zuerst dem Hellenismus wieder uebermaechtig entgegentraten. +Die Lage der Reichskoenige diesem allem gegenueber war in der Tat +beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt +wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es +nicht an Tapferkeit und Faehigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder +den andern jener zahllosen Rebellen, Praetendenten und Intervenienten +in seine Schranken zurueck; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an +einer festen Grundlage, dass sie dennoch der Anarchie nicht auch nur +voruebergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein +musste. Die oestlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschuetzten +oder gar aufruehrerischen Satrapen gerieten unter parthische +Botmaessigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom +Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden +Seiten der grossen Wueste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur +Arabischen Wueste, wiederum gleich dem Perserreich und all den aelteren +asiatischen Grossstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum +eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit +den Voelkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische +Staat umfasste ausser der Kuestenlandschaft hoechstens noch Mesopotamien +und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerruettung als seiner +Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Grossstaaten. Wenn die +mehrfach drohende gaenzliche Unterjochung des Landes durch die Parther +unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden, +noch weniger dem Einfluss Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den +vielfaeltigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem +den Einfaellen der turanischen Steppenvoelker in dessen oestliche +Landschaften. Diese Umwandlung der Voelkerverhaeltnisse im inneren Asien +ist der Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Voelkerflut, +die bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem grossen +Alexander ihren letzten und hoechsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die +Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloss verloren, was in +Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten +haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurueck in +das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. +Der roemische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik +Alexanders und leitet damit jene ruecklaeufige Bewegung ein, deren +letzte Auslaeufer im Alhambra von Granada und in der Grossen Moschee von +Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragae und Persepolis +bis zum Mittelmeer dem Koenig von Antiochia gehorchte, erstreckte auch +Roms Macht sich bis an die Grenze der grossen Wueste; der Partherstaat, +nicht weil er so gar maechtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt +fern von der Kueste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in +die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den +Okzidentalen allein gehoert und schien der Orient fuer diese nur zu +sein, was spaeter Amerika und Australien fuer die Europaeer wurden; +mit Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen +Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren. Es ist noch uebrig, auf +die maritimen Verhaeltnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl +darueber sich kaum etwas anderes sagen laesst, als dass es nirgends +mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte +vertragsmaessig zugrunde gerichtet, Aegyptens einst so gewaltige +Kriegsmarine unter seinen gegenwaertigen schlaffen Regenten in tiefem +Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstaedte hatten +wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genuegten nicht einmal +fuer die im Mittelmeere so schwierige Unterdrueckung des Seeraubs. Mit +Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der fuehrenden Macht im Mittelmeer. +Wie ein Jahrhundert zuvor die Roemer eben hierin mit besonderer und +wohltaetiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten +ihre Suprematie zunaechst eingefuehrt hatten durch die zum allgemeinen +Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die +vollstaendige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den +furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene +Flotte besass Rom nicht mehr; man begnuegte sich, wenn es noetig schien, +von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestaedten +Schiffe einzufordern. Die Folge war natuerlich, dass das Flibustierwesen +sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrueckung geschah +nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare Macht +der Roemer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die gegen +die dalmatischen und ligurischen Kuesten in dieser Epoche gerichteten +Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrueckung des Seeraubs in +den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631 +(123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen +und den griechischen Gewaessern blieb es den Anwohnern und den Schiffern +ueberlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich +abzufinden, da die roemische Politik daran festhielt sich um diese +entfernteren Gegenden so wenig wie irgend moeglich zu kuemmern. Die +zerruetteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich selbst +ueberlassenen Kuestenstaaten wurden hierdurch natuerlich zu Freistaetten +der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht. +Am aergsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine +glueckliche Lage und die Schwaeche oder Schlaffheit der Grossstaaten des +Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine +Unabhaengigkeit bewahrt hatte; die roemischen Kommissionen kamen und +gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch weniger +aus als selbst in Syrien und Aegypten. Fast schien es aber, als habe +das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen, +was herauskomme bei der hellenischen Unabhaengigkeit. Es war ein +schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen +war aehnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wueste Demokratie, der +ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein +achtbarer Hellene selbst bezeugt es, dass allein auf Kreta nichts fuer +schimpflich gelte, was eintraeglich sei, und noch der Apostel Paulus +fuehrt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: "Luegner sind +all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter." Die ewigen Buergerkriege +verwandelten trotz der roemischen Friedensstiftungen auf der alten +"Insel der hundert Staedte" eine bluehende Ortschaft nach der andern in +Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Raeuber die Heimat und +die Fremde, die Laender und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz +fuer die umliegenden Koenigreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht +mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie +denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische +Korsarenflotte voellig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem +Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel +zugefuegten Schlaegen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine +letzten Kraefte in den Kriegen, die es zur Unterdrueckung der Piraterie +gegen die Kreter zu fuehren sich genoetigt sah (um 600 150) und in denen +die Roemer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es +scheint, ohne Erfolg. Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, fuer diese +Flibustierwirtschaft eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht +bloss die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: +der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich vom Sklaven zum Koenig +Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), foerderte, um durch +Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem +Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die +Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die +zugleich die hauptsaechlichsten Sklavenfaenger und Sklavenhaendler +waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmaennischen Publikum, sogar in +Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die +Regierungen wenigstens durch Passivitaet sich beteiligten. Das Uebel +ward so ernsthaft, dass der Senat um 611 (143) seinen besten Mann, +Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und +Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische +Vorstellungen der Roemer machten die schwachen Regierungen nicht +stark; es gab keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen +Gewaessern zu unterhalten, wozu es wieder der roemischen Regierung an +Energie und Konsequenz gebrach. So blieb eben alles beim alten, die +Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der +Menschenfang das einzige daselbst bluehende Gewerbe. Die roemische +Regierung sah den Dingen zu, die roemischen Kaufleute aber standen als +die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den Piratenkapitaenen als den +bedeutendsten Grosshaendlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in +regem und freundlichem Geschaeftsverkehr. Wir haben die Umgestaltung +der aeusseren Verhaeltnisse Roms und der roemisch-hellenischen Welt +ueberhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei Pydna bis auf +die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum Euphrat +begleitet. Es war eine grosse und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem +Regimente dieser roemisch-hellenischen Welt uebernahm; sie ward nicht +voellig verkannt, aber keineswegs geloest. Die Unhaltbarkeit des +Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschraenken +und ausserhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen, ward von den +leitenden Maennern der folgenden Generation wohl begriffen und wohl die +Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses Klientelregiments eine +die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare Herrschaft Roms zu +setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und gleichmaessig +durchzufuehren, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben +Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu fuehrten, wogegen +der groessere Teil des Klientelgebiets entweder in der unertraeglichen +Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich +Syrien, sich gaenzlich dem Einfluss Roms entzog. Aber auch das Regiment +selbst ging mehr und mehr auf in einem schwaechlichen und kurzsichtigen +Egoismus. Man begnuegte sich von heute auf morgen zu regieren und nur +eben die laufenden Geschaefte notduerftig zu erledigen. Man war gegen +die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in Karien dem +Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks einen +andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt +deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein +streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermisst, wo sie +an ihrem Platz gewesen waere, wie gegen die angrenzenden Barbaren und +gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung auf jede Oberleitung und +jede Uebersicht der Provinzialverhaeltnisse Verzicht tat, gab sie dem +jedesmaligen Vogt nicht bloss die Interessen der Untertanen, sondern +auch die des Staates vollstaendig preis. Die spanischen Vorgaenge, +unbedeutend an sich, sind hierfuer belehrend. Hier, wo die Regierung +weniger als in den uebrigen Provinzen sich auf die blosse Zuschauerrolle +beschraenken konnte, wurde nicht bloss von den roemischen Statthaltern +das Voelkerrecht geradezu mit Fuessen getreten und durch eine Wort- +und Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit +Kapitulationen und Vertraegen, durch Niedermetzelung untertaeniger Leute +und Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die roemische +Ehre dauernd im Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den +ausgesprochenen Willen der roemischen Oberbehoerde Krieg gefuehrt und +Friede geschlossen und aus unbedeutenden Vorfaellen; wie zum Beispiel +dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine seltene Vereinigung von +Verkehrtheit und Verruchtheit eine fuer den Staat verhaengnisvolle +Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne dass in Rom auch nur +eine ernstliche Bestrafung deswegen verfuegt ward. Ueber die Besetzung +der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen +Fragen entschieden nicht bloss die Sympathien und Rivalitaeten der +verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold +der auswaertigen Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der +erste, der mit Erfolg versuchte, den roemischen Senat zu bestechen, +wird Timarchos genannt, der Gesandte des Koenigs Antiochos Epiphanes von +Syrien (+ 590 164); bald wurde die Beschenkung einflussreicher Senatoren +durch auswaertige Koenige so gewoehnlich, dass es auffiel, als Scipio +Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem Koenig von Syrien +zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus liess man +den alten Grundsatz fallen, dass der Lohn der Herrschaft einzig die +Herrschaft und die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie +ein Recht und ein Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft +auf, welche von der Besteuerung der Buerger absah und dagegen die +Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz der Gemeinde teils von +Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch die Buerger +ueberlieferte; nicht bloss wurde dem ruecksichtslosen Geldhunger des +roemischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter +Nachgiebigkeit Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm +missliebigen Handelsrivalen durch die Heere des Staats aus dem Wege +geraeumt und die herrlichsten Staedte der Nachbarlaender nicht der +Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit scheusslicheren Barbarei +der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der aelteren, der Buergerschaft +allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten +Ende doch nur auf seinem militaerischen Uebergewicht ruhende Staat +sich selber die Stuetze ab. Die Flotte liess man ganz eingehen, das +Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung +der asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen +abgewaelzt und was man nicht von sich abwaelzen konnte, wie die +italische, makedonische und spanische Grenzverteidigung, in der +elendesten Weise verwaltet. Die besseren Klassen fingen an so sehr +aus dem Heere zu verschwinden, dass es schon schwer hielt, fuer die +spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren aufzutreiben. +Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen +Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung +bewiesenen Parteilichkeit noetigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der +alten Uebung, die Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der +dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen der Offiziere zu +ueberlassen, und zu deren Ersetzung durch das Losen der saemtlichen +Dienstpflichtigen - sicher nicht zum Vorteil des militaerischen +Gemeingeistes und der Kriegstuechtigkeit der einzelnen Abteilungen. Die +Behoerden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die leidige +Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul fuer den +spanischen Dienst pflichtmaessig strenge Aushebungen veranstaltete, so +machten die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmaessigen Recht, ihn +zu verhaften (603, 616 151,138); und es ward schon bemerkt, dass Scipios +Ansuchen, ihm fuer den Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten, +vom Senat geradezu abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die +roemischen Heere vor Karthago oder Numantia an jene syrischen Armeen, +in denen die Zahl der Baecker, Koeche, Schauspieler und sonstigen +Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um das Vierfache +ueberstieg; schon geben die roemischen Generale ihren karthagischen +Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege +in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmaessig mit +Niederlagen eroeffnet; schon schweigt man still zu der Ermordung des +Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus' Meuchelmord ein Meisterwerk der +roemischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia eine Grosstat. +Wie voellig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits den Roemern +abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schaerfe die +Bildsaeule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser +selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen +liess. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie +seine aeussere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkaempfen gewonnene +Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal +behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu +bewahren; jenes hatte der roemische Senat vermocht, an diesem ist er +gescheitert. 2. Kapitel Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus Ein +volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der roemische +Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberflaeche bewegten +Ruhe. Das Gebiet dehnte ueber die drei Weltteile sich aus; der Glanz der +roemischen Macht und der Ruhm des roemischen Namens waren in dauerndem +Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum +stroemten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen +Lebensgenusses schien dort beginnen zu muessen. Mit Bewunderung +erzaehlten sich die Orientalen dieser Zeit von der maechtigen Republik +des Westens, "die die Koenigreiche bezwang fern und nah, und wer +ihren Namen vernahm, der fuerchtete sich; mit den Freunden und +Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war +bei den Roemern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte +keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn +machten, auf den hoerten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch +Zwietracht." So schien es in der Ferne; in der Naehe sahen die Dinge +anders aus. Das Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein +eigenes Werk zu verderben. Nicht als waeren die Soehne und Enkel der +Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so voellig aus der Art +ihrer Vaeter und Grossvaeter geschlagen; es waren weniger andere +Menschen, die jetzt im Senate sassen, als eine andere Zeit. Wo eine +geschlossene Zahl alter Familien festgegruendeten Reichtums und ererbter +staatsmaennischer Bedeutung das Regiment fuehrt, wird sie in den Zeiten +der Gefahr eine ebenso unvergleichlich zaehe Folgerichtigkeit und +heldenmuetige Opferfaehigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe +kurzsichtig, eigensuechtig und schlaff regieren - zu dem einen wie dem +andern liegen die Keime im Wesen der Erblichkeit und der Kollegialitaet. +Der Krankheitsstoff war laengst vorhanden, aber ihn zu entwickeln +bedurfte es der Sonne des Glueckes. In Catos Frage, was aus Rom werden +solle, wenn es keinen Staat mehr zu fuerchten haben werde, lag ein +tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man haette +fuerchten moegen, war politisch vernichtet, und von den Maennern, +welche unter der alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des +Hannibalischen Krieges erzogen waren und aus denen der Nachklang jener +gewaltigen Zeit bis in ihr spaetestes Alter noch widerhallte, rief der +Tod einen nach dem andern ab, bis endlich auch die Stimme des letzten +von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte. +Eine juengere Generation kam an das Regiment, und ihre Politik war +eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das +Untertanenregiment und die aeussere Politik unter ihren Haenden sich +gestalteten, ist bereits dargelegt worden. Womoeglich noch mehr liess +man in den inneren Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben; +wenn man unter innerem Regiment mehr versteht als die Erledigung der +laufenden Geschaefte, so ward in dieser Zeit ueberhaupt in Rom nicht +regiert. Der einzige leitende Gedanke der regierenden Korporation war +die Erhaltung und womoeglich Steigerung ihrer usurpierten Privilegien. +Nicht der Staat hatte fuer sein hoechstes Amt ein Anrecht auf den +rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der Kamaraderie ein +angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der Standesgenossen noch +durch Uebergriffe der Ausgeschlossenen zu verkuerzendes Anrecht auf +das hoechste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem wichtigsten +politischen Ziel sich die Beschraenkung der Wiederwahl zum Konsulat und +die Ausschliessung der "neuen Menschen"; es gelang denn auch in der +Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten ^1 +und auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitaeten. Auch die +Tatenlosigkeit der Regierung nach aussen hin haengt ohne Zweifel mit +dieser gegen die Buergerlichen ausschliessenden und gegen die einzelnen +Standesglieder misstrauischen Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine +Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den lauteren Kreisen der +Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem man ueberhaupt es +keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch wuerde dem bestehenden +Regiment der allgemeinen Mittelmaessigkeit selbst ein adliger Eroberer +Syriens oder Aegyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte +es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu +einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege. +Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst +oder gelegentlich durch ausserordentliche Kommissionen ueber die +Provinzialbeamten ausuebte, reichte anerkanntermassen nicht aus; es +war eine fuer das ganze oeffentliche Leben der roemischen Gemeinde +folgenreiche Neuerung, dass im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius +Calpurnius Piso eine staendige Senatorenkommission (quaestio ordinaria) +niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die +vorgesetzten roemischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen +Formen zu pruefen. Man suchte die Komitien von dem uebermaechtigen +Einfluss der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der +roemischen Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen +der Buergerschaft, welche zuerst fuer die Magistratswahlen durch das +Gabinische (615 139), dann fuer die Volksgerichte durch das Cassische +(617 137), endlich fuer die Abstimmung ueber Gesetzvorschlaege durch das +Papirische Gesetz (623 131) eingefuehrt ward. In aehnlicher Weise wurden +bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluss angewiesen, +bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den +bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten. +In diesen auf die Emanzipation der Waehlerschaft von dem regierenden +Herrenstand gerichteten Massregeln mochte die Partei, die sie +veranlasste, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates +erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit +des gesetzlich hoechsten Organs der roemischen Gemeinde auch nicht das +mindeste geaendert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging, +nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel +war die foermliche Anerkennung der Unabhaengigkeit und Souveraenitaet +der Buergerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres +Versammlungsplatzes von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf +den Marktplatz zuteil ward (um 609 145). +---------------------------------------- ^1 Im Jahre 537 (217) wurde +das die Wiederwahl zum Konsulat beschraenkende Gesetz auf die Dauer des +Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach +Marcellus' Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum Konsulat, wenn +die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet werden, +ueberhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586, +591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152); +also nicht oefter in diesen sechsundfuenfzig als zum Beispiel in den +zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte, +ist mit Verletzung des zehnjaehrigen Intervalls erfolgt; und ohne +Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und +599 (155), zum dritten Konsulat fuer 602 (152), deren naehere Umstaende +wir nicht kennen, die Veranlassung der gesetzlichen Untersagung der +Wiederwahl zum Konsulat ueberhaupt (Liv. ep. 56) geworden; zumal da +dieser Antrag, als von Cato unterstuetzt (p. 55 Jordan), vor 605 (149) +eingebracht worden sein muss. ------------------------------------- +Aber diese Fehde der formalen Volkssouveraenitaet gegen die tatsaechlich +bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die +Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war +in den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig +zu spueren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die +jaehrlichen Gemeindewahlen zu den buergerlichen Aemtern, namentlich +zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und +den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen +Faellen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte +politische Prinzipien verkoerpert; regelmaessig blieben dieselben +rein persoenliche Fragen und war es fuer den Gang der Angelegenheiten +gleichgueltig, ob die Majoritaet der Wahlkoerper dem Caecilier oder dem +Cornelier zufiel. Man entbehrte also dessen, was die Uebelstaende +des Parteilebens alle uebertraegt und verguetet, der freien und +gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmaessig +erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des +kleinen Spiels der herrschenden Koterien. Es war dem roemischen +Adligen verhaeltnismaessig leicht, die Aemterlaufbahn als Quaestor und +Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der Zensur +war auch ihm nur durch grosse und jahrelange Anstrengungen moeglich. Der +Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kaempfer liefen, +wie ein roemischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken +weiten, allmaehlich mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht, +solange das Amt war, wie es hiess, eine "Ehre", und militaerische, +politische, juristische Kapazitaeten wetteifernd um die seltenen Kraenze +warben; jetzt aber hob die tatsaechliche Geschlossenheit der Nobilitaet +den Nutzen der Konkurrenz auf und liess nur ihre Nachteile uebrig. Mit +wenigen Ausnahmen draengten die den regierenden Familien angehoerenden +jungen Maenner sich in die politische Laufbahn, und der hastige und +unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln, als nuetzliche +Taetigkeit fuer das gemeine Beste war. Die erste Bedingung fuer die +oeffentliche Laufbahn wurden maechtige Verbindungen; dieselbe +begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der +einflussreichen Maenner. Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene +getan, dass sie ihrem Herrn am fruehen Morgen aufzuwarten kamen und +oeffentlich in seinem Gefolge erschienen, das uebertrug sich jetzt auf +die neue vornehme Klientel. Aber auch der Poebel ist ein grosser Herr +und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es als +sein Recht zu fordern, dass der kuenftige Konsul in jedem Lumpen von der +Gasse das souveraene Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem +"Umgang" (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begruesse und +ihm die Hand druecke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen +entwuerdigenden Aemterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloss +im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge +durch Liebaeugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder +groeberer Qualitaet. Der Ruf nach Reformen und die Demagogie wurden dazu +vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und beliebt zu machen; und sie +wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die Sache angriffen, sondern die +Person. Es ward Sitte, dass die bartlosen Juenglinge vornehmer Geburt, +um sich glaenzend in das oeffentliche Leben einzufuehren, mit der +unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die Rolle Catos +weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womoeglich gegen +einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwaelten des +Staats aufwarfen; man liess es geschehen, dass das ernste Institut +der Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel fuer den +Aemterbewerb ward. Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die +Verheissung prachtvoller Volkslustbarkeiten war laengst die gleichsam +gesetzliche Vorbedingung zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen +auch schon, wie das um 595 (159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die +Stimmen der Waehler geradezu mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die +schlimmste Folge des dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie +um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und +Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den +Regierten gegenueber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch +aus einem Segen fuer das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, ueber +Gut und Blut der Buerger zum Besten des Vaterlandes nach Beduerfnis +zu verfuegen. Man liess die Buergerschaft sich an den gefaehrlichen +Gedanken gewoehnen, dass sie selbst von der vorschussweisen Entrichtung +direkter Abgaben gesetzlich befreit sei - nach dem Kriege gegen Perseus +ist kein Schoss mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man liess lieber +das Heerwesen verfallen, als dass man die Buerger zu dem verhassten +ueberseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging, +die die Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzufuehren +versuchten, ist schon gesagt worden. In verhaengnisvoller Weise +verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die zwiefachen Missstaende +einer ausgearteten Oligarchie und einer noch unentwickelten, aber schon +im Keime vom Wurmfrass ergriffenen Demokratie. Ihren Parteinamen nach, +welche zuerst in dieser Periode gehoert werden, wollten die "Optimaten" +den Willen der Besten, die "Popularen" den der Gemeinde zur Geltung +bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder eine wahre +Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde. Beide +Parteien stritten gleichermassen fuer Schatten und zaehlten in ihren +Reihen nur entweder Schwaermer oder Heuchler. Beide waren von der +politischen Faeulnis gleichmaessig ergriffen und in der Tat beide gleich +nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da +weder hueben noch drueben ein politischer Gedanke, geschweige denn ein +politischer Plan sich fand, der ueber diesen hinausgegangen waere, und +so vertrugen denn auch beide sich miteinander so vollkommen, dass sie +auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken begegneten und +der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik als der +politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen haette ohne Zweifel gewonnen, +wenn entweder die Aristokratie statt der Buergerschaftswahlen geradezu +einen erblichen Turnus eingefuehrt oder die Demokratie ein wirkliches +Demagogenregiment aus sich hervorgebracht haette. Aber diese Optimaten +und diese Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die +einen fuer die andern viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und +Leben zu bekriegen; sie konnten nicht bloss nicht einander vernichten, +sondern, wenn sie es gekonnt haetten, haetten sie es nicht gewollt. +Darueber wich denn freilich politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer +mehr aus den Fugen und ging seiner voelligen Aufloesung entgegen. +Es ging denn auch die Krise, durch welche die roemische Revolution +eroeffnet ward, nicht aus diesem duerftigen politischen Konflikt hervor, +sondern aus den oekonomischen und sozialen Verhaeltnissen, welche die +roemische Regierung wie alles andere lediglich gehen liess und welche +also Gelegenheit fanden, den seit langem gaerenden Krankheitsstoff jetzt +ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit +uralter Zeit beruhte die roemische Oekonomie auf den beiden ewig +sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der baeuerlichen und der +Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem +grossen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg +gefuehrt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnaechst +des ganzen Gemeinwesens endigen zu muessen schien, aber ohne eigentliche +Entscheidung abgebrochen ward infolge der gluecklichen Kriege und +der hierdurch moeglich gemachten umfaenglichen und grossartigen +Domanialaufteilung. Es ward schon frueher gezeigt, dass in derselben +Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter +veraenderten Namen erneuerte, das unverhaeltnismaessig anschwellende +Kapital einen zweiten Sturm gegen die baeuerliche Wirtschaft +vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer +ruiniert worden durch Vorschuesse, die ihn tatsaechlich zum Meier seines +Glaeubigers herabdrueckten; jetzt ward er erdrueckt durch die Konkurrenz +des ueberseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort +mit der Zeit; das Kapital fuehrte gegen die Arbeit, das heisst gegen die +Freiheit der Person, den Krieg, natuerlich wie immer in strengster Form +Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise, dass der freie Mann +der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus mit rechtmaessig +gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige hauptstaedtische Zinsherr +trat auf in zeitgemaesser Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer. +Allein das letzte Ergebnis war in beiden Faellen das gleiche: +die Entwertung der italischen Bauernstellen, die Verdraengung der +Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in Italien +durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in +Italien auf Viehzucht und auf Oel- und Weinbau; schliesslich die +Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch +Sklaven. Eben wie die Nobilitaet deshalb gefaehrlicher war als das +Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine Verfassungsaenderung +sich beseitigen liess, so war auch diese neue Kapitalmacht darum +gefaehrlicher als die des vierten und fuenften Jahrhunderts, weil gegen +sie mit Aenderungen des Landrechts nichts auszurichten war. Ehe wir es +versuchen, den Verlauf dieses zweiten grossen Konflikts von Arbeit und +Kapital zu schildern, wird es notwendig, ueber das Wesen und den Umfang +der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir +haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermassen unschuldigen +Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte +ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er bewirtschaften +kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter Verpflichtung +zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermassen als Paechter ueber +einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhaeltnisse bestanden zwar +zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch in der Kaiserzeit +die Regel -, allein als Ausnahmezustaende bevorzugter Landschaften +und milde verwalteter Gueter. Hier ist die Grosswirtschaft mit Sklaven +gemeint, welche im roemischen Staat wie einst im karthagischen aus +der Uebermacht des Kapitals sich entwickelte. Waehrend fuer den +Sklavenbestand der aelteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und +die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese +Sklavenwirtschaft, voellig wie die amerikanische, auf systematisch +betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der +Sklaven wenig Ruecksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevoelkerung +bestaendig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den +Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten. +Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon +verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhoert, dass der +arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward. +Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und +kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmaessigen Sklavenjaeger +und Sklavenhaendler, die Kuesten Syriens und die griechischen Inseln +ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die roemischen Zollpaechter in den +Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter +ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang, +dass um 650 (100) der Koenig von Bithynien sich unfaehig erklaerte, den +verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfaehigen +Leute von den Zollpaechtern weggeschleppt seien. Auf dem grossen +Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhaendler ihre Ware +an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu +10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft +gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven +geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot +ueberstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der +roemischen Oekonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, +dass dieselbe wie ueberhaupt die gesamte Grosswirtschaft des Altertums +auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf, +ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte +Mensch. Durch Sklaven wurden grossenteils die Handwerke betrieben, +so dass der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der +Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der oeffentlichen Gefaelle +in den untern Graden regelmaessig beschafft. Ihre Haende besorgten den +Grubenbau, die Pechhuetten und was derart sonst vorkommt; schon frueh +kam es auf, Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden, +deren Vorsteher sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die +Wein- und Olivenlese wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut +bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Huetung +des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten, +haeufig berittenen Hirtensklaven auf den grossen Weidestrecken Italiens +ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward +bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der roemischen +Spekulation - so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), +als die roemischen Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise +die Viehzucht im grossen zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit +schlimmer noch war der eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der +Felder durch eine Herde nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven, +welche mit Fussschellen an den Beinen unter Aufsehern des Tags die +Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen, haeufig +unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese +Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert +und scheint durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo, +wahrscheinlich aus diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft frueher +und vollstaendiger als in irgendeinem anderen Gebiet der roemischen +Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die Leontinische Feldmark von etwa +30 000 Jugera urbaren Landes, die als roemische Domaene von den Zensoren +verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien nach der Gracchenzeit +geteilt unter nicht mehr als 84 Paechter, von denen also +durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein +einziger Leontiner, die uebrigen fremde, meistens roemische Spekulanten +waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die roemischen Spekulanten +hier in die Fussstapfen ihrer Vorgaenger traten und welche grossartigen +Geschaefte mit sizilischem Vieh und sizilischem Sklavenkorn die +roemischen und nichtroemischen Spekulanten gemacht haben werden, die +mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schoene Insel bedeckten. Italien +indes blieb von dieser schlimmsten Form der Sklavenwirtschaft fuer +jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien, wo die +Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo +sie wenigstens vierzig Jahre spaeter in ausgedehntestem Umfange bestand, +hoechstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht +fehlte, so ward doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch +ueberwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte, +daneben durch Akkordierung groesserer Arbeiten an Unternehmer betrieben. +Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sklavenwesens +von dem sizilischen darin, dass bei dem sizilischen Sklavenaufstand +619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise +lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten. +------------------------------------------ 2 Auch damals wurde es +geltend gemacht, dass die Menschenrasse daselbst durch besondere +Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon Plautus +(Trip. 542) preist "den Syrerschlag, der mehr vertraegt als ein andrer +sonst". 3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses +(ergastulum von ergazomai nach Analogie von stabulum, operculum) deutet +darauf, dass diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen +Sprachgebiets und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit +den Roemern zukam. ------------------------------------------ Das Meer +von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich +vor unsern Augen auftut, mag ergruenden, wer den Blick in solche +Tiefen wagt; es ist leicht moeglich, dass mit denen der roemischen +Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist. +Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft selbst an als +auf die Gefahren, die sie ueber den roemischen Staat brachte und auf +das Verhalten der Regierung denselben gegenueber. Dass dies Proletariat +weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von ihr +beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es haette dies nur geschehen +koennen durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen waeren als das +Uebel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr fuer +Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die Staatsangehoerigen +bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf +die moeglichste Beschraenkung des Proletariats durch Hebung der freien +Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die roemische Aristokratie diesen +beiden Aufgaben nachkam. Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die +allerorts ausbrechenden Sklavenverschwoerungen und Sklavenkriege. In +Italien schienen die wuesten Vorgaenge, wie sie in den unmittelbaren +Nachwehen des Hannibalischen Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu +erneuern; auf einmal musste man in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450, +in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und hinrichten lassen (621 133). +Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem +grossen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen Silbergruben hatte +man um dieselbe Zeit die aufstaendischen Sklaven mit den Waffen +zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine +kleinasiatischen "Sonnenstaedter" war wesentlich ein Krieg der +Besitzenden gegen die empoerten Sklaven. Am aergsten aber stand es +natuerlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in +Sizilien. Die Raeuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande, +laengst ein stehendes Uebel; sie fing an, sich zur Insurrektion zu +steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in industrieller +Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder Pflanzer von Enna +(Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen erbitterten Feldsklaven +ueberfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die Stadt Enna +stroemte und dort derselbe Vorgang in groesserem Massstab sich +erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, toeteten +oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen +Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer +zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt, +jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der Koenig der Syrer. Warum +auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht, +der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia selbst das koenigliche +Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere "Feldherr" des neuen +Koenigs, der griechische Sklave Achaeos, durchstreifte die Insel, und +nicht bloss die wilden Hirten stroemten von nah und fern unter die +seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die den Pflanzern alles +Ueble goennten, machten mit den empoerten Sklaven gemeinschaftliche +Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein kilikischer Sklave, +Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Raeuber, dem gegebenen +Beispiel und besetzte Akragas, und da die Haeupter miteinander sich +vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den +Praetor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner groesstenteils aus sizilischen +Milizen bestehenden Armee gaenzlich zu schlagen und sein Lager +zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der +Aufstaendischen, deren Zahl nach den maessigsten Angaben sich auf 70000 +Waffenfaehige belaufen haben soll; die Roemer sahen sich genoetigt, drei +Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und konsularische Heere +nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, ja zum Teil +ungluecklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion und +von Enna der Aufstand ueberwaeltigt war. Vor der letzteren Stadt, in die +sich die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um +sich in dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Maenner +verteidigen, die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die +Konsuln Lucius Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch +und bezwangen sie endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen 4. +------------------------------------------------- 4 Noch jetzt finden +sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten jaeh ist, +nicht selten roemische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von +621 (133): L. Piso L. f. cos. +------------------------------------------------- Das waren die +Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem roemischen Senat und +dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die +Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit +der Regierung erfordert und nur zu oft uebersteigt, so ist dagegen die +polizeiliche Niederhaltung desselben fuer jedes groessere Gemeinwesen +verhaeltnismaessig leicht. Es staende wohl um die Staaten, wenn die +besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr bereiteten, als wie sie +auch droht von Baeren und Woelfen; nur der Aengsterling und wer mit der +albernen Angst der Menge Geschaefte macht, prophezeit den Untergang +der buergerlichen Ordnung in Sklavenaufstaenden oder +Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der +Baendigung der gedrueckten Massen ward von der roemischen Regierung +trotz des tiefsten Friedens und der unerschoepflichen Hilfsquellen des +Staats keineswegs genuegt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwaeche; +aber nicht ihrer Schwaeche allein. Von Rechts wegen war der roemische +Statthalter verpflichtet, die Landstrassen rein zu halten und die +aufgegriffenen Raeuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu +lassen; natuerlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht moeglich ohne +Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch +mitunter, wenn die Strassen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter +eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht +zu verderben, wurden die gefangenen Raeuber von der Behoerde in der +Regel an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese +Herren waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie +Kleider begehrten, mit Pruegel antworteten und mit der Frage, ob denn +die Reisenden nackt durch das Land zoegen. Die Folge solcher Konnivenz +war denn, dass nach Ueberwaeltigung des Sklavenaufstandes der Konsul +Publius Rupilius alles, was lebend in seine Haende kam, es heisst ueber +20000 Menschen, ans Kreuz schlagen liess. Es war freilich nicht laenger +moeglich, das Kapital zu schonen. Unendlich schwerer zu gewinnende, +freilich auch unendlich reichere Fruechte verhiess die Fuersorge +der Regierung fuer Hebung der freien Arbeit und folgeweise fuer +Beschraenkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser +Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte +man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner +Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt +ward auf Veranlassung der Regierung eine punische Schrift ueber den +Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach +karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der italischen Spekulation ins +Lateinische uebersetzt -das erste und einzige Beispiel einer von dem +roemischen Senat veranlassten literarischen Unternehmung! Dieselbe +Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder vielmehr +in der Lebensfrage fuer Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte +nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten +sozialen Krise Roms, um zu begreifen, dass gegen ein agrikoles +Proletariat die einzige ernstliche Abhilfe in einem umfassenden +und regularisierten Emigrationssystem bestand, wozu die aeusseren +Verhaeltnisse Roms die guenstigste Gelegenheit darboten. Bis gegen das +Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem fortwaehrenden +Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwaehrende +Gruendung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs +in dem Masse geschehen, wie es haette geschehen koennen und sollen; +man hatte nicht bloss das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte +Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere Okkupationen +neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige Erwerbungen, wie +namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der Okkupation preisgegeben, +aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern als nutzbare +Domaene verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt, +vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach +der Gruendung von Luna (577 177) findet sich, ausser der vereinzelt +stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597 +(157), von weiteren Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die +Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der Boier und Apuaner ausser +den wenig lockenden ligurischen Taelern neues Gebiet in Italien nicht +gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land zu verteilen als +das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen Antastung der +Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie +vor dreihundert Jahren. Das ausserhalb Italien! gewonnene Gebiet zur +Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gruenden unzulaessig; +Italien sollte das herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen +italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn +man nicht die Ruecksichten der hoeheren Politik oder gar die +Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts +uebrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und +also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer +auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Aecker ohne +Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer guetlich abging +- eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, waehrend er im Felde +stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stossen und ihn mittels der Theorie +der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer +fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu +bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum Kriegsdienst +abgerufen werden konnten, und dadurch das freie Proletariat auf das +gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft herabzudruecken. +Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische Sklavenkorn das +italische von dem hauptstaedtischen Markt zu verdraengen und dasselbe +auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte +einheimische Aristokratie im Bunde mit den roemischen Kapitalisten +schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, dass es dort keinen freien +Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt +werden, dass die Tiere ihr Lager haetten, den Buergern aber nichts +geblieben sei als Luft und Sonnenschein und dass die, welche die Herren +der Welt hiessen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den Kommentar +zu diesen Worten lieferten die Zaehlungslisten der roemischen +Buergerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre +595 (159) ist die Buergerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache +wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen +Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zaehlung 328000 +waffenfaehige Buerger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmaessiges +Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607 +(147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfaehige Buerger +stellt - ein erschreckendes Ergebnis fuer eine Zeit tiefen inneren und +aeusseren Friedens. Wenn das so fortging, loeste die Buergerschaft sich +auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schliesslich der roemische Staat, +wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt +kaufen. So standen die aeusseren und inneren Verhaeltnisse Roms, als der +Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin +man auch das Auge wandte, fiel es auf Missbraeuche und Verfall; +jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann musste die Erwaegung sich +aufdraengen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte +an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem grossen +Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des +Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des grossen Scipio, der dessen +glorreichen Afrikanernamen nicht bloss kraft Erb-, sondern auch kraft +eigenen Rechtes trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus +(570-625 184-129). Gleich seinem Vater war er ein massvoller, durch und +durch gesunder Mann, nie krank am Koerper und nie unsicher ueber den +naechsten und notwendigen Entschluss. Schon in seiner Jugend hatte +er sich ferngehalten von dem gewoehnlichen Treiben der politischen +Anfaenger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren +und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd - als +Siebzehnjaehriger hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter +seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafuer +sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberuehrten Wildhag der +Koenige von Makedonien erbeten - und vor allen Dingen wandte er gern +seine Musse auf wissenschaftlichen und literarischen Genuss. Durch die +Fuersorge seines Vaters war er frueh in diejenige echte griechische +Bildung eingefuehrt worden, welche ueber das geschmacklose Hellenisieren +der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und treffende +Wuerdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und +durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Roemer den Hoefen des +Ostens, ja sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus +erkannte man vor allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem +klassisch reinen Latein. Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller, +zeichnete er doch wie Cato seine politischen Reden auf - sie wurden +gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der Mutter der Gracchen, +von den spaeteren Literatoren als Meisterstuecke mustergueltiger +Prosa geschaetzt - und zog mit Vorliebe die besseren griechischen und +roemischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm +freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat, +die auf ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein +sittlich fester und zuverlaessiger Mann, galt sein Wort bei Freund +und Feind; er mied Bauten und Spekulationen und lebte einfach; +dafuer handelte er in Geldangelegenheiten nicht bloss ehrlich und +uneigennuetzig, sondern auch mit einer dem kaufmaennischen Sinn seiner +Zeitgenossen seltsam duenkenden Zartheit und Liberalitaet. Er war ein +tuechtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er +den Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefaehrdeter Buerger mit eigener +Lebensgefahr erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als +Feldherr, den er als Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen +Aufgaben sein Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstaende ihm +keine Gelegenheit. Scipio war so wenig wie sein Vater eine geniale +Natur - davon zeugt schon seine Vorliebe fuer Xenophon, den nuechternen +Militaer und korrekten Schriftsteller -, aber ein rechter und echter +Mann, der vor andern berufen schien, dem beginnenden Verfall durch +organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender ist es, dass er es +nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte, Missbraeuche +abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf Verbesserung +der Rechtspflege. Hauptsaechlich durch seinen Beistand vermochte +Lucius Cassius, ein tuechtiger Mann von altvaeterischer Strenge und +Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein +Stimmgesetz durchzubringen, welches fuer die noch immer den wichtigsten +Teil der Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime +Abstimmung einfuehrte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht +hatte mitmachen moegen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der +schuldigsten Maenner der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem +Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber +und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und das +Soldatengesindel wieder zurueck gezwungen unter den eisernen Druck der +alten Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der +glattkinnigen Manschettentraeger aufgeraeumt und mit ernsten Worten die +Buergerschaft ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Vaeter +treulich zu halten. Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es +verkennen, dass die Verschaerfung der Rechtspflege und das vereinzelte +Dazwischenfahren nicht einmal Anfaenge waren zur Heilung der organischen +Uebel, an denen der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht geruehrt. +Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios aelterer Freund und sein +politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefasst, die +Einziehung des unvergebenen, aber vorlaeufig okkupierten italischen +Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends +verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand +von dem Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff +war, und ward fortan "der Verstaendige" genannt. Auch Scipio dachte +also. Er war von der Groesse des Uebels voellig durchdrungen und griff, +wo er nur sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person +ruecksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch ueberzeugt, dass +dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im +vierten und fuenften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen +hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel +schlimmer als das Uebel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner +Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befuerwortung des +Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch +auch nicht genuegte noch genuegen wollte, waehrend seines Lebens einsam, +nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der +Aristokratie, bald als Beguenstiger der Reform. Bis auf seine Zeit +hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Goetter +angerufen, dem Staat groessere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der +Zensor Scipio betete, dass sie geneigen moechten, den Staat zu erhalten. +Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf. Aber +wo der Mann verzagte, der zweimal das roemische Heer aus tiefem Verfall +zum Siege gefuehrt hatte, da getraute sich ein tatenloser Juengling, zum +Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hiess Tiberius Sempronius Gracchus +(591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585 +177, 163;169) war das rechte Musterbild eines roemischen Aristokraten. +Die glaenzende, nicht ohne Bedrueckung der abhaengigen Gemeinden zuwege +gebrachte Pracht seiner aedilizischen Spiele hatte ihm schweren +und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, waehrend er durch sein +Einschreiten in dem leidigen Prozess gegen die persoenlich ihm +verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein +Standesgefuehl, durch sein energisches Auftreten gegen die +Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betaetigte +und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem +durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst +und zugleich in den Gemuetern der unterworfenen Nation ein dauerndes +Gedaechtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb. Seine Mutter Cornelia war +die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes hochherzigen +Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum Schwiegersohn +erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau, die +nach dem Tode ihres viel aelteren Gemahls die Hand des Koenigs von +Aegypten zurueckgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den +Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der aeltere von den beiden +Soehnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur, sanften Blicks +und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher bestimmt als +zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und Anschauungen +gehoerte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine griechische +und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten. Scipio +Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter +ihm hatte Tiberius als Achtzehnjaehriger die Erstuermung Karthagos +mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und +kriegerische Auszeichnungen erworben. Dass der tuechtige junge Mann die +Anschauungen ueber den Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie +in diesem Kreise gangbar waren, die Gedanken namentlich ueber die Hebung +des italischen Bauernstandes mit aller Lebendigkeit und allem Rigorismus +der Jugend in sich aufnahm und steigerte, ist begreiflich; waren es doch +nicht bloss die jungen Leute, denen das Zurueckweichen des Laelius vor +der Durchfuehrung seiner Reformideen nicht verstaendig erschien, sondern +schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618 +136), einer der angesehensten Maenner des Senats, tadelte mit all der +gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier +erblich war und blieb, dass der Scipionische Kreis den Plan der +Domaenenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, +wie es scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die +Zensur in persoenliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius +Crassus Mucianus sich aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und +Rechtsgelehrter im Senat wie in der Buergerschaft allgemein verehrt. +Sogar dessen Bruder Publius Mucius Scaevola, der Begruender der +wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht +abgeneigt, und seine Stimme war von um so groesserem Gewicht, als er +gewissermassen ausserhalb der Parteien stand. Aehnlich dachte Quintus +Metellus, der Ueberwinder Makedoniens und der Achaeer, mehr aber noch +als seiner Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und +Sitte in seinem haeuslichen wie in seinem oeffentlichen Leben. Tiberius +Gracchus stand diesen Maennern nahe, namentlich dem Appius, dessen +Tochter er, und dem Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib +genommen hatte; es war kein Wunder, dass der Gedanke sich in ihm +regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer +Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmaessig die Initiative +gestatte. Persoenliche Motive mochten ihn hierin bestaerken. Der +Friedensvertrag, den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloss, +war wesentlich Gracchus' Werk; dass der Senat ihn kassiert hatte, dass +der Feldherr deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit +den uebrigen hoeheren Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die +groessere Gunst, deren er bei der Buergerschaft genoss, entgangen war, +konnte den jungen rechtschaffenen und stolzen Mann nicht milder stimmen +gegen die herrschende Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen +er gern philosophierte und politisierte, der Mytilenaeer Diophanes, der +Kymaeer Gaius Blossius, naehrten in seiner Seele die Ideale, mit denen +er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden, +fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher oeffentliche +Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, +der Rettung Italiens zu gedenken. Am 10. Dezember 620 (134) uebernahm +Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die entsetzlichen Folgen der +bisherigen Missregierung, der politische, militaerische, oekonomische, +sittliche Verfall der Buergerschaft lagen eben damals nackt und bloss +jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine +ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufstaendischen Sklaven und war +der andere, Scipio Aemilianus, seit Monaten beschaeftigt, eine kleine +spanische Landstadt nicht zu besiegen, sondern zu erdruecken. Wenn es +noch einer besonderen Aufforderung bedurfte, um Gracchus' Entschluss +zur Tat werden zu lassen, sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemuet mit +unnennbarer Angst erfuellenden Zustaenden. Sein Schwiegervater versprach +Beistand mit Rat und Tat, man durfte hoffen auf die Unterstuetzung des +Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul fuer 621 (133) erwaehlt +worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die +Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine +Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es +sollten danach die saemtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne +Entgelt benutzten Staatslaendereien - die verpachteten, wie zum Beispiel +das Gebiet von Capua, beruehrte das Gesetz nicht - von Staats wegen +eingezogen werden, jedoch mit der Beschraenkung, dass der einzelne +Okkupant fuer sich 500 und fuer jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht +ueber 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten +oder dafuer Ersatz in Land in Anspruch nehmen duerfen. Fuer etwaige, von +den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebaeude und +Pflanzungen, scheint man Entschaedigung bewilligt zu haben. Das also +eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und +diese teils an Buerger, teils an italische Bundesgenossen verteilt +werden, nicht als freies Eigentum, sondern als unveraeusserliche +Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine +maessige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein +Kollegium von drei Maennern, die als ordentliche und stehende Beamte +der Gemeinde angesehen und jaehrlich von der Volksversammlung gewaehlt +wurden, ward mit dem Einziehungs- und Aufteilungsgeschaeft beauftragt, +wozu spaeter noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich +festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die +Aufteilung war demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, +bis dass die sehr ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen +Domaenen reguliert sein wuerden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz +verglichen waren neu in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel +zu Gunsten der beerbten Besitzer, teils die fuer die neuen Landstellen +beantragte Erbpachtgutsqualitaet und Unveraeusserlichkeit, teils und +vor allem die regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in +dem aelteren Gesetz hauptsaechlich bewirkt hatte, dass dasselbe +ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war. Den grossen +Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen +Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklaert, und seit langem +zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter +Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf +in der fuer solche Faelle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen +des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege +des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der +Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich ueberzeugter +Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte; +womit verfassungsmaessig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistierte +nun seinerseits die Staatsgeschaefte und die Rechtspflege und legte +seine Siegel auf die oeffentlichen Kassen; man nahm es hin - es war +unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos, +brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung; natuerlich +wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die flehentliche Bitte +seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die Rettung Italiens nicht +zu wehren, mochte er erwidern, dass darueber, wie Italien gerettet +werden koenne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmaessiges +Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen, +ausser allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus +einen leidlichen Rueckzug zu eroeffnen; zwei Konsulare forderten ihn +auf, die Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging +der Tribun hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, dass +der Senat damit die Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; +allein weder lag dies darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der +Sache nachzugeben; die Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die +verfassungsmaessigen Wege waren erschoepft. In frueheren Zeiten hatte +man unter solchen Verhaeltnissen es sich nicht verdriessen lassen, +den gestellten Antrag fuer dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem +folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der +Druck der oeffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man +rascher. Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf +die Reform ueberhaupt verzichten oder die Revolution beginnen musste; +er tat das letztere, indem er mit der Erklaerung vor die Buergerschaft +trat, dass entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden +muesse, und diesem ansann, die Buerger darueber abstimmen zu lassen, +welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich +natuerlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die +Interzession war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der +Kollegen Raum zu gewaehren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem +Kollegen ab und wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob +nicht der Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt +habe; und die Versammlung, laengst gewohnt, zu allen an sie gebrachten +Antraegen ja zu sagen und groesstenteils zusammengesetzt aus dem +vom Lande hereingestroemten und bei der Durchfuehrung des Gesetzes +persoenlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast +einstimmig die Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus' Befehl durch +die Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter +allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten +Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des +Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjaehrigen Bruder Gaius und seinem +Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die +Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie ueblich +an den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu +erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24 +Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer +gehaessiger und persoenlicher. Das schwierige und verwickelte Geschaeft +der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domaenen trug den Hader in +jede Buergergemeinde, ja selbst in die verbuendeten italischen Staedte. +Die Aristokratie hatte es kein Hehl, dass sie das Gesetz vielleicht, +weil sie muesse, sich gefallen lassen, der unberufene Gesetzgeber aber +ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die Ankuendigung des Quintus +Pompeius, dass er den Gracchus an demselben Tage, wo er das Tribunat +niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den Drohungen, +die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste. +Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persoenliche +Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine +Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worueber er selbst von dem +der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte +hoeren wusste. Ueberhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung +seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, dass +er erst am Anfang stand. Das "Volk" war ihm zu Dank verpflichtet; aber +er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte +als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich +blieb und durch andere und weitergreifende Vorschlaege neue und immer +neue Interessen und Hoffnungen an sich knuepfte. Ebendamals war durch +das Testament des letzten Koenigs von Pergamon den Roemern Reich und +Vermoegen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk, +den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung +des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte ueberhaupt, +gegen die bestehende Uebung, der Buergerschaft das Recht, ueber die +neue Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populaere Gesetze, ueber +Abkuerzung der Dienstzeit, ueber Ausdehnung des Provokationsrechts, +ueber die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschliesslich als +Zivilgeschworene zu fungieren, sogar ueber die Aufnahme der italischen +Bundesgenossen in den roemischen Buergerverband, soll er vorbereitet +haben; wie weit seine Entwuerfe in der Tat gereicht haben, laesst sich +nicht entscheiden, gewiss ist nur, dass Gracchus seine einzige Rettung +darin sah, das Amt, das ihn schuetzte, von der Buergerschaft auf +ein zweites Jahr verliehen zu erhalten, und dass er, um diese +verfassungswidrige Verlaengerung zu bewirken, weitere Reformen in +Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen +zu retten, so wusste er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen +aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen +fuer das naechste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre +Stimmen fuer Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch +schliesslich wenigstens insoweit durch, dass die Versammlung +unverrichteter Sache aufgeloest und die Entscheidung auf den folgenden +Tag verschoben ward. Fuer diesen setzte Gracchus alle Mittel in +Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im +Trauergewand und empfahl ihm seinen unmuendigen Knaben; fuer den Fall, +dass die Wahl abermals durch Einspruch gestoert werden wuerde, traf +er Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem +Versammlungsplatz vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam +der zweite Wahltag heran; die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden +und wieder erfolgte der Einspruch; der Auflauf begann. Die Buerger +zerstreuten sich; die Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der +Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzaehlte sich in der Stadt, +bald dass Tiberius die saemtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald dass +er ohne Wiederwahl sein Amt fortzufuehren entschlossen sei. Der Senat +versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die +erbittertsten Gegner des Gracchus fuehrten in der Sitzung das Wort; als +Tiberius die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getuemmel dem +Volke zu erkennen zu geben, dass sein Leben bedroht sei, hiess es, er +fordere schon die Leute auf, sein Haupt mit der koeniglichen Binde +zu schmuecken. Der Konsul Scaevola ward angegangen, den Hochverraeter +sofort toeten zu lassen; als der gemaessigte, der Reform an sich +keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige wie barbarische Begehren +unwillig zurueckwies, rief der Konsular Publius Scipio Nasica, ein +harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich +zu bewaffnen, wie sie koennten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten +war zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk +wich scheu auseinander, als es die vornehmen Maenner mit Stuhlbeinen +und Knuetteln in den Haenden zornigen Auges heranstuermen sah; Gracchus +versuchte, von wenigen begleitet, zu entkommen. Aber er stuerzte auf der +Flucht am Abhang des Kapitols und ward von einem der Wuetenden - Publius +Satureius und Lucius Rufus stritten sich spaeter um die Henkerehre - +vor den Bildsaeulen der sieben Koenige am Tempel der Treue durch einen +Knuettelschlag auf die Schlaefe getoetet; mit ihm dreihundert andere +Maenner, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die +Koerper in den Tiberfluss gestuerzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche +seines Bruders zur Bestattung zu vergoennen. Solch einen Tag hatte +Rom noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjaehrige Hader der Parteien +waehrend der ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe gefuehrt, +wie diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der +Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurueck. Man +hatte nur die Wahl, eine grosse Zahl der zuverlaessigsten Parteigenossen +der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf +die Gesamtheit zu uebernehmen; das letztere geschah. Man hielt +offiziell daran fest, dass Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und +rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man +ueberwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus' Mitschuldige +einer besonderen Kommission und liess deren Vormann, den Konsul Publius +Popillius, dafuer sorgen, dass durch Blutsentenzen gegen eine grosse +Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachtraeglich eine Art +rechtlichen Gepraeges aufgedrueckt ward (622 132). Nasica, gegen den +vor allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut +hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu +vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwaenden nach Asien gesandt und bald +darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die +gemaessigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius +Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner; +Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte, +verteidigte sie spaeter im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner +Rueckkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich oeffentlich +darueber zu erklaeren, ob er die Toetung seines Schwagers billige oder +nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, dass, wofern er nach +der Krone getrachtet habe, er mit Recht getoetet worden sei. Versuchen +wir ueber diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen. +Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefaehrlichen +Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gruendung neuer +Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfuegung stehenden +italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein +Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den +obwaltenden politischen und sozialen Verhaeltnissen zweckmaessig. Die +Aufteilung der Domaenen ferner war an sich keine politische Parteifrage; +sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgefuehrt werden, ohne dass +die bestehende Verfassung geaendert, das Regiment der Aristokratie +irgend erschuettert ward. Ebensowenig konnte hier von einer +Rechtsverletzung die Rede sein. Anerkanntermassen war der Eigentuemer +des okkupierten Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloss +geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den gutglaeubigen +Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte, +stand ihm entgegen, dass gegen den Staat nach roemischem Landrecht die +Verjaehrung nicht lief. Die Domaenenaufteilung war keine +Aufhebung, sondern eine Ausuebung des Eigentums; ueber die formelle +Rechtsbestaendigkeit derselben waren alle Juristen einig. Allein damit, +dass die Domaenenaufteilung weder der bestehenden Verfassung Eintrag +tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloss, war der Versuch, +diese Rechtsansprueche des Staats jetzt durchzufuehren, politisch noch +keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert hat, +wenn ein grosser Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsaechlich +seit langen Jahren nicht erhobene Ansprueche ploetzlich in ihrem ganzen +Umfang geltend zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem +Rechte auch gegen die Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar +hatten diese okkupierten Domaenen zum Teil seit dreihundert Jahren sich +in erblichem Privatbesitz befunden; das Bodeneigentum des Staats, +das seiner Natur nach ueberhaupt leichter als das des Buergers den +privatrechtlichen Charakter verliert, war an diesen Grundstuecken so gut +wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgaengig durch Kauf oder +sonstigen laestigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der Jurist +mochte sagen was er wollte; den Geschaeftsleuten erschien die Massregel +als eine Expropriation der grossen Grundbesitzer zum Besten des +agrikolen Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie +anders bezeichnen. Dass die leitenden Maenner der catonischen Epoche +nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr klar die Behandlung eines +aehnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen Falles. Das im Jahre 543 (211) +zur Domaene geschlagene Gebiet von Capua und den Nachbarstaedten war +in den folgenden unruhigen Zeiten tatsaechlich groesstenteils in +Privatbesitz uebergegangen. In den letzten Jahren des sechsten +Jahrhunderts, wo man vielfaeltig, besonders durch Catos Einfluss +bestimmt, die Zuegel des Regiments wieder straffer anzog, beschloss die +Buergerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum +Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172). Dieser Besitz beruhte +auf einer nicht durch vorgaengige Aufforderung, sondern hoechstens durch +Konnivenz der Behoerden gerechtfertigten und nirgends viel ueber ein +Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die +Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem +Stadtpraetor Publius Lentulus ausgeworfene Entschaedigungssumme aus dem +Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger bedenklich vielleicht, aber +doch auch nicht unbedenklich war es, dass fuer die neuen Landlose +Erbpachtqualitaet und Unveraeusserlichkeit festgestellt ward. Die +liberalsten Grundsaetze in bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten +Rom gross gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der +roemischen Institutionen, dass diese neuen Bauern von oben herab +angehalten wurden, ihr Grundstueck in einer bestimmten Weise zu +bewirtschaften, und dass fuer dasselbe Retraktrechte und alle der +Verkehrsbeschraenkung anhaengenden Einschnuerungsmassregeln festgestellt +wurden. ----------------------------------------------- 5 Die bisher nur +aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) teilweise bekannte +Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p. 4) wesentlich +vervollstaendigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen, +dass Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte +Entschaedigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentuemern +aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war +und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten. +---------------------------------------------- Man wird einraeumen, dass +diese Einwuerfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht leicht wogen. +Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsaechliche Expropriation der +Domaenenbesitzer war sicher ein grosses Uebel; aber sie war dennoch das +einzige Mittel, um einem noch viel groesseren, ja den Staat geradezu +vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens +auf lange hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die +ausgezeichnetsten und patriotischsten Maenner auch der konservativen +Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und Scipio Aemilianus, die +Domaenenaufteilung an sich billigten und wuenschten. Aber wenn der +Zweck des Tiberius Gracchus wohl der grossen Majoritaet der einsichtigen +Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen der +Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen +Mannes Billigung gefunden und finden koennen. Rom wurde um diese Zeit +regiert durch den Senat. Wer gegen die Majoritaet des Senats eine +Verwaltungsmassregel durchsetzte, der machte Revolution. Es +war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die +Domaenenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den +Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der +Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmaessig beseitigte, +die tribunizische Interzession durch die mit unwuerdiger Sophistik +gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloss fuer jetzt, +sondern fuer alle Folgezeit zerstoerte. Indes nicht hierin liegt die +sittliche und politische Verkehrtheit von Gracchus' Tun. Fuer die +Geschichte gibt es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat +zum Kampf aufruft gegen die andere, der ist gewiss ein Revolutionaer, +aber vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswuerdiger Staatsmann. +Der wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur +zu oft uebersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen +Buergerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das +des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und +denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Maenner nicht weniger +verschieden als die ehemalige roemische Buergerschaft, welche mit den +Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die +Provinzen Asia und Africa einrichten liess. Jene war eine staedtische +Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein +grosser Staat, dessen Angehoerige in einer und derselben Urversammlung +zu vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso +klaegliches wie laecherliches Resultat gab. Es raechte sich hier der +Grundfehler der Politie des Altertums, dass sie nie vollstaendig von der +staedtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem +System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist. +Die souveraene Versammlung Roms war, was die souveraene Versammlung in +England sein wuerde, wenn statt der Abgeordneten die saemtlichen Waehler +Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von +allen Interessen und allen Leidenschaften wuest bewegte Masse, in +der die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die +Verhaeltnisse zu uebersehen noch auch nur einen eigenen Entschluss +zu fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen +Ausnahmefaellen abgesehen, unter dem Namen der Buergerschaft ein +paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufaellig +aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Buergerschaft fand +sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen +Repraesentanten in der Regel ungefaehr ebenso genuegend vertreten wie +in den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repraesentierenden +dreissig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluss +nichts war als ein Beschluss desjenigen Magistrats, der die +Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und +Zenturienbeschluss in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige +obligate Jaherren legalisierter Beschluss des vorschlagenden Beamten. +Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man +es auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Buerger +erschienen, so war dagegen in den blossen Volksversammlungen, den +Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte, +Aegypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes +bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht +abstimmen noch beschliessen. Allein tatsaechlich beherrschte dasselbe +die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam +etwas darauf an, ob diese wueste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt +ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den +Redner auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen +anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner +Aeusserung ueber den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da, +sprach er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt +zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, +dass ich die losgebunden fuerchten werde, die ich in Ketten auf den +Sklavenmarkt geschickt habe? Dass man der verrosteten Maschine der +Komitien sich fuer die Wahlen und fuer die Gesetzgebung bediente, war +schon uebel genug. Aber wenn man diesen Massen, zunaechst den Komitien +und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die Verwaltung gestattete +und dem Senat das Werkzeug zur Verhuetung solcher Eingriffe aus den +Haenden wand; wenn man gar diese sogenannte Buergerschaft aus dem +gemeinen Saeckel sich selber Aecker samt Zubehoer dekretieren liess; +wenn man einem jeden, dem die Verhaeltnisse und sein Einfluss beim +Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu +beherrschen, die Moeglichkeit eroeffnete, seinen Projekten den legalen +Stempel des souveraenen Volkswillens aufzudruecken, so war man nicht +am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie +angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in der vorigen +Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die +Buergerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt. +Darum bezeichnen Gracchus' Zeitgenossen, die Maenner des Scipionischen +Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt +auf jener verhaengnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles +der roemischen Groesse. Darum liessen dieselben den Urheber der +Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende +gleichsam einen Damm gegen kuenftige aehnliche Versuche, waehrend sie +doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie +festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, dass +redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedraengt +wurden, den Uebeltaeter preiszugeben und die Frucht der Uebeltat sich +anzueignen. Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne +nicht unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es +ist fuer ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, dass +dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische +Regiment war so durchaus verderblich, dass der Buerger, der den Senat +ab- und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem +Gemeinwesen mehr noch nuetzte, als er ihm schadete. Allein dieser kuehne +Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich faehiger, +durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht +wusste, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den +Poebel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis +die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam draengte in +die demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission, +den Eingriffen in das oeffentliche Kassenwesen, den durch Not und +Verzweiflung erpressten weiteren "Reformen", der Leibwache von der Gasse +und den Strassengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt fuer +Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten +Geister der Revolution den unfaehigen Beschwoerer packten und +verschlangen. Die ehrlose Schlaechterei, durch die er endigte, richtet +sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging; allein +die Maertyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus' Namen geschmueckt +hat, kam hier wie gewoehnlich an den unrechten Mann. Die besten seiner +Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe +gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: "Also verderb' ein jeder, der +aehnliche Werke vollfuehrt hat!" Und als des Tiberius juengerer Bruder +Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene +Mutter: "Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird +die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schaemen, den +Staat verwirrt und zerruettet zu haben?" So sprach nicht die besorgte +Mutter, sondern die Tochter des Ueberwinders der Karthager, die noch +ein groesseres Unglueck kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder. 3. +Kapitel Die Revolution und Gaius Gracchus Tiberius Gracchus war tot; +indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die Revolution, +ueberlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat +gegenueber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen +Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den +wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr +befestigt als erschuettert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der +Aristokratie, welche die Domanialteilung offen beguenstigte, an ihrer +Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623 131) Zensor, und +Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei des Scipio +Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war, selbst +im Senat fuer jetzt die Oberhand, und ausdruecklich wies ein +Senatsbeschluss die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach +dem Sempronischen Gesetz sollten dieselben jaehrlich von der Gemeinde +ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein +bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natuerlich, dass die Wahl +wieder und wieder auf dieselben Maenner fiel und eigentliche Neuwahlen +nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat +fuer Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders +Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und +auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschaeft in +Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der taetigsten Fuehrer +der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo. +Schon die Namen dieser Maenner buergen dafuer, dass man das Geschaeft +der Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer +und Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafuer nicht an +Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius, +derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhaenger des Tiberius Gracchus +leitete, verzeichnet auf einem oeffentlichen Denkmal sich als "den +ersten, der auf den Domaenen die Hirten aus- und dafuer die Bauern +eingewiesen habe", und auch sonst ist es ueberliefert, dass sich die +Aufteilung ueber ganz Italien erstreckte und ueberall in den bisherigen +Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch +Gruendung neuer Gemeinden, sondern durch Verstaerkung der bestehenden +die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen +Ackergesetzes. Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser +Aufteilungen bezeugen die zahlreichen in der roemischen Feldmesserkunst +auf die Gracchischen Landanweisungen zurueckgehenden Einrichtungen; wie +denn zum Beispiel eine gehoerige und kuenftigen Irrungen vorbeugende +Marksteinsetzung zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und +Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten +aber reden die Zahlen der Buergerliste. Die Schaetzung, die im Jahre +623 (131) veroeffentlicht ward und tatsaechlich wohl Anfang 622 (132) +stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfaehige Buerger, wogegen +sechs Jahre spaeter (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die +Ziffer auf 395000, also um 76000 hebt - ohne allen Zweifel lediglich +infolge dessen, was die Teilungskommission fuer die roemische +Buergerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den Italikern die Bauernstellen +in demselben Verhaeltnis vermehrt hat, laesst sich bezweifeln; auf +alle Faelle war das, was sie erreichte, ein grosses und segensreiches +Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache Verletzung +achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt, besetzt +mit den entschiedensten Parteimaennern und durchaus Richter in eigener +Sache, ging mit seinen Arbeiten ruecksichtslos und selbst tumultuarisch +vor; oeffentliche Anschlaege forderten jeden, der dazu imstande sei, +auf ueber die Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; +unerbittlich wurde zurueckgegangen auf die alten Erdbuecher und nicht +bloss neue und alte Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert, +sondern auch vielfaeltig wirkliches Privateigentum, ueber das der +Inhaber sich nicht genuegend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie +laut und grossenteils begruendet auch die Klagen waren, der Senat liess +die Aufteiler gewaehren: es war einleuchtend, dass, wenn man einmal +die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches ruecksichtsloses +Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte +dies Gewaehrenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland +war nicht lediglich in den Haenden roemischer Buerger; grosse Strecken +desselben waren einzelnen bundesgenoessischen Gemeinden durch Volks- +oder Senatsbeschluesse zu ausschliesslicher Benutzung zugewiesen, +andere Stuecke von latinischen Buergern erlaubter- oder unerlaubterweise +okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen +an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbuergern +einfach okkupierten Stuecke unzweifelhaft zulaessig, nicht minder +vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschluesse, ja selbst +des durch Gemeindebeschluesse den italischen Gemeinden ueberwiesenen +Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum +verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private +nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder +Untertanengemeinden, dass Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht +einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt +verletzten roemischen Buerger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich +mochten jene nicht besser begruendet sein als diese; aber wenn es in +diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehoerigen handelte, +so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es +politisch richtig sei, die militaerisch so wichtigen und schon +durch zahlreiche rechtliche und faktische Zuruecksetzungen Rom sehr +entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche +Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die +Entscheidung lag in den Haenden der Mittelpartei; sie war es gewesen, +die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhaengern die +Reform gegen die Oligarchie geschuetzt hatte, und sie allein vermochte +jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu +setzen. Die Latiner wandten sich persoenlich an den hervorragendsten +Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu +schuetzen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluss ^1 +ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluss der Teilkommission die +Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was +Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die Konsuln +gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam. +Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren +Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs +gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen +Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr, +zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschaeft +unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber da +die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch +sie notgedrungen untaetig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst +Maenner wie Publius Mucius und Quintus Metellus missbilligten Scipios +Zwischentreten. In anderen Kreisen begnuegte man sich nicht mit der +Missbilligung. Auf einen der naechsten Tage hatte Scipio einen Vortrag +ueber die Verhaeltnisse der Latiner angekuendigt; am Morgen dieses Tages +ward er tot in seinem Bette gefunden. Dass der sechsundfuenfzigjaehrige +in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher +oeffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede fuer den +naechsten Tag zu entwerfen, sich frueher als gewoehnlich in sein +Schlafgemach zurueckgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes +geworden ist, kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher +der gegen ihn gerichteten Mordanschlaege oeffentlich erwaehnt. Welche +meuchelnde Hand den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner +Zeit bei naechtlicher Weile erwuergt hat, ist nie an den Tag +gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen +Stadtklatsch ueberlieferten Geruechte zu wiederholen noch den kindischen +Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur +dass der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehoert haben muss, ist +einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die +aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten +nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fuerchtend, dass ihre Fuehrer, +Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozess +moechten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kraeften der +Einleitung einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio +ebensosehr einen Gegner wie einen Verbuendeten verlor, liess nicht +ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemaessigten Maenner standen +entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten +gegen die Reform gemissbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen +schaudernd sich abwandte und seinen vier Soehnen befahl, die Bahre des +grossen Gegners zur Feuerstaette zu tragen. Die Leichenbestattung ward +beschleunigt; verhuellten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht +des Siegers von Zama hinausgetragen, ohne dass jemand zuvor des Toten +Antlitz haette sehen duerfen, und die Flammen des Scheiterhaufens +verzehrten mit der Huelle des hohen Mannes zugleich die Spuren des +Verbrechens. ---------------------------------------------------------- +^1 Hierher gehoert ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit +nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz ueber Quaestionengerichte +gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut +triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. +ep. 28; oben S. 95). +---------------------------------------------------------- Die +Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus, +aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an voelliger Abwesenheit des +politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; +vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere Rolle +zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Faehigkeiten sich +bewusst, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor seinen +Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer +Rettung, in der klaren Einsicht, nur uebel damit aerger zu machen, +in sich niederzukaempfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica +gutheissen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Moerder +verteidigen zu muessen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst +gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des +Sempronischen Gesetzes, dem die roemische Buergerschaft einen Zuwachs +von gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese +Domanialteilung hemmte, als sie genuetzt hatte, was sie nuetzen konnte. +Dass es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von +wohlmeinenden Maennern bestritten; aber die Tatsache, dass auch Gaius +Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und +unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurueckkam, spricht +gar sehr dafuer, dass Scipio im wesentlichen den richtigen Moment +traf. Beide Massregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der +Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber +mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld +fuer sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort +den Tod von Moerderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer +nicht minder fuer Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern +gefallen waere. Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging +an. Die revolutionaere Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine +konstituierte Vorstandschaft besass, hatte schon bei Scipios Lebzeiten +hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplaenkelt; namentlich +Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als +Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die +geheime Abstimmung in den Buergerschaftsversammlungen durchgesetzt, +soweit es nicht bereits frueher geschehen war, und sogar den +bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um +dasselbe Amt fuer das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also +das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunaechst gescheitert war, +gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand +Scipios vereitelt worden; einige Jahre spaeter, wie es scheint nach +dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschraenkenden Klauseln, +wieder ein- und durchgebracht 2. Die hauptsaechliche Absicht der Partei +ging indes auf Reaktivierung des faktisch ausser Taetigkeit gesetzten +Teilungsamts: unter den Fuehrern ward der Plan ernstlich besprochen, +die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben +entgegenstellten, durch Erteilung des Buergerrechts an dieselben zu +beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu +begegnen, liess der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius +Pennus die Ausweisung saemtlicher Nichtbuerger aus der Hauptstadt +beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des +Gaius Gracchus, und der durch diese gehaessige Massregel hervorgerufenen +Gaerung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus +Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul +mit dem Antrag, den Buergern der Bundesgemeinden die Gewinnung der +roemischen Buergerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht +gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an die roemischen +Komitien einzuraeumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte +inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius +Gracchus abwesend als Quaestor in Sardinien - und scheiterte an dem +Widerstand nicht bloss des Senats, sondern auch der Buergerschaft, die +der Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig +geneigt war. Flaccus verliess Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten +zu uebernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den +grossen Plaenen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit +aus der ueblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten +Bundesgenossen die Waffen tragen zu muessen. Fregellae, an der Grenze +von Latium und Kampanien am Hauptuebergang ueber den Liris inmitten +eines grossen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die +zweite Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewoehnliche +Wortfuehrer fuer die saemtlichen latinischen Kolonien, begann infolge +der Zurueckweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen +Rom - seit hundertfuenfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen, +nicht durch auswaertige Maechte herbeigefuehrten Schilderhebung Italiens +gegen die roemische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den +Brand, ehe er andere bundesgenoessische Gemeinden ergriff, im Keime zu +ersticken; nicht durch die Ueberlegenheit der roemischen Waffen, sondern +durch den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward +der Praetor Lucius Opimius rasch Meister ueber die empoerte Stadt, die +ihr Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. +Auf einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria +gegruendet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die +umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare Strafgericht +schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose Hochverratsprozesse +verfolgten nicht bloss die Fregellaner, sondern auch die Fuehrer der +Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als an +dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius +Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefuerchteten +Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die uebliche +Abloesung unterliess und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren +dennoch zurueckkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen +Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die +Buergerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh +auf, bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewoehnlich +zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631 +(123) ernannt. Der Krieg war also erklaert. Die demokratische Partei, +immer arm an leitenden Kapazitaeten, hatte neun Jahre hindurch +notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu Ende +und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo +und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Fuehrerschaft +berufen war. ---------------------------------------------------- 2 Die +Restriktion, dass die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an +anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer +zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den aelteren Ordnungen +anzugehoeren (Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473), +sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein. +---------------------------------------------------- Gaius Gracchus +(601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre aelteren +Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt, +ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia +unter seinem Schwager und spaeter in Sardinien mit Auszeichnung +gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war +er dem Tiberius entschieden ueberlegen. An der Klarheit und +Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich spaeter in dem Drang der +verschiedenartigsten, zur praktischen Durchfuehrung seiner zahlreichen +Gesetze erforderlichen Geschaefte zu bewegen wusste, erkannte man die +echte staatsmaennische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum +Tode getreuen Hingebung, mit der seine naeheren Freunde an ihm hingen, +die Liebefaehigkeit dieses adligen Gemuetes. Der Energie seines Wollens +und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene +Zurueckhaltung waehrend der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht +mit geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in +die innerste Brust zurueckgedraengte Erbitterung gegen die Partei, die +das Vaterland zerruettet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch +diese furchtbare Leidenschaft seines Gemuetes ist er der erste +Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie wuerden wir +ihn wahrscheinlich den ersten Staatsmaennern aller Zeiten beizaehlen +duerfen. Noch unter den wenigen Truemmern seiner aufgezeichneten +Reden sind manche selbst in diesem Zustande von herzerschuetternder +Maechtigkeit 3, und wohl begreift man, dass, wer sie hoerte oder auch +nur las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. +Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn +selber der Zorn, so dass dem glaenzenden Sprecher die Rede truebe oder +stockend floss. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und +Leidens. In Gaius' Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, +von jener etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren +Gutmuetigkeit, die den politischen Gegner mit Bitten und Traenen +umstimmen moechte; mit voller Sicherheit betrat er den Weg der +Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache. "Auch mir", schrieb +ihm seine Mutter, "scheint nichts schoener und herrlicher, als dem +Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen kann, ohne dass das Vaterland +zugrunde geht. Ist aber dies nicht moeglich, da moegen unsere Feinde +bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als dass das +Vaterland verderbe." Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis +war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung, +Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darueber +zugrunde gehen - die Ahnung, dass das Verhaengnis ihn so sicher ereilen +werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem toedlich +Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber +auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus +italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, +und sie hat recht daran getan. +------------------------------------------------------- 3 So die bei der +Ankuendigung seiner Gesetzvorschlaege gesprochenen Worte: "Wenn ich zu +euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft bin und +meinen Bruder um euretwillen eingebuesst habe und nun niemand weiter +uebrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus +Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich fuer jetzt feiern zu lassen, +damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein +Sproessling dieses Geschlechts uebrig bleibe: so moechte wohl +solches mir von euch bereitwillig zugestanden werden." +------------------------------------------------------ Tiberius Gracchus +war mit einer einzelnen Administrativreform vor die Buergerschaft +getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschlaege einbrachte, +war nichts anderes als eine vollstaendig neue Verfassung, als deren +erster Grundstein die schon frueher durchgesetzte Neuerung erscheint, +dass es dem Volkstribun freistehen solle, sich fuer das folgende +Jahr wiederwaehlen zulassen. Wenn hiermit fuer das Volkshaupt die +Moeglichkeit einer dauernden und den Inhaber schuetzenden Stellung +gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu +sichern, das heisst die hauptstaedtische Menge - denn dass auf das nur +von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlass war, +hatte sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Fuehrer +zu knuepfen. Hierzu diente zuvoerderst die Einfuehrung der +hauptstaedtischen Getreideverteilung. Schon frueher war das dem +Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu +Schleuderpreisen an die Buergerschaft abgegeben worden. Gracchus +verfuegte, dass fortan jedem persoenlich in der Hauptstadt sich +meldenden Buerger monatlich eine bestimmte Quantitaet - es scheint 5 +Modii (5/6 preuss. Scheffel) -aus den oeffentlichen Magazinen verabfolgt +werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2 Groschen) oder noch nicht die +Haelfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch +Anlage der neuen Sempronischen Speicher die oeffentlichen Kornmagazine +erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die ausserhalb der +Hauptstadt lebenden Buerger ausschloss und notwendig die ganze Masse des +Buergerproletariats nach Rom ziehen musste, sollte das hauptstaedtische +Buergerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie +abgehangen hatte, in die Klientel der Fuehrer der Bewegungspartei +bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und +eine feste Majoritaet in den Komitien gewaehren. Zu mehrerer Sicherheit +hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Zenturiatkomitien noch +bestehende Stimmordnung, wonach die fuenf Vermoegensklassen in jedem +Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, abgeschafft; statt dessen +sollten in Zukunft saemtliche Zenturien durcheinander in einer +jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn diese +Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstaedtische +Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollstaendige Herrschaft ueber +die Hauptstadt und damit ueber den Staat, die freieste Disposition ueber +die Maschine der Komitien und die Moeglichkeit zu verschaffen, den +Senat und die Beamten noetigenfalls zu terrorisieren, so fasste doch der +Gesetzgeber daneben allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen +Schaeden mit Ernst und Nachdruck an. Zwar die italische Domaenenfrage +war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und +selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius +durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die +Zurueckgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Dass +hiermit nur das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung +wenn ueberhaupt, doch nur in sehr beschraenktem Umfang wiederaufgenommen +ward, zeigt die Buergerliste, die fuer die Jahre 629 (125) und 639 (115) +genau dieselbe Kopfzahl ergibt. Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb +nicht weiter, weil das von roemischen Buergern in Besitz genommene +Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die Frage aber wegen +der von den Latinern benutzten Domaenen nur in Verbindung mit der sehr +schwierigen ueber die Ausdehnung des Buergerrechts wiederaufgenommen +werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus ueber +das Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gruendung von Kolonien in +Italien, namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also +auch das von Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung +ausgeschlossene Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar +nicht zur Verteilung nach dem bisherigen, die Gruendung neuer Gemeinden +ausschliessenden Verfahren, sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne +Zweifel sollten auch diese Kolonien die Revolution, der sie ihre +Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen. Bedeutender und +folgenreicher noch war es, dass Gaius Gracchus zuerst dazu schritt, +das italische Proletariat in den ueberseeischen Gebieten des Staats +zu versorgen, indem er an die Staette, wo Karthago gestanden, 6000 +vielleicht nicht bloss aus den roemischen Buergern, sondern auch aus +den italischen Bundesgenossen erwaehlte Kolonisten sendete und der neuen +Stadt Iunonia das Recht einer roemischen Buergerkolonie verlieh. Die +Anlage war wichtig, aber wichtiger noch das damit hingestellte Prinzip +der ueberseeischen Emigration, womit fuer das italische Proletariat ein +bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als provisorische Hilfe +eroeffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen Staatsrechts +aufgegeben ward, Italien als das ausschliesslich regierende, das +Provinzialgebiet als das ausschliesslich regierte Land zu betrachten. +Zu diesen auf die grosse Frage hinsichtlich des Proletariats +unmittelbar bezueglichen Massregeln kam eine Reihe von Verfuegungen, die +hervorgingen aus der allgemeinen Tendenz, gegenueber der altvaeterischen +Strenge der bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemaessere +Grundsaetze zur Geltung zu bringen. Hierher gehoeren die Milderungen im +Militaerwesen. Hinsichtlich der Laenge der Dienstzeit bestand nach +altem Recht keine andere Grenze, als dass kein Buerger vor vollendetem +siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum +ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung +Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich +verfuegt zu sein, dass, wer sechs Jahre hintereinander im Felde +gestanden, dadurch zunaechst ein Recht erhalte auf den Abschied, +wenngleich dieser vor der Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht +schuetzte; spaeter, vielleicht um den Anfang dieses Jahrhunderts, kam +der Satz auf, dass zwanzigjaehriger Dienst zu Fuss oder zehnjaehriger zu +Ross ueberhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte +die vermutlich oefter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Buerger +vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und +beschraenkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der +Militaerpflicht erforderliche Zahl von Feldzuegen; ueberdies wurde +den Soldaten die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde +gekuerzt worden war, fortan vom Staat unentgeltlich geliefert. +----------------------------------------------- 4 So moechte die Angabe +Appians (Hisp. 78), dass sechsjaehriger Dienst berechtige, den Abschied +zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios (6, 19), +ueber welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die +Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, laesst sich nicht weiter bestimmen, +als dass die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die +Gracchen, S. 231), die zweite sicher schon zu Polybios' Zeit bestand. +Dass Gracchus die Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint +aus Asconius (Corn. p. 68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio +fr. 83; 7 Bekker. --------------------------------------------- +Hierher gehoert ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung +hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch +mehr, als es schon geschehen war, zu beschraenken, die zum Teil +selbst in der Militaergerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit +Einfuehrung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, ueber den +Buerger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhaengen ausser +nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Buergers bald nach +der Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn, +Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen +beschraenkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu +suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das +Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhaengen oder vielmehr zu +bestaetigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschraenkt, +dass Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am haeufigsten zu +Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und ueberhaupt Mord, +der Buergerschaft entzog und an staendige Kommissionsgerichte ueberwies, +welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns +gesprengt werden konnten und von denen nicht bloss keine Appellation an +die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprueche auch so wenig wie die +der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde +unterlagen. Bei den Buergerschaftsgerichten war es, namentlich bei den +eigentlich politischen Prozessen, zwar auch laengst Regel, dass der +Angeklagte auf freiem Fuss prozessiert und ihm gestattet ward, durch +Aufgebung seines Buergerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten; +denn die Vermoegensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den +Exilierten noch treffen. Allein vorgaengige Verhaftung und vollstaendige +Exekution blieben hier wenigstens rechtlich moeglich und wurden +selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel +Lucius Hostilius Tubulus, Praetor 612 (142), der wegen eines schweren +Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts +festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozess +hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus +aus Freiheit und Leben des Buergers nicht antasten und hoechstens auf +Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann +gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur foermlichen Strafe. Auch +dieses unfreiwillige Exil liess gleich dem freiwilligen dem Verbannten +das Vermoegen, soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen +und in Geldbussen daraufging. Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus +zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr achtbare Zeugen, dass er den +verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlass der Forderungen Hoffnung +gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radikal +populaeren Massregeln beizuzaehlen ist. Waehrend Gracchus also sich +lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle Verbesserung ihrer +Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie +an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloss +auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war +er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen +Teil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen +Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein +Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei +wesentlich ungleichen Massen, die man einigermassen der Lords- und +der Cityaristokratie Englands vergleichen kann. Die eine umfasste den +tatsaechlich geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien, +die der unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre +ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille +Gesellschafter bei den grossen Assoziationen verwerteten. Den Kern der +zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschaeftsfuehrer +dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Gross- und Geldgeschaefte +im ganzen Umfang der roemischen Hegemonie betrieben. Es ist schon +dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des +sechsten Jahrhunderts allmaehlich der senatorischen Aristokratie an die +Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschliessung der Senatoren von dem +kaufmaennischen Betrieb durch den von dem Vorlaeufer der Gracchen +Gaius Flaminius veranlassten Claudischen Volksschluss, eine aeussere +Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In +der gegenwaertigen Epoche beginnt die kaufmaennische Aristokratie unter +dem Namen der "Ritterschaft" einen entscheidenden Einfluss auch +in politischen Angelegenheiten zu ueben. Diese Bezeichnung, die +urspruenglich nur der diensttuenden Buergerreiterei zukam, uebertrug +sich allmaehlich, wenigstens im gewoehnlichen Sprachgebrauch, auf alle +diejenigen, die als Besitzer eines Vermoegens von mindestens 400000 +Sesterzen zum Rossdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff +also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme roemische +Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die +Inkompatibilitaet des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes +gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfaehigen +ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im grossen und +ganzen genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die +Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat +eingetretenen, namentlich also die juengeren Glieder der senatorischen +Familien nicht aufhoerten, als Ritter zu dienen und also zu heissen, +ja die eigentliche Buergerreiterei, das heisst die achtzehn +Ritterzenturien, infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren, +fortfuhren, vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich +zu ergaenzen. Dieser Stand der Ritter, das heisst wesentlich der +vermoegenden Kaufleute, beruehrte vielfaeltig sich unsanft mit dem +regierenden Senat. Es war eine natuerliche Antipathie zwischen den +vornehmen Adligen und den Maennern, denen mit dem Gelde der Rang +gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren von ihnen, +standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und +Koteriefehden den Maennern der materiellen Interessen gleichgueltig +waren. Jene und diese waren namentlich in den Provinzen schon oefter +hart zusammengestossen; denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen +weit mehr Grund hatten, sich ueber die Parteilichkeit der roemischen +Beamten zu beschweren als die roemischen Kapitalisten, so liessen +doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu herbei, den +Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmaenner auf Kosten +der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von +jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen +Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adels- +und Geldaristokratie ein tief gehender Riss; und geschickter als sein +Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das Buendnis gesprengt war und die +Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. Dass die aeusseren Vorrechte, +durch die spaeterhin die Maenner von Ritterzensus von der uebrigen Menge +sich unterschieden - der goldene Fingerreif statt des gewoehnlichen +eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei den +Buergerfesten -, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen +worden sind, ist nicht gewiss, aber nicht unwahrscheinlich. Denn +aufgekommen sind sie auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die +Erstreckung dieser bisher im wesentlichen senatorischen Privilegien auf +den von ihm emporgehobenen Ritterstand ganz in Gracchus' Art ist, so war +es auch recht eigentlich sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines +zwischen der senatorischen Aristokratie und der gemeinen Menge in der +Mitte stehenden, ebenfalls geschlossenen und privilegierten Standes +aufzudruecken; und ebendies haben jene Standesabzeichen, wie gering sie +an sich auch waren und wie viele Ritterfaehige auch ihrer sich nicht +bedienen mochten, mehr gefoerdert als manche an sich weit wichtigere +Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie +dergleichen Ehren auch keineswegs verschmaeht, ist doch dafuer +allein nicht zu haben. Gracchus erkannte es wohl, dass sie zwar dem +Meistbietenden von Rechts wegen zufaellt, aber es auch eines hohen und +reellen Gebotes bedurfte; und so bot er ihr die asiatischen Gefaelle und +die Geschworenengerichte. Das System der roemischen Finanzverwaltung, +sowohl die indirekten Steuern wie auch die Domanialgefaelle durch +Mittelsmaenner zu erheben, gewaehrte an sich schon dem roemischen +Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die ausgedehntesten +Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in +den meisten Aemtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden +Geldsummen, was die Dazwischenkunft roemischer Kapitalisten von selber +ausschloss, oder, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten, +dessen Erhebung fuer jede einzelne Gemeinde in den Provinzen +selbst verpachtet ward und wobei also regelmaessig die vermoegenden +Provinzialen, und sehr haeufig die zehntpflichtigen Gemeinden selbst, +den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die gefaehrlichen +roemischen Mittelsmaenner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor +die Provinz Asia an die Roemer gefallen war, hatte der Senat sie im +wesentlichen nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius Gracchus 5 +stiess diese Verfuegung durch einen Volksschluss um und belastete nicht +bloss die bis dahin fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten +indirekten und direkten Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er +verfuegte auch, dass diese Hebungen fuer die gesamte Provinz und in Rom +verpachtet werden sollten - eine Bestimmung, die die Beteiligung der +Provinzialen tatsaechlich ausschloss und die in der Mittelsmaennerschaft +fuer Zehnten, Hutgeld und Zoelle der Provinz Asia eine +Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief. +Charakteristisch fuer Gracchus' Bestreben, den Kapitalistenstand vom +Senat unabhaengig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, dass der +voellige oder teilweise Erlass der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher, +vom Senat nach Ermessen bewilligt werden, sondern unter bestimmten +Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand +eine Goldgrube eroeffnet und in den Mitgliedern der neuen Gesellschaft +ein selbst der Regierung imponierender Kern der hohen Finanz, ein "Senat +der Kaufmannschaft" konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den +Geschworenengerichten eine bestimmte oeffentliche Taetigkeit zugewiesen. +Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die +Buergerschaft gehoerte, war bei den Roemern von Haus aus sehr eng und +ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten +Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen, +wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils +ausserordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese +ausschliesslich aus dem Senat genommen worden; Gracchus ueberwies +sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den staendigen +und nichtstaendigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an +den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der +Ritterzenturien aus den saemtlichen ritterfaehigen Individuen jaehrlich +neu formieren liess und die Senatoren geradezu, die jungen Maenner der +senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze +von den Gerichten ausschloss 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die +Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Maenner gelenkt ward, die in +den grossen kaufmaennischen Assoziationen namentlich der asiatischen und +sonstigen Steuerpaechter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein +sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen; +und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietaeten in +ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des +also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war, +dass, waehrend bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die +Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Buergerschaft als +legislative Behoerde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren, +jetzt die Geldaristokratie nicht bloss auf der soliden Basis der +materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse +sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende +Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast +ebenbuertig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute +gegen den Adel mussten fortan in den Wahrspruechen der Geschworenen +einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den +Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator +nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Grosshaendlern und +Bankiers die Entscheidung zu erwarten ueber seine buergerliche Existenz. +Die Fehden zwischen den roemischen Kapitalisten und den roemischen +Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den +bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der +Reichen war nicht bloss gespalten, sondern es war auch dafuer +gesorgt, dass der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand. +----------------------------------------------------- 5 Dass er und +nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto in +den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep. +3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6. 6 Die zunaechst durch diese +Veraenderung des Richterpersonals veranlasste neue Gerichtsordnung +fuer die staendige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir noch zum +grossen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen +oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes. +------------------------------------------------- Mit den also +bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging Gracchus +an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den Senat +stuerzen hiess einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine +wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Massregeln +mehr persoenlicher und transitorischer Art die bestehende Aristokratie +zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die Verwaltung +hatte bisher dem Senat ausschliesslich zugestanden; Gracchus nahm +sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen +durch Komitialgesetze, das heisst tatsaechlich durch tribunizische +Machtsprueche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den +Senat moeglichst beschraenkte, teils selbst in der umfassendsten Weise +die Geschaefte an sich zog. Die Massregeln der ersten Gattung sind +schon erwaehnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu +fragen, ueber die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den +oeffentlichen Finanzen eine dauernde und drueckende Last aufbuerdete, +ueber die Domaenen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats- +und Volks-, sondern allein nach Volksschluss aussandte, ueber die +Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene +Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstiess und eine durchaus +andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden +Geschaeften des Senats, die willkuerliche Feststellung der jedesmaligen +Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der +bisher dabei geuebte indirekte Druck auf die hoechsten Beamten +dadurch beschraenkt, dass der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen +festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewaehlt seien. +Mit beispielloser Taetigkeit endlich konzentrierte Gaius die +verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschaefte in +seiner Person: Er selbst ueberwachte die Getreideverteilung, erlas die +Geschworenen, gruendete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden +Amtes persoenlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloss +die Bauvertraege ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die +Konsulwahlen - kurz er gewoehnte das Volk daran, dass in allen +Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme +Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kraeftiges und +gewandtes persoenliches Regiment. Noch energischer als in die Verwaltung +griff Gracchus ein in die senatorische Gerichtsallmacht. Dass er die +Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon gesagt; +dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste +Verwaltungsbehoerde sich in Ausnahmefaellen gestattete. Bei +scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten +Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung ausserordentlicher +Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluss, wie diejenige gewesen +war, welche nach seines Bruders Ermordung ueber dessen Anhaenger zu +Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Massregeln ist, dass der Senat +die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das +Staatshaupt ihm zu lassen fuer gut befand. Indes diese konstitutiven +Massregeln genuegten nicht; auch der gegenwaertig regierenden +Aristokratie wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein blosser Akt der +Rache war es, dass dem zuletzt erwaehnten Gesetz rueckwirkende Kraft +beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen +erfolgtem Tode der Hass der Demokraten hauptsaechlich traf, Publius +Popillius, genoetigt ward, das Land zu meiden. Merkwuerdigerweise +ging dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der +Bezirksversammlung durch - ein Zeichen, was wenigstens in Fragen +persoenlichen Interesses noch der Einfluss der Aristokratie bei der +Menge vermochte. Ein aehnliches, aber weit minder zu rechtfertigendes +Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten Antrag, dass, wer durch +Volksschluss sein Amt verloren habe, auf immer unfaehig sein solle, +einen oeffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurueck auf +Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die +Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu +verhoehnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius +gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie +verstand, gemaess gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von +ganz anderer Wichtigkeit als diese Massregeln war Gaius' freilich wohl +schwerlich zur Ausfuehrung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue +Mitglieder, das heisst ungefaehr ebenso viele als er bisher hatte, zu +verstaerken und diese aus dem Ritterstand durch Komitien waehlen zu +lassen - eine Pairskreierung im umfassendsten Stil, die den Senat in +die vollstaendigste Abhaengigkeit von dem Staatsoberhaupt gebracht haben +wuerde. ------------------------------------------------ 7 Dies und +das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur duerften identisch sein. +------------------------------------------------ Dies ist die +Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und waehrend der +beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren +wesentlichsten Punkten durchgefuehrt hat, soweit wir sehen, ohne auf +irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stossen und ohne zur Erreichung +seiner Zwecke Gewalt anwenden zu muessen. Die Reihenfolge, in der die +Massregeln durchgebracht sind, laesst in der zerruetteten Ueberlieferung +sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende Frage muessen wir +die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, dass uns mit +dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da ueber die +Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie +sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedraengt +ward, sondern offenbar einen wohl ueberlegten, umfassenden Plan in einer +Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen vollstaendig realisierte. Dass +nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmuetige Leute in alter und +neuer Zeit gemeint haben, die roemische Republik auf neue demokratische +Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form +eines durch stehende Wiederwahl lebenslaenglich und durch unbedingte +Beherrschung der formell souveraenen Komitien absolut gemachten Amtes, +eines unumschraenkten Volkstribunats auf Lebenszeit, anstatt der +Republik die Tyrannis, das heisst nach heutigem Sprachgebrauch die +nicht feudalistische und nicht theokratische, die napoleonisch absolute +Monarchie einfuehren wollte, das offenbart die Sempronische Verfassung +selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen hat und haben +will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und deutlicher +seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was blieb +in einem Gemeinwesen, das ueber die Urversammlungen hinaus und fuer +das der Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des +aristokratischen Regiments fuer eine andere politische Ordnung +moeglich als die Tyrannis? Traeumer, wie sein Vorgaenger einer war, und +Schwindler, wie sie die Folgezeit herauffuehrte, mochten dies in Abrede +stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann, und wenn auch die +Formulierung, die der grosse Mann fuer sein grosses Werk bei sich selber +aufstellte, uns nicht ueberliefert und in sehr verschiedener Weise +denkbar ist, so wusste er doch unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die +beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen laesst, +so wenig wird, wer die Verhaeltnisse uebersieht, den Gracchus deswegen +tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein grosses Unglueck fuer die +Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der +Nation statt des groesseren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die +Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaftlich ernste +und allem Gemeinen so fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein +nichtsdestoweniger darf sie es nicht verschweigen, dass durch die ganze +Gesetzgebung desselben eine Zwiespaeltigkeit verderblichster Art geht, +indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andererseits den +persoenlichen Zwecken, ja der persoenlichen Rache des Herrschers dient. +Gracchus war ernstlich bemueht, fuer die sozialen Schaeden eine Abhilfe +zu finden und dem einreissenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er +zugleich durch seine Getreideverteilungen, die fuer alles arbeitsscheue +hungernde Buergergesindel eine Praemie werden sollten und wurden, ein +hauptstaedtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich +gross. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des +Senats und deckte namentlich den skandaloesen Schacher, den +Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit +schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben +Mannes Werk, dass der souveraene Poebel der Hauptstadt fuer seine +Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren liess. +Gracchus missbilligte lebhaft die schaendliche Auspluenderung der +Provinzen und veranlasste nicht bloss, dass in einzelnen Faellen mit +heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der +durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio +Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein +ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch ueberlieferte er +zugleich durch die Einfuehrung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen +mit gebundenen Haenden der Partei der materiellen Interessen und damit +einer noch ruecksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen +war, und fuehrte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die +nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind +und menschlich heissen konnte - beides, weil er teils der Partei der +Geldmaenner, teils fuer seine Getreideverteilungen und die sonstigen den +Finanzen neu aufgebuerdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen +bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und +eine geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmaessige +Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem +auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter +Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete +Staat, soweit irgend moeglich, zwar nicht ueber die politischen +Parteien, aber doch ausserhalb derselben zu stellen bemueht sein wird, +absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings faellt die +Schuld dieser Zwiespaeltigkeit in Gaius Gracchus' Tendenzen zu einem +sehr grossen Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich +hier an der Schwelle der Tyrannis entwickelt sich das verhaengnisvolle +sittlich-politische Dilemma, dass derselbe Mann zugleich, man moechte +sagen, als Raeuberhauptmann sich behaupten und als der erste Buerger +den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon +bedenkliche Opfer haben bringen muessen. Indes ganz laesst sich Gaius +Gracchus' Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklaeren; es wirkt +daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die gluehende Rache, die, +den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das +Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er ueber seine +Geschworenenordnung und aehnliche auf die Spaltung der Aristokratie +abzweckende Massregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den +Markt geworfen, damit die Buerger - die vornehmen, versteht sich - mit +ihnen sich untereinander zerfleischen moechten. Er war ein politischer +Brandstifter; nicht bloss die hundertjaehrige Revolution, die von ihm +datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des +Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes +entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten +hauptstaedtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden +von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollstaendig +demoralisiert, teils seiner Macht sich bewusst ward und mit seinen +bald pinselhaften, bald buebischen Anspruechen und seiner Fratze von +Volkssouveraenitaet ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem +roemischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und +doch - dieser groesste der politischen Verbrecher ist auch wieder der +Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der +roemischen Monarchie, der nicht zurueckreichte bis auf Gaius Gracchus. +Von ihm ruehrt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten +Kriegsrechts begruendete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser +praktischen Anwendung doch dem aelteren Staatsrecht fremde Satz +her, dass aller Grund und Boden der untertaenigen Gemeinden als +Privateigentum des Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunaechst +benutzt ward, um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden +beliebig zu besteuern, wie es in Asien, oder auch zur Anlegung von +Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika geschah, und der spaeterhin ein +fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward. Von ihm ruehrt die Taktik +der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen Interessen sich +stuetzend die regierende Aristokratie zu sprengen, ueberhaupt aber durch +eine strenge und zweckmaessige Administration anstatt des bisherigen +Missregiments die Verfassungsaenderung nachtraeglich zu legitimieren. +Auf ihn gehen vor allem zurueck die Anfaenge einer Ausgleichung +zwischen Rom und den Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie +unvermeidlich mit sich bringen musste; der Versuch, das durch die +italische Rivalitaet zerstoerte Karthago wiederaufzubauen und ueberhaupt +der italischen Emigration den Weg in die Provinzen zu eroeffnen, ist +das erste Glied in der langen Kette dieser folgen- und segensreichen +Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser wunderbaren +politischen Konstellation Recht und Schuld, Glueck und Unglueck so +ineinander verschlungen, dass es hier sich wohl ziemen mag, was +der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen. +------------------------------------------- 8 Auf diesen Handel um den +Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des Attalischen Reiches +von Manius Aquillius den Koenigen von Bithynien und von Pontos zu Kauf +geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward, bezieht +sich ein noch vorhandenes laengeres Redebruchstueck des Gracchus. +Er bemerkt darin, dass von den Senatoren keiner umsonst sich um die +oeffentlichen Angelegenheiten bekuemmere, und fuegt hinzu: in Beziehung +auf das in Rede stehende Gesetz (ueber die Verleihung Phrygiens an +Koenig Mithradates) teile der Senat sich in drei Klassen: solcher, +die dafuer seien, solcher, die dagegen seien, und solcher, die +stillschwiegen - die ersten seien bestochen von Koenig Mithradates, die +zweiten von Koenig Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn +diese liessen sich von den Gesandten beider Koenige bezahlen und +jede Partei glauben, dass in ihrem Interesse geschwiegen werde. +-------------------------------------------------------- Als Gracchus +die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet hatte, +legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die +Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Fuehrer der +demokratischen Partei darueber dachten, hatte sich sattsam gezeigt; +sie wuenschten natuerlich die moeglichste Ausdehnung des roemischen +Buergerrechts, nicht bloss, um die von den Latinern okkupierten Domaenen +zur Verteilung bringen zu koennen, sondern vor allem, um mit der +ungeheuren Masse der Neubuerger ihre Klientel zu verstaerken, um +die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten +Waehlerschaft immer vollstaendiger in ihre Gewalt zu bringen, +ueberhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der +republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor. +Allein hier stiessen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und +vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, +was sie verstand und nicht verstand, ihr souveraenes Ja gab; aus +dem einfachen Grunde, dass diesen Leuten das roemische Buergerrecht +sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei +sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz +und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionaere zu vermehren. Die +Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus +entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der +eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden +Fraktion der Buergerschaft als auch des ungeduldigen Draengens der +Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte +Gracchus, wahrscheinlich durch uebernommene Verpflichtungen gegen die +Bundesgenossen gedraengt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit +Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das frueher von ihm ohne Erfolg +beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat +uebernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle +Buerger-, den uebrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht +der Latiner zu gewaehren. Allein der Antrag stiess auf die vereinigte +Opposition des Senats und des hauptstaedtischen Poebels; welcher Art +diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus +der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Buergerschaft gegen den +Antrag hielt, zufaellig erhaltenes Bruchstueck. "So meint ihr also", +sprach der Optimat, "wenn ihr den Latinern das Buergerrecht +erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch kuenftig in der +Buergerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz +finden zu koennen? Glaubt ihr nicht vielmehr, dass jene Leute jeden +Fleck besetzen werden?" Bei der Buergerschaft des fuenften Jahrhunderts, +die an einem Tage allen Sabinern das Buergerrecht verlieh, haette ein +solcher Redner wohl moegen ausgezischt werden: die des siebenten fand +seine Gruende ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen +Preis der Assignation der latinischen Domaenen weitaus zu niedrig. Schon +dass der Senat es durchsetzte, die saemtlichen Nichtbuerger vor dem +entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu duerfen, zeigte +das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der +Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz +einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, dass Gracchus +nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des +Marcus Octavius zu bereiten. Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der +dem Senat den Mut gab, den Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen. +Die Angriffsmittel waren wesentlich dieselben, mit denen frueher +Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus' Macht ruhte auf der +Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunaechst auf dem letzteren, das +in diesem Kampf, in welchem militaerischer Rueckhalt beiderseits +nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es +war einleuchtend, dass der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem +Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen maechtig genug war; jeder +Versuch, die Getreidegesetze oder die neue Geschworenenordnung +anzugreifen, haette, in etwas plumperer oder etwas zivilisierterer +Form, zu einem Strassenkrawall gefuehrt, dem der Senat voellig wehrlos +gegenueberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, dass Gracchus +selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten +wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und dass sowohl die Maenner +der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Poebel sein +Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von +Gaius Gracchus. Gracchus' Institutionen standen, fuer den Augenblick +wenigstens, unerschuetterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner +eigenen Oberhauptschaft. Die Schwaeche dieser lag darin, dass in +Gracchus' Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein +Treuverhaeltnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle +anderen Elemente der Lebensfaehigkeit vorhanden waren, nur ein einziges +nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das +jeder Staat auf toenernen Fuessen steht. In der Verwerfung des Antrags, +die Latiner in den Buergerverband aufzunehmen, war es mit schneidender +Deutlichkeit zu Tage gekommen, dass die Menge in der Tat niemals fuer +Gracchus stimmte, sondern immer nur fuer sich; die Aristokratie entwarf +den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf seinem +eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von selbst, dass +der Senat dem Proletariat nicht bloss das gleiche bot, was Gracchus ihm +an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im Auftrag +des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den +Gracchischen Landempfaengern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre +Landlose fuer freies und veraeusserungsfaehiges Eigentum zu erklaeren; +ferner, statt in den ueberseeischen, das Proletariat zu versorgen +in zwoelf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu deren +Ausfuehrung das Volk die geeigneten Maenner ernennen moege; nur +Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische +Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen +Geschaeft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen +haetten, wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes +Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht +mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne +Verfuegungen des Drusus, wie die Bestimmung, dass dem latinischen +Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem +roemischen Offizier Stockpruegel sollten zuerkannt werden duerfen, die +allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner fuer andere +Verluste zu entschaedigen. Der Plan war nicht von den feinsten. +Die Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das +Bestreben, das schoene Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere +gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, +die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die +italischen Domaenen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn +man die gesamten, den Latinern ueberwiesenen konfiszierte -, das fuer +zwoelf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Buergerschaften +erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein moege, +endlich Drusus' Erklaerung, dass er mit der Ausfuehrung seines Gesetzes +nichts zu tun haben wolle, so verwuenscht gescheit, dass sie beinahe +herzlich albern war. Indes fuer das plumpe Wild, das man fangen wollte, +war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht +entscheidend, dass Gracchus, auf dessen persoenlichen Einfluss alles +ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete +und sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch +sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Haende +arbeitete. Das "Volk" ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso +bereitwillig wie frueher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem +neuesten Wohltaeter wie ueblich dadurch, dass es dem frueheren einen +maessigen Tritt versetzte und, als dieser sich fuer das Jahr 633 (121) +zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwaehlte; wobei +uebrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus frueher +beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach +die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter +Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloss im allgemeinen +gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius +der Mann, der als Praetor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die +Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am +wenigsten bedenklichen Haeupter der strengen Adelspartei, ein Mann +fest entschlossen, den gefaehrlichen Gegner bei erster Gelegenheit +zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hoerte +Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius +sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nuetzlichste und +die unpopulaerste Massregel des Gracchus, die Wiederherstellung von +Karthago. Hatte man bisher die ueberseeischen Kolonien nur mittelbar +durch die lockenderen italischen angegriffen, so wuehlten jetzt +afrikanische Hyaenen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und +die roemischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, dass solches +Wunder und Zeichen ausdruecklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der +gottverfluchten Staette. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen +gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausfuehrung der +Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung +derselben ernannten Maennern eben damals die Kolonisten auslas, erschien +an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Buergerschaft +berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu +bewirken. Gewalttaetigkeiten wuenschte er zu vermeiden, um den Gegnern +nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes +hatte er nicht wehren koennen, dass ein grosser Teil seiner Getreuen, +der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit +den Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der +ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Haendel kaum zu vermeiden. +In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius +Opimius das uebliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen +Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide in +der Hand, die "schlechten Buerger" an, die Halle zu raeumen, und +schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger +Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstiess. Es entstand +ein furchtbarer Laerm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen +und die Urheberschaft der gotteslaesterlichen Mordtat von sich +abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund +mehr, indem er, ohne dessen in dem Getuemmel gewahr zu werden, +einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein +verschollenes Statut aus der Zeit des alten Staendehaders die schwerste +Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Massregeln, +um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die +Vorgaenge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand +zu unterdruecken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel +am Markte; mit dem fruehesten Morgen fuellte das Kapitol sich mit +kretischen Bogenschuetzen, Rathaus und Markt mit den Maennern der +Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhaengigen Fraktion der +Ritterschaft, welche auf Geheiss des Konsuls saemtlich bewaffnet und +jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es +fehlte keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwuerdige, hochbejahrte +und der Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert +erschienen. Ein tuechtiger und in den spanischen Kriegen erprobter +Offizier, Decimus Brutus, uebernahm das Kommando der bewaffneten +Macht; der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche +des Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam +ueberrascht, erschien in Masse an der Tuer, um die Leiche in Augenschein +zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurueck, um das weitere zu +beschliessen. Die Fuehrer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre +Haeuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum +Strassenkrieg zu ruesten, waehrend Gracchus es zu verschmaehen schien, +mit dem Verhaengnis zu kaempfen. Als man am andern Morgen die auf dem +Kapitol und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben +beide sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den +Kaempfen der Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging +Gracchus dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte +sich im Tempel der Diana, waehrend er zugleich seinen juengeren Sohn +Quintus in das feindliche Lager sandte, um womoeglich einen Vergleich +zu vermitteln. Dieser kam zurueck mit der Meldung, dass die Aristokratie +unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des +Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen +Verletzung der tribunizischen Majestaet sich zu verantworten. Gracchus +wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und +wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwaechlichen +Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der +beiden vorgeladenen Fuehrer bloss der junge Quintus Flaccus abermals +sich einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu +stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung; +er liess den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den +Aventin, indem er zugleich in den Strassen ausrufen liess, dass dem, der +das Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe +buchstaeblich mit Gold aufwiegen werde, sowie dass sie jedem, der +vor dem Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit +gewaehrleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der +tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstuermte den +fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist +geringe Leute. Marcus Flaccus fluechtete mit seinem aeltesten Sohn in +ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden. +Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva +zurueckgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als +sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor, +womoeglich sich fuer bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus liess sich +bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu +entkommen; allein den Berg hinabeilend stuerzte er und verstauchte +sich den Fuss. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden +Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin, +Publius Laetorius auf der Tiberbruecke, da wo einst Horatius Cocles +allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern +sich entgegen und liessen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur +von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer +des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man spaeter die beiden Leichen; +es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber +den Tod gegeben. Die Koepfe der beiden gefallenen Fuehrer wurden der +Regierung, wie befohlen, eingehaendigt, auch dem Ueberbringer des Kopfes +des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene +Preis und darueber ausgezahlt, dagegen die Moerder des Flaccus, geringe +Leute, mit leeren Haenden fortgeschickt. Die Koerper der Getoeteten +wurden in den Fluss geworfen, die Haeuser der Fuehrer zur Pluenderung +der Menge preisgegeben. Gegen die Anhaenger des Gracchus begann der +Prozesskrieg im grossartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker +aufgeknuepft worden sein, unter ihnen der achtzehnjaehrige Quintus +Flaccus, der an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner +Jugend und seiner Liebenswuerdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem +Freiplatz unter dem Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem +Frieden von Camillus geweihte Altar und andere, bei aehnlichen +Veranlassungen errichtete Heiligtuemer der Eintracht sich befanden, +wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermoegen der +getoeteten oder verurteilten Hochverraeter, das bis auf die Mitgift +ihrer Frauen hin konfisziert ward, nach Beschluss des Senats von dem +Konsul Lucius Opimius ein neuer glaenzender Tempel der Eintracht mit +dazugehoeriger Halle errichtet - allerdings war es zeitgemaess, die +Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und eine neue zu inaugurieren +ueber den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama, die nun alle, +zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der +juengste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution +verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell +geaechtet; nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den +Tod ihres letzten Sohnes anlegen. Allein die leidenschaftliche +Anhaenglichkeit, die gar viele im Leben fuer die beiden edlen Brueder +und vornehmlich fuer Gaius empfunden hatten, zeigte sich in ruehrender +Weise auch nach ihrem Tode in der fast religioesen Verehrung, die die +Menge ihrem Andenken und an den Staetten, wo sie gefallen waren, allen +polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen. 4. Kapitel +Die Restaurationsherrschaft Das neue Gebaeude, das Gaius Gracchus +aufgefuehrt hatte, war mit seinem Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie +der seines Bruders zunaechst nichts als ein Akt der Rache; allein es war +doch zugleich ein sehr wesentlicher Schritt zur Restauration der alten +Verfassung, dass aus der Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu +begruenden, die Person des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle +um so mehr, weil nach der Katastrophe des Gaius und dem gruendlichen +Opimischen Blutgericht im Augenblick schlechterdings niemand vorhanden +war, der, sei es durch Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen +Staatsoberhaupt, sei es durch ueberwiegende Faehigkeit, auch nur zu +einem Versuch, den erledigten Platz einzunehmen, sich legitimiert +gefuehlt haette. Gaius war ohne Kinder aus der Welt gegangen, und auch +Tiberius' hinterlassener Knabe starb, bevor er zu seinen Jahren kam; die +ganze sogenannte Volkspartei war buchstaeblich ohne irgendeinen auch +nur namhaft zu machenden Fuehrer. Die Gracchische Verfassung glich einer +Festung ohne Kommandanten; Mauern und Besatzung waren unversehrt, aber +der Feldherr fehlte, und es war niemand vorhanden, der an den leeren +Platz sich haette setzen moegen als eben die gestuerzte Regierung. +So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus' erblosem Abgang stellte das +Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war +dies um so natuerlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich +formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden +Ausnahmehandlungen tatsaechlich zunichte gemacht worden war. Dennoch +wuerde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter +sehen wollte als ein Zurueckgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit +Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist +immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte +Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu +geruestet in dem Heerzeug der gestuerzten Tyrannis; wie der Senat den +Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so +fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stuecken mit der Verfassung der +Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner Zeit +wo nicht ganz zu beseitigen, doch gruendlich zu reinigen von den der +regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fuers erste +reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius +Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfuegungen aus +der Verbannung zurueck (633 121) und machte den Gracchanern den +Prozesskrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius +nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu +bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist +fuer den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die +Aristokratie an Gesinnungstuechtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst +Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und +noch kuerzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine +Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Ueberlaeufer; als gegen ihn +von den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, +liess ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden +Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So +erwiesen die Maenner der Reaktion in Personenfragen sich als lautere +Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der +Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung +griff die Reaktion zunaechst nicht an und schonte nicht bloss die +Kaufmannschaft und das hauptstaedtische Proletariat, sondern huldigte, +wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner +diesen Maechten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener, +als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloss, weil +die Gracchische Revolution in den Gemuetern der Zeitgenossen noch lange +nachzitterte und ihre Schoepfungen schuetzte: die Hegung und +Pflegung wenigstens der Poebelinteressen vertrug sich in der Tat aufs +vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es +ward dabei nichts weiter geopfert als bloss das gemeine Beste. Alle +diejenigen Massregeln, die von Gaius Gracchus zur Foerderung des +oeffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich +begreiflicherweise auch den unpopulaersten Teil seiner Gesetzgebung, +liess die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich +angegriffen wie der grossartigste seiner Entwuerfe: der Plan, zunaechst +die roemische Buergerschaft und Italien, sodann Italien und die +Provinzen rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied +zwischen bloss herrschenden und zehrenden und bloss dienenden und +arbeitenden Staatsangehoerigen weggeraeumt ward, zugleich durch die +umfassendste und systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, +die soziale Frage zu loesen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen +graemlichen Eigensinn der Altersschwaeche draengte die restaurierte +Oligarchie den Grundsatz der abgelebten Geschlechter, dass Italien +das herrschende Land und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben +muesse, der Gegenwart aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus +war die Zurueckweisung der italischen Bundesgenossen eine vollendete +Tatsache und war gegen den grossen Gedanken der ueberseeischen +Kolonisation ein sehr ernsthafter Angriff gerichtet worden, der die +naechste Ursache zu Gracchus' Untergang geworden war. Nach seinem Tode +wurde der Plan der Wiederherstellung Karthagos mit leichter Muehe von +der Regierungspartei beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon +verteilten Landlose den Empfaengern geblieben sind. Zwar dass der +demokratischen Partei auf einem andern Punkte eine aehnliche Gruendung +gelang, konnte sie nicht wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der +Alpen, welche Marcus Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre +636 (118) die Kolonie Narbo (Narbonne) begruendet, die aelteste +ueberseeische Buergerstadt im Roemischen Reiche, welche trotz vielfacher +Anfechtungen der Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung +derselben vom Senat gestellten Antrags dennoch, geschuetzt +wahrscheinlich durch die beteiligten kaufmaennischen Interessen, +dauernden Bestand gehabt hat. Indes abgesehen von dieser, in ihrer +Vereinzelung nicht sehr bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung, +die Landanweisung ausserhalb Italiens durchgaengig zu verhindern. +In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die +italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und, +soweit sie bereits zur Ausfuehrung gekommen waren, wieder aufgeloest; +nur die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, dass die +neue Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite +trat. Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domaenen +bereits verteilt war, blieb den Empfaengern; die darauf von Gracchus +im Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschraenkungen, Erbzins und +Veraeusserungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen +die noch nach Okkupationsrecht besessenen Domaenen, welche ausser dem +von den Latinern genutzten Domanialland zum groessten Teil bestanden +haben werden in dem gemaess des Gracchischen Maximum den Inhabern +gebliebenen Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten +definitiv zuzuwenden und auch die Moeglichkeit kuenftiger Aufteilung +abzuschneiden. Freilich waren es zunaechst diese Laendereien, aus denen +die 36000 von Drusus verheissenen neuen Bauernhufen haetten gebildet +werden sollen; allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter +dem Monde diese Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands +belegen sein moechten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen +Dienst getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine +Kolonie von Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus +zurueckgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats +der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre +635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester +Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstaedtischen Poebel zugute kam - +es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward: +noch weitergehende Vorschlaege, vielleicht eine Steigerung der +Getreidespenden, wehrte der verstaendige Volkstribun Gaius Marius ab. +Acht Jahre spaeter (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch +einen neuen Volksschluss ^1 das okkupierte Domanialland geradezu +umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen Okkupanten. +Man fuegte hinzu, dass in Zukunft Domanialland ueberhaupt nicht +okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide +offenstehen solle; fuer den letzteren Fall ward durch Feststellung +eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stueck Gross- und fuenfzig Stueck +Kleinvieh dafuer gesorgt, dass nicht der grosse Herdenbesitzer den +kleinen tatsaechlich ausschliesse - verstaendige Bestimmungen, in denen +die Schaedlichkeit des uebrigen laengst aufgegebenen Okkupationssystems +nachtraeglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst +getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine +Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die roemische Aristokratie +also fuer sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in +ihren Haenden war, sich in Eigentum umwandeln liess, beschwichtigte sie +zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, dass sie denselben +an dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie +genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh, +aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran +ungeschmaelert wahrte. Die Gegenpartei war in der ueblen Lage, dass in +den wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der +hauptstaedtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene +mit der roemischen Regierung eine Art Buendnis eingingen und gegen die +ausschweifenden Absichten mancher roemischen Demagogen bei dem +Senat Schutz suchten und fanden. +-------------------------------------------------------- ^1 Er ist +grossenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit dreihundert +Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen Ackergesetzes. +-------------------------------------------------------- Waehrend also +die restaurierte Regierung es sich angelegen sein liess, die Keime zum +Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden waren, gruendlich +auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen von Gracchus +erweckten feindlichen Maechten gegenueber vollstaendig ohnmaechtig. +Das hauptstaedtische Proletariat blieb bestehen in anerkannter +Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand liess der +Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwaertig auch dieses Joch +eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es waren +unwuerdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden nicht, +dass sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das +Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die +verfassungsmaessigen Beschraenkungen des Stimmrechts der Freigelassenen +einschaerfte, war fuer lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der +senatorischen Regierung, ihren Poebeltyrannen wieder zu baendigen. Der +Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einfuehrung +der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurueckgabe der Prozesse +an senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wuenschte, aber +auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domaenen +zu verschleudern, sondern einem einflussreichen Stande gegenueber eine +Massregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation +der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl +aber trugen diese Massregeln dazu bei, das niemals aufrichtige +Einverstaendnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und +dem Proletariat noch ferner zu trueben. Beide wussten sehr genau, dass +der Senat alle Zugestaendnisse nur aus Angst und widerwillig gewaehrte; +weder durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsruecksichten an die +Herrschaft des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit, +jedem anderen Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot, +dieselben Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine +Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte +die Restauration weiter mit den Wuenschen und Gesinnungen der legitimen +Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der +Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloss auf den gleichen Basen +wie die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch +schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Poebel im Bunde +zweckmaessige Institutionen umstiess, aber den Gassenbanden wie den +kaufmaennischen Interessen gegenueber vollkommen machtlos. Sie sass auf +dem erledigten Thron mit boesem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den +Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfaehig, auch nur +planmaessig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen ausser, wo der +eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die +eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der +klaeglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein +unuebertroffenes Ideal der Missregierung. +---------------------------------------------------- 2 Das zeigt, wie +bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend gemacht, dass bei +Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats genannt werde; allein +teils beweist dies nicht genug, teils passt, was daselbst erzaehlt wird, +schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres 648 (106), und es muss +hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder in den berichteten +Tatsachen. --------------------------------------------------- Es +konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem +und sittlichem Verfall, vor allem aber die hoechsten Staende. Die +Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht ueberreich +an Talenten und die Baenke des Senats vollgedraengt von feigem und +verlottertem adligen Gesindel; indes es sassen doch in demselben auch +Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus, +Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und faehige Maenner, und +wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, dass der Senat in +der Unrechtfertigkeit ein gewisses Mass und ein gewisses Dekorum in +dem Missregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestuerzt und +sodann wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der +Restauration. Hatte die Aristokratie frueher regiert schlecht und recht +und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fuehlbare Opposition, so +hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den +Abgrund gezeigt, der vor ihren Fuessen klaffte. War es ein Wunder, dass +fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment +der altadligen Herrenpartei bezeichnete? dass die Regierenden noch +unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die nichtregierende +Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? dass die +Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des +Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Soehne +und (wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer +einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen +berufene Leute, innerhalb fuenfzehn Jahren (631-645 123-109) saemtlich +zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten, +von den Schwiegersoehnen und so weiter zu schweigen? dass, je gewalt- +und grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war, +er desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder +Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? dass die Regierenden und die +Regierten nur darin nicht zwei kriegfuehrenden Parteien glichen, dass +in ihrem Krieg kein Voelkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich, +dass, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese +restaurierte es mit Skorpionen zuechtigte. Sie kam zurueck; aber sie kam +weder klueger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der roemischen +Aristokratie so vollstaendig an staatsmaennischen und militaerischen +Kapazitaeten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der +Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafuer ist der +Koryphaee der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus. +Der Sohn hochadliger, aber unvermoegender Eltern und darum genoetigt, +Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich +auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann +des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und +verewigte seinen Namen nicht bloss als Redner und Schriftsteller, +sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem +Jahrhundert ausgefuehrten Staatsbauten. Indes wenn man naeher zusieht, +laufen seine vielgefeierten Grosstaten darauf hinaus, dass er als +Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit +seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefaehr ebenso ernsthafte Siege +ueber den revolutionaeren Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent +indes darin bestand, ganz ebenso zugaenglich und bestechlich zu sein +wie jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den +Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und vor +allem durch seine vornehme und ehrwuerdige Erscheinung vor dem Publikum +den Fabricius zu agieren. In militaerischer Hinsicht finden sich zwar +einige ehrenvolle Ausnahmen tuechtiger Offiziere aus den hoechsten +Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, dass die vornehmen Herren, +wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten, schleunigst aus +den griechischen Kriegshandbuechern und den roemischen Annalen +zusammenlasen, was noetig war, um einen militaerischen Diskurs zu +fuehren und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando +einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Faehigkeit und erprobter +Bescheidenheit uebergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor +der Senat einer Versammlung von Koenigen glich, so spielten diese +ihre Nachfahren nicht uebel die Prinzen. Aber der Unfaehigkeit dieser +restaurierten Adligen hielt voellig die Waage ihre politische und +sittliche Nichtswuerdigkeit. Wenn nicht die religioesen Zustaende, auf +die zurueckzukommen sein wird, von der wuesten Zerfahrenheit dieser +Zeit ein treues Spiegelbild boeten und ebenso die aeussere Geschichte +in dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des roemischen Adels +als einen ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so wuerden die +entsetzlichsten Verbrechen, die in den hoechsten Kreisen Roms Schlag +auf Schlag zum Vorschein kamen, allein denselben hinreichend +charakterisieren. Die Verwaltung war nach innen und nach aussen, was +sie sein konnte unter einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens +griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie +das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen, +und in ihrem neuen Uebermut das Austreiben derselben immer haeufiger +sich selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die +Regentropfen im Meer. Wie mit der politischen die oekonomische +Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Aeusserung, die ein +gemaessigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) +tat, dass es in der ganzen Buergerschaft kaum 2000 vermoegende +Familien gebe. Den praktischen Kommentar dazu lieferten abermals die +Sklavenaufstaende, welche in den ersten Jahren des Kimbrischen Krieges +alljaehrlich in Italien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet +von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, dass +gegen sie der staedtische Praetor mit seiner Legion hatte marschieren +muessen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch +tueckischen Verrat der Insurrektion Herr geworden war. Auch das war +eine bedenkliche Erscheinung, dass an der Spitze derselben kein Sklave +gestanden hatte, sondern der roemische Ritter Titus Vettius, den seine +Schulden zu dem wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven +frei und sich zu ihrem Koenig zu erklaeren (650 104). Wie gefaehrlich +die Anhaeufung der Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien, +beweisen die Vorsichtsmassregeln hinsichtlich der Goldwaeschereien von +Victumulae, die seit 611 (143) fuer Rechnung der roemischen Regierung +betrieben wurden: die Paechter wurden zuerst verpflichtet, nicht ueber +5000 Arbeiter anzustellen, spaeter der Betrieb durch Senatsbeschluss +gaenzlich eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwaertigen war +in der Tat alles zu fuerchten, wenn, wie dies sehr moeglich war, +ein Heer von Transalpinern in Italien eindrang und die grossenteils +stammverwandten Sklaven zu den Waffen rief. Verhaeltnismaessig mehr +noch litten die Provinzen. Man versuche sich vorzustellen, wie es in +Ostindien aussehen wuerde, wenn die englische Aristokratie waere, was in +jener Zeit die roemische war, und man wird eine Vorstellung der Lage von +Sizilien und Asia haben. Die Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft +die Kontrolle der Beamten uebertrug, noetigte diese, gewissermassen +gemeinschaftliche Sache mit jener zu machen und durch unbedingte +Nachgiebigkeit gegen die Kapitalisten in den Provinzen sich +unbeschraenkte Pluenderungsfreiheit und Schutz vor der Anklage zu +erkaufen. Neben diesen offiziell und halboffiziell angestellten Raeubern +pluenderten Land- und Seepiraten die saemtlichen Landschaften des +Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen Gewaessern trieben die +Flibustier es so arg, dass selbst die roemische Regierung sich genoetigt +sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den Schiffen der abhaengigen +Kaufstaedte gebildete Flotte unter dem mit prokonsularischer Gewalt +bekleideten Praetor Marcus Antonius nach Kilikien zu entsenden. Diese +brachte nicht bloss eine Anzahl Korsarenschiffe auf und nahm einige +Felsennester aus, sondern die Roemer richteten hier sich sogar fuer die +Dauer ein und besetzten zur Unterdrueckung des Seeraubs in dem Hauptsitz +desselben, dem rauhen oder westlichen Kilikien, feste militaerische +Positionen, was der Anfang war zur Einrichtung der seitdem unter den +roemischen Aemtern erscheinenden Provinz Kilikien 3. Die Absicht war +loeblich und der Plan an sich zweckmaessig entworfen; nur bewies +leider der Fortbestand und die Steigerung des Korsarenunwesens in den +asiatischen Gewaessern und speziell in Kilikien, mit wie unzulaenglichen +Mitteln man von der neu genommenen Stellung aus die Piraterie +bekaempfte. ----------------------------------------------------- 3 +Vielfaeltig wird angenommen, dass die Einrichtung der Provinz Kilikien +erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676 +f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla +(App. Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus +Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach +nichts uebrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652 +(102) zu setzen. Hierfuer spricht ferner, dass in dieser Zeit die +Zuege der Roemer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen, +ligurischen, dalmatischen, regelmaessig gerichtet erscheinen auf +Besetzung der Kuestenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natuerlich, +denn da die Roemer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel, +dem Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Kuesten. Uebrigens ist +daran zu erinnern, dass der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz +der Landschaft in sich schliesst, sondern an sich nichts ist als ein +selbstaendiges militaerisches Kommando; es ist sehr moeglich, dass die +Roemer zunaechst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station +fuer Schiffe und Mannschaft. Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den +Krieg gegen Tigranes bei dem Syrischen Reich (App. Syr. 48); die +ehemals zu Kilikien gerechneten Landschaften noerdlich des Tauros, das +sogenannte kappadokische Kilikien und Kataonien gehoerten jenes seit +der Aufloesung des Attalischen Reiches (Iust. 37, 1; oben S. 62), +dieses wohl schon seit dem Frieden mit Antiochos zu Kappadokien. +---------------------------------------------------- Aber nirgends kam +die Ohnmacht und die Verkehrtheit der roemischen Provinzialverwaltung +in so nackter Bloesse zu Tage wie in den Insurrektionen des +Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der Aristokratie +zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein schienen. +Jene aus Aufstaenden zu Kriegen anschwellenden Schilderhebungen +der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134) als eine und +vielleicht die naechste Ursache der Gracchischen Revolution aufgetreten +waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger Einfoermigkeit. Wieder +gaerte es wie dreissig Jahre zuvor in der gesamten Sklavenschaft im +Roemischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen ward schon gedacht. +In den attischen Silberbergwerken standen die Grubenarbeiter auf, +besetzten das Vorgebirge Sunion und pluenderten laengere Zeit hindurch +von dort aus die Umgegend; an anderen Orten zeigten sich aehnliche +Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz dieser fuerchterlichen +Vorgaenge Sizilien mit seinen Plantagen und den dort zusammenstroemenden +kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist charakteristisch fuer die +Groesse des Uebels, dass ein Versuch der Regierung, den schlimmsten +Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu steuern, die naechste Ursache +der neuen Insurrektion ward. Dass die freien Proletarier in Sizilien +wenig besser daran waren als die Sklavenschaft, hatte schon ihr +Verhalten zu dem ersten Aufstand gezeigt; nach der Besiegung desselben +nahmen die roemischen Spekulanten ihre Revanche und steckten die freien +Provinzialen massenweise unter die Sklavenschaften ein. Infolge einer +hiergegen im Jahre 650 (204) vom Senat erlassenen scharfen Verfuegung +setzte der damalige Statthalter von Sizilien, Publius Licinius Nerva, +in Syrakus ein Freiheitsgericht nieder, das in der Tat mit Ernst +durchgriff; in kurzer Zeit war in achthundert Prozessen gegen die +Sklavenbesitzer entschieden und die Zahl der anhaengig gemachten Sachen +immer noch im Steigen. Die erschreckten Plantagenbesitzer stuermten +nach Syrakus, um von dem roemischen Statthalter die Sistierung solcher +unerhoerten Rechtspflege zu erzwingen; Nerva war schwach genug, sich +terrorisieren zu lassen und die prozessbittenden Unfreien mit barschen +Worten anzuweisen, dass sie sich des laestigen Verlangens von Recht und +Gerechtigkeit zu begeben und augenblicklich zu denen zurueckzukehren +haetten, die sich ihre Herren nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt +dessen sich zusammen und gingen in die Berge. Der Statthalter war auf +militaerische Massregeln nicht gefasst und selbst der elende Landsturm +der Insel nicht sogleich zur Hand; weshalb er ein Buendnis abschloss +mit einem der bekanntesten Raeuberhauptleute auf der Insel und durch das +Versprechen eigener Begnadigung ihn bewog, die aufstaendischen Sklaven +durch Verrat den Roemern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward +man also Herr. Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang +es, dafuer eine Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu +schlagen, und dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie +vor allem bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergeraet der gefallenen +und fluechtigen Gegner gab die erste Grundlage fuer ihre militaerische +Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende +angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren +Vorgaengern, sich nicht unwuerdig, von Koenigen regiert zu werden wie +ihre Landsleute daheim und - den Lumpenkoenig der Heimat bis auf den +Namen parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als +Koenig Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), +wo diese Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den +Haenden der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Staedte schon +von ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen +und italischen Scharen der roemische Statthalter das Sklavenheer vor +Morgantia ueberfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die +Sklaven, obwohl ueberrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam, +wich der Landsturm der Insel nicht bloss beim ersten Anprall, sondern, +da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen +liessen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit, +ihren Abschied zu nehmen, und das roemische Heer lief vollstaendig +auseinander. Haetten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den +Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren; +sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmaessig die Freiheit +geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt +retten, worauf sodann der roemische Statthalter das den Sklaven von +den Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich +erzwungen von Rechts wegen kassierte. Waehrend also im Innern der Insel +der Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter aus +auf der Westkueste. An der Spitze stand hier Athenion. Er war, eben +wie Kleon, einst ein gefuerchteter Raeuberhauptmann in seiner Heimat +Kilikien gewesen und von dort als Sklave nach Sizilien gefuehrt worden. +Ganz wie seine Vorgaenger versicherte er sich der Gemueter der Griechen +und Syrer vor allem durch Prophezeiungen und anderen erbaulichen +Schwindel; aber kriegskundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er +nicht, wie die uebrigen Fuehrer, die ganze Masse der ihm zustroemenden +Leute, sondern bildete aus den kriegstuechtigen Mannschaften ein +organisiertes Heer, waehrend er die Masse zu friedlicher Beschaeftigung +anwies. Bei der strengen Mannszucht, die in seinen Truppen jedes +Schwanken und jede unbotmaessige Regung niederhielt, und der milden +Behandlung der friedlichen Landbewohner und selbst der Gefangenen errang +er rasche und grosse Erfolge. Die Hoffnung, dass die beiden Fuehrer sich +veruneinigen wuerden, schlug den Roemern auch diesmal fehl; freiwillig +fuegte sich Athenion dem weit minder faehigen Koenig Tryphon und erhielt +damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten diese so +gut wie unumschraenkt auf dem platten Lande, wo die freien Proletarier +wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven hielten; die roemischen +Behoerden waren nicht imstande, gegen sie das Feld zu nehmen, +und mussten sich begnuegen, mit dem sizilischen und dem eiligst +herangezogenen afrikanischen Landsturm die Staedte zu schuetzen, welche +sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die Rechtspflege +stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das Faustrecht. Da +kein Ackerbuerger sich mehr vor das Tor, kein Landmann sich in die Stadt +wagte, brach die fuerchterlichste Hungersnot herein, und die staedtische +Bevoelkerung dieser sonst Italien ernaehrenden Insel musste von den +roemischen Behoerden mit Getreidesendungen unterstuetzt werden. Dazu +drohten ueberall im Innern die Verschwoerungen der Stadtsklaven und vor +den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Messana um ein Haar von +Athenion erobert worden waere. So schwer es der Regierung fiel, waehrend +des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen, +sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 (103) ein Heer von 14000 +Roemern und Italikern, umgerechnet die ueberseeischen Milizen, unter +dem Praetor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das vereinigte +Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und nahm die Schlacht +an, die Lucullus anbot. Die bessere militaerische Organisation gab den +Roemern den Sieg: Athenion blieb fuer tot auf der Walstatt, Tryphon +musste sich in die Bergfestung Triokala werfen; die Insurgenten berieten +ernstlich, ob es moeglich sei, den Kampf laenger fortzusetzen. Indes +die Partei, die entschlossen war, auszuharren bis auf den letzten Mann, +behielt die Oberhand; Athenion, der in wunderbarer Weise gerettet worden +war, trat wieder unter die Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor +allem aber tat Lucullus unbegreiflicherweise nicht das geringste, +um seinen Sieg zu verfolgen, ja er soll absichtlich die Armee +desorganisiert und sein Feldgeraet verbrannt haben, um die gaenzliche +Erfolglosigkeit seiner Amtsfuehrung zu bedecken und von seinem +Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu werden. Mag dies wahr sein oder +nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius (652 102) erlangte nicht bessere +Resultate, und beide Generale sind spaeter ihrer Amtsfuehrung wegen +kriminell belangt und verurteilt worden, was freilich auch durchaus kein +sicherer Beweis fuer ihre Schuld ist. Athenion, der nach Tryphons Tode +(652 102) den Oberbefehl allein uebernommen hatte, stand siegreich an +der Spitze eines ansehnlichen Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius +Aquillius, der das Jahr zuvor unter Marius im Teutonenkriege sich +ausgezeichnet hatte, als Konsul und Statthalter die Fuehrung des Krieges +uebernahm. Nach zweijaehrigen harten Kaempfen - Aquillius soll mit +Athenion persoenlich gefochten und ihn im Zweikampf getoetet haben - +schlug der roemische Feldherr endlich die verzweifelte Gegenwehr nieder +und ueberwand die Insurgenten in ihren letzten Schlupfwinkeln durch +Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde das Waffentragen untersagt und +der Friede zog wieder auf ihr ein, das heisst die neuen Peiniger wurden +abgeloest von den altgewohnten; wie denn namentlich der Sieger selbst +unter den zahlreichen und energischen Raeuberbeamten dieser Zeit eine +hervorragende Stelle einnimmt. Fuer wen es aber noch eines Beweises +bedurfte, wie das Regiment der restaurierten Aristokratie im Innern +beschaffen war, den konnte man auf die Entstehung wie auf die Fuehrung +dieses zweiten fuenfjaehrigen Sizilischen Sklavenkrieges verweisen. +Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der roemischen +Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen hervor. +Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung auch nur +der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, gewachsen war, +so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, wie man jetzt in +Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der +Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten +Welt das Schauspiel aufgefuehrt, dass gegen die gewaltige Republik, die +die Koenigreiche Makedonien und Asien mit einem Schlag ihres schweren +Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender Klientelfuerst nicht +mittels Waffen, sondern mittels der Erbaermlichkeit ihrer regierenden +Herren eine vierzehnjaehrige Usurpation und Insurrektion durchzufuehren +vermochte. Das Koenigreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich +aus bis an die Grosse Syrte, so dass es einerseits grenzte an das +Mauretanische Reich von Tingis (das heutige Marokko), andererseits +an Kyrene und Aegypten, und den schmalen Kuestenstrich der roemischen +Provinz Africa westlich, suedlich und oestlich umschloss; es umfasste +ausser den alten Besitzungen der numidischen Haeuptlinge den bei weitem +groessten Teil desjenigen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten +seiner Bluete in Afrika besessen hatte, darunter mehrere bedeutende +altphoenikische Staedte wie Hippo regius (Bona) und Gross-Leptis +(Lebidah), ueberhaupt den groessten und besten Teil des reichen +nordafrikanischen Kuestenlandes. Naechst Aegypten war ohne Frage +Numidien der ansehnlichste unter allen roemischen Klientelstaaten. Nach +Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter dessen drei Soehne, die +Koenige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die vaeterliche Herrschaft in +der Art geteilt, dass der erstgeborene die Residenz und die Staatskasse, +der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit uebernahm. Jetzt +regierte nach dem Tode seiner beiden Brueder wieder allein Massinissas +aeltester Sohn Micipsa 4, ein schwacher, friedlicher Greis, der lieber +als mit Staatsangelegenheiten sich mit dem Studium der griechischen +Philosophie beschaeftigte. Da seine Soehne noch nicht erwachsen waren, +fuehrte tatsaechlich die Zuegel der Regierung ein illegitimer Neffe +des Koenigs, der Prinz Jugurtha. Jugurtha war kein unwuerdiger Enkel +Massinissas. Er war ein schoener Mann und ein gewandter und mutiger +Reiter und Jaeger; seine Landsleute hielten den klaren und einsichtigen +Verwalter in hohen Ehren, und seine militaerische Brauchbarkeit hatte er +als Fuehrer des numidischen Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen +erwiesen. Seine Stellung im Koenigreich und der Einfluss, dessen er +durch seine zahlreichen Freunde und Kriegskameraden bei der roemischen +Regierung genoss, liessen es Koenig Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu +adoptieren (634 120) und in seinem Testament zu verordnen, dass des +Koenigs beide aelteste leibliche Soehne Adherbal und Hiempsal und sein +Adoptivsohn Jugurtha selbdritt, ebenso wie er selbst mit seinen beiden +Bruedern, zu gesamter Hand das Reich erben und regieren sollten. Zu +groesserer Sicherheit wurde diese Verfuegung unter die Garantie der +roemischen Regierung gestellt. Bald nachher, im Jahre 636 (118) starb +Koenig Micipsa. Das Testament trat in Kraft; allein die beiden Soehne +Micipsas, mehr noch als der schwache aeltere Bruder der heftige +Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den sie als Eindringling in +die legitime Erbfolge ansahen, so heftig zusammen, dass der Gedanke +an eine Gesamtregierung der drei Koenige aufgegeben werden musste. Man +versuchte eine Realteilung durchzufuehren; allein die hadernden Koenige +vermochten ueber die Landes- und Schatzquoten sich nicht zu einigen, +und die Schutzmacht, der hier von Rechts wegen das entscheidende Wort +zustand, bekuemmerte wie gewoehnlich um diese Angelegenheit sich nicht. +Es kam zum Bruch; Adherbal und Hiempsal mochten das Testament des +Vaters als erschlichen bezeichnen und Jugurthas Miterbrecht ueberhaupt +bestreiten, wogegen Jugurtha auftrat als Praetendent auf das gesamte +Koenigreich. Noch waehrend der Verhandlungen ueber die Teilung ward +Hiempsal durch gedungene Meuchelmoerder aus dem Wege geschafft; zwischen +Adherbal und Jugurtha kam es zum Buergerkriege, in dem ganz Numidien +Partei nahm. Mit seinen minder zahlreichen, aber besser geuebten und +besser gefuehrten Truppen siegte Jugurtha und bemaechtigte sich des +gesamten Reichsgebiets unter den grausamsten Verfolgungen gegen die +seinem Vetter anhaengenden Haeupter. Adherbal rettete sich nach der +roemischen Provinz und ging von da nach Rom, um dort Klage zu fuehren. +Jugurtha hatte es erwartet und sich darauf eingerichtet, der drohenden +Intervention zu begegnen. Er hatte im Lager von Numantia noch mehr +von Rom kennengelernt als die roemische Taktik: der numidische Prinz, +eingefuehrt in die Kreise der roemischen Aristokraten, war zugleich +eingeweiht worden in die roemischen Koterieintrigen und hatte an der +Quelle studiert, was man roemischen Adligen zumuten koenne; +schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte er illoyale +Unterhandlungen ueber die numidische Erbfolge mit vornehmen roemischen +Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich erinnern muessen, +dass es fremden Prinzen anstaendiger sei, mit dem roemischen Staat als +mit einzelnen roemischen Buergern Freundschaft zu halten. Jugurthas +Gesandte erschienen in Rom, nicht bloss mit Worten ausgeruestet; dass +sie die richtigen diplomatischen Ueberzeugungsmittel gewaehlt hatten, +bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von Adherbals gutem Recht +ueberzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich davon, dass Hiempsal +seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen umgebracht worden +und dass der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha sei, sondern +Adherbal. Selbst die leitenden Maenner im Senat erschraken vor dem +Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der Senat +ueberging das Geschehene mit Stillschweigen und verfuegte, dass die +beiden ueberlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen +erhalten und zur Verhuetung neuen Haders die Teilung durch eine +Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular +Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der +Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn fuer seinen +Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission +stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und nicht +zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta (Constantine) +mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an Adherbal, allein +eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwuesten bestehende oestliche +Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare und bevoelkerte +Westhaelfte (das spaetere Sitifensische und Caesariensische Mauretanien) +zu teil. ---------------------------------------------- 4 Der Stammbaum +der numidischen Fuersten ist folgender: + +---------------------------------------------- Es war arg; bald kam es +noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der Verteidigung Adherbal +um seine Haelfte bringen zu koennen, reizte Jugurtha denselben zum +Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen +gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen liess +und sich begnuegte, in Rom Beschwerde zu fuehren, begann Jugurtha, +ungeduldig ueber diese Weitlaeufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg. +In der Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollstaendig +geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Waehrend die +Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen mit den in Cirta +zahlreich ansaessigen und bei der Verteidigung der Stadt lebhafter +als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern taeglich sich +herumschlugen, erschien die von dem roemischen Senat auf Adherbals +erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natuerlich junge unerfahrene +Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewoehnlichen Staatssendungen +regelmaessig verwandte. Die Gesandten verlangten, dass Jugurtha sie +als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse, +ueberhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme. +Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen schleunigst +heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Vaeter der Stadt zu +berichten. Die Vaeter hoerten den Bericht an und liessen ihre Landsleute +in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst als +im fuenften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die +Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des +Koenigs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte +derselbe sich auf und fasste wirklich einen Beschluss - nicht etwa den +Krieg zu erklaeren, wie die Minoritaet es verlangte, sondern eine neue +Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an +der Spitze, dem grossen Bezwinger der Taurisker und der Freigelassenen, +dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen blosses Erscheinen +genuegen werde, den ungehorsamen Koenig auf andere Gedanken zu bringen. +In der Tat erschien Jugurtha, wie geheissen, in Utica, um mit Scaurus zu +verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die Konferenz +geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die +Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklaert zu haben, nach Rom zurueck +und der Koenig wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah +sich aufs Aeusserste gebracht und verzweifelte an der roemischen +Unterstuetzung; die Italiker in Cirta, der Belagerung muede und fuer +ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem roemischen +Namen, draengten ueberdies zur Uebergabe. So kapitulierte die Stadt. +Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern +hinzurichten, die saemtliche erwachsene maennliche Bevoelkerung der +Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, ueber die Klinge springen zu lassen +(642 112). Ein Schrei der Entruestung ging durch ganz Italien. Die +Minoritaet des Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten +einmuetig diese Regierung, fuer die die Ehre und das Interesse des +Landes nichts zu sein schienen als verkaeufliche Artikel; am lautesten +die Kaufmannschaft, die durch die Hinopferung der roemischen und +italischen Kaufleute in Cirta am naechsten getroffen worden war. +Die Majoritaet des Senats straeubte sich zwar auch jetzt noch; sie +appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle +Hebel der kollegialischen Geschaeftsverschleppung in Bewegung, um den +lieben Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der fuer 643 (111) +gewaehlte Volkstribun Gaius Memmius, ein taetiger und beredter Mann, +sofort nach Antritt seines Amtes den Handel oeffentlich zur Sprache +brachte und die schlimmsten Suender zu gerichtlicher Verantwortung +ziehen zu wollen drohte, liess der Senat es geschehen, dass der Krieg +an Jugurtha erklaert ward (642/43 112/11). Es schien ernst zu werden. +Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus Italien +ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter +seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Taetigkeit sich +auszeichnete, betrieb die Ruestungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst +uebernahm eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer +Zeit stand ein roemisches Heer auf afrikanischem Boden und rueckte, +am Bagradas (Medscherda) hinaufmarschierend, ein in das Numidische +Koenigreich, wo die vor dem Sitz der koeniglichen Macht entlegensten +Staedte, wie Gross-Leptis, bereits freiwillig ihre Unterwerfung +einsandten, waehrend Koenig Bocchus von Mauretanien, obwohl seine +Tochter mit Jugurtha vermaehlt war, doch den Roemern Freundschaft und +Buendnis antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das +roemische Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des +Kampfes schien nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag +mit Koenig Bocchus scheiterte daran, dass der Koenig, unbekannt mit +den roemischen Sitten, diesen den Roemern vorteilhaften Vertrag umsonst +abschliessen zu koennen gemeint und deshalb versaeumt hatte, seinen +Boten den marktgaengigen Preis roemischer Buendnisse mitzugeben. +Jugurtha kannte allerdings die roemischen Institutionen besser und hatte +nicht versaeumt, seine Waffenstillstandsantraege durch die gehoerigen +Begleitgelder zu unterstuetzen; indes auch er hatte sich getaeuscht. +Nach den ersten Verhandlungen ergab es sich, dass im roemischen +Hauptquartier nicht bloss der Waffenstillstand feil sei, sondern auch +der Friede. Die koenigliche Schatzkammer war noch von Massinissas +Zeiten her wohl gefuellt; rasch war man handelseinig. Der Vertrag ward +abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt +und nach einer unordentlichen und moeglichst summarischen Verhandlung +dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade +und Ungnade; der Sieger aber uebte Gnade und gab dem Koenig sein Reich +ungeschmaelert zurueck gegen eine maessige Busse und die Auslieferung +der roemischen Oberlaeufer und der Kriegselefanten (643 111), welche +letztere der Koenig grossenteils spaeter wiedereinhandelte durch +Vertraege mit den einzelnen roemischen Platzkommandanten und Offizieren. +Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt +wusste, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war +zu haben, nur um einen hoeheren als den gemeinen senatorischen +Durchschnittspreis. Die Rechtsbestaendigkeit des Friedens ward im Senat +ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklaerte, dass der Koenig, wenn er +wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern koenne, in +Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen moege, um hinsichtlich +der durchaus irregulaeren Friedensverhandlungen durch Vernehmung der +beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fuegte +sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der Koenig nicht +als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich +sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der Koenig in der Tat in +Rom und stellte sich zum Verhoer vor dem versammelten Volke, das muehsam +bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Moerder der +cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreissen. Allein kaum +hatte Gaius Memmius die erste Frage an den Koenig gerichtet, als einer +seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Koenige befahl zu +schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold maechtiger als der +Wille des souveraenen Volkes und seiner hoechsten Beamten. Inzwischen +gingen im Senat die Verhandlungen ueber die Gueltigkeit des soeben +abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius +Albinus nahm eifrig Partei fuer den Antrag, denselben zu kassieren, in +der Aussicht, dass dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde. +Dies veranlasste einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva, +seine Ansprueche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat +geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Koenigs +Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen Auftrag, +meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafuer der Prozess +gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den +Augen der roemischen Regierung veruebte Verbrechen bewirkte wenigstens +so viel, dass der Senat nun den Frieden kassierte und den Koenig aus der +Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und +der Konsul Spurius Albinus uebernahm den Oberbefehl (644 110). Allein +das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab +in derjenigen Zerruettung, wie sie einer solchen politischen und +militaerischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloss von Disziplin war +die Rede nicht mehr und die Pluenderung der numidischen Ortschaften, +ja des roemischen Provinzialgebiets waehrend der Waffenruhe das +Hauptgeschaeft der roemischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch +nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche +Einverstaendnisse angeknuepft mit dem Feinde. Dass ein solches Heer im +Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch +diesmal vom roemischen Obergeneral die Untaetigkeit kaufte, wie dies +spaeter gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er +wahrlich ein uebriges. Spurius Albinus also begnuegte sich damit, nichts +zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch +den Oberbefehl uebernahm, der ebenso tolldreiste als unfaehige Aulus +Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kuehnen +Handstreich sich der Schaetze des Koenigs zu bemaechtigen, die in der +schwer zugaenglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (spaeter +Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und +erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und aussichtslos, +und als der Koenig, der eine Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt +gestanden, in die Wueste ging, zog der roemische Feldherr es vor, ihn +zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen +naechtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und +Jugurthas Einverstaendnisse in der roemischen Armee zusammenwirkten, +eroberten die Numidier das roemische Lager und trieben die grossenteils +waffenlosen Roemer in der vollstaendigsten und schimpflichsten Flucht +vor sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug +des roemischen Heeres unter dem Joch, sofortige Raeumung des +ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten +Buendnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Roemern angenommen +wurden (Anfang 645 109). Dies war denn doch zu arg. Waehrend die +Afrikaner jubelten und die ploetzlich eroeffnende Aussicht auf den +kaum noch fuer moeglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche +Staemme der freien und halbfreien Wuestenbewohner unter die Fahnen des +siegreichen Koenigs fuehrte, brauste in Italien die oeffentliche +Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche +Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozesssturm, der, +genaehrt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von +Opfern aus den hoechsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag +des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der schuechternen +Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine ausserordentliche +Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des in der numidischen +Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und ihre Wahlsprueche +sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius +Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der ersten afrikanischen +Kommission und nebenbei den Henker des Gaius Gracchus, ausserdem +zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige Maenner +der Regierungspartei in die Verbannung. Dass indes diese Prozesse +einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten +kompromittierten Personen die aufgeregte oeffentliche Meinung namentlich +der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und dass dabei von einer +Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose Regiment selbst +nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr deutlich die Tatsache, +dass an den schuldigsten unter den Schuldigen, an den klugen und +maechtigen Scaurus nicht bloss niemand sich wagte, sondern dass er +eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der +Vorstaende der ausserordentlichen Hochverratskommission erwaehlt ward. +Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre +Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat ueberlassen, dem +numidischen Skandal in der fuer die Aristokratie moeglichst gelinden +Weise ein Ende zu machen; denn dass dies an der Zeit war, mochte wohl +selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen. Der Senat kassierte +zunaechst auch den zweiten Friedensvertrag - den Oberbefehlshaber, der +ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch vor dreissig +Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der Heiligkeit +der Vertraege nicht ferner noetig -, und die Erneuerung des Krieges ward +diesmal allen Ernstes beschlossen. Man uebergab den Oberbefehl in Afrika +zwar wie natuerlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen +vornehmen Maenner, die militaerisch und sittlich der Aufgabe gewachsen +waren. Die Wahl fiel auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze +maechtige Familie, der er angehoerte, seinen Grundsaetzen nach ein +starrer und ruecksichtsloser Aristokrat, als Beamter ein Mann, der es +zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats Meuchelmoerder zu +dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als unpraktische +Donquichotterie verlacht haben wuerde, aber doch ein unbeugsamer, +weder der Furcht noch der Bestechung zugaenglicher Verwalter und ein +einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch +von seinen Standesvorurteilen so weit frei, dass er sich zu seinen +Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den +trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner +musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veraenderten und +verbesserten Exerzierreglements in militaerischen Kreisen geschaetzt +ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen +Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen faehigen Offizieren +begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul +und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so +zerruetteten Zustand antraf, dass die Generale bisher nicht gewagt +hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu fuehren und sie niemand +fuerchterlich war als den ungluecklichen Bewohnern der roemischen +Provinz. Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Fruehling des +Jahres 646 (108) 5 fuehrte Metellus sie ueber die numidische Grenze. Wie +Jugurtha der veraenderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich +verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte +Vergleichsantraege, indem er schliesslich nichts weiter begehrte, als +dass man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und +vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als +mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen +Klientelfuersten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den +Roemern genuegen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg ueber Albinus +als der Erloeser Libyens von der Herrschaft der verhassten Fremden; +ruecksichtslos und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die roemische +Regierung war, konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in +seiner Heimat den Krieg entzuenden; die Ruhe war nicht eher gesichert +und die Entfernung der afrikanischen Armee nicht eher moeglich, als +wenn Koenig Jugurtha nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende +Antworten auf die Antraege des Koenigs; insgeheim stiftete er die Boten +desselben auf, ihren Herrn lebend oder tot an die Roemer auszuliefern. +Indes wenn der roemische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem +Gebiet des Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister; +Jugurtha durchschaute den Plan und ruestete sich, da er nicht anders +konnte, zur verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des voellig oeden +Gebirgszugs, ueber den der Weg der Roemer in das Innere fuehrte, +erstreckte sich in der Breite von vier deutschen Meilen bis zu dem dem +Gebirgszug parallel laufenden Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis +auf die unmittelbare Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war +und nur durch einen mit niedrigem Gestruepp bedeckten Huegelruecken in +der Quere durchsetzt ward. Auf diesem Huegelruecken erwartete Jugurtha +das roemische Heer. Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein +Teil der Infanterie und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Ruecken +auslief gegen den Fluss, die andere, der Kern des Fussvolks und die +gesamte Reiterei, hoeher hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch +das Gestruepp. Aus dem Gebirge debouchierend, erblickten die Roemer den +Feind in einer ihre rechte Flanke vollstaendig beherrschenden Stellung +und hatten, da sie auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmoeglich +verweilen konnten und den Fluss notwendig erreichen mussten, die +schwierige Aufgabe zu loesen, durch die vier Meilen breite, ganz offene +Ebene, unter den Augen der feindlichen Reiter und selber ohne leichte +Kavallerie, an den Strom zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement +unter Rufus in gerader Richtung an den Fluss, um daselbst ein Lager zu +schlagen; die Hauptmasse marschierte aus den Debouches des Gebirges +in schraeger Richtung durch die Ebene auf den Huegelruecken zu, um den +Feind von demselben herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene +drohte das Verderben des Heeres zu werden, denn waehrend numidische +Infanterie im Ruecken der Roemer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese +sie raeumten, sah sich die roemische Angriffskolonne auf allen Seiten +von den feindlichen Reitern umschwaermt, die von dem Huegelruecken herab +angriffen. Das stete Anprallen der feindlichen Schwaerme hinderte +den Vormarsch, und die Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter +Detailgefechte aufzuloesen; waehrend gleichzeitig Bomilkar mit seiner +Abteilung das Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer +bedraengten roemischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang +es Metellus und Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuss des +Huegelrueckens zu erreichen; und das numidische Fussvolk, das die Hoehen +verteidigte, lief trotz der Ueberzahl und der guenstigen Stellung fast +ohne Widerstand davon, als die Legionaere im Sturmschritt den Berg +hinauf angriffen. Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fussvolk +gegen Rufus; es ward bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten +in dem durchschnittenen Terrain alle getoetet oder gefangen. Spaet am +Abend trafen die beiden roemischen Heerhaufen, jeder fuer sich Sieger +und jeder besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden +Walplaetzen zusammen. Es war eine Schlacht, die fuer Jugurthas +ungemeines militaerisches Talent ebenso zeugte wie fuer die +unverwuestliche Tuechtigkeit der roemischen Infanterie, welche allein +die strategische Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha +sandte nach der Schlacht einen grossen Teil seiner Truppen heim +und beschraenkte sich auf den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit +Gewandtheit leitete. Die beiden roemischen Kolonnen, die eine von +Metellus gefuehrt, die andere von Marius, der, obwohl von Geburt und +Rang der geringste, seit der Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die +erste Stelle einnahm, durchzogen das numidische Gebiet, besetzten +die Staedte und machten, wo eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig +geoeffnet hatte, die erwachsene maennliche Bevoelkerung nieder. Allein +die ansehnlichste unter den Staedten im oestlichen Binnenland, +Zama, leistete den Roemern ernsthaften Widerstand, den der Koenig +nachdruecklich unterstuetzte. Sogar ein Ueberfall des roemischen Lagers +gelang ihm, und die Roemer sahen sich endlich genoetigt, die Belagerung +aufzuheben und in das Winterquartier zu gehen. Der leichteren +Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, unter Zuruecklassung von +Besatzungen in den eroberten Staedten, in die roemische Provinz und +benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen anzuknuepfen, indem +er sich geneigt zeigte, dem Koenig einen ertraeglichen Frieden zu +bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits hatte er sich +anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja sogar seine +Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000 roemische +Ueberlaeufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber wurde +des Koenigs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit Unrecht +besorgte, dass, wenn es zum Frieden kaeme, Jugurtha ihn als den Moerder +des Massiva den roemischen Gerichten ueberliefern werde, von Metellus +gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit fuer jenen Mord und +grosser Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den Koenig den Roemern +lebendig oder tot in die Haende zu liefern. Indes weder jene offizielle +Verhandlung noch diese Intrige fuehrte zu dem gewuenschten Resultat. +Als Metellus mit dem Ansinnen herausrueckte, dass der Koenig persoenlich +sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die Unterhandlungen +ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und derselbe +festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein fuer diese +diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Roemer hatten +allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu +bemaechtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder +weiterfuehren noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war, +beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Roemern +besetzten Staedten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte +roemische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit +Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher spaeter wegen +Einverstaendnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, laesst +sich nicht sagen, von dem roemischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt +und hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage +nach dem Abfall ueberrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts +preisgegeben; allein wenn die Gemueter der leicht erreichbaren und +verhaeltnismaessig fuegsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, +wie mochte es da aussehen weiter landeinwaerts und bei den schweifenden +Staemmen der Wueste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm +den doppelten Brudermoerder gern uebersahen ueber dem Retter und Raecher +der Nation. Zwanzig Jahre nachher musste ein numidisches Korps, das +fuer die Roemer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurueckgesandt +werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man +mag daraus schliessen, was er selber ueber die Seinen vermochte. Wie +war ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten +Eigentuemlichkeiten der Bevoelkerung und des Bodens einem Fuehrer, der +sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den +Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine +Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit +neuer Gewalt wiederzuerwecken? +------------------------------------------------ 5 In der spannenden und +geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist die Chronologie +mehr als billig vernachlaessigt. Der Krieg ging im Sommer 649 (105) zu +Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegfuehrung als Konsul 647 (107) +begann, so fuehrte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die +Erzaehlung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus +allem Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er +spaet eintraf (c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete +(c. 44), seine Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat +auch Marius, der gleichfalls in Italien laengere Zeit sich mit +Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder als Konsul 647 (107) +spaet im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst als Prokonsul +648 (106) den Oberbefehl an; so dass also die beiden Feldzuege des +Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen. +Dazu passt, dass Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph. +epigr. IV, S. 257). Dazu passt ferner, dass die Schlacht am Muthul und +die Belagerung von Zama nach dem Verhaeltnis, in dem sie zu Marius' +Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das Jahr 646 (108) +gesetzt werden muessen. Von Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf +keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 (105) bei ihm +Konsul genannt wird. Die Verlaengerung des Kommandos des Metellus, die +Sallustius (62, 10) berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie +steht, nur beziehen auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf +Grund des Sempronischen Gesetzes die Provinzen der fuer 647 (107) zu +waehlenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere +Provinzen und liess also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluss +stiess das 72, 7 erwaehnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten +Handschriften beider Familien lueckenhaft ueberlieferten Worte sed Paulo +.... decreverat: ea res frustra fuit muessen entweder die den Konsuln +vom Senat bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante +uti consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat +- oder, nach der Ergaenzung der Vulgathandschriften: sed Paulo +[ante senatus Metello Numidiam] decreverat. 6 Jetzt Bedschah an der +Medscherda. ---------------------------------------- Als Metellus im +Jahre 647 (107) wieder ins Feld rueckte, hielt Jugurtha ihm nirgends +stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten +Punkt; es schien, als wuerde man ebenso leicht Herr werden ueber die +Loewen wie ueber diese Reiter der Wueste. Eine Schlacht ward geschlagen, +ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer +zu sagen. Der Koenig war verschwunden in die unabsehliche Weite. Im +Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der grossen Wueste, +lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7; dorthin hatte Jugurtha +sich zurueckgezogen mit seinen Kindern, seinen Schaetzen und dem Kern +seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten. Metellus wagte +es, durch eine Einoede, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in +Schlaeuchen mitgefuehrt werden musste, dem Koenig zu folgen; Thala ward +erreicht und fiel nach vierzigtaegiger Belagerung; allein nicht bloss +vernichteten die roemischen Ueberlaeufer mit dem Gebaeude, in dem +sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zugleich den +wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam, der Koenig +Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen. Numidien +zwar war so gut wie ganz in den Haenden der Roemer; aber statt dass man +damit am Ziele gestanden haette, schien der Krieg nur ueber ein +immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Sueden begannen die freien +gaetulischen Staemme der Wueste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg +gegen die Roemer. Im Westen schien Koenig Bocchus von Mauretanien, +dessen Freundschaft die Roemer in frueherer Zeit verschmaeht +hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie +gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht bloss bei sich auf, +sondern rueckte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas +Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im +Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, dass +er mit Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis fuer Rom in Haenden +hielt. Was er aber beabsichtigte, ob den Roemern den Schwiegersohn +teuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den +Nationalkrieg aufzunehmen, wussten weder die Roemer noch Jugurtha +und vielleicht der Koenig selbst nicht; derselbe beeilte sich auch +keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darueber +verliess Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluss genoetigt +worden war, seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius +abzutreten und dieser uebernahm fuer den naechsten Feldzug 648 (106) +den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewissermassen einer Revolution. Im +Vertrauen auf die von ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm +zuteil gewordenen Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um +das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso +verfassungsmaessige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des +tuechtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstuetzt +haette, so wuerde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung +eines neuen Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde +der nicht adlige Mann, der die hoechste Gemeinwuerde fuer sich +begehrte, von der ganzen regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und +Revolutionaer geschmaeht - vollkommen wie einst der plebejische Bewerber +von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen +Rechtsgrund -, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus +verhoehnt - Marius moege mit seiner Kandidatur warten, hiess es, bis +Metellus' Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben koenne - und +kaum im letzten Augenblick aufs ungnaedigste entlassen, um fuer das Jahr +647 (107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. +Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem +er vor der gaffenden Menge die Kriegfuehrung und Verwaltung des Metellus +in Afrika in einer ebenso unmilitaerischen wie schmaehlich unbilligen +Weise kritisierte, ja sogar es nicht verschmaehte, dem lieben, ewig von +geheimen, hoechst unerhoerten und hoechst unzweifelhaften Konspirationen +der vornehmen Herren munkelnden Poebel das platte Maerchen aufzutischen, +dass Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie +moeglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies +vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der +Regierung misswollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte +Kaufmannschaft, verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, +die Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde +nicht bloss mit ungeheurer Majoritaet zum Konsul gewaehlt, sondern +ihm auch, waehrend sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die +Entscheidung ueber die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat +zustand, unter Umstossung der vom Senat getroffenen Verfuegung, die +den Metellus an seiner Stelle liess, durch Beschluss der souveraenen +Komitien der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg uebertragen. Demgemaess +trat er im Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus' Stelle und +fuehrte das Kommando in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die +zuversichtliche Verheissung, es besser zu machen als sein Vorgaenger +und den Jugurtha an Haenden und Fuessen gebunden schleunigst nach Rom +abzuliefern, war leichter gegeben als erfuellt. Marius schlug sich herum +mit den Gaetulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Staedte; +er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im aeussersten Suedosten +des Koenigreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch ueberbot, +nahm die Stadt durch Kapitulation und liess trotz des Vertrages alle +erwachsenen Maenner darin toeten - freilich das einzige Mittel, den +Wiederabfall der fernliegenden Wuestenstadt zu verhueten; er griff ein +am Fluss Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied, +belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte, +und erstuermte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der +Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kuehner +Kletterer gluecklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloss darauf +angekommen waere, durch dreiste Razzias das Heer abzuhaerten und dem +Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus' Zug in die Wueste durch +eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese +Kriegfuehrung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf +alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten +hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei voellig beiseite gesetzt. +Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie der des +Metellus nach Thala ein zweckmaessiges Wagnis; die Expedition aber an +den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet streifte, +war geradezu zweckwidrig. Koenig Bocchus, in dessen Hand es lag, den +Krieg zu einem fuer die Roemer guenstigen Ausgang zu bringen oder ihn +ins Endlose zu verlaengern, schloss jetzt mit Jugurtha einen Vertrag +ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber +versprach, den Schwiegersohn gegen Rom taetig zu unterstuetzen. Das +roemische Heer, das vom Fluss Molochath wieder zurueckkehrte, sah sich +eines Abends ploetzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer +und numidischer Reiterei; man musste fechten, wo und wie die Abteilungen +eben standen, ohne dass eine eigentliche Schlachtordnung und ein +leitendes Kommando sich haetten durchfuehren lassen, und sich gluecklich +schaetzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit +entfernten Huegeln vorlaeufig fuer die Nacht in Sicherheit zu bringen. +Indes die arge Nachlaessigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner +entriss ihnen die Folgen desselben; sie liessen sich von den waehrend +der Nacht einigermassen wiedergeordneten roemischen Truppen beim +grauenden Morgen im tiefen Schlafe ueberfallen und wurden gluecklich +zerstreut. Darauf setzte das roemische Heer in besserer Ordnung und mit +groesserer Vorsicht den Rueckzug fort; allein noch einmal wurde es auf +demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in +grosser Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die +ihm gegenueberstehenden Reiterhaufen auseinanderstaeubte und von deren +Verfolgung rasch zurueckkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus +warf, da wo sie persoenlich das roemische Fussvolk im Ruecken +bedraengten. Also ward auch dieser Angriff gluecklich abgeschlagen; +Marius brachte sein Heer zurueck nach Cirta und nahm daselbst das +Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich +begreiflich, dass man roemischerseits um die Freundschaft des Koenigs +Bocchus, die man anfangs verschmaeht, sodann wenigstens nicht eben +gesucht hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich +aufs eifrigste zu bemuehen, wobei es den Roemern zustatten kam, dass +von mauretanischer Seite keine foermliche Kriegserklaerung stattgefunden +hatte. Nicht ungern trat Koenig Bocchus zurueck in seine alte +zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit Jugurtha aufzuloesen oder +diesen zu entlassen, liess er mit dem roemischen Feldherrn sich ein auf +Verhandlungen ueber die Bedingungen eines Buendnisses mit Rom. Als man +einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der Koenig, dass +Marius zum Abschluss des Vertrages und zur Uebernahme des koeniglichen +Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden moege, der dem Koenig +bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des +Senats am mauretanischen Hofe erschienen war, teils durch Empfehlungen +der nach Rom bestimmten mauretanischen Gesandten, denen Sulla unterwegs +Dienste geleistet hatte. Marius war in einer unbequemen Lage. Lehnte er +die Zumutung ab, so fuehrte dies wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie +an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier einem mehr als +unzuverlaessigen Mann in die Haende, der, wie maenniglich bekannt, mit +den Roemern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den +Plan entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorlaeufig +nach beiden Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg +zu Ende zu bringen, ueberwog jede andere Ruecksicht, und Sulla verstand +sich zu der bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er +auf, geleitet von Koenig Bocchus' Sohn Volux, und seine Entschlossenheit +wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager +des Jugurtha fuehrte. Er wies die kleinmuetigen Fluchtvorschlaege seiner +Begleiter zurueck und zog, des Koenigs Sohn an der Seite, unverletzt +durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewaehrte der kecke Offizier +in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich, ernstlich +eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem Vorgeben, +dass alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem +eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge +niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der grosse +Verraeter durch den Verrat seiner Naechsten. Gefesselt brachte Lucius +Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das +roemische Hauptquartier; damit war nach siebenjaehriger Dauer der +Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunaechst auf den Namen des Marius; seinem +Triumphalwagen schritt in koeniglichem Schmuck und in Fesseln Koenig +Jugurtha mit seinen beiden Soehnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar +650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wueste +wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefaengnis, dem alten +Brunnenhaus am Kapitol, dem "eisigen Badgemach", wie der Afrikaner es +nannte, als er die Schwelle ueberschritt, um daselbst sei es erdrosselt +zu werden, sei es umzukommen durch Kaelte und Hunger. Allein es +liess sich nicht leugnen, dass Marius an den wirklichen Erfolgen den +geringsten Anteil hatte, dass Numidiens Eroberung bis an den Saum der +Wueste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war +und zwischen beiden Marius eine fuer einen ehrgeizigen Emporkoemmling +einigermassen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern, +dass sein Vorgaenger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er +brauste zornig auf, als Koenig Bocchus spaeter ein goldnes Bildwerk +auf dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla +darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler +die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in +Schatten, vor allem Sullas glaenzender Zug in die Wueste, der seinen +Mut, seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht ueber +die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur +Anerkennung gebracht hatte. An sich waere auf diese militaerischen +Rivalitaeten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen +Parteikampf eingegriffen haetten; wenn nicht die Opposition durch Marius +den senatorischen General verdraengt gehabt, nicht die Regierungspartei +Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die +militaerischen Koryphaeen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen +haette - wir werden auf die verhaengnisvollen Folgen dieser Verhetzungen +in der Darstellung der inneren Geschichte zurueckzukommen haben. +--------------------------------- 7 Die Oertlichkeit ist nicht +wiedergefunden. Die fruehere Annahme, dass Thelepte (bei Feriana, +noerdlich von Capsa) gemeint sei, ist willkuerlich und die +Identifikation mit einer auch heute Thala genannten +Oertlichkeit oestlich von Capsa auch nicht gehoerig begruendet. +-------------------------------- Im uebrigen verlief diese Insurrektion +des numidischen Klientelstaats, ohne weder in den allgemeinen +politischen Verhaeltnissen noch auch nur in denen der afrikanischen +Provinz eine merkliche Veraenderung hervorzubringen. Abweichend von +der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine +roemische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht +ohne eine die Grenzen gegen die Wilden der Wueste deckende Armee zu +behaupten und man keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer +zu unterhalten. Man begnuegte sich deshalb, die westlichste Landschaft +Numidiens, wahrscheinlich den Strich vom Fluss Molochath bis zum Hafen +von Saldae (Bougie) - das spaetere Mauretanien von Caesarea (Provinz +Algier) - zu dem Reich des Bocchus zu schlagen und das darum +verkleinerte Koenigreich Numidien auf den letzten noch lebenden +legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Koerper und Geist schwachen +Halbbruder Gauda, zu uebertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf +Veranlassung des Marius seine Ansprueche bei dem Senat geltend gemacht +hatte 8. Zugleich wurden die gaetulischen Staemme im inneren Afrika +als freie Bundesgenossen unter die mit den Roemern in Vertrag +stehenden unabhaengigen Nationen aufgenommen. +---------------------------------------------------------------- 8 +Sallusts politisches Genregemaelde des jugurthinischen Krieges, in der +sonst voellig verblassten und verwaschenen Tradition dieser Epoche +das einzige in frischen Farben uebriggebliebene Bild, schliesst mit +Jugurthas Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht +historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhaengenden +Bericht ueber die Behandlung des Numidischen Reiches. Dass Gauda +Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr. +79, 4 Bekk.) an und bestaetigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli +630), die ihn Koenig und Vater Hiempsals II. nennt. Dass im Westen +die zwischen Numidien einer- und dem roemischen Afrika und Kyrene +andererseits bestehenden Grenzverhaeltnisse unveraendert blieben, +zeigt Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spaetere +Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird +auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, dass Bocchus' Reich +bedeutend vergroessert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhaengt, dass +Mauretanien, urspruenglich beschraenkt auf die Landschaft von Tingis +(Marokko), in spaeterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von +Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Haelfte +der Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Roemern +vergroessert ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann +708 (46) nach Aufloesung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich +die Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei +der zweiten Vergroesserung hinzugekommen. +-------------------------------------------------------------- Wichtiger +als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die politischen +Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der Jugurthinischen +Insurrektion, obgleich auch diese haeufig zu hoch angeschlagen +worden sind. Allerdings waren darin alle Schaeden des Regiments in +unverhuellter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloss +notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, dass den +regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das +Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der +Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei +seiner Abreise von Rom aeusserte, wenn er nur Geld genug haette, +mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze +aeussere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel +teuflischer Erbaermlichkeit. Fuer uns verschiebt der Zufall, dass uns +der Krieg in Afrika durch bessere Berichte naeher gerueckt ist als die +anderen gleichzeitigen militaerischen und politischen Ereignisse, die +richtige Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthuellungen +eben nichts, als was jedermann laengst wusste und jeder unerschrockene +Patriot laengst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Dass man fuer +die nur durch ihre Unfaehigkeit aufgewogene Niedertraechtigkeit der +restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch staerkere und +noch unwiderleglichere Beweise in die Haende bekam, haette dennoch von +Wichtigkeit sein koennen, wenn es eine Opposition und eine oeffentliche +Meinung gegeben haette, mit denen die Regierung genoetigt gewesen waere +sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die +Regierung prostituiert als die vollstaendige Nichtigkeit der Opposition +offenbart. Es war nicht moeglich, schlechter zu regieren als die +Restauration in den Jahren 637- 645 (117-109) es tat, nicht moeglich, +wehrloser und verlorener dazustehen, als der roemische Senat im Jahre +645 (109) stand; haette es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben, +das heisst eine Partei, die eine prinzipielle Abaenderung der Verfassung +wuenschte und betrieb, so musste diese notwendig jetzt wenigstens einen +Versuch machen, den restaurierten Senat zu stuerzen. Er erfolgte +nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die +Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute +in die Verbannung. Damit stand es also fest, dass die sogenannte +Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte; +dass es in Rom schlechterdings nur zwei moegliche Regierungsformen gab, +die Tyrannis und die Oligarchie; dass, solange es zufaellig an einer +Persoenlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug +war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die aergste Misswirtschaft +hoechstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefaehrdete; +dass dagegen, sowie ein solcher Praetendent auftrat, nichts leichter +war, als die morschen kurulischen Stuehle zu erschuettern. In dieser +Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an +sich so voellig unmotiviert war. Wenn die Buergerschaft nach Albinus' +Niederlage die Kurie gestuermt haette, es waere begreiflich, um nicht +zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus +dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Fuehrung, +geschweige denn von Gefahr fuer das Gemeinwesen wenigstens in dieser +Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten +besten ehrgeizigen Offizier, das auszufuehren, womit einst der aeltere +Africanus der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten +militaerischen Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen +der Regierung zu verschaffen. Die oeffentliche Meinung, nichtig in den +Haenden der sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe +in der Hand des kuenftigen Koenigs von Rom. Es soll damit nicht gesagt +werden, dass Marius beabsichtigte, den Praetendenten zu spielen, am +wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem +Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, +es war augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen +Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder, +was ungefaehr dasselbe war, wenn jeder populaere Offizier imstande war, +in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges +neues Element trat in diesen vorlaeufigen Krisen auf; es war das +Hineinziehen der militaerischen Maenner und der militaerischen Macht +in die politische Revolution. Ob Marius' Auftreten unmittelbar die +Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die +Tyrannis zu verdraengen, oder ob dasselbe, wie so manches Aehnliche, +als vereinzelter Eingriff in die Praerogative der Regierung ohne weitere +Folgen voruebergehen werde, liess sich noch nicht bestimmen; wohl aber +war es vorauszusehen, dass, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis +zur Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie +Gaius Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die +gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der +Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten +Vermoegensqualifikation absah und auch dem aermsten Buerger, wenn +er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die Legion +gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militaerischen Ruecksichten +veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger ein +folgenreiches politisches Ereignis, dass das Heer nicht mehr, wie +ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der juengsten +Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern +anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die nichts hatten +als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die Aristokratie +herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschraenkt wie im Jahre 620 +(134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten sich +gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das Schwert +aufgegangen. 5. Kapitel Die Voelker des Nordens Seit dem Ende des +sechsten Jahrhunderts beherrschte die roemische Gemeinde die drei +grossen von dem noerdlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden +Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb +derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen +Apenninen und Alpentaelern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens +die ganz- oder halbfreien Voelkerschaften fort, der schlaffen roemischen +Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen +Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der +oberflaechlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits der +Pyrenaeen, der Alpen und der Balkankette, die grossen Stromgebiete +der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich ausserhalb des +politischen Gesichtskreises der Roemer. Es ist hier darzustellen, +was roemischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu +sichern und zu arrondieren und wie zugleich die grossen Voelkermassen, +die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, +anfingen, an die Tore der noerdlichen Gebirge zu pochen und die +griechisch-roemische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, dass +sie mit Unrecht meine, die Erde fuer sich allein zu besitzen. Fassen wir +zunaechst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenaeen ins +Auge. Die Roemer beherrschten diesen Teil der Kueste des Mittelmeers +seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der aeltesten, +treuesten und maechtigsten der von Rom abhaengigen bundesgenoessischen +Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas), +oestlich Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyeres?), Antipolis (Antibes) und +Nikaea (Nizza), die Kuestenfahrt wie den Landweg von den Pyrenaeen zu +den Alpen sicherten und deren merkantile und politische Verbindungen +weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen +oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten +ward im Jahre 600 (154) von den Roemern teils auf Ansuchen der +Massalioten, teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen +und zum Teil verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, +den Massalioten fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jaehrlichen +Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass um diese Zeit +zugleich in dem ganzen von Massalia abhaengigen Gebiete jenseits der +Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst aufbluehende +Wein- und Oelbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer und Kaufleute +untersagt ward ^1. Einen aehnlichen Charakter finanzieller Spekulation +traegt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwaeschereien von +Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der +Dora Baltea) von den Roemern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre +611 (143) gegen die Salasser gefuehrt ward. Die grosse Ausdehnung dieser +Waeschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft +das Wasser fuer ihre Aecker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, +sodann die bewaffnete Intervention der Roemer hervor; der Krieg, obwohl +die Roemer auch ihn wie alle uebrigen dieser Epoche mit einer Niederlage +begannen, fuehrte endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der +Abtretung des Goldbezirkes an das roemische Aerar. Einige Jahrzehnte +spaeter (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie +Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsaechlich wohl, um durch sie den +westlichen wie durch Aquileia den oestlichen Alpenpass zu beherrschen. +Einen ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als +Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als +Konsul 629 (125) in dieser Gegend den Oberbefehl uebernahm. Er zuerst +betrat die Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten +keltischen Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen +seine wirkliche Hegemonie eingebuesst und nur eine Ehrenvorstandschaft +behalten hatte, der effektiv fuehrende Gau in dem Gebiet von den +Pyrenaeen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner +2, und es erscheint danach nicht gerade uebertrieben, dass er bis 180000 +Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst +die Haeduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; waehrend +in dem nordoestlichen Gallien die Koenige der Suessionen (um Soissons) +den bis nach Britannien hinueber sich erstreckenden Voelkerbund der +Belgen unter ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende +jener Zeit wussten viel zu erzaehlen von der prachtvollen Hofhaltung des +Arvernerkoenigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glaenzenden +Clangefolge, den Jaegern mit der gekoppelten Meute und der wandernden +Saengerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Staedte seines +Reiches fuhr, das Gold mit vollen Haenden auswerfend unter die Menge, +vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen erfreuend +- die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem Raume von +1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder des Wegs +Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos. +In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen +Goldmuenzen dieser Zeit dafuer, dass der Arvernergau zu ungemeinem +Reichtum und einer verhaeltnismaessig hoch gesteigerten Zivilisation +gediehen war. Flaccus' Angriff traf indes zunaechst nicht auf die +Arverner, sondern auf die kleineren Staemme in dem Gebiet zwischen den +Alpen und der Rhone, wo die urspruenglich ligurischen Einwohner mit +nachgerueckten keltischen Scharen sich vermischt hatten und eine der +keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevoelkerung entstanden +war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glueck gegen die Salyer oder +Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen ihre +noerdlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drome), ebenso +sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die +Allobrogen, einen maechtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der +Isere, der auf die Bitte des landfluechtigen Koenigs der Salyer, +Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, +aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes +nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkoenig auszuliefern, drang +Calvinus' Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet +ein (632 122). Bis dahin hatte der fuehrende keltische Stamm dem +Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkoenig +Betuhus, jenes Luerius' Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen +Schutzverhaeltnisses wegen, in dem die oestlichen Gaue zu ihm stehen +mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als +die Roemer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet +anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurueckweisung zur +Folge hatte, dass er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe +erschien; wogegen wieder die Haeduer Partei ergriffen fuer die Roemer. +Auch die Roemer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der +Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um +in Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der +suedlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluss der Isere +in die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die +ueber die Herrschaft im suedlichen Gallien entschied. Koenig Betuitus, +wie er die zahllosen Haufen der abhaengigen Clans auf der ueber die +Rhone geschlagenen Schiffbruecke an sich vorueberziehen und gegen sie +die dreimal schwaecheren Roemer sich aufstellen sah, soll ausgerufen +haben, dass dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres +zu saettigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht +dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbruecke unter +der Masse der Fluechtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des +groessten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen +ferner Beistand zu leisten der Arvernerkoenig sich unfaehig erklaerte +und denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, +unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker +genannt, nach Italien zurueckging und die nicht mehr ferne Beendigung +des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus ueberliess. Dieser, auf Koenig +Betuitus persoenlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlasst +habe, sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemaechtigte sich in +treuloser Weise der Person des Koenigs und sandte ihn nach Rom, wo der +Senat den Bruch des Treuworts zwar missbilligte, aber nicht bloss den +verratenen Mann festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, +Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache +gewesen zu sein, dass der fast schon beendigte arvernische Krieg noch +einmal aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluss +der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die +Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal +hauptsaechlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer +zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und +die Ruhe war in dem Keltenland wiederhergestellt 3. +------------------------------------------ ^1 Wenn Cicero, indem er dies +den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen laesst (rep. 3, 9), nicht +einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so bleibt wohl +nur die im Text bezeichnete Auffassung moeglich. Auf Norditalien und +Ligurien bezieht diese Verfuegung sich nicht, wie schon der Weinbau der +Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare +Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Mueller; Strab. +4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach dem +Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der Stadt ist bekannt. 2 In der +Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von +Clermont. 3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische +Epitomator und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte +Folge fuehren Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestaetigt teils +dadurch, dass Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. +7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die +Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloss Maximus vor Ahenobarbus +triumphierte, sondern auch jener ueber die Allobrogen und den +Arvernerkoenig, dieser nur ueber die Arverner. Es ist einleuchtend, dass +die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner frueher stattgefunden +haben muss als die gegen die Arverner allein. +------------------------------------------------ Das Ergebnis dieser +militaerischen Operationen war die Einrichtung einer neuen roemischen +Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenaeen. Die saemtlichen +Voelkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Roemern +abhaengig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon +jetzt den Roemern tributaer. In der Landschaft zwischen der Rhone und +den Pyrenaeen behielten die Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht +den Roemern zinspflichtig; allein sie hatten den suedlichsten Teil ihres +mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich suedlich der Cevennen +bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der Garonne bis nach Tolosa +(Toulouse), an die Roemer abzutreten. Da der naechste Zweck dieser +Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien und +Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt fuer die +Chaussierung des Kuestenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur +Rhone der Kuestenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile +den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser +Kueste besassen, ueberwiesen mit der Verpflichtung, die Strasse in +gehoerigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu den Pyrenaeen +die Roemer selbst eine Militaerchaussee anlegten, die von ihrem Urheber +Ahenobarbus den Namen der Domitischen Strasse erhielt. Wie gewoehnlich +verband mit dem Strassenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im +oestlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten +geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die +zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier +entstand eine roemische Ortschaft, die "Baeder des Sextius", Aquae +Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Roemer in Narbo sich +an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluss Atax (Aude) in +geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekataeos nennt und die schon +vor ihrer Besetzung durch die Roemer als lebhafter an dem britannischen +Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae +erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen +Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die +Kelten gegruendet, ward als "Marsstadt" roemische Buergerkolonie und +der gewoehnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen +Keltenprovinz oder, wie sie noch haeufiger genannt wird, der Provinz +Narbo. ------------------------------------------------------- 4 Aquae +ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab. +4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen +1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten - so +ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein +keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes roemisches +Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft. +------------------------------------------------------- Die Gracchische +Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen veranlasste, +wollte offenbar sich hier ein neues und unermessliches Gebiet fuer +ihre Kolonisationsplaene eroeffnen, das dieselben Vorzuege darbot wie +Sizilien und Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden +konnte als die sizilischen und libyschen Aecker den italischen +Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte freilich auch hier +sich fuehlbar in der Beschraenkung der Eroberungen und mehr noch der +Stadtgruendungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem Umfang erreicht +ward, so ward sie doch auch nicht voellig vereitelt. Das gewonnene +Gebiet und mehr noch die Gruendung von Narbo, welcher Ansiedelung der +Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte, +blieben als unfertige, aber den kuenftigen Nachfolger des Gracchus an +die Fortsetzung des Baus mahnende Ansaetze stehen. Offenbar schuetzte +die roemische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem +gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren vermochte, diese +Anlage vor den Angriffen der Optimaten. Eine aehnliche Aufgabe wie +im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von Italien; sie ward +gleichfalls nicht ganz vernachlaessigt, aber noch unvollkommener als +jene geloest. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die Istrische +Halbinsel in den Besitz der Roemer; in Epirus und dem ehemaligen Gebiet +des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit frueher. +Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein, +und selbst an der Kueste beherrschten sie kaum dem Namen nach den +unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen +wildverschlungenen, weder von Flusstaelern noch von Kuestenebenen +unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten Bergkesseln und in +der laengs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger Inseln Italien und +Griechenland mehr scheidet als zusammenknuepft. Um die Stadt Delminium +(an der Cettina bei Trigl) schloss sich hier die Eidgenossenschaft der +Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: waehrend +die Nachbarvoelker bereits zu reicher Kulturentwicklung gelangt waren, +kannte man in Dalmatien noch keine Muenze und teilte den Acker, ohne +daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf +unter die gemeinsaessigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen +bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Voelkerschaften hatten in frueheren +Zeiten in einem losen Abhaengigkeitsverhaeltnis zu den Herren von Skodra +gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den roemischen +Expeditionen gegen die Koenigin Teuta und Demetrios von Pharos; +allein bei dem Regierungsantritt des Koenigs Genthios hatten sie sich +losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das suedliche +Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von +Rom dauernd abhaengig machte. Die Roemer ueberliessen die wenig lockende +Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der roemischen Illyrier, +namentlich der Daorser, die an der Narenta suedlich von den Dalmatern +wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale +Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den +Eingeborenen schwer zu leiden hatten, noetigten die roemische Regierung, +an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort +zurueckbrachte, dass die Dalmater um die Roemer weder bisher sich +gekuemmert haetten noch kuenftig kuemmern wuerden, im Jahre 598 (156) +ein Heer unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er +drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurueckgedraengt bis auf das +roemische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 +(155) die grosse und feste Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft +sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Roemern untertaenig. +Indes war die arme und nur oberflaechlich unterworfene Landschaft nicht +wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnuegte +sich, wie man es schon fuer die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, +sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten +zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre +608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren +nordoestliche Grenze noerdlich von Skodra festgestellt worden war 5. +------------------------------------------------ 5 3, 49. Die Pirusten +in den Taelern des Drin gehoerten zur Provinz Makedonien, streiften +aber hinueber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1). +------------------------------------------------ Aber ebendiese +Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhaengige Landschaft +gab den Beziehungen Roms zu den Voelkern im Nordosten groessere +Bedeutung, indem sie den Roemern die Verpflichtung auferlegte, die +ueberall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen +Staemme zu verteidigen; und in aehnlicher Weise ging nicht lange +darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden +gehoerigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von Gallipoli) die bisher +den Koenigen von Pergamon obliegende Verpflichtung, die Hellenen hier +gegen die Thraker zu schuetzen, gleichfalls auf die Roemer ueber. Von +der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die makedonische Landschaft +darboten, konnten die Roemer jetzt ernstlich gegen das Quellgebiet des +Rheins und die Donau vorgehen und der noerdlichen Gebirge wenigstens +insoweit sich bemaechtigen, als die Sicherheit der suedlichen +Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die +maechtigste Nation das grosse Keltenvolk, welches der einheimischen +Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit +suedlich der Hauptalpenkette in das Potal und noerdlich derselben in die +Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Von ihren +Staemmen sassen auf beiden Ufern des Oberrheins die maechtigen, reichen +und, da sie mit den Roemern nirgends sich unmittelbar beruehrten, mit +ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom Genfer +See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und +Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, +deren Sitze das heutige Bayern und Boehmen gewesen sein moegen 6. +Suedoestlich von ihnen begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in +der Steiermark und Kaernten unter dem Namen der Taurisker, spaeter der +Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre +Stadt Noreia (unweit St. Veit noerdlich von Klagenfurt) war bluehend und +weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen +Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin +gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, bis die +Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen +Zeit fuer sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich +ergiessenden keltischen Schwaerme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur +das Flach- und Huegelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und +ebenso das Gebiet der Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt +und in den Haenden der frueher dort einheimischen Bevoelkerung +geblieben, welche, ohne dass ueber ihre Nationalitaet bis jetzt etwas +Sicheres zu ermitteln gelungen waere, unter dem Namen der Raeter in den +Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der Euganeer und Veneter +um Padua und Venedig auftreten, so dass an diesem letzten Punkt die +beiden grossen Keltenstroeme fast sich beruehren und nur ein schmaler +Streif eingeborener Bevoelkerung die keltischen Cenomaner um Brescia +von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter +waren laengst friedliche Untertanen der Roemer; dagegen die eigentlichen +Alpenvoelker waren nicht bloss noch frei, sondern machten auch von ihren +Bergen herab regelmaessig Streifzuege in die Ebene zwischen den Alpen +und dem Po, wo sie sich nicht begnuegten zu brandschatzen, sondern auch +in den eingenommenen Ortschaften mit fuerchterlicher Grausamkeit hausten +und nicht selten die ganze maennliche Bevoelkerung bis zum Kinde in den +Windeln niedermachten - vermutlich die tatsaechliche Antwort auf die +roemischen Razzias in den Alpentaelern. Wie gefaehrlich diese raetischen +Einfaelle waren, zeigt, dass einer derselben um das Jahr 660 (94) die +ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits diese auf +und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen +Staemme vielfach sich gemischt haben moegen, so ist die Voelkermengung, +wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den +Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren, +die hohen Gebirge als natuerliche Scheidewaende dienen. Die +urspruenglich illyrische Bevoelkerung, deren letzter reiner Ueberrest +die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgaengig wenigstens +im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische +Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl ueberall eingefuehrt. Zunaechst an +die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen +im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng sassen, ein +urspruenglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm. +An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe +Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland +dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor +allem maechtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den +Keltenzuegen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren +Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit +die fuehrende Nation, die weit und breit nach Moesien, Thrakien und +Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten +man sich schreckliche Dinge erzaehlte. Ihr Hauptwaffenplatz war das +feste Segestica oder Siscia an der Muendung der Kulpa in die Save. +Die Voelker, die damals in Ungarn, Siebenbuergen, Rumaenien, Bulgarien +sassen, blieben fuer jetzt noch ausserhalb des Gesichtskreises der +Roemer; nur mit den Thrakern beruehrte man sich an der +Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen. +------------------------------------------- 6 "Zwischen dem Herkynischen +Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem Rhein und dem Main wohnten +die Helvetier", sagt Tacitus (Germ. 28), "weiterhin die Boier." Auch +Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, dass die Boier zu der Zeit, wo +sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen Wald bewohnten, d. h. +die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Boehmerwald. Wenn Caesar sie +"jenseits des Rheines" versetzt (Gall. 1, 5), so ist dies damit nicht +im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhaeltnissen ausgeht, +kann er sehr wohl die Landschaft nordoestlich vom Bodensee meinen; womit +vollkommen uebereinstimmt, dass Strabon die ehemals boische Landschaft +als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur dass er nicht ganz genau als +Anwohner des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort +erst festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geraeumt hatten. Aus +diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen +deutschen Staemmen schon vor Poseidonios' Zeit, also vor 650 (100) +vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kaernten +umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das +westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, +wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die +sogenannte "boische Einoede", den Namen dieses geplagtesten +aller keltischen Voelker bewahrte. Vgl. 2, 193 A. +------------------------------------------ Es waere fuer eine +kraeftigere Regierung, als die damalige roemische es war, keine leichte +Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine +geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den +Auspizien der Restaurationsregierung fuer den wichtigen Zweck geschah, +genuegt auch den maessigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen +die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118) +ward triumphiert ueber die Stoener, die in den Bergen oberhalb Verona +gesessen haben duerften; im Jahre 659 (95) liess der Konsul Lucius +Crassus die Alpentaeler weit und breit durchstoebern und die Einwohner +niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben genug zu +erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den +Siegerlorbeer paaren zu koennen. Allein da man es bei derartigen +Razzias bewenden liess, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne +sie unschaedlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen +Ueberlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der +Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war. Auf der +entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die +Nachbarn bekuemmert zu haben; kaum dass im Jahre 651 (103) Gefechte +mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Maedern in den +Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwaehnt werden. +Ernstlichere Kaempfe fanden statt im illyrischen Land, wo ueber +die unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der +Adriatischen See bestaendig Beschwerde gefuehrt ward; und an der voellig +offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck +eines Roemers so weit ging als die roemischen Schwerter und Speere +reichten, ruhten die Kaempfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619 +(135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyaeer oder Vardaeer und die +Pleraeer oder Paralier, eine dalmatische Voelkerschaft in dem Litoral +noerdlich der Narentamuendung, die nicht aufhoerte, auf dem Meer und an +der gegenueberliegenden Kueste Unfug zu treiben; auf Geheiss der +Roemer siedelten sie von der Kueste weg im Binnenland, der heutigen +Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkuemmerten aber +in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward +von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die +vermutlich mit den angegriffenen Kuestenbewohnern gemeinschaftliche +Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demuetigte der Konsul +Tuditanus in Verbindung mit dem tuechtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger +der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfaenglich +eine Niederlage erlitten, schliesslich die roemischen Waffen tief nach +Dalmatien hinein bis an den Kerkafluss, 25 deutsche Meilen abwaerts von +Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom +in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre spaeter +(635 119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den +Skordiskern. Waehrend gegen diese der Konsul Lucius Cotta kaempfte und +dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater +sein Kollege, der aeltere Bruder des Besiegten von Numidien, +Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, ueberwand sie +und ueberwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der +Hauptwaffenplatz der Roemer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht +unwahrscheinlich, dass in diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen +Chaussee faellt, die von Salona in oestlicher Richtung nach Andetrium +(bei Much) und von da weiter landeinwaerts fuehrte. Mehr den Charakter +des Eroberungskrieges trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 +(115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker 7; er ueberstieg, +der erste unter den Roemern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten +Senkung zwischen Triest und Laibach und schloss mit den Tauriskern +Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert +ward, ohne dass doch die Roemer, wie eine foermliche Unterwerfung dies +nach sich gezogen haben wuerde, in die Voelkerbewegungen nordwaerts +der Alpen hineingezogen worden waeren. +---------------------------------------------------------------------- +7 Galli Karni heissen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn +so ist statt des ueberlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) +bei Victor. +----------------------------------------------------------------------- +Von den fast verschollenen Kaempfen mit den Skordiskern ist durch +einen kuerzlich in der Naehe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen +Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung +deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel +in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos +(unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten +gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quaestor Marcus Annius mit +seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermassen Herr geworden +war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem Koenig +der Maeder (am oberen Strymon) Tipas in noch groesseren Massen abermals +ein, und mit Muehe erwehrten sich die Roemer der andringenden Barbaren +8. Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, dass es noetig +wurde, konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre +darauf wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den +serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern ueberfallen und sein Heer +vollstaendig aufgerieben, waehrend er selbst mit wenigen schimpflich +entfloh; muehsam schirmte der Praetor Marcus Didius die roemische +Grenze. Gluecklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius +(641, 642 113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste +roemische Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus +(644-647 110-107), der die Waffen laengs der Morawa ^10 trug und die +Skordisker nachdruecklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie +bald nachher, im Bunde wieder mit den Maedern und den Dardanern, in das +roemische Gebiet und pluenderten sogar das delphische Heiligtum; erst +da machte Lucius Scipio dem zweiunddreissigjaehrigen Skordiskerkrieg +ein Ende und trieb den Rest hinueber auf das linke Ufer der Donau ^11. +Seitdem beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) +in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die +erste Rolle zu spielen. ------------------------------------------------ +8 Der Quaestor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete +(Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der +Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist +sonst nicht bekannt; der Praetor Sex. Pompeius, dessen Fall darin +erwaehnt wird, kann kein anderer sein als der Grossvater des Pompeius, +mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde +werden bezeichnet als Galat/o/n ethnos. Es wird hervorgehoben, +dass Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterliess, ihre +Kontingente aufzubieten und mit den roemischen Truppen allein die +Barbaren zuruecktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals +eine faktisch stehende roemische Besatzung erfordert. 9 Ist Quintus +Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen (CIG +1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S. +167), so muss auch er dort einen Misserfolg erlitten haben, da Cicero +(Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari +quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die +fuer diese Epoche vollstaendige Triumphalliste kennt nur die drei +makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des Drusus 644 (110) und +des Minucius 648 (106). ^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius +und Eutrop die von Minucius besiegte Voelkerschaft die Skordisker waren, +so kann es nur ein Fehler von Florus sein, dass er statt des Margos +(Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt. ^11 Von dieser Vernichtung +der Skordisker, waehrend die Maeder und Dardaner zum Vertrag zugelassen +wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind seitdem die +Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schliessliche +Ueberwaeltigung im 32. Jahr apo t/e/s pr/o/t/e/s eis Kelto?s peiras +stattgefunden hat, so scheint dies von einem zweiunddreissigjaehrigen +Krieg zwischen den Roemern und den Skordiskern verstanden werden zu +muessen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach der Konstituierung +der Provinz Makedonien (608 146) faellt und von dem die oben +verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. Dass die +Ueberwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Buergerkriege, also +wohl spaetestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzaehlung +hervor. Sie faellt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein +Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis +vollstaendig; indes ist es moeglich, dass es aus irgendeinem Grund zum +Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht bekannt; vielleicht ist +es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 (83), da dieser infolge +der cinnanisch- marianischen Wirren fueglich verspaetet zum Konsulat +gelangt sein kann. ------------------------------------------------- +Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten. +Schon seit laengerer Zeit irrte ein "unstetes Volk" an dem noerdlichen +Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen +Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heisst die Chempho, +die Kaempen oder, wie ihre Feinde uebersetzten, die Raeuber, welche +Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum +Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stiessen unter den +Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Boehmen. +Genaueres ueber die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben +die Zeitgenossen aufzuzeichnen versaeumt ^12 und kann auch durch keine +Mutmassung ergaenzt werden, da die derzeitigen Zustaende noerdlich von +Boehmen und dem Main und oestlich vom unteren Rheine unseren Blicken +sich vollstaendig entziehen. Dagegen dafuer, dass die Kimbrer und nicht +minder der ihnen spaeter sich anschliessende gleichartige Schwarm der +Teutonen ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehoeren, der +die Roemer sie anfaenglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen +die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger +Staemme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurueckgebliebener Reste, +der Kimbrer im heutigen Daenemark, der Teutonen im nordoestlichen +Deutschland in der Naehe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des +Grossen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels +gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen +Voelkertafel unter den Ingaevonen neben den Chaukern; das Urteil +Caesars, der zuerst die Roemer den Unterschied der Deutschen und der +Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen +gesehen haben muss, den Deutschen beizaehlt; endlich die Voelkernamen +selbst und die Angaben ueber ihre Koerperbildung und ihr sonstiges +Wesen, die zwar auf die Nordlaender ueberhaupt, aber doch vorwiegend auf +die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, dass ein solcher +Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich +befunden und auf seinen Zuegen an und in dem Keltenland ohne Zweifel +jeden Waffenbruder, der sich anschloss, willkommen geheissen hatte, eine +Menge keltischer Elemente in sich schloss; so dass es nicht befremdet, +wenn Maenner keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder +wenn die Roemer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu +kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Roemer noch +nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht +ein "heiliger Lenz" in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern +ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog, +eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der ueberall bei den noch +nicht voellig sesshaft gewordenen Voelkern des Nordens eine andere +Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den +Kelten durchgaengig ins Lager mitgefuehrt ward, war hier gleichsam das +Haus, wo unter dem uebergespannten Lederdach neben dem Geraet Platz +sich fand fuer die Frau und die Kinder und selbst fuer den Haushund. Die +Suedlaender sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit +den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen +Frauen, die den Maennern an Groesse und Staerke wenig nachgaben, +die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die +flachskoepfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war +wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die +italischen, barhaeuptig und bloss mit Schwert und Dolch fochten, +sondern mit kupfernen, oft reichgeschmueckten Helmen und mit einer +eigentuemlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das grosse Schwert +geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch +einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Roemer in +dieser Waffe ihnen ueberlegen. Die Schlachtordnung war wie frueher eine +rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, +deren erstes Glied in gefaehrlichen Gefechten nicht selten die +metallenen Leibguertel mit Stricken zusammenknuepfte. Die Sitten waren +rauh. Das Fleisch ward haeufig roh verschlungen. Heerkoenig war der +tapferste und womoeglich der laengste Mann. Nicht selten ward, nach Art +der Kelten und ueberhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher +mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein +einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf +machten Verhoehnungen des Feindes durch unschickliche Gebaerden und ein +entsetzliches Gelaerm, indem die Maenner ihr Schlachtgebruell erhoben +und die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel +nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem +Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes wuerdig war +-, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste +Bestialitaet und verhiess auch wohl im voraus den Schlachtgoettern, +darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben wuerde. Dann +wurden die Geraete zerschlagen, die Pferde getoetet, die Gefangenen +aufgeknuepft oder nur aufbehalten, um den Goettern geopfert zu werden. +Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weissen linnenen Gewaendern +und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen +und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder +Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner +Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie +viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die +Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer +geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art +angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte +Land, ein ungeheures Knaeuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern +deutscher Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht +unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten aehnlich +belastet und aehnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein +uebers Meer fahren; ihre schwerfaellige Wagenburg mit der Gewandtheit, +die ein langes Wanderleben gibt, hinueberfuehrend ueber Stroeme und +Gebirge, gefaehrlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und +die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch +vordringend, bald ploetzlich stockend oder seitwaerts und rueckwaerts +sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren +sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in +der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten haette, das +wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man spaeter anfing, die Kette +zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den +Kreis der antiken Zivilisation beruehrt hat, ein Glied ist, war die +unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen. +------------------------------------------------------ ^12 Denn der +Bericht, dass an den Kuesten der Nordsee durch Sturmfluten grosse +Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der +Kimbrer veranlasst worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns +nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, maerchenhaft, allein ob er +auf Ueberlieferung oder Vermutung sich gruendet, ist doch nicht zu +entscheiden. ------------------------------------------------------ Dies +heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau, +namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Sueden vorzudringen, +durchbrach diese Schranke infolge der von den Roemern gegen die +Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, dass die Donaukelten die +kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen, +oder dass jene durch den Angriff der Roemer verhindert wurden, ihre +Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch das Gebiet der Skordisker +einrueckend in das Tauriskerland, naeherten sie im Jahre 641 (113) sich +den Krainer Alpenpaessen, zu deren Deckung der Konsul Gnaeus Papirius +Carbo auf den Hoehen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier hatten +siebzig Jahre zuvor keltische Staemme sich diesseits der Alpen +anzusiedeln versucht, aber auf Geheiss der Roemer den schon okkupierten +Boden ohne Widerstand geraeumt; auch jetzt erwies die Furcht der +transalpinischen Voelker vor dem roemischen Namen sich maechtig. Die +Kimbrer griffen nicht an; ja sie fuegten sich, als Carbo sie das Gebiet +der Gastfreunde Roms, der Taurisker, raeumen hiess, wozu der Vertrag mit +diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den Fuehrern, die ihnen +Carbo gegeben hatte, um sie ueber die Grenze zu geleiten. Allein diese +Fuehrer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen Hinterhalt zu +locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im heutigen +Kaernten zum Kampf, in dem die Verratenen ueber den Verraeter siegten +und ihm betraechtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das +die Kaempfenden trennte, verhinderte die vollstaendige Vernichtung +der roemischen Armee. Die Kimbrer haetten sogleich ihren Angriff gegen +Italien richten koennen; sie zogen es vor, sich westwaerts zu wenden. +Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als durch Gewalt +der Waffen eroeffneten sie sich den Weg auf das linke Rheinufer und +ueber den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos Niederlage +abermals in naechster Naehe das roemische Gebiet. Die Rheingrenze und +das zunaechst gefaehrdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien +645 (109) im suedlichen Gallien ein roemisches Heer unter Marcus Iunius +Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich +niederlassen koennten - eine Bitte, die sich allerdings nicht gewaehren +liess. Der Konsul griff statt aller Antwort sie an; er ward vollstaendig +geschlagen und das roemische Lager erobert. Die neuen Aushebungen, +welche durch diesen Unfall veranlasst wurden, stiessen bereits auf +so grosse Schwierigkeit, dass der Senat deshalb die Aufhebung der +vermutlich von Gaius Gracchus herruehrenden, die Verpflichtung zum +Kriegsdienst der Zeit nach einschraenkenden Gesetze bewirkte. Indes die +Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Roemer zu verfolgen, sandten an +den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von Land zu wiederholen, und +beschaeftigten sich inzwischen, wie es scheint, mit der Unterwerfung +der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor den Deutschen die +roemische Provinz und die neue roemische Armee fuer den Augenblick Ruhe; +dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die Helvetier, +die in den steten Kaempfen mit ihren nordoestlichen Nachbarn viel zu +leiden hatten, fuehlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt, +gleichfalls im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze +zu suchen, und hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr +Land zogen, sich dazu mit ihnen verbuendet; jetzt ueberschritten unter +Divicos Fuehrung die Mannschaften der Tougener (unbekannter Lage) und +der Tigoriner (am See von Murten) den Jura ^13 und gelangten bis in +das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne). Das roemische Heer +unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier stiessen, +liess sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der +Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem +groessten Teil der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische +Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich in das Lager gerettet +hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug unter dem Joch gegen +Auslieferung der Haelfte der Habe, die die Truppen mit sich fuehrten, +und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich standen die Dinge fuer +die Roemer, dass in ihrer eigenen Provinz eine der wichtigsten Staedte, +Tolosa, sich gegen sie erhob und die roemische Besatzung in Fesseln +schlug. ------------------------------------- ^13 Die gewoehnliche +Annahme, dass die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern zugleich in +Gallien eingerueckt seien, laesst sich auf Strabon 7, 293 nicht stuetzen +und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die +Ueberlieferung ueber diesen Krieg ist uebrigens in einer Weise +truemmerhaft, dass eine zusammenhaengende Geschichtserzaehlung, +voellig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf +ungefaehre Richtigkeit. -------------------------------------- Indes +da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die +Helvetier vorlaeufig die roemische Provinz nicht weiter belaestigten, +hatte der neue roemische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle +Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu bemaechtigen und +das alte und beruehmte Heiligtum des Keltischen Apollon von den +darin aufgehaeuften ungeheuren Schaetzen mit Musse zu leeren - ein +erwuenschter Gewinn fuer die bedraengte Staatskasse, nur dass leider +die Gold- und Silberfaesser auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der +schwachen Bedeckung durch einen Raeuberhaufen abgenommen wurden +und spurlos verschwanden; wie es hiess, waren die Anstifter dieses +Ueberfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen +beschraenkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive +und huetete mit drei starken Heeren die roemische Provinz, bis es den +Kimbrern gefallen wuerde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre +649 (105) unter ihrem Koenig Boiorix, diesmal ernstlich denkend an +einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der +Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter +ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular +Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward voellig +geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht, +wo der kimbrische Koenig, erzuernt ueber die stolze Warnung des +gefangenen Roemers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen, +ihn niederstiess. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer ueber +die Rhone zu fuehren; widerwillig sich fuegend erschien dieser endlich +bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze +roemische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenueberstand und ihm durch ihre +ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, dass die Kimbrer anfingen +zu unterhandeln. Allein die beiden Fuehrer lebten im heftigsten +Zerwuerfnis. Maximus, ein geringer und unfaehiger Mann, war als Konsul +seinem stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten +prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen uebergeordnet; allein +dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und +gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie +vor sein selbstaendiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des +roemischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persoenliche +Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, erweiterte +nur den Riss. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer +verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung +allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst +auf den Feind. Er ward voellig vernichtet, so dass auch das Lager dem +Feinde in die Haende fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog +die nicht minder vollstaendige Niederlage der zweiten roemischen Armee +nach sich. Es sollen 80000 roemische Soldaten und halb soviel von dem +ungeheuren und unbehilflichen Tross gefallen, nur zehn Mann entkommen +sein - so viel ist gewiss, dass es nur wenigen von den beiden Heeren +gelang, sich zu retten, da die Roemer mit dem Fluss im Ruecken gefochten +hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag +von Cannae weit ueberbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus, +des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck +voruebergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfaellen +zu eroeffnen; die Unueberwindlichkeit der roemischen Waffen stand so +unerschuetterlich fest, dass es ueberfluessig schien, die ziemlich +zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das +den unverteidigten Alpenpaessen in erschreckender Weise sich naehernde +Kimbrerheer, die sowohl in der roemischen Landschaft jenseits der +Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstaerkt ausbrechende +Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens ruettelten furchtbar auf +aus diesen Traeumen. Man gedachte wieder der nie voellig vergessenen +Keltenstuerme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des +Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich aeltester Erinnerung +und frischester Angst kam der Gallierschreck ueber Italien; im ganzen +Okzident schien man es inne zu werden, dass die Roemerherrschaft +anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch +Senatsbeschluss die Trauerzeit abgekuerzt ^14. Die neuen Werbungen +stellten den drueckendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfaehigen +Italiker mussten schwoeren, Italien nicht zu verlassen; die Kapitaene +der in den italischen Haefen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen +dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was +haette kommen moegen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg +durch die Alpenpforten in Italien eingerueckt waeren. Indes sie +ueberschwemmten zunaechst das Gebiet der Arverner, die muehsam in +ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der +Belagerung muede, nicht nach Italien, sondern westwaerts gegen die +Pyrenaeen. ---------------------------------------------- ^14 +Hierher gehoert ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122. +---------------------------------------------- Wenn der erstarrte +Organismus der roemischen Politik noch aus sich selber zu einer +heilsamen Krise gelangen konnte, so musste sie jetzt eintreten, wo durch +einen der wunderbaren Gluecksfaelle, an denen die Geschichte Roms so +reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen +Patriotismus in der Buergerschaft aufzuruetteln, und doch nicht so +ploetzlich hereinbrach, dass diesen Kraeften kein Raum geblieben waere, +sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur ebendieselben +Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den afrikanischen Niederlagen +eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen und die gallischen +Unfaelle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, dass zunaechst jene mehr +der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last fielen; +allein die oeffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor +allen Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender +Entwicklung zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz +in Frage stellte. Man taeuschte sich damals so wenig wie jetzt ueber den +wahren Sitz des Uebels, allein jetzt so wenig wie damals brachte man es +auch nur zu einem Versuch, an der rechten Stelle zu bessern. Man sah es +wohl, dass das System die Schuld trug; aber man blieb auch diesmal +dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud +freilich ueber den Haeuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich +mit um so viel schwereren Schlaegen, als die Katastrophe von 649 +(105) die von 645 (109) an Umfang und Gefaehrlichkeit uebertraf. +Das instinktmaessig sichere Gefuehl des Publikums, dass es gegen die +Oligarchie kein Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum, +indem dasselbe bereitwillig einging auf jeden Versuch namhafter +Offiziere, der Regierung die Hand zu zwingen und unter dieser oder +jener Form das oligarchische Regiment durch eine Diktatur zu stuerzen. +Zunaechst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten; +mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunaechst durch +seine Unbotmaessigkeit herbeigefuehrt war, auch abgesehen von der +wahrscheinlich gegruendeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der +tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn +entwickelte, wesentlich auch das bei, dass er als Konsul einen Versuch +gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreissen. Um +seinetwillen ward der alte ehrwuerdige Grundsatz, auch im schlechtesten +Gefaess die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, waehrend gegen +den Urheber des cannensischen Unglueckstages der Tadel in die stille +Brust verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio +durch Volksbeschluss des Prokonsulats entsetzt und - was seit den +Krisen, in denen das Koenigtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen +war - sein Vermoegen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht +lange nachher wurde derselbe durch einen zweiten Buergerschluss aus dem +Senat gestossen (650 104). Aber dies genuegte nicht; man wollte mehr +Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter +Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius +Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen +Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen; +trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der +Todesstrafe fuer politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die +Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil ueber ihn zu faellen +und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische +Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune +wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen +Auflauf die ersten Maenner des Senats durch Steinwuerfe verletzt. Die +Untersuchung war nicht zu verhindern und der Prozesskrieg ging im Jahre +651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; Caepio selbst, sein Kollege +im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche andere angesehene +Maenner wurden verurteilt; mit Muehe gelang es einem mit Caepio +befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen buergerlichen +Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu retten ^15. +------------------------------------------ ^15 Die Amtsentsetzung des +Prokonsuls Caepio, mit der die Vermoegenseinziehung verbunden war (Liv. +ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht von Arausio +(6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Dass +zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit +verstrich, zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio +gemuenzte Antrag, dass Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat +nach sich ziehen solle (Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus +(p. 10: Cn. Manilius ob eandem causam quam et Caepio L. Saturnini +rogatione e civitate est cito [?] eiectus; wodurch die Andeutung bei +Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt, dass ein von +Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe +herbeigefuehrt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das +Appuleische Gesetz ueber die geschmaelerte Majestaet des roemischen +Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt +desselben schon frueher (Bd. 2, S. 193 der ersten Auflage +[Orig.]) bestimmt ward, Saturninus' Antrag auf Niedersetzung einer +ausserordentlichen Kommission zur Untersuchung der waehrend +der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverraetereien. Die +Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3, +30, 74) entsprang in ganz aehnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz, +wie die dort weiter genannten Spezialgerichte ueber eine aergerliche +Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die ueber die +Vorgaenge mit den Vestalinnen aus dem Peducaeischen von 641 (113), die +ueber den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110). +Die Vergleichung dieser Faelle lehrt auch, dass von dergleichen +Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen +an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn +anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird, +der das Verfahren gegen Caepio veranlasste und dafuer spaeter zur +Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200. +part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn +der Antrag ging, wie gewoehnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet. +Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits tot +war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung zu +ueben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten und +schliesslichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewoehnliche, +sehr unueberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), +zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits frueher +zurueckgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, dass Crassus als +Konsul, also 659 (95) fuer Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er +aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus +wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius +Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Frueher wurde fuer diese +zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, dass +sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken +zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros. +hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum +zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden +sich nicht, aber die sehr ueberwiegende Wahrscheinlichkeit spricht fuer +das erstere Jahr, teils weil dies den Ungluecksfaellen in Gallien +naeher steht, teils weil in den ziemlich ausfuehrlichen Berichten ueber +Saturninus' zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen +diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Dass die infolge +der Urteilssprueche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den +Staatsschatz zurueckgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat +fuer seine Kolonisationsplaene in Anspruch genommen werden (Vir. ill. +73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht +entscheidend und kann ueberdies leicht durch Verwechslung von dem ersten +afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus +uebertragen worden sein. Dass spaeterhin, als Norbanus belangt ward, +dies eben auf Grund des von ihm mitveranlassten Gesetzes geschah, ist +eine dem roemischen politischen Prozess dieser Zeit gewoehnliche Ironie +(Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als +sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spaetere Cornelische, +ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen. +------------------------------------------------ Wichtiger als diese +Massregel der Rache war die Frage, wie der gefaehrliche Krieg +jenseits der Alpen ferner gefuehrt und zunaechst, wem darin die +Oberfeldherrnschaft uebertragen werden sollte. Bei unbefangener +Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war +zwar im Vergleich mit frueheren Zeiten an militaerischen Notabilitaeten +nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus +Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den Donaulaendern, Quintus +Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Afrika mit +Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen +Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens +gegenueber die oft erprobte Ueberlegenheit roemischer Waffen und +roemischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines +genialen, sondern nur eines strengen und tuechtigen Kriegsmanns +bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher moeglich war +als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung +war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische +Krieg gezeigt hatte, in der oeffentlichen Meinung so vollstaendig +bankrott, dass ihre tuechtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn +weichen mussten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem +Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich an +die Spitze der Geschaefte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, +dass, was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich +wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus Caepio. +Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat mehr als +einmal zu uebernehmen verbot, auf als Bewerber um das hoechste Staatsamt +und nicht bloss ward er, waehrend er noch in Afrika an der Spitze des +dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in +dem Gallischen Krieg uebergeben, sondern es ward ihm auch fuenf +Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das Konsulat +uebertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter Hohn +gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen Torheit +und Kurzsichtigkeit bewaehrten exklusiven Geist der Nobilitaet, aber +freilich auch in den Annalen der Republik unerhoert und in der Tat mit +dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unvertraeglich +war. Namentlich in dem roemischen Militaerwesen, dessen im Afrikanischen +Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Buergerwehr in eine Soeldnerschar +Marius waehrend seines fuenfjaehrigen, durch die Not der Zeit mehr noch +als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschraenkten +Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser +inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen +Generals fuer alle Zeit sichtbar geblieben. Der neue Oberfeldherr Gaius +Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der Alpen, gefolgt von einer +Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kuehne Faenger des Jugurtha, +Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von zahlreichen Scharen +italischer und bundesgenoessischer Soldaten. Zunaechst fand er den +Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, +die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, +nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, ueber +die Pyrenaeen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den +tapferen Bewohnern der Nordkueste und des Binnenlandes herum; es schien, +als wollten die Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei +ihrem ersten Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius +volle Zeit, einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam +zurueckzubringen, die schwankende Treue der untertaenigen gallischen und +ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie ausserhalb +der roemischen Provinz von den gleich den Roemern durch die Kimbrer +gefaehrdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den +Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits +durch strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme +und Geringe das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch +Maersche und ausgedehnte Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung +eines spaeter den Massalioten ueberwiesenen Rhonekanals zur leichteren +Herbeischaffung der von Italien dem Heer nachgesandten Transporte - +die Soldaten fuer die ernstere Kriegsarbeit tuechtig zu machen. Auch er +verhielt sich in strenger Defensive und ueberschritt nicht die Grenzen +der roemischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651 +(103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen +Widerstand der eingeborenen Voelkerschaften, namentlich der Keltiberer +sich gebrochen hatte, wieder zurueck ueber die Pyrenaeen und von da, +wie es scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen +Maennern sich unterwarf, von den Pyrenaeen bis zur Seine. Erst hier, an +der Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen +sie auf ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, waehrend sie +im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher +Zuzug. Nicht bloss drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner +und Tougener, welche frueher an der Garonne gegen die Roemer gefochten +hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern, +sondern es stiessen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter +ihrem Koenig Teutobod, welche durch uns nicht ueberlieferte Fuegungen +aus ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen +waren ^16. Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen +Widerstand der Belgen nicht zu ueberwaeltigen. Die Fuehrer entschlossen +sich daher, mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals +beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit +dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier +zurueckgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus +denen spaeter nach mancherlei Irrfahrten die Voelkerschaft der Aduatuker +an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen +Verpflegung auf den Alpenstrassen, sei es aus anderen Gruenden, die +Massen loesten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine, +die Kimbrer und Tigoriner, ueber den Rhein zurueck und durch die schon +im Jahre 641 (113) erkundeten Paesse der Ostalpen, der andere, die +neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von +Arausio bewaehrte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das roemische +Gallien und die Westpaesse nach Italien eindringen sollte. Diese zweite +Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die Rhone +ueberschritt und am linken Ufer derselben mit den Roemern den Kampf nach +fast dreijaehriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in einem +wohlgewaehlten und wohlverproviantierten Lager am Einfluss der Isere in +die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals gangbaren +Heerstrassen nach Italien, die ueber den Kleinen Bernhard und die an der +Kueste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager +an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm +der Barbaren um die roemischen Verschanzungen, aber der wilde Mut +scheiterte an der Ueberlegenheit der Roemer im Festungskrieg und an der +Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich die +dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fuerbass +nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran +vorueber, ein Beweis mehr noch fuer die Schwerfaelligkeit ihres Trosses +als fuer ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr liess es geschehen ohne +anzugreifen; dass er durch den hoehnischen Zuruf der Feinde, ob die +Roemer nicht Auftraege haetten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren +liess, ist begreiflich, aber dass er dies verwegene Vorbeidefilieren +der feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten roemischen Masse nicht +benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeuebten Soldaten +vertraute. Als der Zug vorueber war, brach auch er sein Lager ab und +folgte dem Feinde auf dem Fuss, in strenger Ordnung und Nacht fuer Nacht +sich sorgfaeltig verschanzend. Die Teutonen, die der Kuestenstrasse +zustrebten, gelangten laengs der Rhone hinabmarschierend bis in die +Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Roemern. Beim Wasserschoepfen +stiessen hier die leichten ligurischen Truppen der Roemer mit der +feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald +allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Roemer und verfolgten +den weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glueckliche +Zusammenstoss erhoehte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am +dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Huegel, dessen Spitze +das roemische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. +Die Teutonen, laengst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, +stuermten sofort den Huegel hinauf und begannen das Gefecht. Es war +ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die +Mauern; allein die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte +ihre Sehnen und ein blinder Laerm in ihrem Ruecken, wo ein Haufen +roemischer Trossbuben aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem +Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Aufloesung der +schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie +begreiflich in dem fremden Lande, entweder getoetet oder gefangen; +unter den Gefangenen war der Koenig Teutobod, unter den Toten eine +Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als +Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr +sich hatten niedermachen lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem +sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Goetter und der heiligen +Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten +(Sommer 652 102). ----------------------------------------------- ^16 +Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhaeltnismaessig +zuverlaessigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen +ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei +Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen +schon frueher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von +Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind verbunden die +Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer +in die roemische Provinz und nach Italien nur die Expedition von 652 +(102) gemeint sein kann. ---------------------------------------------- +So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon +standen deren Waffenbrueder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern +verbuendet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in +das obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpass +ueberschritten und waren von da durch die Taeler der Eisack und Etsch +hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus +Lutatius Catulus die Paesse bewachen; allein der Gegend nicht voellig +kundig und fuerchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut, +in die Alpen selbst vorzuruecken, sondern unterhalb Trient am linken +Ufer der Etsch sich aufgestellt und fuer alle Faelle den Rueckzug auf +das rechte durch Anlegung einer Bruecke sich gesichert. Allein als nun +die Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein +panischer Schreck das roemische Heer und Legionaere und Reiter liefen +davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die naechste +Anhoehe, die Sicherheit zu gewaehren schien. Mit genauer Not brachte +Catulus wenigstens den groessten Teil seines Heeres durch eine +Kriegslist wieder an den Fluss und ueber die Bruecke zurueck, ehe es den +Feinden, die den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Baeume +und Balken gegen die Bruecke hinabtreiben liessen, gelang, diese zu +zerstoeren und damit dem Heer den Rueckzug abzuschneiden. Eine Legion +indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer zuruecklassen muessen und +bereits wollte der feige Tribun, der sie fuehrte, kapitulieren, als +der Rottenfuehrer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstiess und mitten +durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich +durchschlug. So war das Heer und einigermassen selbst die Waffenehre +gerettet; allein die Folgen der versaeumten Besetzung der Paesse und des +uebereilten Rueckzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus musste auf +das rechte Ufer des Po sich zurueckziehen und die ganze Ebene zwischen +dem Po und den Alpen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so dass man die +Verbindung mit Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im +Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und +den Roemern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Haetten die Kimbrer +ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr +bedraengte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, +blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die +ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Baeder, die neuen +reichlichen Speisen und Getraenke sie einluden, es sich vorlaeufig wohl +sein zu lassen. Dadurch gewannen die Roemer Zeit, ihnen mit +vereinigten Kraeften in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der +demokratische General sonst wohl getan haben wuerde, den unterbrochenen +Eroberungsplan des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen +haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde +das siegreiche Heer an den Po gefuehrt und nach kurzem Verweilen in +der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach voelliger +Ueberwindung der Barbaren zurueckwies, traf auch Marius selbst bei den +vereinigten Armeen ein. Im Fruehjahr 653 (101) ueberschritten sie, 50000 +Mann stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum +den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flussaufwaerts +marschiert zu sein scheinen, um den maechtigen Strom an seiner Quelle zu +ueberschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Muendung der Sesia in den +Po ^17, ebenda, wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden +geschlagen hatte, trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer +wuenschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte gemaess, zu den +Roemern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen und +nannte den naechsten Tag - es war der 30. Juli 653 (101) - und das +Raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die ueberlegene roemische +Reiterei einen vorteilhaften Spielraum fand. Hier stiess man auf den +Feind, erwartet und doch ueberraschend; denn in dem dichten Morgennebel +fand sich die kimbrische Reiterei im Handgemenge mit der staerkeren +roemischen, ehe sie es vermutete, und ward von ihr zurueckgeworfen auf +das Fussvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit geringen Opfern ward +ein vollstaendiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Gluecklich +mochte heissen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter +ihnen der tapfere Koenig Boiorix; gluecklicher mindestens als die, +die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf +dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mussten, der dem einzelnen +Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des schoenen Suedens begehrt zu +haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen +der Alpen zurueckgeblieben waren, um den Kimbrern spaeter zu folgen, +verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimat. Die +Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro, +von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte unter der +Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der deutschen +Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk +der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr. +------------------------------------------------- ^17 Man hat nicht wohl +getan, von der Ueberlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona +zu verlegen; wobei uebersehen ward, dass zwischen den Gefechten an der +Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache +Truppenbewegungen liegen, und dass Catulus nach ausdruecklicher Angabe +(Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurueckgewichen war. Auch +die Angaben, dass am Po (Hier. chron. a. Abr.) und dass da, wo Stilicho +spaeter die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer +geschlagen wurden, fuehren, obwohl beide ungenau, doch viel eher +nach Vercellae als nach Verona. +--------------------------------------------------- Ueber den Leichen +haderten die politischen Parteien Roms ihren kuemmerlichen Hader weiter, +ohne um das grosse Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekuemmern, davon +hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu +geben dem reinen Gefuehl, dass an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms +Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalitaet der beiden +Feldherren, die nicht bloss politische Gegner, sondern auch durch den +so verschiedenen Erfolg der beiden vorjaehrigen Feldzuege militaerisch +gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwaertigsten +Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, dass das Mitteltreffen, +das er befehligte, den Sieg entschieden habe und dass von seinen Leuten +einunddreissig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien +- seine Soldaten fuehrten sogar die Abgeordneten der Stadt Parma durch +die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, dass Marius tausend geschlagen +habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als der +eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloss, weil er +kraft seines hoeheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl +gefuehrt hatte und an militaerischer Begabung und Erfahrung seinem +Kollegen ohne Zweifel weit ueberlegen war, sondern vor allem, weil der +zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur moeglich geworden war durch den +ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger +diese Erwaegungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom +errettet zu haben ganz und voll an Marius' Namen knuepften, als die +politischen Parteiruecksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter +Mann, ein so anmutiger Sprecher, dass der Wohllaut seiner Worte fast +wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und +Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter; +aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein +Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des groben Bauern, welcher +von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk +zum Siege gefuehrt hatte, diese Schlachten waren nicht bloss Niederlagen +der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es +knuepften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, dass man +wieder ungestoert jenseits der Alpen Geldgeschaefte machen oder +diesseits den Acker bauen koenne. Zwanzig Jahre waren verstrichen, +seit Gaius Gracchus' blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit +zwanzig Jahren ward das Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen +und verwuenscht; immer noch war dem Gracchus kein Raecher, seinem +angefangenen Bau kein zweiter Meister erstanden. Es hassten und hofften +viele, viele von den schlechtesten und viele von den besten Buergern des +Staats; war der Mann, der diese Rache und diese Wuensche zu erfuellen +verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tageloehners von Arpinum? +Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefuerchteten und +vielersehnten zweiten Revolution? 6. Kapitel Revolutionsversuch des +Marius und Reformversuch des Drusus Gaius Marius ward, eines +armen Tageloehners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in dem damals +arpinatischen Dorfe Cereatae, das spaeter als Cereatae Marianae +Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen "Mariusheimat" (Casamare) +traegt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so duerftigen Verhaeltnissen, +dass sie ihm selbst zu den Gemeindeaemtern von Arpinum den Zugang +zu verschliessen schienen; er lernte frueh, was er spaeter noch als +Feldherr uebte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkaelte ertragen +und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte, +war er in das Heer eingetreten und hatte in der schweren Schule der +Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier emporgedient; in Scipios +Numantinischem Kriege zog er, damals dreiundzwanzigjaehrig, des strengen +Feldherrn Augen auf sich durch die saubere Haltung seines Pferdes und +seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares +Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und +kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der ruehmlich +betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den +damaligen Verhaeltnissen konnte zu den politischen Aemtern, die allein +zu hoeheren Militaerstellen fuehrten, auch der verdienteste Mann nicht +gelangen ohne Vermoegen und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen +Offizier zuteil durch glueckliche Handelsspekulationen und durch die +Verbindung mit einem Maedchen aus dem altadligen Geschlecht der +Julier; so gelangte er unter grossen Anstrengungen und nach vielfachen +Misserfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Praetur, in welcher er als +Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militaerische Tuechtigkeit +aufs neue zu bewaehren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie +zum Trotz im Jahre 647 (107) das Konsulat uebernahm und als Prokonsul +(648, 649 106, 105) den Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem +Unglueckstag von Arausio zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen +berufen, unter viermal vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) +wiederholter, in den Annalen der Republik beispielloser Erneuerung +des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen +ueberwand und vernichtete, ist bereits erzaehlt worden. In seinem +Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen +Mann, der unparteiisch Recht sprach, ueber die Beute mit seltener +Ehrlichkeit und Uneigennuetzigkeit verfuegte und durchaus unbestechlich +war; als einen geschickten Organisator, der die einigermassen +eingerostete Maschine des roemischen Heerwesens wieder in brauchbaren +Stand gesetzt hatte; als einen faehigen Feldherrn, der den Soldaten +in Zucht und doch bei guter Laune erhielt und zugleich im +kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber +kuehn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine +militaerische Kapazitaet im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen +koennen, nicht; allein die sehr achtungswerten Eigenschaften, die +er besass, genuegten unter den damals bestehenden Verhaeltnissen +vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, und auf diesen +gestuetzt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise eingetreten +unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er passte darum nicht +besser in den glaenzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, sein +Blick wild, als saehe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht +wohlerzogene und parfuemierte Kollegen. Dass er aberglaeubisch war wie +ein echter Lanzknecht, dass er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat +sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunaechst durch die +Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen liess, und +bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin Martha +mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich +unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen +Zeiten die hoechsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft. +Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar +loeblich, dass er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man +denken von einem der verfassungsmaessigen Etikette so unkundigen Konsul, +dass er im Triumphalkostuem im Senat erschien! Auch sonst hing die +Rotuere ihm an. Er war nicht bloss - nach aristokratischer Terminologie +- ein armer Mann, sondern, was schlimmer war, genuegsam und ein +abgesagter Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart +war er nicht waehlerisch, aber becherte gern, besonders in spaeteren +Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten +Koch. Ebenso uebel war es, dass der Konsular nur Lateinisch verstand +und die griechische Konversation sich verbitten musste; dass er bei +den griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war +vermutlich nicht der einzige -, aber dass er sich zu seiner Langenweile +bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die +Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen +Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie +diese selber zu verachten er denn doch nicht ueber sich vermochte. Nicht +viel weniger wie ausserhalb der Gesellschaft stand Marius ausserhalb +der Parteien. Die Massregeln, die er in seinem Volkstribunat (635 119) +durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der Stimmtaefelchen +zur Abstellung der argen dabei stattfindenden Betruegereien und die +Verhinderung ausschweifender Antraege auf Spenden an das Volk, tragen +nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der demokratischen, +sondern zeigen nur, dass ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft verhasst +waren; und wie haette auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt +und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionaer sein koennen? Die +Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar spaeter in das Lager +der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier auf den +Schild gehoben zunaechst als Feldherr der Opposition und demnaechst +vielleicht bestimmt zu noch hoeheren Dingen. Allein es war dies +weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhaeltnisse und des +allgemeinen Beduerfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein +eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48 +(107/06) kaum voruebergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt. +Erst in der zweiten Haelfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie +ueber die Kimbrer so ueber die Teutonen, nach Rom zurueck, um den +verschobenen Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann +in Rom und doch zugleich politischer Anfaenger. Es war unwidersprechlich +ausgemacht, nicht bloss dass Marius Rom gerettet habe, sondern dass er +der einzige Mann sei, der Rom habe retten koennen; sein Name war auf +allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem +Volk war er populaer wie keiner vor oder nach ihm, populaer durch +seine Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische +Uneigennuetzigkeit nicht minder wie durch seine baeurische Derbheit; er +hiess der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den +Goettern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem +Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn +er seinen Zug von Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos +von Erdteil zu Erdteil verglich und sich fuer seinen Gebrauch einen +Becher - keinen von den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen +fertigen liess. Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser +taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann von kaelterem +Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht haette. +Marius' Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer +als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem +ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition +kam es zu, Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und +Soldaten, das hauptstaedtische politische Treiben fremd und unbequem; er +sprach so schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und +Schwertern der Feinde gegenueber eine weit festere Haltung als gegen die +klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an. +Hoffnungen binden. Seine militaerische und politische Stellung war +von der Art, dass, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht +brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht taeuschen, +seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der +Missverwaltung der oeffentlichen Angelegenheiten steuern und dem +Restaurationsregiment ein Ende machen musste, und wenn er nur die +inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besass, so konnte er dessen, +was zum Volksfuehrer ihm abging, allerdings entraten. Eine furchtbare +Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis auf seine +Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, die +Aushebung lediglich auf die vermoegenden Buerger zu beschraenken und die +Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermoegensklassen zu +ordnen, wohl schon manches nachlassen muessen: es war das zum Eintritt +in das Buergerheer verpflichtende Minimalvermoegen von 11000 Assen (300 +Talern) herabgesetzt worden auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die +aelteren sechs in den Waffengattungen unterschiedenen Vermoegensklassen +beschraenkt worden auf drei, indem man zwar wie nach der Servianischen +Ordnung die Reiter aus den vermoegendsten, die Leichtbewaffneten aus den +aermsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche +Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermoegen, sondern nach +dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und Triarier +ordnet. Man hatte ferner schon laengst die italischen Bundesgenossen +in sehr ausgedehntem Masse zum Kriegsdienst mitherangezogen, indes auch +hier, ganz wie bei der roemischen Buergerschaft, die Militaerpflicht +vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger +ruhte das roemische Militaerwesen bis auf Marius im wesentlichen +auf jener uralten Buergerwehrordnung. Allein fuer die veraenderten +Verhaeltnisse passte dieselbe nicht mehr. Die besseren Klassen der +Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurueck, +teils schwand der roemische und italische Mittelstand ueberhaupt +zusammen; dagegen waren einesteils die betraechtlichen Streitmittel +der ausseritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfuegbar geworden, +andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein +militaerisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Buergerreiterei, +die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im +Felddienst schon vor Marius tatsaechlich eingegangen. Als wirklicher +Heerkoerper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen Feldzug von 614 +(140), wo sie den Feldherrn durch ihren hoehnischen Hochmut und ihre +Unbotmaessigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von +den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit gefuehrter +Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch +als eine Art Nobelgarde fuer den Feldherrn und fremde Prinzen; von da +an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergaenzung der Legionen +mit gehoerig qualifizierten Pflichtigen schon im gewoehnlichen Lauf der +Dinge schwierig, so dass Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von +Arausio noetig waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften +ueber die Dienstpflicht wohl in der Tat materiell unausfuehrbar gewesen +sein wuerden. Andererseits wurden schon vor Marius, namentlich in der +Kavallerie und der leichten Infanterie, die ausseritalischen Untertanen, +die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte afrikanische Reiterei, +das vortreffliche leichte Fussvolk der bebenden Ligurer, die Schleuderer +von den Balearen, in immer groesserer Anzahl auch ausserhalb ihrer +Provinzen bei den roemischen Heeren mitverwendet; und zugleich draengten +sich, waehrend an qualifizierten Buergerrekruten Mangel war, die +nichtqualifizierten aermeren Buerger ungerufen zum Eintritt in die +Armee, wie denn bei der Masse des arbeitslosen oder arbeitsscheuen +Buergergesindels und bei den ansehnlichen Vorteilen, die der roemische +Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein +konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz +der politischen und sozialen Umwandlung des Staats, dass man im +Militaerwesen ueberging von dem System des Buergeraufgebots zu dem +Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die leichten Truppen wesentlich +aus den Kontingenten der Untertanen bildete, wie denn fuer den +kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien Zuzug angesagt ward, fuer +die Linieninfanterie aber zwar die bisherige Dienstpflichtordnung nicht +aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Buerger den freiwilligen +Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) tat. Hierzu +kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls +auf Marius zurueckgeht. Die roemische Weise aristokratischer Gliederung +hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen +der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man +auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie +hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach Vermoegens- +oder Dienstalter und grossenteils auch verschiedene Bewaffnung, jedes +seinen ein fuer allemal bestimmten Platz in der Schlachtordnung, jedes +seinen bestimmten militaerischen Rang und sein eigenes Feldzeichen +gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt ueber den Haufen. Wer +ueberhaupt als Legionaer zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren +Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; ueber die Einordnung +entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der +Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle Rekruten gleichmaessig +geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen die vielfachen +Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des Gepaecks und +aehnlichen Dingen von Marius herruehren und ein ruehmliches Zeugnis +ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des +Kriegshandwerks und seiner Fuersorge fuer die Soldaten; vor allem aber +das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius +Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist +bezeichnend, dass dasselbe die militaerische Ausbildung des einzelnen +Mannes betraechtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die +in den damaligen Fechterschulen uebliche Ausbildung der kuenftigen +Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gaenzlich andere. An +die Stelle der 30 Faehnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes +zu zwei Zuegen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30 +Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten, +traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu +sechs, oft auch nur zu fuenf Zuegen von je 100 Mann; so dass, obgleich +gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200 +Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf +5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb +bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkoerper +gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn ueberlassen, die +Kohorten, ueber die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu +verteilen. Den militaerischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer +der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen +Legionsteile, der Wolf, der mannkoepfige Stier, das Ross, der Eber, die +bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren +Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafuer traten die +Faehnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der +gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der +Legion jede Spur der bisherigen buergerlichen und aristokratischen +Gliederung verschwand und unter den Legionaeren fortan nur noch rein +soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon +einige Jahrzehnte frueher aus zufaelligen Anlaessen eine bevorzugte +Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache +des Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den +bundesgenoessischen Kontingenten die persoenliche Bedeckung des +Feldherrn gebildet; roemische Legionaere oder gar freiwillig sich +erbietende Mannschaften zum persoenlichen Dienst bei dem selben +zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen +Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos +demoralisiertes Heer grossgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der +berufen ward, dem wuesten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung +hatte durchsetzen koennen, voellig neue Truppen unter die Waffen +zu rufen, ward es ihm wenigstens gewaehrt, ausser einer Anzahl von +Mannschaften, die ihm die abhaengigen Koenige und Freistaedte des +Auslandes zur Verfuegung stellten, aus freiwilligen roemischen Buergern +eine persoenliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese +Kohorte, teils aus den besseren Staenden, teils aus der niederen +persoenlichen Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die +der Freunde, bald die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, +hatte den Dienst in diesem (praetorium), wofuer sie vom Lager- und +Schanzdienst frei war, und genoss hoeheren Sold und groesseres Ansehen. +Diese vollstaendige Revolution der roemischen Heerverfassung scheint +allerdings wesentlich aus rein militaerischen Motiven hervorgegangen +und ueberhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines +berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstaende gebotene +Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es +ist wahrscheinlich, dass die Einfuehrung des inlaendischen Werbesystems +durch Marius ebenso den Staat militaerisch vom Untergang gerettet hat, +wie manches Jahrhundert spaeter Arbogast und Stilicho durch Einfuehrung +des auslaendischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. +Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich +eine vollstaendige politische Revolution. Die republikanische Verfassung +ruhte zumeist darauf, dass der Buerger zugleich Soldat, der Soldat vor +allem Buerger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich +bildete. Hierzu musste schon das neue Exerzierreglement fuehren mit +seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward +allmaehlich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch +beschraenkte Zuziehung des Proletariats zum Militaerdienst, besonders in +Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit +sehr soliden republikanischen Institutionen vertraegliches arbitraeres +Belohnungsrecht seiner Soldaten einraeumten und dem tuechtigen und +gluecklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil +der beweglichen Beute, vom Staat ein Stueck des gewonnenen Ackers zu +heischen. Wenn der ausgehobene Buerger und Bauer in dem Kriegsdienst +nichts sah als eine fuer das gemeine Beste zu uebernehmende Last und +im Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt fuer den ihm aus dem +Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der +geworbene Proletarier nicht bloss fuer den Augenblick allein angewiesen +auf seinen Sold, sondern auch fuer die Zukunft musste er, den nach der +Entlassung kein Invaliden- , ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm, +wuenschen, zunaechst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders +zu verlassen als mit Begruendung seiner buergerlichen Existenz. Seine +einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, +seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als +Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten italischer +Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das Buergerrecht +auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er +spaeter sich damit, dass er im Laerm der Schlacht die Stimme der Gesetze +nicht habe unterscheiden koennen. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das +Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren +sich begegneten, wer mochte dafuer stehen, dass alsdann nicht noch +andere Gesetze ueber dem Schwertergeklirr nicht wuerden vernommen +werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie +in der buergerlichen Verfassung, so standen auch in der militaerischen +bereits alle Pfeiler der kuenftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem +Monarchen. Wie die zwoelf Adler um den Palatinischen Huegel kreisten, da +riefen sie dem Koenigtum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen +verlieh, verkuendete das Reich der Kaiser. Es ist wohl keinem Zweifel +unterworfen, dass Marius einging auf die glaenzenden Aussichten, die +seine militaerische und politische Stellung ihm eroeffnete. Es war eine +truebe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens +nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen +Anprall der Nordlaender auf Rom, wo nach ueberstandener Krise im +frischen Gefuehl der Genesung alle Kraefte sich neu geregt, wo sie in +ueppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt hatten. +Alle Welt fuehlte, dass, mochten auch tuechtige Feldherren noch aber und +abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen darum +nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der restaurierten +Oligarchie; aber alle Welt fuehlte auch, dass die Zeit nicht mehr war, +wo in solchen Faellen die Buergerschaft sich selber half, und dass +nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie +tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Juenglinge, +welche der Revolution das Tor geoeffnet hatten, zurueckgebliebene Luecke +empfand, freilich auch wie kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes +griff, beweist der falsche Sohn des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl +die eigene Schwester der beiden Gracchen ihn auf offenem Markte des +Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten Namens wegen vom Volke +fuer 655 (99) zum Tribun gewaehlt ward. In demselben Sinne jubelte die +Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, +schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der +populaerste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und +selbst durch seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum +Regenerator des Staats, empfohlen - wie haette nicht das Volk, wie +haette er selbst nicht sich dafuer halten sollen! Die oeffentliche +Meinung war so entschieden wie moeglich oppositionell; es ist +bezeichnend dafuer, dass die Besetzung der in den hoechsten geistlichen +Kollegien erledigten Stellen durch die Buergerschaft anstatt durch +die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch +Anregung der religioesen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht +hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging, +ohne dass der Senat es haette wagen koennen, sich auch nur ernstlich zu +widersetzen. Durchaus schien es nur an einem Haupte zu fehlen, das der +Opposition einen festen Mittelpunkt und ein praktisches Ziel gab; und +dies war jetzt in Marius gefunden. Zur Durchfuehrung seiner Aufgabe bot +sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte die Oligarchie zu stuerzen +versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder auf dem fuer +konstitutionelle Aenderungen verfassungsmaessig bezeichneten Weg; +dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des +Gracchus. Es ist sehr begreiflich, dass er den ersteren Weg nicht +betrat, vielleicht nicht einmal die Moeglichkeit dachte, ihn zu +betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhasst +und verachtet, dass Marius gegen ihn kaum einer anderen Stuetze als +seiner ungeheuren Popularitaet zu beduerfen, noetigenfalls aber trotz +der Aufloesung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen +harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, dass Marius, +im Hinblick auf Gracchus' leichten und scheinbar fast vollstaendigen +Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit ueberlegenen +Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjaehrigen, mit dem +nach komplizierter Hierarchie geordneten Staatskoerper und der +mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen +Verfassung fuer weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer +tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius +wahrscheinlich tat, mochte erwaegen, dass das Heer, obwohl im Uebergang +begriffen von der Buergerwehr zur Soeldnerschar, doch waehrend +dieses Uebergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines +Staatsstreiches sich schickte und dass ein Versuch, die +widerstrebenden Elemente durch militaerische Mittel zu beseitigen, die +Widerstandsfaehigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben wuerde. +Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, musste auf den +ersten Blick ueberfluessig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man +war eben am Anfang der Krise und die Gegensaetze von ihrem letzten, +kuerzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt. Marius entliess +also der bestehenden Ordnung gemaess nach dem Triumph sein Heer und +schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der +Uebernahme der verfassungsmaessigen Staatsaemter die Oberhauptschaft +im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die +sogenannte Volkspartei und in deren damaligen Fuehrern um so mehr seine +Bundesgenossen, als der siegreiche General die zur Gassenherrschaft +erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus nicht besass. So gelangte +die demokratische Partei nach langer Nichtigkeit ploetzlich wieder +zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem langen Interim von Gaius +Gracchus bis auf Marius sich wesentlich verschlechtert. Wohl war das +Missvergnuegen ueber das senatorische Regiment jetzt nicht geringer +als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre treuesten +Anhaenger zugefuehrt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden +und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, dass diese Gracchische +Agitation auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr grosser Teil der +Missvergnuegten keineswegs zu folgen willig war; wie denn ueberhaupt +in dem zwanzigjaehrigen Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und +vergriffen war von der frischen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, +der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der +Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr +war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Fuehrer der +Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius Gracchus +hoch ueber derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der +Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus +nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Fuehrer nur +Lueckenbuesser sein: entweder politische Anfaenger, die ihre jugendliche +Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerkoepfe und +beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder minder Geschicklichkeit +ihren Rueckzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder +auch Leute, die an Vermoegen und Einfluss nichts zu verlieren, an +Ehre gewoehnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, und die aus +persoenlicher Erbitterung oder auch aus blosser Lust am Laermschlagen +sich ein Geschaeft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu +aergern. Der ersten Gattung gehoerten zum Beispiel an Gaius Memmius +und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der +Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnaechst als eifrige +Regierungsmaenner verwerteten. Die namhaftesten Fuehrer der +Popularpartei aber um diese Zeit waren Maenner der zweiten Gattung: +sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der roemische Hyperbolos +genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschaemtester +Strassenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefuerchtet wegen seiner +drastischen Witze, als auch sein besserer und faehigerer Genosse Lucius +Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein +feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von +gemein eigennuetzigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quaestor die in +ueblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluss des +Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsfuehrung +als um das eben damals populaere Amt lieber einem der Haeupter der +Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner +der herrschenden Familien angehoerigen jungen Manne zuzuwenden. Diese +Kraenkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition +gedraengt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit +Zinsen. Ein aergerlicher Handel hatte damals den anderen gedraengt. Er +hatte die von den Gesandten des Koenigs Mithradates in Rom bewirkten +Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat +aufs hoechste kompromittierenden Enthuellungen haetten fast dem kuehnen +Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens Quintus +Metellus, als derselbe sich fuer 652 (102) um die Zensur bewarb, einen +Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, bis die +Ritter ihn nicht ohne Blutvergiessen befreiten; des Zensors Metellus +Vergeltung, die schimpfliche Ausstossung des Saturninus wie des Glaucia +aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses, +war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen +Kollegen. Er hauptsaechlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und +dessen Genossen trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei, +er gegen dieselben die lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum +Konsul fuer 652 (102) durchgesetzt. Saturninus war entschieden der +energischste Feind des Senats und der taetigste und beredteste Fuehrer +der Volkspartei seit Gaius Gracchus, freilich auch gewalttaetig +und ruecksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, in die Strasse +hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knuetteln zu +widerlegen. Solcher Art waren die beiden Fuehrer der sogenannten +Popularpartei, die mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche +Sache machten. Es war natuerlich; die Interessen und die Zwecke gingen +zusammen, und auch schon bei Marius' frueheren Bewerbungen hatte +wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und erfolgreichste fuer ihn +Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, dass fuer 654 (100) Marius +um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia +um die Praetur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Aemter die +beabsichtigte Staatsumwaelzung durchzufuehren. Der Senat liess die +Ernennung des minder gefaehrlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er +konnte, um Marius' und Saturninus' Wahl zu hindern oder doch wenigstens +jenem in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im +Konsulat an die Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel, +erlaubte und unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem +Senat nicht, die gefaehrliche Verschwoerung im Keim zu ersticken. +Marius selbst verschmaehte es nicht, Stimmenbettel, es heisst sogar +auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in den tribunizischen Wahlen neun +Maenner von der Liste der Regierungspartei proklamiert waren und auch +die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus +Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem wuesten Haufen, der +vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, +angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich +auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewaehlt als Konsul, +Glaucia als Praetor, Saturninus als Volkstribun fuer 654 (109): nicht +Quintus Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius +Flaccus, erhielt die zweite Konsulstelle; die verbuendeten Maenner +konnten daran gehen, ihre weiter beabsichtigten Plaene ins Werk zu +setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu vollenden. Erinnern wir +uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt +hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach aussen zu brechen, +also teils die vom Senat voellig abhaengig gewordene Beamtengewalt +in ihre urspruenglichen souveraenen Rechte wiedereinzusetzen und die +Ratsversammlung aus der regierenden wieder in eine beratende Behoerde +umzuwandeln, teils der aristokratischen Gliederung des Staats in die +drei Klassen der herrschenden Buerger-, der italischen Bundesgenossen- +und der Untertanenschaft durch allmaehliche Ausgleichung dieser mit +einem nichtoligarchischen Regiment unvertraeglichen Gegensaetze ein Ende +zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbuendeten Maenner wieder +auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun teils schon +frueher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte +^1. Schon in jenem Jahre war zunaechst zu Gunsten der Marianischen +Soldaten, der Buerger nicht bloss, sondern, wie es scheint, auch +der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des +karthagischen Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen +ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem fuenffachen Mass eines +gewoehnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz Africa zugesichert +worden. Jetzt ward fuer die roemisch-italische Emigration nicht +bloss das bereits zur Verfuegung stehende Provinzialland in weitester +Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen +Fiktion, dass den Roemern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte +von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land +der noch unabhaengigen Keltenstaemme jenseits der Alpen. Zur Leitung +der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa noetig erscheinenden +weiteren Massregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber +von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden +Tempelschaetze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen +Landempfaenger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloss die +Eroberungsplaene jenseits der Alpen und die transalpinischen und +ueberseeischen Kolonisationsentwuerfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus +sie entworfen hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern +indem es die Italiker neben den Roemern zur Emigration zuliess und +doch ohne Zweifel die saemtlichen neuen Gemeinden als Buergerkolonien +einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer +durchzubringenden und doch unmoeglich auf die Laenge abzuweisenden +Ansprueche der Italiker auf Gleichstellung mit den Roemern zu +befriedigen. Zunaechst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und +Marius zur selbstaendigen Ausfuehrung dieser ungeheuren Eroberungs- +und Aufteilungsplaene berufen ward, tatsaechlich derselbe bis zur +Realisierung jener Plaene oder vielmehr, bei der Unbestimmtheit und +Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch von Rom; +wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das Konsulat +alljaehrlich sich erneuern zu lassen gedachte. ueberhaupt ist bei der +sonstigen Uebereinstimmung der fuer den juengeren Gracchus und fuer +Marius entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stuecken +oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden +Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, dass jener eine rein +buergerliche, dieser daneben eine militaerische Stellung einnehmen +sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs allein aus +den persoenlichen Verhaeltnissen hervorging, unter denen die +beiden Maenner an die Spitze des Staates getreten waren. +----------------------------------------------- ^1 Es ist nicht +moeglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem zweiten +Tribunat des Saturninus angehoert; um so weniger, als derselbe in beiden +offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische +Ackergesetz setzt die Schrift 'De viris illustribus' (73, 1) mit +Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz +vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite +Ackergesetz gehoert unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestaets- +und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651 +(103), dieses in 654 (100) gesetzt worden. +---------------------------------------------- Wenn also das Ziel +beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich vorgesteckt +hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man den +voraussichtlich hartnaeckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen +gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem +Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versaeumten zwar +nicht, auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern liess man nicht +bloss die Gerichte, sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich +gesteigert teils durch eine verschaerfte Ordnung fuer die den Kaufleuten +vor allem wichtige stehende Kommission wegen Erpressungen seitens der +Staatsbeamten in den Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem +Jahr, durchbrachte, teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus' +Antrag niedergesetzte Spezialgericht ueber die waehrend der kimbrischen +Bewegung in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen +Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstaedtischen Proletariats ferner ward +der bisher bei den Getreideverteilungen fuer den roemischen Scheffel zu +entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine blosse +Rekognitionsgebuehr von 5/6 As. Indes obwohl man das Buendnis mit den +Rittern und dem hauptstaedtischen Proletariat nicht verschmaehte, so +ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbuendeten wesentlich +nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen +Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so +ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der +vorwiegend militaerische Charakter hervor, der hauptsaechlich diesen +Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet. Man ging +also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stiessen bei der +Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies +im Senat mit schlagenden Zahlen, dass jenes die oeffentlichen Kassen +bankrott machen muesse; Saturninus kuemmerte sich nicht darum. Man +erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus +liess weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an, +dass ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach +altem Glauben die Goetter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen; +Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich +ruhig zu verhalten, sonst koenne gar leicht nach dem Donner der +Hagel folgen. Endlich trieb der staedtische Quaestor Quintus Caepio, +vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und +gleich seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem +Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. +Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser +Abstimmung nach Rom gestroemt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, +wieder die staedtischen Haufen, und so gelang es, auf dem +wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung ueber die Appuleischen Gesetze +zu Ende zu fuehren. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, +ob der Senat der Klausel des Gesetzes genuegen werde, dass binnen +fuenf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner +Ratsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid +abzulegen habe, leisteten diesen Eid die saemtlichen Senatoren mit +einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es vorzog, die Heimat zu +verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den besten Feldherrn +und den tuechtigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung +aus dem Staate scheiden. ---------------------------------------- 2 +Dahin fuehren alle Spuren. Der aeltere Quintus Caepio war 648 (106) +Konsul, der juengere 651 (103) oder 654 (100) Quaestor, also jener um +oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; dass +jener starb, ohne Soehne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht +nicht, denn der juengere Caepio fiel 664 (90) und der aeltere, der im +Exil zu Smyrna sein Leben beschloss, kann gar wohl ihn ueberlebt haben. +----------------------------------------- Man schien am Ziel; dem +schaerfer Sehenden musste schon jetzt das Unternehmen als gescheitert +erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der +ungeschickten Allianz eines politisch unfaehigen Feldherrn und eines +faehigen, aber ruecksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als +von staatsmaennischen Zwecken erfuellten Demagogen von der Gasse. Man +hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur noch um Plaene +handelte; als es dann aber zur Ausfuehrung kam, zeigte es sich sehr +bald, dass der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine +Inkapazitaet; dass sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adligen an +Titeln erreichen und womoeglich ueberbieten moechte, nicht aber der des +Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fuehlt; +dass jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persoenlichkeit +gebaut war, auch unter den sonst guenstigsten Verhaeltnissen notwendig +an ihm selber scheitern musste. Er wusste weder seine Gegner zu gewinnen +noch seine Partei zu baendigen. Die Opposition gegen ihn und seine +Genossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloss die +Regierungspartei in Masse gehoerte dazu, sondern auch der grosse +Teil der Buergerschaft, der mit eifersuechtigen Blicken den Italikern +gegenueber ueber seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, +den die Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begueterte Klasse zu der +Regierung hinuebergedraengt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus +Herren und Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fusse +mit der Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des +Poebels dem Senat einmal Schach zu bieten, aber Strassenauflaeufe +und arge Gewalttaetigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus' +erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich +herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun +fuer 654 (100) stiess, zeigt deutlich, wie klein die ihm guenstige +Partei war. Es waere Marius' Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe +dieser Genossen sich nur mit Massen zu bedienen und maenniglich zu +ueberzeugen, dass sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, +dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegenteil davon tat und die +Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum, einen +intelligenten und kraeftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans +Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenueber +die Maenner der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken ueber das +wueste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Waehrend Gaius Gracchus, +wohl erkennend, dass mit dem Proletariat allein keine Regierung +gestuerzt werden kann, vor allen Dingen bemueht gewesen war, die +besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine +Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versoehnen. +Aber noch rascher als die Versoehnung der Feinde fuehrte den Ruin +des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern +Marius' mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief. +Waehrend die entscheidenden Antraege von seinen Genossen gestellt, von +seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollstaendig +leidend, gleich als ob der politische Fuehrer nicht ebenso wie der +militaerische, wenn es zum Hauptangriff geht, ueberall und vor allen +einstehen muesste mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor +den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reissaus. Als +seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen +konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen +liess, versuchte er in der ueblichen Weise politisch-moralischer +Konfusionaere sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen reinzuwaschen +und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es gibt +ein Geschichtchen, dass der General einst in zwei verschiedenen Zimmern +seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem +anderen mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen +gepflogen habe, dort ueber das Losschlagen gegen dem Senat, hier ueber +das Einschreiten gegen die Revolte, und dass er unter einem Vorwand, wie +er der Peinlichkeit der Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen +ab und zu gegangen sei - ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden +und so sicher treffend wie nur irgendein Einfall des Aristophanes. +Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, +wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze +geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler +halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt +schwor, wofern die Gesetze wirklich rechtsbestaendig seien; ein +Vorbehalt, der den Eid selber aufhob, und den natuerlich saemtliche +Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so dass durch diese +Weise der Beeidigung die Gueltigkeit der Gesetze nicht gesichert, +sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt ward. Die Folgen +dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn +entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen +die Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft +verschafft, um sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn +Glaucia, der spasshafte Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten +Blumen seiner lustigen Beredsamkeit ueberschuettet hatte, so dufteten +die Kraenze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen. +Es kam zum vollstaendigen Bruch, womit beide Teile verloren waren; denn +weder stand Marius fest genug, um allein das von ihm selbst in Frage +gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin bestimmten Stellung +sich zu bemaechtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage, das +fuer Marius begonnene Geschaeft auf eigene Rechnung fortzufuehren. +Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, dass sie nicht +zurueckkonnten und nur die Wahl hatten, ihre Aemter in gewoehnlicher +Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit +gebundenen Haenden zu ueberliefern oder nun selber nach dem Szepter zu +greifen, dessen Gewicht sie freilich fuehlten nicht tragen zu koennen. +Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus wollte fuer 655 (99) +abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl +Praetor und erst nach zwei Jahren wahlfaehig zum Konsulat, um dieses +sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus +in ihrem Sinne entschieden und Marius' Versuch, den falschen Tiberius +Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu, +dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularitaet jetzt noch wert +war; die Menge sprengte die Tuer des Gefaengnisses, in dem Gracchus +eingesperrt sass, trug ihn im Triumph durch die Strassen und waehlte +ihn mit grosser Majoritaet zu ihrem Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl +suchten Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahr erprobte Mittel +zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die Hand zu bekommen; der +Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, derselbe, der elf +Jahre zuvor gegen sie die Opposition gefuehrt hatte, wurde von einem +Haufen Gesindel ueberfallen und mit Knuetteln erschlagen. Aber die +Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet, +um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf, +einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert, +das er von der Demokratie erhalten und fuer sie zu fuehren versprochen +hatte, nun fuer die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft +ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den oeffentlichen Gebaeuden +ausgeruestet und militaerisch geordnet; der Senat selbst erschien +bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein greiser Vormann Marcus +Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Strassenlaerm ueberlegen, aber auf +einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie musste nun sich wehren, wie +es ging. Man erbrach die Tore der Gefaengnisse und rief die Sklaven zur +Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heisst es wenigstens - +den Saturninus zum Koenig oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen +Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam +es auf dem Grossen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand, +innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang +war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und +hinaufgedraengt auf das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt +und sie dadurch noetigte, sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl +fuehrte, haette gern seinen ehemaligen Verbuendeten und jetzigen +Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, dass +alles, was er beantragt, im Einverstaendnis mit dem Konsul geschehen +sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, musste grauen vor +der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war laengst +nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend +das Dach des Rathauses am Markt, in das man vorlaeufig die Gefangenen +eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. +So kam Saturninus um mit den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia +ward in einem Versteck gefunden und gleichfalls getoetet. Ohne Urteil +und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des roemischen Volkes. +ein Praetor, ein Quaestor, zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer +bekannter und zum Teil guten Familien angehoeriger Maenner. Trotz der +schweren und blutigen Verschuldungen, die die Haeupter auf sich geladen +hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, +die das Hauptheer im Stich laesst und sie noetigt, im verzweifelten +Kampf zwecklos unterzugehen. Nie hatte die Regierungspartei einen +vollstaendigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine haertere +Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war das wenigste, +dass man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag +durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer +fiel ins Gewicht, dass der einzige Mann, der damals imstande war, +der Regierung gefaehrlich zu werden, sich selber oeffentlich und +vollstaendig vernichtet hatte; am schwersten, dass die beiden +oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das Proletariat, +gaenzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das Werk der +Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhaeltnisse, teils und +vor allem die grobe Bauernfaust seines unfaehigen Nachtreters hatten +wieder aufgeloest, was unter Gaius Gracchus' gewandter Hand sich +zusammenfuegte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung +oder Glueck der Regierung zum Siege verhalf. Eine klaeglichere Stellung +ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach +jener Katastrophe einnahm - nur um so klaeglicher, weil man nicht anders +konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor +denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf demokratischer +Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn bei der Besetzung +der Aemter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal wagen, sich +656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie er +sagte, um ein Geluebde dort zu loesen, in der Tat, um nicht von der +triumphierenden Rueckkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge +zu sein; man liess ihn gehen. Er kam wieder zurueck und oeffnete sein +Haus; seine Saele standen leer. Immer hoffte er, dass es wieder Kaempfe +und Schlachten geben und man seines erprobten Armes abermals beduerfen +werde; er dachte sich im Osten, wo die Roemer allerdings Ursache genug +gehabt haetten, energisch zu intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege +zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl wie jeder andere seiner +Wuensche; es blieb tiefer Friede. Und dabei frass der einmal in ihm +aufgestachelte Hunger nach Ehren, je oefter er getaeuscht ward, immer +tiefer sich ein in sein Gemuet; aberglaeubisch wie er war, naehrte er in +seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheissen +hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen moege, dass dies +Wort seine Erfuellung und er seine Rache bekomme, waehrend er allen, nur +sich selbst nicht, unbedeutend und unschaedlich erschien. Folgenreicher +noch als die Beseitigung des gefaehrlichen Mannes war die tiefe +Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung +des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurueckliess. +Mit der ruecksichtslosesten Haerte verurteilten die Rittergerichte +jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward +Sextus Titius mehr noch als wegen seines Ackergesetzes deswegen +verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause gehabt hatte; so +Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das Verfahren gegen +Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar fuer aeltere, +von den Popularen der Aristokratien zugefuegte Unbill wurde nun nicht +ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert. +Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den +Konsular Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659 +95) auf Grund seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und +lange schwankten die Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig +oder unschuldig, sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, +Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch +zuletzt fuer Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung +an sich nicht geneigter als frueher, so erschien doch nun, seit +man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen +Poebelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, +das bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend +und staatsverderberisch, aber die kuemmerliche Furcht vor dem noch +elenderen und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte +ihm einen relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Stroemung, dass +die Menge einen Volkstribun zerriss, der es gewagt hatte, die Rueckkehr +des Quintus Metellus zu verzoegern, und dass die Demokraten anfingen, +ihr Heil zu suchen in dem Buendnis mit Moerdern und Giftmischern, wie +sie zum Beispiel des verhassten Metellus durch Gift sich entledigten, +oder gar in dem Buendnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von +ihnen schon fluechteten an den Hof des Koenigs Mithradates, der im +stillen zum Krieg ruestete gegen Rom. Auch die aeusseren Verhaeltnisse +gestalteten fuer die Regierung sich guenstig. Die roemischen Waffen +waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den Bundesgenossenkrieg nur +wenig, ueberall aber mit Ehren taetig. Ernstlich gestritten wurde nur +in Spanien, wo waehrend der letzten fuer Rom so schweren Jahre +die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter +Heftigkeit gegen die Roemer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem +Jahre 656- 661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der noerdlichen und +der Konsul Publius Crassus in der suedlichen Provinz mit Tapferkeit und +Glueck nicht bloss das Obergewicht der roemischen Waffen wieder her, +sondern schleiften auch die wiederspenstigen Staedte und versetzten, wo +es noetig schien, die Bevoelkerung der festen Bergstaedte in die Ebenen. +Dass um dieselbe Zeit die roemische Regierung auch wieder des +ein Menschenalter hindurch vernachlaessigten Ostens gedachte und +energischer, als seit langem erhoert war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien +auftrat, wird spaeter darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn +der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begruendet, +so populaer gewesen. Konsularische Gesetze loesten die tribunizischen, +Freiheitsbeschraenkungen die Fortschrittsmassregeln ab. Die Kassierung +der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die ueberseeischen +Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen +Ansiedelung auf der wuesten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus +Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel staerker +war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin +bestand, nachts auf den Strassen die Goetterbilder zu zerschlagen, das +Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte, +konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religioesen Vorwand +kassieren, ohne dass jemand dafuer einzustehen auch nur versucht haette; +den Urheber straften, wie schon erwaehnt ward, die Ritter in ihren +Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln +eingebrachtes Gesetz die uebliche vierundzwanzigtaegige Frist zwischen +Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot, +mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen; +wodurch die unvernuenftige Ausdehnung der legislatorischen Initiative +wenigstens etwas beschraenkt und offenbare Ueberrumpelungen der +Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. Immer deutlicher zeigte +es sich, dass die Gracchische Verfassung, die den Sturz ihres Urhebers +ueberdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie +nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese +Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die +Zwiespaeltigkeit der Opposition sie zu Falle bringen zu muessen. +Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das unvollkommene +Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem Tyrannen endlich +auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende Oligarchie in den +Alleinbesitz der politischen Gewalt wiedereinzusetzen. Es kam alles +an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung der +Provinzen, die hauptsaechliche Grundlage des senatorischen Regiments, +war von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen +Erpressungen, in dem Masse abhaengig geworden, dass der Statthalter die +Provinz nicht mehr fuer den Senat, sondern fuer den Kapitalisten- +und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie bereitwillig immer die +Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn es um Massregeln gegen +die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich ahndete sie jeden +Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht freiesten Schaltens in +den Provinzen zu beschraenken. Einzelne derartige Versuche wurden jetzt +gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich zu fuehlen und +eben ihre besten Maenner hielten sich verpflichtet, der entsetzlichen +Misswirtschaft in den Provinzen wenigstens fuer ihre Person +entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola, +gleich seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul, +der erste Jurist und einer der vorzueglichsten Maenner seiner Zeit. +Als praetorischer Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und +gemisshandeltsten unter allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft +mit seinem aelteren, als Offizier, Jurist und Geschichtschreiber +ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius Rutilius Rufus, ein +ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen Unterschied zwischen +Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen, nahm +er jede Klage an und zwang nicht bloss die roemischen Kaufleute und +Staatspaechter wegen erwiesener Schaedigungen, vollen Geldersatz zu +leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und ruecksichtslosesten +Agenten todeswuerdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, liess er +diese, taub gegen alle Bestechungsantraege, ans Kreuz schlagen wie +Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte sogar seitdem +den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, dass sie sich die +Verwaltungsgrundsaetze Scaevolas zum Muster nehmen moechten; allein +die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und vielvermoegenden +Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefaehrten vor Gericht, +zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen +Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte +Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt war. Die +Anklage, dass dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen zuschulden +kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen +Laecherlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklaegers, eines +gewissen Apicius; allein man liess dennoch die willkommene Gelegenheit, +den Konsular zu demuetigen, nicht voruebergehen, und da dieser, die +falsche Beredsamkeit, die Trauergewaender, die Traenen verschmaehend, +sich kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveraenen +Kapitalisten die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der +Tat verurteilt und sein maessiges Vermoegen zur Befriedigung erdichteter +Entschaedigungsansprueche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die +angeblich von ihm ausgepluenderte Provinz und verlebte daselbst, von +saemtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit +seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Musse die ihm noch +uebrigen Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der aergste, +aber keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als +solcher Missbrauch der Justiz gegen Maenner fleckenlosen Wandels, aber +neuen Adels erbitterte es die senatorische Partei, dass der reinste Adel +nicht mehr genuegte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. +Kaum war Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, +seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjaehrige +Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach +aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig +war. Das Anklaegeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmaessig +betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter +schuetzte mehr vor den frevelhaftesten und gefaehrlichsten Angriffen. +Die Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen +ihre schlimmste Geissel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er +nur seine Mitthebe gewaehren liess und sich nicht weigerte, einen Teil +der erpressten Summen den Geschworenen zufliessen zu lassen; aber +jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht +und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. +Die roemische Regierung schien in dieselbe Abhaengigkeit von dem +kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst +das Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In +furchtbarer Weise erfuellte sich Gaius Gracchus' ahnungsvolles Wort, +dass mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt +sich selber zerfleischen werde. Ein Sturm auf die Rittergerichte war +unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafuer hatte, +dass das Regieren nicht bloss Rechte, sondern auch Pflichten in sich +schliesst, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich +empfand, musste sich auflehnen gegen diese erdrueckende und entehrende +politische Kontrolle, die jede Moeglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, +von vornherein abschnitt. Die skandaloese Verurteilung des Rutilius +Rufus schien eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und +Marcus Livius Drusus, der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete +dieselbe als besonders an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen +Mannes, der dreissig Jahre zuvor zunaechst den Gaius Gracchus gestuerzt +und spaeter auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker +sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich seinem Vater, streng +konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung bereits in dem +Aufstand des Saturninus tatsaechlich bewaehrt. Er gehoerte den Kreisen +des hoechsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermoegens; +auch der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat - ein energisch +stolzer Mann, der es verschmaehte, mit den Ehrenzeichen seiner Aemter +sich zu behaengen, aber auf dem Totenbette es aussprach, dass nicht bald +ein Buerger wiederkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das +schoene Wort, dass der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens +ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Gemuetes +hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen +Poebels; zuverlaessig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten, +denen seine Tuer und sein Beutel immer offenstanden, mehr geachtet als +eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persoenliche Wuerde +seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand +er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner +Verteidigung in dem Prozess wegen Erpressungen den Drusus oeffentlich +aufzufordern, Hand zu legen an die Reform der Geschworenenordnung; er +sowie der beruehmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten +Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Antraege. Indes die Masse +der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus +und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhaengern der +Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerkbar machten der +derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie frueher die Sache +der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und Klugheit +verfocht, und der verwegene und ruecksichtslose Quintus Caepio, den +zunaechst die persoenliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus +zu dieser Opposition bestimmte. Allein gefaehrlicher als diese +entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die +zwar die Provinzen lieber allein gepluendert haette, aber am Ende auch +nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die Beute zu teilen, und, +statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die uebermuetigen +Kapitalisten zu uebernehmen, es viel billiger und bequemer fand, sich +von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fussfall oder +auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte +zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureissen, ohne +die es nun einmal nicht moeglich war, zum Ziele zu gelangen. +Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Buergern vom +Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurueckzugeben, welcher +zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand +gesetzt werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genuegen; +zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich +schuldig gemacht haetten oder schuldig machen wuerden, sollte eine +eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der naechste +Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu +berauben und sie fuer die veruebte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. +Indes Drusus' Antraege und Absichten beschraenkten sich hierauf +keineswegs; seine Vorschlaege waren keine Gelegenheitsmassregeln, +sondern ein umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte +ferner, die Getreideverteilung zu erhoehen und die Mehrkosten zu +decken durch die dauernde Emission einer verhaeltnismaessigen Zahl von +kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte +noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die +Kampanische Domaene, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von +Buergerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen +Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das +roemische Buergerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier +von aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstuetzen und +ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus' Verfassung +beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches +Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, dass, wie die Tyrannis gegen +die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stuetzte auf +das besoldete und gewissermassen organisierte Proletariat; hatte die +Regierung frueher die Ernaehrung des Proletariats auf Staatskosten als +ein unvermeidliches Uebel hingenommen, so dachte Drusus jetzt +dasselbe, wenigstens fuer den Augenblick, gegen die Geldaristokratie +zu gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, dass der bessere Teil der +Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius Gracchus, +so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmassregeln, die, +ohne die Oberhauptsfrage zu beruehren, nur darauf abzweckten, die +alten Schaeden des Staats auszuheilen. In der Emigrations- und +Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die +Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf +dem freien Schalten ueber die Provinzen und durch jedes dauernde +militaerische Kommando gefaehrdet ward; die Gedanken, Italien und die +Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen +mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und +selbst die kampanischen Domaenen so wie Sizilien konnte der Senat recht +wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch +die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, dass man +kuenftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, +dass alles irgend verfuegbare Land von der Aristokratie selbst zur +Aufteilung gebracht ward und fuer kuenftige Demagogen, nach Drusus' +eigenem Ausdruck, nichts zu verteilen uebrig blieb als der Gassenkot +und das Morgenrot. Ebenso war es fuer die Regierung, mochte dies nun +ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender +Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum roemischen +Buergerverband gehoerte; und daher mussten wohl beiderseits +die reformierenden Maenner sich in dem Gedanken begegnen, durch +zweckmaessige und rechtzeitige Erstreckung des Buergerrechts die Gefahr +abzuwenden, dass die Insurrektion von Fregellae in groesserem Massstab +wiederkehre, nebenher auch an den zahl- und einflussreichen Italikern +sich Bundesgenossen fuer ihre Plaene suchen. So scharf in der +Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden grossen +politischen Parteien sich schieden, so vielfach beruehrten sich in +den Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten +Maenner aus beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den +Widersachern des Tiberius Gracchus wie unter den Foerderern seiner +Reformbestrebungen genannt werden kann, so war auch Drusus der +Nachfolger und Schueler nicht minder als der Gegner des Gaius. Die +beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen Reformatoren waren +sich aehnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch +persoenlich beide nicht unwert, ueber dem trueben Nebel des befangenen +Parteitreibens in reineren und hoeheren Anschauungen sich mit dem Kern +ihrer patriotischen Bestrebungen zu begegnen. Es handelte sich um die +Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von denen uebrigens +der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen Vorschlag, +den italischen Bundesgenossen das roemische Buergerrecht zu verleihen, +vorlaeufig zurueckhielt und zunaechst nur das Geschworenen-, Acker- +und Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs +heftigste und wuerde bei der Unentschlossenheit des groessten Teils +der Aristokratie und der Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die +Verwerfung des Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein +zur Abstimmung gekommen waere. Drusus fasste deshalb seine saemtlichen +Antraege in einen einzigen zusammen; und indem also alle bei den +Getreide- und Landverteilungen interessierten Buerger genoetigt wurden, +auch fuer das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und +durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz +bedrohten grossen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und +etruskischen, fest zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen - +freilich erst, nachdem Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhoerte +zu widerstreben, hatte verhaften und durch den Buettel in den Kerker +abfuehren lassen. Das Volk feierte den Tribun als seinen Wohltaeter und +empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; allein die +Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen +anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit +Recht als dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig +bezeichnete. Der Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte +den Senat auf, aus diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu +kassieren; allein die Majoritaet des Senats, erfreut, die Rittergerichte +los zu sein, wies den Antrag zurueck. Der Konsul erklaerte darauf auf +offenem Markte, dass mit einem solchen Senat zu regieren nicht moeglich +sei und er sich nach einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien +einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen +berufen, sprach nach stuermischen Verhandlungen gegen den Konsul ein +Tadels- und Misstrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in +einem grossen Teil der Majoritaet die Angst vor der Revolution zu regen, +mit der sowohl Philippus als ein grosser Teil der Kapitalisten zu +drohen schien. Andere Umstaende kamen hinzu. Einer der taetigsten +und angesehensten unter Drusus' Gesinnungsgenossen, der Redner +Lucius Crassus, starb ploetzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung +(September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern angeknuepften +Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt +hatte, wurden allmaehlich ruchbar, und in das wuetende Geschrei ueber +Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die +meisten Maenner der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmuetige +Warnung, die er dem Konsul Philippus zukommen liess, bei dem Bundesfest +auf dem Albanerberg vor den von den Italikern ausgesandten Moerdern sich +zu hueten, diente nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie +zeigte, wie tief er in die unter den Italikern gaerenden Verschwoerungen +verwickelt war. Immer heftiger draengte Philippus auf Kassation des +Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majoritaet in der Verteidigung +desselben. Bald erschien die Rueckkehr zu den frueheren Verhaeltnissen +der grossen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der +einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluss wegen formeller Maengel +erfolgte. Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnuegte +sich daran zu erinnern, dass der Senat also selbst die verhassten +Rittergerichte wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den +Kassationsbeschluss durch Interzession ungueltig zu machen. Der Angriff +des Senats auf die Kapitalistenpartei war vollstaendig abgeschlagen, +und willig oder unwillig fuegte man sich abermals in das bisherige Joch. +Aber die hohe Finanz begnuegte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus +eines Abends auf seinem Hausflur die wie gewoehnlich ihn begleitende +Menge eben verabschieden wollte, stuerzte er ploetzlich vor dem Bilde +seines Vaters zusammen; eine Moerderhand hatte ihn getroffen und so +sicher, dass er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Taeter war +in der Abenddaemmerung verschwunden, ohne dass jemand ihn erkannt hatte, +und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte +derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die +Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und +grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte, +war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine +tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwaeche +der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu +reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein +Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stuerzen, +die Emigration zu organisieren, den drohenden Buergerkrieg abzuwenden; +er sah noch selbst die Kaufleute unumschraenkter regieren als je, sah +alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewusstsein, dass +seid jaeher Tod das Signal zu dem fuerchterlichsten Buergerkrieg sein +werde, der je das schoene italische Land verheert hat. 7. Kapitel Die +Empoerung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution +Seitdem mit Pyrrhos' Ueberwindung der letzte Krieg, den die Italiker +fuer ihre Unabhaengigkeit gefuehrt hatten, zu Ende gegangen war, das +heisst seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das roemische Prinzipat +in Italien bestanden, ohne dass es selbst unter den gefaehrlichsten +Verhaeltnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt haette. +Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die +Nachfolger des grossen Alexander und der Achaemeniden versucht, die +italische Nation zum Kampf aufzuruetteln gegen die uebermaechtige +Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am +Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepass und am Sipylos +erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die +Untertaenigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung +indessen hatte sich wohl veraendert, aber eher verschlechtert als +verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen +nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer +durch ganz Italien infolge der unverstaendigen roemischen +Korngesetzgebung litt, so gediehen dafuer die groesseren Gutsherren +und mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker +hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen +denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die roemischen +Buerger und also die materiellen Vorteile des politischen Uebergewichts +der Roemer grossenteils auch ihnen zugute kamen. Ueberhaupt waren +die wirtschaftlichen und sozialen Zustaende Italiens nicht zunaechst +abhaengig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise +bundesgenoessische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der +freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentaeler, in +denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberuehrt sich +erhalten hatte - aehnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den +verschiedenen roemischen Buergerdistrikten nachweisen laesst. Dagegen +die politische Zuruecksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl +fand ein foermlicher unverhuellter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen +nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der +Souveraenitaet den italischen Gemeinden vertragsmaessig zustand, wurde +von der roemischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die +roemische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den +besser gestellten Gemeinden verbrieften roemischen Domaenen machte, +hatte nicht bloss die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom +ernstlich bekaempft, sondern auch die roemische Opposition selbst +sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der fuehrenden +Gemeinde zustanden und zustehen mussten, die oberste Leitung des +Kriegswesens und die Oberaufsicht ueber die gesamte Verwaltung, wurden +in einer Weise ausgeuebt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die +Bundesgenossen geradezu fuer rechtlose Untertanen erklaert haette. Die +zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen roemischen Kriegsrechts, +welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingefuehrt wurden, +scheinen saemtlich auf die roemischen Buergersoldaten beschraenkt +geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der +standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiss und der Eindruck leicht +zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene +latinische Offiziere nach Urteil des roemischen Kriegsrats enthauptet +wurden, dem letzten Buergersoldaten aber im gleichen Fall das Recht +zustand, an die buergerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In +welchem Verhaeltnis die Buerger und die italischen Bundesgenossen zum +Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmaessig wie +billig unbestimmt geblieben; allein waehrend in frueherer Zeit beide +durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten, wurden +jetzt, obwohl das Bevoelkerungsverhaeltnis wahrscheinlich eher zu +Gunsten als zum Nachteil der Buergerschaft sich veraendert hatte, die +Forderungen an die Bundesgenossen allmaehlich unverhaeltnismaessig +gesteigert, so dass man ihnen teils den schwereren und kostbareren +Dienst vorzugsweise aufbuerdete, teils jetzt regelmaessig auf einen +Buerger zwei Bundesgenossen aushob. Aehnlich wie die militaerische +Oberleitung wurde die buergerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluss +der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiktion die +roemische Regierung stets und mit Recht ueber die abhaengigen italischen +Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise ausgedehnt, dass die +Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der Willkuer eines +jeden der zahllosen roemischen Beamten schutzlos preisgegeben sahen. +In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstaedte, hatte ein +Konsul den Buergermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit +Ruten staeupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Maennerbad zu +baden verlangte, die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden +ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber erschienen war. +Aehnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt +besten Rechts, ja in der alten und wichtigen latinischen Kolonie +Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie Venusia war ein freier +Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen roemischen +Diplomaten wegen eines Spasses, den er sich ueber dessen Saenfte erlaubt +hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Saenfte +zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfaelle wird um die Zeit des +fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen +Zweifel, dass aehnliche Unrechtfertigkeiten haeufig vorkamen und +ebensowenig, dass eine ernstliche Genugtuung fuer solche Missetaten +nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft verletzte +Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des roemischen Buergers +einigermassen schuetzte. Es konnte nicht fehlen, dass infolge dieser +Behandlung der Italiker seitens der roemischen Regierung die Spannung, +welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den +sonstigen italischen Gemeinden sorgfaeltig unterhalten hatte, wenn nicht +verschwand, so doch nachliess. Die Zwingburgen Roms und die durch die +Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem +gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran erinnern, dass sie +beide in gleicher Weise "den Beilen unterworfen" seien; die Voegte und +die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der gemeinsame Hass gegen +den gemeinsamen Zwingherrn. Wenn also der gegenwaertige Zustand der +italischen Bundesgenossen aus einem leidlichen Abhaengigkeitsverhaeltnis +umgeschlagen war in die drueckendste Knechtschaft, so war zugleich +denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts genommen worden. +Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die roemische Buergerschaft +sich abgeschlossen und die Erteilung des Buergerrechts an ganze +Gemeinden vollstaendig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr +beschraenkt. Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit +der die Erstreckung des roemischen Buergerrechts auf ganz Italien +bezweckenden Agitation in den Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das +Uebersiedlungsrecht selbst an und wies geradezu die saemtlichen in Rom +sich aufhaltenden Nichtbuerger durch Volks- und Senatbeschluss aus der +Hauptstadt aus - eine ebenso durch ihre Illiberalitaet gehaessige +wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefaehrliche +Massregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Roemern +frueher gestanden hatten teils als bevormundete Brueder, mehr beschuetzt +als beherrscht und nicht zu ewiger Unmuendigkeit bestimmt, teils als +leidlich gehaltene und der Hoffnung auf die Freilassung nicht voellig +beraubte Knechte, so standen sie jetzt saemtlich ungefaehr in gleicher +Untertaenigkeit und gleicher Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und +Beilen ihrer Zwingherren und durften hoechstens als bevorrechtete +Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren empfangenen Fusstritte +an die armen Provinzialen weiterzugeben. Es liegt in der Natur solcher +Zerwuerfnisse, dass sie anfangs, zurueckgehalten durch das Gefuehl der +nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich ueberdauerter +Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmaehlich der +Riss sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich +ihre Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht +als ihre Furcht, das unverhohlene Gewaltverhaeltnis sich offenbart. Bis +zu der Empoerung und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die +gleichsam offiziell den veraenderten Charakter der roemischen Herrschaft +konstatierte, trug die Gaerung unter den Italikern nicht eigentlich +einen revolutionaeren Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung +hatte allmaehlich sich gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte, +nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu +werden. Sehr bald konnte man erkennen, dass eine gutwillige Gewaehrung +nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird +nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung liess den +Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das +Zahlenverhaeltnis der Buerger und Nichtbuerger in Italien sich nicht +gehoerig ermitteln laesst, so kann es doch als ausgemacht gelten, dass +die Zahl der Buerger nicht sehr viel geringer war als die der italischen +Bundesgenossen und auf ungefaehr 400000 waffenfaehige Buerger mindestens +500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei +einem solchen Verhaeltnis die Buergerschaft einig und kein nennenswerter +aeusserer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner +Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache +oeffentliche und Privatverhaeltnisse mit Rom verknuepfte italische +Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr +gelangen und mit maessiger Klugheit es der Regierung nicht fehlen, die +schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils durch die kompakte +Masse der Buergerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel, +die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere +zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die +Revolution Rom zu erschuettern begann; sowie aber diese ausgebrochen +war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der roemischen +Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung +zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit +der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig +erreicht. Sie hatten sich ueberzeugen muessen, dass zwar die besten +Maenner beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer +Forderungen anerkannten, dass aber diese besten Maenner, Aristokraten +wie Populare, gleich wenig vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen +Forderungen Gehoer zu verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die +begabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmaenner Roms in demselben +Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von +ihren eigenen Anhaengern verlassen gefunden hatten und deshalb gestuerzt +worden waren. In all den Wechselfaellen der dreissigjaehrigen Revolution +und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, +aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige +Engherzigkeit sass ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgaenge +hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die +Beruecksichtigung ihrer Ansprueche von Rom erwarteten. Solange sich die +Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten +und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte +man sich noch dem Glauben ueberlassen, als sei die Oligarchie nur den +Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als +sei noch eine Moeglichkeit vorhanden, dass der intelligentere Staat +die mit dem Wesen der Oligarchie vertraegliche und dem Senat heilsame +Massregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in +denen der Senat wieder fast unumschraenkt regierte, hatten ueber die +Absichten auch der roemischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit +verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein +konsularisches Gesetz, das den Nichtbuergern aufs strengste untersagte, +des Buergerrechts sich anzumassen, und die Kontravenienten mit +Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine grosse Anzahl +der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am meisten +interessierten Personen aus den Reihen der Roemer in die der Italiker +zurueckwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und +staatsmaennischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit +jener beruehmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas +vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die naechste Ursache des +Buergerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, dass die Urheber dieses +Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten +gehoerten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein +verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum +Rechtsgelehrten und vom Verhaengnis zum Staatsmann bestimmte Quintus +Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schaedliche +Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den +zwischen Roemern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzuendet +hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des +Drusus und ueberhaupt einer der gemaessigtsten und einsichtigsten +Optimaten. Inmitten der heftigen Gaerung, die dies Gesetz und die daraus +entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien +den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus +Drusus. Was fast unmoeglich geduenkt hatte, dass ein Konservativer +die reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die +Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch +eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen, +zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen +hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer, +all seine zuverlaessige Hingebung an diese hochherzigen Reformplaene +zu setzen. Ober wirklich, wie erzaehlt wird, sich an die Spitze eines +Geheimbundes gestellt hat, dessen Faeden durch ganz Italien liefen und +dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen fuer +Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber wenn +er auch nicht zu so gefaehrlichen und in der Tat fuer einen roemischen +Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so ist es +doch sicher nicht bei allgemeinen Verheissungen geblieben und sind, +wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen Namen +hin bedenkliche Verbindungen geknuepft worden. Jubelnd vernahm man in +Italien, dass Drusus unter Zustimmung der grossen Mehrheit des Senats +seine ersten Antraege durchgesetzt habe; mit noch groesserem Jubel +feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des +ploetzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus' weitere Absichten +sich enthuellten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das +Hauptgesetz einzubringen; er musste verschieben, musste zoegern, +musste bald zurueckweichen. Man vernahm, dass die Majoritaet des Senats +unsicher werde und von ihrem Fuehrer abzufallen drohe; in rascher Folge +lief durch die Gemeinden Italiens die Kunde, dass das durchgebrachte +Gesetz kassiert sei, dass die Kapitalisten unumschraenkter schalteten +als je, dass der Tribun von Moerderhand getroffen, dass er tot sei +(Herbst 663 91). ----------------------------------------------------- +^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70) +entnommen; waffenfaehige Buerger zaehlte man in jenem Jahr 394336, in +diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Mueller, welchen Satz Clinton und +dessen Ausschreiber faelschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen; +nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Koepfe +gezaehlt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zaehlungsziffer, +die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Koepfe ergab, +ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise +der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevoelkerung Italiens in +der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst +die Sullanischen Landanweisungen die Luecken, die der Krieg gerissen, +hoechstens gedeckt haben koennen, so darf der Ueberschuss von reichlich +500000 Waffenfaehigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte +Aufnahme der Bundesgenossen zurueckgefuehrt werden. Indes ist es +moeglich und sogar wahrscheinlich, dass in diesen verhaengnisvollen +Jahren der Gesamtstand der italischen Bevoelkerung vielmehr zurueckging; +rechnet man das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfaehige, was +nicht uebertrieben erscheint, so kommen fuer die Zeit des +Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Buerger drei Nichtbuerger. 2 +Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: "Ich +schwoere bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der roemischen Vesta +und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der +naehrenden Erde und bei den goettlichen Gruendern und Mehrern (den +Penaten) der Stadt Rom, dass mir Freund sein soll und Feind sein soll, +wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen dass ich weder meines +eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will, +ausser insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn +ich aber Buerger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will +ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den groessten meiner +Wohltaeter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbuerger, +als ich vermag; und schwoere ich recht, so gehe es mir wohl, schwoere +ich falsch, so gehe es mir uebel!" Indes wird man Wohltun, diesen +Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er ruehrt entweder her aus den gegen +Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die sinnlose, von +dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Ueberschrift 'Eid des +Philippus' zu fuehren scheint) oder im besten Fall aus den spaeter ueber +diese Verschwoerung in Rom aufgenommenen Kriminalprozessakten; und auch +bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel +aus den Inkulpaten heraus- oder in sie hineininquiriert ward. +--------------------------------------- Die letzte Hoffnung, durch +Vertrag die Aufnahme in den roemischen Buergerverband zu erlangen, +ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu dieser +konservative und energische Mann unter den guenstigsten Verhaeltnissen +seine eigene Partei nicht hatte bestimmen koennen, dazu war ueberhaupt +auf dem Wege der Guete nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur +die Wahl, entweder geduldig sich zu fuegen oder den Versuch, der vor +fuenfunddreissig Jahren durch die Zerstoerung von Fregellae im Keim +erstickt worden war, noch einmal und womoeglich mit gesamter Hand zu +wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu vernichten und zu beerben, +sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu erzwingen. Es war +dieser letztere Entschluss freilich ein Entschluss der Verzweiflung; +wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden +gegen die roemische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser erscheinen +als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstaedte gegen das Britische +Imperium; allem Anschein nach konnte die roemische Regierung mit +maessiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung +das Schicksal der frueheren bereiten. Allein war es etwa minder ein +Entschluss der Verzweiflung, wenn man stillsass und die Dinge ueber +sich kommen liess? Wenn man sich erinnerte, wie die Roemer ungereizt +in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu erwarten, wo die +angesehensten Maenner in jeder italischen Stadt mit Drusus in einem +Einverstaendnis gestanden hatten oder haben sollten - beides war +hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu gegen die +jetzt siegreiche Partei gerichtet und fueglich als Hochverrat zu +qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja +allen, die nur der Teilhaberschaft verdaechtigt werden konnten, blieb +keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter +das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, dass fuer eine allgemeine +Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwaertige Augenblick noch +verhaeltnismaessig guenstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau +darueber unterrichtet, inwieweit die Roemer die Sprengung der groesseren +italischen Eidgenossenschaften durchgefuehrt hatten; es ist indes nicht +unwahrscheinlich, dass die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die +Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch +bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf blosse Fest- und +Opfergemeinschaft zurueckgefuehrten Gemeindebuenden zusammenstanden. +Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbaenden +einen Stuetzpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Roemer ebendarum +dazu schreiten wuerden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner, +an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches +oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und +gewaehrte fuer die politische Organisation des Aufstandes einen +wichtigen Anhalt, waehrend die militaerische daran anknuepfen konnte, +dass jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten +besass. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich gefasst. Man +vernahm wohl davon, dass unruhige Bewegungen in Italien stattfaenden und +die bundesgenoessischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr +unterhielten; aber statt schleunigst die Buerger unter die Waffen zu +rufen, begnuegte das regierende Kollegium sich damit, in herkoemmlicher +Art die Beamten zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um +etwas Genaueres zu erfahren. Die Hauptstadt war so voellig unverteidigt, +dass ein entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, +einer von den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen +haben soll, an der Spitze einer Schar zuverlaessiger, unter den +Gewaendern Schwerter fuehrender Maenner sich in dieselbe einzuschleichen +und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemaechtigen. Ein Aufstand +bereitete also sich vor; Vertraege wurden geschlossen, die Ruestungen +still und taetig betrieben, bis endlich, wie gewoehnlich noch etwas +frueher, als die leitenden Maenner beabsichtigt hatten, durch einen +Zufall die Insurrektion zum Ausbruch kam. Der roemische Praetor mit +prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius, durch seine Kundschafter davon +benachrichtigt, dass die Stadt Asculum (Ascoli) in den Abruzzen an die +Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit seinem Legaten Fonteius +und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben zur Feier der +grossen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde Drohrede. Der +Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkuendigung der nur zu +ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten +aufgehaeuften Zunder des erbitterten Hasses; die roemischen Beamten +wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als +gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede Bruecke der Versoehnung +abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit geschlossen, die +saemtlichen in Asculum verweilenden Roemer niedergemacht und ihre Habe +gepluendert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die Empoerung durch +die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk der Marser +in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in den +Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der +schon genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der +Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den Roemern foermlich abgesagt, +wonach spaeterhin dem Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen +Beispiel folgten die samnitischen und ueberhaupt die Masse der Gemeinden +vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so +dass bald in ganz Mittel- und Sueditalien gegen Rom geruestet ward. Die +Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu Rom, wie sie bereits frueher mit +den Rittern zusammengehalten hatten gegen Drusus. Es ist bezeichnend, +dass in diesen Landschaften seit alten Zeiten die Grund- und +Geldaristokratie uebermaechtig und der Mittelstand gaenzlich +verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich +reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der +Bauern- und ueberhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand +wesentlich hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt +noch Hand in Hand ging mit der hauptsaechlichen Regierung. Danach ist es +auch leicht erklaerlich, dass in den aufstaendischen Distrikten einzelne +Gemeinden und in den aufstaendischen Gemeinden Minoritaeten festhielten +an dem roemischen Buendnis; wie zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna +fuer Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hirpinerland +gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von Aeclanum die +roemischen Operationen in Kampanien unterstuetzte. Endlich hielten +fest an Rom die am besten gestellten bundesgenoessischen Gemeinden, in +Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestaedte Neapolis +und Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien, +wie zum Beispiel Alba und Aesernia - ebenwie im Hannibalischen Kriege +die latinischen und die griechischen Staedte im ganzen fuer die +sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten +Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegruendet und +mit geschickter Abstufung der Abhaengigkeiten die schlechter gestellten +Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb jeder Gemeinde aber +die Buergerschaft durch die Munizipalaristokratie in Untertaenigkeit +gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der +Oligarchie, erprobte es sich vollstaendig, wie fest und gewaltig die +Staatsmaenner des vierten und fuenften Jahrhunderts ihre Werksteine +ineinandergefuegt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach +erschuetterte Bau noch aus. Freilich war damit, dass die besser +gestellten Staedte nicht auf den ersten Stoss von Rom liessen, noch +keineswegs gesagt, dass sie auch jetzt, wie im Hannibalischen Kriege, +auf die Laenge und nach schweren Niederlagen ausdauern wuerden, ohne +in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch nicht +ueberstanden. Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei +grosse Heerlager auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, +noch gar viel an einer allgemeinen Schilderhebung der italischen +Bundesgenossenschaft; dennoch hatte die Insurrektion schon eine +vielleicht die Hoffnungen der Fuehrer selbst uebertreffende Ausdehnung +gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Uebermut daran denken, der +roemischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie sandten +Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den +Buergerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der +Gemeinsinn, der so lange in Rom vermisst worden war, schien ploetzlich +wiedergekehrt zu sein, nun es sich darum handelte, einem gerechten und +jetzt auch mit ansehnlicher Macht unterstuetzten Begehren der Untertanen +mit starrer Borniertheit in den Weg zu treten. Die naechste Folge der +italischen Insurrektion war, aehnlich wie nach den Niederlagen, die die +Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte, die Eroeffnung +eines Prozesskrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache +nahm an denjenigen Maennern der Regierung, in denen man, mit Recht oder +Unrecht, die naechste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des +Tribuns Quintus Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten +und trotz der tribunizischen Interzession eine besondere +Hochverratskommission, natuerlich aus dem mit offener Gewalt fuer diesen +Antrag kaempfenden Ritterstand, niedergesetzt zur Untersuchung der von +Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom, weitverzweigten +Verschwoerung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und die +jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und +erschreckten Buergerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien. +Die Urteile dieser Kommission raeumten stark auf in den Reihen der +senatorischen Vermittlungspartei; unter andern namhaften Maennern +ward Drusus' genauer Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die +Verbannung gesandt, und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem +gleichen Schicksal. Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus +geneigten Senatoren ging soweit, dass bald nachher der Konsul Lupus aus +dem Lager an den Senat berichtete ueber die Verbindungen, die zwischen +den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde bestaendig unterhalten +wuerden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das Aufgreifen +marsischer Spione als unbegruendet auswies. Insofern konnte der Koenig +Mithradates nicht mit Unrecht sagen, dass der Hader der Faktionen aerger +als der Bundesgenossenkrieg selbst den roemischen Staat zerruettete. +Zunaechst indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der +Terrorismus, den die Hochverratskommission uebte, wenigstens einen +Schein her von Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen; +die faehigen Offiziere aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius, +Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius +Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfuegung; die +Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch +Volksbeschluss wesentlich beschraenkt, um die finanziellen Kraefte des +Staates fuer den Krieg zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir, +als bei der drohenden Stellung des Koenigs Mithradates die Provinz Asia +jeden Augenblick in Feindeshand geraten und damit eine der Hauptquellen +des roemischen Schatzes versiegen konnte; die Gerichte stellten mit +Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluss des Senats vorlaeufig +ihre Taetigkeit ein; alle Geschaefte stockten und man dachte an nichts +als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. Waehrend also +der fuehrende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren Krieges +sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere +Aufgabe zu loesen, sich waehrend des Kampfes politisch zu organisieren. +In dem inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und +vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten Landschaften +belegenen Gebiete der Paeligner, in der schoenen Ebene an dem +Pescarafluss ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder zur +Stadt Italia, deren Buergerrecht den Buergern saemtlicher insurgierter +Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Groesse Markt und +Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fuenfhundert Mitgliedern erhielt +den Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des +Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Buergerschaft aus den +Maennern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwoelf Praetoren, die +ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Praetoren die hoechste Amtsgewalt +in Krieg und Frieden .uebernahmen. Die lateinische Sprache, die damals +schon bei den Marsern und Picentern die landuebliche war, blieb in +offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im +suedlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider +bediente man sich abwechselnd auf den Silbermuenzen, die man nach +roemischen Mustern und nach roemischem Fuss auf den Namen des neuen +italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten +von Rom ausgeuebte Muenzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus +diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst versteht, +dass die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von den +Roemern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu unterwerfen +und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht daraus auch +hervor, dass ihre Verfassung nichts war als ein reiner Abklatsch der +roemischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den italischen +Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine Stadtordnung +statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher +Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die roemischen Komitien es waren, +mit einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie +in sich trug wie der roemische Senat, mit einer in gleicher Art durch +eine Vielzahl konkurrierender hoechster Beamten ausgeuebten Exekutive +- es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie +zum Beispiel der Konsul- oder Praetortitel des hoechstkommandierenden +Magistrats auch von den Feldherren der Italiker nach einem Siege +vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es aendert sich eben nichts als +der Name, ganz wie auf den Muenzen der Insurgenten dasselbe Goetterbild +erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet. Nur +darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom +von dem urspruenglichen, dass das letztere denn doch eine staedtische +Entwicklung gehabt und seine unnatuerliche Zwischenstellung zwischen +Stadt und Staat wenigstens auf natuerlichem Wege sich gebildet hatte, +wogegen das neue Italia gar nichts war als der Kongressplatz der +Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel +zu Buergern dieser neuen Hauptstadt gestempelt wurden. Bezeichnend +aber ist es, dass hier, wo die ploetzliche Verschmelzung einer Anzahl +einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen Einheit den Gedanken +einer Repraesentativverfassung im modernen Sinn so nahelegte, doch von +einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigt 3 und nur die +kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher +reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie +hier, dass dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von +dem Auftreten des souveraenen Volkes in eigener Person in den +Urversammlungen oder von der Stadt, und dass der grosse Grundgedanke +des heutigen republikanisch-konstitutionellen Staates: die +Volkssouveraenitaet auszudruecken durch eine Repraesentantenversammlung, +dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding waere, ganz und +vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung, obwohl sie +in den gewissermassen repraesentativen Senaten und in dem Zuruecktreten +der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich naehert, hat doch +weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu ueberschreiten +vermocht. --------------------------------------------------- 3 Selbst +aus unserer duerftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5, +4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum +Beispiel der letztere ausdruecklich sagt, dass die Buergerschaft die +Beamten waehlte. Dass der Senat von Italia in anderer Weise gebildet +werden und andere Kompetenz haben sollte als der roemische, ist +wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten +Zusammensetzung natuerlich fuer eine einigermassen gleichmaessige +Vertretung der insurgierten Staedte gesorgt haben; allein dass die +Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, +ist nirgends ueberliefert. Ebensowenig schliesst der Auftrag an den +Senat, die Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den +Beamten und die Ratifikation durch die Volksversammlung aus. +------------------------------------------------- So begann wenige +Monate nach Drusus' Tode im Winter 663/64 (91/90) der Kampf, wie eine +der Insurgentenmuenzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers gegen +die roemische Woelfin. Beiderseits ruestete man eifrig; in Italia wurden +grosse Vorraete an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehaeuft; in Rom bezog man +aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorraete +und setzte fuer alle Faelle die lange vernachlaessigten Mauern in +Verteidigungszustand. Die Streitkraefte waren einigermassen gleich +gewogen. Die Roemer fuellten die Luecken in den italischen Kontingenten +teils durch gesteigerte Aushebung aus der Buergerschaft und aus den +schon fast ganz romanisierten Bewohnern der Keltenlandschaften diesseits +der Alpen, von denen allein bei der kampanischen Armee 10000 dienten +4, teils durch die Zuzuege der Numidier und anderer ueberseeischer +Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und kleinasiatischen +Freistaedte eine Kriegsflotte zusammen 5. Beiderseits wurden, ohne +die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemacht 6 und an +Tuechtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die +Italiker hinter den Roemern in nichts zurueck. Die Fuehrung des Krieges +war fuer die Insurgenten wie fuer die Roemer deswegen sehr schwierig, +weil das aufstaendische Gebiet sehr ausgedehnt und eine grosse Zahl zu +Rom haltender Festungen in demselben zerstreut war; so dass einerseits +die Insurgenten sich genoetigt sahen, einen sehr zersplitternden und +zeitraubenden Festungskrieg mit einer ausgedehnten Grenzdeckung zu +verbinden, andrerseits die Roemer nicht wohl anders konnten, als +die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen insurgierten +Landschaften zu bekaempfen. Militaerisch zerfiel das insurgierte Land in +zwei Haelften: in der noerdlichen, die von Picenum und den Abruzzen +bis an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden +Distrikte umfasste, uebernahmen italischerseits der Marser Quintus +Silo, roemischerseits Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den +Oberbefehl; in der suedlichen, welche Kampanien, Samnium und ueberhaupt +die sabellisch redenden Landschaften in sich schloss, befehligte als +Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als roemischer +Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden Oberfeldherrn standen +auf italischer Seite sechs, auf roemischer fuenf Unterbefehlshaber +zur Seite, so dass ein jeder von diesen in einem bestimmten Bezirk den +Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber die +Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen. +Die angesehensten roemischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, +Quintus Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare +Titus Didius und Publius Crassus, stellten fuer diese Posten den Konsuln +sich zur Verfuegung; und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so +gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg, +dass ihre Fuehrer den roemischen militaerisch in nichts nachstanden. +--------------------------------------------------- 4 Die Schleuderbleie +von Asculum beweisen, dass auch im Heere des Strabo die Gallier sehr +zahlreich waren. 5 Wir haben noch einen roemischen Senatsbeschluss vom +22. Mai 676 (78), welcher dreien griechischen Schiffskapitaenen von +Karystos, Klazomenae und Miletos fuer die seit dem Beginn des Italischen +Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren +und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, dass +von Herakleia am Schwarzen Meer fuer den Italischen Krieg zwei Trieren +aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben +heimgekehrt seien. 6 Dass diese Angaben Appians nicht uebertrieben +ist, beweisen die Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen +die fuenfzehnte Legion nennen. +---------------------------------------------------- Die Offensive in +diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf seiten der +Roemer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es +faellt auf, dass weder die Roemer ihre Truppen zusammennahmen, um +einen ueberlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszufuehren, noch die +Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzuruecken und sich auf die +feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen +Verhaeltnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders +haette handeln koennen und inwieweit die Schlaffheit der roemischen +Regierung einer- und die lose Verbindung der foederierten Gemeinden +andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegfuehrung beigetragen +haben. Es ist begreiflich, dass bei diesem System es wohl zu Siegen und +Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgueltigen Erledigung; +nicht minder aber auch, sass von einem solchen Krieg, der in eine Reihe +von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald +kombiniert operierender Korps sich aufloeste, aus unserer beispiellos +truemmerhaften Ueberlieferung ein anschauliches Bild sich nicht +herstellen laesst. Der erste Sturm traf selbstverstaendlich die in den +insurgierten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst +ihre Tore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. +Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf +die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier +trafen sie auf den entschlossensten Widerstand. Aehnliche Kaempfe moegen +im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Sueden um Luceria, Benevent, +Nola, Paestum getobt haben, bevor und waehrend die roemischen Heere +sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem +die Suedarmee unter Caesar in der groesstenteils noch zu Rom haltenden +kampanischen Landschaft sich im Fruehjahr 664 (90) gesammelt und Capua +mit seinem fuer die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die +bedeutenderen Bundesstaedte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie +zur Offensive ueberzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien +unter Marcus Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen +zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern +unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurueckgewiesen, und die +wichtige Stadt Venafrum trat hierauf ueber zu den Insurgenten, denen sie +die roemische Besatzung in die Haende lieferte. Durch den Abfall dieser +Stadt, die auf der Heerstrasse von Kampanien nach Samnium lag, war +Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung +sah sich jetzt ausschliesslich auf den Mut und die Ausdauer ihrer +Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte +ein Streifzug, den Sulla mit derselben kuehnen Verschlagenheit wie vor +Jahren den Zug zu Bocchus gluecklich zu Ende fuehrte, den bedraengten +Aeserninern fuer einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach +hartnaeckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die aeusserste +Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius +Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genoetigt, sich in Grumentum +einzuschliessen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien +und die suedlichen Landschaften hatte man ohnehin gaenzlich sich selbst +ueberlassen muessen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an +der Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrueckte, uebergab +die Buergerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die roemische +Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus' Befehl hingerichtet, +die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger +Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis +zum Vesuv den Roemern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum +erklaerten sich fuer die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet +noerdlich vom Vesuv vorruecken und mit seiner samnitisch- lucanischen +Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in grosser Zahl bei Caesars +Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus ueberzugehen oder +vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Uebergabe von +Venusia den Samniten in die Haende gefallen war und nun im koeniglichen +Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so dass Caesar +sich genoetigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat +zurueckzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das roemische +Lager; allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem +Abzug die roemische Reiterei in den Ruecken gefallen war, liessen bei +6000 Tote auf dem Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den +in diesem Kriege die Roemer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum +Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder +an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee +bei einem Flussuebergang von Marius Egnatius angegriffen und so +nachdruecklich geschlagen, dass sie bis Teanum zurueckweichen und dort +wieder organisiert werden musste; indes gelang es den Anstrengungen +des taetigen Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder +in kriegsfaehigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder +einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee +unter Mutilus fortfuhr zu belagern. Gleichzeitig hatten die Operationen +auch in Mittelitalien begonnen, wo der Aufstand von den Abruzzen und +der Landschaft am Fuciner See aus in gefaehrlicher Naehe die Hauptstadt +bedrohte. Ein selbstaendiges Korps unter Gnaeus Pompeius Strabo ward +ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestuetzt, Asculum zu +bedrohen; die Hauptmasse dagegen der roemischen Nordarmee stellte +unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des +marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee +der Feind der Hauptstadt am naechsten stand; der kleine Fluss Tolenus +(Turano), der zwischen Tibur und Alba die Valerische Strasse schneidet +und bei Rieti in den Velino faellt, schied die beiden Heere. Ungeduldig +draengte der Konsul Lupus zur Entscheidung und ueberhoerte den +unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes ungewohnte Mannschaft erst +im kleinen Krieg zu ueben. Zunaechst ward ihm die 10000 Mann starke +Abteilung des Gaius Perpenna vollstaendig geschlagen. Der Oberfeldherr +entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte den +Rest des Korps mit dem unter Marius' Befehl stehenden, liess sich aber +dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von +ihm selbst, teils von Marius gefuehrten Abteilungen auf zwei nicht weit +voneinander geschlagenen Bruecken den Tolenus zu ueberschreiten. Ihnen +gegenueber stand Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an +der Stelle geschlagen, wo Marius den Bach ueberschritt, allein ehe der +Uebergang stattfand, sich mit Hinterlassung der blossen Lagerposten +von dort weggezogen und weiter flussaufwaerts eine verdeckte Stellung +genommen, in welcher er das roemische Korps unter Lupus unvermutet +waehrend des Uebergehens angriff und es teils niedermachte, teils in den +Fluss sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen +blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heissen, dass Marius, Scatos Abmarsch +endlich gewahrend, ueber den Fluss gegangen war und nicht ohne Verlust +der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flussuebergang +und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius ueber die +Paeligner erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas +zurueckzunehmen, und Marius, welcher nach Beschluss des Senats als +Hoechstkommandierender an Lupus' Stelle trat, verhinderte wenigstens, +dass der Feind weitere Erfolge errang. Allein Quintus Caepio, der bald +darauf ihm gleichberechtigt zur Seite gesetzt ward, weniger wegen eines +gluecklich von ihm bestandenen Gefechtes, als weil er den damals in Rom +tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition gegen Drusus sich +empfohlen hatte, liess sich von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein +Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit +einem grossen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern +zusammengehauen. Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger +Oberbefehlshaber, hinderte durch seinen zaehen Widerstand den Gegner, +die errungenen Vorteile zu benutzen, und drang allmaehlich tief in das +marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er lange; als er endlich +sie lieferte, ueberwand er seinen stuermischen Gegner, der unter anderen +Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt +zurueckliess. In einem zweiten Treffen wirkten Marius' Heer und das zur +Suedarmee gehoerige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch +empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die +Ehre dieses Tages aber blieb dem juengeren Offizier, denn Marius hatte +zwar die Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Fluechtigen +den Rueckzug verlegt und sie aufgerieben. Waehrend also am Fuciner +See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward, hatte auch das +picenische Korps unter Strabo ungluecklich und gluecklich gestritten. +Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius Scato +und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kraeften dasselbe angegriffen, +es geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius +den Strabo belagert hielt, waehrend Iudacilius in Apulien einrueckte und +Canusium, Venusia und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden +Staedte zum Anschluss an die Aufstaendischen bestimmte. Allein auf der +roemischen Seite bekam Servius Sulpicius durch seinen Sieg ueber die +Paeligner freie Hand, um in Picenum einzuruecken und Strabo Hilfe zu +bringen. Lafrenius ward, waehrend von vorn Strabo ihn angriff, von +Sulpicius in den Ruecken gefasst und sein Lager in Brand gesteckt; er +selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgeloester Flucht +nach Asculum. So vollstaendig hatte im Picenischen die Lage der Dinge +sich geaendert, dass wie vorher die Roemer auf Firmum, so jetzt die +Italiker auf Asculum sich beschraenkt sahen und der Krieg also sich +abermals in eine Belagerung verwandelte. Endlich war im Laufe des Jahres +zu den beiden schwierigen und vielgeteilten Kriegen im suedlichen +und mittleren Italien noch ein dritter in der noerdlichen Landschaft +gekommen, indem die fuer Rom so gefaehrliche Lage der Dinge nach den +ersten Kriegsmonaten einen grossen Teil der umbrischen und einzelne +etruskische Gemeinden veranlasst hatte, sich fuer die Insurrektion zu +erklaeren, so dass es noetig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus +Plotius, gegen die Etrusker den Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier +indes stiessen die Roemer auf einen weit minder energischen +Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und behaupteten +das entschiedenste Uebergewicht im Felde. So ging das schwere erste +Kriegsjahr zu Ende, militaerisch wie politisch truebe Erinnerungen und +bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militaerisch waren beide Armeen +der Roemer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen +geschwaecht und entmutigt, die Nordarmee genoetigt, vor allem auf die +Deckung der Hauptstadt bedacht zu sein, die Suedarmee bei Neapel in +ihren Kommunikationen ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele +Schwierigkeit aus dem marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen +und zwischen Rom und Neapel sich festsetzen konnten; weswegen man +es notwendig fand, wenigstens eine Postenkette von Cumae nach Rom +zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion waehrend dieses ersten +Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der Obertritt von +Nola, die rasche Kapitulation der festen und grossen latinischen Kolonie +Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen, +dass die roemische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht +imstande sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der +Buergerschaft das Aeusserste zugemutet, schon, um jene Postenkette an +der latinisch-kampanischen Kueste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene +in die Buergermiliz eingereiht, schon von den noch treugebliebenen +Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es war nicht moeglich, +die Sehne des Bogens noch schaerfer anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu +setzen. Die Stimmung der Buergerschaft war unglaublich gedrueckt. Nach +der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm +gefallenen namhaften Buerger von dem nahen Schlachtfeld nach der +Hauptstadt als Leichen zurueckgebracht und daselbst bestattet wurden, +als die Beamten zum Zeichen der oeffentlichen Trauer den Purpur und +die Ehrenabzeichen von sich legten, als von der Regierung an die +hauptstaedtischen Bewohner der Befehl erging, in Masse sich zu +bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung ueberlassen und +alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung gewichen +nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen +Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den +Kriegsrock wieder mit dem Buergerkleid vertauscht, auf die des +zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt; aber es war doch +nicht zweifelhaft, dass im ganzen die Roemer in diesem Waffengang den +kuerzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus dem Senat wie aus +der Buergerschaft der Geist entwichen, der sie einst durch alle Krisen +des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte. Man begann +den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Uebermut wie damals, aber +man wusste ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn, +die zaehe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz +gemacht. Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die aeussere und innere +Politik ploetzlich eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist +kein Zweifel, dass man damit das Kluegste tat, was sich tun liess; aber +nicht weil man, durch die unmittelbare Gewalt der Waffen genoetigt, +nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, +sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des politischen +Vorranges der Roemer vor den uebrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber +mehr schaedlich als foerderlich war. Es trifft im oeffentlichen Leben +wohl, dass ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der +Eigensinn verschuldet hatte, die Feigheit gewissermassen wieder gut. Das +Jahr 664 (90) hatte begonnen mit der schroffsten Zurueckweisung des +von den Insurgenten angebotenen Vergleichs und mit der Eroeffnung eines +Prozesskrieges, in welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger +des patriotischen Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an +allen denjenigen, die im Verdacht standen, der Maessigung und der +rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben. Dagegen brachte +der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember desselben +Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die Hochverratskommission +den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien, +nicht staendisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen +Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, dass diese Kommission aus +einer Geissel der Moderierten zu einer Geissel der Ultras ward und sie +unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die oeffentliche +Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung +des Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die +Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische +Palinodie war die veraenderte Richtung, die man in der Politik gegen die +Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom +zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen muessen; +Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war +derselbe nur moeglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die +Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich +erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstoeren, war die Fehde +zu erbittert geworden, als dass man in Rom es ueber sich gewonnen +haette, ihnen die verlangten Zugestaendnisse zu machen; und haette +man es getan, sie waeren vielleicht jetzt von der anderen Seite +zurueckgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen +Gemeinden die urspruenglichen Forderungen unter gewissen +Einschraenkungen gewaehrt wurden, so ward damit teils der Schein +freiwilliger Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche +Konsolidierung der Konfoederation verhindert und damit der Weg zu +ihrer Ueberwindung gebahnt. So taten denn die Pforten des roemischen +Buergertums, die der Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt +ploetzlich sich auf, als die Schwerter daran pochten; jedoch auch +jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst fuer die Aufgenommenen in +widerwilliger und kraenkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7 +durchgebrachtes Gesetz verlieh das roemische Buergerrecht den Buergern +aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht +Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius +Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbuergerten +und domizilierten Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm +gestattet sein solle, durch Anmeldung bei einem roemischen Beamten das +roemische Buergerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubuerger, +aehnlich den Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschraenkt +sein, dass von den fuenfunddreissig Bezirken sie nur in acht, wie +die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob die +Beschraenkung persoenlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht +mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Massregel bezog sich zunaechst auf +das eigentliche Italien, das noerdlich damals noch wenig ueber Ancona +und Florenz hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, +das zwar rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in +der Kolonisierung laengst als Teil Italiens galt, wurden saemtliche +latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im uebrigen +war hier diesseits des Po der groesste Teil des Bodens nach Aufloesung +der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen +Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum roemischer, meist in +Marktflecken (fora) zusammenwohnender Buerger. Die nicht zahlreichen +bundesgenoessischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna, +sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge +eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes +nach italischer Stadtverfassung organisiert, so dass die hierzu +sich nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den +Alpentaelern, einzelnen Staedten als abhaengige und zinspflichtige +Doerfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem +roemischen Buergertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion, +dass sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, +welche bisher den latinischen Staedten geringeren Rechts zugestanden +hatten. Italien endigte also damals tatsaechlich am Po, waehrend die +transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, noerdlich +vom Po, gab es ausser Cremona, Eporedia und Aquileia keine Buerger- oder +latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Staemme hier +keineswegs, wie suedlich vom Po, verdraengt worden. Die Abschaffung +der keltischen Gau- und die Einfuehrung der italischen Stadtverfassung +bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war +dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des +gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals +Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen +Herren. ------------------------------------------ 7 Das Julische +Gesetz muss in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen sein, da +waehrend der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische +ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Antraege, +unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664 +(90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden. +----------------------------------------- So ansehnlich diese +Zugestaendnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als +hundertfuenfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der +roemischen Buergerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine +Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils +die schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten, +teils moeglichst viele Ueberlaeufer aus den feindlichen Reihen +herueberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze, namentlich das +wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung gekommen sind, +laesst sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der Insurrektion zur +Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben vermoegen. +Die Hauptsache war auf jeden Fall, dass die bisher latinischen +Gemeinden, sowohl die Ueberreste der alten latinischen +Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die +latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten +uebergegangenen, dadurch eintraten in den roemischen Buergerverband. +Ausserdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen +Bundesstaedte in Etrurien und besonders in Sueditalien, wie Nuceria und +Neapolis. Dass einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden ueber die +Annahme des Buergerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken +trug, seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Buergern Freiheit vom +Landdienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch ueberdies +Domanialnutzungen garantierte, gegen das beschraenkte Neubuergerrecht +hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser +Anstaende wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten, dass diese Stadt, +sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in +Italien, selbst nach dem Eintritt in den Buergerverband ihre bisherige +Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle +unveraendert beibehalten haben. Auf alle Faelle ward infolge dieser +Gesetze der roemische Buergerverband ausserordentlich erweitert durch +das Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen +Meerenge bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, ausserdem +die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung +des besten bundesgenoessischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen +Anwartschaft auf das volle Buergerrecht beliehen. Gestuetzt auf diese +Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Roemer mit neuem +Mute den Kampf auf gegen die aufstaendischen Distrikte. Man hatte von +den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen, +als notwendig schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die +Insurrektion griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich +in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl +mehr noch durch das Julische Gesetz als durch den Erfolg der roemischen +Waffen so auffallend rasch ueberwaeltigt. In den ehemaligen latinischen +Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eroeffneten sich reiche +und jetzt zuverlaessige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der +Buergerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand +zu bewaeltigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach +Rom zurueck, Caesar als erwaehlter Zensor, Marius, weil man +seine Kriegfuehrung als unsicher und langsam tadelte und den +sechsundsechzigjaehrigen Mann fuer altersschwach erklaerte. Sehr +wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegruendet; Marius bewies, indem +er taeglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine +koerperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem +letzten Feldzug im ganzen die alte Tuechtigkeit bewaehrt zu haben; aber +glaenzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott +sich haette in der oeffentlichen Meinung rehabilitieren koennen, hatte +er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren +Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstaende zu dem alten Eisen +geworfen. An Marius' Stelle trat bei der marsischen Armee der Konsul +dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in Etrurien +gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der Unterfeldherr +Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des vorigen +Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit +so grossem Erfolg von ihm gefuehrte Kommando im picenischen Gebiet. So +begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten +eroeffneten durch den kuehnen, an den grossartigen Gang der Samnitischen +Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann +der in Norditalien gaerenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu +senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte, +verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollstaendig; nur wenige gelangten +zurueck in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit den +roemischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat Cato +das marsische Gebiet und drang unter gluecklichen Gefechten in demselben +vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem Sturm +auf das feindliche Lager, wodurch die ausschliessliche Oberleitung der +Operationen in Mittelitalien auf Strabo ueberging. Dieser beschaeftigte +sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der +Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften. +Zum Entsatz seiner bedraengten Heimatstadt erschien vor Asculum +Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die belagernde +Armee an, waehrend gleichzeitig die ausfallende Besatzung sich auf die +roemischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000 Roemer gegen +60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Roemern, doch gelang +es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu +werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig 8 +durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung +der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche +Kriegserklaerung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach +mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation herankommen sah, +liess er die Haeupter der roemisch gesinnten Fraktion der Buergerschaft +unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den Tod. So wurden +die Tore geoeffnet und die roemischen Exekutionen loesten die italischen +ab: alle Offiziere und alle angesehenen Buerger wurden hingerichtet, die +uebrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, saemtliches Hab und Gut von +Staats wegen eingezogen. Waehrend der Belagerung und nach dem Fall +von Asculum durchzogen zahlreiche roemische Korps die benachbarten +aufstaendischen Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur +Unterwerfung. Die Marruciner fuegten sich, nachdem Servius Sulpicius sie +bei Teate (Chieti) nachdruecklich geschlagen hatte. In Apulien drang +der Praetor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae und belagerte +Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius Egnatius +der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die Roemer +zurueckdraengte, gelang es dem roemischen Feldherrn bei dem Uebergang +ueber den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres +musste in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Roemer drangen +wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien. +Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen der +Insurrektion, stellten die Roemer ihre Herrschaft wieder her; die Marser +ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus Pius und +Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666 88) +an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die +bescheidene paelignische Landstadt Corfinium; die Reste des +italischen Senats fluechteten auf samnitisches Gebiet. +---------------------------------------------- 8 Schleuderbleie mit +dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit Verwuenschungen der +"entlaufenen Sklaven" - demnach roemische - oder mit der Aufschrift +entweder: "triff die Picenter" oder "triff den Pompeius" -jene +roemische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch +jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli. +--------------------------------------------- Die roemische Suedarmee, +welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig +die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind besetzte +suedliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstoert +(30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint +bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Laenger widerstand Pompeii. +Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz +zu bringen, allein er ward von Sulla zurueckgewiesen, und als er, durch +Keltenscharen verstaerkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsaechlich +durch den Wankelmut dieser unzuverlaessigen Gesellen so vollstaendig +geschlagen, dass sein Lager erobert und er selbst mit dem groessten +Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu niedergehauen ward. Das +dankbare roemische Heer verlieh seinem Feldherrn den Graskranz, mit +welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat geschmueckt +wurde, der durch seine Tuechtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden +gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den +Samniten noch besetzten kampanischen Staedte sich aufzuhalten, rueckte +Sulla sofort in das innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion +war. Die rasche Eroberung und fuerchterliche Bestrafung von Aeclanum +verbreitete Schrecken in der ganzen hirpinischen Landschaft; sie +unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug herankam, der zu +ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte ungehindert +vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft. Der +Pass, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde +umgangen, die samnitische Armee im Ruecken angegriffen und geschlagen; +das Lager ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach +Aesernia. Sulla rueckte vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft +Bovianum und zwang sie durch einen zweiten, unter ihren Mauern +erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die vorgerueckte Jahreszeit +machte hier dem Feldzug ein Ende. Es war der vollstaendigste Umschwung +der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so vordringend die Insurrektion +den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so +ueberall geschlagen, so voellig hoffnungslos ging sie aus demselben +hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide +Kuesten voellig in roemischer Gewalt, die Abruzzen fast vollstaendig, +Apulien bis auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Haenden der +Roemer und durch die Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung +gesprengt zwischen den beiden einzigen noch in offener +Gegenwehr beharrenden Landschaften, der samnitischen und der +lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer erloeschenden +ungeheuren Brandstaette; ueberall traf das Auge auf Asche und Truemmer +und verglimmende Braende, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen +die Flamme empor, aber man war des Feuers ueberall Meister und nirgends +drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, dass wir die Ursachen dieses +ploetzlichen Umschwunges in der oberflaechlichen Ueberlieferung nicht +mehr genuegend erkennen. So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas +geschickte Fuehrung und namentlich die energischere Konzentrierung +der roemischen Streitkraefte, die raschere Offensive wesentlich dazu +beigetragen hat, so moegen doch neben den militaerischen auch politische +Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht im Spiel +gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck, +Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der Feinde zu +tragen, erfuellt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknuepften +aufstaendischen Gemeinden das Unglueck als Apfel der Zwietracht gefallen +sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf eine sicher unter +heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Aufloesung der Italia -, dass +die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von +Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der +Marser landfluechtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich +eine andere, rein landschaftliche Organisation gaben und, nachdem die +"Italia" ueberwunden war, es unternahmen, als "Safinen" oder Samniten +den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste Aesernia ward aus der +Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte +sich von angeblich 30000 Mann zu Fuss und 1000 zu Pferd und ward +durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven verstaerkt; fuenf +Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo und +neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjaehriger Pause +die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk +abermals, ganz wie im fuenften Jahrhundert, nachdem die italische +Konfoederation gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine +landschaftliche Unabhaengigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. +Allein dieser Entschluss der tapfersten Verzweiflung aenderte in der +Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und Lucanien +noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die Insurrektion +war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende. +---------------------------------------------------- 9 Dieser Epoche +muessen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in oskischer +Schrift angehoeren; denn solange die Italia von den Insurgenten +festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveraene +Macht Muenzen mit dem eigenen Namen schlagen. +---------------------------------------------------- Allerdings war +inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die asiatischen +Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht hatten, +an Koenig Mithradates von Pontos den Krieg zu erklaeren und fuer das +naechste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee +nach Kleinasien zu bestimmen. Waere dieser Krieg ein Jahr frueher zum +Ausbruch gekommen, so haette die gleichzeitige Empoerung des halben +Italiens und der wichtigsten Provinz dem roemischen Staat eine ungeheure +Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der italischen +Insurrektion das wunderbare Glueck Roms sich abermals bewaehrt hatte, +war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem dass er mit +dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich +bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Uebermut die +Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von +der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. +Die Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen +ueberseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander fuehrte; die Staatskasse +war nach zwei Kriegsjahren bereits vollstaendig erschoepft, die Bildung +einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum +ausfuehrbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der +seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plaetze an die +Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2 Mill. Taler) geloest wurden, +lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht +gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach +Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im suedlichen +Italien es ihr gestatten wuerde sich zu entfernen; war bei den +Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee +voraussichtlich bald geschehen konnte. So begann der dritte Feldzug 666 +(88) unter guenstigen Aussichten fuer Rom. Strabo daempfte den letzten +Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward. In Apulien machte +Cosconius' Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn des Ueberwinders +von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an +militaerischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand +ein Ende durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen +genommen wurden. In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von +Bovianum; allein in einer Schlacht, die er dem roemischen General +Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Roemer, und was wichtiger war +als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die Samniten auf der Walstatt +liessen, war auch Silo. In Kampanien wurden die kleineren Ortschaften, +die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen entrissen und +Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der roemische Feldherr Aulus +Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei +einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der +Insurgentenfuehrer Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestoert in +der weiten und oeden lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar +einen Versuch sich Rhegions zu bemaechtigen, den indes der sizilische +Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner Unfaelle naeherte +man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die Unterwerfung +von Samnium, die Moeglichkeit, ansehnliche Streitkraefte fuer Asien +verfuegbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung +der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion +unvermutet Luft machte. Rom war in fuerchterlicher Gaerung. Drusus' +Angriff auf die Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter +jaeher Sturz, sodann der zweischneidige Varische Prozesskrieg hatten die +bitterste Zwietracht gesaet zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie +zwischen den Gemaessigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der +Partei der Nachgiebigkeit vollstaendig recht gegeben: was sie beantragt +hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen +zugestehen muessen; allein die Art, wie dies Zugestaendnis erfolgt war, +trug eben wie die fruehere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und +kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche Recht +zu gewaehren, hatte man die Zuruecksetzung nur anders formuliert. +Man hatte eine grosse Anzahl italischer Gemeinden in den roemischen +Buergerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem +ehrenruehrigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbuerger ungefaehr +wie die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die +Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugestaendnis des +latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem +ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, saemtlichen +wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloss das +Buergerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den +Aufstand vernichteten Vertraege ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, +hoechstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert +^10. Die Zuruecksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie +bei der damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und +die scheinheilige Fuersorge der Regierung fuer die unbefleckte Reinheit +der Waehlerschaft jedem Unbefangenen laecherlich erscheinen musste; +all jene Beschraenkungen aber waren insofern gefaehrlich, als sie jeden +Demagogen dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder +gerechten Forderungen der Neubuerger sowohl wie der vom Buergerrecht +ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen. Wenn +somit die heller sehende Aristokratie diese halben und missguenstigen +Konzessionen ebenso unzulaenglich finden musste wie die Neubuerger und +die Ausgeschlossenen selbst, so vermisste sie ferner schmerzlich in +ihren Reihen die zahlreichen und vorzueglichen Maenner, die die Varische +Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die zurueckzurufen +deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch Volks-, sondern +durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren; denn sowenig man +Bedenken trug, einen Volksschluss auch richterlicher Natur durch +einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation eines +Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren Aristokratie als +ein sehr gefaehrliches Beispiel. So waren weder die Ultras noch die +Gemaessigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber +von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit +erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus +unfreiwillig zurueckgekommen war, mit dem Bewusstsein, neue Dienste +geleistet und dafuer neue schwerste Kraenkungen empfangen zu haben, mit +dem bitteren Gefuehle, von den Feinden nicht mehr gefuerchtet, sondern +geringgeschaetzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen, der +sich aufnaehrt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von den +Neubuergern und den Ausgeschlossenen: unfaehig und unbehilflich wie er +sich erwiesen hatte, war doch sein populaerer Name in der Hand +eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug. +---------------------------------------------- ^10 Dediticiis, sagt +Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus [ci]vita[sJ data; +qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV ... cobortes miserunt worin +der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu civltas data +est) in teilweise schaerferer Fassung wiedererscheint. Dediticii sind +nach roemischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius +inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Roemern untertan geworden +und zu keinem Buendnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloss +Leben, Freiheit und Eigentum, sondern koennen auch in Gemeinden mit +eigener Verfassung konstituiert sein. Apolides, nullius certae civitatis +cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19, 17, 1), sind nur die durch +rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten Freigelassenen (ii +qui dediticiorum numero sunt, nur missbraeuchlich und bei besseren +Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; +Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini +Juniani. Aber die dediticii sind dennoch dem roemischen Staate +gegenueber insofern rechtlos, als nach roemischem Staatsrecht jede +Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) +und alle ihnen ausdruecklich oder stillschweigend zugestandenen Rechte +nur precario, also auf beliebigen Widerruf zugestanden werden (App. +Hisp. 44), der roemische Staat also, was er auch gleich oder spaeter +ueber seine Deditizier verhaengen mag, niemals gegen sie eine +Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hoert erst auf durch +Abschliessung eines Buendnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen +deditio und foedus als staatsrechtlich sich ausschliessende Gegenstaende +(Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und +nichts anderes ist auch der den Juristen gelaeufige Gegensatz der +Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die Latiner sind eben die +Foederierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54). Nach dem aelteren +Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen, infolge des +Hannibalischen Krieges ihrer Vertraege verlustig erklaerten Gemeinden, +keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von 664/65 +(90/89) schloss die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti +fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber +unter den dediticii, die 667 (87) nachtraeglich das Buergerrecht +empfingen, doch nicht fueglich bloss die Brettier und Picenter +verstanden sein koennen, so wird man annehmen duerfen, dass alle +Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und nicht nach dem +Plautisch-Papirischen Gesetz das Buergerrecht erworben hatten, als +Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, dass ihre durch die +Insurrektion von selbst kassierten Vertraege (darum qui foederati +fuerunt in der angefuehrten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der +Ergebung nicht rechtlich erneuert wurden. +--------------------------------------------- Mit diesen Elementen +politischer Konvulsionen verband sich der rasch fortschreitende Verfall +der ehrbaren Kriegssitte und der militaerischen Disziplin. Die Keime, +welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in sich trug, +entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit waehrend des +demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfaehigen Mann ohne +Unterschied zum Dienst zuzulassen noetigte und der vor allem unmittelbar +in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda +trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der +militaerischen Hierarchie. Waehrend der Belagerung von Pompeii ward +der Befehlshaber des Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus +Postumius Albinus, von seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem +Feinde verraten zu sein glaubten, mit Steinen und Knuetteln erschlagen; +und der Oberbefehlshaber Sulla begnuegte sich, die Truppen zu ermahnen, +durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang +auszuloeschen. Die Urheber dieser Tat waren die Flottensoldaten, von +jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend +aus dem Stadtpoebel ausgehobene Abteilung der Legionaere dem gegebenen +Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, +vergriff sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging +derselbe diesmal dem Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes +nicht bestraft. Als Cato dann bald darauf wirklich in einem Gefechte +umkam, wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der juengere Gaius +Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen, als die +Urheber seines Todes bezeichnet. Zu dieser beginnenden politischen +und militaerischen kam die vielleicht noch entsetzlichere oekonomische +Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und der asiatischen +Unruhen ueber die roemischen Geldmaenner hereingebrochen war. Die +Schuldner, unfaehig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von +ihren Glaeubigern unerbittlich gedraengt, hatten bei dem beikommenden +Gerichtsvorstand, dem Stadtpraetor Asellio, teils Aufschub erbeten, um +ihre Besitzungen verkaufen zu koennen, teils die alten verschollenen +Zinsgesetze wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestellten +Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider gezahlten +Zinsen von den Glaeubigern eingeklagt. Asellio gab sich dazu her, das +tatsaechlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen, und +instruierte in gewoehnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die +verletzten Glaeubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius +sich auf dem Markt zusammentaten und den Praetor, da er eben in +priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der +Eintracht ueberfielen und erschlugen - eine Freveltat, wegen deren nicht +einmal eine Untersuchung stattfand (665 89). Andererseits ging in +den Schuldnerkreisen die Rede, dass der leidenden Menge nicht anders +geholfen werden koenne als durch "neue Rechnungsbuecher", das heisst +durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen saemtlicher Glaeubiger +an saemtliche Schuldner. Es war genau wieder wie waehrend des +Staendestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der +befangenen Aristokratie der gedrueckten Menge und der zur Maessigung des +starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozess; wieder +stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte +Schuldner den Glaeubiger mit sich hinabreisst; nur war seitdem an die +Stelle der einfach buergerlichen und sittlichen Ordnung einer grossen +Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler Nationen und +diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler +sich begegnet; nur waren alle Missverhaeltnisse breiter, schroffer, in +grauenhafter Weise grossartiger geworden. Indem der Bundesgenossenkrieg +all die gaerenden politischen und sozialen Elemente in der Buergerschaft +gegeneinander ruettelte, legte er den Grund zu einer neuen Revolution. +Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall. Der Volkstribun Publius Sulpicius +Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der Buergerschaft die Antraege +stellte, jeden Senator, der ueber 2000 Denare (600 Taler) schulde, +seiner Ratsstelle verlustig zu erklaeren; den durch unfreie +Geschworenengerichte verurteilten Buergern die Rueckkehr in die Heimat +freizugeben; die Neubuerger durch saemtliche Distrikte zu verteilen +und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu +gestatten. Es waren Vorschlaege, die aus dem Munde dieses Mannes zum +Teil wenigstens ueberraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630 +124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt, +seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als +seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den Altersgenossen keiner +ihm gleichkam; die maechtige Stimme, die lebhaften, zuweilen an +Theateraktion streifenden Gebaerden, die ueppige Fuelle seines +Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht ueberzeugten. Seiner +Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats, +und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des +der Regierungspartei toedlich verhassten Norbanus gewesen. Unter den +Konservativen gehoerte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus. +Was ihn zunaechst veranlasste, sich fuer das Jahr 666 (88) um das +Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel +abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, dass auch er, +wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionaer +verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionaer geworden zu sein +und keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus +beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen +Prozesssturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des +Crassus und Drusus, sich berufen gefuehlt haben, das Werk des Drusus +zu vollenden und die noch bestehenden Zuruecksetzungen der Neubuerger +schliesslich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus +seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwaehnt, die das +gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er durch +sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des Varischen +Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluss zu kassieren; +und als der gewesene Aedil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit +Ueberspringung der Praetur um das Konsulat fuer 667 (87) bewarb, wie es +heisst in der Absicht, sich spaeter die Fuehrung des Asiatischen Krieges +uebertragen zu lassen, trat, entschlossener und schaerfer als irgendein +anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte +er von sich wie von andern zunaechst und vor allem die Einhaltung +der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie Drusus das +Unvertraegliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte, an sich +verstaendige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der Altbuergerschaft auf +guetlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsaenderung in strenger +Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der maechtigen Familie der +Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular +Lucius Caesar, im Senat sehr einflussreich war, und mit der derselben +anhaengenden Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich +mitgewirkt und den zornmuetigen Mann durch persoenliche Erbitterung +ueber die urspruengliche Absicht hinausgefuehrt. Aber der Charakter der +von ihm eingebrachten Antraege ist doch von der Art, dass sie keineswegs +die Persoenlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers +verleugnen. Die Gleichstellung der Neubuerger mit den Altbuergern war +nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen +Antraege zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfuellung der +Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurueckrufung der durch die +Varischen Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der +Unverletzlichkeit des Geschworenenwahrspruchs, fuer den Sulpicius +eben noch selbst mit der Tat eingestanden war, aber sie kam zunaechst +wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den +gemaessigten Konservativen, zugute, und es laesst sich von dem +stuermischen Mann recht wohl begreifen, dass er bei seinem ersten +Auftreten eine solche Massregel entschieden bekaempfte und dann, +ergrimmt ueber den Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte. +Die Massregel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel +herbeigefuehrt durch die Blosslegung der trotz alles aeusseren Glanzes +tief zerruetteten oekonomischen Lage der regierenden Familien bei +Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber +an sich doch im wohlverstandenen Interesse der Aristokratie, wenn, wie +dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein musste, alle Individuen +aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva rasch zu +liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Ueberschuldung vieler +Senatoren und ihrer dadurch herbeigefuehrten Abhaengigkeit von +den reichen Kollegen seinen hauptsaechlichen Halt fand, durch die +Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedaempft ward - +womit natuerlich nicht geleugnet werden soll, dass Rufus eine den Senat +so schroff und gehaessig prostituierende Saeuberung der Kurie, wie +er sie vorschlug, ohne seine persoenlichen Zerwuerfnisse mit den +herrschenden Koteriehaeuptern sicher niemals beantragt haben wuerde. +Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft +zunaechst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen; +an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen +Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen +zum Militaerdienst mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts +insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in +Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der +Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob in diesen Sumpf noch eine +Kloake mehr sich entleerte. Die Moeglichkeit, mit den Komitien zu +regieren, ward fuer die Oligarchie eher gesteigert als gemindert durch +die unbeschraenkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu einem sehr +grossen Teil von den regierenden Familien persoenlich und oekonomisch +abhaengig waren und richtig verwandt eben ein Mittel fuer die Regierung +abgeben konnten, die Wahlen gruendlicher noch als bisher zu beherrschen. +Wider die Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief +diese Massregel allerdings wie jede andere politische Beguenstigung des +Proletariats; allein sie war auch fuer Rufus schwerlich etwas anderes, +als was das Getreidegesetz fuer Drusus gewesen war: ein Mittel, um +das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit dessen Hilfe den +Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft gemeinnuetzigen Reformen +zu brechen. Es liess sich leicht voraussehen, dass dieser nicht gering +sein, dass die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie +ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion +jetzt nach ihrer Ueberwindung betaetigen, dass die grosse Majoritaet +aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten +halben Zugestaendnisse im stillen oder auch laut als unzeitige +Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich +leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus' Beispiel hatte gezeigt, was +dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen +auf die Senatsmajoritaet durchzusetzen unternahm; es war vollkommen +erklaerlich, dass sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten +in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu +realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Muehe, durch +den Koeder der Geschworenengerichte den Senat fuer sich zu gewinnen. +Besseren Rueckhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem +bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus +3000 gedungenen Leuten und einem "Gegensenat" von 600 jungen Maennern +aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Strassen und auf dem Markte +erschien. Seine Antraege stiessen denn auch auf den entschiedensten +Widerstand bei der Majoritaet des Senats, welche zunaechst, um Zeit zu +gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius +Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, ausserordentliche +religioese Festlichkeiten anzuordnen, waehrend deren die +Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen +Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius, +der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand +und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla +soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, dass Marius ihm sein +Haus oeffnete. Man musste nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die +angekuendigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Antraege +gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal +noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die +Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem +Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht +uebersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des +Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische +Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt +fuer den Augenblick gewichen war, nicht bloss mit der Senatsmajoritaet +in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die +Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner +Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knuettelmaenner oder die +wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren, +lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, dass der +Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der +Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurueckkehren werde, um den +konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen ueber den Haufen zu +werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wuenschte den Krieg gegen +Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstaedtischen +politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und +seiner unuebertroffenen politischen Nonchalance hat es grosse +Wahrscheinlichkeit, dass er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, +keineswegs beabsichtigte und dass er, wenn man ihn haette gewaehren +lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch +beschaeftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien +eingeschifft haben wuerde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius +entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den +Oberbefehl abzunehmen, und liess zu diesem Ende mit Marius sich ein, +dessen Name noch immer hinreichend populaer war, um einen Antrag, den +Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu uebertragen, der Menge +plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militaerische Stellung und +Kapazitaet fuer den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stuetze werden +konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfaehigen als +rach- und ehrsuechtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu +stellen, mochte Sulpicius nicht uebersehen und ebensowenig die arge +Abnormitaet, einem Privatmann ein ausserordentliches Oberkommando durch +Volksschluss zu uebertragen; aber eben Marius' erprobte staatsmaennische +Unfaehigkeit gab eine Art Garantie dafuer, dass er die Verfassung nicht +ernstlich wuerde gefaehrden koennen, und vor allem war Sulpicius' eigene +Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte, +dass dergleichen Ruecksichten kaum mehr in Betracht kamen. Dass der +abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als +Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem +Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg geluestete sein Herz seit +vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gruendlich +abzurechnen mit der Senatsmajoritaet. Demnach erhielt auf Antrag des +Sulpicius durch Beschluss des Volkes Gaius Marius mit ausserordentlicher +hoechster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der +kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates, +und es wurden, um das Heer von Sulla zu uebernehmen, zwei Volkstribune +in das Lager von Nola abgesandt. Die Botschaft kam an den unrechten +Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den Oberbefehl im Asiatischen +Kriege zu fuehren, so war es Sulla. Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem +groessten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte +mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Ueberwaeltigung der +gefaehrlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in +welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten +Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreundeten und +verschwaegerten Kollegen das Kommando in demselben uebertragen worden. +Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen Verhaeltnissen +uebernommenen Oberbefehl nach Beschluss der souveraenen Buergerschaft +von Rom abzugeben an einen alten militaerischen und politischen +Antagonisten, in dessen Haenden die Armee, niemand mochte sagen zu +welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, missbraucht werden konnte. +Sulla war weder gutmuetig genug, um freiwillig einem solchen Befehl +Folge zu leisten, noch abhaengig genug, um es zu muessen. Sein Heer +war, teils infolge der von Marius herruehrenden Umgestaltungen des +Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere +und militaerisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem +Fuehrer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente +Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer +Kopf, dem die souveraene roemische Buergerschaft ein Poebelhaufen war, +der Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle +Legalitaet eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit +halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als +Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es +waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von Rom +angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen anzudeuten, +dass der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern +andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien fuehren werde. Die +hoeheren Offiziere, immer noch mehr Buerger als Militaers, hielten sich +zurueck, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die +Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach frueheren Erfahrungen in Asien +einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten +auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen +und von allen Seiten erscholl der Zuruf, dass der Feldherr sie auf Rom +zu fuehren moege. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs +seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen +Maerschen, wenig sich kuemmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden +Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der +Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersaeulen sich aufstellen an der +Tiberbruecke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei +Legionen in Reih' und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten +Mauerring ueberschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt +hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren +innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne dass ein roemisches +Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen haette; jetzt geschah es, +zunaechst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier +berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrueckenden Legionen +gingen vor bis auf die Hoehe des Esquilin; als die von den Daechern +heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und +sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel +und, mit Brandpfeilen und Anzuendung der Haeuser drohend, brachen die +Legionen sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. +Maria Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius +zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden +Kolonnen durch die Ueberzahl zurueck. Aber von den Toren kam denselben +Verstaerkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der +Suburastrasse die Verteidiger zu umgehen; sie mussten zurueck. Am Tempel +der Tellus, wo der Esquilin anfaengt sich gegen den Grossen Marktplatz +zu senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor +Senat und Ritter und die gesamte Buergerschaft, den Legionen sich +entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Buergern in +Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie +gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die +Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu +bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Fuehrern +nichts uebrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen; +nach wenigen Stunden war Sulla unumschraenkter Herr von Rom. Diese +Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Grossen Marktplatz der +Hauptstadt. Die erste militaerische Intervention in den buergerlichen +Fehden hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl dass die politischen +Kaempfe auf dem Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und +unmittelbare Gewalt die Entscheidung gibt, als auch dass die Gewalt +des Knuettels nichts ist gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die +konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst gezogen und an der +denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums ueber den, der +zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfuellt hat. Fuer jetzt +triumphierte sie vollstaendig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber +formulieren. Von selbst verstand es sich, dass die Sulpicischen Gesetze +als von Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine +namhaftesten Anhaenger hatten sich gefluechtet; sie wurden, zwoelf +an der Zahl, von dem Senat als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und +Hinrichtung ausgeschrieben. Publius Sulpicius ward infolgedessen bei +Laurentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte Haupt +des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf ebenderselben +Rednerbuehne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage zuvor in +voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geaechteten +wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Moerder auf den +Fersen. Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage +durch eine Kette von Erbaermlichkeiten getruebt haben mochte, jetzt, wo +der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger +von Vercellae und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien +die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug +bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an +Vorraeten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut +Glueck in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach +sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuss, oft vom Hunger +gepeinigt, in die Naehe der roemischen Kolonie Minturnae an der Muendung +des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden +Reiter; mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes +Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die aengstlichen +Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, waehrend Marius +am Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Guertel in +den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen, +fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehoerde +von Minturnae. Er ward ins Gefaengnis gelegt und der Stadtbuettel, +ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche +erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das +Beil entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn +anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu toeten. Als man +dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, dass der +Retter Roms groessere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die +Knechtschaft, als bei den Mitbuergern, denen er die Freiheit gebracht +hatte; sie loesten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und +sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des +Sulpicius fanden in diesen Gewaessern sich allmaehlich zusammen; sie +liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die roemischen +Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurueck. So entrannen sie +nach Numidien, dessen oede Strandduenen ihnen einen Zufluchtsort fuer +den Winter gewaehrten. Allein der Koenig Hiempsal II., den sie zu +gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben +hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um +sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu +bemaechtigen. Mit genauer Not entrannen die Fluechtlinge seinen Reitern +und fanden vorlaeufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina +(Kerkena) an der tunesischen Kueste. Wir wissen es nicht, ob Sulla +seinem Gluecksstern auch dafuer dankte, dass es ihm erspart blieb, den +Kimbrersieger toeten zu lassen; wenigstens scheint es nicht, dass +die minturnensischen Beamten bestraft worden sind. Um die vorhandenen +Uebelstaende zu beseitigen und kuenftige Umwaelzungen zu verhueten, +veranlasste Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Fuer die +bedraengten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als dass man die +Vorschriften ueber das Zinsmaximum einschaerfte ^11; ausserdem wurde die +Ausfuehrung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten +und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat +ward ergaenzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl +natuerlich im optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden +hinsichtlich des Wahlmodus und der legislatorischen Initiative +wesentliche Aenderungen vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung +der Zenturiatkomitien, nach der die erste Steuerklasse mit einem +Vermoegen von 100000 Sesterzen (7600 Talern) oder darueber allein fast +die Haelfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die Stelle der +im Jahre 513 (241) eingefuehrten, das Uebergewicht der ersten Klasse +mildernden Ordnungen. Tatsaechlich ward damit fuer die Wahl der +Konsuln, Praetoren und Zensoren ein Zensus eingefuehrt, der die nicht +Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache nach ausschloss. Die +legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen dadurch beschraenkt, +dass jeder Antrag fortan von ihnen zunaechst dem Senat vorgelegt werden +musste und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an das Volk gelangen +konnte. ------------------------------------------------ ^11 Klar ist +es nicht, was das "Zwoelftelgesetz', der Konsuln Sulla und Rufus von 666 +(88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt aber, +darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so dass +der hoechste erlaubte Zinsfuss wieder 1/12 des Kapitals fuer das +zehnmonatliche oder 10 Prozent fuer das zwoelfmonatliche Jahr ward. +------------------------------------------------- Diese durch den +Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfuegungen desjenigen +Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei +aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentuemlichen +Charakter. Sulla wagte es, ohne die Buergerschaft oder Geschworene zu +fragen, ueber zwoelf der angesehensten Maenner, darunter fungierende +Beamte und den beruehmtesten General seiner Zeit, das Todesurteil zu +verhaengen und oeffentlich zu diesen Aechtungen sich zu bekennen, eine +Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die selbst von sehr +konservativen Maennern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen +Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende +Wahlordnung umzustossen und den seit langem verschollenen und verfemten +Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das Recht der Legislation +seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den Komitien, +tatsaechlich zu entziehen und es auf eine Behoerde zu uebertragen, die +zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen +hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu koennen. Kaum hatte je +ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geuebt, mit so +ruecksichtsloser Kuehnheit an den Fundamenten der Verfassung geruettelt +und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf +die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen +Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom beendigt +worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in mehr +oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, ueberwunden zu +sein, gleichsam als ein Verbrechen buessen. Wer sich erinnert an die +prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem +Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, der fuehlt sich +geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der Offenheit +und der relativen Maessigung zu erteilen, indem er einmal ohne viel +Umstaende das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die geschlagenen +Maenner als rechtlose Feinde in die Acht erklaerte; zweitens die Zahl +der Opfer moeglichst beschraenkte und wenigstens das widerliche Wueten +gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine aehnliche Maessigung +zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich +der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte +in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben +in Einklang. Die roemische Legislation, wo jeder Konsul, Praetor oder +Tribun jede beliebige Massregel bei der Buergerschaft beantragen +und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus +unvernuenftig gewesen und mit der steigenden Nullitaet der Komitien es +immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich +das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmaessig den ohne +solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte +durch politische oder religioese Interzession. Diese Daemme hatte die +Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System +an, seine Konsequenzen vollstaendig und jedem mutwilligen Buben den +Umsturz des Staats in formell legaler Weise moeglich zu machen. Was war +unter solchen Umstaenden natuerlicher, notwendiger, im rechten Sinne +konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des +Senats jetzt foermlich und ausdruecklich anzuerkennen? Etwas Aehnliches +gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die aeltere Verfassung ruhte +durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die +Bevorzugung der Vermoegenden nur beschraenkt. Aber seit diesem Jahr war +eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhoehung +des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie +aenderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben +treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schaendlichen Stimmenkauf +samt allem, was daran hing, in der moeglichst milden Form zu wehren +wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner, +die Wiederaufnahme der Kolonisationsplaene gaben den redenden +Beweis, dass Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius' +leidenschaftlichen Antraegen beizupflichten, doch eben wie er und +wie Drusus, wie ueberhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den +materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht uebersehen werden +darf, dass er diese Massregel nach dem Siege und durchaus freiwillig +beantragte. Wenn man hiermit verbindet, dass Sulla die hauptsaechlichen +Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen liess und weder an den +Rittergerichten noch an den Kornverteilungen ruettelte, so wird man das +Urteil gerechtfertigt finden, dass die Sullanische Ordnung von 666 +(86) an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status +quo wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment +zunaechst Gefahr drohenden ueberlieferten Satzungen zeitgemaess +aenderte, teils den vorhandenen sozialen Uebeln nach Kraeften abzuhelfen +suchte, soweit beides sich tun liess, ohne die tieferliegenden Schaeden +zu beruehren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus +in Verbindung mit einem lebendigen Gefuehl fuer den inneren Gehalt +der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und loebliche Absichten +bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse +Leichtfertigkeit und Oberflaechlichkeit, wie denn namentlich sehr viel +guter Wille dazu gehoerte, um zu glauben, dass die Feststellung des +Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhaeltnissen aufhelfen und dass +das Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die kuenftige Demagogie +widerstandsfaehiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und +die Religion. In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen +sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhaeltnisse nahmen einen +immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, dass +die Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzoegert +hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf +keinen Fall laenger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils +in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewaehlt wuerden, +teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen +Insurrektion beschaeftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm +auf die Oligarchie in Italien zurueckzulassen. Allein in den +Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten +Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng +optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur +entschiedensten Opposition gehoerte. Vermutlich war es hauptsaechlich +die Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes +vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklaerung hin, dass +es ihn freue, die Buerger von ihrer verfassungsmaessigen Wahlfreiheit +Gebrauch machen zu sehen, und begnuegte sich, beiden Konsuln den Schwur +abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den +Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische +groessten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla liess durch +Volksschluss das Kommando ueber jene auf seinen treuergebenen Kollegen +Quintus Rufus uebertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo +in moeglichst schonender Weise zurueckrufen, um so mehr als dieser +der Ritterpartei angehoerte und seine passive Haltung waehrend der +Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt +hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und uebernahm an Strabos Stelle +den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten +erschlagen und Strabo trat wieder zurueck in das kaum abgegebene +Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiss ist es, dass +er ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die +Fruechte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten +strafte. Fuer Sulla war Rufus' Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft +eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando +abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich +einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedraengt, endlich nach +Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat, +andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen; +es war dem bloedesten Auge klar, dass ein neuer Sturm gegen ihn und +seine Partei sich vorbereitete und dass die Gegner seine Entfernung +wuenschten. Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es +zum Bruche zu treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die +italischen Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten +und nach einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich - +ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht +werden - fuer die letztere Alternative, uebergab das in Samnium +zurueckbleibende Korps dem zuverlaessigen und kriegskundigen Quintus +Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl +in Unteritalien uebernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem +Propraetor Appius Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) +mit seinen Legionen nach dem hellenischen Osten sich ein. 8. Kapitel +Der Osten und Koenig Mithradates Die atemlose Spannung, in welcher die +Revolution mit ihrem ewig sich erneuernden Feuerlaerm und Loeschruf +die roemische Regierung erhielt, war die Ursache, dass dieselbe die +Provinzialverhaeltnisse ueberhaupt aus den Augen verlor, am meisten aber +die des asiatischen Ostens, dessen ferne und unkriegerische Nationen +nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die transalpinischen +Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdraengten. Nach der +Einziehung des Attalischen Koenigreiches, die mit dem Ausbruch der +Revolution zusammenfaellt, ist ein volles Menschenalter hindurch +kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen +Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die masslose +Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Roemern abgedrungenen +Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache +nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station +fuer eine kleine roemische Heer- und Flottenabteilung in den oestlichen +Gewaessern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100) +die Restaurationsregierung einigermassen konsolidiert hatte, begann +die roemische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige +Aufmerksamkeit zuzuwenden. In vieler Hinsicht waren die Verhaeltnisse +noch, wie wir dreissig Jahre zuvor sie verliessen. Das Reich Aegypten +mit seinen beiden Nebenlaendern Kyrene und Kypros loeste mit dem Tode +Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils tatsaechlich sich auf. +Kyrene kam an den natuerlichen Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und +trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem +haderten die Witwe des letzten Koenigs, Kleopatra (+ 665 89), und dessen +beide Soehne Soter II. Lathyros (+ 673 81) und Alexander I. (+ 666 88), +was die Ursache ward, dass auch Kypros auf laengere Zeit von Aegypten +sich schied. Die Roemer griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im +Jahre 658 (96) das Kyrenische Reich durch das Testament des kinderlosen +Koenigs Apion anfiel, schlugen sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu +aus, aber ueberliessen doch die Landschaft im wesentlichen sich selbst, +indem sie die griechischen Staedte des Reiches, Kyrene, Ptolemais, +Berenike, zu Freistaedten erklaerten und denselben sogar die Nutzung der +koeniglichen Domaenen ueberwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von +Africa ueber dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr +eine bloss nominelle als die des Statthalters von Makedonien ueber die +hellenischen Freistaedte. Die Folgen dieser Massregel, die ohne Zweifel +nicht aus dem Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwaeche und +Nachlaessigkeit der roemischen Regierung hervorging, waren wesentlich +dieselben, die unter gleichen Verhaeltnissen in Hellas eingetreten +waren: Buergerkriege und Usurpation zerrissen die Landschaft so, dass, +als dort zufaellig im Jahre 668 (86) ein hoeherer roemischer Offizier +erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten, ihre Verhaeltnisse zu +ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begruenden. Auch in +Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten besser +geworden. Waehrend des zwanzigjaehrigen Erbfolgekrieges der beiden +Halbbrueder Antiochos Grypos (+ 658 96) und Antiochos von Kyzikos (+ 659 +95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Soehne forterbte, ward +das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die +kilikischen Seekoenige, die Araberscheichs der syrischen Wueste, die +Fuersten der Juden und die Magistrate der groesseren Staedte in der +Regel mehr zu sagen hatten als die Traeger des Diadems. Inzwischen +setzten im westlichen Kilikien die Roemer sich fest und ging das +wichtige Mesopotamien definitiv ueber an die Parther. Die Monarchie +der Arsakiden hatte, hauptsaechlich infolge der Einfaelle turanischer +Staemme, um die Zeit der Gracchen eine gefaehrliche Krise durchzumachen +gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Grosse (630 ? - +667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine ueberwiegende Stellung +in Innerasien zurueckgegeben, die Skythen zurueckgeschlagen und gegen +Syrien und Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen +das Ende seines Lebens laehmten neue Unruhen sein Regiment; und waehrend +die Grossen des Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den Koenig +sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn stuerzte und toeten liess, +erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien. Dieses Land, das seit +seiner Selbstaendigkeitserklaerung in die nordoestliche Haelfte oder das +eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die suedwestliche +oder Sophene, das Reich der Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde +durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94) zum erstenmal zu +einem Koenigreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung, teils +die Schwaeche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen Koenig von +ganz Armenien moeglich, nicht bloss aus der Klientel der Parther sich +zu loesen und die frueher an sie abgetretenen Landschaften +zurueckzugewinnen, sondern sogar das Oberkoenigtum von Asien, wie es +von den Achaemeniden auf die Seleukiden und von diesen auf die Arsakiden +uebergegangen war, an Armenien zu bringen. In Kleinasien endlich bestand +die Laenderteilung, wie sie nach der Aufloesung des Attalischen Reiches +unter roemischer Einwirkung festgestellt worden war, noch wesentlich +ungeaendert. In dem Zustande der Klientelstaaten, der Koenigreiche +Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fuerstentuemer Paphlagoniens und +Galatiens, der zahlreichen Staedtebuende und Freistaedte, war eine +aeusserliche Aenderung zunaechst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte +dagegen der Charakter der roemischen Herrschaft allerdings ueberall sich +wesentlich umgestaltet. Teils durch die bei jedem tyrannischen Regiment +naturgemaess eintretende stetige Steigerung des Druckes, teils durch die +mittelbare Einwirkung der roemischen Revolution - man erinnere sich +an die Einziehung des Bodeneigentums in der Provinz Asien durch +Gaius Gracchus, an die roemischen Zehnten und Zoelle und an die +Menschenjagden, die die Zoellner daselbst nebenbei betrieben - lastete +die schon von Haus aus schwer ertraegliche roemische Herrschaft in +einer Weise auf Asien, dass weder die Koenigskrone noch die Bauernhuette +daselbst mehr sicher war vor Konfiskation, dass jeder Halm fuer den +roemischen Zehntherrn zu wachsen, jedes Kind freier Eltern fuer die +roemischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der +Asiate in seiner unerschoepflichen Passivitaet auch diese Qual; allein +es waren nicht Geduld und Ueberlegung, die ihn ruhig tragen hiessen, +sondern der eigentuemlich orientalische Mangel der Initiative, und es +konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen +Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein +Mann unter sie trat, der es verstand, das Zeichen zu geben. Es regierte +damals im Reiche Pontus Koenig Mithradates VI. mit dem Beinamen Eupator +(geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von vaeterlicher +Seite im sechzehnten Glied auf den Koenig Dareios Hystaspes' Sohn, +im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I., +zurueckfuehrte, von muetterlicher den Alexandriden und Seleukiden +entstammte. Nach dem fruehen Tode seines Vaters Mithradates Euergetes, +der in Sinope von Moerderhand fiel, war er um 634 (120) als elfjaehriger +Knabe Koenig genannt worden; allein das Diadem brachte ihm nur Not und +Gefahr. Die Vormuender, ja, wie es scheint, die eigene, durch des Vaters +Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem koeniglichen +Knaben nach dem Leben; es wird erzaehlt, dass er, um den Dolchen seiner +gesetzlichen Beschuetzer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend +gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht fuer Nacht die Ruhestaette +wechselnd, ein Fluechtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses +Jaegerleben gefuehrt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann. +Wenngleich unsere Berichte ueber ihn im wesentlichen auf schriftliche +Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurueckgehen, so hat nichtsdestoweniger +die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den maechtigen Koenig +frueh geschmueckt mit manchen der Zuege ihrer Simson und Rustem; aber +auch diese gehoeren zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone zum Charakter +der hoechsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in +beiden Faellen nur farbiger und phantastischer, nicht getruebt noch +wesentlich geaendert. Die Waffenstuecke, die dem riesengrossen Leibe des +Koenigs Mithradates passten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr +noch der Italiker. Als Laeufer ueberholte er das schnellste Wild; +als Reiter baendigte er das wilde Ross und vermochte mit gewechselten +Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurueckzulegen; als Wagenlenker +fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen Preis - freilich +war es gefaehrlich, in solchem Spiel dem Koenig obzusiegen. Auf der Jagd +traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab, ohne zu fehlen; +aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen - er veranstaltete wohl +Wettschmaeuse und gewann darin selber die fuer den derbsten Esser und +fuer den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - und nicht minder in +den Freuden des Harems, wie unter anderm die zuegellosen Billets seiner +griechischen Maetressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. +Seine geistigen Beduerfnisse befriedigte er im wuestesten Aberglauben +-Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen fuellten nicht +wenige der Stunden des Koenigs aus - und in einer rohen Aneignung der +hellenischen Zivilisation. Er liebte griechische Kunst und Musik, +das heisst er sammelte Pretiosen, reiches Geraet, alte persische und +griechische Prachtstuecke - sein Ringkabinett war beruehmt -, hatte +stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner +Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen fuer Esser +und Trinker auch welche aus fuer den drolligsten Spassmacher und den +besten Saenger. So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im +Orient, wo das Verhaeltnis des Herrschers und der Beherrschten mehr +den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes traegt, ist der +Untertan huendisch treu und huendisch falsch, der Herrscher grausam und +misstrauisch. In beiden ist Mithradates kaum uebertroffen worden. Auf +seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft wegen wirklicher oder +angeblicher Verraeterei seine Mutter, sein Bruder, seine ihm vermaehlte +Schwester, drei seiner Soehne und ebenso viele seiner Toechter. +Vielleicht noch empoerender ist es, dass sich unter seinen geheimen +Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner +vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt sultanisch, dass +er spaeterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophaeen zu entziehen, +seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und seinen ganzen +Harem toeten liess und den Frauen nur die Wahl der Todesart freigab. +Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er als einen +wichtigen Zweig der Regierungsgeschaefte und versuchte, seinen Koerper +an einzelne Gifte zu gewoehnen. Verrat und Mord hatte er von frueh auf +von jedermann und zumeist von den Naechsten erwarten und gegen jedermann +und zumeist gegen die Naechsten ueben gelernt, wovon denn die notwendige +und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, dass all seine +Unternehmungen schliesslich misslangen durch die Treulosigkeit seiner +Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Zuege von hochherziger +Gerechtigkeit; wenn er Verraeter bestrafte, schonte er in der Regel +diejenigen, welche nur durch ihr persoenliches Verhaeltnis zu dem +Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfaelle +von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in +der Tat auszeichnet unter der grossen Anzahl gleichartiger Sultane, ist +seine grenzenlose Ruehrigkeit. Eines schoenen Morgens war er aus seiner +Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so dass man +ihn bereits verloren gab; als er zurueckkam, hatte er unerkannt ganz +Vorderasien durchwandert und Land und Leute ueberall militaerisch +erkundet. Von gleicher Art ist es, dass er nicht bloss ueberhaupt ein +redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, ueber +die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines Dolmetschers +zu beduerfen - ein bezeichnender Zug fuer den regsamen Herrscher +des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter traegt seine ganze +Regententaetigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren +Verwaltung schweigt unsere Ueberlieferung leider durchaus -, geht sie +auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schaetzen, im +Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen frueheren Jahren +gewoehnlich nicht der Koenig selbst, sondern irgendein griechischer +Condottiere gegen den Feind fuehrt, in dem Bestreben, neue Satrapien +zu den alten zu fuegen; von hoeheren Elementen, Foerderung der +Zivilisation, ernstlicher Fuehrerschaft der nationalen Opposition, +eigenartiger Genialitaet finden sich, in unserer Ueberlieferung +wenigstens, bei Mithradates keine bewussten Spuren, und wir haben keinen +Grund, auch nur mit den grossen Regenten der Osmanen, wie Muhamed +II. und Suleiman waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der +hellenischen Bildung, die ihm nicht viel besser sitzt als seinen +Kappadokiern die roemische Ruestung, ist er durchaus ein Orientale +gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit, aberglaeubisch, +grausam, treu- und ruecksichtslos, aber so kraeftig organisiert, so +gewaltig physisch begabt, dass sein trotziges Umsichschlagen, sein +unverwuestlicher Widerstandsmut haeufig wie Talent, zuweilen sogar wie +Genie aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, dass waehrend der +Agonie der Republik es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in +den Zeiten Scipios oder Traians, und dass nur die Verschlingung +der asiatischen Ereignisse mit den inneren Bewegungen Italiens es +Mithradates moeglich machte, doppelt so lange als Jugurtha den Roemern +zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr, dass bis auf +die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den Roemern +ernstlich zu schaffen gemacht, und dass er gegen sie sich gewehrt +hat wie gegen den Jaeger der Loewe der Wueste. Aber mehr als solchen +naturkraeftigen Widerstand sind wir nach dem, was vorliegt, auch +nicht berechtigt, in ihm zu erkennen. Indes wie man immer ueber die +Individualitaet des Koenigs urteilen moege, seine geschichtliche +Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die Mithradatischen Kriege +sind zugleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas +gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen +Gegensaetzen beruhenden Auflehnung gegen die roemische Suprematie, der +nationalen Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates +selbst so war auch sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das +Haremwesen herrschend am Hofe und ueberhaupt unter den Vornehmen, die +Religion der Landesbewohner wie die offizielle des Hofes vorwiegend der +alte Nationalkult; der Hellenismus daselbst war wenig verschieden +von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der Arsakiden des +Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen kurzen +Augenblick fuer ihre politischen Traeume an diesem Koenig einen Halt zu +finden meinen; in der Tat ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge +gestritten, als worueber auf den Feldern von Magnesia und Pydna die +Entscheidung fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in +dem ungeheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von den +Kaempfen bei Marathon auf die heutige Generation sich vererbt hat und +vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden zaehlen mag wie +seine Vergangenheit. So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun +des kappadokischen Koenigs das fremdartige und unhellenische Wesen +hervortritt, so schwierig ist es, das hier obwaltende nationale Element +bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen, in dieser Hinsicht +ueber Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen Anschauung zu +gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es keinen +Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster +Zeit mannigfaltig verschlungene Staemme neben- und durcheinander +geschoben und wo demzufolge die Verhaeltnisse der Nationalitaeten +weniger klar waeren wie in Kleinasien. Die semitische Bevoelkerung setzt +sich von Syrien her in ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien +fort, und es scheint ihr ferner auch an der Ostkueste in der karischen +lydischen Landschaft der Grundstock der Bevoelkerung anzugehoeren, +waehrend die nordwestliche Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten +der europaeischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und +die Nordkueste sind vorwiegend von indogermanischen, am naechsten den +iranischen verwandten Voelkerschaften erfuellt. Von der armenischen und +der phrygischen Sprache ^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen +hoechstwahrscheinlich, dass sie zunaechst an das Zend grenzten; und wenn +von den Mysern angegeben wird, dass bei ihnen lydische und +phrygische Sprache sich begegneten, so bezeichnet dies eben +eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen vergleichbare +Mischbevoelkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien sich +ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so mangelt +es, trotz der gerade hier in Fuelle vorhandenen Ueberreste einheimischer +Sprache und Schrift, bis jetzt ueber dieselbe noch an gesicherten +Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, dass diese Staemme eher den +Indogermanen als den Semiten zuzuzaehlen sind. Wie dann ueberall dieses +Voelkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer Kaufstaedte, sodann der +durch das kriegerische wie das geistige Uebergewicht der griechischen +Nation ins Leben gerufene Hellenismus gelegt hat, ist in seinen +Umrissen bereits frueher auseinandergesetzt worden. +------------------------------------------ ^1 Die als phrygisch +angefuehrten Woerter Bagaios = Zeus und der alte Koenigsname Manis sind +unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und das deutsche +Mannus, indisch Manus zurueckgefuehrt worden. Chr. Lassen in: ZDMG, +10, 1888, S. 329f. ------------------------------------------ In diesen +Gebieten herrschte Koenig Mithradates und zwar zunaechst in Kappadokien +am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo, +am nordoestlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in +steter Beruehrung, sich die iranische Nationalitaet vermutlich minder +gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal +der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Kueste, wo +mehrere urspruenglich griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die +bedeutenden Handelsplaetze Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts- +und Residenzstadt Mithradats und die bluehendste Stadt des Reiches, +Sinope, war das Land noch in einem sehr primitiven Zustand. Nicht als +haette es wuest gelegen; vielmehr wie die pontische Landschaft noch +heute eine der lachendsten der Erde ist, in der Getreidefelder mit +Waeldern von wilden Obstbaeumen wechseln, war sie ohne Zweifel auch zu +Mithradates' Zeit wohl bebaut und verhaeltnismaessig auch bevoelkert. +Allein eigentliche Staedte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die +den Ackerleuten als Zufluchtsstaetten und dem Koenig als Schatzkammern +zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in +Kleinarmenien fuenfundsiebzig solcher kleiner koeniglicher Kastelle +gezaehlt wurden. Wir finden nicht, dass Mithradates wesentlich dazu +getan haette, das staedtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen; und +wie er gestellt war, in tatsaechlicher, wenn auch vielleicht ihm selbst +nicht voellig bewusster Reaktion gegen den Hellenismus, begreift +sich dies wohl. Um so taetiger erscheint er, gleichfalls in ganz +orientalischer Weise, bemueht, sein Reich, das schon nicht klein war, +wenn auch der Umfang desselben wohl uebertrieben auf 500 deutsche Meilen +angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer +wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine +Flotten und seine Botschafter taetig. Nirgends aber bot sich ihm ein so +freier und so weiter Spielraum wie an den oestlichen und den noerdlichen +Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustaende hier +einen Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder +vielmehr unmoeglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu +geben. An dem oestlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast +unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen +ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti) +mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen Fuersten +entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. Folgenreicher noch +waren seine Unternehmungen in den noerdlichen Landschaften 2. Die weiten +huegel- und waldlosen Steppen, die sich noerdlich vom Schwarzen +Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer +Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von +Stockholm und von dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz +und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und laenger +anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, fuer den Ackerbau und +ueberhaupt fuer feste Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer, +wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen Verhaeltnisse +vermutlich etwas weniger unguenstig standen, als dies heutzutage der +Fall ist 3. Die verschiedenen Staemme, die der Wandertrieb in diese +Gegenden gefuehrt hatte, fuegten sich diesem Gebot der Natur und +fuehrten und fuehren zum Teil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben, +indem sie mit ihren Rinder- oder haeufiger noch mit ihren Rossherden +Wohn- und Weideplaetze wechselten und ihr Geraet auf Wagenhaeusern sich +nachfuehrten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach: +die Bewohner dieser Steppen fochten grossenteils beritten und immer +aufgeloest, mit Helm und Panzer von Leder und lederueberzogenem Schild +geruestet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und Bogen - die Vorfahren +der heutigen Kosaken. Den urspruenglich hier ansaessigen Skythen, +die mongolischer Rasse und in Sitte und Koerpergestalt den heutigen +Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein scheinen, hatten sich, +von Osten nach Westen vorrueckend, sarmatische Staemme nachgeschoben, +Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich fuer slawischer +Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen, welche man +ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und persischen +sich verwandt zeigen und vielleicht jene Voelker vielmehr dem grossen +Zendstamme angehoert haben. In entgegengesetzter Richtung fluteten +thrakische Schwaerme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr +gelangten; dazwischen draengten sich, wahrscheinlich als Auslaeufer der +grossen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht +beruehrt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst +die Bastarner, an der Donaumuendung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat +bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fuersten +und Aeltesten fuer sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz +standen die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen +Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an +diesen Gestaden gegruendet worden waren, teils als Emporien, teils als +Stationen fuer den wichtigen Fischfang und selbst fuer den Ackerbau, +fuer welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des +Schwarzen Meeres im Altertum minder unguenstige Verhaeltnisse darbot, +als dies heutzutage der Fall ist; fuer die Benutzung des Bodens zahlten +hier die Hellenen, wie die Phoeniker in Libyen, den einheimischen Herren +Schoss und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die +Freistadt Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in +der Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften +Verhaeltnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer +Buerger in maessigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der +gegenueberliegenden Seite der Halbinsel an der Strasse von dem Schwarzen +in das Asowsche Meer Pantikapaeon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297) +Roms regiert von erblichen Buergermeistern, spaeter bosporanische +Koenige genannt, den Archaeanaktiden, Spartokiden und Paerisaden. Der +Getreidebau und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell +zur Bluete gebracht. Ihr Gebiet umfasste in der Mithradatischen Zeit +noch die kleinere Osthaelfte der Krim mit Einschluss der Stadt Theodosia +und auf dem gegenueberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt +Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten +die Herren von Pantikapaeon zu Lande die Voelker an der Ostkueste des +Asowschen Meeres und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze +Meer beherrscht; allein Pantikapaeon war nicht mehr, was es gewesen +war. Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den +traurigen Rueckgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten +Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der +fuehrenden Macht erfuellte, die allerdings auch den Athenern durch ihren +Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz +der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich +selbst ueberlassen. Die griechischen Landmaechte sind nie dazu gelangt, +ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, und +Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Roemer, auf welche mit +der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung +ueberging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen bedurfte, ihr +starker Schild zu sein, vernachlaessigten voellig das Gebot des Vorteils +wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos vollendeten +die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen Meeres. Ein +lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenueber gibt +uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmuendung bei Ocakov), die +nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt zu sein scheint. +Die Buergerschaft muss dem Barbarenkoenig nicht bloss jaehrlichen Zins +an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt +lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in aehnlicher +Weise auch geringere Haeuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der +Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr uebel, wenn die Gabe +zu geringfuegig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott, und man muss die +Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen draengen draussen vor den +Toren sich die Staemme der Wilden: das Gebiet wird verwuestet, die +Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das aergste ist, die +schwaecheren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um vor dem +Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt +sich zu bemaechtigen, so dass zahlreiche Buerger dieselbe verlassen +und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben. +--------------------------------------------- 2 Sie sind hier +zusammengefasst, da sie freilich zum Teil erst zwischen den ersten +und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom +fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und +eine Erzaehlung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings +nicht durchfuehren laesst. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos +hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluss gegeben. Danach ist Diophantos +zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden; aber dass die +zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluss des roemischen Senats +zu Gunsten der skythischen Fuersten in Verbindung steht, erhellt aus +der Urkunde nicht und ist nicht einmal wahrscheinlich. 3 Es hat viele +Wahrscheinlichkeit, dass die ungemeine Trockenheit, die vornehmlich +jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden ueberhaupt +erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Waelder +des mittleren und suedlichen Russland, die ehemals bis zu einem +gewissen Grad die Kuestenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind +schuetzten. --------------------------------------------- Diese +Zustaende fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm +des Kaukasus ueberschreitend hinabstieg in die Taeler des Kuban und +Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewaessern der Krim sich +zeigte. Kein Wunder, dass auch hier ueberall, wie es schon in Dioskurias +geschehen war, die Hellenen den pontischen Koenig mit offenen Armen +empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch geruesteten +Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier +versaeumt hatte. Den Herren von Pantikapaeon waren ebendamals die +Tributforderungen zu unerschwinglicher Hoehe gesteigert worden; +die Stadt Chersonesos sah sich von dem Koenig der auf der Halbinsel +hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fuenfzig Soehnen hart bedraengt; +gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit +hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht +umsonst. Mithradates' tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos +und seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvoelkern +fertig. Neoptolemos schlug sie in der Strasse von Pantikapaeon teils +zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die +Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmaessig angelegte Festungen +der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie +sie spaeter heissen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den +Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor +seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen +4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen +verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer +Handelsstaedte gegruendetes Koenigreich, das Bosporanische genannt, +das die heutige Krim mit der gegenueberliegenden asiatischen Landspitze +umfasste und jaehrlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000 Scheffel +Getreide in die koeniglichen Kassen und Magazine lieferte. Die +Steppenvoelker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumuendung +traten wenigstens zum grossen Teil in Klientel oder in Vertrag mit +dem pontischen Koenig und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch +wenigstens einen unerschoepflichen Werbeplatz fuer seine Armeen. +------------------------------------------------------ 4 Das kuerzlich +aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos fuer diesen Diophantos +(SIG 252) bestaetigt die Ueberlieferung durchaus. Es zeigt uns die +Stadt in naechster Naehe - den Hafen von Balaklava muessen die Taurer, +Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, bedraengt +teils von den Taurern an der Suedkueste der Krim, teils und vor allem +von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das angrenzende +Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der Feldherr des +Koenigs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt Luft +macht die Taurer niederschlaegt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg +(wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den +westlichen und den oestlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im +Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfuersten Saumakos +ueberwaeltigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich +sie mit den Reuxinalern - so heissen hier, wo sie zuerst auftreten, die +spaeteren Roxolaner - in der grossen Feldschlacht besiegt, deren auch +die schriftliche Ueberlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der +Griechenstadt unter den Koenig scheint nicht stattgefunden zu haben; +Mithradates erscheint nur als schuetzender Bundesgenosse, der gegen die +als unbesiegbar geltenden (to?s anypostatoys doko?ntas eimen) Skythen +fuer die Griechenstadt die Schlachten schlaegt, welche wahrscheinlich zu +ihm ungefaehr in dem Verhaeltnis gestanden hat wie Massalia und Athen +zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (ypakoioi) +des Mithradates. ------------------------------------------------------- +Waehrend also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der +Koenig zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als +die Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhaengigen +Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die +enge Verbindung, in die er mit dem Koenig von Grossarmenien trat. Er gab +dem Tigranes nicht bloss seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern +er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstuetzung Tigranes sich der +Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es +scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein, +dass Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und +die Kuesten des Schwarzen Meeres zu besetzen uebernahmen unter Zusage +gegenseitiger Unterstuetzung, und ohne Zweifel war es der taetigere und +faehigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Ruecken +zu decken und einen maechtigen Bundesgenossen zu sichern. In Kleinasien +endlich richtete der Koenig die Blicke auf das binnenlaendische +Paphlagonien - die Kueste gehoerte seit langem zum Poptischen Reich - +und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprueche +als durch Testament des letzten der Pylaemeniden vermacht an den +Koenig Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime +Praetendenten und das Land selbst protestierten. Was Kappadokien +anlangt, so hatten die pontischen Herrscher nicht vergessen, dass dies +Land und Kappadokien am Meer einst zusammengehoert hatten, und trugen +sich fortwaehrend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von Mithradates +besetzt in Gemeinschaft mit Koenig Nikomedes von Bithynien, mit dem +er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch erhob, fuegte sich +Mithradates demselben, waehrend Nikomedes einen seiner Soehne mit dem +Namen Pylaemenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an +sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbuendeten in +Kappadokien. Koenig Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es +hiess im Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes +Mithradates Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wusste den Uebergriffen +des Koenigs von Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen +Hilfe seines Oheims, fuer welche dieser dann ihm ansann, dem fluechtig +gewordenen Moerder seines Vaters die Rueckkehr nach Kappadokien zu +gestatten. Es kam hierueber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide +Heere zur Schlacht sich gegenueberstanden, begehrte der Oheim zuvor +eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stiess dabei den unbewaffneten +Juengling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Moerder des Vaters, +uebernahm hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die +unwillige Bevoelkerung sich gegen ihn erhob und den juengeren Sohn des +letzten Koenigs zur Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats +ueberlegenen Streitkraeften keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der +baldige Tod des von dem Volke auf den Thron gesetzten Juenglings gab +dem pontischen Koenig um so mehr freie Hand, als mit diesem das +kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, ebenwie +in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert, unter +dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. +Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte Koenig +Mithradates am noerdlichen wie am suedlichen Gestade des Schwarzen +Meeres und weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des +Koenigs fuer den Krieg zu Lande und zu Wasser schienen unermesslich. +Sein Werbeplatz reichte von der Donaumuendung bis zum Kaukasus und dem +Kaspischen Meer; Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, +Iberer (im heutigen Georgien) draengten sich unter seine Fahne; vor +allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern. +Fuer die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie ausser Flachs, +Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgefloesste +Bauholz; Steuermaenner und Offiziere wurden in Phoenikien und Syrien +gedungen. In Kappadokien, hiess es, sei der Koenig eingerueckt mit +600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000 Mann zu Fuss; und er hatte +fuer diesen Krieg bei weitem noch nicht aufgeboten, was er aufzubieten +vermochte. Bei dem Mangel einer roemischen oder sonst namhaften Seemacht +beherrschte die pontische Flotte, gestuetzt auf Sinope und die +Haefen der Krim, das Schwarze Meer ausschliesslich. +------------------------------------------------ 5 Die Chronologie der +folgenden Ereignisse ist nur ungefaehr zu bestimmen. Um 640 (114) etwa +scheint Mithradates Eupator tatsaechlich die Regierung angetreten zu +haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70), womit die +Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreissig +Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In +die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen +Sukzessionshaendel, mit denen die von Mithradates, wie es scheint, in +Saturninus' erstem Tribunat 651 (103) in Rom versuchte Bestechung (Diod. +631) wahrscheinlich schon zusammenhaengt. Marius, der 655 (99) Rom +verliess und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in +Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Uebergriffe (Cic. Brut. +1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet. +---------------------------------------------- Dass der roemische Senat +seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von ihm abhaengigen +Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend machte, +beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem ploetzlichen Tode +Mithradates V. Dem unmuendigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem +Vater fuer seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr +fuer sein gutes Geld verliehene Grossphrygien genommen und diese +Landschaft dem unmittelbar roemischen Gebiet hinzugefuegt 6. Aber +nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe +Senat gegen dessen allseitige Uebergriffe und gegen diese imposante +Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjaehrigen +Zeitraum ausfuellt, voellige Passivitaet. Er liess es geschehen, dass +einer seiner Klientelstaaten sich militaerisch zu einer Grossmacht +entwickelte, die ueber hunderttausend Bewaffnete gebot; dass er in die +engste Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die +Spitze der innerasiatischen Staaten gestellten Grosskoenig des Ostens; +dass er die benachbarten asiatischen Koenigreiche und Fuerstentuemer +unter Vorwaenden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht +berichtete und weit entfernte Schutzmacht klangen; dass er endlich sogar +in Europa sich festsetzte und als Koenig auf der Taurischen Halbinsel, +als Schutzherr fast bis an die makedonisch- thrakische Grenze gebot. +Wohl ward ueber diese Verhaeltnisse im Senat verhandelt; aber wenn das +hohe Kollegium sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schliesslich +dabei beruhigte, dass Nikomedes sich auf seinen falschen Pylaemenes +berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getaeuscht als dankbar +fuer jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte. +Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die +Fuersten der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdraengt +hatte, wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch +der traditionellen Maximen der roemischen Politik gedachte, musste sich +erinnern, dass einst unter so ganz anderen Verhaeltnissen der Uebergang +des Koenigs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen +Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg +geworden war, und musste begreifen, dass die Besetzung des taurischen +durch den pontischen Koenig jetzt noch viel weniger geduldet werden +konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Koenigreichs +Kappadokien, wegen welcher ueberdies Nikomedes von Bithymen, der auch +seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz +zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Praetendenten den +seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die roemische +Regierung zur Intervention zu draengen. Der Senat beschloss, dass +Mithradates die skythischen Fuersten wiedereinzusetzen habe - so weit +war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen +Politik gedraengt, dass man jetzt, statt die Hellenen gegen +die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute +unterstuetzen musste. Paphlagonien wurde abhaengig erklaert und der +falsche Pylaemenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu raeumen. Ebenso +sollte der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen +und, da die Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, +durch freie Volkswahl ihm wiederum ein Koenig gesetzt werden. Die +Beschluesse klangen energisch genug; nur war es uebel, dass man, statt +ein Heer zu senden, den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit +der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die Raeuber und Piraten +kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum Glueck +vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Roemer +besser ihr Interesse als ihr gegenwaertiges Regiment und ergaenzte +die Energie und Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden +vermissen liess. Mithradates hielt sich zurueck und begnuegte sich, +den Grosskoenig Tigranes von Armenien, der den Roemern gegenueber eine +freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen, Truppen nach Kappadokien +zu senden. Sulla nahm rasch seine Mannschaft und die Zuzuege der +asiatischen Bundesgenossen zusammen, ueberstieg den Taurus und schlug +den Statthalter Gordios samt seinen armenischen Hilfstruppen aus +Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen Stuecken nach; +Gordios musste die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich nehmen und +der falsche Ariarathes verschwand; die Koenigswahl, die der pontische +Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den +angesehenen Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner +Expedition in die Gegend des Euphrat gelangte, in dessen Wellen +damals zuerst roemische Feldzeichen sich spiegelten, fand bei dieser +Gelegenheit auch die erste Beruehrung statt zwischen den Roemern und +den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen ihnen und +Tigranes Ursache hatten, den Roemern sich zu naehern. Beiderseits schien +man zu fuehlen, dass etwas darauf ankam bei dieser ersten Beruehrung +der beiden Grossmaechte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf +die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der +parthische Bote, nahm und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz +zwischen dem Koenig von Kappadokien und dem parthischen Abgesandten. +Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte Sullas Ruhm sich durch diese +vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der parthische Gesandte buesste +spaeter seinem Herrn dafuer mit dem Kopfe. Indes fuer den Augenblick +hatte diese Beruehrung keine weitere Folge. Nikomedes unterliess es im +Vertrauen auf die Gunst der Roemer, Paphlagonien zu raeumen; aber die +gegen Mithradates gefassten Senatsbeschluesse wurden ferner vollzogen, +die Wiederherstellung der skythischen Haeuptlinge von ihm wenigstens +zugesagt; der fruehere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662 +92). ----------------------------------------------- 6 Ein vor kurzem +in dem Dorfe Aresli suedlich von Synnada gefundener Senatsbeschluss vom +Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus usus sit, S. +51) bestaetigt saemtliche, von dem Koenig bis zu seinem Tode getroffenen +Anordnungen und zeigt also, dass Grossphrygien nach dem Tode des Vaters +nicht bloss dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet, +sondern damit geradezu unter roemische Botmaessigkeit kam. +------------------------------------------------- So hiess es; in der +Tat war von einer ernstlichen Zurueckfuehrung der frueheren Ordnung der +Dinge wenig zu verspueren. Kaum hatte Sulla Asien verlassen, als Koenig +Tigranes von Grossarmenien ueber den neuen Koenig von Kappadokien, +Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den pontischen +Praetendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem Tode +des alten Koenigs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III. +Philopator vom Volk und vom roemischen Senat als rechtmaessiger +Koenig anerkannt worden war. trat dessen juengerer Bruder Sokrates als +Kronpraetendent auf und bemaechtigte sich der Herrschaft. Es war klar, +dass der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der bithynischen +Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich jeder +offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wusste, dass Tigranes nur +handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit pontischen +Truppen eingerueckt und des rechtmaessigen Koenigs Leben durch +Mithradates' Meuchelmoerder bedroht. In der Krim gar und den +benachbarten Landschaften dachte der pontische Koenig nicht daran +zurueckzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter. +Die roemische Regierung, von den Koenigen Ariobarzanes und Nikomedes +persoenlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur +Unterstuetzung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular +Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg +erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer +Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten +und namentlich den Mithradates an, noetigenfalls mit gewaffneter Hand +Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der roemische +Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen +roemischen Korps, ueber das der Statthalter der Provinz Asia verfuegte, +und des Aufgebots der Phryger und der Galater; Koenig Nikomedes +und Koenig Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne; +Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewaehren, unter +verschiedenen Vorwaenden, allein er leistete nicht bloss den Roemern +keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Praetendent Sokrates +wurde sogar auf sein Geheiss getoetet (664 90). Es war eine sonderbare +Verwicklung. Mithradates war vollkommen ueberzeugt, gegen die Roemer +in offenem Kampfe nichts ausrichten zu koennen und es nicht zum offenen +Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu duerfen. Waere er nicht +also entschlossen gewesen, so fand sich kein guenstigerer Augenblick, +den Kampf zu beginnen, als der gegenwaertige: eben damals, als Aquillius +in Bithymen und Kappadokien einrueckte, stand die italische Insurrektion +auf dem Hoehepunkt ihrer Macht und konnte selbst den Schwachen Mut +machen, gegen Rom sich zu erklaeren; dennoch liess Mithradates das Jahr +664 (90) ungenutzt verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er +so zaeh wie ruehrig seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese +seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der +Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue, +dass Mithradates nicht zu den Staatsmaennern rechter Art gehoerte und +weder zum Kampf zu ruesten wusste wie Koenig Philippos noch sich zu +fuegen wie Koenig Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hin- und +hergezogen ward zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefuehl +seiner eigenen Schwaeche. Aber auch so laesst sich sein Beginnen nur +begreifen, wenn man sich erinnert, dass Mithradates in zwanzigjaehriger +Erfahrung die damalige roemische Politik kennengelernt hatte. Er wusste +sehr genau, dass die roemische Regierung nichts weniger als kriegslustig +war, ja dass sie, im Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder +beruehmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung +an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womoeglich noch mehr +fuerchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, +in einer Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch +egoistische Ruecksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache +und Anlass zur Kriegserklaerung gegeben haben wuerde; aber er vermied +sorgfaeltig den offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu +versetzt haette. Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurueck, vor Sulla +wie vor Aquillius; er hoffte unzweifelhaft darauf, dass nicht immer +energische Feldherren ihm gegenueberstehen, dass auch er so gut +wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus treffen wuerde. Es muss +zugestanden werden, dass diese Hoffnung nicht unverstaendig war, obwohl +freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt +es war, die Bestechung eines roemischen Heerfuehrers und die Korruption +einer roemischen Armee mit der Ueberwindung des roemischen Volkes zu +verwechseln. So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und liessen +ganz dazu an, noch lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber +dies zuzulassen war Aquillius' Absicht nicht, und da er seine Regierung +nicht zwingen konnte, Mithradates den Krieg zu erklaeren, so bediente +er sich dazu des Koenigs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des +roemischen Feldherrn gegeben und ueberdies noch fuer die abgelaufenen +Kriegskosten und die dem Feldherrn persoenlich zugesicherten Summen sein +Schuldner, konnte sich dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg +zu beginnen, nicht entziehen. Die bithynische Kriegserklaerung erfolgte; +aber selbst als Nikomedes' Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten, +seine Truppen in die pontischen Grenzdistrikte einrueckten und +die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb Mithradates noch +unerschuettert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner ueber die +Grenze zu werfen, fuehrte er Klage bei der roemischen Gesandtschaft +und bat dieselbe, entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung +gestatten zu wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, dass +er unter allen Umstaenden sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten +habe. Das freilich war deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen +Karthago angewendet; man liess das Schlachtopfer von der roemischen +Meute ueberfallen und verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch +Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die Karthager es getan +hatten; aber wenn die Phoeniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat +dagegen der Koenig von Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und +Schiffe zusammen - "Wehrt nicht", so soll er gesagt haben, "auch +wer unterliegen muss, dennoch sich gegen den Raeuber?" Sein Sohn +Ariobarzanes erhielt Befehl, in Kappadokien einzuruecken; es ging noch +einmal eine Botschaft an die roemischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, +wozu die Notwehr den Koenig gezwungen habe, und eine letzte Erklaerung +von ihnen zu fordern. Sie lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der +roemische Senat noch Koenig Mithradates noch Koenig Nikomedes den Bruch +gewollt hatten, Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80). +Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und +militaerischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor +allen Dingen knuepfte er das Buendnis mit Koenig Tigranes von Armenien +fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das +in Vorderasien einruecken und Grund und Boden daselbst fuer Koenig +Mithradates, die bewegliche Habe fuer Koenig Tigranes in Besitz nehmen +sollte. Der parthische Koenig, verletzt durch das stolze Verhalten +Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als +Bundesgenosse der Roemer auf. Den Griechen war der Koenig bemueht, +sich in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der +griechischen Nation gegen die roemische Fremdherrschaft darzustellen. +Pontische Gesandte gingen an den Koenig von Aegypten und an den letzten +Ueberrest des freien Griechenlands, den kretensischen Staedtebund, und +beschworen sie, fuer die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt +im letzten Augenblick einzustehen fuer die Rettung der hellenischen +Nationalitaet; es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich, +und zahlreiche Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man +hoffte auf die sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten +Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die +Empoerung der Provinzen, vor allem des masslos gedrueckten Vorderasiens. +Man arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der +Insurgierung Makedoniens. Die schon vorher bluehende Piraterie wurde +jetzt als willkommene Bundesgenossin ueberall entfesselt, und mit +furchtbarer Raschheit erfuellten bald Korsarengeschwader, pontische +Kaper sich nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung +und Freude die Kunde von den Gaerungen innerhalb der roemischen +Buergerschaft und von der zwar ueberwundenen, aber doch noch lange nicht +unterdrueckten italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes +mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur +wurde in Asien ein roemisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps +gebildet, dessen Kern roemische und italische Fluechtlinge waren. +Streitkraefte gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen +in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, dass er, das armenische +Hilfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuss und 40 000 Reitern +das Feld nahm, dass 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See +stachen, scheinen nicht allzu uebertrieben bei einem Kriegsherrn, der +ueber die zahllosen Steppenbewohner verfuegte. Die Feldherrn, namentlich +die Brueder Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige +griechische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Koenigs fehlte +es nicht an tapferen todverachtenden Maennern, und die gold- und +silberblinkenden Ruestungen und reichen Gewaender der Skythen und Meder +mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen. +Ein einheitlicher militaerischer Organismus freilich hielt diese +buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates +war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, +wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia +einer hoeheren militaerischen Organisation unterlegen waren; immer aber +stand doch der Osten gegen die Roemer in Waffen, waehrend auch in der +westlichen Haelfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So +sehr es an sich fuer Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates +den Krieg zu erklaeren, so war doch gerade dieser Augenblick so +uebel gewaehlt wie moeglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr +wahrscheinlich, dass Manius Aquillius zunaechst aus Ruecksichten auf +seine eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben +jetzt herbeigefuehrt hat. Fuer den Augenblick hatte man in Asien keine +anderen Truppen zur Verfuegung als die kleine roemische Abteilung +unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der +militaerischen und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge +des Insurrektionskrieges befand, konnte eine roemische Armee im +guenstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis +dahin hatten die roemischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes +hoffte man, die roemische Provinz decken und sich behaupten zu koennen, +wo man stand: das bithynische Heer unter Koenig Nikomedes in seiner im +vorigen Jahr eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet +zwischen Amastris und Sinope, weiter rueckwaerts in der bithynischen, +galatischen, kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter +Lucius Cassius, Manius Aquillius, Quintus Oppius, waehrend die +bithynisch-roemische Flotte fortfuhr, den Bosporus zu sperren. Mit dem +Beginn des Fruehjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive. An +einem Nebenfluss des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch koepri), +stiess der pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die +bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz ihrer sehr ueberlegenen +Zahl im ersten Anlauf so vollstaendig auseinander, dass das geschlagene +Heer sich aufloeste und Lager und Kriegskasse den Siegern in die Haende +fielen. Es waren hauptsaechlich Neoptolemos und Archelaos, denen der +Koenig diesen glaenzenden Erfolg verdankte. Die weiter zurueckstehenden, +noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben hierauf sich +ueberwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstiessen; wo +Mithradates' Feldherren sich ihnen naeherten, stoben sie auseinander. +Eine roemische Abteilung ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte +in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu halten, allein er entliess ihn +wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen zu moegen, und warf sich +mit seinen wenigen zuverlaessigen Leuten in die Ortschaften am oberen +Maeander, namentlich nach Apameia; Oppius raeumte in gleicher Weise +Pamphylien und schloss in dem phrygischen Laodikeia sich ein; Aquillius +ward im Zurueckweichen am Sangarios im bithynischen Gebiet eingeholt und +so vollstaendig geschlagen, dass er sein Lager verlor und sich in die +roemische Provinz nach Pergamon retten musste; bald war auch diese +ueberschwemmt und Pergamon selbst in den Haenden des Koenigs, ebenso der +Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte +Mithradates saemtliche Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen +und nichts versaeumt, die von Anfang an ihm zugewandten nationalen +Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis zum Maeander +mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich erfuhr +man, dass in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, dass der gegen +Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich einzuschiffen, +gegen Rom marschiert sei, dass die gefeiertsten roemischen Generale sich +untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem der Oberbefehl +im Asiatischen Kriege gebuehre. Rom schien eifrigst bemueht, sich selber +zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, dass, wenngleich Minoritaeten +auch jetzt noch ueberall zu Rom hielten, doch die grosse Masse der +Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten +vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es ward +ueblich, den Koenig, in dem wie in dem goettlichen Indersieger Asien +und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen des +neuen Dionysos. Die Staedte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm +Boten entgegen, "den rettenden Gott" zu sich einzuladen, und festlich +gekleidet stroemte die Buergerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen. +Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden roemischen Offiziere +gebunden an den Koenig ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt +Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7. +Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine +Macht bekommt, entlud sich ueber den ungluecklichen Urheber des Krieges. +Bald zu Fuss an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, +bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der +bejahrte Mann durch ganz Kleinasien gefuehrt und, als endlich das arme +Schaustueck wieder am koeniglichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl +des Koenigs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlasst habe, +zu saettigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, dass er unter +Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, +der allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der +adligen Maenner. Von Ephesos aus erliess Koenig Mithradates an alle +von ihm abhaengigen Statthalter und Staedte den Befehl, an einem und +demselben Tage saemtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker, +Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters +zu toeten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung +behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Voegeln zum Frass +hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Haelfte an die Moerder, +zur Haelfte an den Koenig abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden +mit Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, puenktlich +vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfuenfzigtausend +wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Maenner, Frauen und Kinder mit +kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle +Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu +entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische +Schergenwillfaehrigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das +vergleichungsweise edle Gefuehl der Rache. Politisch war diese Massregel +nicht bloss ohne jeden vernuenftigen Zweck - denn der finanzielle liess +auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten +waren selbst durch das Bewusstsein der aergsten Blutschuld nicht zum +kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem +sie einerseits den roemischen Senat, soweit er irgend noch der Energie +faehig war, zur ernstlichen Kriegfuehrung zwang, andererseits nicht +bloss die Roemer traf, sondern ebensogut des Koenigs natuerliche +Bundesgenossen, die nichtroemischen Italiker. Es ist dieser ephesische +Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden +Rache, welcher nur durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der +Sultanismus auftritt, einen falschen Schein von Grossartigkeit erhaelt. +--------------------------------------------------- 7 Die Urheber der +Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf fuenfundzwanzig +Jahre spaeter die Vergeltung, indem sie nach Mithradates' Tode +dessen Sohn Pharnakes an die Roemer uebergab. +--------------------------------------------------- Ueberhaupt ging des +Koenigs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber +der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefuerchteten Sulla +liessen ihn uebergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete +sich haeuslich in Vorderasien ein; der Sitz des roemischen Statthalters, +Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde +als Statthalterschaft an des Koenigs Sohn Mithradates zur Verwaltung +uebergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als +pontische Satrapien. Die Grossen des Reichs und des Koenigs Guenstlinge +wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und saemtlichen Gemeinden +nicht bloss die rueckstaendigen Steuern erlassen, sondern auch +Steuerfreiheit auf fuenf Jahre zugesichert - eine Massregel, die ebenso +verkehrt war wie die Ermordung der Roemer, wenn der Koenig dadurch +sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. Freilich fuellte des +Koenigs Schatz ohnehin sich reichlich durch die unermesslichen Summen, +die aus dem Vermoegen der Italiker und anderen Konfiskationen einkamen; +wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000 Taler), welche die +Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der +noerdliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehoerigen Inseln +waren in des Koenigs Gewalt; ausser einigen kleinen paphlagonischen +Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das +gesamte Aegaeische Meer ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der +Suedwesten, die Staedtebuende von Karien und Lykien und die Stadt +Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar Stratonikeia mit den Waffen +bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand gluecklich eine schwere +Belagerung, bei welcher Mithradates' tuechtigster Offizier Archelaos +geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien +entkommenen Roemer, unter ihnen des Statthalters Lucius Cassius, +wurde von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer Uebermacht +angegriffen. Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des +Koenigs ihre Pflicht taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor, +dass rhodische Geschwader vielfach staerkere pontische ueberwanden +und mit erbeuteten Schiffen heimkehrten. Auch zu Lande rueckte die +Belagerung nicht vor; nachdem ein Teil der Arbeiten zerstoert worden +war, gab Mithradates das Unternehmen auf und die wichtige Insel sowie +das gegenueberliegende Festland blieben in den Haenden der Roemer. Aber +nicht bloss die asiatische Provinz wurde, hauptsaechlich infolge der +zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast +unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon +den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten +die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfaelle mit +auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664, +665 (90, 89) ueberrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und +pluenderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, dass damit +noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Praetendenten auf den +makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen. +Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern +unterhielt, war all diesen Vorgaengen schwerlich fremd. Zwar erwehrte +sich der Praetor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten +dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, dass ihm +maechtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen +Erfolgen, den kuehnen Entschluss gefasst, wie Antiochos den Krieg um die +Herrschaft ueber Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und +zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein +Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte +Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische +Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstuetzpunkte +der pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, gefuehrt von +Mithradates' bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Aegaeischen Meer, +wo kaum ein roemisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des +roemischen Handels in diesen Gewaessern, ward besetzt und bei 20000 +Menschen, groesstenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euboea +erlitt ein gleiches Schicksal; bald waren oestlich vom Malfischen +Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum +Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische +Flotte von Euboea aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius +Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit +seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und +besetzte sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, dass +der Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier +wirkte Mithradates nicht bloss mit den Waffen, sondern zugleich mit der +nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug fuer Athen war ein gewisser +Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks +ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Guenstling +Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetaeros, der durch die glaenzende +Karriere, die er bei Hof gemacht, den Poebel zu blenden und ihm mit +Aplomb zu versichern verstand, dass aus dem seit beilaeufig sechzig +Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe fuer Mithradates schon +unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht, +dass die wenigen Verstaendigen aus Athen entwichen, der Poebel aber und +ein paar toll gewordene Literaten den Roemern foermlich absagten. So +ward aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestuetzt auf seine +pontische Soeldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus +dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen +auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen +Freistaaten ihnen zu: Achaeer, Lakonen, Boeoter, bis hinauf nach +Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstaerkung +herangezogen hatte, rueckte in Boeotien ein, um dem belagerten Thespiae +Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chaeroneia in dreitaegigen +Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie fuehrten zu keiner +Entscheidung und Sura musste zurueckgehen, als die pontischen +Verstaerkungen aus dem Peloponnes sich naeherten (Ende 666, Anfang 667 +88, 87). So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, +dass eine Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, +einen Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals +bereits verloren und der Koenig wies das Ansinnen zurueck. Die Lage der +roemischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien und +Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See +herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische +Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten +Gebieten Italiens unbestritten die Herrschaft fuehrte; dazu die kaum +beschwichtigte Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und +furchtbarer emporzulodern; dazu endlich die durch die inneren Unruhen +in Italien und die ungeheuren Verluste der asiatischen Kapitalisten +hervorgerufene fuerchterliche Handels- und Geldkrise und der Mangel an +zuverlaessigen Truppen. Die Regierung haette dreier Armeen bedurft, +um in Rom die Revolution niederzuhalten, in Italien die Insurrektion +voellig zu ersticken und in Asien Krieg zu fuehren; sie hatte +eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem +unzuverlaessigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die +Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied sich, wie +wir sahen, fuer den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes, man darf +vielleicht sagen eine grosse patriotische Tat, dass in diesem Konflikt +des allgemeinen vaterlaendischen und des besonderen Parteiinteresses +das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der Gefahren, die seine +Entfernung aus Italien fuer seine Verfassung und fuer seine Partei +nach sich zog, dennoch im Fruehling 667 (87) landete an der Kueste von +Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst roemische Oberfeldherrn im Osten +aufzutreten pflegten. Dass sein Heer von fuenf Legionen oder hoechstens +30000 Mann 8 wenig staerker war als eine gewoehnliche Konsulararmee, +war das wenigste. Sonst hatte in den oestlichen Kriegen eine roemische +Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See beherrscht; Sulla, +gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des Aegaeischen Meeres +wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. Sonst hatte der +Feldherr eine volle Kasse mit sich gefuehrt und den groessten Teil +seiner Beduerfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; Sulla kam mit +leeren Haenden - denn die fuer den Feldzug von 666 (88) mit Not +fluessig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah sich +ausschliesslich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der Feldherr +seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und hatten dem +Landesfeind gegenueber seit der Beendigung des Staendekampfes +die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter +Mithradates' Feldzeichen fochten namhafte roemische Maenner, grosse +Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Buendnis zu treten, und es +war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das ruehmliche +Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand +halten werde, solange er gegen den asiatischen Koenig focht. Aber der +rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war +nicht gewohnt, vor Erledigung der naechsten Aufgabe um die ferneren +Gefahren sich zu bekuemmern. Da seine an den Koenig gerichteten +Friedensantraege, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des +Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rueckte +er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Haefen bis nach Boeotien +vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde, +Archelaos und Aristion, und bemaechtigte sich nach diesem Siege fast +ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der +Festung Athen und des Peiraeeus, wohin Aristion und Archelaos sich +geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen misslang. +Eine roemische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien +und streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte +vor Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euboea stehende +feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis +und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte +und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die +hellenischen Staedte, wie immer von der naechsten Furcht regiert, +unterwarfen sich den Roemern auf jede Bedingung und waren froh, wenn +sie mit Lieferungen von Vorraeten und Mannschaft und mit Geldbussen +schwerere Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen +in Attika vonstatten. Sulla sah sich genoetigt, in aller Form das +schwere Belagerungszeug zu ruesten, wozu die Baeume der Akademie und +des Lykeion das Holz liefern mussten. Archelaos leitete die Verteidigung +ebenso kraeftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, +schlug also verstaerkt die Angriffe der Roemer mit ueberlegener Macht ab +und machte haeufige und nicht selten glueckliche Ausfaelle. Zwar die zum +Entsatz herbeirueckende pontische Armee des Dromichaetes ward unter +den Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer +Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Roemern +geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von +Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv festgesetzt +hatten, kam reichliche und regelmaessige Zufuhr zur See, die Sulla nicht +imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen gingen zwar die +Vorraete auf die Neige, doch konnte bei der Naehe der beiden Festungen +Archelaos mehrfache Versuche machen, Getreidetransporte nach Athen +zu werfen, die nicht alle misslangen. So verfloss in peinlicher +Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie die Jahreszeit es +erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestuem auf den Peiraeeus; in der +Tat gelang es, durch Geschuetze und Minen einen Teil der gewaltigen +Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort schritten die +Roemer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er wiederholt +ward, fanden sich hinter den eingestuerzten Mauerteilen halbmondfoermige +Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei +Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die +Belagerung auf und begnuegte sich mit einer Blockade. In Athen waren +inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung +versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla wies ihre +redefertigen Boten zurueck mit dem Bedeuten, dass er nicht als Student, +sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte Unterwerfung +annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal dann ihm +bevorstand, damit zoegerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum +noch verteidigte Stadt erstuermt (1. Maerz 668 86). Aristion warf sich +in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der roemische Feldherr +liess die Soldateska in der eroberten Stadt morden und pluendern und die +angeseheneren Raedelsfuehrer des Abfalls hinrichten; die Stadt selbst +aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar das +wichtige Delos zurueck und ward also noch einmal gerettet durch ihre +herrlichen Toten. ---------------------------------------------------- +8 Man muss sich erinnern, dass seit dem Bundesgenossenkrieg auf die +Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet +ist, mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem. +----------------------------------------------------- Ueber den +Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes Sullas Lage +blieb im hoechsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als ein +Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt +vorwaertsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner +Anstrengungen, waehrend Asien gaenzlich sich selbst ueberlassen, die +Eroberung Makedoniens von Mithradates' Statthaltern kuerzlich durch die +Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich +immer deutlicher - war es nicht bloss unmoeglich, die Verbindungen und +die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu +sichern, sondern auch nur den Peiraeeus, geschweige denn Asien und die +Inseln wiederzugewinnen; und doch liess sich nicht absehen, wie man zu +Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte +Sulla einen seiner faehigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius +Licinius Lucullus, in die oestlichen Gewaesser entsandt, um dort +womoeglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von +den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief +Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote +aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten +Schiffen den Feind taeuschend, gelangte er ueber Kreta und Kyrene +nach Alexandreia; allein der aegyptische Hof schlug die Bitte um +Unterstuetzung mit Kriegsschiffen ebenso hoeflich wie entschieden ab. +Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des +roemischen Staats, der einst das Angebot der Koenige von Aegypten, +mit ihrer ganzen Seemacht den Roemern beizustehen, dankbar abzulehnen +vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmaennern +schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedraengnis; +schon hatte Sulla die Schatzhaeuser des Olympischen Zeus, des +Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren muessen, wofuer +die Goetter entschaedigt wurden durch die zur Strasse eingezogene +Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese +militaerische und finanzielle Verlegenheit war der Rueckschlag der +politischen Umwaelzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame +Vollendung die aergsten Befuerchtungen weit hinter sich gelassen +hatte. Die Revolution fuehrte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war +abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen +Konsul Lucius Valerius Flaccus uebertragen worden, den man taeglich in +Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an +Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was liess +sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt +und geaechtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der +Krieg gegen den zaehen seemaechtigen Gegner aussichtslos sich hinspann! +Koenig Mithradates uebernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen +Lage zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem +seiner Generale missbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind +foerdersamst zu ueberwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes +aus Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu +bekaempfen; nur der ploetzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am +Tisaeischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals +rueckgaengig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86), +das in Thessalien stehende roemische Korps vor sich hertreibend, mit +einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern an +den Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichaetes. Auch Archelaos +raeumte - es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch +Befehle seines Herrn - den Peiraeeus erst teilweise, sodann ganz und +stiess in Boeotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der +Peiraeeus mit all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl +zerstoert worden war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung, +vor dem Eintreffen des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu koennen. +Vergeblich riet Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die +See und die Kuesten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst +unter Dareios und Antiochos, so stuerzten auch jetzt die Massen der +Orientalen, wie geaengstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und +blindlings in den Kampf; und toerichter als je war dies hier angewandt, +wo die Asiaten vielleicht nur einige Monate haetten warten duerfen, um +bei einer Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben. +In der Ebene des Kephissos unweit Chaeroneia im Maerz 668 (86) trafen +die Heere aufeinander. Selbst mit Einschluss der aus Thessalien +zurueckgedraengten Abteilung, der es geglueckt war, ihre Verbindung mit +der roemischen Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluss der +griechischen Kontingente fand sich das roemische Heer einem dreifach +staerkeren Feind gegenueber und namentlich einer weit ueberlegenen und +bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefaehrlichen Reiterei, +gegen die Sulla seine Flanken durch verschanzte Graeben zu decken noetig +fand, sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen +zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen +liess. Als die Streitwagen den Kampf zu eroeffnen heranrollten, zog sich +das erste Treffen der Roemer hinter diese Pfahlreihe zurueck; die Wagen, +an ihr abprallend und gescheucht durch die roemischen Schleuderer und +Schuetzen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung +sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen +Fluechtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken +herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein +Fussvolk wieder zu ordnen; sie griff mit grossem Feuer an und durchbrach +die roemischen Reihen; allein die roemische Infanterie formierte sich +rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie +anstuermenden Reitern mutig stand. Inzwischen fuehrte Sulla selbst +auf dem rechten Fluegel seine Reiterei in die entbloesste Flanke des +Feindes; die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum +Schlagen gekommen zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die +Reitermassen. Ein allgemeiner Angriff des roemischen Fussvolks, das +durch die schwankende Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft +bekam, entschied den Sieg. Die Schliessung der Lagertore, die Archelaos +anordnete, um die Flucht zu hemmen, bewirkte nur, dass das Blutbad um +so groesser ward und, als die Tore endlich sich auftaten, die Roemer +mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwoelften. Mann soll +Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den +Euripos; den schmalen Meeresarm zu ueberschreiten war er nicht imstande. +Es war ein grosser Sieg, aber die Resultate waren geringfuegig, was +wegen des Mangels einer Flotte, teils weil der roemische Sieger sich +genoetigt sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunaechst vor seinen +Landsleuten sich zu schuetzen. Die See war noch immer ausschliesslich +bedeckt von den pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich +vom Malfischen Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von +Chaeroneia setzte Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte +einen Versuch, auf dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen +in der Tat Lucius Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, +nicht ohne unterwegs durch Stuerme und durch die im Adriatischen Meer +kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; +bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zunaechst musste +Sulla sich wenden. Bei Melitaea am noerdlichen Abhang des Othrysgebirges +lagerten beide roemischen Heere sich gegenueber; ein Zusammenstoss +schien unvermeidlich. Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte +sich zu ueberzeugen, dass Sullas Soldaten keineswegs geneigt war +ihren siegreichen Fuehrer an den gaenzlich unbekannten demokratischen +Oberfeldherrn zu verraten, dass vielmehr seine eigene Vorhut anfing, +in das Sullanische Lager zu desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er +in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach auf gegen Norden, um +durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch +Ueberwaeltigung Mithradats sich den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen. +Dass Sulla den schwaecheren Gegner ungehindert abziehen liess und, statt +ihm zu folgen, vielmehr zurueck nach Athen ging, wo er den Winter +668/69 (86/85) verweilt zu haben scheint, ist militaerisch betrachtet +auffallend; vielleicht darf man annehmen, dass auch hier politische +Beweggruende ihn leiteten und er gemaessigt und Patriotisch genug +dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den Asiaten zu tun +hatte, gern einen Sieg ueber die Landsleute zu vermeiden und die +ertraeglichste Loesung der leidigen Verwicklung darin zu finden, wenn +die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem +gemeinschaftlichen Feinde stritt. Mit dem Fruehling 669 (85) gab es +in Europa wieder neue Arbeit. Mithradates, der in Kleinasien seine +Ruestungen unermuedlich fortsetzte, hatte eine, der bei Chaeroneia +aufgeriebenen an Zahl nicht viel nachstehende Armee unter Dorylaos +nach Euboea gesandt; von dort war dieselbe in Verbindung mit den +Ueberbleibseln der Armee des Archelaos ueber den Euripos nach Boeotien +gegangen. Der pontische Koenig, der in den Siegen ueber die +bithynische und die kappadokische Miliz den Massstab fand fuer die +Leistungsfaehigkeit seiner Armee, begriff die unguenstige Wendung +nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon fluesterten die Kreise der +Hoeflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war gegeben, +mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun +unfehlbar die Roemer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, +wo nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der +Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Roemer und die +Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf +sich ungestuem auf das roemische Fussvolk, das zu schwanken und zu +weichen begann; die Gefahr ward so dringend, dass Sulla ein Feldzeichen +ergriff und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind +vorgehend mit lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie +frage, wo sie ihren Feldherrn im Stich gelassen haetten, so moechten sie +antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und +ueberwaeltigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit +leichter Muehe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der +Asiaten umstellt und erstuermt; der weitaus groesste Teil derselben +fiel oder kam in den Kopaischen Suempfen um; nur wenige, unter ihnen +Archelaos, gelangten nach Euboea. Die boeotischen Gemeinden hatten +den abermaligen Abfall von Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu +buessen. Dem Einmarsch in Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: +Philippi ward besetzt, Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig +geraeumt, ueberhaupt das europaeische Festland von den Feinden +gesaeubert. Am Ende des dritten Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla +Winterquartiere in Thessalien beziehen, um im Fruehjahr 670 (84) 9 den +asiatischen Feldzug zu beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in +den thessalischen Haefen Schiffe zu bauen. +----------------------------------------- 9 Die Chronologie dieser +Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten ueberhaupt, in einem Dunkel, das +die Forschung hoechstens bis zur Daemmerung zu zerstreuen vermag. Dass +die Schlacht von Chaeroneia, wenn auch nicht an demselben Tage wie die +Erstuermung von Athen (Paus. 1, 20), doch bald nachher, etwa im Maerz +668 (86), stattfand, ist ziemlich sicher. Dass die darauf folgende +thessalische und die zweite boeotische Kampagne nicht bloss den Rest +des Jahres 668 (86), sondern auch das ganze Jahr 669 (85) in Anspruch +nahmen, ist an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, dass +Sullas Unternehmungen in Asien nicht genuegen, um mehr als einen Feldzug +auszufuellen. Auch scheint Licinianus anzudeuten, dass Sulla fuer +den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen zurueckging und hier die +Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf dann die Schlacht von +Orchomenos erzaehlt wird. Darum ist der Uebergang Sullas nach +Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden. +-------------------------------------------- Inzwischen hatten auch die +kleinasiatischen Verhaeltnisse sich wesentlich geaendert. Wenn Koenig +Mithradates einst aufgetreten war als der Befreier der Hellenen, wenn er +mit Foerderung der staedtischen Unabhaengigkeit und mit Steuererlassen +seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur +zu rasch und nur zu bitter die Enttaeuschung gefolgt. Sehr bald war er +in seinem wahren Charakter hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei +der roemischen Voegte weit ueberbietende Zwingherrschaft zu ueben +begonnen, die sogar die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung +trieb. Der Sultan griff dagegen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. +Seine Verordnungen verliehen den zugewandten Ortschaften die +Selbstaendigkeit, den Insassen das Buergerrecht, den Schuldnern vollen +Schuldenerlass, den Besitzlosen Aecker, den Sklaven die Freiheit; an +15000 solcher freigelassener Sklaven fochten im Heer des Archelaos. +Die fuerchterlichsten Szenen waren die Folge dieser von oben herab +erfolgenden Umwaelzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten +Kaufstaedte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den +Voegten des Koenigs die Tore oder brachten sie um und erklaerten sich +fuer Rom ^10. Dagegen liess der koenigliche Vogt Diodoros, ein namhafter +Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich brauchbar +zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines Herrn den gesamten +Stadtrat von Adramytion niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung +zu Rom verdaechtig schienen, wurden zunaechst um 2000 Talente (3150000 +Taler) gebuesst und, da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in +Masse auf Schiffe gesetzt und gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen +Sklaven, an die kolchische Kueste deportiert, waehrend ihre Insel mit +pontischen Kolonisten besetzt ward. Die Haeuptlinge der kleinasiatischen +Kelten befahl der Koenig saemtlich an einem Tage mit ihren Weibern +und Kindern umzubringen und Galatien in eine pontische Satrapie zu +verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wurden auch entweder an +Mithradates' eigenem Hoflager oder im galatischen Lande vollstreckt, +allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer +kraeftigen Staemme und schlugen den Statthalter des Koenigs, Eumachos, +aus ihren Grenzen hinaus. Dass diesen Koenig die Dolche der Moerder +verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen wurden als in +solche Komplotte verwickelt von den koeniglichen Untersuchungsgerichten +zum Tode verurteilt. ----------------------------------------------- +^10 Es ist kuerzlich (Waddington, Zusaetze zu Lebas, 3, 136a) der +desfaellige Beschluss der Buergerschaft von Ephesos aufgefunden worden. +Sie seien, erklaeren die Buerger, in die Gewalt des "Koenigs von +Kappadokien" Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner +Streitkraefte und die Ploetzlichkeit seines Angriffs; wie aber die +Gelegenheit dazu sich darbiete, erklaerten sie "fuer die Herrschaft +(/e/gemonia) der Roemer und die gemeine Freiheit" ihm den Krieg. +---------------------------------------------- Wenn also der Koenig +durch dies selbstmoerderische Wueten seine derzeitigen Untertanen gegen +sich unter die Waffen rief, so begannen gleichzeitig die Roemer auch in +Asien, ihn zur See und zu Lande zu draengen. Lucullus hatte, nachdem +der Versuch, die aegyptische Flotte gegen Mithradates vorzufuehren, +gescheitert war, sein Bemuehen, sich Kriegsschiffe zu verschaffen, +in den syrischen Seestaedten mit besserem Erfolg wiederholt und seine +werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und rhodischen Haefen +verstaerkt, bis er sich stark genug fand, zum Angriff ueberzugehen. +Gewandt vermied er es, mit ueberlegenen Streitkraeften sich zu messen +und errang dennoch nicht unbedeutende Erfolge. Die knidische Insel und +Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios +den Feinden entrissen. Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee +durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge +passierend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den +Feldherrn eine Militaerinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten +die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der hoechsten +Offiziere des Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwoertlich +geworden war fuer den rechten Poebelredner, Gaius Flavius Fimbria, +welcher, nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das +auf dem Markt begonnene Demagogengeschaeft ins Lager uebertrug. Flaccus +ward von dem Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit +Kalchedon getoetet; an seine Stelle trat nach Beschluss der Soldaten +Fimbria. Es versteht sich, dass er seinen Leuten alles nachsah: in dem +befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Buergerschaft befohlen, +ihre gesamte Habe an die Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum +warnenden Exempel zwei der angesehensten Buerger sogleich vorlaeufig +hingerichtet. Allein militaerisch war der Wechsel des Oberbefehls +dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfaehiger +General, sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos +westlich von Brussa) schlug er den juengeren Mithradates, der +als Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegengezogen war, +vollstaendig in einem naechtlichen Ueberfall und oeffnete sich durch +diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der roemischen Provinz, +jetzt des pontischen Koenigs, Pergamon, von wo er den Koenig vertrieb +und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um +dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte +in diesen Gewaessern; Fimbria beschwor ihn, durch seinen Beistand ihm +die Gefangennehmung des Koenigs moeglich zu machen. Aber der Optimat +war maechtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter, und der +Koenig entkam nach Mytilene. Auch so war Mithradates' Lage bedraengt +genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war Europa verloren, Kleinasien +gegen ihn teils im Aufstand begriffen, teils von einem roemischen Heer +eingenommen und er selbst von diesem in unmittelbarer Naehe bedroht. +Die roemische Flotte unter Lucullus hatte an der Kueste der troischen +Landschaft in zwei gluecklichen Seegefechten am Vorgebirg Lekton und +bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie zog daselbst die +inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien erbauten Schiffe an +sich und verbuergte in ihrer den Hellespont beherrschenden Stellung dem +Feldherrn der roemischen Senatsarmee fuer das naechste Fruehjahr den +sicheren und bequemen Uebergang nach Asien. Mithradates versuchte zu +unterhandeln. Unter anderen Verhaeltnissen zwar haette der Urheber des +ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen duerfen, zum Frieden +mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren Konvulsionen der +roemischen Republik, wo die herrschende Regierung den gegen Mithradates +ausgesandten Feldherrn in die Acht erklaert hatte und daheim gegen seine +Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wuetete, wo ein roemischer +General gegen den andern und doch wieder beide gegen denselben Feind +standen, hoffte er nicht bloss einen Frieden, sondern einen guenstigen +Frieden erlangen zu koennen. Er hatte die Wahl, sich an Sulla oder an +Fimbria zu wenden; mit beiden liess er unterhandeln, doch scheint seine +Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla abzuschliessen, +der wenigstens in dem Horizont des Koenigs als seinem Nebenbuhler +entschieden ueberlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos forderte nach +Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den Koenig abzutreten und +dafuer die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei in Rom zu +gewaertigen. Aber Sulla, kuehl und klar wie immer, wuenschte zwar wegen +der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige Erledigung der +asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile der kappadokischen +Allianz fuer den ihm in Italien bevorstehenden Krieg sehr niedrig an +und war ueberhaupt viel zu sehr Roemer, um in eine so entehrende und so +nachteilige Abtretung zu willigen. In den Friedenskonferenzen, die +im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der boeotischen Kueste, Euboea +gegenueber, stattfanden, weigerte er sich bestimmt, auch nur einen +Fussbreit Landes abzutreten, ging aber, der alten roemischen Sitte, die +vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach dem Siege nicht zu steigern, +aus gutem Grunde getreu, ueber die frueher gestellten Bedingungen nicht +hinaus. Er forderte die Rueckgabe aller von dem Koenig gemachten und ihm +noch nicht wiederentrissenen Eroberungen, Kappadokiens, Paphlagoniens, +Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der Inseln, die Auslieferung der +Gefangenen und Ueberlaeufer, die Uebergabe der achtzig Kriegsschiffe des +Archelaos zur Verstaerkung der immer noch geringen roemischen Flotte, +endlich Sold und Verpflegung fuer das Heer und Ersatz der Kriegskosten +mit der sehr maessigen Summe von 3000 Talenten (4_ Mill. Taler). Die +nach dem Schwarzen Meer weggefuehrten Chier sollten heimgesandt, +den roemisch gesinnten Makedoniern ihre weggefuehrten Familien +zurueckgegeben, den mit Rom verbuendeten Staedten eine Anzahl +Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng genommen +gleichfalls mit in den Frieden haette eingeschlossen werden sollen, +schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, die seine +Beiziehung machen musste, keinem der kontrahierenden Teile gelegen war. +Der Besitzstand also, den der Koenig vor dem Kriege gehabt hatte, blieb +ihm und es ward ihm keine ehrenkraenkende Demuetigung angesonnen ^11. +Archelaos, deutlich erkennend, dass verhaeltnismaessig unerwartet viel +erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloss auf diese Bedingungen +die Praeliminarien und den Waffenstillstand ab und zog die Truppen aus +den Plaetzen heraus, die die Asiaten noch in Europa innehatten. Allein +Mithradates verwarf den Frieden und begehrte wenigstens, dass die Roemer +auf die Auslieferung der Kriegsschiffe verzichten und ihm Paphlagonien +einraeumen wollten; indem er zugleich geltend machte, dass Fimbria ihm +weit guenstigere Bedingungen zu gewaehren bereit sei. Sulla, beleidigt +durch dies Gleichstellen seiner Anerbietungen mit denen eines amtlosen +Abenteurers und bei dem aeussersten Mass der Nachgiebigkeit bereits +angelangt, brach die Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit +benutzt, um Makedonien wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Maeder +zu zuechtigen, wobei er zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich +Asien naeherte; denn dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen, +um mit Fimbria abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien +stehenden Legionen sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont. +Da endlich gelang es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die +widerstrebende Einwilligung zu dem Traktat zu entreissen; wofuer er +spaeter am koeniglichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens +scheel angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so dass einige Zeit +nachher er sich genoetigt sah, das Land zu raeumen und zu den Roemern zu +fluechten, die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren ueberhaeuften. +Auch die roemischen Soldaten murrten; dass die gehoffte asiatische +Kriegsbeute ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der +an sich wohl gerechtfertigte Unwille, dass man den Barbarenfuersten, +der achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und ueber Italien und Asien +unsaegliches Elend gebracht hatte, mit dem groessten Teil der in Asien +zusammengepluenderten Schaetze ungestraft abziehen liess in seine +Heimat. Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, dass die +politischen Verwicklungen seine militaerisch so einfache Aufgabe in +peinlichster Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen +sich mit einem solchen Frieden zu begnuegen. Indes zeigt sich die +Selbstverleugnung und die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg +gefuehrt hat, nur aufs neue in diesem Friedensschluss; denn der Krieg +gegen einen Fuersten, dem fast die ganze Kueste des Schwarzen Meeres +gehorchte und dessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich +offenbarten, nahm selbst im guenstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die +Lage Italiens war von der Art, dass es fast schon fuer Sulla zu spaet +schien, um mit den wenigen Legionen, die er besass, der dort regierenden +Partei entgegenzutreten ^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es +schlechterdings notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der +in Asien an der Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe +nicht, wie Sulla jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu +unterdruecken hoffte, so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu +Hilfe komme. Bei Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von +der Ratifikation des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach +Asien ging weiter. Der Koenig, hiess es, wuensche persoenlich mit +dem roemischen Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu +vereinbaren; vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand, +um das Heer nach Asien ueberzufuehren und dort mit Fimbria ein Ende zu +machen. So ueberschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von +Archelaos, den Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in +Dardanos mit Mithradates zusammengetroffen war und muendlich den +Vertrag abgeschlossen hatte, liess er den Marsch fortsetzen, bis er +bei Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an +demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an Zahl, +Zucht, Fuehrung und Tuechtigkeit den Fimbrianern weit ueberlegen, sahen +mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und deren +unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern +wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten +die Soldaten sich, gegen ihre Mitbuerger zu fechten, ja sogar den +geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Haende +abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria +erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnuegte sich, +ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persoenliche Rettung +zu eroeffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme; +statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den Barbaren +zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des Asklepios in +sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem Heer begaben +sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie bereitwillige +Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle Sullas. +----------------------------------------------- ^11 Die Angabe, dass +Mithradates den Staedten, die seine Partei ergriffen hatten im Frieden +Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint schon nach dem +Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich und fehlt +auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche Abfassung des +Friedensvertrages ward versaeumt, was spaeter zu vielen Entstellungen +benutzt ward. ^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten +Mithradatischen Krieg. Koenig Ardasches von Armenien, berichtet Moses +von Khorene, begnuegte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im +Persischen (Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den +Partherkoenig Arschagan, ihm die hoechste Gewalt abzutreten, worauf +er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Muenzen mit eigenem +Bildnis schlagen liess und den Arschagan zum Unterkoenig Persiens, +seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkoenig Armeniens bestellte, seine +Tochter Ardaschama aber vermaehlte mit dem Grossfuersten der Iberer +Mihrdates (Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und +Statthalters Alexanders ueber die besiegten Iberer, abstammte und in den +noerdlichen Bergen sowie ueber das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm +darauf den Koenig der Lydier Kroesos gefangen, unterwarf das Festland +zwischen den beiden grossen Meeren (Kleinasien) und ging ueber das Meer +mit unzaehligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals +Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine +Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner +Leute. Nach Ardasches' Tode rueckte sein Nachfolger Dicran gegen die +Armee der Griechen (d. i. der Roemer), die jetzt ihrerseits in das +armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel, +uebergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag +(Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen +Streitmacht und kehrte zurueck nach Armenien. Viele Jahre spaeter zeigte +man noch in den armenischen Staedten Statuen griechischer Goetter von +bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug. Man erkennt hier +verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen Kriegs ohne +Muehe wieder, aber die ganze Erzaehlung ist augenscheinlich +durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusaetzen ausgestattet und +namentlich durch patriotische Faelschung auf Armenien uebertragen. Ganz +ebenso wird spaeter der Sieg ueber Crassus den Armeniern beigelegt. +Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so groesserer Vorsicht +aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils +die Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des +fuenften Jahrhunderts gelaeufiger Quellen darin mit den armenischen +Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der +Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des +Moses dafuer ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere +okzidentalische Ueberlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der +orientalischen in diesem und in aehnlichen Faellen, wie zum Beispiel der +unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin fuehren, +sie noch staerker zu trueben. +--------------------------------------------------- Sulla beschloss, +diese beiden Legionen, denen er fuer den bevorstehenden Krieg doch nicht +traute, in Asien zurueckzulassen, wo die entsetzliche Krise noch lange +in den einzelnen Staedten und Landschaften nachzitterte. Das Kommando +ueber dieses Korps und die Statthalterschaft im roemischen Asien +uebergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius Murena. Die +revolutionaeren Massregeln Mithradats, wie die Befreiung der Sklaven +und die Kassation der Forderungen, wurden natuerlich aufgehoben; eine +Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt +durchgesetzt werden konnte. Die Staedte des oestlichen Grenzgebiets +unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit +dem Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner +Gerechtigkeit geuebt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten +Anhaenger Mithradats und die Urheber der an den Italikern veruebten +Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mussten die +saemtlichen von den letzten fuenf Jahren her rueckstaendigen Zehnten und +Zoelle sofort nach Abschaetzung bar erlegen; ausserdem hatten sie eine +Kriegsentschaedigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten, +zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurueckblieb. Es waren die +Massregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man +sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so +fuehlt man sich geneigt, dieselben als eine verhaeltnismaessig noch +gelinde Vergeltung zu betrachten. Dass die sonstigen Erpressungen nicht +ungewoehnlich drueckend waren, beweist der Betrag der spaeter im Triumph +aufgefuehrten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler +belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die +Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Maeander wurden reich +belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen +Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurueck. Desgleichen wurden die Chier +fuer die ausgestandene Not, die Ilienser fuer die wahnsinnig grausame +Misshandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknuepften +Verhandlungen zugefuegt hatte, nach Moeglichkeit durch Freibriefe und +Verguenstigungen entschaedigt. Die Koenige von Bithynien und Kappadokien +hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen Koenig zusammengefuehrt +und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei +freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von +koeniglichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn +nannte, persoenlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward +beauftragt, in den beiden von Mithradates geraeumten Reichen die +Wiederherstellung der gesetzlichen Zustaende zu ueberwachen. So war +man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische Koenig wieder ein +Klient der Roemer und in Griechenland, Makedonien und Kleinasien ein +einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; die Gebote des +Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genuege, doch zur Notdurft +befriedigt. Sulla hatte nicht bloss als Soldat und Feldherr glaenzend +sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstrasse zwischen kuehnem +Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen Hindernissen +durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie Hannibal hatte er +gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkraeften, die der erste Sieg ihm +gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe sich zu schicken. +Nachdem er seine Soldaten durch die ueppigen Winterquartiere in dem +reichen Vorderasien einigermassen fuer ihre ausgestandenen Strapazen +entschaedigt hatte, ging er im Fruehjahr 671 (83) auf 1600 Schiffen von +Ephesos nach dem Peiraeeus und von da auf dem Landweg nach Patrae, wo +die Schiffe wiederum bereit standen, um die Truppen nach Brundisium zu +fuehren. Ihm vorauf ging ein Bericht an den Senat ueber seine Feldzuege +in Griechenland und Asien, dessen Schreiber von seiner Absetzung nichts +zu wissen schien; es war die stumme Ankuendigung der bevorstehenden +Restauration. 9. Kapitel Cinna und Sulla Die gespannten und unklaren +Verhaeltnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt nach Griechenland im +Anfang des Jahres 667 (87) Italien zurueckliess, sind frueher dargelegt +worden: die halb erstickte Insurrektion, die Hauptarmee unter dem +mehr als halb usurpierten Kommando eines politisch sehr zweideutigen +Generals, die Verwirrung und die vielfach taetige Intrige in der +Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz +oder wegen seiner Maessigung vielfaeltige Missvergnuegte gemacht. Die +Kapitalisten, von den Schlaegen der schwersten Finanzkrise, die Rom noch +erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten der Regierung wegen +des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des Italischen und des +Asiatischen Krieges, die sie nicht verhuetet hatte. Die Insurgenten, +soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht bloss den Verlust +ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte mit der +herrschenden Buergerschaft, sondern auch den ihrer althergebrachten +Vertraege und ihre neue voellig rechtlose Untertanenstellung. Die +Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls unzufrieden mit +den ihnen gemachten halben Zugestaendnissen und die Neubuerger und +Freigelassenen erbittert durch die Kassation der Sulpicischen Gesetze. +Der Stadtpoebel litt unter der allgemeinen Bedraengnis und fand +es unerlaubt, dass das Saebelregiment sich die verfassungsmaessige +Knuettelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. +Der hauptstaedtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwaelzung +Geaechteten, der infolge der ungemeinen Maessigung Sullas sehr zahlreich +geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur +Rueckkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen +sparten fuer diesen Zweck keine Muehe und kein Geld. Keine dieser +Verstimmungen war eigentlich von der Art, dass sie einen neuen +gewaltsamen Zusammenstoss der Parteien in nahe Aussicht stellte; +groesstenteils waren sie zielloser und voruebergehender Art: aber sie +alle naehrten das allgemeine Missbehagen und hatten schon mehr oder +minder mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten +Mordversuchen gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der +Konsul- und Tribunenwahlen fuer 667 (87). Der Name des Mannes, den die +Missvergnuegten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius +Cornelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, ausser insofern er +als Offizier im Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; ueber die +Persoenlichkeit desselben und seine urspruenglichen Absichten sind wir +weniger unterrichtet als ueber die irgendeines andern Parteifuehrers +in der roemischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine +andere, als dass dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus +geleitete Gesell weitergehende politische Plaene von Haus aus gar nicht +gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, dass er gegen +ein tuechtiges Stueck Geld sich den Neubuergern und der Koterie des +Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich +aus; waere sie aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger +charakteristisch, dass ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen +Saturninus und Sulpicius geaeussert worden war, an Cinna haftete. In der +Tat hat die Bewegung, an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein +der Geringhaltigkeit sowohl der Beweggruende wie der Ziele. Sie ging +nicht so sehr von einer Partei aus als von einer Anzahl Missvergnuegter +ohne eigentlich politische Zwecke und nennenswerten Rueckhalt, die +hauptsaechlich die Rueckberufung der Verbannten in gesetzlicher oder +ungesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint +in die Verschwoerung nur nachtraeglich und nur deshalb hineingezogen zu +sein, weil die Intrige, die infolge der Beschraenkung der tribunizischen +Gewalt zur Vorbringung ihrer Antraege einen Konsul brauchte, unter den +Konsularkandidaten fuer 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug +ersah und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie +erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige faehigere Koepfe, +so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stuermische +Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus +Sertorius, einer der talentvollsten roemischen Offiziere und in jeder +Hinsicht ein vorzueglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das +Volkstribunat mit Sulla persoenlich verfeindet und durch diesen Hader in +die Reihen der Missvergnuegten gefuehrt worden war, wohin er seiner Art +nach keineswegs gehoerte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der +Regierung gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich +einzulassen. Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbuendeten +aus guten Gruenden sich still. Als indes der gefuerchtete Prokonsul, +nicht den Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand +der Dinge im Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna, +unterstuetzt von der Majoritaet des Tribunenkollegiums, sofort die +Gesetzentwuerfe vor, wodurch man uebereingekommen war, gegen die +Sullanische Restauration von 666 (88) teilweise zu reagieren; sie +enthielten die politische Gleichstellung der Neubuerger und +der Freigelassenen, wie Sulpicius sie beantragt hatte, und die +Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen Revolution Geaechteten +in den vorigen Stand. In Masse stroemten die Neubuerger nach der +Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich die Gegner +einzuschuechtern und noetigenfalls zu zwingen. Aber auch die +Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul +gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen +Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung grossenteils +bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten +Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbuehne selbst die +Schwerter gezueckt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttaeter +Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Maenner saeuberten nicht +bloss die Heilige Strasse und den Marktplatz, sondern wueteten auch, der +Befehle ihres milder gesinnten Fuehrers nicht achtend, in grauenhafter +Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an +diesem "Octaviustag", wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend +schaetzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich +durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf war +ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es blieb +den Fuehrern der Bewegung nichts uebrig, als zu fluechten. Weiter gegen +die Haeupter der Verschwoerung, solange ihr Amtsjahr lief, zu verfahren +gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein vermutlich mehr +loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, dass die Verbannung des +Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden Volkstribune dem Lande +Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in Gemaessheit zwar nicht +der Verfassung, aber wohl dieses gluecklich von den Orakelbewahrern +aufgefangenen Goetterratschlags wurde durch Beschluss des Senats der +Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius +Cornelius Merula gewaehlt und gegen die fluechtigen Haeupter die Acht +ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, dass +die Zahl der ausgetretenen Maenner in Numidien um einige Koepfe sich +vermehrte. Ohne Zweifel waere auch bei der Bewegung nichts weiter +herausgekommen, wenn nicht teils der Senat in seiner gewoehnlichen +Schlaffheit es unterlassen haette, die Fluechtlinge rasch wenigstens zur +Raeumung Italiens zu noetigen, teils diese in der Lage gewesen waeren, +zu ihren Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubuerger +gewissermassen den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert +erschienen sie in Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden +Neubuergergemeinden Latiums und Kampaniens und forderten und erhielten +ueberall zur Durchfuehrung der gemeinschaftlichen Sache Geld und +Mannschaft. So unterstuetzt zeigten sie sich bei der Belagerungsarmee +von Nola. Die Heere dieser Zeit waren demokratisch und revolutionaer +gesinnt, wo immer nicht der Feldherr durch seine imponierende +Persoenlichkeit sie an sich selber fesselte; die Reden der fluechtigen +Beamten, die ueberdies zum Teil, wie namentlich Cinna und Sertorius, +aus den letzten Feldzuegen in gutem Andenken bei den Soldaten standen, +machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige Absetzung des popularen +Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte des souveraenen Volkes +wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren machte das Gold des +Konsuls oder vielmehr der Neubuerger den Verfassungsbruch deutlich. Das +kampanische Heer erkannte den Cinna als Konsul an und schwor ihm +Mann fuer Mann den Eid der Treue; es ward der Kern fuer die von +den Neubuergern und selbst den bundesgenoessischen Gemeinden +herbeistroemenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn auch meistens +aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die Hauptstadt zu. +Andere Schwaerme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas Einladung waren +die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der etruskischen Kueste +gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 Bewaffnete, groesstenteils +Sklaven der Fluechtlinge und geworbene numidische Reiter; aber Gaius +Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem hauptstaedtischen Gesindel hatte +Gemeinschaft machen wollen, liess jetzt die Zwinghaeuser erbrechen, in +denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre Feldarbeiter zur Nachtzeit +einschlossen, und die Waffen, die er diesen bot, um sich die Freiheit +zu erfechten, wurden nicht verschmaeht. Durch diese Mannschaft und +die Zuzuege der Neubuerger sowie der von allen Seiten mit ihrem Anhang +herbeistroemenden landfluechtigen Leute verstaerkt, zaehlte er bald 6000 +Mann unter seinen Adlern und konnte vierzig Schiffe bemannen, die +sich vor die Tibermuendung legten und auf die nach Rom segelnden +Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte er sich dem "Konsul" +Cinna zur Verfuegung. Die Fuehrer der kampanischen Armee schwankten; +die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten ernstlich vor der +allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an die +Spitze der Bewegung gefuehrt werden musste und doch notorisch ebenso +jedes staatsmaennischen Handelns unfaehig wie von wahnsinnigem +Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese Bedenklichkeiten +nicht und bestaetigte dem Marius den Oberbefehl in Etrurien und zur See +mit prokonsularischer Gewalt. So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt +zusammen, und es konnte nicht laenger verschoben werden, zu ihrem Schutz +die Regierungstruppen heranzuziehen ^1. Aber die Streitkraefte des +Metellus wurden in Samnium und vor Nola durch die Italiker festgehalten; +Strabo allein war imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er +erschien auch und schlug sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner +starken und krieggewohnten Armee waere er wohl imstande gewesen, die +noch schwachen Insurgentenhaufen rasch und voellig zu vernichten; allein +dies schien nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr liess er es +geschehen, dass Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna +mit seinem Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer +dem Ianiculum gegenueber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenueber +gegen den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmaehlich auf +drei Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von +Kriegsschiffen, besetzte einen Kuestenplatz nach dem andern, bis zuletzt +sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum Vorspiel +der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von dem +Feldherrn zu Mord und Pluenderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt +schwebte, schon durch die blosse Hemmung des Verkehrs, in +grosser Gefahr; auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in +Verteidigungszustand gesetzt und das Buergeraufgebot auf das Ianiculum +befehligt. Strabos Untaetigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen +gleichmaessig Befremden und Entruestung. Der Verdacht, dass er mit Cinna +insgeheim unterhandle, lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegruendet; +ein ernstliches Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und +die Unterstuetzung, die er dem Konsul Octavius gewaehrte, als Marius +durch Einverstaendnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das +Ianiculum eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die +Insurgenten mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es, +dass er nichts weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenfuehrern +anzuschliessen oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine +Absicht gewesen zu sein, der geaengsteten hauptstaedtischen Regierung +und Buergerschaft seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis +des Konsulats fuer das naechste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des +Regiments selber in die Haende zu bekommen. Der Senat war indes nicht +geneigt, um dem einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme +zu werfen, und suchte sich anderweitig zu helfen. Den saemtlichen, an +dem Aufstand der Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die +die Waffen niedergelegt und infolgedessen ihr altes Buendnis eingebuesst +hatten, wurde durch Senatsbeschluss nachtraeglich das Buergerrecht +verliehen 2. Es schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen, +dass Rom in dem Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines +grossen Zweckes, sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt +hatte: in der ersten augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar +tausend Soldaten mehr auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was +in dem Bundesgenossenkrieg um so fuerchterlich teuren Preis errungen +worden war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese +Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen +betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als hoechstens zehntausend Mann. +Wichtiger noch waere es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu +einem Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlaessigen +Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu koennen. Allein die +Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten: +Rueckgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen +und Ueberlaeufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Roemern +entrissene Beute; Bewilligung des Buergerrechts an die Samniten selbst +sowie an die zu ihnen uebergetretenen Roemer. Der Senat verwarf selbst +in dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch +den Metellus an, mit Zuruecklassung einer kleinen Abteilung alle im +suedlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach +Rom zu fuehren. Er gehorchte; aber die Folge war, dass die Samniten den +gegen sie zurueckgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem +schwachen Haufen angriffen und schlugen, dass die nolanische Besatzung +ausrueckte und die benachbarte, mit Rom verbuendete Stadt Abella +in Brand steckte; dass ferner Cinna und Marius den Samniten alles +bewilligten, was sie begehrten - was lag ihnen an roemischer Ehre! +-und samnitischer Zuzug die Reihen der Insurgenten verstaerkte. +Ein empfindlicher Verlust war es auch, dass nach einem fuer die +Regierungstruppen ungluecklichen Gefecht Ariminum von den Insurgenten +besetzt und dadurch die wichtige Verbindung zwischen Rom und dem Potal, +von wo Mannschaft und Zufuhren erwartet wurden, unterbrochen ward. +Mangel und Hunger stellten sich ein. Die grosse volkreiche, stark mit +Truppen besetzte Stadt war nur ungenuegend mit Vorraeten versehen; und +namentlich Marius liess es sich angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr +und mehr abzuschneiden. Schon frueher hatte er den Tiber durch eine +Schiffbruecke gesperrt; jetzt brachte er durch die Eroberung von +Antium, Lanuvium, Aricia und anderen Ortschaften die noch offenen +Landverbindungswege in seine Gewalt und kuehlte zugleich vorlaeufig +seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr geleistet worden war, die +gesamte Buergerschaft mit Ausnahme derer, die etwa die Stadt ihm +verraten hatten, ueber die Klinge springen liess. Ansteckende +Krankheiten waren die Folge der Not und raeumten in den dicht um die +Hauptstadt zusammengedraengten Heermassen fuerchterlich auf von Strabos +Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann +denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung nicht; und +ein glueckliches Ereignis fuer sie war Strabos ploetzlicher Tod. Er +starb an der Pest 3; die aus vielen Gruenden gegen ihn erbitterten +Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften ihn durch +die Strassen. Was von seinen Truppen uebrig war, vereinigte der Konsul +Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus' Eintreffen und Strabos +Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens +gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum Kampfe +sich stellen. Allein die Gemueter der Regierungssoldaten waren tief +erschuettert; als Cinna ihnen gegenueber erschien, empfingen sie ihn +mit Zuruf, als waere er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand +es geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die +Truppen in das Lager zurueckzufuehren. Die Optimaten selbst wurden +unsicher und unter sich uneins. Waehrend eine Partei, an ihrer Spitze +der ehrenwerte, aber stoerrige und kurzsichtige Konsul Octavius, +sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der +kriegskundigere und verstaendigere Metellus einen Vergleich zustande zu +bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras +beider Parteien: Cinna hiess dem Marius ein Schwaechling, Metellus dem +Octavius ein Verraeter. Die Soldaten, ohnehin verstoert und nicht +ohne Ursache der Fuehrung des unerprobten Octavius misstrauend, sannen +Metellus an, den Oberbefehl zu uebernehmen, und begannen, da dieser +sich weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu +desertieren. Die Stimmung der Buergerschaft wurde taeglich gedrueckter +und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, dass den ueberlaufenden +Sklaven die Freiheit zugesichert sei, stroemten dieselben scharenweise +aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, dass +der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten wuerden, die Freiheit +zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung +konnte es sich nicht verbergen, dass sie geschlagen war und dass nichts +uebrig blieb, als mit den Fuehrern der Bande womoeglich ein Abkommen +zu treffen, wie der ueberwaeltigte Wanderer es trifft mit dem +Raeuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie toerichterweise +Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna waehrend +dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so +griff das Ueberlaufen so sehr um sich, dass es nicht mehr moeglich war, +irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach +dem in die Acht erklaerten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte +hinzufuegte, des Blutvergiessens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, +aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekraeftigen; Marius, +ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem +Schweigen. ------------------------------------ ^1 Die ganze folgende +Darstellung beruht wesentlich auf dem neu aufgefundenen Bericht des +Licinianus, der eine Anzahl frueher unbekannter Tatsachen mitteilt und +vor allem die Folge und Verknuepfung dieser Vorgaenge deutlicher, als +bisher moeglich war, erkennen laesst. 2 3, 258. Dass eine Bestaetigung +durch die Komitien nicht stattfand, geht aus Cic. Phil. 12, 11, 27 +hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben, die Frist +des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach zu verlaengern, was ihm +nach Herkommen freistand und tatsaechlich hinauslief auf Erteilung +des Buergerrechts an alle Italiker. 3 Adflatus sidere wie Livius (nach +Obsequens 56) sagt, heisst "von der Pest ergriffen" (Petr. 2; Plin. +nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht "vom Blitz getroffen", wie +die Spaeteren es missverstanden haben. +------------------------------------------------- Die Tore der +Hauptstadt oeffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen Legionen; aber +Marius, spoettisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich, die Stadt +zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und eilig versammelten +sich die Buerger auf dem Markt, um den kassierenden Beschluss zu fassen. +So kam er denn und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, +nicht einzelne Opfer auszuwaehlen, sondern die namhaften Maenner +der Optimatenpartei saemtlich niedermachen zu lassen und ihre Gueter +einzuziehen. Die Tore wurden gesperrt; fuenf Tage und fuenf Naechte +waehrte unausgesetzt die Schlaechterei; einzelne Entkommene oder +Vergessene wurden auch nachher noch taeglich erschlagen und monatelang +ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das +erste Opfer. Seinem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den +Tod zu leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugestaendnis zu +machen, weigerte er auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen +Schmuck harrte er auf dem Ianiculum des Moerders, der nicht lange +saeumte. Es starben Lucius Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte +Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den +Sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und +Dichter und als liebenswuerdiger Gesellschafter; Marcus Antonius +(Konsul 665 99), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der +erste Sachwalter seiner Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im +Spanischen und im Bundesgenossenkrieg und noch waehrend der Belagerung +Roms mit Auszeichnung kommandiert hatte: ueberhaupt eine Menge der +angesehensten Maenner der Regierungspartei, unter denen von den gierigen +Haeschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden. +Jammervoll vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider +seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich +angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen +Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern oeffnete und am Altar +des Hoechsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der +priesterlichen Kopfbinde, wie es die religioese Pflicht des sterbenden +Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod +des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem +herrlichsten Sieg und Triumph der Gefaehrte desselben Marius, der jetzt +fuer die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort +hatte als den einsilbigen Bescheid: "Er muss sterben!" Der Urheber all +dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker +- nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform +beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das Stillschweigen, womit er +die Begruessenden empfing, das Todesurteil, das stets sofort vollstreckt +ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache nicht; er +verbot, die Leichen zu bestatten; er liess - worin freilich Sulla +ihm vorangegangen war - die Koepfe der getoeteten Senatoren an die +Rednerbuehne auf dem Marktplatz heften; einzelne Leichen liess er +ueber den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der Grabstaette +des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius noch einmal +durchbohren; er umarmte oeffentlich den Menschen, der ihm, waehrend er +bei Tafel sass, den Kopf des Antonius ueberreichte, den selber in seinem +Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum hatte +abgehalten werden koennen. Hauptsaechlich seine Sklavenlegionen, +namentlich eine Abteilung Ardyaeer, dienten ihm als Schergen und +versaeumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die +Haeuser ihrer ehemaligen Herren zu pluendern und was ihnen darin vorkam, +zu schaenden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung +ueber dieses wahnsinnige Wueten; Sertorius beschwor den Konsul, +demselben um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken. +Aber in Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; +man stuerzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es +war nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu +fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er waehlte den Marius +vielmehr fuer das naechste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das +Schreckensregiment terrorisierte die gemaessigteren Sieger nicht viel +weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht +unzufrieden damit, dass eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen +Oligarchen einmal gruendlich zu demuetigen, und zugleich infolge der +umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute +an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich +den Beinamen der "Einsaeckler". Dem Urheber dieses Terrorismus, dem +alten Gaius Marius, hatte also das Verhaengnis seine beiden hoechsten +Wuensche gewaehrt. Er hatte Rache genommen an der ganzen vornehmen +Meute, die ihm seine Siege vergaellt, seine Niederlagen vergiftet hatte; +er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten koennen. Er +trat ferner das neue Jahr noch einmal an als Konsul; das Traumbild des +siebenten Konsulates, das der Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er +seit dreizehn Jahren gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er +wuenschte, hatten die Goetter ihm gewaehrt; aber auch jetzt noch, wie +in der alten Sagenzeit, uebten sie die verhaengnisvolle Ironie, den +Menschen zu verderben durch die Erfuellung seiner Wuensche. In seinen +ersten Konsulaten der Stolz, im sechsten das Gespoett seiner Mitbuerger, +stand er jetzt im siebenten belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit +dem Hass der ganzen Nation; er, der von Haus aus rechtliche, tuechtige, +kernbrave Mann, gebrandmarkt als das wahnwitzige Oberhaupt einer +ruchlosen Raeuberbande. Er selbst schien es zu fuehlen. Wie im Taumel +vergingen ihm die Tage, und des Nachts versagte ihm seine Lagerstatt +die Ruhe, so dass er zum Becher griff, um nur sich zu betaeuben. Ein +hitziges Fieber ergriff ihn; nach siebentaegigem Krankenlager, in dessen +wilden Phantasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten +schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er +eine Leiche. Er starb, ueber siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen, +was er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Nemesis +ist mannigfaltig und suehnt nicht immer Blut mit Blut. Oder war es etwa +keine Vergeltung, dass Rom und Italien bei der Nachricht von dem Tode +des gefeierten Volkserretters jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde +von der Schlacht auf dem Raudischen Feld? Auch nach seinem Tode zwar +kamen einzelne Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten; +so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den +Marianischen Schlaechtereien seine Hand in Blut getaucht hatte, bei +dem Leichenbegaengnis des Marius selbst einen Versuch, den allgemein +verehrten und selbst von Marius verschonten Oberpontifex Quintus +Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte dann, als derselbe von +der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie +er scherzhaft sich ausdrueckte, dass er sich nicht habe wollen ermorden +lassen. Aber die Orgien des Mordens waren doch vorueber. Unter dem +Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die Marianischen Banditen +zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlaessigen keltischen Truppen +und liess sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, saemtlich +niederhauen. Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis +gekommen. Cinna stand nicht bloss vier Jahre nacheinander (667-670 +87-84) als Konsul an der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch +regelmaessig sich und seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es +war, als ob diese Demokraten die souveraene Volksversammlung mit +absichtlicher Geringschaetzung beiseite schoeben. Kein anderes Haupt der +Popularpartei vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt +in Italien wie in dem groessten Teil der Provinzen so lange Zeit +hindurch fast ungestoert besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu +nennen, dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen waere. +Man nahm natuerlich das von Sulpicius und spaeter von Cinna selbst +beantragte, den Neubuergern und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht +mit den Altbuergern zusichernde Gesetz wieder auf und liess dasselbe +durch einen Senatsbeschluss foermlich als zu Recht bestehend bestaetigen +(670 84). Man ernannte Zensoren (668 86), um demgemaess saemtliche +Italiker in die fuenfunddreissig Buergerbezirke zu verteilen - eine +seltsame Fuegung dabei war es, dass infolge des Mangels von faehigen +Kandidaten zur Zensur derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91) +hauptsaechlich den Plan des Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu +verleihen, hatte scheitern machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als +Zensor in die Buergerrollen einzuschreiben. Man stiess natuerlich die +von Sulla im Jahre 666 (88) begruendeten reaktionaeren Institutionen +um. Man tat einiges, um dem Proletariat sich gefaellig zu erweisen - +so wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingefuehrten +Beschraenkungen der Getreideverteilung jetzt wiederum beseitigt; so +wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Iunius Brutus die von +Gaius Gracchus beabsichtigte Koloniegruendung in Capua im Fruehjahr 671 +(83) in der Tat ins Werk gesetzt; so veranlasste Lucius Valerius Flaccus +der Juengere ein Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten +Teil ihres Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der +Schuldner kassierte. Diese Massregeln aber, die einzigen konstitutiven +waehrend des ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme +vom Augenblick diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das +Entsetzlichste bei dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein +verkehrter, sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste +den Poebel und verletzte ihn zugleich in hoechst unnoetiger Weise durch +zwecklose Missachtung der verfassungsmaessigen Wahlordnung. Man konnte +an der Kapitalistenpartei einen Halt finden und schaedigte sie aufs +empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stuetze des +Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubuerger; man liess +sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame +Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt roemische +Buerger waren, aber offenbar tatsaechlich ihre landschaftliche +Unabhaengigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes +betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen +blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber +nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung +zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so dass +dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus +den Sturz der Oligarchie nicht verstanden, dass der neue Herr sich +auf seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten koenne, wie es legitime +Nullkoenige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen, +sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, dass er +blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespuelt hatte, bis eine +zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen? Dieselbe Verbindung +der gewaltigsten Machtfuelle mit der vollstaendigsten Impotenz und +Inkapazitaet der Machthaber zeigte die Kriegfuehrung der revolutionaeren +Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch zunaechst ihre Existenz +hing. In Italien gebot sie unumschraenkt. Unter den Altbuergern war +ein sehr grosser Teil grundsaetzlich demokratisch gesinnt; die noch +groessere Masse der ruhigen Leute missbilligte zwar die Marianischen +Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration nichts als +die Eroeffnung eines zweiten Schreckensregiments der entgegengesetzten +Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87) auf die Nation +insgesamt war verhaeltnismaessig gering gewesen, da sie vorwiegend +doch nur die hauptstaedtische Aristokratie betroffen hatten, und +ward ueberdies einigermassen ausgeloescht durch das darauffolgende +dreijaehrige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubuerger +endlich, vielleicht drei Fuenftel der Italiker, stand entschieden wo +nicht fuer die gegenwaertige Regierung, doch gegen die Oligarchie. +Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien, +Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus +Metellus, der den Moerdern gluecklich entkommen war, einen Versuch, +diese Provinz fuer die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus +Spanien Marcus Crassus, der juengste Sohn des in dem Marianischen +Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstaerkte ihn durch einen +in Spanien zusammengebrachten Haufen. Allein sie mussten, da sie sich +untereinander entzweiten, dem Statthalter der revolutionaeren Regierung, +Gaius Fabius Hadrianus, weichen. Asien war in den Haenden Mithradats; +somit blieb als einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz +Makedonien, soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich +Sullas Gemahlin und Kinder, die mit Muehe dem Tode entgangen waren, und +nicht wenige entkommene Senatoren, so dass bald in seinem Hauptquartier +eine Art von Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen +Prokonsul liess es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die +Komitien seines Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Wuerden +entsetzt und geaechtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, +Appius Claudius und andere angesehene Fluechtlinge geschah; sein Haus in +Rom wurde geschleift, seine Landgueter verwuestet. Indes damit freilich +war die Sache nicht erledigt. Haette Gaius Marius laenger gelebt, so +waere er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch +auf seinem Todbette die Fieberbilder ihn fuehrten; welche Massregeln +nach seinem Tode die Regierung ergriff, ward schon erzaehlt. Lucius +Valerius Flaccus der juengere 4, der nach Marius' Tode das Konsulat +und das Kommando im Osten uebernahm (668 86), war weder Soldat +noch Offizier, sein Begleiter Gaius Fimbria nicht unfaehig, aber +unbotmaessig, das ihnen mitgegebene Heer schon der Zahl nach dreifach +schwaecher als die Sullanische Armee. Man vernahm nacheinander, dass +Flaccus, um nicht von Sulla erdrueckt zu werden, an ihm vorueber nach +Asien abgezogen sei (668 86), dass Fimbria ihn beseitigt und sich +selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669 85), dass Sulla Frieden +geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84). Bis dahin hatte Sulla +den in der Hauptstadt regierenden Behoerden gegenueber geschwiegen; +jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat ein, worin er die +Beendigung des Krieges berichtete und seine Rueckkehr nach Italien +ankuendigte; die den Neubuergern erteilten Rechte werde er achten; +Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie wuerden nicht die +Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankuendigung schreckte Cinna +aus seiner Untaetigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen Sulla getan +hatte, als dass einige Mannschaft unter die Waffen gestellt und eine +Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so beschloss +er jetzt, schleunigst nach Griechenland ueberzugehen. Aber andererseits +weckte Sullas Schreiben, das den Umstaenden nach aeusserst gemaessigt +zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine friedliche +Ausgleichung. Die Majoritaet des Senats beschloss nach dem Vorschlag des +aelteren Flaccus, einen Suehneversuch einzuleiten und zu dem Ende +Sulla aufzufordern, sich unter Verbuergung sicheren Geleits in Italien +einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, bis zum +Eingang von Sullas Antwort die Ruestungen einzustellen. Sulla wies die +Vorschlaege nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natuerlich nicht +selbst, aber liess durch Boten erklaeren, dass er nichts fordere als +Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche +Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit uebrigens nicht +geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine +Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich veraendert. +Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluss sich weiter zu bekuemmern, +sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die +Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der boesen +Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon schwierigen +Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer +Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich genoetigt +sah, die schon uebergegangenen Abteilungen zurueckzufuehren und, auf das +Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend, Winterquartiere in +Ariminum zu beziehen. Sullas Antraege aber fanden darum keine bessere +Aufnahme: der Senat wies seine Vorschlaege zurueck, ohne auch nur +die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die Waffen +niederzulegen. Es war nicht zunaechst die Koterie der Marianer, welche +dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, musste +diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des hoechsten Amtes +abgeben und fuer das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen +veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den +bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der faehigen Offiziere der bis +dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den +Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitaeten, +von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand, +und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als +politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die +Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer +Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so +wollte sie in ihrer grossen Majoritaet noch viel weniger von Sulla und +einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an +Abwehr. Waehrend Sulla nach Asien ueberging, das Heer des Fimbria zum +Uebertritt bestimmte und dessen Fuehrer durch seine eigene Hand fiel, +benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr +gegoennte weitere Jahresfrist zu energischen Ruestungen: es sollen bei +Sullas Landung 100000, spaeter sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten +gegen ihn gestanden haben. ------------------------------------------- 4 +Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen, +ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger +juengerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das +die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81) +rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, dass +dasselbe, war fuer Scipio Aemilianus und Marius, auch fuer Flaccus +geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus +genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es +notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius +Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als Konsulat +in Rom taetig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 (86) sein, +da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und wahrscheinlich schon +tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), ist derjenige, den +Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom anwesenden Konsulaten +nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der aelteste lebende Altzensor und +also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch der Zwischenkoenig und +der Reiterfuehrer von 672 (82). Dagegen ist der Konsul 668 (86), der in +Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero verteidigten Lucius +Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77). +--------------------------------------------- Gegen diese italische +Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu legen als seine fuenf +Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im +Peloponnes aufgebotener Zuzuege, kaum auf 40000 Mann sich belaufen +mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjaehrigen Kaempfen in +Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich entwoehnt +und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles, Schwelgerei, +Bestialitaet, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah, nichts +verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und fuer den +Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem +jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als dabei +die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben +Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach roemischer Sitte die +Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, +und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als +Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene +Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte +doch Sulla sehr wohl, dass Italien nicht mit fuenf Legionen +bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig +zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfaehigen Autokraten +fertig zu werden, waere nicht schwierig gewesen; aber er sah sich +gegenueber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine +oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die +gesamte Neubuergerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische +Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten +lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an +den Rand des Verderbens gefuehrt hatte. Sulla uebersah vollkommen die +Lage der Verhaeltnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung +und der eigensinnigen Starrheit, die die Majoritaet seiner Partei +charakterisierten. Waehrend das Staatsgebaeude in vollen Flammen stand, +waehrend man seine Freunde ermordete, seine Haeuser zerstoerte, seine +Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben, +bis der Landesfeind ueberwaeltigt und die roemische Grenze gesichert +war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Maessigung +behandelte er auch jetzt die italischen Verhaeltnisse und tat, was er +irgend tun konnte, um die Gemaessigten und die Neubuerger zu beruhigen +und um zu verhindern, dass nicht unter dem Namen des Buergerkrieges der +weit gefaehrlichere Krieg zwischen den Altroemern und den italischen +Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das +Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit +gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdruecklich zurueckgewiesen; +im Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der +revolutionaeren Regierung sich lossagen wuerden, unbedingte Begnadigung +in Aussicht und veranlasste seine Soldaten, Mann fuer Mann, zu +schwoeren, dass sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbuergern +begegnen wuerden. Die buendigsten Erklaerungen sicherten den Neubuergern +die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so dass Carbo deshalb von +jeder italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was +indes an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats +scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat +darin, dass bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubuerger +allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persoenlichen Absichten, doch +daran zu zweifeln, ob er es vermoegen werde, seine Partei zum Worthalten +nach dem Siege zu bestimmen. Im Fruehling 671 (83) landete Sulla mit +seinen Legionen in dem Hafen von Brundisium. Der Senat erklaerte auf +die Nachricht davon das Vaterland in Gefahr und uebertrug den Konsuln +unbeschraenkte Vollmacht; aber diese unfaehigen Leiter hatten sich nicht +vorgesehen und waren durch die seit Jahren in Aussicht stehende Landung +dennoch ueberrascht. Das Heer befand sich noch in Ariminum, die +Haefen waren unbesetzt und ueberhaupt unglaublicherweise in dem ganzen +suedoestlichen Litoral kein Mann unter den Waffen. Die Folgen +zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst, eine ansehnliche +Neubuergergemeinde, oeffnete ohne Widerstand dem oligarchischen General +die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz Messapien und Apulien. +Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie durch Freundesland und +hielt, ihres Eides eingedenk, durchgaengig die strengste Mannszucht. Von +allen Seiten stroemten die versprengten Reste der Optimatenpartei in das +Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Afrika sich +gerettet hatte, kam Quintus Metellus und uebernahm wieder, als Kollege +Sullas, das im Jahr 667 (87) ihm uebertragene und von der Revolution ihm +aberkannte prokonsularische Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit +einer kleinen Schar Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten +freilich kamen als vornehme Emigranten mit grossen Anspruechen und +geringer Kampflust, so dass sie von Sulla selbst bittere Worte zu hoeren +bekamen ueber die adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten +retten lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven +zu bewaffnen. Wichtiger war es, dass schon Ueberlaeufer aus dem +demokratischen Lager sich einstellten - so der feine und angesehene +Lucius Philippus, nebst ein paar notorisch unfaehigen Leuten der einzige +Konsular, der mit der revolutionaeren Regierung sich eingelassen und +unter ihr Aemter angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste +Aufnahme und erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz +Sardinien fuer ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia +und andere brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschaeftigt; +selbst Publius Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von +Sulla geaechteten Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung +im Heer. Wichtiger noch als die einzelnen Uebertritte war der der +Landschaft Picenum, der wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen +Gnaeus Pompeius, verdankt ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus +aus kein Anhaenger der Oligarchie, hatte die revolutionaere Regierung +anerkannt und sogar in Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward +ihm nicht vergessen, dass sein Vater die Waffen gegen die Revolution +getragen hatte; er sah sich vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage +auf Herausgabe der nach der Einnahme von Asculum von seinem Vater +wirklich oder angeblich unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines +sehr betraechtlichen Vermoegens bedroht. Zwar wendete mehr als die +Beredsamkeit des Konsulars Lucius Philippus und des jungen Quintus +Hortensius der Schutz des ihm persoenlich gewogenen Konsuls Carbo den +oekonomischen Ruin von ihm ab; aber die Verstimmung blieb. Auf die +Nachricht von Sullas Landung ging er nach Picenum, wo er ausgedehnte +Besitzungen und von seinem Vater und dem Bundesgenossenkriege her die +besten munizipalen Verbindungen hatte und pflanzte in Auximum (Osimo) +die Fahne der optimatischen Partei auf. Die meistens von Altbuergern +bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge Mannschaft, welche +grossenteils mit ihm unter seinem Vater gedient hatte, stellte +sich bereitwillig unter den beherzten Fuehrer, der, noch nicht +dreiundzwanzigjaehrig, ebensosehr Soldat wie General war, im +Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tuechtig mit in den Feind +einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen; +den aus der Hauptstadt zur Daempfung der picenischen Insurrektion +ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius +Brutus Damasippus 5 wusste der improvisierte Feldherr, die unter +denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu +entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas, wie +es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begruesste ihn +als Imperator, das heisst als einen im eigenen Namen kommandierenden +und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete den +Juengling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner +vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, +der charakterlosen Schwaeche seiner eigenen Parteigenossen damit +eine indirekte Zuechtigung zukommen zu lassen. +--------------------------------------------- 5 Nur an diesen kann hier +gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater des sogenannten Befreiers, +im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht im Felde kommandieren +konnte. --------------------------------------------- Also moralisch +und materiell ansehnlich verstaerkt gelangten Sulla und Metellus nach +Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen Gegenden nach +Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche Hauptmacht, und es +schien die Entscheidung hier fallen zu muessen. Das Heer des Konsuls +Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die neue Kolonie mit +allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die zweite Konsulararmee +rueckte ebenfalls auf der Appischen Strasse heran. Aber bevor sie +eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenueber. Ein letzter +Vermittlungsversuch, den Sulla machte, fuehrte nur dazu, dass man +an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine +kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoss vom +Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im +ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die +revolutionaere Kolonie Capua und die Neubuergerstadt Neapolis und liess +dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre +schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch +diesen Sieg das Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit gewonnen; +statt mit der Belagerung der Truemmer der geschlagenen Armee sich +aufzuhalten, liess Sulla die Staedte umstellen, wo sie sich befanden, +und rueckte auf der Appischen Strasse vor gegen Teanum, wo Scipio stand. +Auch ihm bot er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; +es scheint in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; +ein Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen +die beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, +beide gebildet und feingesittet und langjaehrige Kollegen im Senat, +persoenlich zusammen; man liess sich auf die einzelnen Fragen ein; schon +war man so weit, dass Scipio einen Boten nach Capua absandte, um +die Meinung seines Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die +Soldaten beider Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit +Geld versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim +Becher leicht begreiflich, dass es besser sei, sie zu Kameraden als +zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem +gefaehrlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die Verstaendigung, die +so nahe geschienen, trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den +Waffenstillstand kuendigte. Aber Sulla behauptete, dass es zu spaet und +der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand, +dass ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen +Scipios Soldaten in Masse ueber in die feindlichen Reihen. Die Szene +schloss mit einer allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden +Offiziere der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla liess den Konsul +auffordern, sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem +Stab durch seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein +kaum in Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Wuerde +wieder an und begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes +weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen +Winterquartiere in Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch, +mit Norbanus sich zu verstaendigen, gescheitert war, Capua den Winter +ueber blockiert. Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren fuer Sulla +die Unterwerfung von Apulien, Picenum und Kampanien, die Aufloesung der +einen, die Besiegung und Blockierung der anderen konsularischen Armee. +Schon traten die italischen Gemeinden, genoetigt, zwischen ihren +zwiefachen Draengern jede fuer sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit +ihm in Unterhandlung und liessen sich die von der Gegenpartei erworbenen +politischen Rechte durch foermliche Separatvertraege von dem Feldherrn +der Oligarchie garantieren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug +sie absichtlich zur Schau, die revolutionaere Regierung in dem naechsten +Feldzug niederzuwerfen und wieder in Rom einzuziehen. Aber auch der +Revolution schien die Verzweiflung neue Kraefte zu geben. Das Konsulat +uebernahmen zwei ihrer entschiedensten Fuehrer, Carbo zum dritten Male +und Gaius Marius der Sohn; dass der letztere eben zwanzigjaehrige Mann +gesetzmaessig das Konsulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig +wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus Sertorius, der in dieser +und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde +angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach Etrurien und von da in +seine Provinz, das Diesseitige Spanien, abzugehen. Die Kasse zu +fuellen, musste der Senat die Einschmelzung des goldenen und silbernen +Tempelgeraets der Hauptstadt verfuegen; wie bedeutend der Ertrag war, +erhellt daraus, dass nach mehrmonatlicher Kriegfuehrung davon noch ueber +4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und 6000 Pfund Silber) vorraetig +waren. In dem betraechtlichen Teile Italiens, der gezwungen oder +freiwillig noch zu der Revolution hielt, wurden die Ruestungen lebhaft +betrieben. Aus Etrurien, wo die Neubuergergemeinden sehr zahlreich +waren, und dem Pogebiet kamen ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf +den Ruf des Sohnes stellten die Marianischen Veteranen in grosser Anzahl +sich bei den Fahnen ein. Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so +leidenschaftlich geruestet wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen +Strichen von Lucanien. Es war nichts weniger als Ergebenheit gegen +die revolutionaere roemische Regierung, dass zahlreicher Zuzug aus +den oskischen Gegenden ihre Heere verstaerkte; wohl aber begriff man +daselbst, dass eine von Sulla restaurierte Oligarchie sich die jetzt +faktisch bestehende Selbstaendigkeit dieser Landschaften nicht so +gefallen lassen werde wie die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum +erwachte in dem Kampf gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalitaet der +Sabeller gegen die Latiner. Fuer Samnium und Latium war dieser Krieg +so gut ein Nationalkampf wie die Kriege des fuenften Jahrhunderts; man +stritt nicht um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um +den lange verhaltenen Hass durch Vernichtung des Gegners zu saettigen. +Es war darum kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz +anderen Charakter trug als die uebrigen Kaempfe, wenn hier keine +Verstaendigung versucht, kein Quartier gegeben oder genommen, die +Verfolgung bis aufs aeusserste fortgesetzt ward. So trat man den Feldzug +des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstaerkten Streitkraeften und +gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die Revolution warf die Scheide +weg; auf Carbos Antrag aechteten die roemischen Komitien alle in Sullas +Lager befindlichen Senatoren. Sulla schwieg; er mochte denken, dass man +im voraus sich selber das Urteil spreche. Die Armee der Optimaten teilte +sich. Der Prokonsul Metellus uebernahm es, gestuetzt auf die picenische +Insurrektion, nach Oberitalien vorzudringen, waehrend Sulla von +Kampanien aus geradeswegs gegen die Hauptstadt marschierte. Jenem warf +Carbo sich entgegen; der feindlichen Hauptarmee wollte Marius in Latium +begegnen. Auf der Launischen Strasse heranrueckend, traf Sulla unweit +Signia auf den Feind, der vor ihm zurueckwich bis nach dem sogenannten +"Hafen des Sacer" zwischen Signia und dem Hauptwaffenplatz der Marianen +dem festen Praeneste. Hier stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer +war etwa 40000 Mann stark und er an wildem Grimme und persoenlicher +Tapferkeit seines Vaters rechter Sohn; aber es waren nicht die +wohlgeuebten Scharen, mit denen dieser seine Schlachten geschlagen +hatte, und noch minder durfte der unerfahrene junge Mann mit dem +alten Kriegsmeister sich vergleichen. Bald wichen seine Truppen; der +Uebertritt einer Abteilung noch waehrend des Gefechts beschleunigte die +Niederlage. Ueber die Haelfte der Marianer waren tot oder gefangen; der +Ueberrest, weder imstande, das Feld zu halten, noch, das andere Ufer des +Tiber zu gewinnen, genoetigt, in den benachbarten Festungen Schutz zu +suchen; die Hauptstadt, die zu verproviantieren man versaeumt hatte, +unrettbar verloren. Infolgedessen gab Marius dem daselbst befehligten +Praetor Lucius Brutus Damasippus den Befehl, sie zu raeumen, vorher +aber alle bisher noch verschonten angesehenen Maenner der Gegenpartei +niederzumachen. Der Auftrag, durch den der Sohn die Aechtungen des +Vaters noch ueberbot, ward vollzogen; Damasippus berief unter einem +Vorwand den Senat, und die bezeichneten Maenner wurden teils in der +Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem Rathaus niedergestossen. +Trotz der vorhergegangenen gruendlichen Aufraeumung fanden sich doch +noch einzelne namhaftere Opfer: so der gewesene Aedil Publius Antistius, +der Schwiegervater des Gnaeus Pompeius, und der gewesene Praetor Gaius +Carbo, der Sohn des bekannten Freundes und nachherigen Gegners der +Gracchen, nach dem Tode so vieler ausgezeichneter Talente die beiden +besten Gerichtsredner auf dem veroedeten Markt; der Konsular Lucius +Domitius und vor allem der ehrwuerdige Oberpriester Quintus Scaevola, +der dem Dolch des Fimbria nur entgangen war, um jetzt waehrend +der letzten Kraempfe der Revolution in der Halle des seiner Obhut +anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit stummem Entsetzen sah +die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des Terrorismus durch die +Strassen schleifen und sie in den Fluss werfen. Marius' aufgeloeste +Haufen warfen sich in die nahen und festen Neubuergerstaedte Norba +und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem groessten Teil der +Fluechtlinge in die letztere. Sulla liess, ebenwie das Jahr zuvor vor +Capua, vor Praeneste einen tuechtigen Offizier, den Quintus Ofelia, +zurueck, mit dem Auftrag, seine Kraefte nicht an die Belagerung der +festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten Blockadelinie +einzuschliessen und sie auszuhungern; er selbst rueckte von +verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze +Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum +nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen +und die noetigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach +Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien +zu vertreiben. Metellus war inzwischen am Fluss Aesis (Esino zwischen +Ancona und Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen +Provinz schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestossen und hatte +diesen geschlagen; als Carbo selbst mit seiner ueberlegenen Armee +herbeikam, hatte er das weitere Vordringen aufgeben muessen. Allein +auf die Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine +Kommunikationen besorgt, zurueckgegangen bis auf die Flaminische +Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen +und von dort teils die Paesse des Apennin, teils das Potal zu behaupten. +Bei dieser rueckgaengigen Bewegung gerieten nicht bloss verschiedene +Abteilungen dem Feinde in die Haende, sondern ward auch von Pompeius +Sena gallica erstuermt und Carbos Nachhut in einem glaenzenden +Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck. +Der Konsulat Norbanus uebernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst +begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen +Legionen nach Etrurien aenderte die Lage der Dinge: bald reichten von +Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Haende. +Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und schnitt +bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, in das +auf der grossen Strasse nach Placentia er eine Abteilung vorgehen +liess unter Marcus Lucullus, dem Quaestor Sullas und dem Bruder seines +Flottenfuehrers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein +Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen +auf Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Strasse bei +Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die +Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht, +aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum +Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rueckte von Rom aus in zwei +Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Kueste vorgehend +bei Saturnia (zwischen den Fluessen Ombrone und Albegna) das ihm +entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Fuehrung +im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glueckliches Gefecht +mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die +zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward, +endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten +Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der +Umgegend von Rom schienen die Dinge fuer die revolutionaere Partei sich +guenstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsaechlich nach dieser +Gegend ziehen zu wollen. Denn waehrend die oligarchische Partei alle +ihre Kraefte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller +Orten die aeusserste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu +sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte +sich dazu auf; es scheint indes nicht, dass er nach Praeneste gelangte. +Ebensowenig glueckte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen +Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen Truppen +ueberfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr und +Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurueck, ein anderer +nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus +Sueditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die +Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne dass +der Abmarsch ihnen gewehrt worden waere, zogen im Kampanien, wo Capua +noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich +und rueckten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla +selbst kehrte darauf, mit Zuruecklassung eines Korps gegen Carbo, nach +Latium zurueck und nahm in den Engpaessen vorwaerts Praeneste 6 eine +wohlgewaehlte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte. +Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen, +vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten +unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo +gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstaerkt hatte. +Waehrend aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte, +kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der +Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn des +Metellus, Marcus Lucullus, mit ueberlegener Macht angegriffen und +ihn genoetigt, sich in Placentia einzuschliessen, endlich sich gegen +Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am +spaeten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermuedeten Truppen sofort an; +die Folge war eine vollstaendige Niederlage und die totale Aufloesung +seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurueckkamen. Auf +die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und +schlug die gegen ihn zurueckgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen +Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in +Masse ueber; ihr Fuehrer machte seine anfaengliche Zoegerung wieder gut, +indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionaeren Armee zu einem +Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen liess; ueberhaupt +schloss, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen +Vorraeten und Kassen geriet in Metellus' Gewalt; Norbanus schiffte nach +Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte +das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschaeftigten Truppen konnten +sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die +Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese +Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer +ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch +heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich ein. Die +im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit dem der +Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils wurden +sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas zusammen +und fuehrte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier hatte +inzwischen nichts sich veraendert; und die letzte Entscheidung nahte +heran. Carrinas' Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas Stellung +zu erschuettern; schon naeherte sich der Vortrab der bisher in Etrurien +beschaeftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius; in +wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der +Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Fuehrer desselben, von +Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken +Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militaerisch waren sie damit +verloren; ihre Rueckzugslinie, die Latinische Strasse, geriet durch +diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemaechtigten, +so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs +geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit +ueberlegene Armeen, darin unfehlbar erdrueckt. Aber es handelte sich +auch nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach +Rom, dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionaere und +vor allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was +Pontius von Telesia den Seinigen zurief: um der Woelfe, die Italien die +Freiheit geraubt haetten, loszuwerden, muesse man den Wald vernichten, +in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt +als am 1. November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas, +Damasippus auf der Latinischen Strasse gegen Rom herangezogen, etwa eine +Viertelmeile vom Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der +20. Juli 365 der Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der +Kelten und der Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich +gegen Rom ein toerichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in +der Hauptstadt konnte es den Anrueckenden nicht fehlen. Die +Freiwilligenschar, die aus der Stadt ausrueckte, meist vornehme +Juenglinge, zerstob wie Spreu vor der ungeheuren Uebermacht. Die einzige +Hoffnung der Rettung beruhte auf Sulla. Dieser war, auf die Nachricht +vom Abmarsch des samnitischen Heeres in der Richtung auf Rom, +gleichfalls eiligst aufgebrochen der Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden +Mut der Buergerschaft belebte im Laufe des Morgens das Erscheinen +seiner ersten Reiter unter Balbus; am Mittag erschien er selbst mit der +Hauptmacht und ordnete sofort am Tempel der Erykinischen Aphrodite vor +dem Collinischen Tor (unweit Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine +Unterbefehlshaber beschworen ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch +erschoepften Truppen sofort in den Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, +was die Nacht ueber Rom bringen koenne, und befahl noch am spaeten +Nachmittag den Angriff. Die Schlacht war hart bestritten und blutig. Der +linke Fluegel Sullas, den er selbst anfuehrte, wich zurueck bis an die +Stadtmauer, so dass es notwendig ward, die Stadttore zu schliessen; +schon brachten Versprengte die Nachricht an Ofelia, dass die Schlacht +verloren sei. Allein auf den rechten Fluegel warf Marcus Crassus den +Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch auch der andere Fluegel +wider Luft bekam und eine Stunde nach Sonnenuntergang seinerseits +ebenfalls zum Vorruecken ueberging. Die ganze Nacht und noch den +folgenden Morgen ward gefochten; erst der Uebertritt einer Abteilung von +3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die frueheren Kameraden wandten, +setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die Insurgentenarmee, fuer +die es nirgends einen Rueckzug gab, wurde vollstaendig aufgerieben. +Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 bis 4000 an der Zahl, +darunter die Generale Damasippus, Carrinas und den schwer verwundeten +Pontius, liess Sulla am dritten Tage nach der Schlacht in das +staedtische Meierhaus auf dem Marsfeld fuehren und daselbst bis auf den +letzten Mann niederhauen, so dass man in dem nahen Tempel der Bellona, +wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich das Klirren der +Waffen und das Stoehnen der Sterbenden vernahm. Es war eine graessliche +Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber es ist nicht +gerecht zu verschweigen, dass diese selben Menschen, die dort starben, +wie eine Raeuberbande ueber die Hauptstadt und die Buergerschaft +hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden haetten, so weit +vernichtet haben wuerden, als Feuer und Schwert eine Stadt und +eine Buergerschaft zu vernichten vermoegen. +--------------------------------------------------- 6 Es wird gemeldet, +dass Sulla in dem Engpass stand, durch den Praeneste allein zugaenglich +war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, dass sowohl ihm +als dem Entsatzheer die Strasse nach Rom offenstand. Ohne Zweifel stand +Sulla auf der Querstrasse, die von der Latinischen, auf der sie Samniten +herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in diesem Fall +kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde auf +der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt. +------------------------------------------------- Damit war der Krieg in +der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von Praeneste ergab sich, als +die aus den ueber die Mauer geworfenen Koepfen des Carrinas und anderer +Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom erfuhr. Die Fuehrer, der +Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, stuerzten, nachdem ein +Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich einer in des andern +Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und ward durch Cethegus +darin bestaerkt, dass der Sieger fuer sie auch jetzt noch Gnade walten +lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je unbedingter Sulla bis +zum letzten Augenblick den Uebertretenden volle Verzeihung gewaehrt +hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die Fuehrer und +Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den praenestinischen +Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar ausser den Kindern und +Frauen die meisten Roemer und einzelne Praenestiner entlassen, aber die +roemischen Senatoren, fast alle Praenestiner und saemtliche Samniten +wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche Stadt gepluendert. +Es ist begreiflich, dass nach solchem Vorgang die noch nicht +uebergegangenen Neubuergerstaedte den Widerstand in hartnaeckigster +Weise fortsetzten. So toeteten in der latinischen Stadt Norba, als +Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Buerger sich +untereinander und zuendeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern +die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits +frueher Neapolis erstuermt und, wie es scheint, Capua freiwillig +aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den +Samniten geraeumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch +uebrige namhafte Fuehrer der Italiker, der Insurgentenkonsul des +hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von +seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der +er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tuer des eigenen +Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklaerte +der Diktator, dass Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe, +und dass darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden muesse; +und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen +in schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen +Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen +(674? 80) und die bis dahin bluehende und bevoelkerte Landschaft in die +Einoede umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward +in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstuermt. Laenger wehrten sich in +Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das aus +den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um sich +sammelte und eine zweijaehrige, zuerst von Sulla persoenlich, sodann +von dem gewesenen Praetor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen +Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre +nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen +freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder +Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien ueber Verrat und +steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der roemischen +Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemaess der Kapitulation +abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien +verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen belegt; +unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten langsam +die letzten Zuckungen der revolutionaeren und nationalen Opposition. +----------------------------------------------------- 7 Ein anderer Name +kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in Samnio sich +verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10. +------------------------------------------------------ Noch gab es +in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter der +revolutionaeren Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius Philippus +entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische Gallien leistete +geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, Spanien, Africa +schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei noch keineswegs +verloren. Sizilien regierte fuer sie der zuverlaessige Statthalter +Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen Spanien die +Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien ansaessigen +Roemern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewusst, welche +zunaechst die Pyrenaeenpaesse sperrte; er hatte auch hier wieder +bewiesen, dass, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und +unter all den revolutionaeren Inkapazitaeten er der einzige praktisch +brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da +er das Revolutionieren allzu gruendlich betrieb und den Sklaven die +Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die roemischen Kaufleute +von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung ueberfallen und +mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz +nichtsdestoweniger zu der revolutionaeren Regierung, und Cinnas +Schwiegersohn, der junge faehige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, uebernahm +daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in die +Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren legitime +Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn, hielten +zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den +demokratischen Praetendenten Hiarbas vom Thron gestossen worden, und +aehnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien +gefluechtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria) +zwischen Afrika und Sizilien, unschluessig, wie es scheint, ob er nach +Aegypten sich fluechten oder in einer der treuen Provinzen versuchen +sollte, den Kampf zu erneuern. Sulla sandte nach Spanien den Gaius +Annius und den Gaius Valerius Flaccus, als Statthalter jenen der +jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. Das schwierige Geschaeft, die +Pyrenaeenpaesse mit Gewalt sich zu eroeffnen, ward ihnen dadurch +erspart, dass der von Sertorius dort hingestellte General durch einen +seiner Offiziere ermordet ward und darauf die Truppen desselben sich +verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich im gleichen Kampfe zu +behaupten, raffte eilig die naechststehenden Abteilungen zusammen +und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin, wusste er selbst nicht, +vielleicht an die afrikanische Kueste oder nach den Kanarischen Inseln, +nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche. Spanien unterwarf +hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 81), und Flaccus +focht gluecklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er marschierte, +und mit den spanischen Keltiberern (674 80). Nach Sizilien ward Gnaeus +Pompeius als Propraetor gesandt und die Insel, als Pompeius mit 120 +Segeln und sechs Legionen sich an der Kueste zeigte, von Perpenna ohne +Gegenwehr geraeumt. Pompeius schickte von dort ein Geschwader nach +Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen Offiziere aufhob; +Marcus Brutus und die uebrigen wurden sofort hingerichtet, den Konsul +Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn selbst nach Lilybaeon zu +fuehren, um ihn hier, uneingedenk des in gefaehrlicher Zeit ihm von +ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes, persoenlich dem Henker +zu ueberliefern (672 82). Von hier weiter beordert nach Afrika, +schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas gesammelten, nicht +unbedeutenden Streitkraefte mit seinem allerdings weit zahlreicheren +Heer aus dem Felde und gab, die Begruessung als Imperator vorlaeufig +ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das feindliche Lager. +So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus war unter den +Gefallenen; mit Hilfe des Koenigs Bogud ward Hiarbas in Bulla ergriffen +und getoetet und Hiempsal in sein angestammtes Reich wiedereingesetzt; +eine grosse Razzia gegen die Bewohner der Wueste, von denen eine +Anzahl gaetulischer, von Marius als frei anerkannter Staemme Hiempsal +untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des +roemischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius' Landung +in Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer +aufzuloesen, worin die Andeutung lag, dass er nicht zum Triumph +gelassen werden solle, auf welchen er als ausserordentlicher Beamter +dem Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte +heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die +afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen +Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und liess den jungen +Mann sich beruehmen, der einzige Roemer zu sein, der eher Triumphator +(12. Maerz 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von +diesen bequemen Grosstaten begruesste der "Glueckliche", vielleicht +nicht ohne einige Ironie, den Juengling als den "Grossen". Auch im Osten +hatten nach Sullas Einschiffung im Fruehling 671 (83) die Waffen nicht +geruht. Die Restauration der alten Verhaeltnisse und die Unterwerfung +einzelner Staedte kostete, wie in Italien so auch in Asien, noch manchen +blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene musste Lucius +Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschoepft hatte, endlich +Truppen fuehren, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem +eigensinnigen Widerstand der Buergerschaft kein Ende. Mittlerweile +war der roemische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit dem Koenig +Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich nach +dem Frieden beschaeftigt, seine auch in den noerdlichen Provinzen +erschuetterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier +beruhigt, indem er seinen tuechtigen Sohn Mithradates ihnen zum +Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geraeumt, und +ruestete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die +Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine +Freistatt hatte suchen muessen, dass diese Ruestungen gegen Rom +gerichtet seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, dass Mithradates +noch kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen +nach dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische +Grenze (671 83). Mithradates begnuegte sich, bei Murena und, da dies +vergeblich war, bei der roemischen Regierung Beschwerde zu fuehren. In +der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein +er fuegte sich nicht, sondern ueberschritt den Halys und betrat das +unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloss, Gewalt mit +Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios musste das roemische Heer +festhalten, bis der Koenig mit weit ueberlegenen Streitkraeften herankam +und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit grossem Verlust +bis ueber die roemische Grenze nach Phrygien zurueckgeworfen, die +roemischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte +zwar die Stirn, wegen dieser Vorgaenge sich Sieger zu nennen und den +Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und +eine zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht +weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert +(673 81). Ueber diese toerichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenaeer +verzoegert worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer +Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute +Dienste tat, die Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79). Die zehnjaehrige +Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten zu Ende; der +Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden nach aussen +und innen. Nach den fuerchterlichen Konvulsionen der letzten Jahre war +schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewaehren sollte, +ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewaeltigung des +Landesfeindes, das schwerere der Baendigung der Revolution gelungen +war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren +Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genuegen +vermochte, musste demnaechst sich entscheiden. 10. Kapitel Die +Sullanische Verfassung Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen +Roemern und Roemern geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671 +(83), war der ehrwuerdige Tempel, den die Koenige errichtet, die junge +Freiheit geweiht, die Stuerme eines halben Jahrtausends verschont +hatten, der Tempel des Roemischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen +aufgegangen. Es war kein Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes +der roemischen Verfassung. Auch diese lag in Truemmern und bedurfte +eines neuen Aufbaus. Die Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte +doch viel, dass damit von selber das alte Regiment wieder sich +hergestellt haette. Allerdings meinte die Masse der Aristokratie, dass +jetzt nach dem Tode der beiden revolutionaeren Konsuln es genuegen +werde, die gewoehnliche Ergaenzungswahl zu veranstalten und es dem +Senat zu ueberlassen, was ihm zur Belohnung der siegreichen Armee, zur +Bestrafung der schuldigsten Revolutionaere, etwa auch zur Verhuetung +aehnlicher Ausbrueche weiter erforderlich erscheinen werde. Allein +Sulla, in dessen Haenden der Sieg fuer den Augenblick alle Macht +vereinigt hatte, urteilte richtiger ueber die Verhaeltnisse und die +Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer besten Epoche nicht +hinausgekommen ueber ein halb grossartiges, halb borniertes +Festhalten an den ueberlieferten Formen; wie sollte das schwerfaellige +kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine umfassende +Staatsreform energisch und konsequent durchzufuehren? Und eben jetzt, +nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats weggerafft hatte, +war in demselben die zu einem solchen Beginnen erforderliche Kraft und +Intelligenz weniger als je zu finden. Wie unbrauchbar durchgaengig +das aristokratische Vollblut und wie wenig Sulla ueber dessen +Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die Tatsache, dass mit +Ausnahme des ihm verschwaegerten Quintus Metellus er sich seine +Werkzeuge saemtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den +Ueberlaeufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus, +Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die +Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem +leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff, +wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie haette er sonst +ueberhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser +als seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses +Restaurationswerk unterlag. Als unumgaenglich betrachtete er teils +umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit moeglich war, ohne das +Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines energischen +Repressiv- und Praeventivsystems; und er sah es deutlich, dass der +Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstuemmeln, jeden +systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte Sulla schon +nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in der einen und +der andern Richtung durchgesetzt, was er fuer noetig erachtete, so war +er auch jetzt unter weit schaerferen und gespannteren Verhaeltnissen +entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen +auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie damals Konsul, +sondern bloss mit prokonsularischer, das heisst rein militaerischer +Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer moeglichst nahe an den +verfassungsmaessigen Formen sich haltenden, aber doch ausserordentlichen +Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu oktroyieren. In +einem Schreiben an den Senat eroeffnete er demselben, dass es ihm +unumgaenglich scheine, die Ordnung des Staates in die Haende eines +einzigen, mit unumschraenkter Machtvollkommenheit ausgeruesteten Mannes +zu legen, und dass er sich fuer geeignet halte, diese schwierige Aufgabe +zu erfuellen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war unter +den obwaltenden Umstaenden ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte der +Vormann desselben, der Zwischenkoenig Lucius Valerius Flaccus der Vater, +als interimistischer Inhaber der hoechsten Gewalt bei der Buergerschaft +den Antrag ein, dass dem Prokonsul Lucius Cornelius Sulla fuer die +Vergangenheit die nachtraegliche Billigung aller von ihm als Konsul und +Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, fuer die Zukunft aber das Recht +erteilt werden moege, ueber Leben und Eigentum der Buerger in erster und +letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomaenen nach Gutduenken +zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach Ermessen zu +verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzuloesen oder zu gruenden, +ueber die Provinzen und die abhaengigen Staaten zu verfuegen, das +hoechste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und +Propraetoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze fuer die Zukunft +den Staat zu ordnen; dass es in sein eigenes Ermessen gestellt werden +solle, wann er seine Aufgabe geloest und es an der Zeit erachte, dies +ausserordentliche Amt niederzulegen; dass endlich waehrend desselben +es von seinem Gutfinden abhaengen solle, die ordentliche hoechste +Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht +sich, dass die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und +nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul +die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von +Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen +Kriege tatsaechlich abgeschafften Diktatur; aber sie ausser seinem +bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten +als dem Diktator der aelteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue +"Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens", +wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes +ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschraenkte, die Provokation +an die Buergerschaft nicht ausschliessende und die ordentliche +Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem +der "Zehnmaenner zur Abfassung von Gesetzen", die gleichfalls als +ausserordentliche Regierung mit unbeschraenkter Machtvollkommenheit +unter Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und +tatsaechlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes +verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem +Volksbeschluss ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialitaet +eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Koenigtum, +das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Buergerschaft, +einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von +Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, dass ein +Koenig besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich +ward auch der Diktatortitel nur gewaehlt um anzudeuten, dass, wie +die ehemalige Diktatur eine vielfach beschraenkte, so diese neue eine +vollstaendige Wiederaufnahme der koeniglichen Gewalt in sich enthalte. +So fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den +in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier +musste die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr +der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig +andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem +letzten Siege der Oligarchie. ---------------------------------------- +^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22). +---------------------------------------- Sulla hatte die schwierige +und grauenvolle Arbeit des Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht +gewuenscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie gaenzlich +unfaehigen Haenden zu ueberlassen oder sie selber zu uebernehmen, griff +er sie an mit ruecksichtsloser Energie. Vor allen Dingen musste eine +Feststellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war +an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, +konnte er wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hueten, der sein +Auge flammen und seine Wangen sich faerben sah; aber die chronische +Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen +war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloss nach der +Revolution von 666 (88) war er mit verhaeltnismaessig grosser Milde +aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel veruebt und ihn +persoenlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem +Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Koerper +seiner Freunde durch die Strassen der Hauptstadt schleifte, hatte er +dem blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser +freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anstaendig zu +bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten, +zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen +kam, war zurueckgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er +in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war +es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloss abgebrochen, sondern +nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten +abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung +der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun +war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklaerte Sulla unmittelbar +nach Uebernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei +saemtliche Zivil- und Militaerbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung +zufolge rechtsbestaendig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch fuer +die Revolution taetig gewesen waeren, und von den uebrigen Buergern +diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan haetten. +Wer einen dieser Vogelfreien toetete, war nicht bloss straffrei wie der +Henker, der ordnungsmaessig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt +auch fuer die Hinrichtung eine Verguetung von 12000 Denaren (3600 +Taelern); jeder dagegen, der eines Geaechteten sich annahm, selbst der +naechste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermoegen der +Geaechteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und +Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch +aber, insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die +senatorischen Lasten fuer ihren Teil zu uebernehmen. Die letzten +Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Gueter und die Nachkommen +derjenigen, die im Kampfe fuer die Revolution gefallen waren; was noch +hinausging selbst ueber die im aeltesten Recht gegen solche, die die +Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das +Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der +aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward +und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, dass er die Namen der +Geaechteten oeffentlich anschlagen liess und als letzten Termin fuer den +Schluss der Aechtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr +diese taeglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende +Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Buerger war, so war doch damit +der reinen Schergenwillkuer in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht +der persoenliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel; +sein grimmiger Hass richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber +der scheusslichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen +Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen und +die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmaeler seiner Siege +ueber Afrikaner und Deutsche umgestuerzt und, da ihn selbst sowie seinen +Sohn der Tod seiner Rache entrueckt hatte, sein Adoptivneffe Marcus +Marius Gratidianus, der zweimal Praetor gewesen und bei der roemischen +Buergerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des bejammernswertesten der +Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter den grausamsten Martern +hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon die namhaftesten der Gegner +hingerafft; von den Fuehrern waren nur noch uebrig Gaius Norbanus, der +in Rhodos Hand an sich selbst legte, waehrend die Ekklesia ueber seine +Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine Bedeutungslosigkeit und +wohl auch seine vornehme Geburt Schonung verschafften und die Erlaubnis, +in seiner Zufluchtsstaette Massalia seine Tage in Ruhe beschliessen zu +duerfen; und Quintus Sertorius, der landfluechtig an der mauretanischen +Kueste umherirrte. Aber dennoch haeuften sich am Servilischen Bassin, da +wo die Jugarische Gasse in den Marktplatz einmuendete, die Haeupter der +getoeteten Senatoren, welche hier oeffentlich auszustellen der Diktator +befohlen hatte, und vor allem unter den Maennern zweiten und dritten +Ranges hielt der Tod eine furchtbare Ernte. Ausser denen, die fuer +Ehre Dienste in der oder fuer die revolutionaere Armee ohne viele Wahl, +zuweilen wegen eines einem der Offiziere derselben gemachten Vorschusses +oder wegen der mit einem solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die +Liste eingetragen wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die ueber +die Senatoren zu Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen +spekuliert hatten, "die Einsaeckler", die Vergeltung; etwa +sechzehnhundert der sogenannten Ritter 3 waren auf der Aechtungsliste +verzeichnet. Ebenso buessten die gewerbsmaessigen Anklaeger, die +schwerste Geissel der Vornehmen, die sich ein Geschaeft daraus machten, +die Maenner senatorischen Standes vor die Rittergerichte zu ziehen - +"Wie geht es nur zu", fragte bald darauf ein Sachwalter, "dass sie uns +die Gerichtsbaenke gelassen haben, da sie doch Anklaeger und Richter +totschlugen?" Die wildesten und schaendlichsten Leidenschaften rasten +viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. In der Hauptstadt war +es ein Keltentrupp, dem zunaechst die Exekutionen aufgetragen wurden, +und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere durchzogen zu gleichem Zweck +die verschiedenen Distrikte Italiens; aber auch jeder Freiwillige war +ja willkommen, und vornehmes und niederes Gesindel draengte sich herbei, +nicht bloss, um die Mordpraemie zu verdienen, sondern auch, um unter dem +Deckmantel der politischen Verfolgung die eigene Rachsucht oder +Habsucht zu befriedigen. Es kam wohl vor, dass der Eintragung in die +Aechtungsliste die Ermordung nicht nachfolgte, sondern voranging. Ein +Beispiel zeigt, in welcher Art diese Exekutionen erfolgten. In Larinum, +einer marianisch gesinnten Neubuergerstadt, trat ein gewisser Statius +Albius Oppianicus, der um einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in +das Sullanische Hauptquartier entwichen war, nach dem Sieg auf als +Kommissarius des Regenten, setzte die Stadtobrigkeit ab und sich und +seine Freunde an deren Stelle und liess den, der ihn mit der Anklage +bedroht hatte, nebst dessen naechsten Verwandten und Freunden aechten +und toeten. So fielen unzaehlige, darunter nicht wenige entschiedene +Anhaenger der Oligarchie, als Opfer der Privatfeindschaft oder ihres +Reichtums; die fuerchterliche Verwirrung und die straefliche Nachsicht, +die Sulla wie ueberall so auch hier gegen die ihm naeher Stehenden +bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der hierbei +mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen. +------------------------------------------------- 2 Diese Gesamtzahl +gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, 9.5) wurden von +Sulla geaechtet gegen 40 Senatoren, wozu nachtraeglich noch einige +hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus Aug. civ. +3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) wurden in den +ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den ersten Tagen +580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist +ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils nicht bloss +Senatoren und Ritter getoetet wurden, teils die Liste monatelang +offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1, 103) als +von Sulla getoetet oder verbannt auffuehrt fuenfzehn Konsulare, 90 +Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt, +die Opfer des Buergerkriegs ueberhaupt und die Opfer Sullas verwechselt. +Die fuenfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 (102), Marcus +Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus Scaevola 659 (95), +Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), Quintus Rufus 666 +(88), Lucius Cinna 667-670 (87- 84), Gnaeus Octavius 667 (87), Lucius +Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo 669, 670, 672 +(85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 (83), Gaius +Marius 672 (82), von denen vierzehn getoetet, einer, Lucius Scipio, +verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop (5, 9) +und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Buergerkrieg weggerafft +(consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Praetorier, sechs Aedilizier, +200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege gefallenen +Maenner mitgezaehlt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul 655 (99), +Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato 665 (89), +teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius Aquillius, Gaius +Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls auch als Opfer +dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Maenner, deren Schicksal uns +nicht bekannt ist. Von den vierzehn getoeteten Konsularen sind +drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militaerrevolten, dagegen acht +Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei +gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als +Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40 +Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz +willkuerlichen Massstab zur Abschaetzung des Umfangs der beiderseitigen +Frevel. 3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede fuer +Publius Quinctius oefter genannte Senator Sextus Alfenus. +---------------------------------------------------------- In aehnlicher +Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus politischen +Ruecksichten dahin, dass die angesehenen Buerger sich bei dessen +Ersteigerung beteiligten; ein grosser Teil draengte uebrigens freiwillig +sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. Unter den +obwaltenden Umstaenden war die aergste Schleuderwirtschaft nicht zu +vermeiden, die uebrigens zum Teil schon aus der roemischen Weise folgte, +die vom Staat eingezogenen Vermoegen gegen eine Pauschalsumme zur +Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, dass der Regent teils sich +selbst nicht vergass, teils besonders seine Gemahlin Metella und andere +ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst Freigelassene +und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen liess, bald ihnen den +Kaufschilling ganz oder teilweise erliess - so soll zum Beispiel einer +seiner Freigelassenen ein Vermoegen von 6 Millionen (457000 Talern) +fuer 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und einer seiner +Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem Vermoegen von 10 +Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der Unwille war gross und +gerecht; schon waehrend Sollas Regentschaft fragte ein Advokat, ob der +Adel den Buergerkrieg nur gefuehrt habe, um seine Freigelassenen und +Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser Schleuderei indes +betrug der Gesamterloes aus den konfiszierten Guetern nicht weniger +als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem ungeheuren Umfang +dieser hauptsaechlich auf den reichsten Teil der Buergerschaft fallenden +Einziehungen einen ungefaehren Begriff gibt. Es war durchaus ein +fuerchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozess, keine Begnadigung +mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem Lande, und das +freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der Landstadt verstummt. +Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl einen anderen Stempel als +das revolutionaere; wenn Marius seine persoenliche Rachsucht im Blute +seiner Feinde geloescht hatte, so schien Sulla den Terrorismus man +moechte sagen abstrakt als zur Einfuehrung der neuen Gewaltherrschaft +notwendig zu erachten und die Metzelei fast gleichgueltig zu betreiben +oder betreiben zu lassen. Aber nur um so entsetzlicher erschien das +Schreckensregiment, indem es von der konservativen Seite her und +gewissermassen ohne Leidenschaft auftrat; nur um so unrettbarer schien +das Gemeinwesen verloren, indem der Wahnsinn und der Frevel auf beiden +Seiten im Gleichgewicht standen. In der Ordnung der Verhaeltnisse +Italiens und der Hauptstadt hielt Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen +alle waehrend der Revolution vorgenommenen, nicht bloss die laufenden +Geschaefte erledigenden Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch +fest an dem von ihr aufgestellten Grundsatz, dass jeder Buerger einer +italischen Gemeinde damit von selbst auch Buerger von Rom sei; die +Unterschiede zwischen Buergern und italischen Bundesgenossen, zwischen +Altbuergern besseren und Neubuergern beschraenkteren Rechts waren +und blieben beseitigt. Nur den Freigelassenen ward das unbeschraenkte +Stimmrecht abermals entzogen und fuer sie das alte Verhaeltnis +wiederhergestellt. Den aristokratischen Ultras mochte dies als eine +grosse Konzession erscheinen; Sulla sah, dass den revolutionaeren +Fuehrern jene maechtigen Hebel notwendig aus der Hand gewunden werden +mussten und dass die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung +der Zahl der Buerger nicht wesentlich gefaehrdet ward. Aber mit dieser +Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das haerteste Gericht ueber die +einzelnen Gemeinden in saemtlichen Landschaften Italiens, ausgefuehrt +durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die ganze +Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Staedte wurden belohnt, wie +zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen hatte, +Brundisium, jetzt die fuer diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit +erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden Geldbussen, +Niederreissung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; den +hartnaeckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer +Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich +allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als +Buergergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen, +oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit +Rom Krieg gefuehrt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem +Besitz gesetzten Buergern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich +das roemische Buergerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste +latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen +Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu +gewaehren; die heimatlosen Expropriierten mussten bald in der Masse des +Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloss, wie sich +von selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die +Domaene an den Staat zurueckgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um +diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen. +In Latium wurde die gesamte Mark der grossen und reichen Stadt Praeneste +und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von +Spoletium. Sulmo in der paelignischen Landschaft ward sogar geschleift. +Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden +Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am Collinischen +Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien und Samnium. +Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der ansehnlichsten Kommunen, +zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium, Volaterrae. Von Samniums +Schicksal ward schon gesprochen; hier ward nicht konfisziert, sondern +das Land fuer immer verwuestet, seine bluehenden Staedte, selbst die +ehemalige latinische Kolonie Aesernia, oede gelegt und die +Landschaft der bruttischen und lucanischen gleichgestellt. +--------------------------------------------- 4 Es kam hierbei noch +die eigentuemliche Erschwerung hinzu, dass das latinische Recht sonst +regelmaessig, ebenwie das peregrinische, die Mitgliedschaft in einer +bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloss, +hier aber - aehnlich wie bei den spaeteren Freigelassenen latinischen +und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) - ohne ein solches eigenes +Stadtrecht auftrat. Die Folge war, dass diese Latiner die an die +Stadtverfassung geknuepften Privilegien entbehrten, genau genommen auch +nicht testieren konnten, da niemand anders ein Testament errichten kann +als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus roemischen +Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich wie mit Roemern +oder Latinern in den Formen des roemischen Rechts verkehren. +----------------------------------------------- Diese Anordnungen +ueber das italische Bodeneigentum stellten teils diejenigen roemischen +Domaniallaendereien, welche den ehemaligen Bundesgenossengemeinden zur +Nutzniessung uebertragen waren und jetzt mit deren Aufloesung an die +roemische Regierung zurueckfielen, teils die eingezogenen Feldmarken der +straffaelligen Gemeinden zur Verfuegung des Regenten; und er benutzte +sie, um darauf die Soldaten der siegreichen Armee ansaessig zu machen. +Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen nach Etrurien, zum Beispiel +nach Faesulae und Arretium, andere nach Latium und Kampanien, wo unter +andern Praeneste und Pompeii Sullanische Kolonien wurden. Samnium +wiederzubevoelkern lag, wie gesagt, nicht in der Absicht des Regenten. +Ein grosser Teil dieser Assignationen erfolgte in gracchanischer Weise, +so dass die Angesiedelten zu einer schon bestehenden Stadtgemeinde +hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung war, zeigt die Zahl der +verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben wird; wobei dennoch +einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, wie zum Beispiel der +Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Laendereien beschenkt ward, andere, +wie die volaterranische Mark und ein Teil der arretinischen, unverteilt +blieben, andere endlich nach dem alten, gesetzlich untersagten, aber +jetzt wiederauftauchenden Missbrauch von Sullas Guenstlingen nach +Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die Zwecke, die Sulla bei dieser +Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher Art. Zunaechst loeste er +damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner nahm er damit den +Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die gemaessigten Konservativen +zusammentrafen und demgemaess er selbst schon im Jahre 666 (88) die +Gruendung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: die Zahl der +ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung groesserer +Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie ernstlich ihm +hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des Zusammenschlagens der +Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen angesiedelten Soldaten +gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem Eigentumsrecht zugleich +seine neue Verfassung schirmen wuerden; weshalb auch, wo nicht die ganze +Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in Pompeii, die Kolonisten nicht +mit der Stadtgemeinde verschmolzen, sondern die Altbuerger und die +Kolonisten als zwei in demselben Mauerring vereinigte Buergerschaften +konstituiert wurden. Diese Kolonialgruendungen ruhten wohl auch wie die +aelteren auf Volksschluss, aber doch nur mittelbar, insofern sie der +Regent auf Grund der desfaelligen Klausel des Valerischen +Gesetzes konstituierte; der Sache nach gingen sie hervor aus der +Machtvollkommenheit des Herrschers und erinnerten insofern an das +freie Schalten der ehemaligen koeniglichen Gewalt ueber das Staatsgut. +Insofern aber, als der Gegensatz des Soldaten und des Buergers, der +sonst eben durch die Deduktion der Soldaten aufgehoben ward, bei den +Sullanischen Kolonien noch nach ihrer Ausfuehrung lebendig bleiben +sollte und blieb, und als diese Kolonisten gleichsam das stehende Heer +des Senats bildeten, werden sie nicht unrichtig im Gegensatz gegen +die aelteren als Militaerkolonien bezeichnet. Dieser faktischen +Konstituierung einer stehenden Armee des Senats verwandt ist die +Massregel des Regenten, aus den Sklaven der Geaechteten ueber 10000 +der juengsten und kraeftigsten Maenner auszuwaehlen und insgesamt +freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren buergerliche Existenz an +die Rechtsbestaendigkeit der Institutionen ihres Patrons geknuepft war, +sollten eine Art von Leibwache fuer die Oligarchie sein und ihr den +staedtischen Poebel beherrschen helfen, auf den nun einmal in +der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam. Diese +ausserordentlichen Stuetzen, auf die zunaechst der Regent die Oligarchie +lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber erscheinen +mochten, waren doch die einzig moeglichen, wenn man nicht zu Mitteln +greifen wollte, wie die foermliche Aufstellung eines stehendes Heeres in +Rom und dergleichen Massregeln mehr, die der Oligarchie noch weit eher +ein Ende gemacht haben wuerden als ,die demagogischen Angriffe. Das +dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der Oligarchie +musste natuerlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und so +konzentrierten Gewalt, dass er an jedem einzelnen Angriffspunkt den +nichtorganisierten Gegnern ueberlegen gegenueberstand. Das vierzig Jahre +hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische +Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666, +ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die +Regierung dem hauptstaedtischen Proletariat gleichsam das Recht +der Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmaessige +Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Buerger; +Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten +und Zoelle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den +Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der +Mittelsmaenner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der +Asiaten in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der +Rueckstaende entworfenen Schaetzungslisten auf die einzelnen +Bezirke umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Uebergabe der +Geschworenenposten an die Maenner vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand +eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten +sich staerker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla +schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder her. +Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern +einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeraeumt, wie ihn schon seit +laengerer Zeit die Senatoren besassen; Sulla hob ihn auf und wies die +Ritter zurueck auf die Plebejerbaenke 6. Der Ritterstand, als solcher +durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch +Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die +hoechste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten ueberkommen +und auch aeusserlich nicht bloss als privilegierter, sondern als +einzig privilegierter Stand auftreten. +------------------------------------------------ 5 Dass Sullas Umlage +der rueckstaendigen fuenf Jahresziele und der Kriegskosten auf die +Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch fuer die Zukunft +massgebend war, zeigt schon die Zurueckfuehrung der Einteilung Asias in +vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) und die Zugrundelegung +der sullanischen Repartition bei spaeteren Ausschreibungen (Cic. Flacc. +14, 32), ferner, dass bei dem Flottenbau 672 (81) die hierzu verwandten +Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali populo Romano) +gekuerzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad +Q. fr. 1, 11, 33), dass die Griechen "nicht imstande waren, von sich aus +den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpaechter". 6 +Ueberliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen +ward, welches die Erneuerung des aelteren Privilegs durch das Roscische +Theatergesetz 687 (67) noetig machte (Friedlaender in Becker, Handbuch, +Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber +dieses Gesetzes unzweifelhaft Sulla. +---------------------------------------------- Vor allem musste zu +diesem Ende die Regierungsbehoerde ergaenzt und selber unabhaengig +gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der Senatoren +furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die +Rittergerichte Verbannten jetzt die Rueckkehr frei, wie dem Konsular +Publius Rutilius Rufus, der uebrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch +machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies +ein geringer Ersatz fuer die Luecken, die der revolutionaere wie der +reaktionaere Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte. +Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat ausserordentlicherweise +ergaenzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung +aus den Maennern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie, +wie begreiflich, vorzugsweise teils aus den juengeren Maennern der +senatorischen Haeuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen, +durch die letzte Umwaelzung Emporgekommenen auslas. Aber auch fuer die +Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich +andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in +den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche +und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei +kurulischen Aemter: des Konsulats, der Praetur oder der Aedilitaet, an +welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im +Senat geknuepft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats +oder der Quaestur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im +Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Maenner +sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen +beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens +tatsaechliche Beseitigung der Zensur und aenderte den zweiten dahin ab, +dass der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Aedilitaet +an die Quaestur geknuepft und zugleich die Zahl der jaehrlich zu +ernennenden Quaestoren auf zwanzig 7 erhoeht ward. Die bisher den +Zensoren rechtlich zustehende, obwohl tatsaechlich laengst nicht mehr +in ihrem urspruenglichen ernstlichen Sinn geuebte Befugnis, bei den +von fuenf zu fuenf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter +Angabe von Gruenden von der Liste zu streichen, fiel fuer die Zukunft +ebenfalls fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren +ward also von Sulla schliesslich festgestellt. Die Gesamtzahl der +Senatoren, die bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht +viel ueberstiegen und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch +betraechtlich, vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhoeht, 8 +was auch schon die durch die Uebertragung der Geschworenenfunktionen +stark vermehrten Geschaefte des Senats notwendig machten. Indem ferner +sowohl die ausserordentlich eintretenden Senatoren als die Quaestoren +ernannt wurden von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf +den Wahlen des Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl +gegruendet, derselbe also einem repraesentativen Regiment so weit +genaehert, als dies mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des +Altertums ueberhaupt sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten +bestimmten Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten +befehlende und selbstregierende Behoerde geworden; es war hiervon nur +eine konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten urspruenglich +zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben +entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt wurde, +auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante Befugnis +der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutduenken Namen +zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit +einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die +Quaestorenwahl fuer eine genuegende regelmaessige Ergaenzung gesorgt +ward, wurden die zensorischen Revisionen ueberfluessig und durch +deren Wegfall das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die +Inamovibilitaet und Lebenslaenglichkeit der zu Sitz und Stimme +gelangten Glieder des Herrenstandes, endgueltig konsolidiert. +------------------------------------------------ 7 Wieviele Quaestoren +bis dahin jaehrlich gewaehlt wurden, ist nicht bekannt. Im Jahre 487 +(267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei staedtische, zwei Militaer- +und vier Flottenquaestoren; wozu dann die in den Aemtern beschaeftigten +Quaestoren hinzugetreten sind. Denn die Flottenquaesturen in +Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein, und auch die +Militaerquaestoren konnten nicht anderweitig verwendet werden, da sonst +der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne Quaestor gewesen sein +wuerde. Da es nun bis auf Sulla neun Aemter gab, ueberdies nach Sizilien +zwei Quaestoren gingen, so koennte er moeglicherweise schon achtzehn +Quaestoren vorgefunden haben. Wie indes auch die Zahl der Oberbeamten +dieser Zeit betraechtlich geringer als die ihrer Kompetenzen gewesen +und hier stets durch Fristerstreckung und andere Aushilfen Rat geschafft +worden ist, ueberhaupt die Tendenz der roemischen Regierung darauf ging, +die Zahl der Beamten moeglichst zu beschraenken, so mag es auch mehr +quaestorische Kompetenzen gegeben haben als Quaestoren, und es kann +selbst sein, dass in kleine Provinzen, wie zum Beispiel Kilikien, in +dieser Zeit gar kein Quaestor ging. Aber sicher hat es doch schon vor +Sulla mehr als acht Quaestoren gegeben. 8 Von einer festen Zahl der +Senatoren kann genau genommen ueberhaupt nicht die Rede sein. Wenn auch +die Zensoren vor Sulla jedesmal eine Liste von 300 Koepfen anfertigten, +so traten doch zu dieser immer noch diejenigen Nichtsenatoren hinzu, +die nach Abfassung der Liste bis zur Aufstellung der naechsten ein +kurulisches Amt bekleideten; und nach Sulla gab es so viele Senatoren, +als gerade Quaestorier am Leben waren. Wohl aber ist anzunehmen, dass +Sulla den Senat auf ungefaehr 500 bis 600 Koepfe zu bringen bedacht +war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jaehrlich 20 neue Mitglieder von +durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die durchschnittliche Dauer +der senatorischen Wuerde auf 25 bis 30 Jahre ansetzt. In einer stark +besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit waren 417 Mitglieder +anwesend. ------------------------------------------------- Hinsichtlich +der Gesetzgebung begnuegte sich Sulla, die im Jahre 666 (88) getroffenen +Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische Initiative, wie +sie laengst tatsaechlich dem Senat zustand, wenigstens den Tribunen +gegenueber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Buergerschaft blieb der +formelle Souveraen; allein was ihre Urversammlungen anlangt, so schien +es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfaeltig zu konservieren, +aber jede wirkliche Taetigkeit derselben noch sorgfaeltiger zu +verhueten. Sogar mit dem Buergerrecht selbst ging Sulla in der +geringschaetzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den +Neubuergergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse +damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht, +schlechterdings gar nichts fuer die Feststellung der Buergerliste, die +doch nach so gewaltigen Umwaelzungen einer Revision dringend bedurfte, +wenn es ueberhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knuepfenden +Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschraenkt wurde die +legislatorische Kompetenz der Komitien uebrigens nicht; es war auch +nicht noetig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats +das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die +Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen +konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder +zurueckgefuehrt ward auf das Recht, zu Aenderungen der Verfassung ja zu +sagen. Wichtiger war die Beteiligung der Buergerschaft bei den Wahlen, +deren man nun einmal nicht entbehren zu koennen schien, ohne mehr +aufzuruetteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration +aufruetteln konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die +Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloss das Domitische Gesetz von +650 (104), das die Wahlen zu den hoechsten Priesteraemtern ueberhaupt +dem Volke uebertrug, sondern auch die aelteren gleichartigen +Verfuegungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von +Sulla kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergaenzung +in seiner urspruenglichen Unbeschraenktheit zurueckgegeben. Hinsichtlich +der Wahlen zu den Staatsaemtern aber blieb es im ganzen bei der +bisherigen Weise; ausser insofern die sogleich zu erwaehnende neue +Regulierung des militaerischen Kommandos allerdings folgeweise eine +wesentliche Beschraenkung der Buergerschaft in sich schloss, ja +gewissermassen das Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der +Buergerschaft auf den Senat uebertrug. Es scheint nicht einmal, dass +Sulla die frueher versuchte Restauration der Servianischen Stimmordnung +jetzt wiederaufnahm, sei es nun, dass er es ueberhaupt als gleichgueltig +betrachtete, ob die Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, +sei es, dass diese aeltere Ordnung ihm den gefaehrlichen Einfluss +der Kapitalisten zu steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden +wiederhergestellt und teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines +jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschaerft; +ebenso die Bestimmung, dass jeder Bewerber um das Konsulat vorher die +Praetur, jeder Bewerber um die Praetur vorher die Quaestur bekleidet +haben muesse, wogegen es gestattet war, die Aedilitaet zu uebergehen. +Mit besonderer Strenge wurde, in Hinblick auf die juengst mehrfach +vorgenommenen Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch +fortgesetzten Konsulats die Tyrannis zu begruenden, gegen diesen +Missbrauch eingeschritten und verfuegt, dass zwischen der Bekleidung +zweier ungleicher Aemter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen +Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfliessen sollten; +mit welcher letzteren Bestimmung, anstatt der in der juengsten +ultraoligarchischen Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder +Wiederwahl zum Konsulat, wieder die aeltere Ordnung vom Jahre 412 (342) +aufgenommen ward. Im ganzen aber liess Sulla den Wahlen ihren Lauf und +suchte nur die Beamtengewalt in der Art zu fesseln, dass, wen auch immer +die unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewaehlte +ausserstande sein wuerde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen. Die +hoechsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsaechlich die drei +Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Praetoren und der Zensoren. +Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit wesentlich +geschmaelerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische Amt, das +dem Regenten erschien als ein zwar auch fuer das Senatsregiment +unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und +stets geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger +und dauernder Fesselung beduerftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die +Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den +Kontravenienten eventuell zu braechen und dessen weitere Bestrafung zu +veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den +Tribunen auch jetzt, nur dass auf den Missbrauch des Interzessionsrechts +eine schwere, die buergerliche Existenz regelmaessig vernichtende +Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem +Volke nach Gutduenken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen, +insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen, +teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen, durch +den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewaelzt hatten; +sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgaengig bei dem +Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhaengig gemacht 9. Endlich wurde +hinzugefuegt, dass die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur +Uebernahme eines hoeheren Amtes unfaehig machen solle - eine Bestimmung, +die wie so manches andere in Sullas Restauration wieder auf die +altpatrizischen Satzungen zurueckkam und, ganz wie in den Zeiten vor der +Zulassung der Plebejer zu den buergerlichen Aemtern, das Tribunat +einer- und die kurulischen Aemter andererseits miteinander unvereinbar +erklaerte. Auf diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie, +der tribunizischen Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und +aufstrebenden Maenner von dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe +festzuhalten als Werkzeug des Senats, sowohl zur Vermittlung +zwischen diesem und der Buergerschaft, als auch vorkommendenfalls zur +Niederhaltung der Magistratur; und wie die Herrschaft des Koenigs +und spaeter der republikanischen Beamten ueber die Buergerschaft kaum +irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satze, dass ausschliesslich +sie das Recht haben, oeffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die +jetzt zuerst rechtlich festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am +bestimmtesten in dieser von dem Vormann des Volkes fuer jede +Verhandlung mit demselben vom Senat zu erbittenden Erlaubnis. +--------------------------------------------- 9 Darauf gehen die Worte +des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 Dietsch): populus Romanus +exutus ... iure agitandi, auf die Tacitus (ann. 3, 27) anspielt: statim +turbidis Lepidi rogationibus neque multo post tribunis reddita licentia +quoquo vellent populum agitandi. Dass die Tribune nicht ueberhaupt das +Recht verloren, mit dem Volke zu verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. +leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de Thermensibus, welches aber auch in der +Eingangsformel sich bezeichnet als de senatus sententia erlassen. Dass +die Konsuln dagegen auch nach der Sullanischen Ordnung ohne vorgaengigen +Senatsbeschluss Antraege an das Volk bringen konnten, beweist nicht +bloss das Stillschweigen der Quellen, sondern auch der Verlauf der +Revolutionen von 667 (87) und 676 (78), deren Fuehrer eben aus diesem +Grunde nicht Tribune, sondern Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch +in dieser Zeit konsularische Gesetze ueber administrative Nebenfragen, +wie zum Beispiel das Getreidegesetz von 681 (73), fuer die zu +andern Zeiten sicher Plebiszite eingetreten sein wuerden. +------------------------------------------- Auch Konsulat und Praetur, +obwohl sie von dem aristokratischen Regenerator Roms mit guenstigeren +Augen betrachtet wurden als das an sich verdaechtige Tribunat, entgingen +doch keineswegs dem Misstrauen gegen das eigene Werkzeug, welches +durchaus die Oligarchie bezeichnet. Sie wurden in schonenderen Formen, +aber in sehr fuehlbarer Weise beschraenkt. Sulla knuepfte hier an +die Geschaeftsteilung an. Zu Anfang dieser Periode bestand dafuer die +folgende Ordnung. Den beiden Konsuln lag immer noch, wie ehemals der +Inbegriff der Geschaefte des hoechsten Amtes ueberhaupt, so jetzt +derjenige Inbegriff der hoechsten Amtsgeschaefte ob, fuer welchen nicht +gesetzlich besondere Kompetenzen festgestellt waren. Dies letztere war +der Fall mit dem hauptstaedtischen Gerichtswesen, womit die Konsuln sich +nach einer unverbruechlich festgehaltenen Regel nicht befassen durften, +und mit den damals bestehenden ueberseeischen Aemtern: Sizilien, +Sardinien und den beiden Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar +fuehren konnte, aber nur ausnahmsweise fuehrte. Im ordentlichen Lauf +der Dinge wurden demnach sechs Spezialkompetenzen, die beiden +hauptstaedtischen Gerichtsvorstandschaften und die vier ueberseeischen +Aemter unter die sechs Praetoren vergeben, woneben den beiden Konsuln +kraft ihrer Generalkompetenz die Leitung der hauptstaedtischen +nichtgerichtlichen Geschaefte und das militaerische Kommando in den +festlaendischen Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also +doppelt besetzt war, blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfuegung +der Regierung, und fuer gewoehnliche Zeiten kam man demnach mit jenen +acht hoechsten Jahresbeamten vollstaendig, ja reichlich aus. Fuer +ausserordentliche Faelle blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht +militaerischen Kompetenzen zu kumulieren, teils die militaerischen +ueber die Endfrist hinaus fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht +ungewoehnlich, die beiden Gerichtsvorstandschaften demselben Praetor +zu uebertragen und die regelmaessig von den Konsuln zu beschaffenden +hauptstaedtischen Geschaefte durch den Stadtpraetor versehen zu lassen; +wogegen es verstaendigerweise moeglichst vermieden ward, mehrere +Kommandos in derselben Hand zu vereinigen. Hier half vielmehr die Regel +aus, dass im militaerischen Imperium es kein Interregnum gab, +also dasselbe, obwohl gesetzlich befristet, doch nach Eintritt des +Endtermines von Rechts wegen noch so lange fortdauerte, bis der +Nachfolger erschien und dem Vorgaenger das Kommando abnahm, oder, was +dasselbe ist, dass der kommandierende Konsul oder Praetor nach Ablauf +seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht erschien, an Konsuls oder +Praetors Statt weiter fungieren konnte und musste. Der Einfluss +des Senats auf diese Geschaeftsverteilung bestand darin, dass es +observanzmaessig von ihm abhing, entweder die Regel walten, also die +sechs Praetoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich verlosen und die +Konsuln die festlaendischen, nichtgerichtlichen Geschaefte besorgen zu +lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben anzuordnen, etwa dem +Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges ueberseeisches Kommando +zuzuweisen oder eine ausserordentliche militaerische und gerichtliche +Kommission, zum Beispiel das Flottenkommando oder eine wichtige +Kriminaluntersuchung, unter die zur Verteilung kommenden Kompetenzen +aufzunehmen und die dadurch weiter noetig werdenden Kumulationen und +Fristerstreckungen zu veranlassen - wobei uebrigens lediglich die +Absteckung der jedesmaligen konsularischen und respektiv praetorischen +Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der fuer das einzelne Amt +eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere vielmehr +durchgaengig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten oder durch +das Los erfolgte. Die Buergerschaft war in der aelteren Zeit wohl +veranlasst worden, die in dem Unterlassen der Abloesung enthaltene +tatsaechliche Verlaengerung des Kommandos durch besonderen +Gemeindebeschluss zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, +als dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff +die Buergerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten +Jahrhunderts traten nun allmaehlich zu den bestehenden +sechs Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fuenf neuen +Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien +und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen +Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der +roemischen Regierung trat ueberdies immer haeufiger der Fall ein, +dass die Oberbeamten fuer ausserordentliche militaerische oder +prozessualische Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde +die Zahl der ordentlichen hoechsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es +kamen also auf acht jaehrlich zu ernennende Beamte, von allem andern +abgesehen, mindestens zwoelf jaehrlich zu besetzende Spezialkompetenzen. +Natuerlich war es nicht Zufall, dass man dies Defizit nicht durch +Kreierung neuer Praetorenstellen ein fuer allemal deckte. Dem Buchstaben +der Verfassung gemaess sollten die saemtlichen hoechsten Beamten Jahr +fuer Jahr von der Buergerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung +oder vielmehr Unordnung, derzufolge die entstehenden Luecken wesentlich +durch Fristerstreckung ausgefuellt wurden und den gesetzlich ein Jahr +fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt, +nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die +wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die +Buergerschaft, sondern aus einer durch die Buergerschaftswahlen +gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Ueblich ward es dabei, da unter +diesen Stellen die ueberseeischen Kommandos als die eintraeglichsten vor +allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich +oder doch tatsaechlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden +Vorstehern der staedtischen Gerichtsbarkeit und haeufig auch den +Konsuln, nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein ueberseeisches Kommando zu +uebertragen, was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die +Amtsgewalt des in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten +wohl anders bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine +qualitativ andere war. Diese Verhaeltnisse fand Sulla vor und sie lagen +seiner neuen Ordnung zu Grunde. Der Grundgedanke derselben war die +vollstaendige Scheidung der politischen Gewalt, welche in den Buerger-, +und der militaerischen, welche in den Nichtbuergerdistrikten regierte, +und die durchgaengige Erstreckung der Dauer des hoechsten Amtes von +einem Jahr auf zwei, von denen das erstere den buergerlichen, das +zweite den militaerischen Geschaeften gewidmet ward. Raeumlich waren die +buergerliche und die militaerische Gewalt allerdings laengst schon durch +die Verfassung geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese +begann; allein immer noch hielt derselbe Mann die hoechste politische +und die hoechste militaerische Macht in seiner Hand vereinigt. Kuenftig +sollte der Konsul und Praetor mit Rat und Buergerschaft verhandeln, +der Prokonsul und Propraetor die Armee kommandieren, jenem aber +jede militaerische, diesem jede politische Taetigkeit gesetzlich +abgeschnitten sein. Dies fuehrte zunaechst zu der politischen Trennung +der norditalischen Landschaft von dem eigentlichen Italien. Bisher +hatten dieselben wohl in einem nationalen Gegensatz gestanden, insofern +Norditalien vorwiegend von Ligurern und Kelten, Mittel- und Sueditalien +von Italikern bewohnt ward; allein politisch und administrativ stand das +gesamte festlaendische Gebiet des roemischen Staates von der Meerenge +bis an die Alpen mit Einschluss der illyrischen Besitzungen, Buerger-, +latinische und Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen +Laufe der Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden +hoechsten Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgruendungen sich durch +dies ganze Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche +Italien, dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als +ein jetzt ohne Ausnahme von roemischen Buergern bewohntes Gebiet, +den ordentlichen roemischen Obrigkeiten untergeben und dass in diesem +Sprengel regelmaessig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer +der Fundamentalsaetze des roemischen Staatsrechts; das Keltenland +diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der bestaendig fortwaehrenden +Einfaelle der Alpenvoelker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden +konnte, wurde nach dem Muster der aelteren ueberseeischen Kommandos als +eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl +der jaehrlich zu ernennenden Praetoren von sechs auf acht erhoeht ward, +stellte sich die neue Geschaeftsordnung dahin, dass die jaehrlich zu +ernennenden zehn hoechsten Beamten waehrend ihres ersten Amtsjahrs als +Konsuln oder Praetoren den hauptstaedtischen Geschaeften - die +beiden Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Praetoren der +Zivilrechtspflege, die uebrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz +- sich widmeten, waehrend ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln +oder Propraetoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften: +Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo, +Kilikien und dem italischen Keltenland uebernahmen. Die schon erwaehnte +Vermehrung der Quaestorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehoert ebenfalls +in diesen Zusammenhang ^11. --------------------------------- ^10 Fuer +diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als dass das italische +Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen geschlossenen +und von einem jaehrlich erneuerten Statthalter verwalteten Sprengel +bedeutet, in den aelteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist wie +allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data erat +et Sullae provincia Gallia cisalpina). Nicht viel anders steht es mit +der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, dass ehemals der Aesis, zu +Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von Italien schied, aber +nicht, wann die Vorrueckung stattfand. Man hat zwar daraus, dass Marcus +Terentius Varro Lucullus als Propraetor in dem Distrikt zwischen Aesis +und Rubico eine Grenzregulierung vornahm (Orelli 570), geschlossen, +dass derselbe wenigstens im Jahre nach Lucullus' Praetur 679 (75) +noch Provinzialland gewesen sein muesse, da auf italischem Boden der +Propraetor nichts zu schaffen habe. Indes nur innerhalb des Pomerium +hoert jedes prorogierte Imperium von selber auf; in Italien dagegen ist +auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht regelmaessig vorhanden, +aber doch zulaessig, und ein ausserordentliches ist das von Lucullus +bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir koennen aber auch +nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser Gegend bekleidet +hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen Reorganisation 672 (82) +als kommandierender Offizier eben hier taetig und wahrscheinlich, +ebenwie Pompeius, von Sulla mit propraetorischer Gewalt ausgestattet; in +dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 (81) (vgl. App. 1, 95) die +fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser Inschrift folgt also fuer +die rechtliche Stellung Norditaliens ueberhaupt nichts und am wenigsten +fuer die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist es ein bemerkenswerter +Fingerzeig, dass Sulla das roemische Pomerium vorschob (Sen. dial. 10, +14; Dio Cass. 43, 50), was nach roemischem Staatsrecht nur dem gestattet +war, der nicht etwa die Reichs-, sondern die Stadt-, d. h. die italische +Grenze vorgerueckt hatte. ^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere +Provinz ein Quaestor gingen, ueberdies die zwei staedtischen und die +zwei den Konsuln bei der Kriegsfuehrung beigeordneten und die vier +Flottenquaestoren bestehen blieben, so waren hierfuer neunzehn Beamte +jaehrlich erforderlich. Die zwanzigste Quaestorenkompetenz laesst +sich nicht nachweisen. -------------------------------- Zunaechst +ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und zu +allen moeglichen schlechten Manoevern und Intrigen einladenden +Aemterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den +Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Moeglichkeit vorgebeugt und der +Einfluss der obersten Regierungsbehoerde wesentlich gesteigert. Nach der +bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die +Stadt, welche der Mauerring umschloss, und die Landschaft ausserhalb +des Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue, +fortan als ewig befriedet dem regelmaessigen Kommando entzogene Italien +^12 und ihm gegenueber das festlaendische und ueberseeische Gebiet, das +umgekehrt notwendig unter Militaerkommandanten steht, die von jetzt an +sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann +sehr haeufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben; +die neue Ordnung beschraenkte die hauptstaedtischen Aemter wie die +Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfuegung, +dass jeder Statthalter binnen dreissig Tagen, nachdem der Nachfolger in +seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen habe, +zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das frueher erwaehnte +Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu demselben +oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz dieser +Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die einst der +Senat das Koenigtum sich dienstbar gemacht hatte, dass die Beschraenkung +der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der Zeit nach der +Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung hatte Gaius Marius +zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr des Staates amtiert; +wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben hatte, +dass es ihm misslang, mittels dieser doppelten Amtsgewalt die Oligarchie +zu stuerzen, so schien nun dafuer gesorgt, dass nicht etwa ein kluegerer +Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche. Nach der bisherigen Ordnung +hatte auch der vom Volke unmittelbar ernannte Beamte eine militaerische +Stellung haben koennen; die sullanische dagegen behielt diese +ausschliesslich denjenigen Beamten vor, die der Senat durch Erstreckung +der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt bestaetigte. Zwar war diese +Amtsverlaengerung jetzt stehend geworden; dennoch wurde sie den +Auspizien und dem Namen, ueberhaupt der staatsrechtlichen Formulierung +nach auch ferner als ausserordentliche Fristerstreckung behandelt. Es +war dies nicht gleichgueltig. Den Konsul oder den Praetor konnte nur die +Buergerschaft seines Amtes entsetzen; den Prokonsul und den Propraetor +ernannte und entliess der Senat, so dass durch diese Verfuegung die +gesamte Militaergewalt, auf die denn doch zuletzt alles ankam, +formell wenigstens vom Senat abhaengig wurde. +-------------------------------------------------- ^12 Die italische +Eidgenossenschaft ist viel aelter; aber sie ist ein Staatenbund, nicht, +wie das sullanische Italien, ein innerhalb des Roemischen +Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet. +--------------------------------------------------- Dass endlich das +hoechste aller Aemter, die Zensur, nicht foermlich aufgehoben, aber +in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die Diktatur, ward schon +bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls entraten. Fuer die +Ergaenzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit Italien tatsaechlich +steuerfrei war und das Heer wesentlich durch Werbung gebildet ward, +hatte das Verzeichnis der Steuer- und Dienstpflichtigen in der +Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn in der Ritterliste und dem +Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung einriss, so mochte man +dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also nur die laufenden +Finanzgeschaefte, welche die Konsuln schon bisher verwaltet hatten, +wenn, wie dies haeufig vorkam, die Zensorenwahl unterblieben war, und +nun als einen Teil ihrer ordentlichen Amtstaetigkeit uebernahmen. Gegen +den wesentlichen Gewinn, dass der Magistratur in den Zensoren ihre +hoechste Spitze entzogen ward, kam nicht in Betracht und tat der +Alleinherrschaft des hoechsten Regierungskollegiums durchaus keinen +Eintrag, dass, um die Ambition der jetzt so viel zahlreicheren Senatoren +zu befriedigen, die Zahl der Pontifices und die der Augurn von neun, die +der Orakelbewahrer von zehn auf je fuenfzehn, die der Schmausherren von +drei auf sieben vermehrt ward. In dem Finanzwesen stand schon nach +der bisherigen Verfassung die entscheidende Stimme bei dem Senat; es +handelte sich demnach hier um die Wiederherstellung einer geordneten +Verwaltung. Sulla hatte anfaenglich sich in nicht geringer Geldnot +befunden; die aus Kleinasien mitgebrachten Summen waren fuer den Sold +des zahlreichen und stets anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch +nach dem Siege am Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse +nach Praeneste entfuehrt worden war, sich zu Notschritten entschliessen +muessen. Verschiedene Bauplaetze in der Hauptstadt und einzelne Stuecke +der kampanischen Domaene wurden feilgeboten, die Klientelkoenige, die +befreiten und bundesgenoessischen Gemeinden ausserordentlicherweise in +Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zoelle +eingezogen, anderswo denselben fuer Geld neue Privilegien zugestanden. +Indes der bei der Uebergabe von Praeneste vorgefundene Rest der +Staatskasse von beilaeufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden +Versteigerungen und andere ausserordentliche Hilfsquellen halfen der +augenblicklichen Verlegenheit ab. Fuer die Zukunft aber ward gesorgt +weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die +Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor, +als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domaene, wozu jetzt +noch Aenaria gefuegt ward, und vor allem durch die Abschaffung +der Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den +roemischen Finanzen gezehrt hatten. Dagegen ward das Gerichtswesen +wesentlich umgestaltet, teils aus politischen Ruecksichten, teils um +in die bisherige sehr unzulaengliche und unzusammenhaengende +Prozesslegislation groessere Einheit und Brauchbarkeit zu bringen. Nach +der bisherigen Ordnung gingen die Prozesse zur Entscheidung teils an die +Buergerschaft, teils an Geschworene. Die Gerichte, in denen die +ganze Buergerschaft auf Provokation von dem Urteil des Magistrats +hin entschied, lagen bis auf Sulla in den Haenden in erster Reihe der +Volkstribune, in zweiter der Aedilen, indem saemtliche Prozesse, +durch die ein Beamter oder Beauftragter der Gemeinde wegen seiner +Geschaeftsfuehrung zur Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf +Leib und Leben oder auf Geldbussen gehen, von den Volkstribunen, alle +uebrigen Prozesse, in denen schliesslich das Volk entschied, von den +kurulischen oder plebejischen Aedilen in erster Instanz abgeurteilt, +in zweiter geleitet wurden. Sulla hat den tribunizischen +Rechenschaftsprozess wenn nicht geradezu abgeschafft, so doch, ebenwie +die legislatorische Initiative der Tribune, von der vorgaengigen +Einwilligung des Senats abhaengig gemacht und vermutlich auch den +aedilizischen Strafprozess in aehnlicher Weise beschraenkt. Dagegen +erweiterte er die Kompetenz der Geschworenengerichte. Es gab damals ein +doppeltes Verfahren vor Geschworenen. Das ordentliche, welches +anwendbar war in allen nach unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder +Zivilprozess sich eignenden Faellen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen +den Staat gerichteten Verbrechen, bestand darin, dass der eine der +beiden hauptstaedtischen Gerichtsherren die Sache instruierte und ein +von ihm ernannter Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied. +Der ausserordentliche Geschworenenprozess trat ein in einzelnen +wichtigen Zivil- oder Kriminalfaellen, wegen welcher durch besondere +Gesetze anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof +bestellt worden war. Dieser Art waren teils die fuer einzelne +Faelle konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden +Kommissionalgerichtshoefe, wie sie fuer Erpressungen, fuer Giftmischerei +und Mord, vielleicht auch fuer Wahlbestechung und andere Verbrechen +im Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils +endlich die beiden Hoefe der Zehnmaenner fuer den Freiheits- und +der Hundertundfuenf- oder kuerzer der Hundertmaenner fuer den +Erbschaftsprozess, auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten +Lanzenschaft das Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmaennerhof +(decemviri litibus iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze +der Plebejer gegen ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung +des Schaftgerichts liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefaehr +dieselben sein wie bei den oben erwaehnten wesentlich gleichartigen +Kriminalkommissionen. Ueber die Leitung dieser verschiedenen +Gerichtshoefe war in den einzelnen Gerichtsordnungen verschieden +bestimmt; so standen dem Erpressungsgericht ein Praetor, dem Mordgericht +ein aus den gewesenen Aedilen besonders ernannter Vorstand, dem +Schaftgericht mehrere aus den gewesenen Quaestoren genommene Direktoren +vor. Die Geschworenen wurden wenigstens fuer das ordentliche wie fuer +das ausserordentliche Verfahren in Gemaessheit der Gracchischen Ordnung +aus den nichtsenatorischen Maennern von Ritterzensus genommen; die +Auswahl stand im allgemeinen den Magistraten zu, die die Gerichtsleitung +hatten, jedoch in der Weise, dass sie mit dem Antritt ihres Amts die +Geschworenenliste ein fuer allemal aufzustellen hatten und dann das +einzelne Geschworenenkollegium aus diesen nicht durch freie Auswahl +des Magistrats, sondern durch Losung und durch Rejektion der Parteien +gebildet ward. Aus der Volkswahl gingen nur die Zehnmaenner fuer den +Freiheitsprozess hervor. Sullas Reformen waren hauptsaechlich +dreifacher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschworenenhoefe sehr +betraechtlich. Es gab spaeterhin besondere Geschworenenkommissionen +fuer Erpressung; fuer Mord mit Einschluss von Brandstiftung und falschem +Zeugnis; fuer Wahlbestechung; ferner fuer Hochverrat und jede Entehrung +des roemischen Namens; fuer die schwersten Betrugsfaelle: Testaments- +und Muenzfaelschung; fuer Ehebruch; fuer die schwersten Ehrverletzungen, +namentlich Realinjurien und Stoerung des Hausfriedens; vielleicht auch +fuer Unterschlagung oeffentlicher Gelder, fuer Zinswucher und andere +Vergehen; und wenigstens die meisten dieser Hoefe sind von Sulla +entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen und von ihm mit einer +besonderen Kriminal- und Kriminalprozessordnung versehen worden. +Uebrigens blieb es der Regierung unbenommen, vorkommendenfalls fuer +einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhoefe zu bestellen. Folgeweise +wurden hierdurch die Volksgerichte im wesentlichen abgeschafft, +namentlich die Hochverratsprozesse an die neue Hochverratskommission +gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozess bedeutend beschraenkt, +indem ihm die schwereren Faelschungen und Injurien entzogen wurden. Was +zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie +schon erwaehnt ward, jetzt fuer die Leitung der verschiedenen +Geschworenenhoefe sechs Praetoren zur Disposition, denen noch fuer die +am meisten in Anspruch genommene Kommission fuer Mordtaten eine Anzahl +anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die Geschworenenstellen traten +drittens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein. Der +politische Zweck dieser Verfuegungen, der bisherigen Mitregierung der +Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig +laesst es sich verkennen, dass dieselben nicht bloss politische +Tendenzmassregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde, +dem seit den staendischen Kaempfen immer mehr verwilderten roemischen +Kriminalprozess und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser +Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem aelteren Recht unbekannte +Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute +damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von +dem Praetor geleitete Geschworenenbank gehoert, als Zivilsache dasjenige +Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter praetorischem +Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen +Quaestionenordnungen laesst sich zugleich als das erste roemische +Gesetzbuch nach den Zwoelf Tafeln und als das erste ueberhaupt je +besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im +einzelnen zeigt sich ein loeblicher und liberaler Geist. So seltsam +es von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum +nichtsdestoweniger wahr, dass er die Todesstrafe fuer politische +Vergehen abgeschafft hat; denn da nach roemischer, auch von +Sulla unveraendert festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die +Geschworenenkommission auf Verlust des Lebens oder auf gefaengliche Haft +erkennen konnte, so kam die Uebertragung der Hochverratsprozesse von der +Buergerschaft auf eine stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung +der Todesstrafe fuer solche Vergehen, waehrend andererseits in der +Beschraenkung der verderblichen Spezialkommissionen fuer einzelne +Hochverratsfaelle, wie deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg +gewesen war; gleichfalls ein Fortschritt zum Besseren lag. Die +gesamte Reform ist von ungemeinem und dauerndem Nutzen gewesen und ein +bleibendes Denkmal des praktischen, gemaessigten, staatsmaennischen +Geistes, der ihren Urheber wohl wuerdig machte, gleich den alten +Dezemvirn als souveraener Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen +die Parteien zu treten. Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen +mag man die polizeilichen Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das +Gesetz an die Stelle des Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte +wieder einschaerfte und durch Feststellung neuer Maximalsaetze anstatt +der alten laengst verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begraebnissen +und sonst zu beschraenken versuchte. Endlich ist wenn nicht Sullas, doch +das Werk der sullanischen Epoche die Entwicklung eines selbstaendigen +roemischen Munizipalwesens. Dem Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde +als ein untergeordnetes politisches Ganze dem hoeheren Staatsganzen +organisch einzufuegen, urspruenglich fremd; die Despotie des Ostens +kennt staedtische Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in +der ganzen hellenisch-italischen Welt faellt Stadt und Staat notwendig +zusammen. Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus +ein eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die roemische Politik hielt +mit der ihr eigenen zaehen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten +Jahrhundert wurden die abhaengigen Gemeinden Italiens entweder, um +ihnen ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveraene +Nichtbuergerstaaten konstituiert oder, wenn sie roemisches Buergerrecht +erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren, +aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so dass in allen +Buergerkolonien und Buergermunizipien selbst die Rechtspflege und das +Bauwesen von den roemischen Praetoren und Zensoren verwaltet ward. Das +Hoechste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus +ernannten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die +dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht +anders verfuhr man in den Provinzen, ausser dass hier an die Stelle der +hauptstaedtischen Behoerden der Statthalter trat. In den freien, +das heisst formell souveraenen Staedten ward die Zivil- oder +Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten +verwaltet; nur dass freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien +entgegenstanden, jeder Roemer sowohl als Beklagter wie als Klaeger +verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem +Recht entschieden zu sehen. Fuer die gewoehnlichen Provinzialgemeinden +war der roemische Statthalter die einzige regelmaessige +Gerichtsbehoerde, der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war +schon viel, wenn, wie in Sizilien, in dem Fall, dass der Beklagte ein +Siculer war, der Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten +war, einen einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch +entscheiden zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom +Gutfinden des instruierenden Beamten abgehangen zu haben. Im siebenten +Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des oeffentlichen +Lebens der roemischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom wenigstens +fuer Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige staedtische Gemeinde +war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sizilischen +Meerenge reichte, musste man wohl sich entschliessen, innerhalb dieser +grossen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach +Vollbuergergemeinden organisiert, bei welcher Gelegenheit man zugleich +die durch ihren Umfang gefaehrlichen groesseren Gaue, soweit dies nicht +schon frueher geschehen war, in mehrere kleinere Stadtbezirke aufgeloest +haben mag. Die Stellung dieser neuen Vollbuergergemeinden war ein +Kompromiss zwischen derjenigen, die ihnen bis dahin als Bundesstaaten +zugekommen war, und derjenigen, die ihnen als integrierenden Teilen der +roemischen Gemeinde nach aelterem Recht zugekommen sein wuerde. +Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der bisherigen formell souveraenen +latinischen oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzuegen der +roemischen gleich ist, die der roemischen altpatrizisch-konsularischen +Gemeinde; nur dass darauf gehalten ward, fuer dieselben Institutionen +in dem Munizipium andere und geringere Namen zu verwenden als in der +Hauptstadt, das heisst im Staat. Eine Buergerversammlung tritt an +die Spitze mit der Befugnis, Gemeindestatute zu erlassen und die +Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderat von hundert Mitgliedern +uebernimmt die Rolle des roemischen Senats. Das Gerichtswesen wird +verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei ordentlichen Richtern, die +den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die den kurulischen Aedilen +entsprechen. Die Zensurgeschaefte, die wie in Rom von fuenf zu fuenf +Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung +der Gemeindebauten bestanden, wurden von den hoechsten Gemeindebeamten, +also den beiden ordentlichen Gerichtsherren, mit uebernommen, welche +in diesem Fall den auszeichnenden Titel der "Gerichtsherren mit +zensorischer oder Fuenfjahrgewalt" annahmen. Die Gemeindekasse +verwalteten zwei Quaestoren. Fuer das Sakralwesen sorgten zunaechst die +beiden der aeltesten latinischen Verfassung allein bekannten Kollegien +priesterlicher Sachverstaendigen, die munizipalen Pontifices und Augurn. +Was das Verhaeltnis dieses sekundaeren politischen Organismus zu dem +primaeren des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie +diesem die politischen Befugnisse vollstaendig zu und band also +der Gemeindebeschluss und das Imperium der Gemeindebeamten den +Gemeindebuerger ebenso wie der Volksbeschluss und das konsularische +Imperium den Roemer. Dies fuehrte im ganzen zu einer konkurrierenden +Taetigkeit der Staats- und der Stadtbehoerden: Es hatten beispielsweise +beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne dass bei +den etwaigen staedtischen Schatzungen und Steuern die von Rom +ausgeschriebenen oder bei diesen jene beruecksichtigt worden waeren; es +durften oeffentliche Bauten sowohl von den roemischen Beamten in ganz +Italien als auch von den staedtischen in ihrem Sprengel angeordnet +werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natuerlich die +Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluss den Stadtschluss. Eine +foermliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo +das reine Konkurrenzsystem zu der groessten Verwirrung gefuehrt haben +wuerde; hier wurden im Kriminalprozess vermutlich alle Kapitalsachen, +im Zivilverfahren die schwereren, und ein selbstaendiges Auftreten der +dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstaedtischen +Behoerden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte +auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden +Rechtshaendel beschraenkt. Die Entstehung dieses italischen +Gemeindewesens ist nicht ueberliefert. Es ist wahrscheinlich, dass sie +in ihren Anfaengen zurueckgeht auf Ausnahmebestimmungen fuer die grossen +Buergerkolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegruendet +wurden; wenigstens deuten einzelne, an sich gleichgueltige formelle +Differenzen zwischen Buergerkolonien und Buergermunizipien darauf hin, +dass die neue, damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende +Buergerkolonie urspruenglich eine bessere staatsrechtliche Stellung +gehabt hat als das weit aeltere Buergermunizipium, und diese Bevorzugung +kann wohl nur bestanden haben in einer der latinischen sich annaehernden +Gemeindeverfassung, wie sie spaeterhin saemtlichen Buergerkolonien +wie Buergermunizipien zukam. Bestimmt nachweisen laesst sich die neue +Ordnung zuerst fuer die revolutionaere Kolonie Capua, und keinem +Zweifel unterliegt es, dass sie ihre volle Anwendung erst fand, als +die saemtlichen bisher souveraenen Staedte Italiens infolge des +Bundesgenossenkriegs als Buergergemeinden organisiert werden mussten. Ob +schon das Julische Gesetz, ob die Zensoren von 668 (86), ob erst +Sulla das einzelne geordnet hat, laesst sich nicht entscheiden; die +Uebertragung der zensorischen Geschaefte auf die Gerichtsherren scheint +zwar nach Analogie der Sullanischen, die Zensur beseitigenden Ordnung +eingefuehrt zu sein, kann aber auch ebensogut auf die aelteste +latinische Verfassung zurueckgehen, die ja auch die Zensur nicht +kannte. Auf alle Faelle ist diese dem eigentlichen Staat sich ein- +und unterordnende Stadtverfassung eines der merkwuerdigsten und +folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit und des roemischen +Staatslebens ueberhaupt. Staat und Stadt ineinanderzufuegen hat +allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als es vermocht hat, +das repraesentative Regiment und andere grosse Grundgedanken unseres +heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; aber es hat seine +politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen gefuehrt, wo diese die +gegebenen Masse ueberwaechst und sprengt, und vor allem ist dies in Rom +geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide und in der Verbindung +der alten und der neuen geistigen Welt steht. In der Sullanischen +Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der staedtische +Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form +zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende +Gemeinde schon in der italischen vollstaendig entwickelt; bis auf den +Namen, der freilich in solchen Dingen die Haelfte der Sache ist, hat +diese letzte Verfassung der freien Republik das Repraesentativsystem +und den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgefuehrt. Das +Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geaendert; die +Gemeindebehoerden der unfreien Staedte blieben vielmehr, von besonderen +Ausnahmen abgesehen, beschraenkt auf Verwaltung und Polizei und auf +diejenige Jurisdiktion, welche die roemischen Behoerden vorzogen, nicht +selbst in die Hand zu nehmen. Dieses war die Verfassung, die +Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom gab. Senat und Ritterstand, +Buergerschaft und Proletariat, Italiker und Provinzialen nahmen sie hin, +wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, wenn nicht ohne zu grollen, +doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die Sullanischen Offiziere. Das +roemische Heer hatte seinen Charakter gaenzlich veraendert. Es war +allerdings durch die Marianische Reform wieder schlagfertiger und +militaerisch brauchbarer geworden, als da es vor den Mauern von Numantia +nicht focht; aber es hatte zugleich sich aus einer Buergerwehr in eine +Schar von Lanzknechten verwandelt, welche dem Staat gar keine und dem +Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er verstand, sie persoenlich an +sich zu fesseln. Diese voellige Umgestaltung des Armeegeistes hatte +der Buergerkrieg in graesslicher Weise zur Evidenz gebracht: sechs +kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, Cinna und Gaius +Carbo, waren waehrend desselben gefallen von der Hand ihrer Soldaten; +einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefaehrlichen Meute Herr zu +bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden Begierden den Zuegel +schiessen liess wie noch nie vor ihm ein roemischer Feldherr. Wenn +deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld gegeben wird, so +ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch ungerecht; er war eben +der erste roemische Beamte, der seiner militaerischen und politischen +Aufgabe nur dadurch zu genuegen imstande war, dass er auftrat als +Condottiere. Aber er hatte die Militaerdiktatur nicht uebernommen, um +den Staat der Soldateska untertaenig zu machen, sondern vielmehr, um +alles im Staat, vor allem aber das Heer und die Offiziere, unter die +Gewalt der buergerlichen Ordnung zurueckzuzwingen. Wie dies offenbar +ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem eigenen Stab. +Mochte den uebrigen Buergern gegenueber die Oligarchie den Tyrannen +spielen; aber dass auch die Generale, die mit ihrem guten Schwert +die umgestuerzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten, jetzt +ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert wurden, +schien unertraeglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das meiste +Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung der +Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von Sizilien und +Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren hatte, nach Vollzug +seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein Heer zu entlassen, +unterliess er es zu gehorsamen und wenig fehlte an offenem Aufstand. +Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste wesentlich der +Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt ward, bewarb sich +in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu erlassenen Ordnungen um das +Konsulat, ohne die niederen Aemter bekleidet zu haben. Mit Pompeius +kam, wenn nicht eine herzliche Aussoehnung, doch ein Vergleich zustande. +Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn nicht zu fuerchten, nahm +die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins Gesicht sagte, dass mehr Leute +sich um die aufgehende Sonne kuemmerten als um die untergehende, und +bewilligte dem eitlen Juengling die leeren Ehrenbezeigungen, an denen +sein Herz hing. Wenn er hier sich laesslich zeigte, so bewies er +dagegen Ofella gegenueber, dass er nicht der Mann war, sich von seinen +Marschaellen imponieren zu lassen: So wie dieser verfassungswidrig als +Bewerber vor das Volk trat, liess ihn Sulla auf oeffentlichem Marktplatz +niederstossen und setzte sodann der versammelten Buergerschaft +auseinander, dass die Tat auf seinen Befehl und warum sie vollzogen +sei. So verstummte zwar fuer jetzt diese bezeichnende Opposition des +Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb bestehen +und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, dass das, was er +diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden koenne. Eines blieb noch +uebrig -vielleicht das schwerste von allem: die Zurueckfuehrung der +Ausnahmezustaende in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch +erleichtert, dass Sulla dieses letzte Ziel nie aus den Augen verloren +hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner +Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exorbitanten +Befugnis sich nur bei Massregeln bedient, die von voruebergehender +Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und Buergerschaft bloss +nutzlos kompromittiert haben wuerde, namentlich bei den Aechtungen. +Regelmaessig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen beobachtet, +die er fuer die Zukunft vorschrieb. Dass das Volk befragt ward, lesen +wir in dem Quaestorengesetz, das zum Teil noch vorhanden ist, und von +anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen ueber die +Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wichtigeren +Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und Zurueckberufung +der afrikanischen Armee und bei Erteilung von staedtischen Freibriefen, +der Senat vorangestellt. In demselben Sinn liess Sulla schon fuer 673 +(81) Konsuln waehlen, wodurch wenigstens die gehaessige offizielle +Datierung nach der Regentschaft vermieden ward; doch blieb die Macht +noch ausschliesslich bei dem Regenten und ward die Wahl auf sekundaere +Persoenlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674 80) setzte Sulla +die ordentliche Verfassung wieder vollstaendig in Wirksamkeit und +verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem Waffengenossen Quintus +Metellus den Staat, waehrend er die Regentschaft zwar noch beibehielt, +aber vorlaeufig ruhen liess. Er begriff es wohl, wie gefaehrlich es eben +fuer seine eigenen Institutionen war, die Militaerdiktatur zu verewigen. +Da die neuen Zustaende sich haltbar zu erweisen schienen, und von den +neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Kolonisierung, noch +zurueck, aber doch das meiste und wichtigste vollendet war, so liess er +den Wahlen fuer 675 (79) freien Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat +als mit seinen eigenen Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald +nachdem die neuen Konsuln Publius Servilius und Appius Claudius ihr +Amt angetreten hatten, im Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft +nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit +dem Leben und dem Eigentum von Millionen nach Willkuer geschaltet hatte, +auf dessen Wink so viele Haeupter gefallen waren, dem in jeder Gasse +Roms, in jeder Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen +ebenbuertigen Verbuendeten, ja genau genommen ohne den Rueckhalt einer +festen Partei sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk +der Reorganisation des Staates zu Ende gefuehrt hatte, als dieser +Mann auf den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfuelle +freiwillig begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete, +seine Gerichtsdiener entliess und die dichtgedraengte Buergerschaft +aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles +schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbuehne und zu Fuss, nur von den +Seinigen begleitet, ging er mitten durch ebenjenen Poebel, der ihm vor +acht Jahren das Haus geschleift hatte, zurueck nach seiner Wohnung. Die +Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk richtig +zu wuerdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die +Persoenlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der +Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen +eine einzige Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein +Sanguiniker, blauaeugig, blond, von auffallend weisser, aber bei jeder +leidenschaftlichen Bewegung sich roetender Gesichtsfarbe, uebrigens ein +schoener, feurig blickender Mann, schien er nicht eben bestimmt, +dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit seines Grossvaters +Grossvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277), einem +der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten Mann +der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten Ranges verharrt hatten. +Er begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuss. Aufgewachsen in dem +Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den +minder reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemaechtigte +er rasch und bebend sich der ganzen Fuelle sinnlich geistiger Genuesse, +welche die Verbindung hellenischer Feinheit und roemischen Reichtums zu +gewaehren vermochten. Im adligen Salon und unter dem Lagerzelt war +er gleich willkommen als angenehmer Gesellschafter und guter Kamerad; +vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm den teilnehmenden Freund und +den bereitwilligen Helfer in der Not, der sein Geld weit lieber +seinem bedraengten Genossen als seinem reichen Glaeubiger goennte. +Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den +Frauen; selbst in seinen spaeteren Jahren war er nicht mehr Regent, wenn +er nach vollbrachtem Tagesgeschaeft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der +Ironie, man koennte vielleicht sagen der Bouffonnerie, geht durch seine +ganze Natur. Noch als Regent befahl er, waehrend er die Versteigerung +der Gueter der Geaechteten leitete, fuer ein ihm ueberreichtes +schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu +verabreichen unter der Bedingung, dass er gelobe, ihn niemals wieder zu +besingen. Als er vor der Buergerschaft Ofenas Hinrichtung rechtfertigte, +geschah es, indem er den Leuten die Fabel erzaehlte von dem Ackersmann +und den Laeusen. Seine Gesellen waehlte er gern unter den Schauspielern +und liebte es, nicht bloss mit Quintus Roscius, dem roemischen Talma, +sondern auch mit viel geringeren Buehnenleuten beim Weine zu sitzen; +wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Auffuehrung +in seinem Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen +Bacchanalien ihm weder die koerperliche noch die geistige Spannkraft +verloren; noch in der laendlichen Musse seiner letzten Jahre lag +er eifrig der Jagd ob, und dass er aus dem eroberten Athen die +Aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wohl fuer sein +Interesse auch an ernsterer Lektuere. Das spezifische Roemertum +stiess ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die roemischen Grossen +gegenueber den Griechen zu entwickeln liebten, und von der Feierlichkeit +beschraenkter grosser Maenner hatte Sulla nichts, vielmehr liess er +gern sich gehen, erschien wohl zum Skandal mancher seiner Landsleute +in griechischen Staedten in griechischer Tracht oder veranlasste seine +adligen Gesellen, bei den Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch +weniger war ihm von den halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen +geblieben, die in Laendern freier Verfassung jede jugendliche Kapazitaet +auf den politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder +andere einmal empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war, +schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nuechternem +Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wuenschen und Streben +mochte ihm eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom +Zufall regiert ward und wo, wenn ueberhaupt auf etwas, man ja doch auf +nichts spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der +Zeit, zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben +folgte auch er. Seine wunderliche Glaeubigkeit ist nicht der plebejische +Koehlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen fuer Geld sich wahrsagen +und seine Handlungen durch ihn bestimmen laesst; noch weniger der +finstere Verhaengnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das +Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhaengende +Ordnung der Dinge durch und durch zurueckgekommenen Menschen notwendig +sich einstellt, der Aberglaube des gluecklichen Spielers, der sich vom +Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und ueberall die rechte Nummer +zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den +Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die +Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, aeusserte er, dass es +demjenigen nimmermehr fehlen koenne, dem die Goetter selbst die Kasse +fuellten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, dass sie sich +scheuten, die verlangten Schaetze zu senden, da die Zither des Gottes +hell geklungen, als man sie beruehrt, liess er ihnen zuruecksagen, dass +man sie nun um so mehr schicken moege, denn offenbar stimme der Gott +seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem +Gedanken, der auserwaehlte Liebling der Goetter zu sein, ganz besonders +jener, der er bis in seine spaeten Jahre vor allen den Preis gab, der +Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie +ruehmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Traeumen und Anzeichen die +Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht, +auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf sein +einzig treues Glueck. Er pflegte wohl zu sagen, dass jedes improvisierte +Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmaessig angelegte, und +eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf +seiner Seite gefallenen Leute regelmaessig als null anzugeben, ist +doch auch nichts als die Kinderei eines Glueckskindes. Es war nur der +Ausdruck der ihm natuerlichen Stimmung, als er, auf dem Gipfel seiner +Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe +unter sich sehend, die Bezeichnung des Gluecklichen, Sulla Felix, +als foermlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende +Benennungen beilegte. Nichts lag Sulla ferner als der planmaessige +Ehrgeiz. Er war zu gescheit, um gleich den Dutzendaristokraten seiner +Zeit die Verzeichnung seines Namens in die konsularischen Register als +das Ziel seines Lebens zu betrachten; zu gleichgueltig und zu wenig +Ideolog, um sich mit der Reform des morschen Staatsgebaeudes freiwillig +befassen zu moegen. Er blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen, +in dem Kreis der vornehmen Gesellschaft und machte wie ueblich die +Aemterlaufbahn durch; Ursache sich anzustrengen hatte er nicht und +ueberliess dies den politischen Arbeitsbienen, an denen es ja nicht +fehlte. So fuehrte ihn im Jahre 647 (107) bei der Verlosung der +Quaestorenstellen der Zufall nach Afrika in das Hauptquartier des Gaius +Marius. Der unversuchte hauptstaedtische Elegant ward von dem rauben +baeurischen Feldherrn und seinem erprobten Stab nicht zum besten +empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte Sulla, furchtlos und +anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk sich zu eigen +und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien zuerst jene +eigentuemliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, wegen deren +seine Zeitgenossen von ihm sagten, dass er halb Loewe, halb Fuchs +und der Fuchs in ihm gefaehrlicher sei als der Loewe. Dem jungen, +hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermassen der +eigentliche Beendiger des laestigen Numidischen Krieges war, oeffnete +jetzt sich die glaenzendste Laufbahn; er nahm auch teil am +Kimbrischen Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen +Verpflegungsgeschaeftes sein ungemeines Organisationstalent; +nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des +hauptstaedtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In +der Praetur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben +hatte, im Jahre 661 (93) uebernahm, fuegte es sich abermals, dass ihm +in seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg ueber +Koenig Mithradates und der erste Vertrag mit den maechtigen Arsakiden +sowie deren erste Demuetigung gelang. Der Buergerkrieg folgte. Sulla war +es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion +zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich +gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand +mit energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glueck schien sich +ein Geschaeft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen +juengeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die +Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte, +wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollfuehrt; im +Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbuesste und +abgesetzt ward, gruendete Sulla seinen militaerischen Ruf und stieg +empor zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor +allem ein persoenlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war, +endigte mit Marius' Aechtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war +Sulla der beruehmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie +geworden. Es folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische +Krieg, die Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. +Wie der Kapitaen, der das brennende Schiff nicht loescht, sondern +fortfaehrt, auf den Feind zu feuern, harrte Sulla, waehrend die +Revolution in Italien tobte, in Asien unerschuettert aus, bis der +Landesfeind gezwungen war. Mit diesem fertig, zerschmetterte er +die Anarchie und rettete die Hauptstadt vor der Brandfackel der +verzweifelnden Samniten und Revolutionaere. Der Moment der Heimkehr war +fuer Sulla ein ueberwaeltigender in Freude und in Schmerz; er selbst +erzaehlt in seinen Memoiren, dass er die erste Nacht in Rom kein Auge +habe zutun koennen, und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war +seine Aufgabe nicht zu Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter +Selbstherrscher wie nur je ein Koenig und doch durchaus verharrend +auf dem Boden des formellen Rechts, zuegelte er die ultrareaktionaere +Partei, vernichtete die seit vierzig Jahren die Oligarchie einengende +Gracchische Verfassung und zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz +machenden Maechte der Kapitalisten und des hauptstaedtischen +Proletariats, endlich den im Schosse seines eigenen Stabes erwachsenen +Uebermut des Saebels wieder unter das neu befestigte Gesetz. +Selbstaendiger als je stellte er die Oligarchie hin, legte die +Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre Haende, verlieh ihr die +Gesetzgebung, die Gerichte, die militaerische und finanzielle Obergewalt +und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten Sklaven, eine Art Heer +in den angesiedelten Militaerkolonisten. Endlich, als das Werk vollendet +war, trat der Schoepfer zurueck von seiner Schoepfung; freiwillig ward +der absolute Selbstherrscher wieder einfacher Senator. In dieser ganzen +langen militaerischen und politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht +verloren, nie einen Schritt zuruecktun muessen und ungeirrt von Feinden +und Freunden sein Werk gefuehrt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl +hatte er Ursache, seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Goettin des +Gluecks schien hier einmal die Laune der Bestaendigkeit angewandelt und +sie darin sich gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen +und Ehren zu haeufen, was er begehrte und nicht begehrte. Aber die +Geschichte wird gerechter gegen ihn sein muessen, als er es gegen sich +selber war, und ihn in eine hoehere Reihe stellen als in die der blossen +Favoriten der Fortuna. Nicht als waere die Sullanische Verfassung ein +Werk politischer Genialitaet, wie zum Beispiel die Gracchische und +die Caesarische. Es begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der +Restauration mit sich bringt, auch nicht ein staatsmaennisch neuer +Gedanke; alle ihre wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat +durch Bekleidung der Quaestur, die Aufhebung des zensorischen Rechts, +den Senator aus dem Senate zu stossen, die legislatorische Initiative +des Senats, die Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug +des Senats zur Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer +des Oberamts auf zwei Jahre, der Uebergang des Kommandos von dem +Volksmagistrat auf den senatorischen Prokonsul oder Propraetor, +selbst die neue Kriminal- und Munizipalordnung sind nicht von Sulla +geschaffene, sondern frueher schon aus dem oligarchischen Regiment +entwickelte und durch ihn nur regulierte und fixierte Institutionen. Ja +selbst die seiner Restauration anhaftenden Greuel, die Aechtungen +und Konfiskationen, sind sie, verglichen mit den Taten der Nasica, +Popillius, Opimius, Caepio und so weiter, etwas anderes als die +rechtliche Formulierung der hergebrachten oligarchischen Weise, sich +der Gegner zu entledigen? Ueber die roemische Oligarchie dieser Zeit nun +gibt es kein Urteil als unerbittliche und ruecksichtslose Verdammung; +und wie alles andere, was ihr anhaengt, ist davon auch die Sullanische +Verfassung vollstaendig mitbetroffen. Das von der Genialitaet des Boesen +bestochene Lob versuendigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte; +aber daran wird man doch erinnern duerfen, dass weit weniger Sulla die +Sullanische Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten +als Clique regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften +Entnervung und Verbissenheit verfallende roemische Aristokratie +insgesamt, und dass alles, was darin schal, und alles, was darin +verrucht ist, am letzten Ende auf diese zurueckfaellt. Sulla hat den +Staat reorganisiert, aber nicht wie der Hausherr, der sein zerruettetes +Gewese und Gesinde nach eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern +wie der zeitweilige Geschaeftsfuehrer, der seiner Anweisung getreu +nachkommt; es ist flach und falsch, in diesem Falle die schliessliche +und wesentliche Verantwortung von dem Geschaeftsherrn ab auf den +Verwalter zu waelzen. Man schlaegt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder +findet vielmehr mit jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden +und nie wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und +Restaurationen viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk +eines zufaellig an die Spitze des Staats geratenen Wueterichs ansieht. +Adelstaten waren dies und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht +mehr dabei als, mit dem Dichter zu reden, das hinter dem bewussten +Gedanken unbewusst herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit +wunderbarer, ja daemonischer Vollkommenheit durchgefuehrt; innerhalb +der Grenzen aber, die sie ihm gezogen, hat er nicht bloss grossartig, +sondern selbst nuetzlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und +stetig tiefer sinkende Aristokratie, wie die roemische damals war, einen +Vormund gefunden, der so wie Sulla willig und faehig war, ohne jede +Ruecksicht auf eigenen Machtgewinn fuer sie den Degen des Feldherrn +und den Griffel des Gesetzgebers zu fuehren. Es ist freilich ein +Unterschied, ob ein Offizier aus Buergersinn das Szepter verschmaeht +oder aus Blasiertheit es wegwirft; aber in der voelligen Abwesenheit +des politischen Egoismus - freilich auch nur in diesem einen - +verdient Sulla neben Washington genannt zu werden. Aber nicht bloss die +Aristokratie, das gesamte Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt +gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revolution, insoweit +sie beruhte auf der Zuruecksetzung einzelner minder berechtigter gegen +andere besser berechtigte Distrikte, endgueltig geschlossen und ist, +indem er sich und seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller +Italiker vor dem Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber +der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit +endloser Not und Stroemen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft +war. Aber Sulla hat noch mehr getan. Seit laenger als einem halben +Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in +Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung +war Anarchie und gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit aergere +Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in +jenem ebenso verwirrten wie naturwidrigen Buendnis mit den Samniten +widerspiegelt, der unklarste, unertraeglichste, heilloseste aller +denkbaren politischen Zustaende, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist +nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass das lange unterhoehlte +roemische Gemeinwesen notwendig haette zusammenstuerzen muessen, wenn +nicht durch die Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz +desselben gerettet haette. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig +Bestand gehabt wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, +dass sein Bau kein solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, +darueber zu uebersehen, dass ohne Sulla hoechstwahrscheinlich der +Bauplatz selbst von den Fluten waere fortgerissen worden; und auch jener +Tadel trifft zunaechst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in +dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter +tun konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und +geahnt hat er es selbst, dass er wohl eine Festung, aber keine Besatzung +zu schaffen vermoege und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen +jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine +Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm; +es ist kein Vorwurf fuer den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt spaeter +die Wellen den naturwidrigen und von den Geschuetzten selbst nicht +verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung +auf hoechst loebliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen +Steuerwesens und der Kriminaljustiz, beduerfen, um Sullas ephemere +Restauration nicht geringschaetzig abzufertigen, sondern wird darin eine +richtig entworfene und unter unsaeglichen Schwierigkeiten im grossen +und ganzen konsequent durchgefuehrte Reorganisation des roemischen +Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der italischen +Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen. Freilich ist es +nicht bloss der Staatsmann, der im Totengericht Stimme hat, und das +empoerte menschliche Gefuehl wird mit Recht sich nie mit dem versoehnen, +was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla hat seine +Gewaltherrschaft nicht bloss mit ruecksichtsloser Gewaltsamkeit +begruendet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen +Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich +verdorben hat mit der grossen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor +dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber allerdings +auch dem sittlichen Urteil wegen der Kuehle und Klarheit seines Frevels +noch empoerender erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher. +Aechtungen, Belohnungen der Henker, Gueterkonfiskationen, kurzer Prozess +gegen unbotmaessige Offiziere waren hundertmal vorgekommen, und die +stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte fuer +diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhoert, dass die +Namen der vogelfreien Maenner oeffentlich angeschlagen und die Koepfe +oeffentlich ausgestellt wurden, dass den Banditen eine feste +Summe ausgesetzt und dieselbe in die oeffentlichen Kassenbuecher +ordnungsmaessig eingetragen ward, dass das eingezogene Gut gleich der +feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer kam, dass der +Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen liess und vor +allem Volk sich zu der Tat bekannte. Diese oeffentliche Verhoehnung +der Humanitaet ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu +beigetragen, spaetere revolutionaere Krisen im voraus zu vergiften, und +noch jetzt ruht deswegen verdientermassen ein finsterer Schatten auf +dem Andenken des Urhebers der Proskriptionen. Mit Recht darf man ferner +tadeln, dass Sulla, waehrend er in allen wichtigen Dingen ruecksichtslos +durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personenfragen sehr +haeufig seinem sanguinischen Temperament nachgab und nach Neigung oder +Abneigung verfuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Hass empfand, wie gegen +die Marier, ihm zuegellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen +und von sich selbst geruehmt, dass niemand besser als er Freunden und +Feinden vergolten habe ^13. Er verschmaehte es nicht, bei Gelegenheit +seiner Machtstellung, ein kolossales Vermoegen zu sammeln. Der erste +absolute Monarch des roemischen Staats, bewaehrte er den Kernspruch des +Absolutismus, dass den Fuersten die Gesetze nicht binden, sogleich an +den von ihm selbst erlassenen Ehebruchs- und Verschwendungsgesetzen. +Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat +sein laessliches Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon +seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische +Notwendigkeit geboten war, laesst sich hierher rechnen; viel +schaedlicher aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen +Anhang. Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so +zum Beispiel ward dem Lucius Murena fuer die durch die schlimmste +Verkehrtheit und Unbotmaessigkeit erlittenen Niederlagen nicht bloss die +Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestanden; so wurde Gnaeus +Pompeius, der sich noch schwerer vergangen hatte, von Sulla noch +verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die aergsten Frevel der +Aechtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich weniger aus Sullas +eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum +verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Dass Sulla bei +seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgueltigen Wesen sehr +verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich streng +auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, dass er vor +seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein blutduerstiger +Wueterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das +Gegenteil der frueheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen +muessen, dass er mit demselben nachlaessigen Gleichmut strafte, mit dem +er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht ueberhaupt durch +sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie +es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glueck zu schelten, auch +der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe Empfindung von der +Nichtigkeit und Vergaenglichkeit des eigenen Werkes; als ziehe er nach +Verwalterart das Ausbessern dem Einreissen und Umbauen vor und lasse +sich am Ende auch mit einer leidlichen Uebertuenchung der Schaeden +genuegen. ----------------------------------------------------- ^13 +Euripides, Medeia, 807: Es soll mich keiner achten schwaechlich und +gering, Gutmuetig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff, Den +Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll. +----------------------------------------------------- Wie er nun aber +war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. Sein +ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines Wesens; +in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unveraendert derselbe. Es war +derselbe Sinn, der nach den glaenzenden Erfolgen in Afrika ihn wieder +den hauptstaedtischen Muessiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der +absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden liess in seiner cumanischen +Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, dass ihm die oeffentlichen +Geschaefte eine Last seien, die er abwarf, so wie er durfte und konnte. +Auch nach der Resignation blieb er voellig sich gleich, ohne Unmut und +ohne Affektation, froh, der oeffentlichen Geschaefte entledigt zu sein +und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd +und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren fuellten seine muessigen +Stunden; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen +Buerger die inneren Verhaeltnisse der benachbarten Kolonie Puteoli +ebenso sicher und rasch wie frueher die Verhaeltnisse der Hauptstadt. +Seine letzte Taetigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf die +Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des Kapitolinischen +Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr vergoennt war. Wenig +ueber ein Jahr nach seinem Ruecktritt, im sechzigsten Lebensjahr, frisch +an Koerper und Geist, ward er vom Tode ereilt; nach kurzem Krankenlager +- noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie +- raffte ein Blutsturz ^14 ihn hinweg (676 78). Sein getreues Glueck +verliess ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wuenschen, noch einmal +in den widerwaertigen Strudel der Parteikaempfe hineingezogen zu werden +und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution fuehren +zu muessen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien +und in Italien haette bei laengerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben +koennen. Schon jetzt, da von seiner feierlichen Bestattung in der +Hauptstadt die Rede war, wurden zahlreiche Stimmen, die bei seinen +Lebzeiten geschwiegen hatten, dort gegen die letzte Ehre laut, die +man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu +frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig; es wurde +beschlossen, die Leiche nach der Hauptstadt bringen zu lassen und dort +die Exequien zu begehen. Nie hat Italien eine grossartigere Trauerfeier +gesehen. Ueberall wo der koeniglich geschmueckte Tote hindurchgetragen +ward, ihm vorauf seine wohlbekannten Feldzeichen und Rutenbuendel, da +schlossen die Einwohner und vor allem seine alten Lanzknechte an das +Trauergefolge sich an; es schien, als wollte die gesamte Truppe um den +Mann, der sie im Leben so oft und nie anders als zum Siege gefuehrt +hatte, noch einmal im Tode sich vereinigen. So gelangte der endlose +Leichenzug in die Hauptstadt, wo die Gerichte feierten und alle +Geschaefte ruhten und zweitausend goldene Kraenze, als letzte Ehrengabe +der treuen Legionen, der Staedte und der naeheren Freunde, des Toten +harrten. Sulla hatte, dem Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemaess, +seinen Koerper unverbrannt beizusetzen verordnet; aber andere waren +besser als er dessen eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und +kuenftige Tage bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die +Leiche des Mannes, der die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe +aufgestoert hatte, den Flammen uebergeben. Geleitet von allen Beamten +und dem gesamten Senat, den Priestern und Priesterinnen in ihrer +Amtstracht und der ritterlich geruesteten adligen Knabenschar gelangte +der Zug auf den grossen Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast +noch von dem Klange seiner gefuerchteten Worte erfuellten Platz ward dem +Toten die Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern +der Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen +errichtet war. Waehrend er in Flammen loderte, hielten die Ritter und +die Soldaten den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber +ward auf dem Marsfeld neben den Graebern der alten Koenige beigesetzt, +und ein Jahr hindurch haben die roemischen Frauen um ihn getrauert. +--------------------------------------------------- ^14 Nicht die +Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfachen +Grunde, dass eine solche Krankheit nur in der Phantasie existiert. +--------------------------------------------------- 11. Kapitel Das +Gemeinwesen und seine Oekonomie Ein neunzigjaehriger Zeitraum, vierzig +Jahr tiefen Friedens, fuenfzig einer fast permanenten Revolution liegen +hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, die die roemische +Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und oestlicher Richtung +die Alpen ueberschritten und gelangten die roemischen Waffen auf der +spanischen Halbinsel bis zum Atlantischen Ozean, auf der makedonisch- +griechischen bis zur Donau; aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare +Lorbeeren. Der Kreis der "auswaertigen Voelkerschaften in der +Willkuer, Botmaessigkeit, Herrschaft oder Freundschaft der roemischen +Buergerschaft" ^1 ward nicht wesentlich erweitert; man begnuegte sich, +den Erwerb einer besseren Zeit zu realisieren und die in loseren Formen +der Abhaengigkeit an Rom geknuepften Gemeinden mehr und mehr in die +volle Untertaenigkeit zu bringen. Hinter dem glaenzenden Vorhang +der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fuehlbares Sinken der +roemischen Macht. Waehrend die gesamte antike Zivilisation +immer bestimmter in dem roemischen Staat zusammengefasst, immer +altgemeingueltiger in demselben formuliert ward, fingen zugleich +jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr ausgeschlossenen +Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff ueberzugehen. Auf den +Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chaeroneia und +Orchomenos wurden die ersten Schlaege desjenigen Gewitters vernommen, +das ueber die italisch-griechische Welt zu bringen die germanischen +Staemme und die asiatischen Horden bestimmt waren und dessen letztes +dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Aber auch +in der inneren Entwicklung traegt diese Epoche denselben Charakter. +Die alte Ordnung stuerzt unwiederbringlich zusammen. Das roemische +Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde, welche durch ihre freie +Buergerschaft sich selber die Herren und die Gesetze gab, welche von +diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser gesetzlichen Schranken +mit koeniglicher Freiheit geleitet ward, um welche teils die italische +Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, der roemischen wesentlich +gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, teils die +ausseritalische Bundesgenossenschaft als ein Inbegriff griechischer +Freistaedte und barbarischer Voelker und Herrschaften, beide von der +Gemeinde Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zweifachem Kreise +sich schlossen. Es war das letzte Ergebnis der Revolution - und beide +Parteien, die nominell konservative wie die demokratische Partei, +hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen -, dass von diesem +ehrwuerdigen Bau, der am Anfang der gegenwaertigen Epoche zwar rissig +und schwankend, aber doch noch aufrecht gestanden, am Schluss derselben +kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveraene Machthaber +war jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie +bald der Vornehmen, bald der Reichen. Die Buergerschaft hatte +jeden rechtlichen Anteil am Regiment verloren. Die Beamten waren +unselbstaendige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Machthabers. Die +Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatuerliche Erweiterung sich +selber zersprengt. Die italische Eidgenossenschaft war aufgegangen +in die Stadtgemeinde. Die ausseritalische Bundesgenossenschaft war im +vollen Zug sich in eine Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte +organische Gliederung des roemischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen +und nichts uebrig geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder +disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere +und aeussere Aufloesung des Staats ueberzugehen. Die politische Bewegung +lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darueber noch ward +gestritten, ob der geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der +Kapitalistensenat oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische +Bewegung ging durchaus die zum Despotismus fuehrenden Wege: der +Grundgedanke des freien Gemeinwesens, dass die ringenden Maechte +gegenseitig sich auf mittelbaren Zwang beschraenken, war allen Parteien +gleichmaessig abhanden gekommen, und hueben und drueben fingen zuerst +die Knuettel, bald auch die Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. +Die Revolution, insofern zu Ende, als die alte Verfassung von beiden +Seiten als definitiv beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen +politischen Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch fuer diese +Reorganisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Loesungen +gefunden; weder die Gracchische noch die Sullanische Konstituierung +der Gemeinde trugen einen abschliessenden Charakter. Das aber war das +Bitterste dieser bitteren Zeit, dass dem klarsehenden Patrioten selbst +das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit +all ihrer unendlichen Segensfuelle ging unaufhaltsam unter, und die +Daemmerung senkte sich ueber die eben noch so glaenzende Welt. Es war +keine zufaellige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie haetten +wehren koennen; es waren uralte soziale Schaeden, im letzten Kern +der Ruin des Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das +roemische Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann +war in der Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie +zu verlaengern und zu verkuerzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser +beraten, je rascher und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten +freiheitlichen Verfassung beseitigte und fuer das bescheidene Mass +menschlichen Gedeihens, wofuer in dem Absolutismus Raum ist, die neuen +Formen und Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter +den gegebenen Verhaeltnissen gegenueber jeder Oligarchie zukam, lag +wesentlich ebendarin, dass ein solcher energisch nivellierender und +energisch aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behoerde +nimmermehr geuebt werden konnte. Allein diese kuehlen Erwaegungen machen +keine Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut fuer die +Zukunft. Man musste eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren +werde, nicht leben und nicht sterben zu koennen, und ob es schliesslich +an einer maechtigen Natur seinen Meister und, soweit dies moeglich war, +seinen Neuschoepfer finden oder in Elend und Schwaeche +zusammenstuerzen werde. +------------------------------------------------------------------------ +^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave +populi Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der +nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen +"Eidgenossen und Stammverwandten" (socii nominisve Latini). +----------------------------------------------------------------------- +Es bleibt noch uebrig, die oekonomische und soziale Seite dieses +Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits frueher geschehen +ist. Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich +auf den Einkuenften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, +die hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen +Gefaellen als ausserordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der +Schlacht von Pydna nicht wieder erhoben, so dass die unbedingte +Grundsteuerfreiheit anfing, als ein verfassungsmaessiges Vorrecht des +roemischen Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats, +wie das Salzmonopol und das Muenzrecht, wurden, wenn ueberhaupt je, +so wenigstens jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue +Erbschaftssteuer liess man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht +geradezu ab. Demnach zog die roemische Staatskasse aus Italien +einschliesslich des diesseitigen Galliens nichts als teils den +Domaenenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den +Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen +und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einfuehrenden in das roemische +Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als +Luxussteuern betrachtet werden koennen und allerdings durch die +Ausdehnung des roemischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz +Italien, wahrscheinlich mit Einschluss des diesseitigen Galliens, +ansehnlich gesteigert werden mussten. In den Provinzen nahm der +roemische Staat zunaechst als Privateigentum in Anspruch teils in +den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte Mark, teils +in denjenigen Staaten, wo die roemische Regierung an die Stelle der +ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen innegehaltenen +Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von Leontinoi, +Karthago, Korinth, das Domanialgut der Koenige von Makedonien, Pergamon +und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien als roemische Domaenen +galten und, aehnlich wie das Gebiet von Capua, von den roemischen +Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer Ertragsquote oder einer +bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Dass Gaius Gracchus noch weiter +ging, das gesamte Provinzialland als Domaene ansprach und zunaechst fuer +die Provinz Asia diesen Satz insofern praktisch durchfuehrte, als er +den Bodenzehnten, die Hut- und Hafengelder daselbst rechtlich motivierte +durch das Eigentumsrecht des roemischen Staats an Acker, Wiese und +Kueste der Provinz, mochten diese nun frueher dem Koenig oder Privaten +gehoert haben, ward bereits frueher ausgefuehrt. Nutzbare Staatsregalien +scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen gegenueber noch +nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und Oelbaues im +Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher nicht zugute. +Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in grossem Umfang erhoben. +Die als vollstaendig souveraen anerkannten Klientelstaaten, also zum +Beispiel die Koenigreiche Numidien und Kappadokien, die Bundesstaedte +(civitates foederatae) Rhodos, Messana, Tauromenion, Massalia, Gades +waren rechtlich steuerfrei und durch ihren Vertrag nur verpflichtet, die +roemische Republik in Kriegszeiten teils durch regelmaessige Stellung +einer festen Anzahl von Schiffen oder Mannschaften auf ihre Kosten, +teils, wie natuerlich, im Notfall durch ausserordentliche Hilfsleistung +jeder Art zu unterstuetzen. Das uebrige Provinzialgebiet dagegen, selbst +mit Einschluss der Freistaedte, unterlag durchgaengig der Besteuerung, +und nur die mit roemischem Buergerrecht beliehenen Staedte, wie Narbo, +und die speziell mit der Steuerfreiheit beschenkten Gemeinden (civitates +immunes), wie Kentoripa in Sizilien, waren hiervon ausgenommen. Die +direkten Abgaben bestanden teils, wie in Sizilien und Sardinien, in +einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben und sonstigen Feldfruechte +wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das Land zur Weide lag, einem +entsprechenden Hutgeld; teils, wie in Makedonien, Achaia, Kyrene, dem +groessten Teil von Africa, beiden Spanien, nach Sulla auch in Asia, in +einer von jeder einzelnen Gemeinde jaehrlich nach Rom zu entrichtenden +festen Geldsumme (stipendium, tributum), welche zum Beispiel fuer ganz +Makedonien 600000 (183000 Taler), fuer die kleine Insel Gyaros bei +Andros 150 Denare (46 Taler) betrug und allem Anschein nach im +ganzen niedrig und geringer war als die vor der roemischen Herrschaft +entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten und Hutgelder verdang der Staat +gegen Lieferung fester Quantitaeten Korn oder fester Geldsummen an +Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen hielt er sich an die +einzelnen Gemeinden und ueberliess es diesen, den Betrag nach den von +der roemischen Regierung im allgemeinen festgestellten Prinzipien auf +die Steuerpflichtigen zu repartieren und von diesen einzuziehen 3. +Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen von den untergeordneten +Chaussee-, Bruecken- und Kanalgeldern, wesentlich in den Zoellen. +Die Zoelle des Altertums waren, wo nicht ausschliesslich doch sehr +vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzoelle auf die zur Feilbietung +bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden von jeder Gemeinde +in ihren Haefen und ihrem Gebiet nach Ermessen erhoben. Die Roemer +erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als sich ihr +urspruengliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der roemische +Buergerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein +allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des +Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden fuer den roemischen +Staat wohl durchaus Zollfreiheit, fuer den roemischen Buerger vielfach +wenigstens Zollbeguenstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken, +die nicht zum Buendnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher +Untertaenigkeit standen, auch nicht die Immunitaet erworben hatten, +fielen die Zoelle doch selbstverstaendlich an den eigentlichen +Souveraen, das heisst an die roemische Gemeinde; und infolgedessen +wurden einzelne groessere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere +roemische Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen +verbuendeten oder mit Immunitaet beliehenen Gemeinden als vom roemischen +Zoll befreit enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der +karthagischen Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von +allen aus- und eingehenden Waren eine Abgabe von fuenf Prozent vom Wert +erhoben ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen +Gesetzes eine aehnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward +in aehnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschliesslich der Feldmark der +roemischen Kolonie, als roemischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser +Einrichtung mag ausser den fiskalischen Zwecken auch die loebliche +Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzoellen +unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmaessige +Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zoelle +gleich den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmaenner verdungen. +----------------------------------------------------------------- 2 +Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum erhebt, +ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentuemerzehnten, den er auf das +Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein +fuer allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers, +verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende +Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr. +3, 6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Roemisches +Staatsrecht, Bd. 3, S. 730. 3 Das Verfahren war, wie es scheint, +folgendes. Die roemische Regierung bestimmte zunaechst die Gattung +und die Hoehe der Abgabe: so zum Beispiel ward in Asien auch nach der +Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte Garbe erhoben (App. civ. 5 +4); so steuerten nach Caesars Verordnung die Juden jedes andere Jahr +ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, 6; vgl. 2, 5); so ward in +Kilikien und Syrien spaeter 5 vom Hundert des Vermoegens (App. Syr. 50) +und auch in Africa eine, wie es scheint, aehnliche Abgabe entrichtet, +wobei uebrigens das Vermoegen nach gewissen Praesumtionen, z. B. nach +der Groesse des Bodenbesitzes, der Zahl der Tueroeffnungen, der Kopfzahl +der Kinder und Sklaven abgeschaetzt worden zu sein scheint (exactio +capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von Kilikien; phoros epi +t/e/ g/e/ kai tois s/o/masin, App. Pun. 135, fuer Africa). Nach dieser +Norm wurde von den Gemeindebehoerden unter Oberaufsicht des roemischen +Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23) +festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen +Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata epikephalia Cic. Att. 5, I6); +wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward +ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur +Einziehung uebertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; /o/nas +omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floss den +Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon +zu senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte +Geldbetrag nach Rom abgefuehrt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar +erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umstaenden, entweder +einen Teil des Ertrags der Steuer fuer sich oder setzte aus eigenem +Vermoegen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch +Publikanen lag lediglich darin, dass dort die Gemeindebehoerde der +Kontribuablen, hier roemische Privatunternehmer den Vermittler machten. +------------------------------------------------------- Hierauf waren +die ordentlichen Lasten der roemischen Steuerpflichtigen beschraenkt, +wobei uebrigens nicht uebersehen werden darf, dass die Erhebungskosten +hoechst betraechtlich waren und die Kontribuablen unverhaeltnismaessig +mehr zahlten, als die roemische Regierung empfing. Denn wenn das +System der Steuereinziehung durch Mittelsmaenner, namentlich durch +Generalpaechter, schon an sich von allen das verschwenderischste ist, +so ward in Rom noch durch die geringe Teilung der Pachtungen und +die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame Konkurrenz aufs +aeusserste erschwert. Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen +noch erstlich die Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militaerverwaltung +trug von Rechts wegen die roemische Gemeinde. Sie versah die +Kommandanten jeder Provinz mit den Transportmitteln und allen sonstigen +Beduerfnissen; sie besoldete und versorgte die roemischen Soldaten in +der Provinz. Nur Dach und Fach, Holz, Heu und aehnliche Gegenstaende +hatten die Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich +zu gewaehren; ja die freien Staedte waren sogar auch von der +Wintereinquartierung - feste Standlager kannte man noch nicht - +regelmaessig befreit. Wenn der Statthalter also Getreide, Schiffe, +Sklaven zu deren Bemannung, Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte, +so stand es ihm zwar im Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in +Friedenszeiten frei, solche Lieferungen nach Ermessen und Beduerfnis +von den Untertanengemeinden oder den souveraenen Klientelstaaten +einzufordern, allein dieselben wurden, gleich der roemischen +Grundsteuer, rechtlich als Kaeufe oder Vorschuesse behandelt und der +Wert von der roemischen Staatskasse sogleich oder spaeter ersetzt. Aber +dennoch wurden, wenn nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch +praktisch, diese Requisitionen eine der drueckendsten Belastungen der +Provinzialen; um so mehr, als die Entschaedigungsziffer regelmaessig von +der Regierung oder gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es +begegnen wohl einzelne gesetzliche Beschraenkungen dieses gefaehrlichen +Requisitionsrechts der roemischen Oberbeamten - so die schon erwaehnte +Vorschrift, dass in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen +nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfuer der +Preis nicht einseitig ausgemacht werden duerfte; die Bestimmung eines +Maximalquantums des von dem Statthalter fuer seine und seines Gefolges +Beduerfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgaengige Anordnung +einer festbestimmten und hochgegriffenen Verguetung fuer das Getreide, +das wenigstens in Sizilien haeufig fuer die Beduerfnisse der Hauptstadt +eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der +Druck jener Requisitionen auf die Oekonomie der Gemeinden und der +einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs +beseitigt. In ausserordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich +unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die +Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der +der erzwungenen freiwilligen Beitraege erfolgten, die Verguetung +also ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die +kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste +gegen Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen +vierzigfachen (fuer den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio +fuenfundsiebzigfachen Sold zu gewaehren, ausserdem Kleidung und Tisch +nebst dem Recht, nach Belieben Gaeste einzuladen; so schrieb derselbe +Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und +Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natuerlich keine Rede +war. Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. +Sie muessen verhaeltnismaessig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da +die Verwaltungskosten, die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude, +ueberhaupt alle Zivilausgaben von den staedtischen Budgets getragen +wurden und die roemische Regierung lediglich das Militaerwesen aus ihrer +Kasse zu bestreiten uebernahm. Sogar von diesem Militaerbudget aber +wurden noch betraechtliche Posten auf die Gemeinden abgewaelzt - so die +Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militaerstrassen, +die der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu +einem grossen Teil die Ausgaben fuer das Heerwesen, insofern die +Wehrmannschaft der Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten +ihrer Gemeinden innerhalb ihrer Provinz regelmaessig zum Dienst +herangezogen wurden und auch ausserhalb derselben Thraker in Afrika, +Afrikaner in Italien und so weiter an jedem beliebigen Ort immer +haeufiger anfingen, mitverwendet zu werden. Wenn nur die Provinzen, +nicht aber Italien direkte Abgaben an die Regierung entrichtete, so war +dies wo nicht politisch, doch finanziell billig, solange als Italien +die Lasten und Kosten des Militaerwesens allein trug; seit dies aber +aufgegeben ward, waren die Provinzialen auch finanziell entschieden +ueberlastet. ------------------------------------------------- 4 +Beispielsweise entrichtete in Judaea die Stadt Joppe 26075 roemische +Scheffel Korn, die uebrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfuersten; +wozu dann noch der Tempelschoss und die fuer die Roemer bestimmte +sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem roemischen +Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermoegen erhoben. +------------------------------------------------- Endlich ist das +grosse Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch das die roemischen +Beamten und Steuerpaechter in der mannigfaltigsten Weise die Steuerlast +der Provinzen steigerten. Man mochte jedes Geschenk, das der Statthalter +nahm, gesetzlich als erpresstes Gut behandeln, und selbst das Recht zu +kaufen ihm durch Gesetz beschraenken, seine oeffentliche Taetigkeit bot +ihm, wenn er unrecht tun wollte, dennoch der Handhaben mehr als genug. +Die Einquartierung der Truppen; die freie Wohnung der Beamten und +des Schwarmes von Adjutanten senatorischen oder Ritterranges, von +Schreibern, Gerichtsdienern, Herolden, Aerzten und Pfaffen; das +den Staatsboten zukommende Recht unentgeltlicher Befoerderung; die +Approbierung und der Transport der schuldigen Naturallieferungen; vor +allem die Zwangsverkaeufe und die Requisitionen gaben allen Beamten +Gelegenheit, aus den Provinzen fuerstliche Vermoegen heimzubringen; und +das Stehlen ward immer allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung +sich als null erwies und die der Kapitalistengerichte sogar als +gefaehrlich allein fuer den ehrlichen Beamten. Die durch die Haeufigkeit +der Klagen ueber Beamtenerpressung in den Provinzen veranlasste +Einrichtung einer stehenden Kommission fuer dergleichen Faelle im Jahre +605 (149) und die rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden +Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die +immer wachsende Hoehe des Uebels. Unter all diesen Verhaeltnissen konnte +selbst eine der Anlage nach maessige Besteuerung effektiv aeusserst +drueckend werden, und dass sie dies war, ist ausser Zweifel, wenngleich +der oekonomische Druck, den die italischen Kaufleute und Bankiers auf +die Provinzen uebten, noch weit schwerer auf denselben gelastet haben +mag als die Besteuerung mit allen daran haengenden Missbraeuchen. Fassen +wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen zog, +nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den wir +jetzt damit verbinden, sondern vielmehr ueberwiegend eine den attischen +Tributen vergleichbare Hebung, womit der fuehrende Staat die Kosten des +von demselben uebernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus erklaert sich +auch die auffallende Geringfuegigkeit des Roh- wie des Reinertrags. Es +findet sich eine Angabe, wonach die roemische Einnahme, vermutlich mit +Ausschluss der italischen Einkuenfte und des von den Zehntpaechtern in +Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum Jahr 691 (63) nicht +mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler); also nur zwei +Drittel der Summe, die der Koenig von Aegypten jaehrlich aus seinem +Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das Verhaeltnis befremden. +Die Ptolemaeer beuteten das Niltal aus wie grosse Plantagenbesitzer und +zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen monopolisierten Handelsverkehr +mit dem Orient; das roemische Aerar war nicht viel mehr als die +Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz geeinigten Gemeinden. Der +Reinertrag war wahrscheinlich verhaeltnismaessig noch geringer. +Einen ansehnlichen Ueberschuss lieferten wohl nur Sizilien, wo das +karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem Asia, seit Gaius +Gracchus, um seine Getreideverteilung moeglich zu machen, daselbst die +Bodenkonfiskation und die allgemeine Domanialbesteuerung durchgesetzt +hatte; nach vielfaeltigen Zeugnissen ruhten die roemischen +Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von Asia. Die Versicherung +klingt ganz glaublich, dass die uebrigen Provinzen durchschnittlich +ungefaehr so viel kosteten als sie einbrachten; ja diejenigen, welche +eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide Spanien, das Jenseitige +Gallien, Makedonien, moegen oft mehr gekostet als getragen haben. Im +ganzen blieb dem roemischen Aerar allerdings in gewoehnlichen Zeiten +ein Ueberschuss, welcher es moeglich machte, die Staats- und Stadtbauten +reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig aufzusammeln; aber auch +die fuer diese Betraege vorkommenden Ziffern, zusammengehalten mit +dem weiten Gebiet der roemischen Herrschaft, sprechen fuer die +Geringfuegigkeit des Reinertrags der roemischen Steuern. In gewissem +Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verstaendige Grundsatz: +die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu behandeln, ebenwie +die roemisch-italische so auch noch die provinziale Finanzverfassung +beherrscht. Was die roemische Gemeinde von ihren ueberseeischen +Untertanen erhob, ward der Regel nach auch fuer die militaerische +Sicherung der ueberseeischen Besitzungen wieder verausgabt; und wenn +diese roemischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer trafen als +die aeltere Besteuerung, dass sie grossenteils im Ausland verausgabt +wurden, so schloss dagegen die Ersetzung der vielen kleinen Herren +und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte +Militaerverwaltung eine sehr ansehnliche oekonomische Ersparnis ein. +Aber freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in +der Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstoert +und durchloechert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich +gestattete. Der hieronisch- karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging +weit hinaus ueber den Betrag eines jaehrlichen Kriegsbeitrags. Mit +Recht ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, dass es der roemischen +Buergerschaft uebel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zoellner der +Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzoelle war mit dem Grundsatz +der uneigennuetzigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Hoehe der +Zollsaetze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das +Gefuehl des hier zugefuegten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehoert +wohl schon dieser Zeit an, dass der Name des Zoellners den oestlichen +Voelkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Raeubers +ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den roemischen +Namen besonders im Osten widerwaertig und gehaessig zu machen. Als dann +aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich +in Rom die populaere nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden +fuer ein Recht erklaert, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine +Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum +verwandelt, das vollstaendige Exploitierungssystem nicht bloss +eingefuehrt, sondern mit unverschaemter Offenherzigkeit rechtlich +motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, dass dabei +eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und +Asia das haerteste Los traf. Einen ungefaehren Messer des roemischen +Finanzstandes dieser Zeit gewaehren in Ermangelung bestimmter Angaben +noch am ersten die oeffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser +Epoche wurden dieselben in groesstem Umfange betrieben, und vor allem +die Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefoerdert +worden. In Italien schloss sich an die grosse, vermutlich schon aeltere +Suedchaussee, die als Verlaengerung der Appischen von Rom ueber Capua, +Beneventum, Venusia nach den Haefen von Tarent und Brundisium lief, eine +Seitenstrasse an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des +Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostkueste, wo bisher nur +die Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Strasse +chaussiert gewesen war, wurde die Kuestenstrasse suedwaerts bis nach +Brundisium, nordwaerts ueber Hatria am Po bis nach Aquileia verlaengert +und wenigstens das Stueck von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten +Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden grossen +etrurischen Chausseen, die Kuesten- oder Aurelische Strasse von Rom nach +Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, +und die ueber Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia gefuehrte +Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, duerften als +roemische Staatschausseen erst dieser Zeit angehoeren. Um Rom selbst +bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Bruecke +(Ponte Molle), auf der die Flaminische Strasse unweit Rom den Tiber +ueberschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in +Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende +Flaminisch-Aemilische Kunststrasse gehabt hatte, wurde im Jahre 606 +(148) die grosse Postumische Strasse gebaut, die von Genua ueber +Dertona, wo wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegruendet ward, +weiter ueber Placentia, wo sie die Flaminisch-Aemilische Strasse +aufnahm, Cremona und Verona nach Aquileia fuehrte und also das +Tyrrhenische und das Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die +im Jahre 645 (109) durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung +zwischen Luna und Genua hinzukam, welche die Postumische Strasse +unmittelbar mit Rom verknuepfte. In einer anderen Weise war Gaius +Gracchus fuer das italische Wegewesen taetig. Er sicherte +die Instandhaltung der grossen Landstrassen, indem er bei der +Ackerverteilung laengs derselben Grundstuecke anwies, auf denen die +Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last haftete; auf ihn +ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission scheint, wie die +Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu bezeichnen, so +auch die der Errichtung von Meilensteinen zurueckzugehen; er sorgte +endlich fuer gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau zu +foerdern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in +dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen: +die Domitische Strasse stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg +von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gruendung von Aquae +Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische +fuehrten von den Hauptplaetzen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres, +jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland +hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im +Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Strassennetz fuehrte +von der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an +die Reichsgrenze - alles Anlagen, ueber deren Entstehung in der +truemmerhaften Ueberlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden +ist, die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der +roemischen Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien +unzweifelhaft in Zusammenhang standen und fuer die Zentralisierung des +Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte +von der groessten Bedeutung geworden sind. Wie fuer die Strassen war man +wenigstens in Italien auch fuer die grossen Entsumpfungsarbeiten taetig. +So ward im Jahre 594 (160) die Trockenlegung der Pomptinischen Suempfe, +die Lebensfrage fuer Mittelitalien, mit grossem Kraftaufwand und +wenigstens voruebergehendem Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109) +in Verbindung mit den norditalischen Chausseebauten zugleich die +Entsumpfung der Niederungen zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt. +Endlich tat die Regierung viel fuer die zur Gesundheit und +Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso unentbehrlichen wie kostspieligen +roemischen Wasserleitungen. Nicht bloss wurden die beiden seit den +Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits bestehenden, die Appische und die +Anioleitung, im Jahre 610 (144) von Grund aus repariert, sondern auch +zwei neue Leitungen angelegt: im Jahre 610 (144) die Marcische, die +an Guete und Fuelle des Wassers auch spaeter unuebertroffen blieb, +und neunzehn Jahre nachher die sogenannte Laue. Welche Operationen die +roemische Staatskasse, ohne vom Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels +reiner Barzahlung auszufuehren vermochte, zeigt nichts deutlicher als +die Art, wie die Marcische Leitung zustande kam: die dazu erforderliche +Summe von 180 Mill. Sesterzen (in Gold 13 Mill. Taler) ward innerhalb +dreier Jahre disponibel gemacht und verwandt. Es laesst dies schliessen +auf eine sehr ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch +schon im Anfang dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und +ohne Zweifel bestaendig im Steigen war. Alle diese Tatsachen +zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im allgemeinen guenstigen +Stand der roemischen Finanzen dieser Zeit schliessen. Nur darf auch +in finanzieller Hinsicht nicht uebersehen werden, dass die Regierung +waehrend der ersten zwei Drittel dieses Zeitabschnitts zwar glaenzende +und grossartige Bauten ausfuehrte, aber dafuer andere wenigstens ebenso +notwendige Ausgaben zu machen unterliess. Wie ungenuegend sie fuer +das Militaerwesen sorgte, ist bereits hervorgehoben worden: in den +Grenzlandschaften, ja im Potal pluenderten die Barbaren, im Innern +hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien die Raeuberbanden. Die +Flotte gar ward voellig vernachlaessigt; roemische Kriegsschiffe gab +es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die Untertanenstaedte +bauen und erhalten liess, reichten nicht aus, so dass man nicht bloss +schlechterdings keinen Seekrieg zu fuehren, sondern nicht einmal den +Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst unterblieben +eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich die +Flussbauten wurden seltsam vernachlaessigt. Immer noch besass die +Hauptstadt keine andere Bruecke ueber den Tiber als den uralten +hoelzernen Steg, der ueber die Tiberinsel nach dem Ianiculum fuehrte; +immer noch liess man den Tiber jaehrlich die Strassen unter Wasser +setzen und Haeuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, +ohne etwas fuer die Uferbefestigung zu tun; immer mehr liess man, wie +gewaltig auch der ueberseeische Handel sich entwickelte, die an sich +schon schlechte Reede von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter +den guenstigsten Verhaeltnissen und in einer Epoche vierzigjaehrigen +Friedens nach aussen und innen solche Pflichten versaeumt, kann leicht +Steuern schwinden lassen und dennoch einen jaehrlichen Ueberschuss der +Einnahme ueber die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen; +aber eine derartige Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen +ihrer nur scheinbar glaenzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben +Vorwuerfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der +verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet +gegen das senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden +mussten. Weit schlimmer gestalteten sich natuerlich die finanziellen +Verhaeltnisse, als die Stuerme der Revolution hereinbrachen. Die neue +und, auch bloss finanziell betrachtet, hoechst drueckende Belastung, +die dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung +erwuchs, den hauptstaedtischen Buergern das Getreide zu Schleuderpreisen +zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia +neu eroeffneten Einnahmequellen zunaechst wieder ausgeglichen. +Nichtsdestoweniger scheinen die oeffentlichen Bauten seitdem +fast gaenzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die +erweislichermassen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus +angelegten oeffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit +nach 632 (122) kaum andere genannt als die Bruecken-, Strassen und +Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645 +(109) anordnete. Es muss dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der +Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge +des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt fuer ein immer +mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in +der Angabe, dass der roemische Reservefonds seinen hoechsten Stand +im Jahre 663 (91) erreichte. Der fuerchterliche Insurrektions- und +Revolutionssturm in Verbindung mit dem fuenfjaehrigen Ausbleiben der +kleinasiatischen Gefaelle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg +wieder den roemischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben +dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den +Unterschied der Zeiten, als dass im Hannibalischen Krieg erst im +zehnten Kriegsjahre, als die Buergerschaft den Steuern fast erlag, der +Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von +Haus aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei +Feldzuegen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man +lieber die oeffentlichen Plaetze in der Hauptstadt versteigerte und +die Tempelschaetze angriff, als eine Steuer auf die Buerger ausschrieb. +Indes der Sturm, so arg er war, ging vorueber; Sulla stellte, freilich +unter ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen +Revolutionaeren aufgebuerdeten oekonomischen Opfern, die Ordnung in den +Finanzen wieder her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, +die asiatischen Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem +Gemeinwesen wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden oekonomischen +Zustand, als die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen +Einnahmen blieben. In der Privatoekonomie dieser Zeit tritt kaum ein +neues Moment hervor; die frueher dargelegten Vorzuege und Nachteile der +sozialen Verhaeltnisse Italiens werden nicht veraendert, sondern nur +weiter und schaerfer entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir +bereits frueher die steigende roemische Kapitalmacht den mittleren und +kleinen Grundbesitz in Italien sowohl wie in den Provinzen allmaehlich +verzehren, wie die Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah +nicht bloss zu ohne zu wehren, sondern foerderte noch die schaedliche +Bodenteilung durch einzelne Massregeln, vor allem durch das zu Gunsten +der grossen italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot +der transalpinischen Wein- und Oelproduktion 5. Zwar wirkten sowohl +die Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der +Konservativen energisch dem uebel entgegen: indem die beiden Gracchen +die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie +dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten +in Italien ansiedelte, ergaenzte er wenigstens einen Teil der von der +Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft +gerissenen Luecken; allein dem durch stetigen Abfluss sich leerenden +Gefaess ist nicht durch Einschoepfen auch betraechtlicher Massen, +sondern nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche +vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar +geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem +Auskaufen durch die roemischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen +waren ja bloss Menschen und keine Partei. Die Folge war, dass mehr und +mehr auch die ausseritalische Bodenrente nach Rom floss. Uebrigens +war die Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst +in einzelnen Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits +durchaus ueberwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und +rationellen Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher +Bluete gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die +Eroeffnung gezwungener Maerkte in einem Teil der Provinzen, teils das +zum Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot +der auslaendischen Weine in Italien auch kuenstlich foerderten, erzielte +sehr bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben +dem Thasier und Chier genannt zu werden, und der "Opimische Wein" vom +Jahre 633 (121), der roemische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem +der letzte Krug geleert war. ------------------------------------------- +5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor +Varro lebenden roemischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5) +zusammenhaengen, dass der Wein- und Oelbau sich bestaendig weiter +nach Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluss wegen Uebersetzung +der Magonischen Buecher gehoert hierher. +--------------------------------------------- Von Gewerben und +Fabrikation ist nichts zu sagen, als dass die italische Nation in dieser +Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivitaet verharrte. Man +zerstoerte wohl die korinthischen Fabriken, die Depositare so mancher +wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um selbst aehnliche +Fabriken zu gruenden, sondern um zu Schwindelpreisen zusammenzukaufen, +was die griechischen Haeuser an korinthischen Ton- oder Kupfergefaessen +und aehnlichen "alten Arbeiten" bewahrten. Was von Gewerken +noch einigermassen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem Bauwesen +zusammenhaengenden, trug fuer das Gemeinwesen deshalb kaum einen Nutzen, +weil auch hier bei jeder groesseren Unternehmung die Sklavenwirtschaft +sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die Anlage der Marcischen +Wasserleitung in der Art erfolgte, dass die Regierung mit 3000 Meistern +zugleich Bau- und Lieferungsvertraege abschloss, von denen dann +jeder mit seiner Sklavenschar die uebernommene Arbeit beschaffte. Die +glaenzendste oder vielmehr die allein glaenzende Seite der roemischen +Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze +stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein grosser, +vielleicht der groesste Teil der roemischen Staatseinnahmen in die +Taschen der roemischen Kapitalisten floss. Der Geldverkehr ferner war im +ganzen Umfang des roemischen Staats von den Roemern monopolisiert; jeder +in Gallien umgesetzte Pfennig, heisst es in einer bald nach dem Ende +dieser Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Buecher der +roemischen Kaufleute, und so war es ohne Zweifel ueberall. Wie +das Zusammenwirken der rohen oekonomischen Zustaende und der +ruecksichtslosen Ausnutzung der politischen Uebermacht zu Gunsten der +Privatinteressen eines jeden vermoegenden Roemers eine wucherliche +Zinswirtschaft allgemein machte, zeigt zum Beispiel die Behandlung der +von Sulla der Provinz Asia 670 (84) auferlegten Kriegssteuer, die die +roemischen Kapitalisten vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und +nichtgezahlten Zinsen binnen vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres +urspruenglichen Betrags an. Die Gemeinden mussten ihre oeffentlichen +Gebaeude, ihre Kunstwerke und Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen +Kinder verkaufen, um dem roemischen Glaeubiger gerecht zu werden; es war +nichts Seltenes, dass der Schuldner nicht bloss der moralischen Tortur +unterworfen, sondern geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu +kam endlich der Grosshandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr +betraechtlich. Jene bestand vornehmlich in Wein und Oel, womit Italien +neben Griechenland fast ausschliesslich - die Weinproduktion in der +massaliotischen und turdetanischen Landschaft kann damals nur gering +gewesen sein - das gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer +Wein ging in bedeutenden Quantitaeten nach den Balearischen Inseln und +Keltiberien, nach Africa, das nur Acker- und Weideland war, nach +Narbo und in das innere Gallien. Bedeutender noch war die Einfuhr +nach Italien, wo damals aller Luxus sich konzentrierte und die meisten +Luxusartikel, Speisen, Getraenke, Stoffe, Schmuck, Buecher, Hausgeraet, +Kunstwerke, ueber See eingefuehrt wurden. Vor allem aber der +Sklavenhandel nahm infolge der stets steigenden Nachfrage der roemischen +Kaufleute einen Aufschwung, dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch +nicht gekannt hatte und der mit dem Aufbluehen der Piraterie im engsten +Zusammenhang steht; alle Laender und alle Nationen wurden dafuer in +Kontribution gesetzt, die Hauptfangplaetze aber waren Syrien und das +innere Kleinasien. In Italien konzentrierte die ueberseeische Einfuhr +sich vorzugsweise in den beiden grossen Emporien am Tyrrhenischen Meer, +Ostia und Puteoli. Nach Ostia, dessen Reede wenig taugte, das aber, als +der naechste Hafen an Rom, fuer weniger werthafte Waren der geeignetste +Stapelplatz war, zog sich die fuer die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr, +dagegen der Luxushandel mit dem Osten ueberwiegend nach Puteoli, das +durch seinen guten Hafen fuer Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl +und in der mehr und mehr mit Landhaeusern sich fuellenden Gegend von +Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstaedtischen wenig nachstehenden +Markt in naechster Naehe darbot. Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr +durch Korinth und nach dessen Vernichtung durch Delos vermittelt, wie +denn in diesem Sinne Puteoli bei Lucilius das italische "Klein-Delos" +heisst; nach der Katastrophe aber, die Delos im Mithradatischen Kriege +betraf, und von der es sich nicht wieder erholt hat, knuepften die +Puteolaner direkte Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an +und entwickelte damit ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten +ueberseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloss der Gewinn, der +bei der italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den +Italikern zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel +mit den Massalioten, und ueberhaupt leidet es keinen Zweifel, dass +die ueberall fluktuierend oder ansaessig anzutreffende roemische +Kaufmannschaft den besten Teil aller Spekulationen fuer sich nahm. +Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den +hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der +politischen ebenbuertig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der +roemischen Kapitalisten. In ihren Haenden vereinigt sich die Bodenrente +fast des ganzen Italiens und der besten Stuecke des Provinzialgebiets, +die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der +Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung +ein sehr betraechtlicher Teil der roemischen Staatseinkuenfte. Die +immer zunehmende Anhaeufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des +Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler) +war jetzt ein maessiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein +anstaendiges Rittervermoegen; das Vermoegen des reichsten Mannes der +Gracchischen Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 +Mill. Sesterzen (7Mill. Taler) geschaetzt. Es ist kein Wunder, wenn +dieser Kapitalistenstand die aeussere Politik vorwiegend bestimmt, wenn +er aus Handelsrivalitaet Karthago und Korinth zerstoert, wie einst die +Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere zerstoerten, wenn er dem Senat zum +Trotz die Gruendung von Narbo aufrecht erhaelt. Es ist ebenfalls kein +Wunder, wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der +Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht. +Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die +Spitze empoerter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft +daran erinnert, dass aus dem eleganten Bordell der Uebergang zu der +Raeuberhoehle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder +finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein oekonomischen, sondern +der politischen Uebermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten +politischen Krise ungefaehr in derselben Art schwankt wie unser sehr +aehnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg +der italisch- asiatischen Bewegungen 664f. (90) ueber den roemischen +Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und +der Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstuecke und der +Gesellschaftsparten koennen wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; +wohl aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer +Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen +Glaeubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren +aus dem Senat zu stossen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla, +die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionaere +Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natuerlich in den Provinzen +allgemeine Verarmung und Entvoelkerung, wogegen die parasitische +Bevoelkerung reisender oder auf Zeit ansaessiger Italiker ueberall +im Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen +italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos +waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und +die Angabe, dass hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf +Mithradates' Befehl getoetet wurden. In Afrika waren der Italiker so +viele, dass sogar die numidische Stadt Cirta hauptsaechlich durch sie +gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heisst es, war +angefuellt mit roemischen Kaufleuten; nur fuer Spanien finden sich, +vielleicht nicht zufaellig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst +ist dagegen der Stand der freien Bevoelkerung in dieser Epoche ohne +Zweifel im ganzen zurueckgegangen. Allerdings haben die Buergerkriege +hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und +freilich wenig zuverlaessigen Angaben 100000 bis 150000 Koepfe von +der roemischen Buergerschaft, 300000 von der italischen Bevoelkerung +ueberhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der +oekonomische Ruin des Mittelstandes und die masslose Ausdehnung der +kaufmaennischen Emigration, die einen grossen Teil der italischen Jugend +waehrend ihrer kraeftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlasste. +Einen Ersatz sehr zweifelhaften Wertes gewaehrte dafuer die freie +parasitische hellenisch-orientalische Bevoelkerung, die als koenigliche +oder Gemeindediplomaten, als Aerzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente, +Schmarotzer und in den tausendfachen Aemtern der Industrieritter- und +Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Haendler und Schiffer namentlich +in Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das +unverhaeltnismaessige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die +italische Buergerschaft zaehlte nach der Schaetzung des Jahres 684 +(70) 910000 waffenfaehige Maenner, wobei, um den Betrag der freien +Bevoelkerung auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schaetzung +zufaellig uebergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den +Alpen und dem Po und die in Italien domizilierten Auslaender, hinzu-, +die auswaerts domizilierten roemischen Buerger dagegen abzurechnen sind. +Es wird demnach kaum moeglich sein, die freie Bevoelkerung der Halbinsel +hoeher als auf 6 bis 7 Mill. Koepfe anzusetzen. Wenn die damalige +Gesamtbevoelkerung derselben der gegenwaertigen gleichkam, so haette +man danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Koepfen anzunehmen. Es +bedarf indes solcher trueglichen Berechnungen nicht, um die gefaehrliche +Spannung dieser Verhaeltnisse anschaulich zu machen; laut genug reden +die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der +Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an +die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit +sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords, +seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders +und Paechter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven +verwandelt, so wird man ein ungefaehres Bild der damaligen Bevoelkerung +der italischen Halbinsel gewinnen. Wie im klaren Spiegel liegen die +oekonomischen Verhaeltnisse dieser Epoche noch heute uns vor in dem +roemischen Muenzwesen. Die Behandlung desselben zeigt durchaus den +einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit standen Gold und Silber als +allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so dass zwar zum Zweck allgemeiner +Kassebilanzen ein festes Wertverhaeltnis zwischen beiden Metallen +gesetzlich normiert war, aber doch regelmaessig es nicht freistand, +ein Metall fuer das andere zu geben, sondern je nach dem Inhalt der +Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf diesem Wege wurden +die grossen Uebelstaende vermieden, die sonst an die Aufstellung +eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knuepfen; die starken +Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der Entdeckung +der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal in Italien +um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt auf die +Silbermuenze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der +Sache, dass, je mehr der ueberseeische Verkehr sich ausdehnte, desto +entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat, +was denn auch die Angaben ueber die Staatskassenbestaende und die +Staatskassengeschaefte bestaetigen; aber die Regierung liess sich +dadurch nicht bewegen, das Gold auch in die Muenze einzufuehren. Die in +der Not des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man laengst wieder +fallen lassen; die wenigen Goldstuecke, die Sulla als Regent +schlug, sind kaum mehr gewesen als Gelegenheitsmuenze fuer seine +Triumphalgeschenke. Nach wie vor zirkulierte als wirkliche Muenze +ausschliesslich das Silber; das Gold ward, mochte es nun, wie +gewoehnlich, in Barren umlaufen oder auslaendisches oder allenfalls +auch inlaendisches Gepraege tragen, lediglich nach dem Gewicht genommen. +Dennoch standen Gold und Silber als Verkehrsmittel gleich, und die +betruegliche Legierung des Goldes wurde gleich der Praegung falscher +Silbermuenzen rechtlich als Muenzvergehen betrachtet. Man erreichte +hierdurch den unermesslichen Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel +selbst die Moeglichkeit der Muenzdefraude und Muenzveruntreuung +abzuschneiden. uebrigens war die Muenzpraegung ebenso reichlich wie +musterhaft. Nachdem im Hannibalischen Kriege das Silberstueck von +1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, ist dasselbe mehr als +drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich schwer und gleich fein +geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die Kupfermuenze wurde um +den Anfang dieser Periode voellig zur Scheidemuenze und hoerte auf, wie +frueher, im Grossverkehr gebraucht zu werden; aus diesem Grunde wurde +etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der As nicht mehr +geschlagen und die Kupferpraegung beschraenkt auf die im Silber nicht +fueglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3 Pfennig) und +darunter. Die Muenzsorten waren nach einem einfachen Prinzip geordnet +und in der damals kleinsten Muenze gewoehnlicher Praegung, dem Quadrans +(1 Pfennig), hinabgefuehrt bis an die Grenze der fuehlbaren Werte. Es +war ein Muenzsystem, das an prinzipieller Verstaendigkeit der Grundlagen +wie an eisern strenger Durchfuehrung derselben im Altertum einzig +dasteht und auch in der neueren Zeit nur selten erreicht worden ist. +Doch hat auch dies seinen wunden Fleck. Nach einer im ganzen Altertum +gemeinen, in ihrer hoechsten Entwicklung in Karthago auftretenden +Sitte gab auch die roemische Regierung mit den guten silbernen Denaren +zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus, welche gleich jenen +genommen werden mussten und nichts waren als ein unserem Papiergeld +analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung auf die Staatskasse, +insofern auch diese nicht befugt war, die plattierten Stuecke +zurueckzuweisen. Eine offizielle Falschmuenzerei war dies so wenig +wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz offen betrieb: +Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel fuer seine Kornspenden +zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf je sieben silberne, +neu aus der Muenze hervorgehende Denare; allein nichtsdestoweniger +bot diese Massregel nicht bloss der privaten Falschmuenzerei eine +bedenkliche Handhabe, sondern sie liess auch das Publikum absichtlich +darueber im ungewissen, ob es Silber- oder Zeichengeld empfange und in +welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf sei. In der bedraengten Zeit +des Buergerkrieges und der grossen finanziellen Krise scheint man der +Planierung sich so ueber die Gebuehr bedient zu haben, dass zu der +Finanzkrise eine Muenzkrise sich gesellte und die Masse der falschen +und faktisch entwerteten Stuecke den Verkehr hoechst unsicher machte. +Deshalb wurde waehrend des Cinnanischen Regiments von den Praetoren und +Tribunen, zunaechst von Marcus Marius Gratidianus, die Einloesung des +saemtlichen Zeichengeldes durch Silbergeld verfuegt und zu dem Ende ein +Probierbuero eingerichtet. Inwieweit die Aufrufung durchgefuehrt ward, +ist nicht ueberliefert; die Zeichengeldpraegung selbst blieb bestehen. +Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemaessheit der grundsaetzlichen +Beseitigung der Goldmuenze die Goldpraegung nirgends, auch in den +Klientelstaaten nicht gestattet; so dass die Goldpraegung in dieser +Zeit nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei +den Kelten nordwaerts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich +auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates +Eupator Goldmuenzen schlugen. Auch die Silberpraegung zeigt die +Regierung sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, +vornehmlich im Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische +Gold- und Silbermuenze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im +Umlauf geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen +weder auf karthagischen noch auf roemischen Fuss, und sicher hat sehr +bald nach der Besitzergreifung der Roemer auch in dem Verkehr beider +Landschaften der von Italien eingefuehrte Denar das Uebergewicht +erhalten. In Spanien und Sizilien, die frueher an Rom gekommen sind und +ueberhaupt eine mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter +roemischer Herrschaft in Silber gepraegt, ja in dem ersteren Lande die +Silberpraegung erst durch die Roemer und auf roemischen Fuss ins Leben +gerufen worden; aber es sind gute Gruende vorhanden fuer die Annahme, +dass auch in diesen beiden Landschaften wenigstens seit dem Anfang des +siebenten Jahrhunderts die provinziale und staedtische Praegung sich +auf die kupferne Scheidemuenze hat beschraenken muessen. Nur im +Narbonesischen Gallien konnte der altverbuendeten und ansehnlichen +Freistadt Massalia das Recht der Silberpraegung nicht entzogen werden; +und dasselbe gilt vermutlich von den illyrischen Griechenstaedten +Apollonia und Dyrrhachion. Indes beschraenkte man doch diesen Gemeinden +indirekt ihr Muenzrecht dadurch, dass der Dreivierteldenar, der nach +Anordnung der roemischen Regierung dort wie hier gepraegt ward und der +unter dem Namen des Victoriatus in das roemische Muenzsystem aufgenommen +worden war, um die Mitte des 7. Jahrhunderts in diesem beseitigt ward; +wovon die Folge sein musste, dass das massaliotische und illyrische +Courant aus Oberitalien verdraengt wurde und ausser seinem einheimischen +Gebiete nur noch etwa in den Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb. +So weit war man also bereits in dieser Epoche, dass in der gesamten +Westhaelfte des roemischen Staates der Denarfuss ausschliesslich +herrschte: denn Italien, Sizilien - von dem es fuer den Anfang der +naechsten Epoche ausdruecklich bezeugt ist, dass daselbst kein +anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien, Afrika brauchten +ausschliesslich roemisches Silbergeld, und das in Spanien noch +umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermuenze der Massalioten und +Illyriker war wenigstens auf Denarfuss geschlagen. Anders war es im +Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit muenzenden Staaten und die +Masse der umlaufenden Landesmuenze sehr ansehnlich war, drang der Denar +nicht in groesserem Umfang ein, wenn er auch vielleicht gesetzlich +gangbar erklaert ward: vielmehr blieb hier entweder der bisherige +Muenzfuss, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn auch +teilweise mit Hinzufuegung der Namen von roemischen Beamten zu dem +der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiss +wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter +roemischer Autoritaet ein den Verhaeltnissen entsprechender +eigentuemlicher Muenzfuss neu eingefuehrt, wie denn bei der Einrichtung +der Provinz Asia derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus, +von der roemischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den +Bezirkshauptstaedten daselbst unter roemischer Oberaufsicht geschlagen +ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und +des orientalischen Muenzwesens ist von der groessten geschichtlichen +Bedeutung geworden: die Romanisierung der unterworfenen Laender hat +in der Annahme der roemischen Muenze einen ihrer wichtigsten Hebel +gefunden, und es ist kein Zufall, dass dasjenige, was wir in dieser +Epoche als Gebiet des Denars bezeichnet haben, spaeterhin zu der +lateinischen, dagegen das Gebiet der Drachme spaeterhin zu der +griechischen Reichshaelfte geworden ist. Noch heutigentags stellt +jenes Gebiet im wesentlichen den Inbegriff der romanischen Kultur +dar, waehrend dieses dagegen aus der europaeischen Zivilisation sich +ausgeschieden hat. Wie bei solchen oekonomischen Zustaenden die sozialen +Verhaeltnisse sich gestalten mussten, ist im allgemeinen leicht zu +ermessen, die Steigerung aber des Raffinements, der Preise, des +Ekels und der Leere im besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch +lehrreich. Verschwendung und sinnlicher Genuss war die Losung ueberall, +bei den Parvenus so gut wie bei den Liciniern und Metellern; nicht +der feine Luxus gedieh, der die Bluete der Zivilisation ist, sondern +derjenige, der in der verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens +und Alexandreias sich entwickelt hatte, der alles Schoene und Bedeutende +zur Dekoration entadelte und auf den Genuss studierte mit einer +muehseligen Pedanterie, einer zopfigen Tueftelei, die ihn dem sinnlich +wie dem geistig frischen Menschen gleich ekelhaft macht. Was +die Volksfeste anlangt, so wurde, es scheint um die Mitte dieses +Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus Aufidius beantragten Buergerschluss +die in der catonischen Zeit untersagte Einfuhr ueberseeischer Bestien +foermlich wieder gestattet, wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften +Betrieb kamen und ein Hauptstueck der Buergerfeste wurden. Um 651 (103) +erschienen in der roemischen Arena zuerst mehrere Loewen, 655 (99) die +ersten Elefanten; 661 (93) liess Sulla als Praetor schon hundert Loewen +auftreten. Dasselbe gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die +Bilder grosser Schlachten oeffentlich ausgestellt hatten, so fingen die +Enkel an, dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen +Haupt- und Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu +verspotten. Welche Summen dafuer und fuer die Begraebnisfeierlichkeiten +ueberhaupt aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius +Lepidus (Konsul 567, 579 187, 175; + 592 152) abnehmen; derselbe befahl +seinen Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepraenge, +sondern in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste +bestehe, auf seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 +Taler) zu verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das +prachtvolle und namentlich wegen der alten Baeume des Gartens beruehmte +Stadthaus des Redners Crassus (+ 663 91) ward mit den Baeumen auf 6 +Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Haelfte geschaetzt, +waehrend der Wert eines gewoehnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000 +Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise +der Luxusgrundstuecke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen +Villa, die Cornelia, die Mutter der Gracchen, fuer 75000 Sesterzen (5700 +Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreissigfachen +Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben +machten Baiae und ueberhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum +Eldorado des vornehmen Muessiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es +keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knoechelspiel, um Nuesse +ging, wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen +erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhuellten, und +seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Maennern die alten +wollenen Roecke zu verdraengen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit +auslaendischen Parfuemerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich +die Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses +vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis +100000 Sesterzen (7600 Taler) - fuer einen ausgesuchten Koch; man baute +mit Ruecksicht darauf und versah namentlich die Landhaeuser an der +Kueste mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit +frisch auf die Tafel liefern zu koennen; man nannte es schon ein elendes +Diner, wenn das Gefluegel ganz und nicht bloss die erlesenen Stuecke +den Gaesten vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den +einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloss zu kosten; man bezog fuer +schweres Geld auslaendische Delikatessen und griechischen Wein, der +bei jeder anstaendigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden +musste. Vor allem bei der Tafel glaenzte die Schar der Luxussklaven, die +Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden +oder gemaeldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike +Bronzegeraet, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunaechst richteten +sich die Luxusgesetze, die haeufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89, +82) und ausfuehrlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und +Weine wurden darin gaenzlich untersagt, fuer andere nach Gewicht und +Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantitaet des silbernen +Tafelgeschirrs gesetzlich beschraenkt, endlich allgemeine +Maximalbetraege der Kosten der gewoehnlichen und der Festtagsmahlzeit +vorgeschrieben, zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17 Groschen und +5 Taler), 673 (81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und +17 Taler). Zur Steuer der Wahrheit muss leider hinzugefuegt werden, dass +von allen vornehmen Roemern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die +Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen; +auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates +den Kuechenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Muehe, einen +Augenblick noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus +im Silbergeraet zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes +Tafelgeschirr mit Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses +eine Ausnahme; die karthagischen Gesandtschaften spotteten darueber, +dass sie in jedem Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne +Tafelgeraet wiedergefunden haetten. Noch Scipio Aemilianus besass +nicht mehr als 32 Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe +Quintus Fabius (Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000 +Taler), Marcus Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund +(250000 Taler); in Sullas Zeit zaehlte man in der Hauptstadt bereits +gegen 150 hundertpfuendige silberne Prachtschuesseln, von denen manche +ihren Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfuer +verschwendeten Summen zu ermessen, muss man sich erinnern, dass auch +die Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn fuer +ausgezeichnetes Silbergeraet Gaius Gracchus den fuenfzehn-, Lucius +Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der +letztere fuer ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000 +Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhaeltnismaessig ueberall. +Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen +Ackergesetze, die zuerst darauf eine Praemie setzten. Die Scheidung, +einst in Rom fast unerhoert, war jetzt ein alltaegliches Ereignis; wenn +bei der aeltesten roemischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so +haette man den jetzigen vornehmen Roemern vorschlagen moegen, um zu der +Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzufuehren. Selbst ein +Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Haeuslichkeit +und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen +war, schaerfte als Zensor 623 (131) den Buergern die Pflicht, im +Ehestande zu leben, in der Art ein, dass er denselben bezeichnete als +eine drueckende, aber von den Patrioten pflichtmaessig zu uebernehmende +oeffentliche Last. 7 --------------------------------------- 6 In +dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er fuer das +Erdgeschoss 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen +Miete (Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewoehnlichen Kapitalzinses +kapitalisiert, ungefaehr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine +wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstaedtischer Mietzins von 6000 +Sesterzen (460 Taler) fuer das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird +(Vell. 1, 10), so muessen dabei besondere Umstaende obgewaltet haben. 7 +"Wenn wir koennten, ihr Buerger", hiess es in seiner Rede, wuerden wir +freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so +eingerichtet hat, dass weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne +die Frauen ueberhaupt sich leben laesst, so ziemt es sich auf +dauernde Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben." +-------------------------------------- Allerdings gab es Ausnahmen. Die +landstaedtischen Kreise, namentlich die der groesseren Gutsbesitzer, +hatten die alte ehrenwerte latinische Nationalsitte treuer bewahrt. In +der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase geworden; +die moderne Richtung herrschte souveraen und, wenn auch einzelne fest +und fein organisierte Naturen, wie Scipio Aemilianus, roemische Sitte +mit attischer Bildung zu vereinigen wussten, war doch bei der grossen +Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sittlicher +Verderbnis. Den Rueckschlag dieser sozialen Uebelstaende auf die +politischen Verhaeltnisse darf man niemals aus den Augen verlieren, wenn +man die roemische Revolution verstehen will. Es war nicht gleichgueltig, +dass von den beiden vornehmen Maennern, die im Jahre 662 (92) als +oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der eine dem andern +oeffentlich vorrueckte, dass er einer Muraene, dem Stolz seines +Fischteichs, bei ihrem Tode Traenen nachgeweint habe, und dieser wieder +jenem, dass er drei Frauen begraben und um keine eine Traene geweint +habe. Es war nicht gleichgueltig, dass im Jahre 593 (161) auf +offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen +Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin +in dem Kreise seiner Zechbrueder findet. "Sie spielen Hasard, fein +parfuemiert, die Maetressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt, +lassen sie den Bedienten kommen und heissen ihn auf der Dingstaette sich +umhoeren, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer fuer und wer gegen +den neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafuer, +welche dagegen gestimmt haetten. Endlich gehen sie selbst auf den +Gerichtsplatz, eben frueh genug, um sich den Prozess nicht selbst +auf den Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgaesschen eine +Gelegenheit, die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll +Wein geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstaette und geben +den Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der +Geschworene heisst die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie +er zurueckkommt, erklaert er alles gehoert zu haben und fordert die +Urkunden. Ersieht hinein in die Schriften; kaum haelt er vor Wein die +Augen auf. Wie er sich dann zurueckzieht, das Urteil auszufuellen, +laesst er zu seinen Zechbruedern sich vernehmen: 'Was gehen mich die +langweiligen Leute an? Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Suessen +mit griechischem Wein trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel +und einen guten Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?'" Die +den Redner hoerten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, dass +dergleichen Dinge belacht wurden? 12. Kapitel Nationalitaet, Religion, +Erziehung In dem grossen Kampfe der Nationalitaeten innerhalb des weiten +Umfangs des Roemischen Reiches erscheinen die sekundaeren Nationen in +dieser Zeit im Zurueckweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste +unter allen, die phoenikische, empfing durch die Zerstoerung Karthagos +die Todeswunde, an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften +Italiens, die ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, +Etrurien und Samnium, wurden nicht bloss von den schwersten Schlaegen +der Sullanischen Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung +Italiens noetigte ihnen auch im oeffentlichen Verkehr die lateinische +Sprache und Weise auf und drueckte die alten Landessprachen herab zu +rasch verkuemmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen +Umfange des roemischen Staates eine Nationalitaet als befugt, mit der +roemischen und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv +wie intensiv die latinische Nationalitaet im entschiedensten Aufschwung. +Wie seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstueck jedem +Italiker zu vollem roemischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott +roemische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der +transpadanischen Landschaft seitdem das roemische Recht mit Beseitigung +aller anderen Stadt- und Landrechte ausschliesslich gilt: so ist +damals die roemische Sprache auch die allgemeine Geschaefts- und bald +gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der +ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie +beschraenkte sich schon nicht mehr auf diese natuerlichen Grenzen. +Die in Italien zusammenstroemende Kapitalmasse, der Reichtum seiner +Produkte, die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner +Kaufleute fand keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel; +hierdurch und durch den oeffentlichen Dienst wurden die Italiker +massenweise in die Provinzen gefuehrt. Ihre privilegierte Stellung +daselbst privilegierte auch die roemische Sprache und das roemische +Recht, selbst wo nicht bloss Roemer miteinander verkehrten; ueberall +standen die Italiker zusammen als festgeschlossene und organisierte +Massen, die Soldaten in ihren Legionen, die Kaufleute jeder groesseren +Stadt als eigene Korporationen, die in dem einzelnen provinzialen +Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden roemischen Buerger +als "Kreise" (conventus civium Romanorum) mit ihrer eigenen +Geschworenenliste und gewissermassen mit Gemeindeverfassung; und wenn +auch diese provinzialen Roemer regelmaessig frueher oder spaeter nach +Italien zurueckgingen, so bildete sich dennoch allmaehlich aus ihnen +der Stamm einer festen, teils roemischen, teils an die roemische sich +anlehnenden Mischbevoelkerung der Provinzen. Dass in Spanien, wo das +roemische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene Provinzialstaedte +italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616 (133), spaeter +Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits erwaehnt. Wenn +das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der Vaccaeer +zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten und +widerwaertigsten Aufenthaltsorten fuer den gebildeten Italiker genannt +wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, dass schon +um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und sonst an der +Kueste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In bewusster +Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die Provinzen des +roemischen Staats durch die italische Emigration zu kolonisieren, das +heisst zu romanisieren, und legte Hand an die Ausfuehrung desselben; +und obgleich die konservative Opposition gegen den kuehnen Entwurf sich +auflehnte, die gemachten Anfaenge groesstenteils zerstoerte und die +Fortfuehrung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo erhalten, schon an +sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen Sprachgebiets und +noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines grossen Gedankens, der +Grundstein eines gewaltigen kuenftigen Baues. Der antike Gallizismus, ja +das heutige Franzosentum sind von dort ausgegangen und in ihrem +letzten Grunde Schoepfungen des Gaius Gracchus. Aber die latinische +Nationalitaet erfuellte nicht bloss die italischen Grenzen und fing an +sie zu ueberschreiten, sondern sie gelangte auch in sich zu tieferer +geistiger Begruendung. Wir finden sie im Zuge, eine klassische +Literatur, einen eigenen hoeheren Unterricht sich zu schaffen; und wenn +man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und der hellenischen +Bildung sich versucht fuehlen kann, die schwaechliche italische +Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch fuer die +geschichtliche Entwicklung zunaechst weit weniger darauf an, wie die +lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als +darauf, dass sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die +gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das Wort +des Dichters auch hier anwenden, dass der lebendige Tageloehner mehr +ist als der tote Achill. Wie rasch und ungestuem aber die lateinische +Sprache und Nationalitaet vorwaerts dringt, sie erkennt zugleich die +hellenische an als durchaus gleich, ja frueher und besser berechtigt und +tritt mit dieser ueberall in das engste Buendnis oder durchdringt sich +mit ihr zu gemeinschaftlicher Entwicklung. Die italische Revolution, +die sonst alle nichtlatinischen Nationalitaeten auf der Halbinsel +nivellierte, ruehrte nicht an die Griechenstaedte Tarent, Rhegion, +Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia, obwohl jetzt umschlossen von +roemischem Gebiet, fortwaehrend eine griechische Stadt und eben als +solche fest verbunden mit Rom. Mit der vollstaendigen Latinisierung +Italiens ging die steigende Hellenisierung Hand in Hand. In den hoeheren +Schichten der italischen Gesellschaft wurde die griechische Bildung zum +integrierenden Bestandteil der eigenen. Der Konsul des Jahres 623 +(131), der Oberpontifex Publius Crassus, erregte des Staunen selbst der +geborenen Griechen, da er als Statthalter von Asia seine gerichtlichen +Entscheidungen, wie der Fall es erforderte, bald in gewoehnlichem +Griechisch abgab, bald in einem der vier zu Schriftsprachen gewordenen +Dialekte. Und wenn die italische Literatur und Kunst laengst unverwandt +nach Osten blickten, so begann jetzt auch die hellenische das Antlitz +nach Westen zu wenden. Nicht bloss die griechischen Staedte in Italien +blieben fortwaehrend zu regem geistigen Verkehr mit Griechenland, +Kleinasien, Aegypten und goennten den dort gefeierten griechischen +Poeten und Schauspielern auch bei sich den gleichen Verdienst und die +gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem von dem Zerstoerer Korinths +bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen Beispiel, die gymnastischen +und musischen Spiele der Griechen: Wettkaempfe im Ringen sowie im +Musizieren, Spielen, Rezitieren und Deklamieren in Aufnahme ^1. Die +griechischen Literaten schlugen schon ihre Faeden bis in die vornehme +roemische Gesellschaft, vor allem in den Scipionischen Kreis, dessen +hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber +Polybios, der Philosoph Panaetios, bereits mehr der roemischen als der +griechischen Entwicklungsgeschichte angehoeren. Aber auch in anderen, +minderhochstehenden Zirkeln begegnen aehnliche Beziehungen. Wir gedenken +eines anderen Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil +in seinem Leben zugleich die gewaltige Voelkermischung dieser Zeit +sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener Karthager, sodann in +Athen Zuhoerer des Karneades und spaeter dessen Nachfolger in seiner +Professur, verkehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Maennern +Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius, und +widmete teils dem roemischen Konsul, der die Belagerung Karthagos +eroeffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, teils seinen +als Sklaven nach Italien gefuehrten Mitbuergern eine philosophische +Trostschrift. Hatten namhafte griechische Literaten bisher wohl +voruebergehend als Gesandte, Verbannte oder sonstwie ihren Aufenthalt +in Rom genommen, so fingen sie jetzt schon an, dort sich niederzulassen; +wie zum Beispiel der schon genannte Panaetios in Scipios Hause lebte, +und der Hexametermacher Archias von Antiocheia im Jahre 652 (102) sich +in Rom niederliess und von der Improvisierkunst und von Heldengedichten +auf roemische Konsulare sich anstaendig ernaehrte. Sogar Gaius Marius, +der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und ueberhaupt +zum Maezen moeglichst uebel sich schickte, konnte nicht umhin, +den Verskuenstler zu patronisieren. Waehrend also das geistige und +literarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehmeren +Elemente der beiden Nationen miteinander in Verbindung brachte, flossen +andererseits durch das massenhafte Eindringen der kleinasiatischen und +syrischen Sklavenscharen und durch die kaufmaennische Einwanderung aus +dem griechischen und halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit +orientalischen und ueberhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten +Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und +gaben auch diesem eine hellenische Faerbung. Die Bemerkung Ciceros, dass +neue Sprache und neue Weise zuerst in den Seestaedten aufkommt, duerfte +zunaechst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium +sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte +zuerst Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand. +--------------------------------------------------- ^1 Dass vor 608 +(146) keine "griechischen Spiele" in Rom gegeben seien (Tac. ann. 14, +21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische "Kuenstler" +(technitai) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische +Floetenspieler, Tragoeden und Faustkaempfer auf (Polyb. 30, 13). +-------------------------------------------------- Das +unmittelbare Resultat dieser vollstaendigen Revolution in den +Nationalitaetsverhaeltnissen war allerdings nichts weniger als +erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phoenikern, +Juden, Aegyptern, die Provinzen von Roemern; die scharf ausgepraegten +Volkstuemlichkeiten rieben sich ueberall aneinander und verschliffen +sich zusehends; es schien nichts uebrigbleiben zu sollen als der +allgemeine Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an +Ausdehnung gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo +der Mittelstand am fruehesten und vollstaendigsten verschwand und nichts +uebrig blieb als die grossen Herren und die Bettler, beide in gleichem +Masse Kosmopoliten. Cicero versichert, dass um 660 (190) die allgemeine +Bildung in den launischen Staedten hoeher gestanden habe als in +Rom; dies bestaetigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, +gesundeste und eigentuemlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komoedie +und die Lucilische Satire, mit groesserem Recht latinisch heissen als +roemisch. Dass der italische Hellenismus der unteren Schichten in der +Tat nichts war als ein zugleich mit allen Auswuechsen der Kultur und +mit oberflaechlich uebertuenchter Barbarei behafteter widerwaertiger +Kosmopolitismus, versteht sich von selbst; aber auch fuer die bessere +Gesellschaft blieb der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf +die Dauer massgebend. Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich +fuer das griechische Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff +sie statt zu der klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und +frivolsten Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen +Sinn das roemische Wesen zu gestalten, begnuegte man sich mit Entlehnung +desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist moeglichst wenig +in Taetigkeit setzte. In diesem Sinn aeusserte der arpinatische +Gutsbesitzer Marcus Cicero, der Vater des Redners, dass der Roemer, wie +der syrische Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch +verstehe. Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze +Zeit, aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Voelkerkreis, +den wir die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der +aeusserlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter +der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen +ruhenden Bildung. Ueber den Truemmern der Voelkerschaften zweiten Ranges +vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen stillschweigend +der grosse geschichtliche Kompromiss; die griechische und die +lateinische Nationalitaet schliessen miteinander Frieden. Auf dem +Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die +Roemer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem +Latein eine freilich beschraenkte und unvollstaendige Gleichstellung mit +dem Griechischen eingeraeumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den +fremden Gesandten, vor dem roemischen Senat ohne Dolmetscher griechisch +zu reden. Die Zeit kuendigt sich an, wo das roemische Gemeinwesen in +einen zwiesprachigen Staat uebergehen und der rechte Erbe des Thrones +und der Gedanken Alexanders des Grossen im Westen aufstehen wird, +zugleich ein Roemer und ein Grieche. Was schon der Ueberblick der +nationalen Verhaeltnisse also zeigt, die Unterdrueckung der sekundaeren +und die gegenseitige Durchdringung der beiden primaeren Nationalitaeten, +das ist im Gebiete der Religion, der Volkserziehung, der Literatur und +der Kunst noch im einzelnen genauer darzulegen. Die roemische Religion +war mit dem roemischen Gemeinwesen und dem roemischen Haushalt so innig +verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme Widerspiegelung der +roemischen Buergerwelt, dass die politische und soziale Revolution +notwendigerweise auch das Religionsgebaeude ueber den Haufen warf. Der +alte italische Volksglaube stuerzt zusammen; ueber seinen Truemmern +erheben sich, wie ueber den Truemmern des politischen Gemeinwesens +Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der Unglaube, die +Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der Aberglaube, das +Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings gehen die Anfaenge +von beiden, wie ja auch die Anfaenge der politisch-sozialen Revolution, +bereits in die vorige Epoche zurueck. Schon damals ruettelte die +hellenische Bildung der hoeheren Kreise im stillen an dem Glauben der +Vaeter; schon Ennius buergerte die Allegorisierung und Historisierung +der hellenischen Religion in Italien ein; schon der Senat, der Hannibal +bezwang, musste die Uebersiedlung des kleinasiatischen Kybelekults +nach Rom gutheissen und gegen anderen noch schlimmeren Aberglauben, +namentlich das bakchische Muckertum, aufs ernstlichste einschreiten. +Indes wie ueberhaupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr +in den Gemuetern sich vorbereitete als aeusserlich sich vollzog, so ist +auch die religioese Umwaelzung im wesentlichen dort erst das Werk der +gracchischen und sullanischen Zeit. Versuchen wir zunaechst die an +den Hellenismus sich anlehnende Richtung zu verfolgen. Die hellenische +Nation, weit frueher als die italische erblueht und abgeblueht, +hatte laengst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich +ausschliesslich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation und Reflexion; +seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch +Philosophie. Aber auch die philosophische Taetigkeit des hellenischen +Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die Epoche der +produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in dem Stadium +angekommen, wo nicht bloss keine wahrhaft neuen Systeme mehr entstehen, +sondern wo auch die Fassungskraft fuer die vollkommensten der +aelteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmaessige und bald +scholastische Ueberlieferung der unvollkommneren Philosopheme der +Vorfahren sich beschraenkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie, +statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht und +ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten, schlaegt. +Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefaehrlich, ist, verduennt +und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwaessert reichten die +gleichzeitigen Griechen ihn den Roemern, und diese verstanden weder +ihn zurueckzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern auf die +toten Meister zurueckzugehen. Platon und Aristoteles, um von den +vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluss auf +die roemische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern +genannt, ihre fasslicheren Schriften auch wohl gelesen und uebersetzt +wurden. So wurden denn die Roemer in der Philosophie nichts +als schlechter Lehrer schlechtere Schueler. Ausser der +historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen +aufloeste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit +lebender Wohltaeter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube +Goetter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind +hauptsaechlich drei Philosophenschulen fuer Italien von Bedeutung +geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros (+ 484 270) und des Zenon +(+ 491 263) und die skeptische des Arkesilas (+ 513 241) und Karneades +(541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus, die Stoa +und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche von der +Unmoeglichkeit des ueberzeugten Wissens ausging und an dessen Stelle nur +ein fuer das praktische Beduerfnis ausreichendes vorlaeufiges Meinen als +moeglich zugab, bewegte sich hauptsaechlich polemisch, indem sie jeden +Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen Dogmatismus in den +Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern ungefaehr auf einer +Linie mit der aelteren Sophistik, nur dass begreiflicherweise die +Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades und die Seinen mehr +gegen ihre philosophischen Kollegen ankaempften. Dagegen trafen Epikuros +und Zenon ueberein sowohl in dem Ziel einer rationellen Erklaerung des +Wesens der Dinge als auch in der physiologischen, von dem Begriff der +Materie ausgehenden Methode. Auseinander gingen sie, insofern Epikuros, +der Atomenlehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie +fasst und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die +Mannigfaltigkeit der Dinge ueberfuehrt, Zenon dagegen, sich anlehnend +an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynamische +Gegensaetzlichkeit und eine auf- und niederwogende Bewegung hineinlegt; +woraus denn die weiteren Unterschiede sich ableiten: dass im +epikureischen System die Goetter gleichsam nicht vorhanden und +hoechstens der Traum der Traeume sind, die stoischen Goetter die ewig +rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne, als Gott maechtig ueber +den Koerper, die Erde, die Natur; dass Epikuros nicht, wohl aber Zenon +eine Weltregierung und eine persoenliche Unsterblichkeit der Seele +anerkennt; dass das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das +unbedingte, weder von koerperlichem Begehren noch von geistigem Streiten +aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch das stetige +Gegeneinanderstreben des Geistes und Koerpers immer gesteigerte und +zu dem Einklang mit der ewig streitenden und ewig friedlichen Natur +aufstrebende menschliche Taetigkeit. In einem Punkte aber stimmten der +Religion gegenueber alle diese Schulen zusammen: dass der Glaube +als solcher nichts sei und notwendig ersetzt werden muesse durch die +Reflexion, mochte diese uebrigens mit Bewusstsein darauf verzichten, zu +einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstellungen des +Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs, oder dieselben teils +motiviert festhalten, teils modifizieren, wie die Stoiker taten. Es +war danach nur folgerichtig, dass die erste Beruehrung der +hellenischen Philosophie mit der roemischen, ebenso glaubensfesten als +antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die roemische +Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen +sowohl die Befehdung wie die Begruendung sich zu verbitten, die beide +ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der roemische Staat, der in der +Religion instinktmaessig sich selber angegriffen fuehlte, verhielt sich +billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der +anrueckenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren +auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch +gleich das erste groessere Debuet der Philosophie in Rom eine foermliche +Kriegserklaerung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlasst durch die +Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor +dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie, +darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten +(599 155). Die Wahl war insofern zweckmaessig, als der ganz schandbare +Handel jeder Rechtfertigung im gewoehnlichen Verstand spottete; dagegen +passte es vollkommen fuer den Fall, wenn Karneades durch Rede +und Gegenrede bewies, dass sich gerade ebenso viele und ebenso +nachdrueckliche Gruende zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen liessen +wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form +dartat, dass man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen koenne, +Oropos herauszugeben und von den Roemern, sich wieder zu beschraenken +auf ihre alten Strohhuetten am Palatin. Die der griechischen Sprache +maechtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und +emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen; +aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er +nicht bloss die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhoeflich +genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern +auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst +verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und +dessen Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast +hoehnisches Eingestaendnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen +reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der roemischen Jugend +nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische +Vortraege zu hoeren. Man gewoehnte sich, die Philosophie zuerst +wenigstens als notwendiges Uebel zu dulden, bald auch fuer die in +ihrer Naivitaet nicht mehr haltbare roemische Religion in der fremden +Weisheitslehre eine Stuetze zu suchen, die als Glauben zwar sie +ruinierte, aber dafuer doch dem gebildeten Mann gestattete, die +Namen und Formen des Volksglaubens anstaendigerweise einigermassen +festzuhalten. Indes diese Stuetze konnte weder der Euhemerismus +sein noch das System des Karneades oder des Epikuros. Die +Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem +sie die Goetter geradezu fuer Menschen erklaerte; Karneades zog gar ihre +Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden Einfluss +auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der +roemischen Religion war ein Buendnis unmoeglich; sie waren und blieben +verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es fuer Buergerpflicht erklaert, +dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe +trete; und von den in seinen Gespraechen auftretenden Akademikern und +Epikureern muss jener sich entschuldigen, dass er als Philosoph zwar ein +Juenger des Karneades, aber als Buerger und Pontifex ein rechtglaeubiger +Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei, der Epikureer sogar +schliesslich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines dieser +drei Systeme ward eigentlich populaer. Die platte Begreiflichkeit +des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft auf die Roemer +geuebt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms nur zu +tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und altersschwachen +Historisierung der Fabel; auf die roemische Religion aber blieb +er deshalb ohne wesentlichen Einfluss, weil diese von Haus aus nur +allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in Hellas +moeglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu +schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen, +die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und ueberdies die +langen Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe +Schuttlagen geistiger Brandstaetten aufgeschichtet hatten. Gegen den +Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem +roemischen, so durchaus auf Taetigkeit gerichteten Wesen tuechtig und +brav war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und +die Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die +Polizei fortgefahren hat, ihm am laengsten und ernstlichsten den Krieg +zu machen. Indes dieser roemische Epikureismus war nicht so sehr ein +philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem +- sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der +gedankenlose Sinnesgenuss fuer die gute Gesellschaft sich maskierte; +wie denn einer der fruehesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, +in Lucilius' Gedichten figuriert als der Prototyp des uebel +hellenisierenden Roemers. Gar anders stand und wirkte in Italien die +stoische Philosophie. Im geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloss +sie an die Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem +Glauben zu akkommodieren ueberhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit +seinen Goettern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsaetzlich +fest, als er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die +wissenschaftliche Ruecksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Faellen sich +ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk +als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und hoechste Gott zwar +war ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes +war wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der +Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros +ehrte, ja ueberhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen +Menschen. Diese Philosophie passte in der Tat besser nach Rom als in +die eigene Heimat. Der Tadel des frommen Glaeubigen, dass der Gott des +Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Koerperlichkeit habe und aus +einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland +einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche +Purifizierung, wie sie der stoischen Goetterlehre eigen war, verdarb den +besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven +Zeit duerftige plastische Kraft der Roemer hatte nicht mehr erzeugt als +eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhuellung der +urspruenglichen Anschauung oder des urspruenglichen Begriffes, woraus +die Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zuernen, wenn +sie sich ploetzlich in den Begriff des Gedaechtnisses verwandelt +fand; Minerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die +supranaturalische stoische und die allegorische roemische Theologie +fielen in ihrem Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der +Philosoph einzelne Saetze der Priesterlehre als zweifelhaft oder +als falsch bezeichnen musste, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die +Vergoetterungslehre verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als +die Geister ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Goetterbild +nicht als Repraesentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war +es wenigstens nicht die Art der Anhaenger Zenons, gegen diese Irrlehren +anzukaempfen und die falschen Goetter zu stuerzen; vielmehr bewiesen +sie ueberall der Landesreligion Ruecksicht und Ehrfurcht, auch in ihren +Schwaechen. Auch die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und +auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne +der Roemer, zumal der Roemer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die +Vaeter in unbefangener Weise Zucht und gute Sitte uebten, sondern +deren naive Sittlichkeit aufloesten in einen Katechismus erlaubter +und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz ueberdies +dringend eine methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die +Faehigkeit zu besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So +inkorporierte diese Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, +aber auf italischem Boden akklimatisiertes Gewaechs sich durchaus +dem roemischen Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den +verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfaenge reichen ohne Zweifel +weiter zurueck; aber zur vollen Geltung in den hoeheren Schichten der +roemischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis, +der sich um Scipio Aemilianus gruppierte. Panaetios von Rhodos, der +Lehrmeister Scipios und aller ihm nahestehender Maenner in der stoischen +Philosophie und bestaendig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein +gewoehnlicher Begleiter, verstand es, das System geistreichen Maennern +nahe zu bringen, dessen spekulative Seite zuruecktreten zu lassen +und die Duerre der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus +einigermassen zu mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der +aelteren Philosophen, unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen +Sokrates vorzugsweise liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die +namhaftesten Staatsmaenner und Gelehrten, unter anderen die Begruender +der wissenschaftlichen Philologie und der wissenschaftlichen +Jurisprudenz, Stilo und Quintus Scaevola. Der schulmaessige +Schematismus, der in diesen Fachwissenschaften seitdem wenigstens +aeusserlich herrscht und namentlich anknuepft an eine wunderliche, +scharadenhaft geistlose Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa. +Aber unendlich wichtiger ist die aus der Verschmelzung der +stoischen Philosophie und der roemischen Religion hervorgehende neue +Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das spekulative Element, von Haus +aus in dem Zenonischen System wenig energisch ausgepraegt und schon +weiter abgeschwaecht, als dasselbe in Rom Eingang fand, nachdem bereits +ein Jahrhundert hindurch die griechischen Schulmeister sich beflissen +hatten, diese Philosophie in die Knabenkoepfe hinein und damit den +Geist aus ihr hinauszutreiben, trat voellig zurueck in Rom, wo niemand +spekulierte als der Wechsler; es war wenig mehr die Rede von der +idealen Entwicklung des in der Seele des Menschen waltenden Gottes oder +goettlichen Weltgesetzes. Die stoischen Philosophen zeigten sich nicht +unempfaenglich fuer die recht eintraegliche Auszeichnung, ihr System +zur halboffiziellen roemischen Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und +erwiesen sich ueberhaupt geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen +Prinzipien haette erwarten sollen. Ihre Lehre von den Goettern und vom +Staat zeigte bald eine seltsame Familienaehnlichkeit mit den realen +Institutionen ihrer Brotherren; statt ueber den kosmopolitischen +Philosophenstaat stellten sie Betrachtungen an ueber die weise Ordnung +des roemischen Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie +Panaetios, die goettliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als +denkbar, aber ungewiss dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar +entschieden verworfen hatten, so verfochten schon seine naechsten +Nachfolger jene Offenbarungslehre, das heisst die roemische +Auguraldisziplin, so steif und fest wie jeden anderen Schulsatz und +machten sogar der Astrologie hoechst unphilosophische Zugestaendnisse. +Das Hauptstueck des Systems ward immer mehr die kasuistische +Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen Tugendstolz entgegen, bei welchem +die Roemer dieser Zeit in der vielfach demuetigenden Beruehrung mit +den Griechen Entschaedigung suchten, und formulierte den angemessenen +Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie jede wohlerzogene Moral, mit +herzerstarrender Rigorositaet im ganzen die hoeflichste Nachsicht im +einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen Resultate werden kaum viel +hoeher anzuschlagen sein als dass, wie gesagt, in zwei oder +drei vornehmen Haeusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen ward. +------------------------------------------- 2 Ein ergoetzliches +Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) nachlesen. +------------------------------------------- Dieser neuen +Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite ist +die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewusste +Festhalten der als irrationell erkannten Saetze des Volksglaubens +aus aeusseren Zweckmaessigkeitsgruenden ist. Schon einer der +hervorragendsten Maenner des Scipionischen Kreises, der Grieche +Polybios, spricht es unverhohlen aus, dass das wunderliche und +schwerfaellige roemische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen +erfunden sei, die, da die Vernunft nichts ueber sie vermoege, mit +Zeichen und Wundern beherrscht werden muesse, waehrend verstaendige +Leute allerdings der Religion nicht beduerften. Ohne Zweifel teilten +Polybios' roemische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie +auch nicht in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion +sich entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus koennen +in der Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunaechst denkt, etwas +anderes gesehen haben als eine politische Institution; doch war der +Nationalsinn in ihnen zu maechtig und das Anstandsgefuehl zu fein, als +dass sie mit solchen bedenklichen Eroerterungen oeffentlich haetten +auftreten moegen. Aber schon in der folgenden Generation trug der +Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens in +seiner muendlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Saetze vor, dass +es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmaessige philosophische +und eine nichtverstandesmaessige traditionelle, dass jene sich nicht +eigne zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu +wissen unnuetz oder sogar schaedlich sei, dass demnach die ueberlieferte +Staatsreligion bleiben muesse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung +desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die +roemische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der +Staat, wird hier gelehrt, sei aelter als die Goetter des Staats, wie der +Maler aelter als das Gemaelde; wenn es sich darum handelte, die Goetter +neu zu machen, wuerde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und +den Teilen der Weltseele prinzipmaessig entsprechender zu machen und zu +benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Goetterbilder +3 und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese +Einrichtungen einmal bestaenden, so muesse jeder gute Buerger sie kennen +und befolgen und dazu tun, dass der "gemeine Mann" die Goetter vielmehr +hoeher achten als geringschaetzen lerne. Dass der gemeine Mann, zu +dessen Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben +jetzt verschmaehte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von +selbst und wird weiterhin sich zeigen. So war denn die roemische +Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und +eine glaubenslose Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion fuer +eine politische Institution erklaerte, desto entschiedener betrachteten +die politischen Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz +fuer Angriff und Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Masse +der Fall war mit der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu +den Priesterkollegien. Die alte und natuerliche Uebung, die +Buergerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter heraufzog, hatte +unter den Haenden der roemischen Augurn sich zu einem weitlaeufigen +System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knuepfender +Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Dezennien dieser Epoche ward +sogar durch das Aelische und das Fufische Gesetz geradezu verordnet, +dass jede Volksversammlung auseinanderzugehen genoetigt sei, wenn es +einem hoeheren Beamten einfalle, nach Gewitterzeichen am Himmel zu +schauen; und die roemische Oligarchie war stolz auf den schlauen +Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Luege jedem Volksbeschluss +den Stempel der Nichtigkeit aufdruecken zu koennen. Umgekehrt lehnte +die roemische Opposition sich auf gegen die alte Uebung, dass die +vier hoechsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich selber +ergaenzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die +Stellen selbst, wie sie fuer die Vorstandschaften dieser Kollegien +schon frueher eingefuehrt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste +dieser Koerperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darueber sich +zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren +und zum Beispiel der Regierung mit religioesen Kassationsgruenden +politischer Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit +ward ein Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145) +schlug der Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis fuer die +Verwerfung des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104) +ging sodann der Vorschlag durch mit der frueher schon bei der Wahl der +Vorstaende gemachten Beschraenkungen zum Besten bedenklicher Gewissen, +dass nicht die ganze Buergerschaft, sondern nur der kleinere Teil der +Bezirke zu waehlen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in +vollem Umfang wieder her. Mit dieser Fuersorge der Konservativen fuer +die reine Landesreligion vertrug es natuerlich sich aufs beste, dass +eben in den vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben +ward. Die praktische Seite des roemischen Priestertums war die +priesterliche Kueche; die Augural- und Pontifikalschmaeuse +waren gleichsam die offiziellen Silberblicke eines roemischen +Feinschmeckerlebens und manche derselben machten Epoche in der +Geschichte der Gastronomie, wie zum Beispiel die Antrittsmahlzeit +des Augurs Quintus Hortensius die Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr +brauchbar ward auch die Religion befunden, um den Skandal pikanter zu +machen. Es war ein Lieblingsvergnuegen vornehmer junger Herren, zur +Nachtzeit auf den Strassen die Goetterbilder zu schaenden oder zu +verstuemmeln. Gewoehnliche Liebeshaendel waren laengst gemein und +Verhaeltnisse mit Ehefrauen fingen an es zu werden; aber ein Verhaeltnis +zu einer Vestalin war so pikant wie in der Welt des Decamerone die +Nonnenliebschaft und das Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge +Handel des Jahres 640 (114), in welchem drei Vestalinnen, Toechter der +vornehmsten Familien, und deren Liebhaber, junge Maenner gleichfalls aus +den besten Haeusern, zuerst vor dem Pontifikalkollegium und, da dies +die Sache zu vertuschen suchte, vor einem durch eigenen Volksschluss +eingesetzten ausserordentlichen Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung +gezogen und saemtlich zum Tode verurteilt wurden. Solchen Skandal nun +konnten freilich gesetzte Leute nicht billigen; aber dagegen war nichts +einzuwenden, dass man die positive Religion im vertrauten Kreise albern +fand: die Augurn konnten, wenn einer den andern fungieren sah, sich +einander ins Gesicht lachen, unbeschadet ihrer religioesen Pflichten. +Man gewinnt die bescheidene Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich +lieb, wenn man die krasse Unverschaemtheit der roemischen Priester und +Leviten damit vergleicht. Ganz unbefangen ward die offizielle Religion +behandelt als ein hohles, nur fuer die politischen Maschinisten noch +brauchbares Gerueste; in dieser Eigenschaft konnte es mit seinen +zahllosen Winkeln und Falltueren, wie es fiel, jeder Partei dienen +und hat einer jeden gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr +Palladium in der Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; +aber auch die Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen +ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete +dasselbe im ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes +in den eigenen uebergehen koenne. +----------------------------------------------------------- 3 Auch in +Varros Satire 'Die Aboriginer' wurde in spoettischer Weise dargestellt, +wie die Urmenschen sich nicht haetten genuegen lassen mit dem Gott, den +nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt haetten nach +Goetterpuppen und Goetterbilderchen. +----------------------------------------------------------- Im scharfen +Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst stehen die +verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und pflegte und +denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen +werden kann. Sie begegnen ueberall, bei den vornehmen Damen und Herren +wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in +Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf +dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg eine syrische +Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur Ueberwindung der +Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie mit +Verachtung zurueck; aber die roemischen Damen und namentlich Marius' +eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier, wo +der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumfuehrte, bis die +Teutonen geschlagen waren. Die Fuehrer der verschiedensten Parteien im +Buergerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben +an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat masste waehrend desselben in +den Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer +verrueckten Prophetin gemaess Anordnungen zu treffen. Fuer das Erstarren +der roemisch-hellenischen Religion, wie fuer das im Steigen begriffene +Beduerfnis der Menge nach staerkeren religioesen Stimulantien ist +es bezeichnend, dass der Aberglaube nicht mehr, wie in den +Bakchenmysterien, anknuepft an die nationale Religion; selbst die +etruskische Mystik ist bereits ueberfluegelt; durchaus in erster Linie +erscheinen die in den heissen Landschaften des Orients gezeitigten +Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen +kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevoelkerung, teils durch +die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit +dem Osten. Die Macht dieser fremdlaendischen Religion tritt sehr scharf +hervor in den Aufstaenden der sizilischen, groesstenteils aus Syrien +herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen; +die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen +grossenteils Goetternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der +geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig +verehrten Muetter. Aehnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich +seitdem die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen +Haefen gingen: Ostia und Puteoli wurden die grossen Stapelplaetze wie +fuer die syrischen Salben und die aegyptische Leinwand so auch fuer +den Glauben des Ostens. Ueberall ist mit der Voelker- auch die +Religionsmengung bestaendig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war +der populaerste der der pessinuntischen Goettermutter, der mit seinem +Eunuchenzoelibat, mit den Schmaeusen, der Musik, den Bettelprozessionen +und dem ganzen sinnlichen Gepraenge der Menge imponierte; die +Hauskollekten wurden bereits als eine oekonomische Last empfunden. +In der gefaehrlichsten Zeit des Kimbrischen Krieges erschien der +Hohepriester Battakes von Pessinus in eigener Person in Rom, um die +Interessen des dortigen, angeblich entweihten Tempels seiner Goettin zu +vertreten, redete im besonderen Auftrag der Goettermutter zum roemischen +Volk und tat auch verschiedene Wunder. Die verstaendigen Leute aergerten +sich, aber die Weiber und die grosse Menge liessen es sich nicht nehmen, +dem Propheten beim Abzug in hellen Haufen das Geleit zu geben. Geluebde, +nach dem Osten zu wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie +denn selbst Marius also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja +es gaben schon (zuerst 653 101) roemische Buerger sich zu dem +Eunuchenpriestertum her. Aber weit populaerer noch waren natuerlich die +unerlaubten und Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldaeische +Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem +marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die Sternguckerei +und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem traumseligen +Heimatland. Schon 615 (139) wies der roemische Fremdenpraetor die +saemtlichen "Chaldaeer" an, binnen zehn Tagen Rom und Italien zu +raeumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, welche zu ihrem +Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso hatte Scipio das +Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen Industrierittern jeder +Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte spaeter (657 97) sah man sogar +sich genoetigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der wilde Kult der +kappadokischen Ma oder, wie die Roemer sie nannten, der Bellona, welcher +bei den festlichen Aufzuegen die Priester das eigene Blut zum Opfer +verspritzten, und die duestere aegyptische Goetterverehrung beginnen +sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im Traume, und +von den spaeteren roemischen Isis- und Osirisgemeinden fuehrten die +aeltesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit zurueck. Man war +irre geworden, nicht bloss an dem alten Glauben, sondern auch an sich +selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fuenfzigjaehrigen Revolution, +das instinktmaessige Gefuehl, dass der Buergerkrieg noch keineswegs am +Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die truebe Beklommenheit +der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Hoehe und versenkte +sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in die drohenden +Verhaengnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe gegen das +Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden waehnte. +Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen politischen, +oekonomischen, sittlichen, religioesen Zerfahrenheit den ihm genehmen +Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als waeren +Riesenbaeume ueber Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wusste woher +und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue +Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemueter. In +aehnlicher Weise wie auf dem religioesen Gebiet vollendete sich die +in der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und +Bildung. Wie der Grundgedanke des roemischen Wesens, die buergerliche +Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem +Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist frueher dargestellt worden. +Schon zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit +verbreitet und gab es eine eigene roemische Bildung; allein man war +doch mit beiden nicht ueber die Anfaenge hinausgelangt. Was man unter +roemisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefaehr verstand, +zeigt Catos 'Encyklopaedie'; es ist wenig mehr als die Formulierung +des alten roemischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen +hellenischen Bildung verglichen, duerftig genug. Auf wie niedriger Stufe +noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in +Rom durchgaengig stand, laesst aus den Aeusserungen bei Polybios sich +abnehmen, welcher in dieser einen Hinsicht gegenueber der verstaendigen +privaten und oeffentlichen Fuersorge seiner Landsleute die straefliche +Gleichgueltigkeit der Roemer tadelnd hervorhebt - in den dieser +Gleichgueltigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der +buergerlichen Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu +finden vermocht. Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben +der aufgeklaerte stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte +auch in der Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine +besondere Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten +Ueberreste der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht ueberfluessig +sein, auf die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des +griechischen wie des hoeheren lateinischen, einen Blick zu werfen. +Es ist eine wundersame Fuegung, dass derselbe Mann, der politisch +die hellenische Nation definitiv ueberwand, Lucius Aemilius Paullus, +zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation +vollstaendig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen +geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war +ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im Sinn, +hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug, +um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schoenheit und die unbezwingliche +Sehnsucht nach den goldenen Aepfeln der Hesperiden in seiner Seele +heimzubringen; Dichter und Kuenstler hatten an dem fremden Mann einen +ernsteren und innigeren Glaeubigen gefunden, als irgendeiner war von den +klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf +Homeros oder Pheidias, aber er liess seine Kinder einfuehren in die +Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlaessigen, +soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen fuer die physische +Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach roemischen +Begriffen unzulaessigen Turnuebungen, aber durch Unterweisung in der +bei den Griechen fast kunstmaessig entwickelten Jagd, und steigerte den +griechischen Unterricht in der Art, dass nicht mehr bloss die Sprache um +des Sprechens willen gelernt und geuebt, sondern nach griechischer Art +der Gesamtstoff allgemeiner hoeherer Bildung an die Sprache geknuepft +und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die Kenntnis der +griechischen Literatur mit der zu deren Verstaendnis noetigen +mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und Philosophie. +Die Bibliothek des Koenigs Perseus war das einzige Stueck, das Paullus +aus der makedonischen Kriegsbeute fuer sich nahm, um sie seinen Soehnen +zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in seinem +Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kinder. Dass +die Zeit vorueber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus +gegenueber bloss ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato empfunden; +die Besseren mochten jetzt ahnen, dass der edle Kern roemischer Art +durch den ganzen Hellenismus weniger gefaehrdet werde als durch dessen +Verstuemmelung und Missbildung: die Masse der hoeheren Gesellschaft Roms +und Italiens machte die neue Weise mit. An griechischen Schulmeistern +war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt stroemten sie scharenweise, +und nicht bloss als Sprach-, sondern als Lehrer der Literatur und +Bildung ueberhaupt, nach dem neu eroeffneten ergiebigen Absatzmarkt +ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die +freilich, auch wenn sie nicht Sklaven waren, regelmaessig wie Bediente +4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palaesten Roms; man +raffinierte darauf, und es findet sich, dass fuer einen griechischen +Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (15200 Taler) gezahlt +worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der Hauptstadt eine Anzahl +besonderer Lehranstalten fuer griechische Deklamationsuebung. Schon +begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen roemischen +Lehrern: des Philosophen Panaetios ward bereits gedacht; der angesehene +Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs Zeitgenosse und +ebenbuertiger Rival, fand um 585 (169) in Rom ein Publikum fuer die +Vorlesung und sprachliche und sachliche Erlaeuterung der Homerischen +Gedichte. Zwar stiess diese neue Weise des Jugendunterrichts, +revolutionaer und antinational wie sie war, zum Teil auf den Widerstand +der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die Behoerden 593 (161) +gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb, zumal bei dem steten +Wechsel der roemischen Oberbeamten, wie alle aehnlichen Befehle ohne +nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato Tode ward in seinem +Sinne wohl noch oefters geklagt, aber nicht mehr gehandelt. Der +hoehere Unterricht im Griechischen und in den griechischen +Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein wesentlicher +Teil der italischen Bildung. +------------------------------------------------------ 4 Cicero sagt, +dass er seinen gelehrten Sklaven Dionysios ruecksichtsvoller behandelt +habe als Scipio den Panaetios; und in gleichem Sinne hiess es bei +Lucilius: Nuetzlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel +und Zeltdach Als der Philosoph. +------------------------------------------------------- Aber ihm zur +Seite entwickelte sich ein hoeherer lateinischer Unterricht. Es ist +in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der lateinische +Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an die Stelle +der Zwoelf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die lateinische +Odyssee getreten war und nun der roemische Knabe an dieser Uebersetzung, +wie der griechische an dem Original, die Kunde und den Vortrag +der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach- +und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch +wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende +Knaben und Juenglinge lehrten, es nicht verschmaehten, neben der +griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das +die Anfaenge eines hoeheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch +ein solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht +ueberschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht +bloss lateinische Schulbuecher, sondern eine lateinische Literatur gab +und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in einer +gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und +die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der hoeheren +Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen +Sprachmeistern liess nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt +durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Roemer +die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius' 'Punischen Krieg', +Ennius' 'Chronik', spaeterhin auch Lucilius' Gedichte zuerst einem +erlesenen Kreis, dann oeffentlich an fest bestimmten Tagen und unter +grossem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen +Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vortraege, +die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar +kein foermlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel, +die Jugend in das Verstaendnis und den Vortrag der klassischen +lateinischen Literatur einzufuehren. Aehnlich ging es mit der Bildung +der lateinischen Rede. Die vornehme roemische Jugend, die schon in +fruehem Alter mit Lob- und gerichtlichen Reden oeffentlich aufzutreten +angehalten ward, wird es an Redeuebungen nie haben fehlen lassen; indes +erst in dieser Epoche und infolge der neuen exklusiven Bildung entstand +eine eigentliche Redekunst. Als der erste roemische Sachwalter, der +Sprache und Stoff kunstmaessig behandelte, wird Marcus Lepidus +Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden beruehmten Advokaten +der marianischen Zeit, der maennliche und lebhafte Marcus Antonius +(611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663 +140-91), waren schon vollstaendig Kunstredner. Die Uebungen der Jugend +im Sprechen stiegen natuerlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben +doch, eben wie die lateinischen Literaturuebungen, wesentlich darauf +beschraenkt, dass der Anfaenger an den Meister der Kunst persoenlich +sich anschloss und durch sein Beispiel und seine Lehre sich ausbildete. +Foermliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in +lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius Praeconinus +von Lanuvium, der "Griffelmann" (Stilo) genannt, ein angesehener, streng +konservativ gesinnter roemischer Ritter, der mit einem auserlesenen +Kreise juengerer Maenner - darunter Varro und Cicero - den Plautus +und aehnliches las, auch wohl Entwuerfe zu Reden mit den Verfassern +durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies war +ein Unterricht; aber ein gewerbmaessiger Schulmeister war Stilo +nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom +die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein aelterer Freund der +aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote +stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmaessige +hoehere Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren +lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten +Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen +Anstalten erteilt. Dass Geist und Methode durchaus den griechischen +Literatur- und Sprachuebungen abgeborgt wurden, versteht sich von +selbst; und auch die Schueler bestanden wie bei diesen aus Juenglingen, +nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, +wie der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die +lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-, +Staats- und Gerichtsreden kunstmaessige Anleitung gegeben ward. Die +erste roemische Literaturschule eroeffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius +Nicanor Postumus, die erste besondere Schule fuer lateinische Rhetorik +um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den +lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser +neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten Bedeutung. +Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und lateinischer Rede, +wie sie frueher von hochgestellten Kennern und Meistern erteilt worden +war, hatte den Griechen gegenueber eine gewisse Selbstaendigkeit sich +bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl +unter dem Einfluss des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der +griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik; namentlich die +letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie der gesunde +Menschenverstand der Roemer empoerte sich gegen die griechische +Behauptung, dass die Faehigkeit, ueber Dinge, die der Redner verstand +und empfand, verstaendig und anregend in der Muttersprache zu +seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden +koenne. Dem tuechtigen praktischen Advokaten musste das gaenzlich dem +Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren fuer den Anfaenger +schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten und +durch das Leben gereiften Manne duenkte die griechische Rhetorik +schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging +die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmaessig entwickelten +Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der +Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen, +und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern, +zunaechst wohl als Uebungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so +war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede +noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen +lateinischen Rhetorschulen aber wurden die roemischen Jungen zu Maennern +und Staatsrednern dadurch gebildet, dass sie paarweise den bei der +Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus +der Ermordung seines Waffengefaehrten anklagten und dagegen ihn +verteidigten; dass sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in +Schutz nahmen; dass sie vielleicht auch dem Hannibal nachtraeglich mit +einem guten Rat darueber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung +nach Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht +zu ergreifen. Es ist begreiflich, dass gegen diese widerwaertigen und +verderblichen Wortmuehlen noch einmal die catonische Opposition sich +regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erliessen eine Warnung an +Lehrer und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Uebungen +hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewusst haetten; +und der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der +erste Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natuerlich +sprach die Kassandra vergebens; lateinische Deklamieruebungen ueber die +gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des +roemischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die Knaben +zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und jede +ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken. Als Gesamtergebnis +aber dieser modernen roemischen Erziehung entwickelte sich der neue +Begriff der sogenannten "Menschlichkeit", der Humanitaet, welche bestand +teils in der mehr oder minder oberflaechlich angeeigneten musischen +Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder +nachgestuemperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanitaet +sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch +roemischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in +sich, ebenwie unsere eng verwandte "allgemeine Bildung", einen national +kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die +Revolution, die die Staende schied und die Voelker verschmolz. 13. +Kapitel Literatur und Kunst Das sechste Jahrhundert ist, politisch +wie literarisch, eine frische und grosse Zeit. Zwar begegnet auf dem +schriftstellerischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen ein Mann +ersten Ranges; Naevius, Ennius, Plautus, Cato, begabte und lebendige +Schriftsteller von scharf ausgepraegter Individualitaet, sind nicht im +hoechsten Sinn schoepferische Talente; aber nichtsdestoweniger fuehlt +man dem Schwung, der Ruehrigkeit, der Keckheit ihrer dramatischen, +epischen, historischen Versuche es an, dass sie ruhen auf den +Riesenkaempfen der Punischen Kriege. Es ist vieles nur kuenstlich +verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt, Kunstform +und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales barock +ineinandergefuegt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des +schulmaessigen Urspungs nicht und ist unselbstaendig und unvollkommen; +aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo +nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und +die Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser +Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefuehl der im +Kriege gestaehlten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an +Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Mass des eigenen +Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das +vermochte man nicht weiterzufuehren, als teils die dumpfe Schwuele der +heraufziehenden revolutionaeren Gewitter die Luft zu erfuellen begann, +teils den Einsichtigeren allmaehlich die Augen aufgingen ueber die +unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und +ueber die sehr bescheidene kuenstlerische Begabung der eigenen Nation. +Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der +Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte +und empfaengliche Gemueter. Die gesteigerte hellenische Bildung des +siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen +naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Bluetenkeime mit +dem Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der aelteren +Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunaechst und +hauptsaechlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich +schloss und dessen hervorragendste Glieder unter der roemischen +vornehmen Welt ausser Scipio dessen aelterer Freund und Berater Gaius +Laelius (Konsul 614 140) und Scipios juengere Genossen, Lucius Furius +Philus (Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstoerers +von Korinth, unter den roemischen und griechischen Literaten der +Komiker Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber +Polybios, der Philosoph Panaetios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon +und Menandros gelaeufig waren, dem konnte der roemische Homer nicht +imponieren und noch weniger die schlechten Uebersetzungen Euripideischer +Tragoedien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu +liefern fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterlaendische Chronik +patriotische Ruecksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius +sehr spitzige Pfeile gegen "die traurigen Figuren aus den geschraubten +Expositionen des Pacuvius"; und aehnliche strenge, aber nicht ungerechte +Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, "die einen +Freibrief zu haben scheinen, schwuelstig zu reden und unlogisch zu +schliessen", begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser +Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte +die Achseln ueber die Interpolationen, mit denen der derbe roemische +Volkswitz die eleganten Komoedien des Philemon und des Diphilos +staffiert hatte. Halb laechelnd, halb neidisch wandte man sich ab von +den unzulaenglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise +erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblaetter aus +seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, liess +man in Poesie und Prosa die hoeheren Kunstgattungen wesentlich fallen +und beschraenkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich +einsichtig zu erfreuen. Die Produktivitaet dieser Epoche bewegt sich +vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren +Komoedie, der poetischen Miszelle, der politischen Broschuere, den +Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im +Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis +von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits +ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der hoeheren Gesellschaft +und das vulgaere des gemeinen Mannes. "Reine Sprache" verheissen die +Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement +der Lucilischen Satire; und ebendamit haengt es zusammen, dass die +griechische Schriftstellerei der Roemer jetzt entschieden zuruecktritt. +Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es +begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulaengliche, weit haeufiger +in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher +oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des +Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfaelschten Latein. +Desgleichen steigt die literarische Taetigkeit in der oeffentlichen +Meinung allmaehlich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser +Periode galt, wenn auch nicht die Veroeffentlichung rezitativer Poesien, +doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstuecken als nicht schicklich +fuer den vornehmen Roemer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren +Stuecken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit +goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhaeltnisse sich voellig +verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, dass +auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung +Anspruch machen durfte, deren Hoehe den Makel entfernte. Damit wurde die +Buehnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch +Maenner aus den hoechsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar +(Aedil 664 90, + 667 87) fuer die roemische Buehne taetig und stolz +darauf, in der roemischen "Dichtergilde" neben dem ahnenlosen Accius zu +sitzen. Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist +hin im Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, +die den Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr +entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der spaeteren wieder - die +Epigonen der Hannibalskaempfer sind korrekt, aber matt. Betrachten +wir zuerst die roemische Buehnenliteratur und die Buehne selbst. +Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitaeten auf; die +Tragoediendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der +vorigen, nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschaetzung dieses +Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im +Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen +Tragoedie (praetexta), der Schoepfung des Naevius, begegnen wir nur +noch bei dem gleich zu erwaehnenden Pacuvius, einem Spaetling der +Ennianischen Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern +griechischer Tragoedie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. +Marcus Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in +seinen frueheren Jahren im Rom vom Malen, erst im hoeheren Alter vom +Trauerspieldichten lebte, gehoert seinen Jahren wie seiner Art nach mehr +dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische +Taetigkeit in dieses faellt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines +Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach +hoeherem Schwunge strebend als sein Vorgaenger, galt er guenstigen +Kunstkritikern spaeter als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils; +in den auf uns gekommenen Bruchstuecken fehlt es indes nicht an Belegen, +die Ciceros sprachlichen und Lucilius' aesthetischen Tadel des Dichters +rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines +Vorgaengers, seine Dichtweise schwuelstig und tueftelnd ^1. Es finden +sich Spuren, dass er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion +gab; aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen +Richtung zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklaerung +predigenden Dramen und schoepfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei +Euripides - von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie +des Ennius kann in dem juengeren Dichter keine Ader gewesen sein. +------------------------------------------------- ^1 So hiess es im +'Paulus', einem Originalstueck, wahrscheinlich in der Beschreibung des +Passes von Pythion (2, 296): Qua vix caprigeno generi gradilis gressio +est. Wo kaum Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang. Und in +einem andern Stueck wird den Zuhoerern angesonnen, folgende Beschreibung +zu verstehen: Vierfuessig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh, +Niedrig, kurzkoepfig, schlangenhalsig, starr zu schaun, Und, +ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton. Worauf dieselben natuerlich +erwidern: Mit dichtverzaeuntem Worte schilderst du uns ab, Was ratend +schwerlich auch der kluge Mann durchschaut; Wenn du nicht offen redest, +wir verstehn dich nicht. Es erfolgt nun das Gestaendnis, dass die +Schildkroete gemeint ist. uebrigens fehlten solche Raetselreden auch bei +den attischen Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der +Mittleren Komoedie oft und derb mitgenommen wurden. +------------------------------------------------------ Lesbarere +und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragoedie lieferte des +Pacuvius juengerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen +Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), ausser Pacuvius der einzige +namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war +er, ein auch literarhistorisch und grammatisch taetiger Schriftsteller, +bemueht, statt der kruden Weise seiner Vorgaenger groessere Reinheit in +Sprache und Stil in die lateinische Tragoedie einzufuehren; doch ward +auch seine Ungleichheit und Inkorrektheit von den Maennern der strengen +Observanz, wie Lucilius, nachdruecklich getadelt. Weit groessere +Taetigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem Gebiete des +Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen die gangbare +und volksmaessige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte Reaktion. +Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der geschichtlich +interessantesten Erscheinungen in der roemischen Literatur. Geboren im +phoenikischen Afrika, in frueher Jugend als Sklave nach Rom gebracht und +dort in die griechische Bildung der Zeit eingefuehrt, schien er von +Haus aus dazu berufen, der neuattischen Komoedie ihren kosmopolitischen +Charakter zurueckzugeben, den sie in der Zustutzung fuer das roemische +Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer Genossen derben Haenden +einigermassen eingebuesst hatte. Schon in der Wahl und der Verwendung +der Musterstuecke zeigt sich der Gegensatz zwischen ihm und demjenigen +seiner Vorgaenger, den wir jetzt allein mit ihm vergleichen koennen. +Plautus waehlt seine Stuecke aus dem ganzen Kreise der neueren attischen +Komoedie und verschmaeht die keckeren und populaereren Lustspieldichter, +wie zum Beispiel den Philemon, durchaus nicht; Terenz haelt sich +fast ausschliesslich an Menandros, den zierlichsten, feinsten und +zuechtigsten unter allen Poeten der neueren Komoedie. Die Weise, mehrere +griechische Stuecke zu einem lateinischen zusammenzuarbeiten, wird von +Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage der Sache fuer den roemischen +Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, aber mit unvergleichlich mehr +Geschicklichkeit und Sorgsamkeit gehandhabt. Der Plautinische Dialog +entfernte sich ohne Zweifel sehr haeufig von seinen Mustern; Terenz +ruehmt sich des woertlichen Anschlusses seiner Nachbildungen an die +Originale, wobei freilich nicht an eine woertliche Uebersetzung in +unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht selten rohe, aber immer +drastische Auftragung roemischer Lokaltoene auf den griechischen Grund, +wie Plautus sie liebte, wird vollstaendig und absichtlich verbannt, +nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein Sprichwort, kaum eine +Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel werden durch griechische +ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in der kuenstlerischen +Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die Schauspieler die ihnen +gebuehrenden Masken zurueck und wird fuer eine sorgfaeltigere +Inszenierung Sorge getragen, so dass nicht mehr wie bei Plautus alles, +was dahin und nicht dahin gehoert, auf der Strasse vorzugehen braucht. +Plautus schuerzt und loest den Knoten leichtsinnig und lose, aber seine +Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit minder drastisch, +traegt ueberall, nicht selten auf Kosten der Spannung, der +Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdruecklich gegen die +allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe +seiner Vorgaenger, zum Beispiel gegen die allegorischen Traeume 3. +Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft, +immer fuer die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz +behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfaeltigen und oft +vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den 'Bruedern' die +beiden Alten, der bequeme staedtische Lebemann und der vielgeplackte, +durchaus nicht parfuemierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast +bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe, +Terenz im guten buergerlichen Haushalt. Die ruepelhafte Plautinische +Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den +obligaten Wirten dazu, die saebelrasselnden Landsknechte, die ganz +besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren +Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum +Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen, +unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen +regelmaessig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein +Maedchenwirt ausgepluendert oder ein junger Mensch ins Bordell gefuehrt, +so geschieht es in moralischer Absicht, etwa aus bruederlicher Liebe +oder um den Knaben vom Besuch schlichter Haeuser abzuschrecken. In den +Plautinischen Stuecken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen +das Haus: ueberall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergoetzung +aller zeitweilig emanzipierten und einer liebenswuerdigen Begruessung +daheim nicht voellig versicherten Eheleute. In den Terenzischen +Komoedien herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere +Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmaessig +schliessen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womoeglich mit +zweien - ebenwie von Menandros geruehmt wird, dass er jede Verfuehrung +durch eine Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose +Leben, die bei Menandros so haeufig sind, werden von seinem roemischen +Bearbeiter nur mit charakteristischer Schuechternheit wiederholt +4, dagegen der Verliebte in seiner Pein, der zaertliche Ehemann +am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im +'Verschnittenen' und im 'Maedchen von Andros' gar anmutig geschildert; +ja in der 'Schwiegermutter' erscheint sogar am Schluss als rettender +Engel ein tugendhaftes Freudenmaedchen, ebenfalls eine echt Menandrische +Figur, die das roemische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei +Plautus sind die Vaeter durchaus nur dazu da, um von den Soehnen gefoppt +und geprellt zu werden; bei Terenz wird im 'Selbstquaeler' der verlorene +Sohn durch vaeterliche Weisheit gebessert und, wie er ueberhaupt voll +trefflicher Paedagogik ist, geht in dem vorzueglichsten seiner Stuecke, +den 'Bruedern', die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen +Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu +finden. Plautus schreibt fuer den grossen Haufen und fuehrt gottlose +und spoettische Reden im Munde, soweit die Buehnenzensur es irgend +gestattet; Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu +gefallen und, wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den +raschen, oft laermenden Dialog, und es gehoert zu seinen Stuecken das +lebhafte Koerperspiel der Schauspieler; Terenz beschraenkte sich auf +"ruhiges Gespraech". Plautus' Sprache fliesst ueber von burlesken +Wendungen und Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen +Neubildungen, aristophanischen Woerterverklitterungen, spasshaft +entlehnten griechischen Schlagwoertern. Dergleichen Capricci kennt +Terenz nicht: sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmass, und die +Pointen sind zierliche epigrammatische und sentenzioese Wendungen. +Kein Lustspiel des Terenz ist dem Plautinischen gegenueber, weder in +poetischer noch in sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von +Originalitaet kann bei beiden nicht, aber wo moeglich noch weniger bei +Terenz, die Rede sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung +wird wenigstens aufgewogen dadurch, dass der juengere Dichter wohl +die Vergnueglichkeit, aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben +verstand, so dass die dem Menander nachgedichteten Lustspiels des +Plautus, wie der 'Stichus', die Kaestchenkomoedie, 'Die beiden +Backchis', wahrscheinlich weit mehr von dem sprudelnden Zauber des +Originals bewahren als die Komoedien des "halbierten Menander". +Ebensowenig wie in dem Uebergang vom Rohen zum Matten der Aesthetiker, +kann der Sittenrichter in dem Uebergang von der Plautinischen Zote und +Indifferenz zu der Terenzischen Akkommodierungsmoral einen Fortschritt +erkennen. Aber ein sprachlicher Fortschritt fand allerdings statt. Die +elegante Sprache war der Stolz des Dichters, und ihrem unnachahmlichen +Reiz vor allem verdankte er es, dass die feinsten Kunstrichter der +Folgezeit, wie Cicero, Caesar, Quintilian, unter allen roemischen +Dichtern der republikanischen Zeit ihm den Preis zuerkannten. Insofern +ist es auch wohl gerechtfertigt, in der roemischen Literatur, deren +wesentlicher Kern ja nicht die Entwicklung der lateinischen Poesie, +sondern die der lateinischen Sprache ist, von den Terenzischen +Lustspielen als der ersten kuenstlerisch reinen Nachbildung hellenischer +Kunstwerke eine neue Aera zu datieren. Im entschiedensten literarischen +Krieg brach die moderne Komoedie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise +hatte in dem roemischen Buergerstand Wurzel gefasst; die Terenzischen +Lustspiele stiessen auf den lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum, +das ihre "matte Sprache", ihren "schwachen Stil" unleidlich fand. +Der, wie es scheint, ziemlich empfindliche Dichter antwortete in den +eigentlich keineswegs hierzu bestimmten Prologen mit Antikritiken voll +defensiver und offensiver Polemik und provozierte von der Menge, die aus +seiner 'Schwiegermutter' zweimal weggelaufen war, um einer Fechter- +und Seiltaenzerbande zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen +Welt. Er erklaerte, nur nach dem Beifall der "Guten" zu streben, wobei +freilich die Andeutung nicht fehlt, dass es durchaus nicht anstaendig +sei, Kunstwerke zu missachten, die den Beifall der "Wenigen" erhalten +haetten. Er liess die Rede sich gefallen oder beguenstigte sie sogar, +dass vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der +Tat unterstuetzten 5. In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur +herrschte die Oligarchie und verdraengte die kunstmaessige Komoedie der +Exklusiven das volkstuemliche Lustspiel: wir finden, dass um 620 (134) +die Plautinischen Stuecke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um +so bezeichnender, als nach dem fruehen Tode des Terenz durchaus kein +hervorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet taetig war; ueber die +Komoedien des Turpilius (+ 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder +fast ganz verschollene Lueckenbuesser urteilte schon am Ende dieser +Periode ein Kenner, dass die neuen Komoedien noch viel schlechter seien +als die schlechten neuen Pfennige. Dass wahrscheinlich bereits im +Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der griechisch-roemischen Komoedie +(palliata) die nationale (togata) hinzugetreten war als Abbild zwar +nicht des spezifischen hauptstaedtischen, aber doch des Tuns und +Treibens im latinischen Land, ist frueher gezeigt worden. Natuerlich +bemaechtigte die Terenzische Schule rasch sich auch dieser Gattung; es +war ganz in ihrem Sinn, die griechische Komoedie einerseits in getreuer +Uebersetzung, andererseits in rein roemischer Nachdichtung in Italien +einzubuergern. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius +(blueht um 660 90). Die Bruchstuecke, die uns von ihm vorliegen, geben +keinen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht dem, +was die roemischen Kunstkritiker ueber ihn bemerken. Seine zahlreichen +Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus dem griechischen +Intrigenstueck nachgebildet, nur dass sie, wie bei der Nachdichtung +natuerlich ist, einfacher und kuerzer ausfielen. Auch im einzelnen +borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils aus der aelteren +Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltoenen aber, die bei dem +Schoepfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt hervortreten, +begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten sich sehr +allgemein und moegen wohl durchgaengig Nachbildungen bestimmter +griechischer Komoedien nur mit veraendertem Kostuem sein. Ein +feiner Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische +Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz; +auch die sittliche Tendenz, die seine Stuecke dem Schauspiel naeherte, +die polizeimaessige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein. +Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren +ihn hinreichend das Urteil der Spaeteren, dass er die Toga trage wie +Menandros sie als Italiker getragen haben wuerde, und seine +eigene Aeusserung, dass ihm Terenz ueber alle andern Dichter gehe. +------------------------------------------- 2 Vielleicht die einzige +Ausnahme ist im 'Maedchen von Andros' (4, 5) die Antwort auf die Frage, +wie es gehe: Nun, Wie wir koennen, heisst's ja, da, wie wir moechten, +es nicht geht, mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen +Sprichwort nachgebildete Zeile des Caecilius: Geht's nicht so, wie +du magst, so lebe wie du kannst. Das Lustspiel ist das aelteste +der Terenzischen und ward auf Empfehlung des Caecilius von dem +Theatervorstand zur Auffuehrung gebracht. Der leise Dank ist +bezeichnend. 3 Ein Seitenstueck zu der von Hunden gehetzten, weinend +einen jungen Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm. +prol. 4) verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen +Allegorie von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen duerfen. +Schliesslich gehen auch dergleichen Auswuechse auf die Euripideische +Rhetorik zurueck (z. B. Eur. Hek. 90). 4 Micio in den 'Bruedern' (I, 1) +preist sein Lebenslos und namentlich auch, dass er nie eine Frau gehabt, +"was jene (die Griechen) fuer ein Glueck halten". 5 Im Prolog des +'Selbstquaelers' laesst er von seinen Rezensenten sich vorwerfen: +Er habe verlegt sich ploetzlich auf die Poesie, Der Freunde Geist +vertrauend, nicht aus eignem Drang; und in dem spaeteren (594 160) zu +den 'Bruedern' heisst es: Denn wenn Missguenstige sagen, dass vornehme +Herrn Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stueck, So rechnet +dies, was herber Tadel jenen scheint, Der Dichter zum Ruhm sich: dass +den Maennern er gefaellt, Die euch und allem Volke wohlgefaellig sind, +Die in Kriegslaeuften seinerzeit mit Rat und Tat Hilfreich erprobt +ihr all' und ohne Uebermut. Schon in der ciceronischen Zeit war es +allgemeine Annahme, dass hier Laelius und Scipio Aemilianus gemeint +seien; man bezeichnete die Szenen die von denselben herruehren sollten; +man erzaehlte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen vornehmen +Goennern auf ihre Gueter bei Rom und fand es unverzeihlich, dass +dieselben fuer die Verbesserung seiner oekonomischen Lage gar nichts +getan haetten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekanntlich nirgends +maechtiger als in der Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon +besonnene roemische Kritiker haben es erkannt, dass diese Zeilen +unmoeglich auf den damals 25jaehrigen Scipio und auf seinen nicht viel +aelteren Freund Laelius gehen koennen. Verstaendiger wenigstens dachten +andere an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und +Marcus Popillius (Konsul 581 173) und den gelehrten Kunstfreund und +Mathematiker Lucius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch +dies offenbar nur Vermutung. Dass Terenz dem Scipionischen Hause nahe +stand, ist uebrigens nicht zu bezweifeln; es ist bezeichnend, dass die +erste Auffuehrung der 'Brueder' und die zweite der 'Schwiegermutter' +stattfand bei den Begraebnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die +dessen Soehne Scipio und Fabius ausrichteten. 6 Dabei haben +vermutlich auch aeusserliche Umstaende mitgewirkt. Nachdem infolge +des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das roemische +Buergerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die Szene eines +Lustspiels in eine solche zu verlegen, und musste der Dichter sich +entweder allgemein halten oder untergegangene oder auslaendische +Orte auswaehlen. Gewiss hat auch dieser Umstand, der selbst bei +der Auffuehrung der aelteren Lustspiele in Betracht kam, auf +das Nationallustspiel unguenstig eingewirkt. +------------------------------------------- Neu trat in dieser Epoche +in das Gebiet der lateinischen Literatur die Posse ein. Sie selbst +war uralt; lange bevor Rom stand, moegen Latiums lustige Gesellen +bei festlichen Gelegenheiten in den ein fuer allemal feststehenden +Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen Hintergrund +erhielten diese Spaesse an dem lateinischen Schildburg, wozu man die +im Hannibalischen Kriege zerstoerte und damit der Komik preisgegebene +ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward fuer diese +Auffuehrungen der Name der "Oskischen Spiele" oder "Spiele von Atella" +ueblich 7. Aber mit der Buehne 8 und mit der Literatur hatten diese +Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es ihnen +beliebte aufgefuehrt, und die Texte nicht geschrieben oder doch +nicht veroeffentlicht. Erst in dieser Periode ueberwies man das +Atellanenstueck an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, aehnlich +wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den +Tragoedien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische +Taetigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die roemische Kunstposse ganz +selbstaendig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht +verwandte unteritalische zu ihr den Anstoss gegeben hat ^10, laesst +sich nicht mehr entscheiden; dass die einzelnen Stuecke durchgaengig +Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiss. Als Begruender dieser neuen +Literaturgattung trat in der ersten Haelfte des siebenten Jahrhunderts +^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben +dessen Stuecken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich +beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Truemmer und die Berichte +der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze, +regelmaessig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der +tollen und locker geknuepften Fabel beruhte als auf der drastischen +Abkonterfeiung einzelner Staende und Situationen. Gern wurden Festtage +und oeffentliche Akte komisch geschildert: 'Die Hochzeit, 'Der erste +Maerz', 'Pantalon Wahlkandidat'; ebenso fremde Nationalitaeten: die +transalpinischen Gallier, die Syrer; vor allem haeufig erschienen auf +den Brettern die einzelnen Gewerbe: der Kuester, der Wahrsager, der +Vogelschauer, der Arzt, der Zoellner, der Maler, Fischer, Baecker gingen +ueber die Buehne; die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die +Walker, die in der roemischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider +gespielt zu haben scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen staedtischen +Leben sein Recht geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden +und Freuden nach allen Seiten dargestellt - von der Fuelle dieses +laendlichen Repertoires geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen +Titel, wie zum Beispiel 'Die Kuh', 'Der Esel', 'Das Zicklein', 'Die +Sau', 'Das Schwein', 'Das kranke Schwein, 'Der Bauer, 'Der Landmann, +'Pantalon Landmann, 'Der Rinderknecht, 'Die Winzer, 'Der Feigensammler', +'Das Holzmachen', 'Das Behacken, 'Der Huehnerhof'. Immer noch waren es +in diesen Stuecken die stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen +Dieners, des guten Alten, des weisen Mannes, die das Publikum +ergoetzten; namentlich der erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell +dieser Posse, der gefraessige, unflaetige ausstaffiert haessliche und +dabei ewig verliebte Maccus, immer im Begriff, ueber seine eigenen +Fuesse zu fallen, von allen mit Hohn und mit Pruegeln bedacht und +endlich am Schluss der regelmaessige Suendenbock - die Titel 'Pulcinell +Soldat, 'Pulcinell Wirt', 'Jungfer Pulcinell', 'Pulcinell in der +Verbannung, 'Die beiden Pulcinelle' moegen dem gutgelaunten Leser eine +Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der roemischen Mummenschanz +herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit sie geschrieben wurden, +den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich fuegten und in den +Versmassen zum Beispiel der griechischen Buehne sich anschlossen, so +hielten sie doch sich natuerlicherweise bei weitem latinischer und +volkstuemlicher als selbst das nationale Lustspiel; in die griechische +Welt begab sich die Posse nur in der Form der travestierten Tragoedie +^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius und ueberhaupt nicht +sehr haeufig kultiviert worden zu sein. Die Posse dieses Dichters wagte +sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch wenigstens bis zu dem +menschlichsten der Goetter, dem Hercules; er schrieb einen 'Hercules +Auctionator'. Dass der Ton nicht der feinste war, versteht sich; +sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkoernige Bauernzoten, Kinder +schreckende und gelegentlich fressende Gespenster gehoerten hier einmal +mit dazu, und persoenliche Anzueglichkeiten, sogar mit Nennung der +Namen, schluepften nicht selten durch. Aber es fehlte auch nicht an +lebendiger Schilderung, an grotesken Einfaellen, schlagenden Spaessen, +kernigen Spruechen, und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht +unansehnliche Stellung im Buehnenleben der Hauptstadt und selbst in der +Literatur. ------------------------------------ 7 Es knuepfen sich +an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irrtuemern. Das arge +Versehen griechischer Berichterstatter, dass diese Possen in Rom in +oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein +verworfen; allein es stellt bei genauerer Betrachtung sich nicht minder +als unmoeglich heraus diese, in der Mitte des latinischen Stadt- und +Landlebens stehenden Stuecke ueberhaupt auf das national oskische Wesen +zu beziehen. Die Benennung des "Atellanischen Spiels" erklaert sich +auf eine andere Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und +stehenden Spaessen bedurfte einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt +sucht ueberall sich ein Schildburg. Natuerlich konnte bei der roemischen +Buehnenpolizei keine der roemischen oder auch nur mit Rom verbuendeten +latinischen Gemeinden dazu genommen werden, obwohl die togatae in diese +zu verlegen gestattet war. Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre +543 (211) rechtlich vernichtet ward, tatsaechlich aber als ein von +roemischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder +Beziehung. Zur Gewissheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung, +dass einzelne dieser Possen auch in anderen ueberhaupt oder doch +rechtlich nicht mehr existierenden Gemeinden des lateinisch redenden +Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi +und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses +in Suessa Pometia, waehrend keine bestehende Gemeinde aehnlich +gemisshandelt wird. Die wirkliche Heimat dieser Stuecke ist also Latium, +ihr poetischer Schauplatz die latinisierte Oskerlandschaft; mit der +oskischen Nation haben sie nichts zu tun. Dass ein Stueck des Naevius +(+ nach 550 200) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von +"Atellanenspielern" aufgefuehrt ward und deshalb personata hiess +(Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem Fall; die Benennung +"Atellanenspieler" wird hier proleptisch stehen, und man koennte sogar +danach vermuten, dass sie frueher "Maskenspieler" (personati) hiessen. +Ganz in gleicher Weise erklaeren sich endlich auch die "Lieder von +Fescennium", die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Roemer +gehoeren und in der suedetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert +wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu +duerfen als die Atellanen zur oskischen. Dass Fescennium in historischer +Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, laesst sich allerdings nicht +unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des +Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im hoechsten +Grade wahrscheinlich. 8 Die enge und urspruengliche Verbindung, in die +namentlich Livius die Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser +sich entwickelnden Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar. +Zwischen dem Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied +ungefaehr ebenso gross wie heutzutage zwischen dem, der auf die Buehne +und dem, der auf den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das +bis auf Terenz keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf +der Charaktermaske beruhte, besteht ein urspruenglicher, in keiner +Weise auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem +Floetenstuecke, das anfangs ohne alle Rezitation bloss auf Gesang +und Tanz sich beschraenkte, sodann einen Text (satura), endlich durch +Andronicus ein der griechischen Schaubuehne entlehntes Libretto erhielt, +worin die alten Floetenlieder ungefaehr die Stelle des griechischen +Chors einnahmen. Mit der Dilettantenposse beruehrt sich dieser +Entwicklungsgang in den frueheren Stadien nirgends. 9 In der Kaiserzeit +ward die Atellane durch Schauspieler von Profession dargestellt +(Friedlaender in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit, wo diese +anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht ueberliefert, kann aber +kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die Atellane +unter die regelmaessigen Buehnenspiele eintrat, das heisst die +vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im +Widerspruch, dass noch zu Livius' (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im +Gegensatz der uebrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn +damit, dass Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane +mitaufzufuehren anfingen, ist noch gar nicht gesagt, dass dieselbe nicht +mehr, zum Beispiel in den Landstaedten, von unbezahlten Dilettanten +aufgefuehrt ward und das Privilegium also fortwaehrend anwendbar blieb. +^10 Es verdient Beachtung, dass die griechische Posse nicht bloss +vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer +Stuecke (zum Beispiel unter denen des Sopatros 'Das Linsengericht, +'Bakchis' Freier, 'Des Mystakos Lohnlakai, 'Die Gelehrtem, 'Der +Physiolog') lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muss diese +Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen +in und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien +bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, fuehrt +schon einen roemischen Namen und schrieb eine Posse 'Saturnus'. ^11 Nach +Eusebius bluehte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn Zeitgenossen +des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius (611-667 +143-87). Die erste Ansetzung duerfte um ein Menschenalter zu spaet sein; +die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt in seinen +'Malern' noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen auch schon +die Mimen, welche die Atellanen von der Buehne verdraengten. ^12 Lustig +genug mochte sie auch hier sein. So hiess es in Novius' 'Phoenissen': +Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot! ganz +wie Menanders 'falscher Herakles' auftritt. +---------------------------------------------- Was endlich die +Entwicklung des Buehnenwesens anlangt, so sind wir nicht imstande, im +einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, dass das allgemeine +Interesse an den Buehnenspielen bestaendig im Steigen war und dieselben +immer haeufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloss ward jetzt +wohl kaum ein ordentliches oder ausserordentliches Volksfest ohne +Buehnenspiele begangen, auch in den Landstaedten und Privathaeusern +wurden Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewoehnlich. Zwar +entbehrte, waehrend wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser +Zeit ein steinernes Theater besass, die Hauptstadt eines solchen noch +immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599 +(185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es +war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, dass +man aus Respekt vor den Sitten der Vaeter die Erbauung eines stehenden +Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reissend +zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden liess, +um Brettergerueste fuer dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die +Buehneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung +und die Wiedereinfuehrung der Masken um die Zeit des Terenz haengt wohl +ohne Zweifel damit zusammen, dass die Einrichtung und Instandhaltung +der Buehne und des Buehnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse +uebernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die +Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609 +145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art +akustisch gebautes und mit Sitzplaetzen versehenes Theater aufgeschlagen +und ueberhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch +von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer +Stuecke, von lebhafter Parteinahme des Publikums fuer und gegen die +Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. Dekorationen +und Maschinerie wurden verbessert: kunstmaessig gemalte Kulissen und +hoerbare Theaterdonner kamen unter der Aedilitaet des Gaius Claudius +Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre spaeter (675 79) unter der +Aedilitaet der Brueder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung +der Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche +gehoert der groesste roemische Schauspieler an, der Freigelassene +Quintus Roscius (+ um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen +hindurch der Schmuck und Stolz der roemischen Buehne ^16, Sullas Freund +und gern gesehener Tischgenosse, auf den noch spaeter zurueckzukommen +sein wird. ----------------------------------------------- ^13 Bisher +hatte der Spielgeber die Buehne und den szenischen Apparat aus der ihm +ueberwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand setzen muessen +und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden sein. Im Jahre +580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der Buehne fuer die +Spiele der Aedilen und Praetoren besonders in Verding (Liv. 41, 27); +dass der Buehnenapparat jetzt nicht mehr bloss fuer einmal angeschafft +ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben gefuehrt haben. +^14 Die Beruecksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen +folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Ueber die Sitzplaetze hat F. W. Ritschl, +Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX) +gesprochen; doch duerften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen, +welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen +gehabt haben. Wahrscheinlich gehen uebrigens zunaechst auf diese +epochemachenden Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte +des Horaz, dass "das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm". +^15 Die Kulissen des Pulcher muessen ordentlich gemalt gewesen sein, +da die Voegel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu +setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die +Donnermaschinerie darin bestanden, dass Naegel und Steine in einem +kupfernen Kessel geschuettelt wurden; erst Pulcher stellte einen +besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem +"Claudischen Donner" (Festus v. Claudiana p. 57). ^16 Unter den wenigen, +aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten findet sich folgendes +Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler: Constiteram, exorientem +Auroram forte salutans, Cum subito a laeva Roscius exoritur. Pace mihi +liceat, caelestes, dicere vestra: Mortalis visust pulchrior esse deo. + Juengsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn: Da +zur Linken mir, schau! ploetzlich geht Roscius auf. Zuernet, ihr +Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe: Schoener fuerwahr +als der Gott deuchte der Sterbliche mir. Der Verfasser dieses griechisch +gehaltenen und von griechischem Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms +ist kein geringerer Mann als der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius +Catulus, Konsul 652 (102). ------------------------------------------ +In der rezitativen Poesie faellt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf, +das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur +entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar +zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur +voruebergehendem Erfolg. Aus der gegenwaertigen Epoche ist kaum etwas +zu nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu uebersetzen +und einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbuecher, wie des Hostius +'Histrischer Krieg' und des Aulus Furius (um 650 100) 'Jahrbuecher +(vielleicht) des Gallischen Krieges', die allem Anschein nach +unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des Histrischen +Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehoert hatte. Auch in der +didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein hervorragender +Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative Dichtkunst dieser +Epoche aufzuweisen hat, gehoeren dem Gebiete der sogenannten Satura an, +derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe oder der Broschuere jede +Form zulaesst und jeden Inhalt aufnimmt, darum auch aller eigentlichen +Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der Individualitaet eines +jeden Dichters sich individualisiert und nicht bloss auf der Grenze +von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur Haelfte ausserhalb +der eigentlichen Literatur steht. Die launigen poetischen Episteln, die +einer der juengeren Maenner des Scipionischen Kreises, Spurius Mummius, +der Bruder des Zerstoerers von Korinth, aus dem Lager von Korinth an +seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert spaeter +gern gelesen; und es moegen dergleichen nicht zur Veroeffentlichung +bestimmte poetische Scherze aus dem reichen geselligen und geistigen +Leben der besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr +Vertreter in der Literatur ist Gaius Lucilius (606-651 148-103), einer +angesehenen Familie der latinischen Kolonie Suessa entsprossen und +gleichfalls ein Glied des Scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte +sind gleichsam offene Briefe an das Publikum, ihr Inhalt, wie ein +geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das ganze Leben des gebildeten +unabhaengigen Mannes, der den Vorgaengen auf der politischen Schaubuehne +vom Parkett und gelegentlich von den Kulissen aus zusieht, der mit den +Besten seiner Zeit verkehrt als mit seinesgleichen, der Literatur und +Wissenschaft mit Anteil und Einsicht verfolgt, ohne doch selbst fuer +einen Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich fuer +alles, was im Guten und Boesen ihm begegnet, fuer politische Erfahrungen +und Erwartungen, fuer Sprachbemerkungen und Kunsturteile, fuer eigene +Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie fuer vernommene Anekdoten +sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch, kaprizioes, durchaus +individuell hat die Lucilische Poesie doch eine scharf ausgepraegte +oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, literarisch sowohl +wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung +der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefuehl des rein +redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das +grosse Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbnis. Die Richtung +des Scipionischen Kreises auf literarische, namentlich sprachliche +Korrektheit findet kritisch ihren vollendetsten und geistreichsten +Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes Buch dem Begruender +der roemischen Philologie, Lucius Stilo, und bezeichnete als das +Publikum, fuer das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise reiner und +mustergueltiger Rede, sondern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer, +das heisst die Halbgriechen Italiens, deren Lateinisch allerdings +eines Korrektivs wohl beduerfen mochte. Ganze Buecher seiner Gedichte +beschaeftigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie +und Prosodie, mit der Bekaempfung praenestinischer, sabinischer, +etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer Soloezismen, +woneben der Dichter aber keineswegs vergisst, den geistlos schematischen +Isokrateischen Wort- und Phrasenpurismus zu verhoehnen ^17 und +selbst dem Freunde Scipio die exklusive Feinheit seiner Rede in recht +ernsthaften Scherzen vorzuruecken ^18. Aber weit ernstlicher noch als +das reine einfache Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat- +und im oeffentlichen Leben. Seine Stellung beguenstigte ihn hierbei in +eigener Art. Obwohl durch Herkunft, Vermoegen und Bildung den vornehmen +Roemern seiner Zeit gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen +Hauses in der Hauptstadt, war er doch nicht roemischer Buerger, sondern +latinischer; selbst sein Verhaeltnis zu Scipio, unter dem er in seiner +ersten Jugend den Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen +Hause er haeufig verkehrte, mag damit zusammenhaengen, dass Scipio in +vielfachen Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen +Fehden der Zeit ihr Patron war. Die oeffentliche Laufbahn war ihm +hierdurch verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmaehte er - +er mochte nicht, wie er einmal sagt, "aufhoeren, Lucilius zu sein, um +asiatischer Steuerpaechter zu werden". So stand er in der schwuelen +Zeit der Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden +Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palaesten und Villen der +roemischen Grossen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten +in den Wogen des politischen Koterien- und Parteikampfes und doch nicht +unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; aehnlich wie Beranger, an den +gar vieles in Lucilius' politischer und poetischer Stellung erinnert. +Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwuestlichem gesunden +Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem +Witz hinein in das oeffentliche Leben. Jetzt aber am Fest- und Werkeltag +Den ganzen lieben langen Tag Auf dem Markte von frueh bis Spat Draengen +die Buerger und die sich vom Rat Und weichen und wanken nicht von der +Statt. Ein Handwerk einzig und allein Betreiben alle insgemein, Den +andern zu prellen mit Verstand, Im Luegen zu haben die Vorderhand Und zu +werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt. All' untereinandern +belauern sie sich, Als laege jeder mit jedem im Krieg ^19. +----------------------------------------------------------- ^17 Quam +lepide lexeis, compostae ut tesserulae omnes Arte pavimento atque +emblemate vermiculato! Ei, die niedliche Phrasenfabrik! Gefuegt so +zierlich Stueck fuer Stueck, Wie die Stifte im bunten Mosaik. ^18 Der +Dichter raet ihm: Quo facetior videare et scire plus quam ceteri, Dass +du gebildeter als die andern heissest und ein feinerer Mann, - nicht +pertaesum, sondern pertisum zu sagen. ^19 Nunc vero a mane ad noctem, +festo atque profesto Toto itidem pariterque die populusque patresque +Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam. Uni se atque eidem studio +omnes dedere et arti: Verba dare ut acute possint, pugnare dolose, +Blanditia certare, bonun simulare virum se, Insidias facere ut si +hostes sint omnibus omnes. +------------------------------------------------------------ Die +Erlaeuterungen zu diesem unerschoepflichen Text griffen schonungslos, +ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die +Uebelstaende der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen +Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eroeffnung seiner +Satiren war eine grosse Debatte des olympischen Goettersenats ueber die +Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen +sich zu erfreuen. Koerperschaften, Staende, Individuen wurden ueberall +einzeln mit Namen genannt; die der roemischen Buehne verschlossene +Poesie der politischen Polemik ist das rechte Element und der +Lebenshauch der Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf +uns gekommenen Truemmern noch entzueckenden Macht des schlagendsten und +bilderreichsten Witzes "gleichwie mit gezogenem Schwerte" auf den Feind +eindringen und ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Uebergewicht und +dem stolzen Freiheitsgefuehl des Dichters von Suessa, liegt der Grund, +weshalb der feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der +roemischen Poesie die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller +Ueberlegenheit im Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem aelteren +Poeten weicht als "seinem Besseren". Die Sprache ist die des griechisch +und lateinisch durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen laesst; +ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach +Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp +zu sein; unnuetzige Weitlaeufigkeit, schluderige Wiederholung derselben +Wendung, arge Nachlaessigkeiten begegnen. haeufig; das erste Wort, +lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Aehnlich sind die +Masse, namentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man +die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so wuerde kein +Mensch merken, dass er etwas anderes vor sich habe als einfache +Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren Knuettelversen +vergleichen 20. Die Terenzischen und die Lucilischen Gedichte stehen auf +demselben Bildungsniveau und verhalten sich wie die sorgsam gepflegte +und gefeilte literarische Arbeit zu dem mit fliegender Feder +geschriebenen Brief. Aber die unvergleichlich hoehere geistige Begabung +und freiere Lebensanschauung, die der Ritter von Suessa vor dem +afrikanischen Sklaven voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch +und glaenzend, wie der des Terenz muehsam und zweifelhaft gewesen war; +Lucilius war sofort der Liebling der Nation und auch er konnte wie +Beranger von seinen Gedichten sagen, "dass sie allein unter allen vom +Volke gelesen wuerden". Die ungemeine Popularitaet der Lucilischen +Gedichte ist auch geschichtlich ein bemerkenswertes Ereignis; man +sieht daraus, dass die Literatur schon eine Macht war, und ohne Zweifel +wuerden wir die Spuren derselben, wenn eine eingehende Geschichte dieser +Zeit sich erhalten haette, darin mehrfach antreffen. Die Folgezeit +hat das Urteil der Zeitgenossen nur bestaetigt; die antialexandrinisch +gesinnten roemischen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang +unter allen lateinischen Dichtern zu. Soweit die Satire ueberhaupt als +eigene Kunstform angesehen werden kann, hat Lucilius sie erschaffen und +in ihr die einzige Kunstgattung, welche den Roemern eigentuemlich +und von ihnen auf die Nachwelt vererbt worden ist. +----------------------------------------- 20 Folgendes laengere +Bruchstueck ist charakteristisch fuer die stilistische und metrische +Behandlung, deren Lotterigkeit sich in deutschen Hexametern unmoeglich +wiedergeben laesst: Virtus, Albine, est pretium persolvere verum Queis +in versamur, queis vivimu' rebu potesse; Virtus est homini scire id +quod quaeque habeat res; Virtus scire homini rectum, utile quid sit, +honestum, Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum; +Virtus quaerendae rei finem scire modumque; Virtus divitiis pretium +persolvere posse; Virtus id dare quod re ipsa debetur honori, Hostem +esse atque inimicum hominum morumque malorum. Contra defensorem hominum +morumque bonorum, Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum; +Commoda praeterea patriae sibi prima putare, Deinde parentum, tertia iam +postremaque nostra. Tugend ist zahlen den rechten Preis Zu koennen nach +ihrer Art und Weis Fuer jede Sach' in unserm Kreis; Tugend, zu wissen, +was jedes Ding Mit sich fuer den Menschen bring'; Tugend, zu wissen, was +nuetzlich und recht, Was gut und uebel, unnuetz und schlecht; Tugend, +wenn man dem Erwerb und Fleiss Zu setzen die rechte Grenze weiss Und dem +Reichtum den rechten Preis; Tugend, dem Rang zu geben sein Recht, Feind +zu sein Menschen und Sitten schlecht, Freund Menschen und Sitten gut +und recht; Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu, Zu ihnen zu halten in +Lieb' und Treu; Immer zu sehen am ersten Teil Auf des Vaterlandes Heil, +Sodann auf das, was den Eltern frommt, Und drittens der eigene Vorteil +kommt. ---------------------------------------------------- Von der an +den Alexandrinismus anknuepfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche +noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen Epigrammen +uebersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht ihrer selbst +wegen, aber wohl als der erste Vorbote der juengeren Literaturepoche +Roms Erwaehnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig bekannten +und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden Dichtern +gehoeren hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius Manlius, +ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der letztere +scheint manche der bei den Griechen landlaeufigen geographischen +Maerchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die Fabeln von der +Europa und von dem Wundervogel Phoenix zuerst bei den Roemern in Umlauf +gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten war, auf seinen +Reisen in Dodona jenen merkwuerdigen Dreifuss zu entdecken und +abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer Wanderung in das Land +der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu lesen war - ein Fund, +den die roemischen Geschichtsbuecher nicht versaeumten, andaechtig zu +registrieren. Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen +bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt +noch nach seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen +Entwicklung angehoert, der aber zuerst oder vielmehr allein die +Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung +gebracht hat und dem alle spaeteren Geschlechter und auch wir das Beste +verdanken, was wir von der roemischen Entwicklung wissen. Polybios (ca. +546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achaeischen +Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den +Zug der Roemer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward spaeter, +vielfach namentlich waehrend des Dritten Makedonischen Krieges, von +seinen Landsleuten in militaerischen und diplomatischen Geschaeften +verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigefuehrten Krise +wurde er mit den anderen achaeischen Geiseln nach Italien abgefuehrt, wo +er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und +durch die Soehne des Paullus in die vornehmen hauptstaedtischen Kreise +eingefuehrt ward. Die Ruecksendung der achaeischen Geiseln fuehrte ihn +in die Heimat zurueck, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen +seiner Eidgenossenschaft und den Roemern machte. Bei der Zerstoerung von +Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwaertig. Er schien +vom Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung +deutlicher zu erfassen, als die damaligen Roemer selbst es vermochten. +Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein +roemischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschaetzt und +gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und ueberhaupt den ersten +Maennern Roms, sah er die Stroeme, die so lange getrennt geflossen +waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der +Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der roemischen Macht +und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte +Hellene, der mit ernster Ueberzeugung auf die Weltanschauung des +Scipionischen Kreises einging und die Ueberlegenheit des Hellenismus auf +dem geistigen, des Roemertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen +anerkannte, ueber die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen +hatte und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und +verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer +Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem +ehrenwerten, aber unhaltbaren achaeischen Lokalpatriotismus gehuldigt +haben, so vertrat er in seinen spaeteren Jahren, in deutlicher Einsicht +der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des +engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine hoechst verstaendige und +ohne Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und +stolze Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen +hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich +persoenlich voellig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen, +stellte er an den Senat den Antrag, dass er den Entlassenen, jedem in +seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch foermlich verbriefen moege, +worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus noch +einmal in die Hoehle des Polyphemos zurueckkehre, um sich von dem Riesen +Hut und Guertel auszubitten. Sein Verhaeltnis zu den roemischen Grossen +hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, wie er +der hohen Protektion sich unterwirft und sich beruehmt, naehert sich +doch einigermassen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben Geist, +den seine praktische, atmet auch seine literarische Taetigkeit. Es +war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der +Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten +Punischen Krieg bis zur Zerstoerung von Karthago und Korinth fasst +sein Werk die Schicksale der saemtlichen Kulturstaaten, das heisst +Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Aegyptens, Karthagos +und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die roemische +Schutzherrschaft im ursaechlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet +er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmaessigkeit der roemischen +Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausfuehrung steht +diese Geschichtschreibung in scharfem und bewusstem Gegensatz gegen +die gleichzeitige roemische wie gegen die gleichzeitige griechische +Historiographie. In Rom stand man noch vollstaendig auf dem +Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen +geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung +beschraenkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein +individuellen und doch auch nicht ueber die Anfaenge der Forschung +wie der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf +Ammenmaerchen, teils auf Notizenbuendel. Die Griechen hatten eine +Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; aber +der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und Staat so +vollstaendig abhanden gekommen, dass es keinem der zahllosen Historiker +gelang, der Spur der grossen attischen Meister im Geiste und in der +Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der Zeitgeschichte +weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung war entweder +rein aeusserliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der Phrasen- und +Luegenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die Feilheit und die +Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung der Zeit. Bei +den Roemern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt- oder +Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit Recht +erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern stehend wie +den Roemern, ueberschritt diese kuemmerlichen Schranken, behandelte den +roemischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab zwar nicht eine +universale, aber doch eine von den Lokalstaaten losgeloeste und den im +Werden begriffenen roemisch-griechischen Staat erfassende Geschichte. +Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so vollstaendig wie +Polybios alle Vorzuege eines Quellenschriftstellers in sich vereinigt. +Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich und jeden +Augenblick gegenwaertig; und durchaus haftet der Blick auf dem wirklich +geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der wertlosen +Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der Laender und +Voelker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen Verhaeltnisse, +all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem Annalisten +entschluepfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr aufnageln +lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkuemmertes Recht. In der +Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine Umsicht +und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht wiedererscheinen; +er benutzt die Urkunden, beruecksichtigt umfassend die Literatur +der verschiedenen Nationen, macht von seiner guenstigen Stellung +zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und Augenzeugen den +ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmaessig das ganze Gebiet +der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Kueste des Atlantischen Ozeans +21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen grossen Dingen hat er +kein Interesse fuer diesen oder gegen jenen Staat, fuer diesen oder +gegen jenen Mann, sondern einzig und allein fuer den wesentlichen +Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhaeltnis der Ursachen +und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloss die erste, sondern die einzige +Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzaehlung endlich ist +musterhaft vollstaendig, einfach und klar. Aber alle diese ungemeinen +Vorzuege machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber ersten Ranges. +Polybios fasst seine literarische Aufgabe, wie er seine praktische +fasste, mit grossartigem Verstand, aber auch nur mit dem Verstande. +Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der Freiheit, ist +ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als waere sie ein +mechanisches. Nur das Ganze gilt fuer ihn, in der Natur wie im Staat; +das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar sie auch +erscheinen moegen, sind doch eigentlich nichts als einzelne Momente, +geringe Raeder in dem hoechst kuenstlichen Mechanismus, den man +den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer +geschaffen zur Darstellung der Geschichte des roemischen Volkes, welches +in der Tat das einzige Problem geloest hat, sich zu beispielloser +innerer und aeusserer Groesse zu erheben ohne auch nur einen im +hoechsten Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen +Grundlagen mit wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich +entwickelt. Aber das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder +Volksgeschichte und wurde auch in der roemischen von Polybios nicht +ungestraft verkannt. Polybios' Behandlung aller Fragen, in denen Recht, +Ehre, Religion zur Sprache kommen, ist nicht bloss platt, sondern +auch gruendlich falsch. Dasselbe gilt ueberall, wo eine genetische +Konstruktion erfordert wird; die rein mechanischen Erklaerungsversuche, +die Polybios an deren Stelle setzt, sind mitunter geradezu zum +Verzweifeln, wie es denn kaum eine toerichtere politische Spekulation +gibt, als die vortreffliche Verfassung Roms aus einer verstaendigen +Mischung monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente +her- und aus der Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms +abzuleiten. Die Auffassung der Verhaeltnisse ist ueberall bis zum +Erschrecken nuechtern und phantasielos, die geringschaetzige +und superkluge Art, die religioesen Dinge zu behandeln, geradezu +widerwaertig. Die Darstellung, in bewusster Opposition gegen die +uebliche, kuenstlerisch stilisierte griechische Historiographie +gehalten, ist wohl richtig und deutlich, aber duenn und matt, oefter als +billig in polemische Exkurse oder in memoirenhafte, nicht selten recht +selbstgefaellige Schilderung der eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein +oppositioneller Zug geht durch die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte +seine Schrift zunaechst fuer die Roemer und fand doch auch hier nur +einen sehr kleinen Kreis, der ihn verstand; er fuehlte es, dass er den +Roemern ein Fremder, seinen Landsleuten ein Abtruenniger blieb und dass +er mit seiner grossartigen Auffassung der Verhaeltnisse mehr der Zukunft +als der Gegenwart angehoerte. Darum blieb er nicht frei von einer +gewissen Verstimmtheit und persoenlichen Bitterkeit, die in seiner +Polemik gegen die fluechtigen oder gar feilen griechischen und die +unkritischen roemischen Historiker oefters zaenkisch und kleinlich +auftritt und aus dem Geschichtschreiber- in den Rezensententon faellt. +Polybios ist kein liebenswuerdiger Schriftsteller; aber wie die Wahrheit +und Wahrhaftigkeit mehr ist als alle Zier und Zierlichkeit, so ist +vielleicht kein Schriftsteller des Altertums zu nennen, dem wir so viele +ernstliche Belehrung verdanken wie ihm. Seine Buecher sind wie die Sonne +auf diesem Gebiet; wo sie anfangen, da heben sich die Nebelschleier, +die noch die Samnitischen und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo +sie endigen, beginnt eine neue, womoeglich noch laestigere Daemmerung. +------------------------------------------ 21 Dergleichen gelehrte +Reisen waren uebrigens bei den Griechen dieser Zeit nichts Seltenes. +So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, der das ganze +Mittellaendische Meer durchschifft hat: Warum geh' ich nicht nach +Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will? +---------------------------------------- In einem seltsamen Gegensatz zu +dieser grossartigen Auffassung und Behandlung der roemischen +Geschichte durch einen Auslaender steht die gleichzeitige einheimische +Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser Periode begegnen noch einige +griechisch geschriebene Chroniken, wie die schon erwaehnte des Aulus +Postumius (Konsul 603 151), voll uebler Pragmatik, und die des Gaius +Acilius (schloss in hohem Alter um 612 142); doch gewann unter dem +Einfluss teils des catonischen Patriotismus, teils der feineren Bildung +des Scipionischen Kreises die lateinische Sprache auf diesem Gebiet +so entschieden die Vorhand, dass nicht bloss unter den juengeren +Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch geschriebene +vorkommt 22, sondern auch die aelteren griechischen Chroniken ins +Lateinische uebersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in diesen +Uebersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch +geschriebenen Chroniken dieser Epoche ausser dem Gebrauch der +Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und +ausfuehrlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius +Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des +Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul +632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in +achtzig Buechern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein +auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und +veroeffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluss gab, +als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhoerten, +doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten +nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbuecher, +mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankuendigen, +waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen +geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen- +wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Masse, wie ihre +Ausfuehrlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends +Wahrheit ohne Dichtung, und es waere sehr toericht, mit Naevius und +Pictor zu rechten, dass sie es nicht anders gemacht als Hekataeos und +Saxo Grammaticus; aber die spaeteren Versuche, aus solchen Nebelwolken +Haeuser zu bauen, stellen auch die gepruefteste Geduld auf eine harte +Probe. Keine Luecke der Ueberlieferung klafft so tief, dass diese glatte +und platte Luege sie nicht mit spielender Leichtigkeit ueberkleisterte. +Ohne Anstoss werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen, +Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins +rueckwaerts gefuehrt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr, +Monat und Tag Koenig Romulus gen Himmel gefahren ist und wie Koenig +Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai +187 (567) ueber die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im +besten Einklang, dass man in den roemischen Docks den Glaeubigen das +Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, ja +sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, wohl +eingepoekelt im roemischen Vestatempel konservierte. Mit dem Luegemut +eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die +langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren grossen +Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller +poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn +wir zum Beispiel bei Piso lesen, dass Romulus sich gehuetet habe, dann +zu pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; dass die +Tarpeia die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um +die Feinde ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verstaendiger +Zeitgenossen ueber diese ganze Schreiberei nicht befremden, "dass das +nicht heisse Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten +erzaehlen". Weit vorzueglicher waren einzelne Werke ueber die Geschichte +der juengsten Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte +des Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und +des wenig juengeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner +Zeit. Hier fand sich wenigstens schaetzbares Material und ernster +Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark +manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und +Bruchstuecken zu schliessen, keines dieser Buecher weder in markiger +Form noch in Originalitaet an die "Ursprungsgeschichten" Catos, der +leider auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen +Schule gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, +die untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der +historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon +zeichneten die ersten Staatsmaenner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so +Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105), Quintus +Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint keine +dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt fuer die +Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der Cornelia, +der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die musterhaft +reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als die erste +in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste literarische +Produktion einer roemischen Frau. Die Redeschriftstellerei bewahrte +in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrueckten Stempel; +Advokatenplaedoyers wurden noch nicht als literarische Produktion +angesehen, und was von Reden veroeffentlicht ward, waren politische +Pamphlete. Waehrend der revolutionaeren Bewegung nahm diese +Broschuerenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse +ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes' +Philippiken und Couriers fliegende Blaetter, durch die bedeutende +Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen +bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des +Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstuecke des trefflichsten +Latein wie des edelsten Vaterlandsgefuehls; so die sprudelnden Reden +des Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern - die +Schilderung des senatorischen Geschworenen ward frueher mitgeteilt - das +nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen +Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen +Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhaengnis dieser +hohen Natur im treuen Spiegelbild bewahrten. +----------------------------------------------- 22 Die einzige wirkliche +Ausnahme, soweit wir wissen, ist die griechische Geschichte des Gnaeus +Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, 38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90) +bluehte. Die griechischen Memoiren des Publius Rutilius Rufus (Konsul +649 105) sind kaum als Ausnahme anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil +zu Smyrna schrieb. ----------------------------------------------- +In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen +Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150) +veroeffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen +uebliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom +zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte +Szenerie des Gespraechs der Abhandlung eine kuenstlerische, halb +dramatische Form zu geben. Indes die spaeteren Gelehrten, schon +der Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, liessen sowohl in den +allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese +mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert +der Wissenschaft als solcher und das in Rom ueberwiegende stoffliche +Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen Abwerfen +der Fessel kuenstlerischer Form. Im einzelnen ist von den allgemein +humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der Philologie, +der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen worden, als +dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewoehnlichen roemischen +Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen +Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen +Gebiet blueht die lateinische Philologie froehlich auf, im engen +Anschluss an die laengst sicher gegruendete philologische Behandlung +der griechischen Literatur. Es ward bereits erwaehnt, dass um den Anfang +dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und +Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, dass nicht bloss der +Scipionische Kreis ueberhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang, +sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius +und Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik +beschaeftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der +historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden +die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die +des Hemina 'ueber die Zensoren', des Tuditanus 'ueber die Beamten' +schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind +die Buecher ueber die Aemter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus +Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung fuer politische +Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefassten Didaskalien +des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des +lateinischen Dramas. Indes jene Anfaenge einer wissenschaftlichen +Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches +Gepraege und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der +Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen +dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz +verweisen duerfen. Derjenige Roemer, der die lateinische Sprach- +und Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister +wissenschaftlich begruendete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er +zuerst ging zurueck auf die aeltesten Sprachdenkmaeler und kommentierte +die Saliarischen Litaneien und das roemische Stadtrecht. Er wandte der +Komoedie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu +und stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten +Plautinischen Stuecke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfaenge +einer jeden einzelnen Erscheinung des roemischen Lebens und Verkehrs +geschichtlich zu bestimmen und fuer jede den "Erfinder" zu ermitteln, +und zog zugleich die gesamte annalistische Ueberlieferung in den Kreis +seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen +ward, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des +bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius +und der Geschichtsbuecher des Antipater; und auch fuer die Zukunft hat +dieser erste roemische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt, +indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf +seinen Schueler Varro vererbte. +----------------------------------------------------- 23 Die +Behauptung zum Beispiel, dass die Quaestoren in der Koenigszeit von der +Buergerschaft, nicht vom Koenig ernannt seien, ist ebenso sicher +falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn traegt. +------------------------------------------------------- Mehr +untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische Taetigkeit +auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu tun als +Hand- und Uebungsbuecher nach dem Muster der griechischen Kompendien +des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn freilich die +Schulmeister, teils um des Beduerfnisses, teils um der Eitelkeit und des +Geldes willen, nicht fehlen liessen. Von einem unbekannten Verfasser, +der nach der damaligen Weise zugleich lateinische Literatur und +lateinische Rhetorik lehrte und ueber beide schrieb, ist uns ein +solches, unter Sullas Diktatur abgefasstes Handbuch der Redekunst +erhalten; eine nicht bloss durch die knappe, klare und sichere +Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhaeltnismaessige +Selbstaendigkeit den griechischen Mustern gegenueber bemerkenswerte +Lehrschrift. Obwohl in der Methode gaenzlich abhaengig von den Griechen, +weist der Roemer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, "was +die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig damit die +Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine". Der bitterste Tadel trifft +die haarspaltende Dialektik, diese "geschwaetzige Wissenschaft der +Redeunkunst", deren vollendeter Meister, vor lauter Angst, sich +zweideutig auszudruecken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen Namen +auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird durchgaengig +und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor der +Viellehrerei und schaerft die goldene Regel ein, dass der Schueler von +dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst zu helfen; ebenso +ernstlich erkennt er es an, dass die Schule Neben-, das Leben die +Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbstaendig gewaehlten +Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die waehrend der +letzten Dezennien in der roemischen Advokatenwelt Aufsehen gemacht +hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, dass die Opposition gegen die +Auswuechse des Hellenismus, die frueher gegen das Aufkommen einer +eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren +Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der roemischen +Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen +theoretisch und praktisch eine hoehere Wuerde und eine groessere +Brauchbarkeit sichert. Die Philosophie endlich ist in der Literatur +noch nicht vertreten, da weder sich aus innerem Beduerfnis eine +nationalroemische Philosophie entwickelte noch aeussere Umstaende eine +lateinische philosophische Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit +als dieser Zeit angehoerig sind nicht einmal lateinische Uebersetzungen +populaerer philosophischer Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie +trieb, las und disputierte griechisch. In den Fachwissenschaften ist +die Taetigkeit gering. So gut man auch in Rom verstand zu ackern und zu +rechnen, so fand doch die physikalische und mathematische Forschung +dort keinen Boden. Die Folgen der vernachlaessigten Theorie zeigen sich +praktisch in dem niedrigen Stande der Arzneikunde und einesteils der +militaerischen Wissenschaften. Unter allen Fachwissenschaften blueht +nur die Jurisprudenz. Wir koennen ihre innerliche Entwicklung nicht +chronologisch genau verfolgen; im ganzen trat das Sakralrecht mehr und +mehr zurueck und stand am Ende dieser Periode ungefaehr wie heutzutage +das kanonische; die feinere und tiefere Rechtsauffassung dagegen, welche +an die Stelle der aeusserlichen Kennzeichen die innerlich wirksamen +Momente setzt, zum Beispiel die Entwicklung der Begriffe der +boeswilligen und der fahrlaessigen Verschuldung, des vorlaeufig +schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit der Zwoelf Tafeln noch nicht, +wohl aber in der ciceronischen Zeit vorhanden und mag der gegenwaertigen +Epoche ihre wesentliche Ausbildung verdanken. Die Rueckwirkung der +politischen Verhaeltnisse auf die Rechtsentwicklung ist schon +mehrfach angedeutet worden; sie war nicht immer vorteilhaft. Durch die +Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der Hundertmaenner zum Beispiel +trat auch in dem Vermoegensrecht ein Geschworenenkollegium auf, das +gleich den Kriminalbehoerden, statt das Gesetz einfach anzuwenden, +sich ueber dasselbe stellte und mit der sogenannten Billigkeit die +rechtlichen Institutionen untergrub; wovon unter anderm eine Folge +die unvernuenftige Satzung war, dass es jedem, den ein Verwandter im +Testament uebergangen hat, freisteht, auf Kassierung des Testaments vor +dem Gerichtshof anzutragen, und das Gericht nach Ermessen entscheidet. +Bestimmter laesst die Entwicklung der juristischen Literatur +sich erkennen. Sie hatte bisher auf Formulariensammlungen und +Worterklaerungen zu den Gesetzen sich beschraenkt; in dieser Periode +bildete sich zunaechst eine Gutachtenliteratur, die ungefaehr unseren +heutigen Praejudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die laengst +nicht mehr bloss von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern +von jedem, der Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt +wurden, und an die schon rationelle und polemische Eroerterungen und +die der Rechtswissenschaft eigentuemlichen stehenden Kontroversen +sich anknuepften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an, +aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah +dies zuerst von dem juengeren Cato (+ um 600 150) und von Marcus Brutus +(etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint, +nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich +systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begruender war der +Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, + 672 95, 82), in +dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das hoechste Priestertum +erblich war. Seine achtzehn Buecher 'vom Landrecht, welche das positive +juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Praejudikate +und die Autoritaeten teils aus den aelteren Sammlungen, teils aus +der muendlichen Ueberlieferung in moeglichster Vollstaendigkeit +zusammenfassten, sind der Ausgangspunkt und das Muster der +ausfuehrlichen roemischen Rechtssysteme geworden; ebenso wurde +seine resuemierende Schrift 'Definitionen' (oros) die Grundlage der +juristischen Kompendien und namentlich der Regelbuecher. Obwohl diese +Rechtsentwicklung natuerlich im wesentlichen von dem Hellenismus +unabhaengig vor sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit dem +philosophisch-praktischen Schematismus der Griechen im allgemeinen +unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der +Rechtswissenschaft den Anstoss gegeben, wie denn der griechische +Einfluss bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel hervortritt. +Dass in einzelnen mehr aeusserlichen Dingen die roemische +Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt. +----------------------------------------------- 24 Catos Buch fuehrte +wohl den Titel 'De iuris disciplina' (Gell. 13, 20), das des Brutus den +'De iure civili' (Cic. Cluent. 51, 141; De orat. 2, 55, 223); dass es +wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero (De orat. 2, 33, +142). ----------------------------------------------- Die Kunst weist +noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur, +Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen +immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Uebung ging eher rueck- +als vorwaerts. Immer gewoehnlicher ward es bei dem Aufenthalt in +griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofuer +namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien +670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte +sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Geraet hatte +man angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloss +griechische Bildsaeulen, sondern auch griechische Gemaelde zu schaetzen. +Das erste im Rom oeffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des +Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen +Beute zuruecknahm, weil Koenig Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler) +darauf bot. Die Bauten wurden glaenzender, und namentlich kam der +ueberseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in +Gebrauch - die italischen Marmorbrueche waren noch nicht in Betrieb. +Der prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Saeulengang, den +der Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf +dem Marsfelde anlegte, schloss den ersten Marmortempel ein, den die +Hauptstadt sah; bald folgten aehnliche Anlagen auf dem Kapitol durch +Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus Octavius +(Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsaeulen geschmueckte Privathaus +war das des Redners Lucius Crassus (+ 663 91) auf dem Palatin. Aber wo +man pluendern und kaufen konnte, statt selber zu schaffen, da geschah +es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis fuer die roemische Architektur, +dass sie schon anfing, die Saeulen der alten griechischen Tempel zu +verwenden, wie zum Beispiel das roemische Kapitol durch Sulla mit denen +des Zeustempels in Athen geschmueckt ward. Was dennoch in Rom gearbeitet +ward, ging aus den Haenden von Fremden hervor; die wenigen roemischen +Kuenstler dieser Zeit, die namentlich erwaehnt werden, sind ohne +Ausnahme eingewanderte italische oder ueberseeische Griechen: so der +Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der unter anderm die +roemischen Docks wiederherstellte und fuer Quintus Metellus (Konsul 611 +143) den Tempel des Jupiter Stator in der von diesem angelegten Halle, +fuer Decimus Brutus (Konsul 616 138) den Marstempel im Flaminischen +Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um 665 89) aus Grossgriechenland, +der fuer roemische Tempel Goetterbilder aus Elfenbein lieferte; der +Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der verschrieben ward, um die +Bilder fuer den Triumph des Lucius Paullus (587 168) zu malen. Es ist +bezeichnend, dass die Muenzen dieser Epoche im Vergleich mit denen +der vorigen zwar eine groessere Mannigfaltigkeit der Typen, aber im +Stempelschnitt eher einen Rueck- als einen Fortschritt zeigen. Endlich +Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas ueber nach Rom, +einzig, um daselbst zur Erhoehung des dekorativen Luxus verwandt zu +werden. Solche fremdlaendischen Kuenste waren allerdings nicht neu +in Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische +Floetenblaeser und Taenzer auftreten lassen und die Freigelassenen und +die niedrigste Klasse des roemischen Volkes auch bisher schon mit diesem +Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, dass griechische Taenze und +musikalische Auffuehrungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel +wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner +Reden sie voll Unwillen schildert, in der ueber fuenfhundert Knaben und +Maedchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Maennern in Amt und Wuerden +durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig +ehrbaren Kastagnettentaenzen, zu entsprechenden Gesaengen und zum +Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es +auch - nicht so sehr, dass ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius +Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Baelle +fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen loeste, als dass +vornehme junge Roemer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre +Jockeykuenste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem +Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle +musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen +einfachen Floete von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein +Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Uebelstaende durch +solche Verbote, als dass es durch scharfe und folgerichtige Anwendung +ihnen abzuhelfen auch nur versucht haette. Werfen wir schliesslich +einen Blick zurueck auf das Gesamtbild, das die Literatur und die Kunst +Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den Anfang der ciceronischen +Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich mit der +vorhergehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Produktivitaet. Die +hoeheren Gattungen der Literatur sind abgestorben oder im Verkuemmern, +so das Epos, das Trauerspiel, die Geschichte. Was gedeiht, sind +die untergeordneten Arten, die Uebersetzung und die Nachbildung des +Intrigenstuecks, die Posse, die poetische und prosaische Broschuere; +in diesem letzten, von der vollen Windsbraut der Revolution durchrasten +Gebiet der Literatur begegnen wir den beiden groessten literarischen +Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem Gaius Lucilius, die +beide ueber eine Menge mehr oder minder mittelmaessiger Schriftsteller +emporragen, wie in einer aehnlichen Epoche der franzoesischen Literatur +ueber eine Unzahl anspruchsvoller Nullitaeten Courier und Beranger. +Ebenso ist in den bildenden und zeichnenden Kuensten die immer schwache +Produktivitaet jetzt voellig null. Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst- +und Literaturgenuss; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen +Gebiet die ihren Vaetern angefallenen Erbschaften einziehen und +ausnutzen, so finden wir sie auch hier als fleissige Schauspielbesucher, +als Literaturfreunde, als Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die +achtungswerteste Seite dieser Taetigkeit ist die gelehrte Forschung, +die vor allem in der Rechtswissenschaft und in der Sprach- und +Sachphilologie eigene geistige Anstrengung offenbart. Mit der +Begruendung dieser Wissenschaften, welche recht eigentlich in die +gegenwaertige Epoche faellt, und zugleich mit den ersten geringen +Anfaengen der Nachdichtung der alexandrinischen Treibhauspoesie kuendigt +bereits die Epoche des roemischen Alexandrinismus sich an. Alles, was +diese Epoche geschaffen hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer +als die Schoepfungen des sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht +sahen die Literaten und Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre +Vorgaenger wie auf stuemperhafte Anfaenger herab. Aber wenn sie die +Mangelhaftigkeit jener Anfaengerarbeiten belaechelten oder beschalten, +so mochten doch auch eben die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, +dass die Jugendzeit der Nation vorueber war, und vielleicht diesen +oder jenen doch wieder im stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht +beschleichen, den lieblichen Irrtum der Jugend abermals zu irren. + + + + +End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by +Theodor Mommsen + + + diff --git a/old/4momm10.zip b/old/4momm10.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..89cd659 --- /dev/null +++ b/old/4momm10.zip diff --git a/old/4momm10h.zip b/old/4momm10h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..2d168a3 --- /dev/null +++ b/old/4momm10h.zip diff --git a/old/4momm10u.zip b/old/4momm10u.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..43f96c1 --- /dev/null +++ b/old/4momm10u.zip |
